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Über Transzendenz des Objekts und Subjekts [ 1 / 2 ]
A. Einleitung und geschichtliche Rückblicke über die Entwicklung des Begriffs der Transzendenz I. Einleitung Es kann also nur Etwas notwendig sein in seiner Beziehung zu Anderem, weil es nur in einer solchen Beziehung überhaupt denkbar ist. Daher kann es etwas ansich Notwendiges nicht geben, außer es bedeutet dieses ansich Notwendige nichts Anderes, als daß der notwendige Zusammenhang desselben mit Anderem unmittelbar schon gegeben ist, seine notwendige Ergänzung nicht erst gesucht werden muß. Es wird daher die Ergänzung der unmittelbar gegebenen Welt ihre Notwendigkeit nur in ihrer Beziehung zur unmittelbar gegebenen Welt selbst finden können, da es ansich keine Notwendigkeit beanspruchen darff. In dieser seiner Nacktheit scheint der Satz wohl sehr selbstverständlich zu sein, in seinen besonderen Gestaltungen wird ihm jedoch oft ins Gesicht geschlagen. Wir wollen an einem Beispiel seine Tragweite klarstellen. Warum sieht ein gesundes Auge Farben? Weil es durch Ätherschwingungen affiziert wird; woher entstehen die Ätherschwingungen? durch selbst in ihren kleinsten Teilen in Schwingung befindliche Körper; und woher haben diese ihre Bewegung? Hier wird nur geantwortet werden können, daß eine ursprüngliche Kraft, d. h. Bewegung, schon angenommen werden muß. Von wem? Von uns. Und weswegen? Weil in dem unmittelbar uns Gegebenen ein Zusammenhang nicht denkbar wäre ohne eine solche Ergänzung durch eine ursprüngliche Bewegung; weil das unmittelbar Gegebene zu einer solchen Erklärung hindrängt; weil wir es annehmen müssen, wenn wir das unmittelbar Gegebene anerkennen wollen. Der Realgrund jener Ergänzung liegt also in der unmittelbar gegebenen Welt. Nimmt man diese hinweg, bleibt dann noch die Ergänzung? Wieviele werden sagen: hätte es auch nie ein Auge gegeben, die von der Sonne ausgehenden Ätherschwingungen hätten dennoch die Erde beleuchtet und erwärmt. - Aber man frage sie nur nicht, woher sie das wissen. Liegt aber die Notwendigkeit einer jeden Ergänzung im unmittelbar Gegebenen, so ist die Frage vor allem die: was ist das unmittelbar Gegebene? Versteht man aber unter "unmittelbar" Etwas, das durch keine Vermittlung, als Beziehung auf etwas Anderes gegeben ist, so ist überhaupt Nichts unmittelbar gegeben, denn Alles ist nur denkbar durch eine begriffliche, räumliche und zeitliche Vermittlung. Ja, es ist überhaupt gar nichts unmittelbar gegeben, das nicht schon zum Teil ergänzt wird. Will man aber alle Vermittlung ausscheiden, dann kommt man entweder zu etwas ganz Unterschiedslosem und daher Undenkbaren oder zu einem Abstraktum, das erst recht durch eine Vermittlung gegeben ist: denn ein Abstraktum ist nur denkbar als Vermittlung eines Konkretums. Es bleibt aber noch ein Weg übrig: nämlich das unmittelbar Gegebene für das Konkrete kat exochen [schlechthin - wp] zu erklären, das unausdrückbar nur mit dem Finger bezeichnet werden kann: dieses da! Doch was soll man mit einem "dieses da" anfangen? Kann man irgendein Gesetz, irgendeine notwendige Aussage auf ein "dieses da" als "dieses da" zurückführen? Oder ist man nicht vielmehr genötigt, das "dieses da" als etwas begrifflich Bestimmtes und Unterschiedenes, folglich Vermitteltes zu fassen, sobald man auch nur den geringsten Gebrauch von demselben, sei es praktisch oder theoretisch, machen will? Das "dieses da" oder die hinweisende Gebärde ist eben nur ein verkürzender Ausdruck für etwas begrifflich Gedachtes und Unterschiedenes, es ist der Hinweis auf etwas ganz Bestimmtes, nimmt man diese Bestimmtheit aber vollständig hinweg, dann bleibt das leere Etwas, das HEGEL ganz richtig mit dem reinen Nichts seinem Inhalt nach identifiziert hat. Sonach wären wir also eigentlich zu dem Resultat gelangt: ein unmittelbar Gegebenes ist nie vorhanden? Dieser Satz ist auch ganz richtig, sobald das "unmittelbar" in einem absoluten Sinn gefaßt wird. Etwas absolut Unmittelbares ist nie vorhanden; oder wenn man will: Alles, was zu irgendeiner Zeit im Bewußtseins vorhanden ist, ist unmittelbar gegeben. Es ist also demgemäß unmittelbar so Verschiedenes gegeben, daß mit diesem Ausdruck gar nichts Bestimmtes bezeichnet ist. Von einem Baum, den ich wahrnehme, wird man doch wohl behaupten: er sei unmittelbar gegeben? Doch man nehme alle vergangenen Wahrnehmungen, also die Reproduktionsbetätigung beim Betrachten des Baumes, man nehme alle früher vollzogenen und jetzt wieder anwendbaren begrifflichen Prozesse hinweg und frage sich dann, ob dieser Baum noch als Baum wahrgenommen wird? Wer auf diese Frage mit "Ja" antworten kann, für den gibt es eine absolut Unmittelbares; ich selbst sehe mich genötigt, darauf mit "Nein" zu antworten. Wenn es aber kein absolut Unmittelbares gibt, was soll dann die Ergänzung, die doch nur in Bezug auf ein unmittelbar und ursprünglich Gegebenes eine Ergänzung sein kann? Darauf ist nur zu antworten, daß mit dem absolut Unmittelbaren das relativ Unmittelbare noch nicht geleugnet ist. Es kann nämlich fast Alles als eine Ergänzung aufgefaßt werden, die ohne gewisse vorhergehende Bedingungen, Bewußtseinstatsachen gar nicht hätte erfolgen können. Jene vorhergehenden Tatsachen sind unmittelbarer, die Ergänzung vermittelter gegeben. Zum Beispiel: Die Undulationstheorie zur Erklärung der Lichterscheinungen ist vermittelt durch die unmittelbarer gegebenen Lichterscheinungen und Empfindungen selbst. Oder will man behaupten, man hätte jemals zur Aufstellung einer Undulationstheorie gelangen können, ohne jemals vorher Lichtempfindungen gehabt zu haben? Und dennoch sind jene absichtlich hervorgerufenen Lichterscheinungen (Experimente), auf denen als Grundlage jene Theorie aufgebaut ist, doch gewiß nicht unvermittelt gegeben; ja gerade der reinste und einfachste Farbton oder Lichteffekt bedarf einer großen Vermittlung seiner Isolierung und die im gewöhnlichen Leben vorkommenden Lichterscheinungen sind ohne psychologische und begriffliche Vermittlung und Bearbeitung gar nicht denkbar. Daher ist auch mit den Worten "unmittelbar gegeben" rein gar nichts ausgedrückt, wenn nicht hinzugefügt ist in Bezug auf was, etwas "unmittelbar gegeben" sein soll. Das Mittelbare und Unmittelbare erstreckt sich nach zwei Seiten hin und verläuft ins Nichts, oder, wenn man so will: in die Unendlichkeit. Dasjenige Mittelbare, das gleichsam durch alles Übrige vermittelt und getragen erscheint, sind die höchsten und abstraktesten Begriffe, die in den allerhöchsten und abstraktesten, aber auch nichtssagendsten Begriff des Seins überhaupt einmünden. Das Unmittelbare aber, das allem Übrigen als Grundlage dienen soll, ist jenes Allerkonkreteste: "dieses da" in seiner vollen Bestimmungslosigkeit und daher Leerheit. Es ist klar, daß beide Extreme niemals überhaupt gegeben sind, daß vielmehr jenes "Allerkonkreteste" ein ebensolches Abstraktum ist, wie das "Allerabstrakteste". Beide sind nur denkbar als Prozeß: einmal Alles "als noch zu bestimmt gedacht" aus dem Bewußtsein fortzuweisen, ohne jemals zu etwas gar nicht bestimmt Gedachten kommen zu können und das andere Mal Alles als "noch nicht genügend bestimmt" aus dem Bewußtsein fortzuweisen, ohne zu etwas gar nicht mehr weiter Bestimmbaren gelangen zu können. Was gegeben ist, ist aber relativ gegeben als mehr oder weniger Vermitteltes, und die Suche nach dem Ursprünglichsten und Vermitteltsten führt zu einem regressus in infinitum [Teufelskreis - wp] ins Leere hinein. Was uns gegeben ist, ist ein Stückwerk, das nach allen Seiten hin ins Unbestimmte und Unbestimmbare ausläuft, ein Stückwerk, das zur steten Ergänzung auffordert oder eigentlich sich stetig selbst ergänzt: nach der Zukunft und der Vergangenheit hin. Um was es sich nun hier in dieser Abhandlung vor Allem handelt, ist: Ob uns die Ergänzung jemals zu Annahmen führen kann, die in ihren Elementen von dem uns vorher und daher unmittelbar Gegebenen toto genere [völlig - wp] verschieden sind, mit ihnen absolut gar nichts gemein haben, oder ob vielmehr nicht eine jede Ergänzung die Spuren ihres Ursprungs an sich trägt und nur eine andere Kombination oder Trennung der schon früher in gewissen Verbindungen und Trennungen gegebenen Elemente ist. Dabei ist natürlich wohl zu bedenken, daß diese Elemente selbst schon Produkt einer Abstraktion sind und nicht etwa als das Ursprünglichste angesehen werden dürfen. Es ist das also die Frage nach der Transzendenz. Es darf aber die Frage nicht so gestellt werden: ob Transzendenz überhaupt möglich ist, denn damit könnte die Transzendenz als denkbar zugegeben erscheinen; ist sie aber als denkbar im Vorhinein zugegeben, dann ist sie auch im Vorhinein schon als nachgewiesen angenommen. Es muß vielmehr zuerst die Frage gestellt werden: ob überhaupt das Problem einer Transzendenz berechtigt ist? Doch ehe wir an die Beantwortung dieser Frage gehen, wollen wir einige geschichtliche Rückblicke machen. und Spinoza Es scheint befremdend und sonderbar, daß die Wissenschaft der Neuzeit, welche die Erfahrung zu ihrer Grundlage macht, andererseits wieder gekennzeichnet wird durch den Beginn des Studiums platonischer Philosophie. Es wird dies begreiflicher, wenn man bedenkt, daß alles Neue anregend, alles Alte abstumpfend wirkt; es wird aber noch begreiflicher, wenn man den Charakter der aristotelischen und platonischen Philosophie erwägt. ARISTOTELES war ein abschließender Geist, der nicht so sehr zu neuen Forschungen anregen, als vielmehr die gemachten in ein fertiges System zusammenschließen wollte, ja vielleicht sich nicht scheute, das Vorhandene durch Erfahrungen zu ergänzen, die weder Andere, noch er selbst wirklich erfahren haben (1), um nur zu einer endgültigen Abrundung zu gelangen. PLATO hingegen wollte nie abschließen, er hielt das vollendete Wissen für ein zumindest in diesem Leben unerreichbares Ideal, und erhielt und erregte dadurch einen kräftigen Wissensdurst und Forschungsgeist, der dem als fertig Gegebenen gegenüber erlöschen muß. Dann wies aber auch PLATO als Schüler des SOKRATES auf das Subjekt als Ausgangspunkt allen Wissens hin, und mehr als Alles charakterisiert der Rückgang auf das Subjekt die Neuzeit gegenüber dem Mittelalter und dem Altertum; denn erhielt im Altertum das Leben des Einzelnen erst Wert und Weihe durch den Staat, so im Mittelalter durch die Korporationen, über welchen als einigende Macht die Kirche schwebte, während erst in der Neuzeit das Individuum zur Geltung kam, aber seinen Wert und seine Würde durch sein Verhältnis zum allgemein Menschlichen, zur Humanität erteilt bekam. Man stellt zwar in der Regel dem Subjektiven die Erfahrung gegenüber, als ob die Erfahrung nicht auch subjektiv wäre. Der Ausgangspunkt ist stets der subjektive Mensch, aber innerhalb dieser Subjektivität gibt es zwei Ausgangspunkte, von welchen beiden die Neuzeit ausgegangen ist. Der eine ist der Wahrnehmungsstoff, der andere die begriffliche Bearbeitung desselben und die diese bedingenden Bewußtseinsprozesse; das Eine ist die Welt als sinnlicher Inhalt, das Andere die Bewußtseinsentwicklung desselben; das Eine ist die Natur, das Andere Geisteswissenschaft. Aber man darf nicht vergessen, daß die Scheidung in Wahrnehmungsstoff und begriffliche Bearbeitung desselben eine nachträgliche durch Abstraktion ist, die vollständig gar nicht denkbar und vollführbar ist. Alles ist stets in bewußter, begrifflicher Bearbeitung befindlicher Wahrnehmungsstoff. Nun schied man Bearbeitung oder richtiger Entwicklung und Stoff, um in nicht anzufechtender Weise die Gesetze eines jeden, aber nicht mechanischen, sondern chemischen Teiles leichter für sich erkennen zu können. Dann aber vergaß man auf die vollzogene Trennung und fragte erstaunt, wie es denn kommt, daß das Bewußtsein mit seiner begrifflichen Entwicklung sich so schön zur bewußtlosen Welt fügt? Und nun fingen die vergeblichen Bemühungen an, von einem Teil zum andern zu gelangen, wobei man gar nicht merkte, daß man stets bei dem einen den andern Teil voraussetzen muß. Doch ging diese Scheidung früher niemals so weit, wie in der neuesten Zeit, wo man die Ursprünglichkeit des Bewußtseins vollständig leugnen, es zu einem Produkt der bewußtlosen Welt machen wollte; aus Materie, aus Atomen sollte das Bewußtsein entstehen, als ob Materie und Atome nicht des Bewußtseins bedürfen, um überhaupt gedacht werden zu können. So weit gingen freilich die Vorfahren der Materialisten zu Anfang der neuen Zeit nicht. BACON schrieb sogar allen Körpern Wahrnehmungen zu, die sich freilich von den bewußten Wahrnehmungen der Seelen unterschieden haben (2); und GASSENDI gestand sogar zu, daß, wenn der Geist Körper wäre, er nicht einmal ahnen könnte, daß es Geistiges gibt: "Constat profecto, intellectum non fuisse agniturum suspicaturumve, dari ullam rem incorpoream, si ipse corporae conditionis foret." [Es ist sicher, daß der Intellekt nicht erkennen oder vermuten könnte, daß irgendein unkörperliches Ding gegeben ist, wenn er sich im Zustand eines Körpers befunden hätte. - wp] (3). Nur HOBBES ist am konsequentesten geblieben, obgleich er wieder zum guten Teil im Sensualismus stecken geblieben ist (4). Aber indem diese Philosophen auf halbem Weg stehen geblieben sind, ließen sie das ursprünglich Vereinigte sich erst vereinigen und aufeinanderwirken und ihre Inkonsequenz verhinderte sie, ihre Systeme zum Wohle der Nachwelt selbst ad absurdum zu führen. Gingen die Empiriker vom Wahrnehmungsstoff, also einem Gedachten, vom Inhalt des Denkens aus, so gingen andere Philosophen vom Denken, vom Bewußtsein oder richtiger Bewußtseinsprozeß aus. Zu ihnen gehört DESCARTES mit seinem Grundatz: "cogito ergo sum". Er geht vom absoluten Zweifel aus und kommt zu dem Resultat, daß sich an Etwas nicht zweifeln läßt, nämlich: daß Ich als zweifelnd, also auch als denkend bin: sum res cogitans. Dieser ganzen Schlußfolgerung ist nur ETWAS entgegenzusetzen: Weder daß ich zweifle, noch daß ich denke ist möglich ohne Etwas, das ich denke; das "cogito" ist für sich allein nie gegeben, sondern was gegeben ist, ist stets ein "cogitare rem" und zwar rem finitam, determinatam. Das Denken ist nur als Denken eines ganz bestimmten Inhaltes gegeben, an welchem es als chemisch mit ihm verbunden unterschieden werden kann, so daß ich gleichnisweise sagen möchte: mit jedem Atom eines Gedachten ist auch ein Atom Denken untrennbar verbunden. Die Trennung geschieht aber nur in abstracto am Inhalt. Bald bildet nämlich der Denkprozeß den Vordergrund, der sich vom Inhalt als Hintergrund abhebt, bald wieder der Inhalt den Vordergrund am Hintergrund des Denkprozesses. Aber einen Vordergrund ohne Hintergrund und umgekehrt gibt es nicht. Daher sollte der Satz des DESCARTES eigentlich heißen: cogito rem, ergo ego sum et res. Nun wird man zwar dagegen einwenden: daraus, daß ich Etwas denke, folgt noch nicht, daß das, was ich denke, ist. Hier handelt es sich eben um das Wörtchen "sein"; dieses wird gewöhnlich ohne jede Erklärung so behandelt, als ob es nur einen einzigen Sinn haben könnte, doch legt ihm jeder Philosoph einen anderen Sinn unter (5). Gebraucht man aber das Wort "sein" ohne jede weitere Bestimmung, dann kann man nicht behaupten, daß das gedachte Etwas, die gedachte Sache, nicht ist, ohne auch die frühere Behauptung aufzuheben, daß man sie doch gedacht hat. Jeder Inhalt besteht so, wie ich ihn denke, als so gedacht. Wenn ich mir jetzt in meiner Phantasie ein vielköpfiges Ungetüm vorstelle oder in einer Halluzination sehe, so ist eben dieses Ungetüm so, wie ich es sehe, und in dem Zusammenhang mit anderen Tatsachen, in dem ich es sehe (6). Aber man gebraucht das Wörtchen "Sein" ohne Erklärung und doch mit einer reservatio mentalis [geheimer Vorbehalt - wp]: als bestimmtes Sein. Dieses bestimmte Sein muß aber natürlich das Gedachte insofern nicht haben, als es ein anderes bestimmtes Sein, als das gemeinte, haben kann. Versteht man z. B. und "Sein" das als notwendigen integrierenden Bestandteil der Wahrnehmungswelt Gedachte, dann ist das oben genannte Ungetüm entschieden nicht bestehend. DESCARTES trennt also in der ursprünglichen Einheit des Denkens und des Gedachten die Gewißheit des Denkens von der seines Inhaltes, indem er dabei ganz vergißt, daß die Gewißheit des Gedachten diesem ja doch nur durch sein Gedachtsein zukommen kann, wobei natürlich auch zu erwägen ist, daß das Denken auch wieder nur als Denken eines Inhalts möglich ist. Nennt man also das Denken im weitesten Sinn oder das Bewußtsein Ich, so ist dieses unmöglich ohne eine sinnliche Welt, die es denkt, der es sich bewußt ist und mit der Gewißheit des Ich ist unzertrennbar auch schon ursprünglich die Gewißheit der Welt verbunden: als Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff. Da nun aber DESCARTES die Gewißheit des Gedachten von der Gewißheit des Denkens desselben getrennt hat (7), so muß er jene durch einen Grund außerhalb des Denkens zu erlangen suchen, ohne zu bemerken, daß dieser Grund doch wieder nur durch das Denken seine Gewißheit erlangen kann. Ein solcher Grund, der aber sowohl formaliter als auch eminenter Existenz haben muß, soll Gott sein: denn er ist eine Vorstellung (idea), die eine größere Realität beansprucht, als die meines Ich ist; folglich kann ich nicht die Ursache dieser Idee sein, weil die Ursache nicht kleiner sein kann als die Wirkung (8). Dieser Folgerung ist (die Prämisse, daß Gott mehr Realität als mir zukommt, vorausgesetzt) unwiderleglich - nur führt sie nicht aus dem Denken heraus. Es folgt daraus nur: also muß ich Gott als die Ursache, welche in meinem individuellen Ich seine Vorstellung erregt denken; dies genügt ja auch für den, welcher Sein und Gedachtsein identifiziert, nicht aber für DESCARTES, der ein Sein außerhalb des Denkens oder eigentlich Gedachtseins im weitesten Sinn feststellen will. Aber es ist noch die Frage, ob ich eine Realität zu denken vermag, die umfassender sein soll als ich. Denn zu mir gehört doch Alles, was ich denke; eine solche Realität müßte also, um mehr zu enthalten als ich, mehr enthalten als ich denke; dann ist aber das, was sie mehr enthalten soll, unmöglich anders als wieder durch das Denken festzustellen, gehört also wieder zu meinem Ich. So gelange ich zu einem unendlichen Prozeß, eine immer größere Realität zu denken, die aber, insofern sie größer gedacht ist, auch immer wieder mein Ich vergrößert und also nicht größer als Ich gedacht werden kann. SPINOZA ging noch einen Schritt weiter als DESCARTES. War für DESCARTES das Denken überhaupt der Ausgangspunkt für seine Philosophie, so war für SPINOZA das, was zu seinem Gedachtwerden keines anderen Gedankens bedarf, Ausgang und Endpunkt derselben. Da nun hier SPINOZA unter dem "bedarf" das logische Bedürfnis versteht, so kann diese Definition seiner Substanz nur einen Denkinhalt überhaupt, also das Sein im allgemeinsten und bedeutungslosesten Sinn dieses Worts bedeuten. Es ist dann auch klar, daß die res particularis, die Modifikation, in der Tat nur eine logische Einschränkung jenes obersten, alles umfassenden Gattungsbegriffs des Seins ist: ebenso, daß mit der Aufhebung der res particularis jenes allgemeinste Sein nicht berührt erscheint, jedoch mit Aufhebung dieses Seins auch die res particularis, überhaupt alle Modi, logisch aufgehoben sind. Es handelt sich nun darum: ist diese Substanz ein notwendiger Gedanke, den SPINOZA zum Ausgangspunkt seines Systems macht, oder ist er der feste Punkt außerhalb des Denkens, der alles Sein und also auch das individuelle Denken erst möglich macht? Ich möchte behaupten beides: mehr unbewußterweise das Erste und mehr bewußterweise das Zweite. Wenn SPINOZA sagt: "Si quis ergo diceret, se claram et distinctam, hoc es, veram ideam substantiae habere et nihilo minus dubitare num talis substantia existat, idem hercle esset, ac si diceret, se veram habere ideam et nihilominus, dubitare, num falsa sit." [Wenn also jemand sagen würde, er habe eine klare und deutliche, also eine wahre Vorstellung von einer Substanz, und dennoch daran zweifelt, ob eine solche Substanz existiert, wäre es dasselbe, als wenn er sagen würde, daß er eine wahre Idee hat und zweifelt, ob sie vielleicht doch falsch ist. - wp] (9), so muß man geneigt sein zu glauben, daß "ideam habere" und "existere" dasselbe ist. Doch kurz vorher sagt er wieder: "Verum substantiarum veritas extra intellectum non est nisi in se ipsis, quia per se concipiuntur" und an einer anderen Stelle klar und deutlich: "Idea vera debet convenire cum suo ideato, hoc est id quod in intellectu objective continetur, debet necessario in natura dari." [Eine wahre Idee muß mit sich selbst übereinstimmen, das heißt, was objektiv im Intellekt enthalten ist, muss notwendigerweise in der Natur gegeben sein. - wp] (10) Es erhellt sich daraus deutlich, daß für SPINOZA das klar und deutlich Gedachte auch seiend ist, doch nicht so, als ob Gedachtsein und Sein identisch wäre, sondern so, daß aus dem wahrhaften Denken die Existenz des Gedachten außerhalb des Intellektes folgt. Aus dem Gedachtsein folgt also das Sein. Die Substanz muß klar und deutlich gedacht werden, daher ist sie, existiert sie. Wie es dann möglich ist, zu konstatieren, daß dem Gedachtsein ein Sein außerhalb des Denkens entspricht, daran hat SPINOZA nie gedacht - ihm gilt das Axiom: "Idea vera debet cum suo ideato convenire." (11) Eine andere Frage ist die, ob die Attribute nur als Auffassungen der Substanz durch einen Intellekt oder als selbständige Wesenheiten der Substanz zu gelten haben. In beiden Fällen muß sich aber SPINOZA in Widersprüche verwickeln. Ist das Attribut nur eine Auffassungsweise des Intellekts, dann ist nicht das Attribut des Denkens eine logische Bedingung des endlichen Intellekts, sondern die Auffassung dieses die Bedingung der Denkbarkeit aller Denkmodi der Substanz (12). Ist dagegen das Attribut eine Wesenheit der Substanz, dann bleibt unbegreiflich, wie der endliche Intellekt zur Kenntnis der Substanz gelangen soll, da ja doch in ihm als Modus nicht die Substanz, sondern jener in dieser enthalten ist. Es bleibt also unerklärt, wie der Modus aus sich heraus zur Auffassung der Substanz gelangen soll. Überhaupt gewinnt das ganze System SPINOZAs erst als Gedanke eines Intellekts Bedeutung. Denn Modi und Substanz können um einander nicht wissen, ohne selbst ihre Eigenart und Rangordnung aufzuheben und erst ein Intellekt, welcher die Beziehungen zwischen Modi und Substanz denkt, bringt jene Beziehungen hinein. Aber ein solcher Intellekt, welcher den Modus als Modus denkt, darf nicht selbst ein Modus sein, der doch nur wieder Modi zu seinen Gedanken haben kann. Somit könnte nur ein unendlicher Intellekt konsequenterweise SPINOZAs Wahrheiten erkennen. In einem scharfen Gegensatz zu SPINOZA steht LOCKE. Denn ist für SPINOZA das allgemeinste Subjekt - die unendliche Substanz der Ausgangspunkt, so ist dieser für LOCKE das besondere Subjekt, der Mensch als Individuum. Daher gleich im Anfang seines Hauptwerkes seine scharfe Polemik gegen alle angeborenen Grundsätze, deren Annahme einen über dem Individuum stehenden Ausgangspunkt zur Folge gehabt hätten. Aber auch DESCARTES gegenüber unterscheidet sich LOCKE wesentlich seinem Ausgangspunkt nach. Denn nicht das Denken, sondern die transzendenten Dinge außerhalb von uns und ihre Ideen sind die Basis seines Systems (13); und das, wozu DESCARTES auf Umwegen mit Hilfe des Gottesbegriffs gelangt, die Transzendenz der Körperwelt, ist für LOCKE eine Voraussetzung, deren Beweis oder Nachweis er gar nicht für nötig erachtet. Ja diese Voraussetzung ist ihm der Prüfstein für eine jede wahre und reale Idee im Gegensatz zum Phantasiegebilde. Dabei erkennt er aber doch an, daß alles in der Seele Gegebene Idee und Beziehung von Ideen ist (14), und übersieht daher, daß er unter diesen Umständen den Beweis oder Nachweis zu liefern verpflichtet ist, wie denn ein Hinauskommen zu etwas nicht Idealem, ja überhaupt nur eine Konstatierung desselben möglich ist. Für LOCKE beginnt das Denken mit der Affektion der Seele durch äußere Dinge (external objects, things without us) und besteht aus der Affektion der Seele selbst (sensation) und der Selbsterfassung der Tätigkeiten der Seele, die durch die Affektionen hervorgerufen werden (reflexion). Nun ist uns aber der sinnliche Gegenstand und sin in irgendeiner Art "gedacht und erfaßt sein" in einer ursprünglichen untrennbaren Einheit gegeben, die erst durch eine, freilich sehr geläufige Abstraktion in die zwei Teile des Denkens und des gedachten sinnlichen Gegenstandes zerfällt. Daher ist der ursprünglichere Ausgangspunkt jene Einheit und nicht ihre Teile für sich, am allerwenigsten jene transzendenten Dinge-ansich, jene "external" oder "outwards objects" oder "things without us". Es wird nun doch gewiß zugegeben werden, daß das Mittelbarere aus dem Ursprünglichen erklärt werden muß und nicht umgekehrt. Nun sind uns aber nicht jene "things without us" gegeben, sondern die "sensations", und nicht die Seele, sondern die "reflexions", und beide in ursprünglicher Einheit. Es ist also LOCKE daran gelegen, zu erklären, wieso es denn möglich ist, von jenen ursprünglichen Bewußtseinstatsachen zur Behauptung einer Seele und äußerer, sie affizierender Objekte zu gelangen? Anstatt dessen aber erklärt er das ursprünglicher Gegebene, die unmittelbar gegebenen Bewußtseinstatsachen, im Vorhinein aus erst abzuleitenden und nachzuweisenden Annahmen: jenen Dingen ansich. Der ganze Unterschied von LOCKEs "primary" und "secondary qualities" beruth ja doch nur auf jener unbewiesenen Annahme; und LOCKE merkt gar nicht, daß, um zu entscheiden, welche "sensations" den "external objects" entsprechen oder nicht, nur ein Glied, sondern beide Glieder der Vergleichung gegeben sein müßten. Es ist aber interessant, daß bei LOCKE gerade jene Gründe für die Objektivität der ersten Qualitäen, die alle räumliche sind, maßgebend waren, welche bei KANT für die Subjektivität des Raums und der aus ihm folgenden Qualitäten bestimmend gewirkt haben. Bei beiden ist für ihre entgegengesetzten Ansichten entscheidend, daß jene räumlichen Qualitäten stets notwendig sind bei allen sinnlichen Gegenständen. Nur folgert LOCKE daraus, daß sie also untrennbar vom Körper (inseparable from the body) (15) und daher Eigenschaften der Dinge selbst sind, während KANT daraus folgert, daß sie also mit unserer Subjektivität notwendig verbunden sein müssen, wenn eine sinnliche Auffassung ohne sie gar nicht denkbar ist. Daher sind gerade jene "secondary qualities" für KANT realer, weil sie Affektionen durch das Ding-ansich sind. LOCKE begeht aber hier eine petition principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp], denn sein Beweis ist nur dann gültig, wenn er stillschweigend den Körper, so wie er als "sensation" gegeben ist, mit dem "external object", dem Ding-ansich identifiziert, dann ist aber auch der Beweis unnötig, daß die Eigenschaften des Körpers als "sensation" auch notwendig dem Ding-ansich zukommen müßten. Findet aber diese Identifizierung nicht statt, dann ist auch nur erwiesen, daß jene Eigenschaften jeder Körpervorstellung (idea of body) zukommen, nicht aber auch den Dingen-ansich, und die "primary qualities" sind dann nicht als realere erwiesen, wie die "secondary qualities". Übrigens kann man auch KANT von einer petitio principii nicht ganz freisprechen, denn sein Schluß ist nur unter der Voraussetzung gültig, daß das Allgemeine, also stets Gegebene, das Subjektive ist, das Besondere aber das Objektive, denn nur dann folgt aus dem Raum als allgemeiner Beschaffenheit der Dinge seine Subjektivität, wobei aber nicht zu übersehen ist, daß dann dieselbe Eigenschaft für die Farbe und für die Dichtigkeit (solidity, von LOCKE auch wirklich zu den ersten Qualitäten gerechnet), oder eigentlich für alle allgemeinen Eigenschaften der Dinge ebenso gilt und diese somit als Modifikationen unserer Subjektivität anzusehen wären. Auch ist zu beachten, daß Subjektivität und Objektivität (nicht der Erkenntnis, sondern der Seinsart nach) für LOCKE und für KANT nur dann einen Sinn haben kann, wenn eine Seele und sie affizierende Dinge-ansich schon vorausgesetzt sind, die ohne die Voraussetzung dieser Subjektivität und Objektivität der Seinsart ein gegenstandsloser Ausdruck wird. Endlich ist, wie sehr bald entdeckt wurde, der Unterschied der ersten Eigenschaften als allgemeine und beständige, der zwei aber als wechselnde und unbeständige ein scheinbarer (übrigens folgt aus der Unbeständigkeit einer Eigenschaft noch nicht ihre Subjektivität oder Objektivität), und daß die ersten Qualitäten eben auch nur eine relative Geltung haben, wie die zweiten, ist jetzt eine wissenschaftlich ausgemachte Tatsache. Auf den einfachen und zusammengesetzten Vorstellungen hingegen beruth wieder die Lehre von der Substanz bei LOCKE. Denn was uns gegeben ist, ist ein Zusammen von einfachen Vorstellungen oder Qualitäten, welches Zusammen LOCKE "complex ideas" nennt. Dieses Zusammen von einfachen Eigenschaften scheint aber nicht gedacht werden zu können ohne einen Träger, welchem sie inhärieren, einer Substanz (16). Diese Substanz selbst ist aber nie gegeben, sondern nur die Eigenschaften, die ihr inhärieren sollen. Die Substanz ist also die Annahme eines Trägers für Eigenschaften, die an und für sich existierend nicht gedacht werden können. In dieser Argumentation ist aber ein unberechtigter Sprung enthalten. Denn gegeben ist uns nur ein gesetzlicher Zusammenhang dieser einfachen Eigenschaften, bestimmte Arten der Gesetzlichkeit dieses Zusammen von Eigenschaften und eben dieses bestimmte Zusammen nennen wir ein Ding. Es ist nun gewiß natürlich und zuzugestehen, daß das Abstraktum dieses gesetzlichen Zusammenhangs für sich nicht leicht denkbar war und daher eine Symbolisierung und Hypostasierung [Vergegenständlichung - wp] eines Trägers nahe lag. Es ist aber ursprünglich keine Nötigung im Denken gegeben, einen solchen Träger anzunehmen, sondern nur einen solchen bestimmten Zusammenhang. Daher ist gerade für den gemeinen Mann, dessen Denken ursprünglicher ist, ein solcher Träger unnötig, weil er noch nicht die Eigenschaften von ihrem Zusammenhang getrennt hat, weil ihm sein Haus und sein Garten und sein Feld noch nicht zu einem Konglomerat von Eigenschaften geworden ist, sondern diese in einer ungetrennten und unreflektierten Einheit beisammen wohnen; er würde daher den Begriff der Substanz nicht fassen können. Erst in dem Augenblick, wo jene Abstraktion und Scheidung zwischen Zusammenhang und Eigenschaften klar und deutlich eintritt, tritt auch das psychologische Bedürfnis ein, jenen Zusammenhang in abstracto zu versinnlichen, zu konkretisieren, um ihn faßbarer zu machen. Nicht also eine allgemeine Nötigung des Denkens, sondern sein eigenes psychologisches Bedürfnis hat LOCKE zur Ursache der Annahme der Substanz gemacht. Außerdem ist es befremdend, daß LOCKE die Frage nach der Substanz nicht vor allen anderen Fragen behandelt hat; denn wenn auch Substanz und Ding-ansich nicht identisch sind, so ist doch ein solcher Zusammenhang zwischen beiden Fragen, daß eine ohne die andere nicht lösbar ist. Daher ist es unbegreiflich, daß LOCKE sich nicht schon ursprünglich fragen mußte, in welcher Beziehung stehen denn eigentlich Substanz und Ding-ansich und einfache Qualitäten. Denn ist die Substanz bloß eine Denkannahme, dann ist das Ding-ansich nur als Ursache der einfachen Qualitäten zu denken, und auch die Seele braucht dann nicht ein Wesen für sich zu sein, sondern es genügt, für jede "reflexion" eine transzendenten geistige Ursache anzunehmen, ohne einen transzendenten Zusammenhang voraussetzen zu müssen. Ist aber die Substanz existierend außerhalb des Denkens, dann ist erst Seele und vorgestellter Gegenstand in ihrer Ganzheit als transzendent gesetzt, denn dann ist auch der Zusammenhang der Vorstellungen und Eigenschaften in einem Wesen ein transzendenter und nicht nur ein immanenter. Noch zu Lebzeiten LOCKEs erfuhren seine Ansichten eine gründliche Kritik und Durchsicht durch LEIBNIZ; und obwohl dieser von diametral entgegengesetzten Ansichten ausgegangen ist, so wußte er doch LOCKE nicht nur zu würdigen, sondern er stimmte manchmal sogar in den Resultaten mit ihm überein, wobei freilich seine Fassung und Begründung derselben stets eine andere war. Schon in ihren Ausgangspunkten waren beide grundverschieden und doch auch ähnlich. Beide gingen von einer Vielheit von Wesen aus, aus deren Kombinationen die Welt besteht; beide sahen in der gegebenen Welt mehr oder weniger nur eine Erscheinung in einem geistigen Wesen. Aber während der eine aus der Wechselwirkung von transzendenten Wesen alle Erscheinung entstehen ließ, war für den andern gerade diese Wechselwirkung das Unbegreifliche und Unmöglich und es entstand ihm daher die Welt der Erscheinung durch eine innere selbständige Entwicklung der geistigen einfachen Wesen (Monaden), ohne daß darum eine Einwirkung von außen her stattgefunden hätte (17). Die Monade war der Keim, aus dem sich die ganze Welt der Erscheinung entwickelt, wie aus dem Samen die Pflanze. Wäre nun LEIBNIZ konsequent geblieben, so hätte er eigentlich zugestehen müssen, daß, da eine Monade aus sich selbst nicht heraus und nichts in sie hineinkommen kann, sie sich auch niemals in der Lage sehen wird, eine zweite Monade als außerhalb ihrer existierend zu konstatieren, wenn unter dieser Existenz nicht bloß ein Zustand der ersten Monade verstanden wird. Da nun LEIBNIZ selbst eine denkende Monade war, so konnte er eine zweite Monade ebenfalls nur als seinen Zustand konstatieren, und es ist durchaus nicht abzusehen, wie er zur Kenntnis der Existenz von Monaden ansich gekommen ist. Doch damit wäre ihm die Realität (wie man sie in der Regel faßt) der Welt abhanden gekommen, und so muußte dann eine mit der Innenwelt vollständig gleiche Außenwelt gesetzt werden, um der Innenwelt eine zugrundeliegende Realität zu verschaffen, von der sie aber konsequenterweise nie etwas wissen kann. Doch diese Übereinstimmung konnte zufällig sein, d. h. ohne eine Ursache, also weil sie eben so war, oder durch Etwas hervorgebracht. Das Erstere hätte aber dem Satz vom zureichenden Grund widersprochen und hätte überdies die ansich gewisse Existenz Gottes vernichtet, oder zumindest unnötig gemacht. Daher mußte die in der Welt herrschende Ordnung durch eine erste Ursache geschaffen worden sein. Nun gelangen wir aber bei der Untersuchung der Ursachen eines Gegebenen niemals zu einem Ende, sondern in ein nur immer größeres Detail von Verursachungen (18), (was im Resultat dasselbe ist, als ob es eine letzte Ursache überhaupt nicht gäbe). Wir sind daher genötigt (wenn wir nicht alle Erklärung aufgeben wollen), eine letzte Ursache anzunehmen, die aber nicht in die Reihe jener ersten gehört, sondern außerhalb dieser jene Ursachen in sich als ihre Quelle enthält (19). Oder: Zu den ewigen Wahrheiten gehört alles Mögliche (da es wirklich sein kann und also wahr ist), also die Welt sowohl als eine geordnete, wie als ungeordnete. Nun muß aber doch ein Grund da sein, der von diesen Möglichkeiten die eine hat wirklich werden lassen, dies kann aber nur ein zwischen den Möglichkeiten entscheidender Geist gewesen sein - d. h. Gott. (20) Dagegen muß eingewendet werden, daß wir mit der willkürlichen Setzung einer letzten Ursache weder diese selbst erreichen, noch etwas erklären können. Es ist nämlich richtig, daß es ohne eine letzte Ursache eine absolut vollständige Erklärung, Begründung und Erkenntnis nicht gibt; nun folgt aber aus dem Wunsch oder selbst Bedürfnis einer solchen Erkenntnis nicht das Vorhandensein einer letzten Ursache, sondern aus dem Nichtvorhandensein einer solchen Ursache die Unmöglichkeit absoluter Erkenntnis. Daß es aber eine relative Erkenntnis auch ohne Kenntnis einer solchen transmundanen Ursache gibt, hat LEIBNIZ selbst anerkannt. (21) Die Möglichkeit aber kann nur an der Wirklichkeit gemessen werden; es war also nicht das Mögliche früher als das Wirkliche, sondern, ohne sich auf eine Wirklichkeit zu beziehen, hat das Mögliche gar keinen Sinn. Man kann also nicht sagen, da gar Vieles möglich ist, so mußte doch jemand unter dem Möglichen eine Auswahl getroffen haben, denn das Mögliche konnte nur möglich gewesen sein in Beziehung auf seine zumindest in den Elementen schon dagewesene Wirklichkeit. Es ist nach dem Vorangegangenen natürlich, daß sich LEIBNIZ weder mit LOCKEs Auffassung der Seele, noch mit jener der primären und sekundären Eigenschaften und der Substanz einverstanden erklären konnte. Nach seiner Ansicht konnte die Seele durchaus nicht mit einer tabula rasa verglichen werden, sondern besaß virtualiter, wenn auch nicht actualiter, die ganze Ideenwelt ursprünglich in sich (22), wie die Aderfigur im Marmorblock, noch ehe man sie entdeckt, virtualiter vorhanden ist - ein bedeutungsvolles Beispiel! Ebenso erkannte LEIBNIZ sehr wohl die Unzulässigkeit einer Scheidung der einfachen Qualitäten in primäre und sekundäre. Er wies nach, daß beide sich eigentlich gar nich unterscheiden (23), und daß, wenn man bei den ersten Qualitäten eine Übereinstimmung mit den Dingen-ansich und ihren Bewegungen annehmen muß, dies auch bei den zweiten Qualitäten der Fall ist, indem der Schmerz doch nicht den Bewegungen einer Stecknadel entspricht, sondern jene durch sie in unserem Körper verursachten Bewegungen vorstellt. (24). Wobei freilich wieder unbegreiflich bleibt, wie der Schmerz eine Vorstellung von körperlicher Bewegung sein soll; aber es soll dies auch, wie es scheint, mehr eine Analogie zwischen beiden bedeuten (25). Dabei bleibt LEIBNIZ aber trotzdem einen guten Teil in der Ansicht stecken, daß die Bewegung in den Organen selbst die Vorstellung ist, anstatt konsequenterweise die Vorstellung nur gleichzeitig und in der Bewegung entsprechenderweise selbständig in der Seele entstehen zu lassen. Die Substanz kann am wenigsten für LEIBNIZ und LOCKE dieselbe Bedeutung haben. Denn für LEIBNIZ ist Substanz nur die Monade und nur als ein dieser inhärierender Zustand ist Alles denkbar, folglich kann eine Substanz, der gewisse Zustände der Monade (Akzidenzen) inhärierend gedacht werden sollen, nur eine Abstraktion sein; denn der Gegenstand ist ja nichts als ein solcher Zusammenhang von Eigenschaften. Hat man nun das, woraus der Gegenstand in concreto besteht, entfernt, so bleibt in der Tat das reine, durch nichts Bestimmtes mehr denkbare Abstraktum des Substrats (Gegenstandes) übrig (26).
1) F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, Seite 61, Anm. 51. 2) Feuerbach, Geschichte der neueren Philosophie, Seite 79 3) Feuerbach, a. a. O., Seite XXXV, Anm. 10 4) Lange, a. a. O., Seite 248 5) Meine Abhandlung "Über den Begriff des Seins" in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. VI, Seite 137. 6) Lange, a. a. O., Seite 82f. 7) Descartes, Medit. III Renati Desc. et B. de Spinoz praec. op. phil. ed. Riedel I, Seite 17. 8) Descartes, a. a. O., Seite 22 und 24f. 9) Spinoza, Ethik, pr. VIII, schol. II 10) a. a. O., pr. XXX deuc. 11) a. a. O., Axiom VI. 12) Überweg, Geschichte der Philosophie, Bd. III, § 9 Spinoza. 13) Locke, Essay concerning human understanding, London 1759, Seite 38. "Was ist erforderlich, wenn ein Mensch anfängt, irgendwelche Ideen zu haben? Ich denke, die wahre Antwort ist: zuerst einmal eine Empfindung. ... Es sind die Eindrücke, die äußere Objekte auf unsere Sinne machen, bei denen sich der Geist nun anschickt, sich mit Vorgängen, die man Wahrnehmung, Erinnerung, Überlegung, Argumentation usw. nennt, zu beschäftigen." 14) Locke, a. a. O., Seite 39. 15) Locke, a. a. O., Seite 47, § 9. 16) Locke, a. a. O., Seite 127: "... the support of those qualities ... which we imagine cannot subsist "sine re substante", without something to support them, we call that support substantia." [... die Unterstützung dieser Qualitäten ... von denen wir glauben, daß sie nicht sine re substante (ohne Substanz) bestehen können, d. h. ohne etwas, das sie unterstützt, nennen wir Substantia. - wp] 17) Leibniz, Monadologie § 22 18) a. a. O. § 36, 37 19) a. a. O., § 37, 38. 20) Leibniz, Théodicée, Seite 562, § 189. Monadologie § 44. 21) Leibniz, Théodicée, Seite 561, § 184. 22) Leibniz, Nouveau Essais, Seite 212, § 25. 23) a. a. O., Seite 232, § 21. 24) a. a. O. § 15. 25) a. a. O. Seite 231, § 13. 26) a. a. O., Seite 271, § 1 und 2. |