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WILHELM JERUSALEM
Die Aufgabe der Logik
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"Ich halte das Prinzip der Identität nicht für eine theoretische Wahrheit und zwar deshalb nicht, weil es in der wirklichen Welt nicht zwei Dinge gibt, die miteinander vollkommen gleich sind und weil ein einzelnes Ding eben nur tatsächlich eines ist, so daß es keinen Sinn hat, von diesem wirklichen Ding zu behaupten, es sei mit sich selbst identisch."

"Unser Denken kann die Tatsachen nicht abbilden, es muß sie vielmehr umbilden und in dieser Umbildung vereinfachen, um die verwirrende Mannigfaltigkeit des anschaulich Gegebenen zu überwinden. Alle Begriffe, die wir bilden, sind solche Vereinfachungen. Wie sehen dabei von unwesentlichen Unterschieden ab und reflektieren auf das Gleiche, das Konstante an den Dingen und Ereignissen."

"Haben wir nun aufgrund dieses Verfahrens einen Begriff gebildet und denselben durch ein Zeichen fixiert, so müssen wir den Begriff und sein Zeichen immer in derselben Weise gebrauchen, wenn wir zu richtigen Ergebnissen gelangen sollen. A ist A halte ich nicht für die entsprechende Formulierung des Identitätsprinzips. A muß immer A bleiben sollte die Formulierung lauten."

"Das Gemeinsame herauszustellen und brauchbare Formeln zu finden, in denen die allgemeine und die bewährte Erfahrung des Menschengeschlechts festgelegt werden kann, das ist die wahre und die wichtige Aufgabe der Logik. Die allgemeinsten und die bewährtesten Erfahrungen sind dabei diejenigen, welche aus der allen Menschen gemeinsamen Art, Vorgänge zu deuten, abgeleitet werden können."

1. Volle Klarheit über die Aufgabe, die Stellung und den Wert der Logik wird sich erst dann gewinnen lassen, wenn die im letzten Abschnitt angekündigte Untersuchung über die historische Entwicklung des Wahrheitsbegriffs zum Abschluß gebracht sein wird. Allein die vorangegangenen kritischen Erörterungen sowie die biologische Auffassung des Erkenntnistriebes gestatten schon jetzt, einige negative und auch positive Gesichtspunkte aufzustellen.

Von COHEN haben wir das eine gelernt, daß die Logik einen engen Anschluß suchen muß an die von der positiven Wissenschaft gefundenen Denkmittel. HUSSERLs Untersuchungen haben uns deutlich gezeigt, daß eine apriorische Logik aufgrund des Prinzips "Universalia ante rem" [Die Allgemeinbegriffe sind vor den Sachen. - wp] das wissenschaftliche Gewissen nicht befriedigt, sondern, wie NATORP sehr richtig bemerkt, ein logisches Unbehagen zurückläßt. Es hat sich ferner gezeigt, daß die neueren psychologischen Untersuchungen des Denkprozesses der Logik die wertvollsten Anregungen gegeben haben. All das aber gibt uns deutliche Fingerzeige auf den Weg, den wir mit Aussicht auf Erfolg werden betreten können.

2. Keineswegs darf die Logik darauf ausgehen, apriorische Gesetze des Denkens aufzustellen, die aller Erfahrung vorausgehen. Solche Gesetze gibt es einfach nicht. Auch die allgemeinsten Gesetze der Mathematik und der traditionellen Logik entspringen aus der Erfahrung. Nur das in der Erfahrung Bewährte hat logische Gültigkeit.

KANTs großartiger Versuch, in unseren Erfahrungen zwischen dem zu unterscheiden, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt, hat uns ja eine viel tiefer gehende psychologische Erkenntnis des Denkprozesses ermöglicht, allein ein wirkliches a priori ist damit doch nicht erwiesen. Die Tatsache, daß alle unsere Urteile Gliederungen und Objektivierungen der uns gegebenen Inhalte sind, die Tatsache, daß diese Gliederung eine Folge unserer zentralisierten Organisation ist, kann doch, so tief sie auch in den Erkenntnisprozeß hineinleuchtet, nicht als etwas a priori Vorhandenes, sondern nur als Resultat einer Entwicklung betrachtet werden. Darum muß aus der Logik, wenn sie fruchtbringend werden soll, zunächst alles Apriorische vollständig eliminiert werden. Die Logik darf sich nicht unterfangen, die Erfahrung meistern zu wollen, sie muß vielmehr die Wege der Erfahrung sorgsam beobachten, die dabei geschaffenen Denkmittel untersuchen, um uns klar zu Bewußtsein zu bringen, wie viel allgemeine und bewährte Erfahrung in jeder einzelnen Erfahrung enthalten ist.

Diese streng empirische Auffassung der Logik wird zweifellos auf Widerspruch stoßen. Mir scheint es jedoch, daß sie nur eine Konsequenz der vorangehenden Erörterungen ist. Deshalb will ich auch im Folgenden, statt den möglichen Einwänden zu begegnen, lieber die aus dieser Auffassung sich ergebenden Aufgaben der Logik kurz skizzieren, damit man aus den Konsequenzen ersehen kann, inwiefern meine Auffassung zu einer fruchtbaren Ausgestaltung der Logik die Grundlage abgeben kann.

3. Einzelerfahrungen werden in Urteilen formuliert, die individuell bestimmt und individuell gefärbt sind. Ich nenne solche Urteile im allgemeinen Urteile der Anschauung. (1) Sage ich z. B. beim Anblick eines Gegenstandes "Das ist ein Baum", so liegt hier ein Wahrnehmungsurteil vor. Der Inhalt ist anschaulich gegeben, der psychische Vorgang, den ich erlebe, ist individuell bestimmt und individuell gefärbt. Sobald nun dieses Wahrnehmungsurteil sprachlich formuliert ist, enthält es Bestandstücke, die über das individuell Bestimmte hinausgehen. So wie ich das wahrgenommene Ding als "Baum" bezeichne, habe ich in meinem Urteil bereits ein gutes Stück allgemeiner und bewährter Erfahrung verwertet. Das Wort Baum ist der Niederschlag vieler Urteile, die über einzelne Bäume gefällt wurden und ist somit ein durch soziale Erkenntnistätigkeit [Konvention - wp] erarbeiteter Begriff. Aus dem Wahrnehmungsurteil "Das ist ein Baum" kann ich ohne weitere Untersuchung die Urteile ableiten "Das ist eine Pflanze, ist ein organisches Wesen" und dgl. Diese Ableitungsmöglichkeiten zu Bewußtsein zu bringen, wäre nun nicht die Aufgabe einer besonderen Wissenschaft, sondern eben Sache der Logik.

Was an allgemeiner und bewährter Erfahrung in jedem einzelnen Anschauungsurteil enthalten ist, läßt sich wieder in Urteilen formulieren, und diese Formulierung ist das beste Mittel, die Ergebnisse der allgemeinen Erfahrung klar zu Bewußtsein zu bringen. Diese Urteile aber sind dann selbst nicht mehr Urteile der Anschauung. Wir haben sie vielmehr als das zu betrachten, was RIEHL "begriffliche Sätze" oder was von KRIES "nomologische Urteile" genannt hat. Ich selbst bezeichne solche Sätze mit dem wie ich glaube kürzeren und entsprechenderen Ausdruck als "Begriffsurteile". Der Gegenstand der Behauptung in Begriffsurteilen ist kein individuell bestimmter und individuell gefärbter Vorgang mehr, sondern eine Regelmäßigkeit, ein Gesetz des Geschehens. Dieses Gesetz machen wir eben dadurch zu unserem geistigen Eigentum, daß wir es als potentielle Kraftäußerung einer Gruppe von Dingen auffassen, die wir durch einen unanschaulichen Begriff zur Einheit zusammenschließen. Solche potentiellen Kraftäußerungen sind dann dem Begriff logisch immanent, oder anders ausgedrückt: sie sind als seine Merkmale zu betrachten. Gegenstand der Logik sind somit nicht mehr Urteile überhaupt, sondern ausschließlich Begriffsurteile, weil nur in diesen allgemeine und bewährte Erfahrung zum Ausdruck kommt.

4. Die psychologische Analyse des Urteilsaktes hat uns zunächst darüber belehrt, was wir tun, wenn wir urteilen. Die Einsicht, daß in jedem Urteil eine Gliederung und Objektivierung des gegebenen Inhalts vollzogen wird, vermag jedoch die Aufgabe der Logik noch nicht zu bestimmen. Diese psychologische Analyse ist nur die unerläßliche Vorarbeit für die Logik. Erst die Einsicht in die historische Entwicklung des Urteis läßt uns den Punkt finden, wo die Logik einzusetzen hat. Die Logik verlangt also, wie dies ja bei allen Geisteswissenschaften der Fall ist, eine Verbindung von psychologischer und historischer Untersuchung.

Die historische Entwicklung des Urteils hat sich zweifellos anhand der Sprache vollzogen. Es ist von mir schon wiederholt dargelegt worden, wie viel das Auseinandertreten der Sprachwurzel zu Subjekt und Prädikat zur Entfaltung und Bereicherung des Denkens beigetragen hat (2). Das selbständig gewordene Satzsubjekt wurde zum Träger der Kräfte, die den durch das Wort bezeichneten Dingen immanent sind. Die Zusammenfassung größerer Gruppen ähnlicher Dinge in einem Denkakt wurde dadurch erleichtert, daß dieser zusammenfassende Denkakt an einem sinnlich wahrnehmbaren Wort seinen festen Halt fand. Die so entstandenen konkreten Begriffe werden im Laufe der Zeit immer bestimmter, immer inhaltsreicher und gestatten eine genauere Abgrenzung gegen andere Gruppen von Objekten. Die Wortbedeutung birgt so einen Schatz von allgemeiner und bewährter Erfahrung, der den künftigen Generationen als fester Besitz überliefert wird.

Noch wichtiger für die Bereicherung des Denkens ist das Prädikat. Dieses bezeichnet Eigenschaften, Zustände, Tätigkeiten, Beziehungen der Dinge und macht es durch seine lautliche Geschlossenheit möglich, diese von ihrem Träger sonst unzertrennlichen Inhärentien [Inhalte - wp] von diesem loszulösen und zu selbständigen Denkobjekten zu machen. Die bemerkten Regelmäßigkeiten des Geschehens können jetzt viel deutlicher erfaßt und, was die Hauptsache ist, in Urteilen formuliert werden. Die so entstandenen abstrakten Begriffe werden nun zu überaus wichtigen Denkmitteln.

Von diesen Denkmitteln nun macht der Mensch sowohl im praktischen Leben als auch in der wissenschaftlichen Forschung einen umfassenden Gebrauch, ohne sich immer darüber klar zu sein, wie viel und wie beschaffene allgemeine und bewährte Erfahrung in diesen Denkmitteln verdichtet ist. Es kann deshalb leicht geschehen, daß diese Denkmittel oft unrichtig verwendet werden, daß man in ihnen mehr und anderes enthalten glaubt, als tatsächlich darin steckt. Deshalb ist es unerläßlich, die geschaffenen Denkmittel immer wieder aufs Neue zu prüfen und sich zu versichern, daß man sie richtig verwendet. Diese Prüfung ist nun wiederum eine der wichtigsten Aufgaben der Logik. Wir können also jetzt sagen: Gegenstand der Logik sind die Begriffsurteile, und eine ihrer wichtigsten Aufgaben besteht darin, die richtige Verwendung der dabei gebrauchten Denkmittel zu überwachen.

5. Das Gesagte wird deutlicherr werden, wenn wir an bekannte Irrtümer erinnern, die der unrichtige Gebrauch der durch die Sprache geschaffenen Denkmittel verschuldet hat. Die meisten Kultursprachen haben für verschiedene Begriffsarten auch verschiedene Wortarten ausgebildet. So werden Dingbegriffe durch Substantiva, Eigenschaftsbegriffe durch Adjektiva, Zustände und Tätigkeiten durch Verba ausgedrückt. Außerdem hat die Sprache noch andere Wortarten ausgebildet, die zur Gliederung des Gedankens dienen und es ermöglichen, größere Gedankengruppen in einheitlichen geschlossenen Sprachkomplexen wiederzugeben. Da nun die Sprachen meistens in ihrer Entwicklung schon weit fortgeschritten waren, als der Menschengeist das Bedürfnis empfand, seine eigenen Operationen einer logischen Prüfung zu unterziehen, so hat die in der Sprache gleichsam unbewußt geleistete Gliederungsarbeit auf die ersten Versuche der Logik großen Einfluß gehabt.

Man glaubte daher nicht bloß in der Bedeutung, sondern auch in der Form der Wörter ein Stück allgemeiner und bewährter Erfahrung vorzufinden. Da nun die Sprache die konkreten sinnlichen wahrnehmbaren Dinge durch Substantiva ausdrückt, so glaubte man, daß schon die Form des Substantivs ausreicht, um das dadurch Bezeichnete als ein selbständiges Ding ansprechen zu dürfen. Dies ist, wie schon oft bemerkt wurde, die Quelle zahlreicher und lang andauernder Irrtümer geworden, und noch heute sind weniger geschulte Geister diesem Irrtum leicht zugänglich. Nun hat aber die Sprache, nachdem sie ein unanschauliches Denken möglich gemacht hatte, auch Eigenschaften, Zustände, Tätigkeiten und namentlich Beziehungen von den Dingen, denen sie inhärieren [innewohnen - wp], losgelöst und zu selbständigen Gegenständen des Nachdenkens werden lassen. Infolge der fundamentalen Apperzeption werden nun diese abstrakten Begriffe von der Sprache ebenfalls personifiziert und erhalten die Form von Substantiven.

Darin liegt zunächst der Vorteil, daß wir uns Regelmäßigkeiten des Geschehens in derselben Form zu Bewußtsein bringen können wie sinnlich wahrgenommene Vorgänge. Wir deuten diese Regelmäßigkeiten als Merkmale von Begriffen und haben uns diese Tatsachen damit in der uns geläufigen Form von Subjekt und Prädikat zu eigen gemacht. Dagegen liegt die Gefahr nahe, jedes Subjekt, auch wenn es nur ein Eigenschafts- oder Beziehungsbegriff ist, für selbständig existierend zu halten. So hat die Eigentümlichkeit der griechischen Sprache, Zahlsubstantive zu bilden (monas, trias, dekas, myrias), von denen einige schon bei HOMER vorkommen, es den Pythagoräern sicher wenigstens erleichtert, die Zahlen als Wesenheiten, ja als den Ursprung der Dinge anzusehen. Diese Fehlerquelle ist noch heute nicht ganz verstopft. So hätte z. B. die Lehre von "Wahrheiten ansich" gewiß nicht entstehen können, wenn die Sprache dem Beziehungsbegriff "wahr" nicht die substantivische Form "Wahrheit" gegeben hätte.

Vor solchen Irrtümern zu bewahren, ist eine wichtige Aufgabe der Logik. Sie hat die Summe der in den Wortbedeutungen und in den Wort- und Satzformen enthaltenen allgemeinen und bewährten Erfahrung auf das richtige Maß zurückzuführen, indem sie die Bedeutung der Sätze immer wieder mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung vergleicht. In diesem Sinn ist eine Kritik der Sprache, wie sie FRITZ MAUTHNER in großem Umfang versucht hat, durchaus am Platz. Da aber die Logik der Sprache nicht ganz entraten kann, so sind die Bemühungen, die seit LEIBNIZ immer wiederkehren, eine Art allgemeiner Begriffssprache zu erfinden und einzuführen, ebenfalls von hoher logischer Bedeutung.

6. Wichtiger noch als die Richtigstellung der durch die Differenzierung der Wortarten hervorgerufenen Irrtümer ist die Untersuchung der Satzformen, insbesondere die Ermittlung der logischen Bedeutung des Behauptungs- oder Urteilssatzes. Was hier vor allem festgestellt werden muß, das ist das logische Verhältnis von Subjekt und Prädikat. Die psychologische Analyse des Urteils hat ergeben, daß hier eine Gliederung in Kraftzentrum und Kraftäußerung vorliegt, wobei diese Gliederung zugleich eine Objektivierung und eine Vermenschlichung ist. Diese Vermenschlichung ist beim primitiven Menschen und beim Kind eine vollständige, indem die Vorgänge ganz wie menschliche Handlungen gedeutet und in die Dinge ein bewußter menschlicher Wille eingelegt wird. Im Laufe der Zeit lernt aber der Mensch das Belebte vom Unbelebtem unterscheiden. Im Unbelebten findet er nun keinen bewußten Willen mehr, sondern unbewußt wirkende Kräfte, die sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit betätigen. Immer aber geht, meiner Auffassung nach, diese Tätigkeit aus dem Inneren des Subjekts hervor, und so können wir auch da, wie ich schon oft gesagt habe, den Anthropomorphismus nicht ganz los werden.

In den Begriffsurteilen, mit denen es die Logik ausschließlich zu tun hat, kommt dieser Anthropomorphismus dadurch zum Ausdruck, daß wir eine Regelmäßigkeit des Geschehens als Merkmal eines Begriffs auffassen. Das Naturgesetz, vermöge dessen jeder Mensch einmal sterben muß, formulieren wir in dem Urteil: "Der Mensch ist sterblich." Das Verhältnis des Merkmals zu seinem Begriff beruth aber noch immer auf der in den ersten Urteilen deutlich hervortretenden Vermenschlichung der Vorgänge in unserer Umgebung. Eben deshalb bietet aber die logische Formulierung dieses Verhältnisses nicht geringe Schwierigkeiten.

In neuerer Zeit glaubte BENNO ERDMANN diese Schwierigkeit dadurch zu überwinden, daß er für das Verhältnis des Merkmals zu seinem Begriff die Formel der "logischen Immanenz" aufstellte (Logik, Bd. 1, Seite 129, 212f und öfter). Darauf lassen sich nun allerdings logische Operationen gründen. Indem man nämlich das Prädikat weiter zerlegt, d. h. indem man sich frägt, welche Merkmale dem Prädikat logisch immanent sind, gewinnt man durch eine solche Zerlegung neue Urteile, deren Wahrheit sich aus der Wahrheit des ersten Urteils ergibt. Auf dieser Methode beruth dann auch die Regel der Scholastiker "nota notae est nota rei" [Das Merkmal eines Merkmals ist auch Merkmal der Sache selbst. - wp], die ein adäquater Ausdruck ist für diese Art, neue Urteile aus gegebenen abzuleiten (3).

Dieses Verfahren der immer weiter gehenden Auseinanderlegung des Prädikats schlägt im allgemeinen die Mathematik ein, und in dieser Entfaltung des Prädikatbegriffs liegt das Wesen der deduktiven Methode. Die Mathematik verdankt dieser fortgesetzten Analyse ihre größten Erfolge. Die ersten der Zerlegung unterworfenen Sätze in der Geometrie und Arithmetik sind direkt der Erfahrung entnommen. Dagegen ist die Zerlegung selbst und die daraus entstandenen neuen Denkmittel lediglich als das Resultat der Verstandestätigkeit anzusehen. Da nun erst durch die weit fortgesetzte Zerlegung das entstand, was wir im eigentlichen Sinn mathematische Wissenschaft nennen, so konnte sich leicht die Meinung bilden, der Mathematiker arbeite nur mit der Vernunft, die ohne jede Rücksicht auf die Empirie Wahrheiten gewinnen kann, die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit besitzen. Dies ist jedoch, wie bereits oben bemerkt wurde, eine irrige Auffassung. Der Mathematiker braucht nur weniger Empirie als der Naturforscher, aber auch seine Sätze sind nur Entfaltungen der in den primitiven mathematischen Erfahrungen liegenden allgemeinen und bewährten Erfahrungen.

Wenn nun der Mathematiker in seiner Analyse den Versuch macht, weiter zu gehen als die bisher mögliche Erfahrung, wenn er Sätze aufstellt, die für Räume von mehr als drei Dimensionen gelten sollen, so haben diese Zerlegungen insofern einen Wert, als ja die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß einmal Erfahrungen gemacht werden, auf welche diese Sätze eine Anwendung finden können.

Man sieht dies ein, wenn man dieses deduktive Verfahren des Mathematikers mit dem einer anderen Wissenschaft vergleicht, die bisher verhältnismäßig wenig zur Jllustration des logischen Verfahrens verwendet wurde. Ich meine die juristische Deduktion. Auch hier wird durch Zerlegung des Tatbestandes das juristische Verhältnis klargelegt. Auch hier wird aus dem Urteil, welches den der Behandlung zugrunde liegenden Tatbestand aussagt, durch Zerlegung des Prädikats die rechtliche Bedeutung der betreffenden Handlung deduziert. Maßgebend aber bleiben für die juristische Deduktion entweder die zur Zeit in einem Staat geltenden Gesetze oder gewisse Rechtsprinzipien, die sich im Laufe der Zeit ausgebildet haben. Während nun für die juristische Deduktion die empirische Grenze deutlich und sichtbar gezogen ist, verhüllt sie sich für die Mathematik immer mehr und mehr, weil die Sicherheit der Ableitung hier eine so große ist, daß sie die Beziehung auf den empirischen Anfang vergessen hat. Ja, die Selbstgewißheit des mathematischen Denkens hat leider zu oft dazu verleitet, auch den Ursprung der Mathematik der Erfahrung zu entziehen und einem besonderen Erkenntnisvermögen zuzuschreiben. Nimmt man aber der Arithmetik und Geometrie ihre anschauliche Grundlage weg, so hängen alle ihre Sätze in der Luft und die Überzeugung davon, daß der wirkliche Verlauf des Geschehens den von der Mathematik formulierten Sätzen entsprechen muß, wird sofort verschwinden.

7. Das Verhältnis der logischen Immanenz des Merkmals in seinem Begriff ist jedoch immer nur eine vorläufige, eine provisorische Formulierung. Die Immanenzformel reicht aus, um klar zu machen, daß das, was dem Prädikat immanent ist, auch dem Subjekt immanent sein muß. Die Zerlegung des Prädikats und das Herausstellen der ihm immanenten Merkmale ist aber nur dort von einem erheblichen Erfolg begleitet, wo wir es mit Begriffen zu tun haben, die wir selbst konstruiert haben. Das ist in der Mathematik, in der Jurisprudenz und zum Teil auch in der Grammatik der Fall. Immer aber fühlen wir noch ein logisches Unbehagen, solange die Formel der Immanenz nicht noch eine weitere Aufklärung erfährt. Auch ist das auf logische Immanenz gegründete Verfahren, wie gesagt, nur bei gewissen Begriffsklassen anwendbar, nämlich bei solchen, die weniger als Zusammenfassung gegebener Tatsachen, sondern mehr als das Resultat eines konstruktiven Verfahrens anzusehen sind.

Anders steht die Sache bei denjenigen Begriffen, durch welche Gruppen konkreter Dinge zusammengefaßt werden. Hier ist das dem Begriff logisch Immanente nur empirisch gegeben und die Summe seiner Merkmale wächst oder vermindert sich nur durch fortgesetzte Beobachtung, also nur durch empirische Forschung. Hier kann die Zerlegung des Prädikats nur wenig vorwärts bringen. Sage ich z. B.: "Der Hund ist ein Säugetier", so liegt zweifellos auch hier eine logische Immanenz der Säugetiermerkmale im Begriff Hund vor, allein ich kann aus dieser logischen Immanenz durch die Auseinanderlegung des Prädikatsf nicht viel gewinnen. Dagegen spricht eine andere Auffassung des Verhältnisses von Subjekt und Prädikat für derartige Urteile mehr logische Einsicht.

In dem Urteil "der Hund ist ein Säugetier" wird nicht so sehr auf die im Begriff Hund immanenten Merkmale, also nicht so sehr auf die potentiellen Wirkungen reflektiert, die wir von ihm zu erwarten haben. Es soll vielmehr die Zugehörigkeit des Hundes zu einer bekannten Gruppe behauptet werden. Es wird hier weniger auf den Inbegriff der Merkmale als vielmehr auf die Gruppe von Objekten reflektiert, die durch die beiden im Urteil vorkommenden Begriffe zur Einheit zusammengefaßt sind. Da zeigt es sich nun, daß bei dieser Betrachtungsweise die im Subjekt zusammengefaßten Objekte oder der Umfang des Subjekts in den durch das Prädikat zusammengefaßten Dingen oder im im Umfang des Prädikats enthalten sind. Das Verhältnis von Subjekt und Prädikat ist somit jetzt von einem ganz anderen Gesichtspunkt betrachtet worden. Dieser Gesichtspunkt hat sich nun bekanntlich für die logische Prüfung der Urteile als sehr fruchtbringend erwiesen.

Bekanntlich bezeichnen wir das oben besprochene, im Urteil behauptete Umfangsverhältnis zwischen Subjekt und Prädikat als logische Über- und Unterordnung oder kürzer als Subsumtion. Das Verdienst, dieses Verhältnis zu Bewußtsein gebracht und logisch verwertet zu haben, gehört unstreitig dem ARISTOTELES, und schon deswegen allein müßte man ihn den Begründer der Logik nennen. Denn tatsächlich beruth die Begriffslehre, die Syllogistik, die Lehre von der Definition und Klassifikation auf der richtigen und allseitigen Erfassung des Gedankens der Subsumtion und der daraus sich ergebenden Konsequenzen. Streng genommen läßt sich die Subsumtionsformel nur dort anwenden, wo Subjekt und Prädikat Dingbegriffe sind. Die Vorteile aber, die diese Formel bietet, haben uns gelehrt, dieselbe auch dort zu gebrauchen, wo eigentlich nur logische Immanenz vorliegt.

In dem Urteil "Der Mensch ist sterblich" ist zunächst nur die Behauptung enthalten, daß "sterblich" dem Begriff "Mensch" logisch immanent ist. Um aber die so vorteilhafte Subsumtionsformel anwenden zu können, nehmen wir eine sogenannte kategoriale Verschiebung vor und sagen statt "sterblich" "sterbliches Wesen". Vergleichen wir die Umfänge "Mensch" und "sterbliches Wesen", so ergibt sich sofort, daß der letztere den ersteren einschließt. Wir sind somit durch die Subsumtionsformel zu einer neuen Operation angeregt worden, die uns einen neuen Aufschluß gibt über die Summe der im Urteil "Der Mensch ist sterblich" enthaltenen allgemeinen und bewährten Erfahrung.

Logische Immanenz und Subsumtion sind somit die Formeln, vermöge deren die Logik die in der Form der Urteile niedergelegte allgemeine Erfahrung zu entfalten und zu prüfen unternimmt. Dabei dient die logische Immanenz mehr der Entfaltung, die Subsumtion mehr der Prüfung. Die auf der Subsumtionsformel beruhende Umfangslogik ist bis jetzt viel mehr ausgebildet worden. Dieselbe gestattet auch in gewissem Sinn die Anwendung mathematischer Formeln. Was in dieser Hinsicht BOOLE, JEVONS, SCHROEDER, WUNDT u. a. geleistet haben, trägt vielfach zum besseren Verständnis logischer Operationen bei, hinterläßt aber mitunter ein starkes Unbehagen, weil die mathematischen Formeln dabei oft nicht mit der nötigen Strenge angewendet werden.

8. Die auf einer logischen Immanenz beruhende Inhaltslogik ist jedoch über die ersten Anfänge kaum hinausgekommen. BENNO ERDMANN hat zwar sehr richtig zwischen Urteilen des Umfangs und Urteilen des Inhalts unterschieden (Logik I, Seite 321f und besonders 338f), allein er hat diesen Unterschied nicht auf die Formeln der Subsumtion und logischen Immanenz zurückgeführt und überhaupt nicht bis in seine letzten Wurzeln verfolgt. Ebenso hat SIGWART die sogenannten "universalen" Urteile sehr treffend in Urteile von empirischer und in solche von unbedingter Allgemeinheit eingeteilt und über die letzteren manches Beachtenswerte vorgebracht (Logik I, Seite 209f). Aber auch SIGWART hat diese Unterscheidung nicht tief genug erfaßt und keineswegs alle Konsequenzen daraus gezogen, die meines Erachtens darin enthalten sind. Das Bedeutendste über die hier in Betracht kommende Unterscheidung finde ich bei LOTZE (Logik, Seite 93), dessen Erörterung von ERDMANN (a. a. O., Seite 340f) erwähnt, aber, wie ich glaube, nicht gebührend gewürdigt worden ist.

LOTZE findet, wie auch ERDMANN und SIGWART, einen Unterschied zwischen den Urteilen "Alle Menschen sind sterblich" und "Der Mensch ist sterblich". Das erstere nennt er nach der traditionellen Terminologie das "universale", das letztere zum Unterschied das "generelle" Urteil. Diese Unterscheidung begründet LOTZE folgendermaßen:
    "Obgleich der sachliche Inhalt in beiden Formen derselbe ist, so ist doch die logische Fassung desselben in beiden sehr verschieden. Das universalte Urteil ist nur eine Sammlung vieler Einzelurteile, deren sämtliche Subjekte zusammengenommen tatsächlich den ganzen Umfang des Allgemeinbegriffs ausfüllen. So läßt der universale Satz: «Alle Bewohner dieser Stadt sind arm» ganz zweifelhaft, ob jeder einzelne durch eine besondere Ursache verarmt ist, oder ob die Armut aus seiner Eigenschaft als Einwohner dieser Stadt fließt; ebenso läßt der Satz: «Alle Menschen sind sterblich» noch dahingestellt, ob sie nicht eigentlich alle ewig leben können, und ob nicht bloß eine merkwürdige Verkettung von Umständen, die für jeden andere sind als für jeden andern, es dahin bringt, daß zuletzt keiner am Leben bleibt. Das generelle Urteil dagegen, der Mensch ist sterblich, behauptet seiner Form nach, daß es im Charakter der Menschen liegt, daß die Sterblichkeit von jedem unzertrennlich ist, der an diesem Charakter teilnimmt. Während das universale Urteil eine allgemeine Tatsache bloß behauptet und deswegen nur assertorisch [behauptend - wp] ist, läßt das generelle zugleich den Grund ihrer notwendigen Geltung hindurchscheinen und kann also im Sinn meiner früheren Behauptungen apodiktisch [gewiß - wp] heißen."
ERDMANN findet, wie ich glaube mit Unrecht, daß LOTZE den Unterschied zwischen generellen und universalen Urteilen übertreibt. Ich meine vielmehr, daß er noch größer ist, als selbst LOTZE annimmt. Es ist eben der Unterschied zwischen der Formel der logischen Immanenz und der Subsumtion. LOTZE hat nun zur weiteren Charakteristik seiner Distinktion eine Bemerkung hinzugefügt, die BENNO ERDMANN gar nicht erwähnt, eine Bemerkung, aus der sich, wie ich zu zeigen hoffe, das Wesentliche des erwähnten Unterschiedes zu voller Klarheit bringen läßt. LOTZE schreibt:
    "Kaum der Erwähnung bedarf es, daß im generellen Urteil nicht der Gattungsbegriff M, der die Stelle des Subjekts im Satz einnimmt, das wahre logische Subjekt des Urteils ist, nicht der allgemeine Mensch M ist sterblich, sondern der einzelne S, welcher an diesem für sich einheitlichen Typus teil hat. Man sieht daraus, daß das generelle Urteil eigentlich ein im Ausdruck verkürztes hypothetisches ist (4), es muß vollständig heißen: wenn S ein M ist, so ist S ein P; wenn irgendein S ein Mensch ist, so ist dieses S sterblich. Und hierdurch rechtfertigt sich die systematische Stellung, die wir diesem Urteil erst nach dem hypothetischen anweisen konnten."
Ich glaube nun tatsächlich, daß LOTZE mit dieser Bemerkung den springenden Punkt getroffen hat. Das generelle Urteil unterscheidet sich vom universalen dadurch, daß beim ersteren die Formel der logischen Immanenz, also die Inhaltsbeziehung, beim letzteren die Subsumtionsformel, d. h. also die Umfangsbeziehung zur Grundlage der logischen Betrachtung gemacht wird. Die logische Immanenz führt aber, wie LOTZE richtig gesehen zu haben scheint, zur hypothetischen Urteilsform, und erst dadurch wird diese Formel für die logische Betrachtung verwertbar. Dies erfordert jedoch eine etwas eingehendere Erörterung.

9. Was in Begriffsurteilen, die den eigentlichen Gegenstand der logischen Prüfung bilden, behauptet wird, das sind, wie bereits mehrfach gesagt wurde, Regelmäßigkeiten oder Gesetze des Geschehens. Dadurch nun, daß wir ein Gesetz des Geschehens als Merkmal eines Begriffs auffassen, geben wir diesem Gesetz die unserer psychischen Organisation gemäße Urteilsform. Prüfen wir nun dieses Urteil nach der Subsumtionsformel, so haben wir das Band zwischen Subjekt und Prädikat eigentlich zerrissen. Dafür aber sind wir jetzt imstande, das Verhältnis der beiden im Urteil vorkommenden Begriffe anschaulich darzustellen und vielleicht auch mathematisch zu formulieren. Die Umfänge der Begriffe repräsentieren einerseits Mengen von Objekten, die man in Bezug auf ihr Größenverhältnis, ihr Enthaltensein untersuchen kann, andererseits Gebiete, die sich geometrisch darstellen und gegeneinander abgrenzen lassen. Deshalb ist in der traditionellen Logik die Subsumtionsformel mit vollem Recht so sehr bevorzugt worden. Sie bietet ein auch heute noch unentbehrliches Mittel, die Tragweite von Begriffsurteilen zu Bewußtsein zu bringen und zu zeigen, wieviel allgemeine und bewährte Erfahrung in diesem Urteil enthalten ist, sowie auf etwaige Fehler aufmerksam zu machen.

Diese Vorteile fehlen anscheinend der Formel der logischen Immanenz. In dieser Formel steckt vielmehr immer noch ein Rest von Anthropomorphismus. Ja, das Wesen der logischen Immanenz wird erst vollkommen klar, wenn man sich an diesen anthropomorphischen Rest erinnert. Daraus ergibt sich aber der logische Übelstand, daß dieses Verhältnis weder anschaulich dargestellt, noch auf ein Größenverhältnis zurückgeführt werden kann. Deswegen ist die durch die logische Immanenzformel bezeichnete Inhaltsbeziehung bisher für logische Zwecke so gut wie gar nicht fruchtbar gemacht worden. Fasse ich in dem Urteil: "Der Mensch ist sterblich", die Sterblichkeit als ein dem Begriff Mensch logisch immanentes Merkmal auf, so kann ich über diese Auffassung nicht weiter hinausgehen. Meine Erfahrung kann mir diese logische Immanenz bestätigen, oder es kann ein Zweifel zurückbleiben, allein die Formel treibt keine anderen Operationen aus sich heraus, regt nicht zu Vergleichen mit anderen Erfahrungen an und leistet somit für die Beantwortung der Frage, wieviel allgemeine und bewährte Erfahrung in diesem Urteil enthalten ist, so gut wie nichts. Ich kann mich höchstens dazu veranlaßt fühlen, mich zu fragen, was im Begriff "sterblich" mitgedacht wird und mir dadurch den Sinn des Urteils verdeutlichen.

Dazu kommt noch eines. Wir empfinden den in der Immanenzformel noch enthaltenen Rest von Anthropomorphismus als störend. In der Subsumtionsformel haben wir diesen Rest dadurch eliminiert, daß wir das Band zwischen Subjekt und Prädikat gewaltsam zerrissen und die im Urteil vollzogene Gliederung wieder aufgehoben haben. Das durch diese gewaltsame Trennung hervorgekommene Größenverhältnis der Umfänge ist zwar, wie jede Größenbeziehung, auch ein menschliches Denkmittel. Es ist aber dasjenige Denkmittel, in dem sich die allgemeinste und die am meisten bewährte Erfahrung verdichtet hat. Wollten wir die objektive Geltung der Größenbeziehungen in Frage stellen, so müßten wir zugleich das kosmische Geschehen und uns selbst ganz verändert denken, ja wir müßten den uns umgebenden Kosmos geradezu zum Chaos zurückverwandeln. Dieses Gedankenexperiment erscheint ebenso überflüssig wie unfruchtbar. Die Subsumtionsformel hat somit geleistet, was sie sollte, sie hat sich als ein Mittel bewährt, den im Urteil liegenden Anthropomorphismus wenn auch nicht zu eliminieren so doch unschädlich zu machen.

Soll nun die Immanenzformel Ähnliches leisten, so muß sie einer neuen logischen Bearbeitung unterzogen werden, die den Rest von Anthropomorphismus auf eine andere Art beseitigt, als dies die Subsumtionsformel geleistet hat. Diese Bearbeitung wird nun, glaube ich, von der Tatsache ausgehen müssen, daß wir im Begriffsurteil ein Gesetz des Geschehens formulieren. Wir werden versuchen, von der Formulierung auf das zurückzugehen, was darin formuliert wird. Was verstehen wir nun unter einem Gesetz des Geschehens? Zunächst doch nichts anderes, als daß gewisse Ereignisse regelmäßig aufeinanderfolgen. Die Regelmäßigkeit der Sukzession ist sicher das primitivste, nach der Ansicht mancher Forscher das einzige, was in einem Gesetz des Geschehens enthalten ist. Fällen wir z. B. das Urteil: "Kochsalz ist im Wasser löslich", so sagen wir damit, daß jedesmal, wenn ein Quantum Salz in ein entsprechendes Quantum von Wasser hineingegeben wird, nach einer gewissen Zeit das Salz derart im Wasser verteilt ist, daß wir es mit den Augen nicht mehr wahrnehmen können. Außer dieser zeitlichen Aufeinanderfolge behaupten wir aber in dem Urteil "Salz ist im Wasser löslich" noch etwas mehr. Wir sagen aus, daß es eine ständige Eigenschaft des Salzes ist, im Wasser löslich zu sein. Wir behaupten, daß diese Eigenschaft im Wesen des Salzes, etwa in der chemischen Zusammensetzung oder in der Lagerung seiner Moleküle begründet ist. Neben der zeitlichen Aufeinanderfolge enthält unsere Aussage über ein Gesetz des Geschehens noch die Aussage über eine kausale Verknüpfung. Inwiefern dieses unser Konstatieren einer kausalen Verknüpfung den Tatsachen entspricht, haben wir hier nicht zu erörtern. Der ganze Streit, ob Kausalität objektiv oder nur subjektiv ist, geht uns hier nichts an. Daß wir in unseren Formulierungen von Gesetzen des Geschehens die kausale Verknüpfung zugleich mit der zeitlichen Aufeinanderfolge behaupten, darüber kann ja kein Zweifel bestehen.

10. Zeitfolge und kausale Verknüpfung sind einerseits psychologische, andererseits ontologische Kategorien. Wir ordnen vermöge unserer psychischen Organisation unsere Bewußtseinserlebnisse am Faden der Zeit. Wir empfinden die Arbeit des Bewußtseins als die gemeinsame Form des psychischen Geschehens. Aber auch aus der auf uns einstürmenden kosmischen Arbeit, von der ja unser Seelenleben auch nur ein Teil ist, heben wir das den verschiedenen Arten dieser Arbeit gemeinsame Merkmal des Geschehens heraus und schaffen so den Begriff der objektiven Zeit. Ebenso verknüpfen wir vermöge der fundamentalen Apperzeption die regelmäßig aufeinander folgenden Ereignisse durch das Band der Kausalität. Aber wir halten uns aufgrund allgemeiner und bewährter Erfahrungen für berechtigt, diese Verknüpfung als etwas objektiv Bestehendes, nicht bloß von uns Geschaffenes anzusehen. Vom Standpunkt der Logik erhebt sich nun die Frage: Wie lassen sich die psychologischen und ontologischen Kategorien der Zeitfolge und der kausalen Verknüpfung zu einem logisch brauchbaren Denkmittel gestalten?

Die Zeitfolge allein ist nicht geeignet, ein solches Denkmittel abzugeben. Die Regelmäßigkeit in der Sukzession hat psychologisch die gewohnheitsmäßige Erwartung einer Konsequenz zur Folge, die sich jedesmal beim Eintritt einer Antezendenz einstellt. Diese gewohnheitsmäßige Erwartung, nach HUME bekanntlich der einzige reale Inhalt der Kausalität, ist aber tatsächlich so sehr von zufälligen individuellen Umständen bedingt, daß weder in ihrem Vorhandensein, noch in ihrem Fehlen ein solches Indiz allgemeiner und bewährter Erfahrung erblickt werden kann. Die kausale Verknüpfung reicht ebenfalls allein nicht aus, um das Vorhandensein bewährter und allgemeiner Erfahrung konstatieren zu können. Wir verknüpfen eben vermöge einer fundamentalen Apperzeption auch dort kausal, wo gar keine Regelmäßigkeit in der Sukzession gegeben ist. Wir suchen für jede Veränderung die Ursache und deuten die wahrgenommene Veränderung als Kraftäußerung irgendeines Dings, wie dies eben unseren Kenntnissen, unserer Überlieferung, ja oft unserem Gemütszustand entspricht. Wieviel allgemeine und bewährte Erfahrung in einer eben von uns vollzogenen kausalen Verknüpfung enthalten ist, das läßt sich aus der Form der Kausalität allein in keiner Weise konstatieren.

Wenn nun weder die Zeitfolge noch die kausale Verknüpfung allein ausreicht, ein logisch brauchbares Denkmittel zu schaffen, so liegt der Gedanke nahe, es könnte vielleicht durch die Kombination beider sich ein Begriff gewinnen lassen, der geeignet wäre, die Summe der in Begriffsurteilen niedergelegten allgemeinen und bewährten Erfahrung deutlich zu Bewußtsein zu bringen. Ein solches Denkmittel ist nun längst gefunden und wird in den positiven Wissenschaften wie auch in der Logik seit langem verwendet. Nur über die Provenienz [Herkunft - wp] und über die logische Stellung dieses Denkmittels war man sich, soviel ich weiß, bisher nicht ganz klar. Es ist dies nichts anderes als der Begriff der Bedingung, das Verhältnis von Grund und Folge.

11. Das Verhältnis von Grund und Folge ist seit den Zeiten der Stoiker in der Logik heimisch und die auf diesem Verhältnis beruhende Lehre vom hypothetischen Urteil fehlt in keiner Darstellung der logischen Lehren. Auch über den Zusammenhang dieses Verhältnisses mit der Kausalität ist viel geschrieben worden. Trotzdem will es mir scheinen, daß die Logiker über dieses Verhältnis, das ich fortan kurz als die hypothetische Formel bezeichnen will, nicht ganz ins Klare gekommen sind. Da es mir hier nicht darauf ankommt, die verschiedenen Meinungen zu erörtern, sondern die Aufgabe der Logik zu skizzieren, so sehe ich von den bisherigen Erörterungen der hypothetischen Formel ab und versuche kurz und bündig zu sagen, worin ich ihren Ursprung und ihre Bedeutung erblicke.

Die hypothetische Formel ist eine Kombination aus Zeitfolge und Kausalität. Ihr Wesen besteht darin, daß sie nicht Beziehungen von Vorgängen darstellt, sondern daß in ihr immer nur eine Beziehung enthalten ist, die zwischen dem Fürwahrhalten zweier Urteile besteht. Dem scheinen allerdings manche häufig gefällte hypothetische Urteile zu widersprechen. Sage ich z. B.: "Wenn ein Körper erwärmt wird, so vergrößert sich sein Volumen", so scheint es, als wollte ich damit das Vorhandensein einer Beziehung zwischen Erwärmung und Volumenänderung behaupten. Dies ist jedoch tatsächlich nicht der Fall. Die in der Erfahrung gegebene Beziehung zwischen Temperatur und Volumen ist die Quelle, aber nicht der Inhalt des betreffenden hypothetischen Urteils. Sein Inhalt besagt nur, daß ich jedesmal, wenn ich das Urteil für wahr halte, ein Körper sei erwärmt worden, auch das andere, daß sich sein Volumen vergrößert hat, für wahr zu halten habe. Die hypothetische Formel erweitert hier gleichsam den Sinn des Vordersatzes. Sie dient dazu, uns darauf aufmerksam zu machen, daß die Behauptung, "ein Körper wird erwärmt", mehr bedeutet, als wir nach dem Wortsinn dabei zu denken gewohnt sind. Erst dadurch wird die hypothetische Formel zu einem logisch wertvollen Denkmittel. Jetzt treibt sie, wie wir dies bei der Subsumtionsformel gesehen haben, neue Denkoperationen hervor und kann uns also zu Bewußtsein bringen, wieviel allgemeine und bewährte Erfahrung in dem gefällten Begriffsurteil enthalten ist.

Dabei weist die hypothetische Formel nicht nur nach vorwärts, um den Sinn des Vordersatzes zu erweitern. Sie weist auch nach rückwärts und veranlaßt uns dazu, uns auf den Grund unseres Fürwahrhaltens zu besinnen. "Der Luftdruck ist größer geworden", sagt jemand, und wir fragen: Woher wissen Sie das? "Das Barometer ist gestiegen", lautet die Antwort. Will ich nun alles tun, um die allgemeinen Bedingungen der Richtigkeit dieser Urteile zu prüfen, so bringe ich mir die hypothetische Formel zu Bewußtsein: "Wenn das Barometer steigt, so ist der Luftdruck größer geworden". In dieser Formel kommt es zum Ausdruck, daß ich aus dem Urteil: "Das Barometer ist gestiegen" jedesmal folgern darf, daß der Luftdruck größer geworden ist. Man muß die hypothetische Formel streng auf ihre, ich möchte sagen intramentale Funktion beschränken, wenn sie ein logisch brauchbares Denkmittel bleiben soll.

Dies ist nicht immer geschehen und die vielfachen Erörterungen über das proteron physei [das Ansich-Erste - wp] und das proteron pros hemas [das Spätere vor dem Früheren - wp], über Erkenntnisgrund und Realgrund haben viel mehr Verwirrung als Klärung gebracht. Die hypothetische Formel ist eben etwas anderes als eine zeitliche Formel und als eine kausale Verknüpfung. Sie ist eine Kombination aus beiden, und zwar eine Kombination, vermöge deren das Anthropomorphische, das in der Zeitfolge und in der Kausalität lag, unschädlich gemacht und durch welche die psychologische und ontologische Kategorie eben zu einer logischen geworden ist. Die hypothetische Formel entnimmt der Zeitfolge, die eines ihrer Elemente bildet, die regelmäßige Sukzession des Fürwahrhaltens zweier Urteile. Die Reihenfolge dieser Urteile ist dabei keineswegs gleichgültig. Auf das Fürwahrhalten des Grundes folgt das Fürwahrhalten der Folge, aber durchaus nicht immer umgekehrt. Von der kausalen Verknüpfung entnimmt die hypothetische Formel wieder das, was wir die Notwendigkeit der Abfolge nennen. Das Fürwahrhalten des einen Urteils bringt das Fürwahrhalten des anderen gleichsam hervor, aber doch nicht in derselben Weise, wie etwa der Baum das Blühen aus sich erzeugt. Ein kleiner Rest von Anthropomorphismus bleibt allerdings auch im Begriff der logischen Notwendigkeit bestehen, aber das ist eben der unaustilgbare, für unseren Denkzusammenhang unentbehrliche Rest.

Man hat SPINOZA mit Recht den Vorwurf gemacht, daß er das rein logische Verhältnis von Grund und Folge mit dem ontologischen von Ursache und Wirkung identifiziert. Diese Identifizierung ergibt sich freilich bei SPINOZA als notwendige Konsequenz seines Satzes: "Ordo ac connexio idearum est idem ac ordo et connexio rerum" [Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge. - wp] (Ethica II, prop. VII). Sobald wir uns aber klar gemacht haben, daß das Fürwahrhalten der Urteile nicht immer eine Funktion der Dinge ist und daß auch die Verknüpfung dieses Fürwahrhaltens dem Irrtum unterworfen ist, so müssen wir die ontologisch vorhandene Verbindung der Vorgänge von der logischen Verknüpfung der Urteile, bzw. des Fürwahrhaltens unterscheiden. Aber eine Beziehung zwischen diesen beiden Verknüpfungen besteht doch und SPINOZAs Identifizierung wäre eigentlich ein Ideal, dem wir uns immer zu nähern streben. Denn daran muß ja unbedingt festgehalten werden, daß die hypothetische Formel nur dann ein logisch wertvolles Denkmittel sein kann, wenn die darin behauptete Verknüpfung des Fürwahrhaltens zweier Urteile in steter und immer engerer Beziehung zur Erfahrung bleibt. Wir gründen ja auf unsere hypothetischen Formeln Voraussagen, wir treffen daraufhin Maßregeln. Je öfter nun diese Voraussagen eingetroffen sind, je öfter sich die Maßregeln bewährt haben, desto sicherer und vertrauensvoller verwenden wir die hypothetische Formel. Die Erweiterung des Sinnes unserer Aussagen, die uns durch die hypothetische Formel zu Bewußtsein gebracht wird, darf nicht lediglich Phantasievorstellungen enthalten, denen das wirkliche Verhalten der Dinge nicht entspricht. So sehr wir also, um ganz auf logischen Gebiet zu bleiben, darauf dringen müssen, daß die hypothetische Formel rein intramental bleibt, so entschieden müssen wir es wiederum aussprechen, daß die Geltung der in der hypothetischen Formel behaupteten Beziehung sich nur an der Erfahrung und durch die Erfahrung bewähren kann.

12. Der Zusammenhang der Vorgänge, die in den beiden Urteilen formuliert werden, welche die Elemente der hypothetischen Formel bilden, ist, wie ich sagte, die Quelle, aber nicht der Inhalt der hypothetischen Formel. Nach dieser Quelle zu suchen werden wir durch die hypothetische Formel aufgefordert, und in dieser Aufforderung liegt das spezifisch Logische dieser Formel. Sie behauptet nichts anderes als einen Zusammenhang zwischen dem Fürwahrhalten zweier Urteile. Dadurch aber zwingt sie uns zu fragen, ob dieser Zusammenhang des Fürwahrhaltens tatsächlich etwas von allgemeiner und bewährter Erfahrung enthält. Dabei ist zu beachten, daß nur die Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Fürwahrhalten der Urteile behauptet wird, keineswegs aber, daß wir jetzt und hier das eine der Urteile tatsächlich für wahr halten. Die hypothetische Formel klärt uns nur darüber auf, was das Fürwahrhalten des einen dieser Urteile, das wir als Grund bezeichnen, eigentlich bedeutet. Dagegen wird die Bedeutung des Folgeurteils in der hypothetischen Formel nicht weiter auseinandergelegt oder erweitert. Daraus wird auch klar, warum wir von der Setzung des Grundes auf die Folge und nicht umgekehrt schließen dürfen. Was es bedeutet, wenn ich sage: "Ein Körper wird erwärmt", das wird in dem hypothetischen Urteil "Wenn ein Körper erwärmt wird, vergrößert sich sein Volumen" gesagt, dagegen wird darin nicht weiter zergliedert, was es heißt, daß das Volumen vergrößert wird. Negiere ich hingegeben das Folgeurteil, so ist etwas negiert, was zur Bedeutung des Vordersatzes wesentlich gehört, ohne das er nicht gelten kann.

Dagegen enthält das Fürwahrhalten der Folge keineswegs das Fürwahrhalten des Grundes in sich, denn das Folgeurteil wurde ja in der hypothetischen Formel nur in seiner Beziehung zum Grund, nicht aber in seiner ganzen Tragweite zu Bewußtsein gebracht. Gleichgültig aber ist das Fürwahrhalten der Folge deswegen für das eventuelle Fürwahrhalten des Vordersatzes trotzdem nicht. Das Fürwahrhalten der Folge regt mich jedenfalls dazu an, an den Grund zu denken, ihn als eine der möglichen Begründungen in Erwägung zu ziehen. Dadurch wird auch der Schluß von der Setzung der Folge auf die Setzung des Grundes zu einer logisch bedeutsamen Operation. Sie kann dazu führen, etwas Neues zu finden und gehört somit zu den Denkmitteln, die wir im Allgemeinen als heuristische bezeichnen.

13. Kehren wir jedoch zu dem Punkt zurück, von dem wir ausgegangen sind. Das Verhältnis von Subjekt und Prädikat kann zunächst durch die Subsumtionsformel geprüft werden und betrifft dann das Umfangsverhältnis der Begriffe. Die Inhaltsbeziehung hingegen, die ich als logische Immanenz bezeichnete, bietet keine Handhabe zu einer weiteren Prüfung. Dies ändert sich jedoch, wenn wir an die Stelle der logischen Immanenz die hypothetische Formel setzen. Was bedeutet als jetzt in dem Urteil "Kochsalz ist im Wasser löslich" die logische Immanenz? Nichts anderes, als daß im Salz-sein des Subjekts der logische Grund für seine Löslichkeit gelegen ist. Soll die Inhaltsbeziehung zwischen Subjekt und Prädikat geprüft werden, so kann dies nur durch die hypothetische Formel geschehen. Die Formel der logischen Immanenz wird somit als unbrauchbar zu beseitigen und durch die hypothetische Formel zu ersetzen sein. "Der Mensch ist sterblich" kann jetzt in logischer Hinsicht zweierlei bedeuten. Entweder, ich wende darauf die Subsumtionsformel an, mache aus "sterblich" durch eine kategoriale Verschiebung den Begriff "sterbliches Wesen" und frage nun, in welchem Umfangsverhältnis die Begriffe "Mensch" und "sterbliches Wesen" zueinander stehen. Aufgrund allgemeiner und bewährter Erfahrung konstatiere ich dann, daß der Begriff "Mensch" dem Begriff "sterbliches Wesen" logisch untergeordnet ist. Oder ich wende, um die Inhaltsbeziehung der Begriffe zu prüfen, die hypothetische Formel an. Dann sage ich: Wenn ein Wesen die Merkmale in sich hat, die mich berechtigen, dasselbe unter den Begriff "Mensch" zu subsumieren, so muß ich für wahr halten, daß dieses Wesen dem Tod unterworfen ist. Das Mensch-sein ist der logische Grund für das Sterblich-sein. Erst durch diese Formulierung fühle ich mich veranlaßt, mich zu fragen, ob die Verknüpfung des Fürwahrhaltens der beiden Urteile in einer allgemeinen und bewährten Erfahrung ihre Quelle hat. Da dies in diesem Fall zutrifftf, so habe ich objektive Gewißheit darüber, daß alle darauf gegründeten Voraussagen eintreffen und daß sich alle aufgrund dieser Verknüpfung getroffenen Maßnahmen bewähren werden.

Auf der Subsumtionsformel und auf der hypothetischen Formel beruth die ganze formale Logik. Die Subsumtionsformel führt zu den Denkgesetzen der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten. Man braucht sich dazu nur noch die logische Funktion der Negation klar zu machen, was ja im allgemeinen in der traditionellen Logik richtig geschehen ist. Auf der Subsumtionsformel beruth die Lehre von der Umkehrung der Urteile und die ganze kategorische Syllogistik. Auf der hypothetischen Formel hingegen beruth die so sehr wichtige Lehre von den hypothetischen Schlüssen, wozu ja die disjunktiven auch gehören und ferner der Satz vom zureichenden Grund.

Im Allgemeinen kann man sagen: Die Subsumtionsformel dient zur Prüfung, die hypothetische Formel zur Erweiterung des Sinns der Urteile. Die Subsumtionsformel bringt die in den Wortbedeutungen enthaltene allgemeine und bewährte Erfahrung zu Bewußtsein, die hypothetische Formel verwertet die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung, indem sie die tatsächlich bestehende, durch Beobachtung und Experiment erforschte zeitliche Folge und kausale Verknüpfung des Geschehens für unser Denken verwertbar macht. Obzwar beide Formeln nur dazu dienen, allgemeine und bewährte Erfahrung zu Bewußtsein zu bringen, so steht doch meine hypothetische Formel mit der Erfahrung in einem engeren oder vielleicht richtiger gesagt, in einem unmittelbareren Zusammenhang. Daher hat auch das Denkgesetz der hypothetischen Formel, nämlich der Satz vom zureichenden Grund einen anderen Charakter als die drei Denkgesetze der Subsumtionsformel. Dies hat LOTZE sehr richtig bemerkt und treffend ausgedrückt:
    "Die Geltung des Satzes vom Grund ist daher von einer anderen Art als die des Prinzips der *Identität; nennen wir das letztere denknotwendig, wegen der Unmöglichkeit seines Gegenteils, so ist der Satz vom Grund vielmehr nur eine dem Denken zweckmäßige Voraussetzung, welche im Inhalt des Denkbaren eine gegenseitige Beziehung annimmt, für deren wirkliches Bestehen der vereinigte Eindruck aller Erfahrungen Bürgschaft gibt." (Logik, Seite 90).
Mit LOTZEs Auffassung des Identitätsprinzips bin ich allerdings nicht ganz einverstanden. Seine Denknotwendigkeit beruth meines Erachtens nicht auf der Unmöglichkeit des Gegenteils. Ich halte überhaupt das Prinzip der Identität nicht für eine theoretische Wahrheit und zwar deshalb nicht, weil es in der wirklichen Welt nicht zwei Dinge gibt, die miteinander vollkommen gleich sind und weil ein einzelnes Ding eben nur tatsächlich eines ist, so daß es keinen Sinn hat, von diesem wirklichen Ding zu behaupten, es sei mit sich selbst identisch. Mir scheint vielmehr das Prinzip der Identität eine Forderung zu enthalten, die wir an unser Denken richten, die wir in unserem Denken erfüllen müssen, damit wir den Zweck des Denkens nicht verfehlen. Unser Denken kann die Tatsachen nicht abbilden, es muß sie vielmehr umbilden und in dieser Umbildung vereinfachen, um die verwirrende Mannigfaltigkeit des anschaulich Gegebenen zu überwinden. Alle Begriffe, die wir bilden, sind solche Vereinfachungen. Wie sehen dabei von unwesentlichen Unterschieden ab und reflektieren auf das Gleiche, das Konstante an den Dingen und Ereignissen. Haben wir nun aufgrund dieses Verfahrens einen Begriff gebildet und denselben durch ein Zeichen fixiert, so müssen wir den Begriff und sein Zeichen immer in derselben Weise gebrauchen, wenn wir zu richtigen Ergebnissen gelangen sollen. A ist A halte ich nicht für die entsprechende Formulierung des Identitätsprinzips. "A muß immer A bleiben" sollte die Formulierung lauten. Das Gegenteil des Satzes A ist A scheint nicht einmal unmöglich zu sein, wenn man sich daran erinnert, wie oft es vorkommt, daß ein und dasselbe Wort in verschiedener Bedeutung gebraucht wird und daß auch in wissenschaftlichen Untersuchungen die Begriffe nicht immer in demselben Sinn angewendet werden. Das Prinzip der Identität ist also keine theoretische Wahrheit, sondern eine Forderung und eben als solche denknotwendig, weil sie die Bedingung alles richtigen Denkens ist. Eben deswegen stammt sie auch nicht aus der Erfahrung, sondern ist ein Mittel, die Erfahrung ökonomisch zu ordnen.

Es ist nicht vorauszusehen und keineswegs anzunehmen, daß diese Forderung jemals aufhören sollte, für das Denken bindend zu sein. Deswegen kann man das Prinzip der Identität in gewissem Sinn ein apriorisches, ein denknotwendiges und zeitloses nennen. Ganz verleugnet allerdings auch diese Forderung ihren empirischen Ursprung nicht, denn unser Denken kann nur deshalb auf das Gleiche reflektieren und von Unterschieden absehen, weil in der Erfahrung selbst viel Ähnliches gegeben ist. Allein das Prinzip der Identität ist trotzdem nicht mehr von der Gültigkeit bestimmter Erfahrungen abhängig und besitzt eben keine tatsächliche, sondern normative Geltung.

Dadurch aber unterscheidet es sich vom Denkgesetz der hypothetischen Formel, d. h. vom Satz des zureichenden Grundes. Die hypothetische Formel ist keine Norm, sondern der Ausdruck für ein tatsächliches Verhalten. Es liegt in der hypothetischen Formel, durch die wir zwei Urteile verknüpfen, keineswegs die Forderung, daß diese Verknüpfung immer in alle Ewigkeit Gültigkeit haben muß. Die hypothetische Formel ist immer nur als Ausdruck der bis jetzt bewährten und allgemeinen Erfahrung anzusehen. Deswegen hat LOTZE mit seiner Unterscheidung vollkommen recht.

14. Die Subsumtionsformel und die hypothetische Formel sind somit zwei verschiedene logische Denkmittel, die beide zur logischen Aufklärung Wesentliches beitragen. KANTs berühmte und immer wieder verwendete Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen, eine Unterscheidung, die mir früher nur relativ und zugleich wenig fruchtbringend erschien, läßt sich jetzt, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der beiden hier aufgestellten logischen Grundformeln faßt, besser verstehen und verwerten. Die Unterscheidung darf aber nicht auf den Inhalt der Urteile, sondern nur darauf bezogen werden, ob die logische Prüfung derselben besser nach der Subsumtionsformel oder nach der hypothetischen Formel vorgenommen wird. Machen wir uns dies an KANTs eigenen Beispielen klar. "Alle Körper sind ausgedehnt" ist nach KANT ein analytisches Urteil, weil der Begriff der Ausdehnung im Begriff Körper schon mitgedacht wird. Ich hingegen sage, "Alle Körper sind ausgedehnt" ist ein Urteil, dessen Bedeutung mir am besten durch die Subsumtionsformel zu Bewußtsein gebracht wird. Alle Körper sind Raumgebilde und gehören somit, geometrisch betrachtet, in die Gattung der Raumgebild, wo sie neben Linien und Flächen eine eigene Spezies bilden. "Alle Körper sind schwer" ist nach KANT ein synthetisches Urteil, weil dadurch der Begriff des Körpers erweitert wird. Das letztere ist nun zweifellos richtig, aber die logische Konsequenz dieser Tatsache ist dann die, daß wir uns den Sinn dieses Urteils nicht durch eine Subsumtionsformel, sondern eben durch die hypothetische Formel klar machen müssen. Wenn ein Raumgebilde von uns als ein aus Materie bestehender Körper aufgefaßt wird, so müssen wir erwarten, daß dieses Raumgebilde der Anziehung der Erde unterworfen, d. h. schwer ist. Das ist der Sinn des Urteils "Alle Körper sind schwer".

KANT bezeichnet die analytischen Urteile als "Erläuterungs-", die synthetischen als "Erweiterungsurteile". Nach KANTs Auffassung ist der Unterschied allerdings kein fester, sondern ein fließender. Was für die eine Generation noch ein Erweiterungsurteil war, das hat den Inhalt des betreffenden Begriffs eben um ein neues Merkmal bereichert, das die folgende Generation bereits zum Inhalt des Begriffs rechnet. Wenn wir z. B. den Begriff des Körpers physikalisch und nicht geometrisch fassen, so können wir das Urteil "Alle Körper sind schwer" ebensogut als ein analytisches Urteil betrachten, weil wir dann die Schwere als ein im Begriff Körper enthaltenes Merkmal ansehen, das wir mitdenken, wenn wir mit dem Begriff des Körpers operieren. Begriffe sind eben keine unveränderlichen Einheiten, sondern Komplexe, die sich mit den Fortschritten der Wissenschaft stetig verändern. Auch die Unterschiede der Bildung kommen dabei in Betracht. Für den Lehrer ist ein Satz längst nur ein Erläuterungsurteil, während er für die Schüler ein Erweiterungsurteil ist. Die Unterscheidung KANTs bleibt also, so wie er sie formuliert und verwendet, immer fließend und deshalb unfruchtbar. Sie ist nicht im Inhalt der Urteile, sondern im Bildungsgrad des Zeitalters oder des Individuums begründet.

Fassen wir aber den Unterschied so auf, daß wir die Erläuterungsurteile für die Subsumtionsformel, die Erweiterungsurteile für die hypothetische Formel in Anspruch nehmen, so wird die Distinktioin klärend und fruchtbar. In den analytischen Urteilen wird ein bereits gebildeter Begriff oder eine Wortbedeutung erläutert und dadurch die im Begriff verdichtete Erfahrung mittels der Subsumtionsformel zu Bewußtsein gebracht. In den synthetischen Urteilen hingegen werden Erfahrungszusammenhänge formuliert und durch die hypothetische Formel zu Urteilsgefügen gestaltet.

Zur Grundlage erkenntniskritischer Untersuchungen kann nach dieser Auffassung diese Unterscheidung nicht gemacht werden, wie dies bei KANT geschieht. Ich könnte ja nicht einmal von den analytischen Urteilen zugeben, daß sie a priori gültig sind. Da sie nur die Ergebnisse früherer Erfahrungen zu Bewußtsein bringen, so beruth ihre Gültigkeit eben auf dieser in den Begriffen verdichteten Erfahrung. Noch weniger könnte ich natürlich zugeben, daß synthetische Urteile a priori möglich sind, wenn ich auch KANT darin zustimmen muß, daß die mathematischen Urteile synthetische sind. Die mathematischen Urteile sind in der Tat meist Erweiterungsurteile und ihr Inhalt wird durch die hypothetische Formel am adäquatesten bestimmt. Allein auch die mathematischen Urteile stammen, wie ich oben zu zeigen versuchte, aus der Erfahrung.

15. Was wir mittels der Subsumtionsformel und hypothetischen Formel logisch erreichen wollen und können, das ist niemals bloß eine intramentale Denknotwendigkeit. Das Ziel der logischen Operationen sind vielmehr die Bedingungen der objektiven Gewißheit und Wahrscheinlichkeit. Wir wollen die Gewähr und die Beruhigung haben, daß wir in unserem Urteil den Boden der allgemeinen und bewährten Erfahrung nicht verlassen haben. Diese objektive Gewißheit unterscheidet sich zunächst von der auf Gefühle und Wünsche gegründeten subjektiven Gewißheit, die wir im Leben so oft zur Grundlage unserer Urteile und Handlungen machen. Das charakteristische Merkmal dieser Art von Gewißheit besteht darin daß sie immer individuell bleibt und unübertragbar, d. h. auf logischem Weg unübertragbar bleibt. Sie kann wohl eine starke suggestive, nie aber eine logische Wirkung ausüben.

Die objektive Gewißheit hingegen stützt sich auf eine allgemeine, bewährte, jedem zugängliche Erfahrung. Die Logik darf eben, wenn sie der wirklichen Wissenschaft dienen will den Zusammenhang mit der lebendigen Wirklichkeit nie verlieren. Das soll eben darin zum Ausdruck kommen, daß wir als das Ziel des logischen Denkens keine ideale Denknotwendigkeit, sondern eben objektive Gewißheit bezeichnen. Nach unserer Auffassung vom Ursprung und von der Entwicklung der Erkenntnis gibt es überhaupt keine Denknotwendigkeit, deren letzter Grund nicht in objektiven empirischen Zusammenhängen zu suchen wäre.

Diesen Zusammenhängen nachzugehen, das Gemeinsame derselben herauszustellen und brauchbare Formeln zu finden, in denen die allgemeine und die bewährte Erfahrung des Menschengeschlechts festgelegt werden kann, das ist die wahre und die wichtige Aufgabe der Logik. Die allgemeinsten und die bewährtesten Erfahrungen sind dabei diejenigen, welche aus der allen Menschen gemeinsamen Art, Vorgänge zu deuten, abgeleitet werden können. Diese zu finden ist Sache der Psychologie, und zwar der Individualpsychologie nicht weniger als der Völkerpsychologie. Bei diesen Formeln darf aber die Logik nicht stehen bleiben. Sie muß vielmehr das wissenschaftliche Denken in seinen Betätigungsweisen verfolgen und den Versuch unternehmen, die Verfahrensweisen, die sich hier allgemein bewährt haben, herauszufinden und zu einem klaren Bewußtsein zu bringen. Dies kann aber nur durch historische Untersuchungen gelingen, die der Entwicklung der Wissenschaft nachgehen und die Denkmittel klar herausarbeiten, welche im Laufe der Zeiten neu geschaffen wurden und sich bewährt haben.

Daraus ergibt sich, um es kurz zu sagen, daß die Logik im Ganzen nichts anderes ist als Methodenlehre. Als solche zerfällt sie dann in zwei große Teile, die auch in der traditionellen Logik geschieden werden. Der erste Teil enthält die elementare oder allgemeine Methodenlehre. Diese hat die Denkformen und die Denkmittel aufzusuchen, die überall, also auch bereits im vorwissenschaftlichen Denken, Verwendung finden und sich bewährt haben. Das wichtigste dieser Denkmittel ist die Sprache und so werden in dieser allgemeinen Methodenlehre des Denkens die Untersuchungen über Wortbedeutungen und Urteilsformen einen breiten Raum einnehmen. Hier wird aufgrund der psychologischen Einsicht in die Entwicklung der Sprache das Verhältnis von Wort und Begriff, von Satz und Urteil festzulegen sein. Hierher gehört dann die Lehre vom Inhalt und Umfang der Begriffe und daran anschließend die Feststellung der Subsumtionsformel und der hypothetischen Formel. Die Bedeutung dieser Formeln für die Prüfung der allgemeinen Bedingungen objektiver Gewißheit wird dann klarzulegen sein, indem man die wichtigsten Formen des Schlußverfahrens aus diesen Formeln ableitet. Auf Wahrscheinlichkeits- und Analogieschlüsse wird dabei einzugehen sein, weil aufgrund solcher Schlüsse die Entscheidungen im praktischen Leben fast ausnahmslos erfolgen.

Der zweite Teil wird dann die Methodenlehre des wissenschaftlichen Denkens zum Gegenstand haben. Auch hier bleibt die Aufgabe der Logik im Prinzip dieselbe. Auch hier hat sie zu fragen, wieviel allgemeine und bewährte Erfahrung in jeder einzelnen Erfahrung enthalten ist. Während aber der erste Teil sich darauf beschränkt, die ganz allgemein im Gebrauch stehenden Denkmittel auf ihren Erfahrungsgehalt zu untersuchen, beschäftigt sich der zweite Teil oder die Methodenlehre des wissenschaftlichen Denkens mit den etwas komplizierteren Verfahrensweisen und Denkmitteln, die die Wissenschaft gefunden hat, um den Inhalt der Erfahrung zu bereichern. Hier ist zunächst mit WUNDT die Einteilung zu treffen in Methoden der Darstellung und in Methoden der Untersuchung.

Unter den Methoden der Darstellung wird man dann die Definition, die Klassifikation der Begriffe und die verschiedenen Begründungsarten der Urteile in der üblichen Weise abzuhandeln haben. Bei den Methoden der Untersuchung wird es unerläßlich sein, auf die einzelnen Wissenschaften selbst einzugehen und die Verfahrensweisen derselben womöglich nach allgemeinen Gesichtspunkten zu ordnen. Bisher berücksichtigte man bei diesen methodologischen Bemerkungen in den Lehrbüchern meist nur die Naturwissenschaften. Nach dem Voranschreiten WUNDTs und nach den aufklärenden Untersuchungen RICKERTs wird man etwas mehr Rücksicht auf die historischen Wissenschaften nehmen müssen. Jedenfalls wird die Logik sich niemals als abgeschlossene Wissenschaft betrachten dürfen, sondern immer nur die dem jeweiligen Stand der Forschung entsprechende Methodenlehre des Denkens repräsentieren können. Ihr allgemeiner und elementarer Teil wird allerdings dabei weniger starken Schwankungen unterworfen sein, da ja die auf der Organisation des Menschen beruhenden Denkformen sich nicht so leicht ändern dürften. Aber auch hier gibt es kein a priori, keine ewigen unverbrüchlichen Normen, sondern nur allgemeine und bewährte Normen.

Der zweite Teil aber wird öfter einer Revision bedürfen, da doch auch neue Methoden in der Wissenschaft entstehen, deren Brauchbarkeit erprobt werden muß. In der Logik haben dann die bewährten Methoden ihren Platz zu finden.

Als Methodenlehre wird die Logik von selbst zu einer Ökonomik des Denkens. Sie soll die bewährten Methoden zu Bewußtsein bringen, dadurch die objektive Gewißheit steigern und dem einzelnen Forscher Kraft und Zeit sparen. Damit hat aber die Logik wieder eine biologische Funktion zu vollziehen und wir sind damit dem biologischen Ursprung des Erkenntnistriebes wieder näher gekommen. Dieses von MACH aufgestellte Prinzip der Denkökonomie in einer auf psychologischer und historischer Grundlage aufgebauten Logik zu fruchtbarer Betätigung zu bringen, das ist die lebensfördernde Aufgabe einer Methodenlehre des Denkens, das ist die Aufgabe der Logik, die hoffentlich noch manchen Schrittnach vorwärts wird tun können.

16. Die voranstehenden Bemerkungen sollen eine Art von Programm bilden für ein Lehrbuch der Logik, an dem ich arbeite. Dasselbe ist allerdings zunächst dazu bestimmt, dem Unterricht in der philosophischen Propädeutik an höheren Schulen zugrunde gelegt zu werden. Allein es soll darin auch der wissenschaftliche Grundsatz zum Ausdruck kommen, daß die Logik auf empirischer und nicht auf apriorischer Grundlage aufgebaut werden muß.

Die Logik, die ich darzustellen gedenke, wird weder eine "reine" noch eine "formale" sein. Auf psychologischer und historischer Grundlage soll vielmehr eine Methodologie des Denkens gegeben werden, welche Anweisungen enthält, mit deren Hilfe es ermöglicht oder erleichtert werden soll, in den alltäglichen Erfahrungen das herauszufinden, was darin an allgemeiner und bewährter Erfahrung enthalten ist. An dieser allgemeinen und bewährten Erfahrung müssen dann die oft ohne deutliches Bewußtsein ihrer Tragweite gefällten Urteile geprüft werden. Dabei soll das wissenschaftliche Denken überall als diejenige Stufe der Entwicklung hingestellt werden, auf welcher die größte bisher erreichbare Gewähr dafür geboten ist, daß die Formeln der allgemeinen und bewährten Erfahrung nirgends unberücksichtigt bleiben. Die Logik soll somit zeigen, wie das alltägliche Denken dem wissenschaftlichen angenähert werden kann. Das Studium der Logik hat die sehr wichtige didaktische und pädagogische Aufgabe, zur Besonnenheit im Denken zu führen. Dieses Studium soll mitwirken an der großen Aufgabe, die sich PLATO gestellt hat, an der Aufgabe, das Leben durch Wissenschaft zu bestimmen.

Aus der traditionellen Logik, wie sie von ARISTOTELES und von den Philosophen des Mittelalters ausgebildet wurde, wird dasjenige aufgenommen werden, was sich bisher bewährt und als unentbehrliches Denkmittel erprobt hat. Dazu gehört aber vor allem alles auf die Umfangslogik Bezügliche, oder wie ich es ausdrücke: die Anwendung der Subsumtionsformel. Die Beispiele aber, in denen sich die Regeln als wirksam erweisen, die sollen der Geschichte der Wissenschaft entnommen werden. Nur an solchen Beispielen, die übrigens auch ansich ein kulturgeschichtliches Interesse bieten, lassen sich die Denkformen wirklich lebendig machen. Die tatsächlich vollzogenen Denkakte enthalten die Bedingungen der objektiven Gewißheit in viel mannigfaltigerer und in viel belehrenderer Weise in sich als die üblichen künstlich ad hoc konstruierten Schulbeispiele.

Hoffentlich gelingt es mir, auch in einem für die Schule bestimmten Buch zu zeigen, daß die logischen Gesetze auf Erfahrung beruhen. Als Normen dürfen diese Gesetze in derselben Weise gelten wie die Regeln der Grammatik. So wie diese aus dem Sprachgebrauch abgeleitet sind, so sind die Normen der Logik nichts anderes als die tatsächlich gehandhabten Verfahrensweisen des bewährten Denkgebrauchs.
LITERATUR - Wilhelm Jerusalem, Der kritische Idealismus und die reine Logik, Wien und Leipzig 1905
    Anmerkungen
    1) Vgl. meinen Aufsatz über psychologische und logische Urteilstheorien in der "Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie", 1897 und "Lehrbuch der Psychologie, dritte Auflage, §§ 41 und 42, Seite 112f.
    2) "Urteilsfunktion", vierter Abschnitt, Seite 108-169. "Lehrbuch der Psychologie" (dritte Auflage, Seite 106f).
    3) Husserl findet (Logische Untersuchungen I, Seite 155, Anmerkung) die Formulierung dieser Regel nicht korrekt. "Sicherlich", sagt er, "ist das Merkmal des Merkmals, allgemein gesprochen, nicht das Merkmal der Sache. Meinte das Prinzip, was die Worte klar besagen, so wäre ja zu schließen: Dieses Löschblatt ist rot, rot ist eine Farbe, also ist dieses Löschblatt eine Farbe." Husserls Einwand gegen die ebenso knappe wie richtige Formulierung dieses Prinzips enthält aber einen offen zutage liegenden Denkfehler. Die Regel "nota notae est not rei" setzt nämlich als selbstverständlich voraus, daß in beiden Prämissen auf die Inhaltsbeziehung reflektiert wird. In Husserls Beispiel aber ist dies wohl in der ersten Prämisse "das Löschblatt ist rot", nicht aber in der zweiten, "rot ist eine Farbe", der Fall. In diesem Satz wird die Subsumtion des Begriffes "rot" unter den Begriff "Farbe" behauptet. Formuliert man den Syllogismus genau nach dem Wortlaut der Regel, so muß er so lauten: Farbigkeit ist ein Merkmal von rot (nota notae), rot ist ein Merkmal dieses Löschblatts, als ist Farbigkeit ein Merkmal dieses Löschblatts (nota rei). Der Fehler liegt also nicht in der Formel, sondern in der falschen, geradezu sophistischen Anwendung derselben. Der gegen andere so strenge Logiker Husserl hat hier "logische Immanenz" und Subsumtion, Inhalts- und Umfangsbeziehung nicht auseinanderzuhalten verstanden.
    4) Von mir gesperrt.