ra-2 O. ConradH. CohnI. RubinT. Grigorovici    
 
NIKOLAI BUCHARIN
Das Elend der subjektiven Werttheorie
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"Für den Marxismus sind folgende soziologische Grundlagen der ökonomischen Wissenschaft charakteristisch: die Anerkennung des Primats der Gesellschaft über das Individuum, die Anerkennung des historischen, vorübergehenden Charakters einer jeden Wirtschaftsstruktur und endlich die Anerkennung der dominierenden Rolle der Produktion. Dagegen ist für die österreichische Schule ihr methodologischer Individualismus bezeichnend, der unhistorische Standpunkt und der Ausgangspunkt vom Verbrauch."

"Es handelt sich bei Marx nie um Motivierung, sondern immer um  Limitation der individuellen Willkür der Wirtschaftssubjekte.  Umgekehrt die subjektivistische Schule: hier ist überall die  Motivation  der (individuellen) wirtschaftlichen Handlung in den Mittelpunkt des Systems getreten."

"Und so kommen wir zum Schluß, daß der  Subjektivismus  der österreichischen Schule, die absichtliche Isolierung des  Wirtschaftssubjekts,  das Abstrahieren von den sozialen Zusammenhängen unvermeidlich zum logischen Bankrott des gesamten Systems führen muß; dieses System ist genausowenig befriedigend, wie die alte Theorie der Produktionskosten, die sich hilflos in einem verzauberten Kreis drehte."

I. Kapitel

Die methodologischen Grundlagen der
Grenznutzentheorie und des Marxismus

Jede einigermaßen ordentlich aufgebaute Theorie muß ein bestimmtes Ganzes darstellen, dessen Teile durch ein festes logisches Band zusammengehalten werden. Deshalb muß eine folgerichtige Kritik unvermeidlich auf die Grundlage der Theorie, auf deren Methode stoßen, denn gerade die ist es, die die einzelnen Teile des theoretischen Gesamtsystems zusammenfügt. Infolgedessen beginnen wir mit der Kritik der methodologischen Voraussetzungen der Grenznutzentheorie, worunter wir keineswegs ihren  deduktiven  Charakter verstehen, sondern ihre charakteristischen Züge im Rahmen der abstrakt deduktiven Methode. Für uns ist jede Theorie der Nationalökonomie, sofern sie eben  Theorie  ist, etwas abstraktes - darin stimmt der Marxismus vollständig mit der österreichischen Schule überein (1). Diese Übereinstimmung ist jedoch nur formaler Art; wäre sie nicht da, so könnte man die Theorie der Österreicher der von MARX überhaupt nicht gegenüberstellen. Uns interessiert hier nämlich jener konkrete Inhalt der abstrakten Methode, der der österreichischen Schule eigen ist und sie in einen so scharfen Gegensatz zum Marxismus setzt.

Die politische Ökonomie ist nämlich eine  Gesellschafts wissenschaft und hat zur Voraussetzung - ob sich dessen die Theoretiker der politischen Ökonomie bewußt werden oder nicht - irgendwelche Vorstellungen über das Wesen der Gesellschaft und deren Entwicklungsgesetze. Anders gesagt: jede Wirtschaftstheorie beruth auf gewissen Voraussetzungen, die einen  soziologischen  Charakter besitzen und von denen aus die  wirtschaftliche  Seite des sozialen Lebens untersucht wird. Solche Voraussetzungen können klar ausgesprochen werden oder unklar bleiben, sie können als wohlgefügtes System aufgestellt werden oder "unbestimmte Ansichten" bleiben, - auf alle Fälle müssen sie aber da sein. Die politische Ökonomie von MARX hat eine derartige Grundlage in der soziologischen  Theorie des historischen Materialismus.  Dagegen kennt die österreichische Schule keine abgeschlossene oder einigermaßen präzise soziologische Grundlage; die Spuren einer solchen muß man erst aus der Wirtschaftstheorie der Österreicher konstruieren. Dabei stößt man mitunter auf Widersprüche zwischen den allgemeinen Grundgedanken über die Natur der "Volkswirtschaft" und den  tatsächlichen  Grundlagen der österreichischen Wirtschaftstheorie (2). Auf diese richten wir deshalb unser Hauptaugenmerk. Für den Marxismus sind folgende soziologische Grundlagen der ökonomischen Wissenschaft charakteristisch: die Anerkennung des Primats der Gesellschaft über das Individuum, die Anerkennung des historischen, vorübergehenden Charakters einer jeden Wirtschaftsstruktur und endlich die Anerkennung der dominierenden Rolle der Produktion. Dagegen ist für die österreichische Schule ihr methodologischer Individualismus bezeichnend, der unhistorische Standpunkt und der Ausgangspunkt vom Verbrauch. In der "Einleitung" versuchten wir für diesen grundsätzlichen Unterschied zwischen Marxismus und der österreichischen Schule eine sozial-genetische Erklärung zu geben: diesen Unterschied oder richtiger gesagt: diesen Gegensatz charakterisierten wir als einen  sozial-psychologischen  Gegensatz. Hier soll er von der  logischen  Seite aus analysiert werden.


1. Der Objektivismus und Subjektivismus
in der politischen Ökonomie

WERNER SOMBART bezeichnet in seinem bekannten Aufsatz, den er anläßlich des Erscheinens des dritten Bandes des "Kapital" von MARX veröffentlichte, bei seiner Gegenüberstellung der zwei Methoden der Nationalökonomie, der subjektivistischen und der objektivistischen, das System von MARX als den Ausfluß eines "extremen Objektivismus"; dagegen sei die österreichische Schule seiner Ansicht nach "die konsequenteste Fortbildung der entgegengesetzten Richtung" (3). Diese Charakteristik ist unseres Erachtens völlig zutreffend. In der Tat kann man an das Studium der gesellschaftlichen Erscheinungen überhaupt und der wirtschaftlichen im Besonderen, in zweierlei Weise herantreten: einmal kann man annehmen, daß die Wissenschaft von der Analyse der Gesellschaft als eines Ganzen ausgeht, das in jedem gegebenen Moment die Erscheinung des individuellen Wirtschaftslebens bestimmt - in diesem Fall ist die Aufgabe der Wissenschaft, die Zusammenhänge und die Gesetzmäßigkeit aufzudecken, die zwischen den verschiedenen Erscheinungen  gesellschaftlicher  Art bestehen und die die  individuellen  Erscheinungen bestimmen; zweitens kann man aber annehmen, daß die Wissenschaft von der Analyse der Gesetzmäßigkeit des individuellen Lebens auszugehen habe, da die gesellschaftlichen Erscheinungen ein gewisses Ergebnis von individuellen Erscheinungen bilden - in diesem Fall würde es die Aufgabe der Wissenschaft sein, von den Erscheinungen und der Gesetzmäßigkeit des individuellen Wirtschaftslebens die Erscheinungen und die Gesetzmäßigkeit der sozialen Wirtschaft abzuleiten.

In diesem Sinne ist MARX zweifelsohne ein "extremer Objektivist" und zwar sowohl in der Soziologie, als auch in der politischen Ökonomie. Deshalb muß auch seine grundlegende Wirtschaftslehre - die Lehre vom Wert - von der der Klassiker, insbesondere aber von der ADAM SMITH' streng geschieden werden. Die Arbeitswerttheorie von ADAM SMITH basiert auf einer individuellen Schätzung der Güter, entsprechend der Quantität und Qualität der aufgewendeten Arbeit; das ist eine  subjektivistische Arbeitswerttheorie.  Umgekehrt ist die Werttheorie von MARX ein objektives, d. h. gesellschaftliches Preisgesetz, seine Theorie ist demnach eine  objektivistische Arbeitswerttheorie,  die sich keinesfalls auf irgendwelche individuellen Wertschätzungen stützt, sondern lediglich den Zusammenhang zwischen den gegebenen gesellschaftlichen Produktivkräften und den Warenpreisen ausdrückt, wie letztere am Markt bestimmt werden. (4) Gerade am Beispiel der Wert- und Preistheorie zeigt SOMBART sehr gut den Unterschied zwischen den beiden Methoden. "Nicht als ob MARX auch nur daran dächte - sagt SOMBART -, nach den individuellen Motiven der Tauschenden zu forschen, oder auch nur von der Produktionskostenberechnung auszugehen. Nein, sein Gedankengang ist dieser: die Preise werden gebildet durch die Konkurrenz, wie, bleibt dahingestellt. Aber: die Konkurrenz ihrerseits wird geregelt durch die Profitrate, die Profitrate durch die Mehrwertrate, diese aber durch den Wert, der selbst der Ausdruck einer gesellschaftlich bedingten Tatsache, der gesellschaftlichen Produktivkraft, ist. Das stellt sich nun im System in umgekehrter Folge dar: Wert - Mehrwert - Profit - Konkurrenz - Preise usw.  Wollen wir ein Schlagwort haben, so können wir sagen: es handelt sich bei MARX nie um Motivierung, sondern immer um eine Limitation der individuellen Willkür der Wirtschaftssubjekte.  (5) Umgekehrt die subjektivistische Schule: hier ist "überall die  Motivation  der (individuellen) wirtschaftlichen Handlung in den Mittelpunkt des Systems getreten." (6)

Dieser Unterschied ist sehr treffend hervorgehoben. In der Tat, während MARX "die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozeß (betrachtet), den Gesetze lenken, die nicht nur vom Willen, dem Bewußtsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewußtsein und Absichten bestimmen" (7), ist für BÖHM-BAWERK der Ausgangspunkt der Analyse das individuelle Bewußtsein des wirtschaftlichen Subjekts.

"Die sozialen Gesetze" - schreibt BÖHM -, "deren Erforschung die Aufgabe der Nationalökonomie ist, beruhen auf übereinstimmenden Handlungen der Individuen. Die Übereinstimmung im Handeln ist wieder eine Folge des Wirkens übereinstimmender Motive, die das Handeln leiten. Bei dieser Sachlage kann nicht leicht ein Zweifel darüber bestehen, daß die Erklärung der sozialen Gesetze bis auf die treibenden Motive, welche die Handlungen der Individuen leiten, zurückgehen, bzw. von ihnen ihren Ausgangspunkt nehmen muß." (8) Und so ist der Gegensatz zwischen der objektivistischen und der subjektivistischen Methode nichts anderes, als ein Gegensatz zwischen der sozialen und der individualistischen Methode. (9) Indessen bedarf die oben angeführte Definition der beiden Methoden einer weiteren Vervollständigung. Vor allem muß noch die Unabhängigkeit vom Willen, dem Bewußtsein und der Absicht des Menschen betont werden, das den Ausgangspunkt der österreichischen Schule bildet. "... diese bestimmten sozialen Verhältnisse (sind) ebensogut Produkte der Menschen, wie Tuch, Leinen usw. (10) Doch folgt daraus noch keinesfalls, daß das soziale Ergebnis, jenes "Produkt", von dem bei MARX die Rede ist, im Bewußtsein der Subjekte als Ziel oder treibendes Motiv enthalten sei. Die anarchisch aufgebaute moderne Gesellschaft - die Theorie der politischen Ökonomie macht eben  diese  Gesellschaft zum Gegenstand ihrer Forschung - mit ihren elementar wirkenden Kräften des Marktes (Konkurrenz, Schwankung der Preise, Börse usw.) bietet zahlreiche Jllustrationen für die Annahme, daß das "soziale Produkt" über seine Schöpfer  herrscht,  daß ferner das  Ergebnis  der Motive der individuellen (aber nicht: isolierten) Wirtschaftssubjekte nicht nur diesen Motiven selbst nicht entspricht, sondern sogar mitunter in einen krassen Gegensatz dazu gerät. (11) Das wird am besten am Beispiel der Preisbildung klar. Eine Anzahl von Käufern und Verkäufern treten auf den Markt mit einer gewissen (annähernden) Wertschätzung sowohl ihrer eigenen als auch der fremden Ware; als Ergebnis ihres Kampfes bildet sich ein gewisser Marktpreis, der keinesfalls mit den individuellen Schätzungen der überwiegenden Mehrzahl der Vertragschließenden zusammenfällt. Noch mehr, für eine Reihe von "Wirtschaftssubjekten" kann der gebildete Preis geradezu vernichtend wirken, da niedrige Preise sie zwingen können, ihre Unternehmertätigkeit aufzugeben; sie werden "ruiniert". Noch ausgeprägter tritt diese Erscheinung auf dem Wertpapiermarkt hervor, worauf gerade das "Hazardspiel" der Börse beruth. In all diesen Fällen, die für die moderne sozial-wirtschaftliche Organisation  typisch  sind, kann man von der "Unabhängigkeit" der sozialen Erscheinungen, vom Willen, dem Bewußtsein und den Absichten des Menschen sprechen; doch ist diese Unabhängigkeit keinesfalls so aufzufassen, als ob es sich um zwei Erscheinungen handle, die völlig unabhängig voneinander wären; es ist lächerlich, anzunehmen, daß die menschliche Geschichte nicht  durch  den Willen der Menschen gemacht wird, sondern außerhalb dieses Willens (eine solche "materialistische Geschichtsauffassung" ist eine bourgeoise Karikatur des Marxismus); gerade das umkehrte ist der Fall: beide Erscheinungsreihen - die Individualhandlungen und die sozialen Erscheinungen - sind auf das engste  genetisch  miteinander verbunden. Diese "Unabhängigkeit" ist ausschließlich in dem Sinne aufzufassen, daß die objektiv gewordenen Ergebnisse der individuellen Handlungen über jeden ihrer einzelnen Teile herrschen. Das "Produkt" beherrscht seinen "Schöpfer", wobei der individuelle Wille in jedem gegebenen Moment durch die bereits gebildete Resultante der Willensbeziehungen der einzelnen "Wirtschaftssubjekte" bestimmt wird: der im Konkurrenzkampf besiegte Unternehmer oder der bankrotte Finanzmann sind  gezwungen,  das Kampffeld zu räumen, obwohl sie vorher als aktive Größen, als "Schöpfer" des gesellschaftlichen Prozesses auftraten, der sich schließlich gegen sie selbst wandte. (12) Diese Erscheinung ist der Ausdruck der Irrationalität, des "elementaren" Charakters des wirtschaftlichen Prozesses im Rahmen der Warenwirtschaft, was sich so deutlich in der Psychologie des Warenfetischismus ausdrückt, der zuerst von MARX aufgedeckt und glänzend analysiert wurde. Gerade in der Warenwirtschaft findet der Prozeß der "Verdinglichung" der Beziehungen zwischen den Menschen statt, wobei diese "Dingausdrücke" infolge des elementaren Charakters der Entwicklung ein besonderes "selbständiges" Dasein führen, das einer spezifischen, diesem Dasein allein zukommenden Gesetzmäßigkeit unterworfen ist.

Und so haben wir verschiedene Reihen individueller Erscheinungen und die aus ihnen entstehenden Reihen sozialer Art vor uns; zweifelsohne existiert eine gewisse Gesetzmäßigkeit sowohl zwischen diesen beiden Kategorien (der individuellen und der sozialen) als auch zwischen den verschiedenen Reihen derselben Kategorie, insbesondere zwischen den verschiedenen Reihen der voneinander abhängigen  sozialen  Erscheinungen. In der Bestimmung der Gesetzmäßigkeit der Beziehungen zwischen den verschiedenen  sozialen  Erscheinungen, besteht eben die Methode von MARX. Mit anderen Worten: MARX untersucht die Gesetzmäßigkeit der  Ergebnisse  der verschiedenen Einzelwillen, ohne  diese selbst  als solche zu untersuchen; er untersucht die Gesetzmäßigkeit der sozialen Erscheinungen, wobei er von  ihrer Relation zu den Erscheinungen des individuellen Bewußtseins  abstrahiert. (13)

Wenden wir uns nun den "Wirtschaftssubjekten" BÖHM-BAWERKs zu.

In seinem Aufsatz über CARL MENGERs Buch ("Untersuchungen usw.) gibt BÖHM-BAWERK, in Übereinstimmung mit den Gegnern der österreichischen Schule und MENGER selbst zu, daß die "Wirtschaftssubjekte" der Vertreter der neuen Richtung nichts anderes als  Atome  der Gesellschaft sind. Die Aufgabe der neuen Schule ist "... die Absetzung der historischen und der organischen Methoden als herrschender Methoden der theoretischen Forschung in den Sozialwissenschaften ... und ... die Wiedereinsetzung der exakten,  atomistischen  Richtung". (14) (gesperrt von N. B.)

Zum Ausgangspunkt der Analyse wird hier nicht das einzelne Mitglied einer gegebenen Gesellschaft im sozialen Zusammenhang mit seinen Mitmenschen gemacht, sondern das isolierte "Atom", der wirtschaftliche Robinson. Dementsprechend sind auch die von BÖHM-BAWERK zur Erläuterung seiner Ansichten gewählten Beispiele. "Ein Mann sitzt an einer reichlich sprudelnden Quelle guten Trinkwassers" - so beginnt BÖHM-BAWERK seine Analyse der Werttheorie (15). Dann führt er vor: einen Reisenden, in der Wüste, einen von der ganzen Welt isolierten Landwirt , einen Kolonisten, "dessen Blockhütte einsam im Urwald steht" usw. Ähnliche Beispiele begegnen uns bei CARL MENGER: "der Bewohner eines Urwaldes" (16), "die Bewohner einer Oase", "ein kurzsichtiges Individuum auf einer einsamen Insel", "ein isoliert wirtschaftender Landmann" usw.

Wir finden hier denselben Standpunkte, den ehemals BASTIAT, der "süßlichste" aller Wirtschafter, so sorgfältig formulierte. In seinen "Wirtschaftlichen Harmonien" schrieb er: "Die wirtschaftlichen Gesetze wirken in derselben Weise, ob es sich nun um eine Gesamtheit von vielen Menschen handelt oder nur um zwei Individuen oder sogar nur um ein einziges Individuum, das durch Umstände gezwungen wäre, isoliert zu leben. Wenn das Individuum eine Zeitlang allein leben könnte, so würde es Kapitalist, Unternehmer, Arbeiter, Produzent und Konsument zugleich sein. Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung würde sich an ihm selbst vollzogen haben. Indem er jeden Bestandteil derselben beobachten könnte, nämlich: das Bedürfnis, die Anstrengung, die Befriedigung, die freie Nutznießung und den Nutzen der Arbeit kostet, würde er sich eine Idee vom gesamten Mechanismus, wenn auch in ihrer einfachsten Form, bilden." (17)

Und vorher: "Ich behaupte, daß die  politische Ökonomie  ihr Ziel erreichen und ihre Mission erfüllen würde, wenn sie definitive folgendes gezeigt hätte: was richtig in bezug auf eine einzelne Person ist, ist auch richtig in bezug auf die Gesellschaft." (18)

Genau dasselbe sagt auch JEVONS: "Die allgemeine Form der Gesetze der politischen Ökonomie gilt sowohl für einzelne Individuen als auch für ganze Völker." (19)

So alt und ehrwürdig dieser Gesichtspunkt auch sein mag, so ist er doch absolut falsch. Die Gesellschaft ist (wie man bewußt oder unbewußt annimmt) keine arithmetische Summe isolierter Individuen; umgekehrt setzt die wirtschaftliche Tätigkeit eines jeden Individuums eine bestimmte soziale Umgebung voraus, in der der soziale Zusammenhang der einzelnen Wirtschaften seinen Ausdruck findet. Die Motive des isoliert lebenden Menschen sind von denen des "Gesellschaftswesens" ("Zoon politikon") durchaus verschieden: ersterer hat als Umgebung nur die Natur, die Dinge in ihrer ursprünglichen Unberührtheit, letzterer nicht nur die "Materie", sondern auch das besondere  soziale  Milieu. Der Übergang vom isolierten Menschen zur Gesellschaft ist nur durch das soziale Milieu möglich. Und in der Tat: würde es sich lediglich um eine Summe von Einzelwirtschaften handeln, ohne irgendwelche Berührungspunkte zwischen denselben, würde das besondere Milieu, das RODBERTUS treffend "wirtschaftliche Gemeinschaft" nannte, fehlen, so würde auch jede Gesellschaft fehlen. Freilich ist es theoretisch durchaus möglich, auch eine Summe isolierter und getrennter Wirtschaften in einen einheitlichen Begriff zusammenzufassen, sie in eine "Gesamtheit" sozusagen hineinzudrängen. Doch würde diese "Gesamtheit" ganz etwas anderes sein als die Gesellschaft, die ein System von miteinander eng verknüpfter und in fortwährender Wechselwirkung stehenden Wirtschaften ist. Während der Zusammenhang im ersten Fall von uns selbst gebildet wird, ist er im zweiten Fall  in Wirklichkeit gegeben". (20) Und so kann das einzelne Wirtschaftssubjekt allein als Mitglied eines sozialen Wirtschaftssystems betrachtet werden, nicht aber als isoliert dastehendes "Atom". In seinen Handlungen  paßt sich das Wirtschaftssubjekt an den gegebenen Zustand der sozialen Erscheinungen an;  letztere setzen seinen individuellen Motiven Schranken oder, mit SOMBART gesprochen, "limitieren" sie (21) Das gilt nicht nur für die "ökonomische Gesellschaftsstruktur", d. h. Produktionsverhältnisse, sondern auch für die sozialwirtschaftlichen Erscheinungen, die auf  der Grundlage einer gegebenen Struktur  entstehen. So passen sich z. B. die individuellen Wertschätzungen immer den bereits gebildeten Preisen an; das Bestreben, das Kapital in einer Bank anzulegen, hängt von der jeweiligen Zinshöhe ab; die Anlage eines Kapitals in dem einen oder anderen Industriezweig wird vom Profit, den dieser Industriezweig bringt, bestimmt; die Wertschätzung einer Landparzelle hängt von ihrer Rente und der Zinshöhe ab usw. Freilich üben individuelle Motive eine "entgegengesetzte Wirkung" aus; doch muß betont werden, daß sie selbst bereits schon vorher  sozialen Inhalt besitzen,  folglich kann man aus den Motiven des  isolierten Subjekts keine "sozialen Gesetze"  ableiten. (22) Gehen wir aber bei unserer Forschung nicht vom isolierten Individuum aus, sondern setzen in seinen Motiven das soziale Moment als gegeben voraus, so würden wir in einen circulus vitiosus [Teufelskreis - wp] geraten: wir wollen das "Soziale", d. h. "Objektive" vom "Individuellen", d. h. "Subjektiven" ableiten, in Wirklichkeit aber leiten wir es vom Sozialen ab, das nennt man: "von PONTIUS zu PILATUS schicken."

Wie wir oben sahen, bilden die Motive des isolierten Individuums den Ausgangspunkt für die österreichische Schule (BÖHM-BAWERK). Freilich begegnen uns in den Arbeiten ihrer Vertreter auch ziemlich richtige Betrachtungen über das Wesen des sozialen Ganzen. Doch in  Wirklichkeit  beginnt sie ihre Forschung gleich mit der Analyse der Motive der wirtschaftenden Subjekte, unter Abstraktion von jeglichem sozialen Zusammenhang. Ein derartiger Gesichtspunkt ist eben für die neuen Theoretiker der Bourgeoisie charakteristisch und gerade diesen Gesichtspunkt führt die österreichische Schule in ihren gesamten Konstruktionen folgerichtig durch. Daraus erhellt sich, daß sie in die individuellen Motive ihrer "Gesellschaftsatome" das "Soziale" unvermeidlich einschmuggeln  muß,  sobald sie nur irgendwelche  sozialen  Erscheinungen abzuleiten versucht.  In diesem Fall muß sie aber unvermeidlich in einen gewaltigen circulus vitiosus geraten. 

Und in der Tat zeigt sich dieser unvermeidliche logische Fehler bereits bei der Analyse der subjektiven Werttheorie der österreichischen Schule, jenes Ecksteins des gesamten theoretischen Gebäudes, auf das ihre Vertreter so stolz sind. Indessen vernichtet schon allein  dieser  Fehler den Sinn der mit so viel Pfiffigkeit aufgebauten wissenschaftlich-ökonomischen Ideologie des modernen Bourgeois, "denn - wie BÖHM-BAWERK selbst richtig bemerkt - es ist eine methodische Todsünde, wenn man in einer wissenschaftlichen Untersuchung dasjenige ignoriert, was man erklären soll." (23)

Und so kommen wir zum Schluß, daß der "Subjektivismus" der österreichischen Schule, die absichtliche Isolierung des "Wirtschaftssubjekts", das Abstrahieren von den sozialen Zusammenhängen (24) unvermeidlich zum logischen Bankrott des gesamten Systems führen muß; dieses System ist genausowenig befriedigend, wie die alte Theorie der Produktionskosten, die sich hilflos in einem verzauberten Kreis drehte.

Es entsteht freilich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, das Wirtschaftsleben theoretisch zu erfassen, dessen Gesetzmäßigkeiten festzustellen, ohne daß Gesetzmäßigkeiten der individuellen Motive bestimmt werden; mit anderen Worten, ist der "Objektivismus", der die Grundlage der MARXschen Theorie bildet, möglich?

Diese Frage wird von BÖHM-BAWERK sogar bejaht: "... zwar nicht gesetzmäßige Handlungen ohne gesetzmäßige Motivation, wohl aber Kenntnis von gesetzmäßigen Handlungen ohne Kenntnis der dazugehörigen Motivation. (25) Doch nimmt BÖHM an, daß "die objektivistische Quelle der Erkenntnis ... bestenfalls nur einen recht ärmlichen, zumal für sich allein durchaus ungenügenden Teil der gesamten erreichbaren Erkenntnis beisteuern kann, da wir es im Wirtschaftsgebiet vorwiegend mit bewußten, berechneten menschlichen Handlungen zu tun haben." (26)

Demgegenüber sahen wir bereits, daß gerade die von der österreichischen Schule propagierte individualistisch-psychologische Abstraktion eine sehr kärgliche Ernte abwirft. (27) Und es handelt sich hier nicht nur um die Abstraktion als solche. Oben betonten wir gerade, daß die Abstraktion ein notwendiges Element des Erkennens ist. Der Fehler der Österreicher besteht eben darin, daß sie bei der Erforschung der sozialen Erscheinungen gerade von diesen Erscheinungen selbst abstrahieren. Sehr gut wird dieser Tatbestand von RUDOLF STOLZMANN formuliert: "Mag man die Wirtschaftstypen durch Isolieren und Abstrahieren einfach so gestalten, wie es nur angeht, aber  sozial müssen sie sein,  eine soziale Wirtschaft müssen sie zum Gegenstand haben." (28) Denn es geht nicht an, daß man vom rein Individuellen zum Sozialen übergeht; selbst wenn es in Wirklichkeit so einen historischen Übergangsprozeß gegeben hätte, d. h. wenn die Menschen aus einem isolierten Zustand zum "gesellschaftlichen Sein" tatsächlich übergegangen wären, so wäre es auch dann einzig und allein möglich, diesen Prozeß historisch und konkret zu beschreiben, das Problem somit nur rein idiographisch (kinematographisch [aus einzelnen Bildern - wp) zu lösen; auch in diesem Fall wäre es also unmöglich, eine Theorie von nomographischem [gesetzmäßigen - wp] Typus aufzustellen. Denken wir uns z. B., daß einzelne isolierte Produzenten in Verkehr miteinander träten, durch den Warentausch verbunden wären und nach und nach eine modern entwickelte Tauschgesellschaft bildeten. Nehmen wir jetzt die subjektiven Wertschätzungen des modernen Menschen. Sie gehen von den früher gebildeten Preisen aus (was weiter unten ausführlich bewiesen wird); diese Preise würden ihrerseits aus den Motiven der Wirtschaftssubjekte einer mehr oder weniger entfernt liegenden Zeit gebildet; doch waren diese Preise ihrerseits von den Preisen abhängig, die zu einer noch früheren Zeit gebildet waren; diese letzteren waren wiederum das Resultat von subjektiven Wertschätzungen, die noch auf früheren Preisen fußten usw. Wir kommen so zu allerletzt auf die Wertschätzungen der isolierten Produzenten, - Wertschätzungen, die in sich in Wahrheit gar keine Preiselemente mehr enthalten, da hinter ihnen jegliches soziale Band, jegliche Gesellschaft fehlt. Doch würde eine solche Analyse von subjektiven Wertschätzungen, die mit dem modernen Menschen beginnt und mit dem hypothetischen Robinson abschließt, nichts anderes bedeuten, als eine einfache historische Beschreibung des Verwandlungsprozesses der Motive des isolierten Menschen in die des modernen Menschen, nur daß dieser Prozeß in umgekehrter Folge geschieht. Eine derartige Analyse gibt lediglich eine einfache Beschreibung; ebensowenig könnte auf einer derartigen Grundlage eine allgemeine Preistheorie oder eine Tauschwerttheorie aufgebaut werden. Die Versuche eines solchen Aufbaus einer Theorie müssen im System unvermeidlich zu fehlerhaften Zirkeln führen, den sofern wir innerhalb des Rahmens einer allgemeinen Theorie bleiben wollen, müssen wir, statt das soziale Element zu erklären, es gerade als gegebene Größe annehmen; über diese Größe hinauszugehen - das würde, wie wir bereits sahen, bedeuten, die Theorie in Historie zu verwandeln, d. h. ein ganz anderes Gebiet der wissenschaftlichen Forschung betreten. Es bleibt uns somit nur eine Forschungsmethode übrig, und zwar ist es die Verbindung der deduktiv-abstrakten mit der objektiven Methode; diese Verbindung ist für die marxistische politische Ökonomie höchst charakteristisch. Nur so wird es möglich, eine Theorie aufzustellen, die nicht immer wieder Widersprüche in sich selbst birgt, sondern ein tatsächliches Mittel zur Erkenntnis der kapitalistischen Wirklichkeit liefert.
LITERATUR - Nikolai Bucharin, Das Elend der subjektiven Werttheorie oder die politische Ökonomie des Rentners, Wien/Berlin 1926
    Anmerkungen
    1) Im Vorwort zum ersten Band des "Kapital" bezeichnet MARX seine Methode als die deduktive Methode der klassischen Schule. Es wäre übrigens widersinnig, anzunehmen, wie das die Vertreter der historischen Schule tun, daß jedes abstrakte Gesetz mit der konkreten Wirklichkeit nichts gemein habe. "Ein exaktes wissenschaftliches Gesetz", meint einer der Vertreter der österreichischen Schule, EMIL SAX, "ist ein Induktionsschluß höchster und allgemeinster Art: als solcher, nicht als apriorisches Axiom, ist es der Ausgangspunkt der Deduktion [Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere - wp] (CONRADs Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, 8. Band, Seite 116) Eine genaue Analyse dieser Frage gibt ALFRED AMMON, Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie, Wien und Leipzig 1911.
    2) Vgl. zum Beispiel Seite 259 der "Untersuchungen" von KARL MENGER, wo ziemlich richtige Definitionen von einem wirklichen Ausgangspunkt der Theorie aus gegeben werden. Die höchste Stufe ihrer Selbsterkenntnis fand die Grenznutzentheorie bei LIEFMANN, Über Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, CONRADs Jahrbücher etc. Bd. 13, Seite 106
    3) WERNER SOMBART, Zur Kritik des ökonomischen Systems von Karl Marx, BRAUNs Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Bd. VII, Seite 591 und 592. Vgl. auch R. LIEFMANN, Über Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, Seite 5: "Das künftige methodologische Hauptproblem scheint mir der Gegensatz von individualistischer und sozialer Betrachtungsweise oder vom privaten und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt zu sein." Wir empfehlen dem Leser, die Arbeit von LIEFMANN als diejenige, die am konsequentesten und klarsten die individualistische Methode durchführt.
    4) Siehe z. B. ADAM SMITH: "An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations", London 1895, Vol. I, Seite 129: Gleiche Arbeitsquantitäten müssen überall und zu jeder Zeit als gleichwertig für den Arbeiter selbst betrachtet werden. Im durchschnittlichen Zustand an Gesundheit, Stärke und geistigem Vermögen, in der gewöhnlichen Ausstattung an beruflicher Fertigkeit und Geschicklichkeit, muß der Arbeiter immer dasselbe Maß an Leichtigkeit, eigener Freiheit und persönlichem Glück zum Einsatz bringen." Es ließen sich noch eine Reihe ähnlicher Zitate anführen. Deshalb ist die Behauptung von G. CHARASOFF in seiner Polemik gegen KAUTSKY vollständig unzutreffend, wenn er sagt: "Für uns kann kein ernsthafter Zweifel bestehen, daß die klassische Schule in ihrer Lehre vom Wertgesetz keineswegs einen individualistischen, sondern einen konsequenten gesellschaftlichen Standpunkt, ganz so, wie MARX selbst, vertreten hat" (vgl. CHARASOFF, Das System des Marxixmus, Berlin 1910, Seite 253. Andererseits trifft die Behauptung des Autors völlig zu, daß es auch marxistische Arbeiten gibt, die eine subjektivistische Deutung der MARXschen Theorie enthalten. Doch das gehört nicht hierher.
    5) WERNER SOMBART, Zur Kritik des ... etc. Seite 591
    6) WERNER SOMBART, Zur Kritik des ... etc. Seite 592
    7) KARL MARX, Kapital, Bd. 1, Seite XVI. Das Zitat ist einer Rezension KAUFMANNs entnommen, die MARX selbst anführt und mit der er vollständig einverstanden ist.
    8) BÖHM-BAWERK, Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts", HILDEBRANDs Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 13, Neue Folge, Seite 78. Ebenso MENGER, Untersuchungen über die Methoden der Sozialwissenschaften und LIEFMANN, Über Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, Seite 40
    9) Vgl. RUDOLF STOLZMANN, Der Zweck in der Volkswirtschaftslehre, Berlin 1909, Seite 59
    10) KARL MARX, Das Elend der Philosophie, deutsch von BERNSTEIN und KAUTSKY, Seite 91
    11) Schon dieser Umstand allein zerstört völlig die teleologische Auffassung von der Gesellschaft als eines "Zweckgebildes", die wir besonders ausgeprägt bei STOLZMANN finden. "Ebenso wie man im Leben der Natur jede Zweckrichtung, jede systematische Absicht, Ersparnis, Ökonomie der Kräfte ... vermißt, so auch bei den Beziehungen der Menschen untereinander" (WIPPER, Grundzüge einer Theorie der geschichtlichen Erkenntnis", Moskau 1911, Seite 162). Siehe auch die glänzende Darstellung der "Unabhängigkeit" des Ergebnisses individueller Handlungen bei ENGELS, "Ludwig Feuerbach". R. LIEFMANN klammert sich in seiner Kritik der "sozialen", d. h. der objektivistischen Methode, gerade an die Kritik der teleologischen Auffassung, wobei er behauptet, daß das von jedem Vertreter dieser Methode konsequenterweise akzeptiert werden müßte. Sogar die Marxisten (z. B. HILFERDING) klagt er der Teleologie an, über die er dann einen leichten Sieg davonträgt. In der Tat aber handelt es sich beim Marxismus um die Gesellschaft als einem subjektlosen System.
    12) "Im wirtschaftlichen Verkehr" - schreibt STRUVE - "wird das Wirtschaftssubjekt immer in seinen Beziehungen zu den anderen, ebensolchen Subjekten betrachtet; die zwischenwirtschaftlichen Kategorien (d. h. die Kategorien der Warenwirtschaft - N. B.) drücken die objektiven (oder die sich objektivierenden) Ergebnisse solcher Beziehungen aus: sie enthalten nichts "Subjektives", keinen unmittelbaren Ausdruck für die Beziehungen der Wirtschaftssubjekte zur Natur, zur Außenwelt; in diesem Sinne enthalten sie nichts "Objektives" oder "Natürliches" (P. STRUVE, Wirtschaft und Preis, Moskau 1913, Seite 25 und 26). Andererseits weist STRUVE auf das "naturalistische" Element in der Werttheorie ("geronnene Arbeit") hin und konstruiert so einen Widerspruch zwischen demselben und dem "soziologischen" Element. Vgl. damit MARX, Theorien über den Mehrwert 1, Seite 277: "Die Materialisation der Arbeit ist jedoch nicht so schottisch zu nehmen, wie ADAM SMITH es faßt. Sprechen wir von der Ware als Materiatur der Arbeit - im Sinne ihres Tauschwerts -, so ist das selbst nur eine eingebildete, d. h. bloß soziale Existenzweise der Ware, die mit ihrer körperlichen Realität nichts zu schaffen hat." "Hier kommt die Täuschung daher, daß sich ein gesellschaftliches Verhältnis in der Form eines Dings darstellt." (Seite 278)
    13) Eine derartige "universalistische Methode" bringt STRUVE mit dem logischen Realismus (im Gegensatz zur "singularistischen" Methode, die in der Logik mit dem Nominalismus zusammenhängt) in Verbindung. "In der Sozialwissenschaft" - sagt STRUVE - "äußert sich die realistische Gedankenrichtung vor allem darin, daß das System der psychischen Beziehungen zwischen den Menschen, das ist die Gesellschaft, nicht nur als eine reale Einheit, als eine Summe oder (!) ein System betrachtet wird, sondern auch als eine lebendige Einheit, als ein lebendiges Wesen gedacht wird. Solche Begriffe, wie Gesellschaft oder Klasse oder werden jedenfalls leicht hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp]" (a. a. O., Seite XI) Das alles wird von STRUVE nicht etwa zum Beweis der Untauglichkeit der MARXschen Untersuchungsmethode angeführt, die er mit dem "logisch-ontologischen Realismus HEGELs und ... der Scholastiker" (Seite XXVI) identifiziert. Indessen ist es klar, daß bei MARX auch der leiseste Hinweis darauf fehlt, daß die Gesellschaft und die gesellschaftlichen Gruppierungen als ein "lebendiges Wesen" (der Ausdruck "lebendige Einheit") ist doch etwas anderes und unbestimmteres) betrachtet werden. Es genügt, in diesem Zusammenhang die Methode von MARX etwa mit der Methode der "sozialorganischen" Richtung zu vergleichen, die zuletzt in der Arbeit STOLZMANNs vertreten wird. MARX selbst war sich vollkommen über die Fehler des HEGELschen logischen Realismus klar. "HEGEL geriet ... auf die Jllusion, das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein Konkretes geistig zu reproduzieren. Keineswegs aber ist es der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst" (KARL MARX, Einleitung zu einer Kritik der politischen Ökonomie, 2. Auflage und "Zur Kritik", Stuttgart 1907, Seite XXXVI).
    14) BÖHM-BAWERK, Zeitschrift für Privat- und öffentliches Recht der Gegenwart, Bd. XI, Wien 1884, Seite 229
    15) BÖHM-BAWERK, Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts, HILDEBRANDs Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 13, Seite 9
    16) CARL MENGER, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Wien 1871, Seite 82
    17) FREDERIC BASTIAT, Harmonies économiques", Brüssel 1850, Seite 213
    18) Hervorgehoben sei, daß BASTIAT vom isolierten Menschen als einer methodologisch nützlichen Abstraktion spricht. Historisch ist er aber für ihn nur "eine trügerische Vision von ROUSSEAU". (Siehe auch a. a. O. Seite 93 und 94)
    19) W. STANLEY JEVONS, The Theory of political economy, London/New York 1871, Seite 21. Die "Mathematiker" und die "Amerikaner" lassen dies zum großen Teil fallen. Vgl. WALRAS, Etudes d économie sociale, Lausanne/Paris 1896. Bei CLARK dominiert der Objektivismus.
    20) "Solchen von uns selbst gebildeten Gesamtheiten, die außerhalb unseres Bewußtseins gar nicht existieren, können reale, vom Leben selbst geschaffene Gesamtheiten gegenübergestellt werden. Unter den Säuglingen des gesamten europäischen Rußlands existiert kein anderer Zusammenhang als derjenige, der von unseren statistischen Tabellen gebildet wird; die Bäume im Wald befinden sich in gegenseitiger fester Wechselwirkung und bilden eine gewisse Einheit, unabhängig davon, ob sie von einem Oberbegriff erfaßt werden oder nicht." (A. TSCHUPROW, Grundzüge einer Theorie der Statistik, St. Petersburg 1909, Seite 76)
    21) Gehen wir also induktiv vom Gegebenen aus, so stoßen wir bei der Betrachtung der volkswirtschaftlichen Wirklichkeit ... auf ganze Berge von Tatsachen, die uns vor Augen führen, wie das wirtschaftende Individuum bei all seinem Wägen und Handeln vom gegebenen Bestand eines objektiven Gefüges der bestehenden Wirtschaftsordnung abhängig ist." (R. STOLZMANN, a. a. O., Seite 35
    22) "Der Ausgangspunkt jeder gesellschaftlichen Erscheinung ist stets das Individuum; aber nicht das vereinzelte Individuum, das die MARX-Kritiker ebenso wie Forscher des 18. Jahrhunderts ... untersuchten, sondern das Individuum in Verbindung mit anderen Individuen,  die Masse der Individuen  ... in der der einzelne selbst ein anderes Geistesleben entwickelt, als in der Vereinsamung." (L. BOUDIN, Das theoretische System von Karl Marx, Stuttgart 1909, Vorwort von KARL KAUTSKY, Seite XIII. - MARX selbst hat öfter die Notwendigkeit eines sozialen Gesichtspunktes sehr anschaulich geschildert. "In Gesellschaft produzierende Individuen, daher gesellschaftlich bestimmte Produktion der Individuen, ist natürlich der Ausgangspunkt. Der einzelne und vereinzelte Jäger und Fischer ... gehört zu den phantasielosen Einbildungen des 18. Jahrhunderts." (Einleitung zu einer Kritik ect. Seite XIII) "Die Produktion der vereinzelten Einzelnen außerhalb der Gesellschaft ... ist ein ebensolches Unding, wie eine Sprachentwicklung ohne  zusammen  lebende und zusammen sprechende Individuen." (ebenda) Sehr richtig bemerkt dazu RUDOLF HILFERDING: "Aus den Motiven der handelnden Wirtschaftssubjekte, die selbst aber durch die Natur der wirtschaftlichen Beziehungen determiniert werden, läßt sich nie mehr als eine Tendenz zur Herstellung der Gleichheit der ökonomischen Bedingungen ableiten: gleiche Preise für gleiche Waren, gleicher Profit für gleiches Kapital, gleicher Lohn und gleiche Ausbeutungsrate für gleiche Arbeit. Aber zu den quantitativen Beziehungen selbst komme ich auf diese Weise, ausgehend von den subjektiven Motiven nie." (Das Finanzkapital, Seite 235, Fußnote).
    23) BÖHM-BAWERK, Zum Abschluß des Marxschen Systems, in "Festgaben für Karl Knies, Berlin 1896, Seite 172. Ins Russische übersetzt von GEORGIEWSKI unter dem Titel: "Die Theorie von Karl Marx und ihre Kritik", St. Petersburg 1897
    24) Daß es sich nur um eine Abstraktion handelt, erkennen freilich auch die Österreicher an: "Der Mensch wirtschaftet nicht als isoliertes Wesen; eine Einzelwirtschaft im strikten Sinne des Wortes ist eine Abstraktion." (EMIL SAX, Das Wesen und die Aufgabe der Nationalökonomie, Wien 1884, Seite 12) Doch ist nicht jede Abstraktion zulässig. BÖHM-BAWERK bemerkt selbst dazu: daß "in der Wissenschaft auch die Gedanken und die  Logik  sich nicht ganz ungebunden von den Tatsachen entfernen dürfen ... daß man jeweils nur von jenen Besonderheiten abstrahieren darf, welche für die der Erforschung zu unterziehende Erscheinung irrelevant sind, notabene  wirklich, tatsächlich  irrelevant sind." (BÖHM-BAWERK, Zum Abschluß des Marxschen Systems, Seite 194
    25) BÖHM-BAWERK, Zum Abschluß des Marxschen Systems, Seite 201, Anmerk: "STRUVE, der diese Erkenntnismethode scholastisch nennt, spricht an anderer Stelle von der "empirisch rechtmäßigen Anwendung der universalistischen Methode". Das hindert aber denselben Autor nicht, zu erklären, daß der in der politischen Ökonomie notwendige soziologische Gesichtspunkt zu allerletzt doch nur vom Menschen, aus dessen Psyche ausgehen darf (d. h. vom "Individuum" - N. B.) Dabei will STRUVE "den Feinheiten des psychologischen Subjektivismus keine besondere Bedeutung" beimessen, als ob diese "Feinheiten" nicht notwendig logisch mit den "Grundlagen" zusammenhängen. Wie der Leser sieht, hat sich STRUVE eine sehr bequeme Position gewählt. - Negativ beantwortet die Frage BÖHM-BAWERKs LIEFMANN, a. a. O..
    26) BÖHM-BAWERK, Zum Abschluß etc., Seite 202
    27) Sogar der Anhänger der Grenznutzentheorie, JOHN KEYNES, nimmt an, daß die "Erscheinungen des industriellen Lebens in ihrem ganzen Umfang lediglich auf deduktivem Weg aus wenigen Elementargesetzen der Natur erklärt werden können." Zitat aus: Der Gegenstand und die Methode der politischen Ökonomie, Moskau 1899, Seite 70
    28) RUDOLF STOLZMANN, a. a. O., Seite 63 auch die "Soziale Kategorie", Seite 291 und 292. Vgl. auch LIFSCHITZ, Zur Kritik der BÖHM-BAWERKschen Werttheorie, Leipzig 1908, Kap. IV, besonders Seite 90 und 91