p-4SchultzSchappReimerElsenhansNatorp    
 
PAUL NATORP
Auseinandersetzung mit Husserl

"Beschreibung ist Objektivierung nicht weniger als Theorie. Wie könnte man das rein Subjektive beschreiben, ohne es eben damit zu objektivieren? Allein wie ist es dann noch - das Subjektive?"

"Da tritt dann überzeugend zutage, was sich im Hinblick auf das einzelne Erkenntniserlebnis leicht verbirgt: daß es überhaupt kein Subjektives und kein Objektives ansich gibt, sondern daß sich in einem fortwirkenden Prozeß der Objektivierung bzw. Subjektivierung der Charakter des Subjektiven und des Objektiven von Stufe zu Stufe auf andere und wieder andere Glieder überträgt, Subjektives zu Objektivem, Objektives wieder zu Subjektivem."

"Das erlebte Unmittelbare ist nicht mit dem Erleben auch unmittelbar erkannt, oder auch nur gedacht; nur erkannt aber, oder zumindest gedacht, wäre es das Wesen z. B. Ton, vollends das Wesen Dingerscheinung, und was Husserl sonst als unmittelbar erschaute Wesenheiten angibt. Man hört nicht (oder sieht, fühlt, schmeckt, riecht) Abstraktionen; das Konkrete aber, das man erlebt, ist allerdings nur durch die Abstraktionen, die es in der Tat doch nie ausschöpfen, also stets nur näherungsweise, nie abschließend - mittelbar, nie unmittelbar - zur Erkenntnis zu bringen."


Subjektivität und Objektivität nach
Husserls "Logischen Untersuchungen".

Die starke Fortentwicklung, welche LIPPS in seiner Auffassung des Begriffs und der Methode der Psychologie seit dem Jahr 1905 erkennen läßt, ist ansich gewiß eine ganz innere und selbständige; aber sie ist ebenso gewiß mitveranlaßt durch den Eindruck von EDMUND HUSSERLs Bekämpfung des "Psychologismus" und dessen Hinweis auf den neuen Forschungsweg der "Phänomenologie" (Logische Untersuchungen I, 1900; II, 1901). Auch für uns ist eine Auseinandersetzung gerade mit diesem Forscher eine unabweisliche Pflicht.

Über den ersten Punkt braucht hier nichts weiter gesagt zu werden, denn darüber fand ich mich mit HUSSERL von Anfang an auf gleicher Linie (siehe z. B. "Sozialpädagogik", 1898, § 5, und schon den Aufsatz von 1887 "Über objektive und subjektive Begründung der Erkenntnis, (Philosophische Monatshefte XXIII, Seite 257f). Überraschend aber mußte es gerade dem, der mit HUSSERL die streng objektive Begründung der Logik und der Gegenstandserkenntnis überhaupt fordert, sein, daß als Fortsetzung logischer Untersuchungen, statt der im ersten Teil nur erst geforderten und verheißenen objektiven, eine "phänomenologische" Begründung der Erkenntnis erfolgte, die jedenfalls nach unseren Begriffen psychologisch, nicht logisch zu nennen wäre. Eine subjekte, psychologische Begründung der Erkenntnis fordere zwar auch ich, aber diese kann der objektiven nicht vorhergehen, sondern nur folgen.

HUSSERL will seine Phänomenologie deshalb nicht Psychologie genannt wissen, weil sie bloß eine Beschreibung und keine Theorie geben will. Aber Beschreibung und Theorie gehören unweigerlich zusammen; Beschreibung ist Objektivierung nicht weniger als Theorie. Wie könnte man das rein Subjektive beschreiben, ohne es eben damit zu objektivieren? Allein wie ist es dann noch - das Subjektive?

HUSSERL selbst berührt die Schwierigkeit (II. Teil, Einleitung, § 3, Seite 10f). Die sekundäre Reflexion auf das psychische Erlebnis macht dieses allerdings zum "Gegenstand", aber in einem neuen, von jedem sonstigen grundverschiedenen Sinn. Es
    "ist eine Denkrichtung, die den allerfestesten, von Anbeginn unserer psychischen Entwicklung sich immerfort steigernden Gewohnheiten zuwider ist. Daher die fast unausrottbare Neigung, immer wieder von der phänomenologischen Denkhaltung in die schlicht-objektive zurückzufallen, Bestimmtheiten der primär erscheinenden Gegenstände den Erscheinungen selbst, also den faktischen psychischen Erlebnissen, zu unterschieben, ja die intentionalen Gegenstände überhaupt als phänomenologische Bestandstücke ihrer Vorstellung anzusehen". (Seite 10)
Die subjektiven Erlebnisse lassen sich direkt nur durch vieldeutige worte wie Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung und dgl. bezeichnen; daneben muß man sich mit Ausdrücken behelfen, die nicht diese Akte selbst, sondern das Gegenständliche, worauf sie sich richten, benennen. "Es ist schlechterdings nicht möglich, die meinenden Akte zu beschreiben, ohne im Ausdruck auf die gemeinten Sachen zu rekurrieren" - worin aber nur sehr indirekte Hindeutungen auf die Akte selbst liegen.

Das kommt meinen eigenen Aufstellungen recht nahe. Der wesentliche Unterschied aber ist, daß HUSSERL hier doch nicht mehr als eben eine besondere Schwierigkeit der Aufgabe der reinen Deskription des Psychischen sieht. Mir scheint es mehr zu sein. Nach HUSSERL ist die Subjektivität offenbar eine zweite Objektivität, der ersten, gewöhnlich gemeinten gleichartig und koordiniert. Das aber ist es gerade, was ich nicht als richtig erkennen kann. Es gibt die Objektivität und es gibt, als ihre Gegenseite, die Subjektivität, nicht aber noch eine zweite Objektivität: die der Bewußtseinsakte. Die Rekonstruktion der Subjektivität, eben als des Gegenbildes, gleichsam des Negativs der Objektivität, schreint aber zunächst wirklich nur darin bestehen zu können, daß man auf die vollzogene Objektivierung hinweist und aussagt, daß sie eben habe vollzogen werden, daß sie allemal einem Bewußtsein sich habe vollziehen müssen, und zwar einem Bewußtsein. Ein anderer als dieser indirekte Weg, das Subjektive zu "beschreiben", d. h. zu rekonstruieren und damit für die Reflexion überhaupt erst darzustellen, ist zunächst nicht abzusehen. Es ist aber begreiflich, daß man sich dabei nicht sogleich beruhigt; die Leistung der Psychologie scheint auf diese Weise leicht zu ärmlich und bedeutungsleer.

HUSSERL betrachtet, wie die obigen Sätze zeigen, gleich mir die Reflexion auf das Subjektive als sekundär gegenüber dem primären Akt der Setzung des Gegenstandes, das ist eine beträchtliche Näherung zu meiner Auffassung, da sonst die Meinung war und bei der großen Mehrzahl der Psychologen immer noch ist, daß wir das Subjektive voraus hätten und also auch müßten darstellen können, ohne notwendige Bezugnahme auf das Objektive, ja ohne daß eine Objektivierung überhaupt zuvor vollzogen sein müßte. Aber HUSSERL sträubt sich - begreiflich - dagegen, diesen sekundären Akt, diese durchaus künstliche Objektivierung des Subjektiven als solchen, als ganz un gar abhängig zu erkennen von dem primären Akt der eigentlichen, ursprünglich alleinigen Objektivierung. Vielmehr wird nach seiner Meinung die Reflexion auf das Subjektive nur erschwert durch die eingewurzelte Gewohnheit, die primären objektivierenden Akte nur einfach zu vollziehen und dabei nicht auch auf diese Akte selbst zu reflektieren. Die primären Objektivierungen, als die uns geläufigen, drängen sich in die sekundären Objektivierungen (der Akte der primären Objektivierungen) gleichsam ein und drohen sie zu verfälschen; es fordert eine besondere Anstrengung, sich solcher Verfälschungen zu erwehren; aber dies sei doch ansich möglich, meint HUSSERL; als müsse es auch möglich sein, das Subjektive (jene Akte) rein in sich zu erfassen. Das ist es, was mir bisher nicht hat gelingen wollen. Gelingt es etwa HUSSERL? Das wird zu prüfen sein.


Wesentliche Verschiedenheit meiner
Auffassung von der Husserls.

Ich finde mich mit HUSSERL von vornherein auf einem Weg, wenn er die reine Objektivität jedes "Bedeuteten", jedes Urteilsinhaltes betont und diese Objektivität offenbar in der Identität begründet sein läßt (Seite 43f und 94-96); wenn er demgemäß an der ganzen sensualistischen Theorie des Begriffs (LOCKEs Abstraktions-, BERKELY-HUMEs Repräsentationstheorie), desgleichen an der Abbild- und Zeichentheorie (Seite 396f) eine vernichtende Kritik übt. Auch die scheinbaren Differenzen zwischen uns über Bewußtheit, Erscheinung, Bewußtseinsakte und dgl. beruhen größtenteils auf Mißverständnissen oder bloßen Differenzen der Terminologie. Die einzige ernste sachliche Meinungsverschiedenheit zwischen uns betrifft dieselbe Frage, mit der wir uns vorher schon mit Bezug auf LIPPS zu beschäftigen hatten: die nach dem Verhältnis von "deskriptivem" Inhalt und "intentionalem" Gegenstand der Erkenntnis; eine Unterscheidung, die für HUSSERL allerdings nichts Geringeres als das Fundament der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie und Psychologie überhaupt bedeutet (Seite 339).

Ohne Zweifel ist ein radikaler Unterschied zwischen "Haben" und "Meinen", und steht dieser Unterschied in einer genauen Beziehung zu dem des subjektiv Erlebten, Unmittelbaren und des Gegenständlichen, das für uns stets nur ein mittelbar Bekanntes, ja vielmehr zunächst Unbekanntes, erst zu Erkennendes ist. Aber dieser Unterschied und Gegensatz löste sich uns auf, vielmehr vertiefte sich, zum Unterschied und Gegensatz zweier, ebendamit aber genau sich korrespondierender und reziproker Beziehungsrichtungen; und zwar handelt es sich hierbei nicht um ein- für allemal feststehende, immer gleiche Beziehungen an einem feststehenden, immer sich gleichbleibenden Substrat, der "Erscheinung"; sondern um Beziehungen, die in ununterbrochener Stufenfolge nach der einen wie anderen Seite ins Unbestimmte, ja der Möglichkeit nach ins Unendliche, derart sich fortsetzen, daß, was auf der einen Stufe der Betrachtung Inhalt oder Phänomen (Subjektives), auf einer folgenden Gegenstand (Objektives), und so auch in umgekehrter Richtung, was Gegenstand, wiederum Inhalt wird, beide also, Inhalt wie Gegenstand, das, was diese Worte besagen wollen, nicht ein für allemal sind, sondern je auf der erreichten Stufe der Erkenntnis werden, auf einer weiteren Stufe wiederum zu sein aufhören. HUSSERL aber, wie sozusagen alle, die sich sonst meinem Gedanken mehr oder weniger näher mögen, verkennen, so scheint es, auf der einen Seiten diesen Prozeßcharakter des "Seins", in einem objektiven und folglich auch subjektien Sinn, andererseits, was damit im Grunde schon gegeben ist, die gedachte Koinzidenz des so zweiseitig (objektiv wie subjektiv) zu Beziehenden im Begriff der "Erscheinung". Der letzte Grund dieser fundamentalen Verschiedenheit in der Grundauffassung der Sache ist wohl dieser: meine Psychologie hat - gleich meiner Erkenntniskritik, von der sie den Ausgang nimmt und die für sie immer richtungsweisend bleibt - nie bloß das bestimmte einzelne Erkenntnisdatum vor Augen, sondern blick auf das Ganze der menschlichen, der menschheitlichen Erkenntnis in der ununterbrochenen Folge ihrer Entwicklung von der niedersten noch rekonstruierbaren zur höchsten bisher erreichten oder absehbaren Stufe. Da tritt dann überzeugend zutage, was sich im Hinblick auf das einzelne Erkenntniserlebnis leicht verbirgt: daß es überhaupt kein Subjektives und kein Objektives ansich gibt, sondern daß sich in einem fortwirkenden Prozeß der Objektivierung bzw. Subjektivierung der Charakter des Subjektiven und des Objektiven von Stufe zu Stufe auf andere und wieder andere Glieder überträgt, Subjektives zu Objektivem, Objektives wieder zu Subjektivem. Das typische Bild dieses Fortgangs gibt die Entwicklung einer Gleichung oder besser eines unendlichen Systems von Gleichungen, die also nicht auf abschließende Lösungen, sondern auf eine ins Unendliche fortgehende Rechnung führen. Betrachtet man nun hierbei die sukzessiven, nämlich partiellen, von Stufe zu Stufe aber fortschreitenden Lösunden, so sind zwar die Größen a, b, c ... einerseits, die Größen x, y, z ... andererseits, der ganzen Bedeutung und Funktion nach, die ihnen eben in der Gleichung und zwar nur in ihr und kraft ihrer zukommt, auf jeder erreichten Stufe nicht bloß verschieden, sondern zueinander gegensätzlich, indem eben die ersteren Bekanntes, als bestimmt Angesehenes, nicht weiter zu Bestimmendes, die letzteren Unbekanntes, erst noch zu Bestimmendes bedeuten. Gleichwohl: was auf einer Stufe der Rechnung noch nicht bestimmt war, wird auf einer folgenden bestimmt und dient fortan mit zur Bestimmung weiterer, auch auf dieser Stufe eben nicht bestimmter, also "unbekannter" Größen. Auf jeder Stufe der Rechnung also hat das Bekannte wie das Unbekannte eben diesen Charakter (des Bekannten, bzw. Unbekannten) allein für diese Rechnung und zwar für dieses bestimmte Stadium derselben, nicht abgesehen von ihr; es ist, was es ist (Bekanntes oder Unbekanntes), nur in dieser genau umgrenzten Beziehung. Eben darum bedeutet auch das noch nicht Bestimmte, erst zu Bestimmende nie ein gänzlich außerhalb der Rechnung Gelegenes, ihr gegenüber überhaupt Transzendentes, dem etwa jeder beliebige Rechnungswert, oder auch gar keiner, zukommen könnte; sondern es wird durch die Gesamtheit der in der Rechnung selbst ausgedrückten Beziehungen ansich bestimmt gedacht, in dem Sinne, daß es eben bestimmte Forderungen, geforderte Beziehungen, erfüllen muß. Ja man kann sagen: durch diese Forderungen, sei es im Zusammenhang der Rechnung, obwohl als x (oder y, z ...), nicht als a (b, c ...), bestimmt. So also sagen wir, daß allgemein in der Erkenntnis jeder Art und Richtung der "Gegenstand", auch als noch nicht bestimmter, sondern erst zu bestimmender, eben hinsichtlich dieser für ihn geforderten Bestimmung, eine "Funktion der Erkenntnis" ist, und nichts außer Bezug zu ihr, "ansich" bedeuten kann; ein angebbarer Sinn desselben kann sich ja nur von einem positiven Gehalt der Erkenntnis aus und in bestimmter Beziehung auf diesen ergeben. Hierbei wird unter "Erkenntnis" aber nicht das einzelne Stadium der Rechnung allein, sondern das Ganze jener Rechnung verstanden, in der überhaupt, der Voraussetzung nach, eine Erkenntnis besteht und innerhalb welcher allein auch das einzelne Stadium seine stets nur begrenzte, transitorische Bedeutung hat. Andernfalls käme man zum Unbegriff eines "Dings-ansich" als Gegenstandes für keine Erkenntnis. Auf diese Weise bleibt für unsere Auffassung zwar stets der radikale begriffliche Unterschied des Erkannten und des erst zu Erkennenden (oder von "Inhalt" und "Gegenstand"; nur relativiert er sich in der Anwendung zu einem Unterschied dessen, was für die bestimmte Stufe der Erkenntnis Erkanntes und erst zu Erkennendes (Inhalt und Gegenstand) ist.

Nicht mehr durch dasselbe Bild der Gleichung repräsentierbar ist aber die Kehrseite dieses Sachverhalts, die uns hier vornehmlich angeht: daß nämlich der Prozeß der Erkenntnis gleichermaßen in beiden Richtungen, der der Subjektivierung wie der Objektivierung, ins Unbestimmte, ja ins Unendliche verläuft; denn nicht nur die Reihe der x, y, z ..., sondern ebenso auch die Reihe der a, b, c ... ist nicht als in sich geschlossene, auch nicht bloß nach einer, sondern nach beiden Seiten offen zu denken. Wie in den fortschreitenden Lösungen der gedachten Gleichung (oder eines Systems von Gleichungen) immer neue bekante Werte, etwa b = f (a), c = f&sub1; (a, b), d = f&sub2; (a, b, c) usw. sich sukzessiv ergeben, so kann auch der Wert a wieder als Funktion weiter zurückliegender Bestimmungsstücke vom Typus der a, b, c ... sich herausstellen; es gibt in dieser Reihe kein absolut Erstes, sondern es wird ganz allgemein, was auf einer gegebenen Stufe als vollständig bestimmt galt, in dieser auf immer primitivere Stufen zurückgehenden Betrachtung sich wieder als erst zu Bestimmendes herausstellen, d. h. der Weg der Subjektivierung verläuft ebenso wie der der Objektivierung ins Unbestimmte, der Möglichkeit nach ins Unendliche.

Das also versteht ich unter einer "genetischen" Ansich der Erkenntnis gegenüber einer "ontischen" oder einer "dynamischen" gegenüber einer "statischen"; unter einem Standpunkt der "Methode" gegenüber dem des starren "Resultats", oder des "Fieri" [Entstehendes - wp] gegenüber dem "Factum" [Gemachtes - wp]. Nur der ersteren Ansicht gemäß, nie also im Sinne einer "gegebenen", starren Lage, verstehe ich auch und ist überhaupt nur die Koinzidenz des Subjektiven und Objektiven in der Erscheinung verständlich und deren beiderseitige, subjektive und objektive Beziehung; was alles freilich sofort anfechtbar, ja absurd erscheinen muß, wenn man sich dabei eine starre Lage der Erkenntnis denkt. Der Ausdruck der Gegenstandsbeziehung als "Intention" ist gerade für diese Auffassung sehr passend, denn der Gegenstand ist ja so in der Tat auf keiner Stufe gegeben, sondern stets nur "intendiert". Aber ebensowenig gibt es für diese Auffassung ein starres Gegebensein des "Inhalts" und also die Möglichkeit einer direkten "Deskription" desselben, was ja nur der Korrelatbegriff des Gegebenseins ist; sondern an ihre Stelle tritt die "Rekonstruktion", welche nur die Gegenansicht der Konstruktion des Objekts ist und mit ihr den genetischen oder Methodencharakter, also auch den Sinn der "Intention" und zwar der nie schlechthin sich erfüllenden Intention gemein hat.


Ergebnis der Vergleichung

Schon oben wurde gegenüber HUSSERL betont, daß der "Gegenstand", da doch jedenfalls die Beziehung auf ihn bewußt sein soll, auch selbst, als der andere Terminus dieser Beziehung, nicht schlechthin außerhalb des Bewußtseins, sondern irgendwie uns bewußt sein muß; HUSSERL sagt selbst, er sei "intentional gegenwärtig" (Seite 352; BRENTANOs "intentionale Inexistenz" Seite 347), oder er spricht von "Gegenwärtigen" (Präsentieren), ja endgültiger Präsentation (Seite 588f, worüber weiterhin noch ein Wort zu sagen sein wird). Der unentrinnbare Zwang dieses Arguments dürfte nach dem soeben Ausgeführten nicht mehr leicht verkannt werden können. Der Gegenstand ist darum nicht weniger bewußt, weil er als x, nicht als a bewußt ist. Der x-Charakter des Gegenstandes aber ist zu betonen, gerade weil es dadurch ausgeschlossen wird, daß von ihm jemals als fertigem die Rede sein dürfte, und klar wird, daß es sich vielmehr stets nur um den Stufengang eines unendlichen Prozesses der Objektivierung handeln kann. Und zwar ist hierbei der Gegenstand, je nachdem der Gesichtspunkt, als endlich- oder unendlich-fern zu betrachten; endlich-fern ist der relative, durch bestimmt begrenzte Forderungen definierte Gegenstand der einzelnen Erkenntnisstufe, unendlich-fern "der" Gegenstand "der" Erkenntnis überhaupt. Selbst dieser Begriff - gerade er - ist, als reiner Methodenbegriff der Erkenntnistheorie, nicht außerhalb eines Bezugs zur Erkenntnis zu verstehen; aber er ist allerdings nur in einem allgemeinen Bezug zur Erkenntnis überhaupt, der erstere in einem bestimmten zu einer bestimmten Erkenntnisstufe zu denken. Dagegen, wenn man den unendlichen Fortgang der Erkenntnis vernachlässigt, so erscheint der Gegenstand nicht bloß starr, sondern auch ansich getrennt (choristos) von der Erkenntnis; nicht bloß stehend, sondern draußen stehend und nun nie erreichbar. Die Kluft, einmal gesetzt, bleibt ewig unüberbrückt, zumal dann ja folgerecht auch die Gegenseite: das "Gegebene", Subjektive, starr und abgetrennt gedacht werden muß. Von diesem allerdings fundamentalen Unterschied abgesehen, faßt HUSSERL das Verhältnis von Inhalt und Gegenstand, als das von Präsentation und Repräsentation, kaum wesentlich anders auf als ich. Zumindest als Idealfall wird von ihm (wie schon angedeutet wurde) auch ein völliges Einswerden von Bedeutungsintention und "Erfüllung" zugegeben, so daß der Gegenstand selbst im "phänomenologischen Inhalt" beschlossen ist (Seite 549, 588-590). Wir gehen über diese Aufstellung nur darin hinaus, daß eine solche "Erfüllung" nicht bloß einmal, sondern von Stufe zu Stufe wiederum stattfindet, andererseits freilich auch niemals eine absolute Erfüllung ist oder werden kann. Die vielleicht nächste Annäherung an den Idealismus aber erkennen wir darin, daß nach HUSSERL der Wahrnehmungsinhalt vom Denken, die "Erfüllung" von der "Intention", die Präsentation von der Repräsentation abhängig und wesentlich von ihr aus erst bestimmt wird; nur mit der Einschränkung: die Identifikation wird "vollzogen", aber nicht auch "gemeint" (Seite 622). Mir scheint, sie wird sogar nach anderen Äußerungen bei HUSSERL selbst auch "gemeint"; doch mag ein Unterschied vorschweben wie der der synthetischen Erzeugung der Erkenntnis und des analytischen Bewußtseins derselben. Dies und unzähliges Anderes muß hier ununtersucht bleiben; im Einzelnen wird auf die "Logischen Untersuchungen" wohl noch des öfteren zurückzugreifen sein.


Husserls neuer Standpunkt

Auch HUSSERL gehört indessen nicht zu den Denkern, die bei einer einmal erreichten Position dann stillstehen; sondern der erst gewonnene Standpunkt dient ihm nur als Ausgang, um rastlos und mit wachsender Kraft darüber hinaus zu streben. Der Programmaufsatz "Philosophie als strenge Wissenschaft" (Logos I, Seite 289f, 1911) läßt zumindest die Richtung seines neuen Strebens klar erkennen. In unnachgiebiger Strenge wird jetzt die reine wissenschaftliche Darstellung des Psychischen geschieden von aller und jeder Objektivierung im Natursinn. In der psychischen Sphäre gilt kein Unterschied von Erscheinen und Sein, das Psychische ist nicht selbst wieder ein Sein, das durch dahinterliegende Erscheinungen erscheint. Es ist also keine zweite Natur, sondern es gibt nur eine, die Natur; das Psychische aber ist Phänomen und nicht Natur (Seite 312). Was es ist, lehrt uns daher keine Erfahrung, so wie wir das Physische "erfahren"; das Psychische ist kein Erfahrungsgegenstand, sondern "Erlebnis", "in der Reflexion erschaut"; in wiederholten Erinnerungen freilich auch identfizierbar und sofern "erfahren", und weiter sich einordnend in einen Zusammenhang, eine "monadische" Einheit des Bewußtsein, "eine Einheit, die in sich gar nichts mit Natur, mit Raum und Zeit, Substantialität und Kausalität zu tun hat"; Ihr Index ist "die Linie der anfangs- und endlosen immanenten "Zeit", einer Zeit, die keine Chronometer ermessen" (Seite 313).

Hier ist vor allem klar erkannt, daß ursprünglich die Zeit im Bewußtsein, nicht das Bewußtsein in der Zeit ist. Und in aller Schärfe wird daraus die weitestgehenden Konsequenz gezogen: daß es überhaupt kein Dasein ist, was unter einem rein psychischen Aspekt erkannt werden kann (Seite 316f; es handelt sich hier gar nicht um eine matter-of-fact-Erkenntnis, sondern um reine "Relations of Ideas" - "Ideas aber nicht in HUMEs Sinn, als Gegensatz zu "Impressions", sondern im alten, echten Sinn der Idee als ousia: der Wesenserkenntnis; schon die "Logischen Untersuchungen" gebrauchten den Ausdruck "Ideation". So gibt er dann folgerecht auch die Bezeichnung der Methode der Psychologie als "Deskription" jetzt auf.

Es ist sehr merkwürdig, daß hiermit HUSSERL fast genau auf demselben Punkt anlangt, den wir in letzter Erwägung auch LIPPS erreichen sahen: bei der Forderung nämlich einer Psychologie, die über den ganzen Standpunkt einer zweiten Natur und folglich auch einer zweiten Erfahrung, ja über alles bloß Faktische sich erhebt und so eigentlich - Philosophie: Logik, Ethik, Ästhetik, kurz Wesens-, nicht Daseinslehre wird. Dieser Schritt war wohl notwendig, um über die tausend Irrungen und selbstgemachten Schwierigkeiten der bisherigen Psychologie endgültig hinauszukommen. Aber ein sicher gangbarer Weg psychologischer Forschung ist freilich noch nicht erreicht, wenn man auf dieser Stufe nun stehen bleibt. Sondern erreicht ist - der Platonismus und zwar ein Platonismus in seiner ersten Phase, der der ruhenden Wesenheiten. Wie aber PLATO selbst über diese dann hinausgeschritten ist zu der tieferen Ansicht von der "Kinesis" der Ideen, der Erkenntnis als "Begrenzung eines Unbegrenzten" und somit alsewigen Prozesses, so werden LIPPS und HUSSERL ihre starre Wesenswelt erst wieder in den Fluß der Bewegung zurückbringen müssen, wenn sie zu einer wahren Psychologie gelangen wollen. Nur diese, die "genetische" Ansicht gibt eine endgültige Klarheit über das Grundverhältnis des Subjektiven und Objektiven und wird dem ganzen Umfang der in dieser Urkorrelation sich zusammendrängenden Probleme gerecht.

HUSSERL kommt aber auch diesem letzten Schritt immerhin ein gutes Stück näher als LIPPS, da wenigstens die Objektivität sich ihm ganz in einen Prozeß der Objektivierung aufzulösen strebt. Nur erscheint immer noch demgegenüber das Subjektive als starr und absolut, gleich den platonischen Ideen der ersten Phase: "dastehend in dem was ist", und daher in einer unmittelbaren "Schau" auf einmal zu erfassen. So kann er schreiben (Seite 318):
    "Aber alles kommt darauf an, daß man sieht und es sich ganz zu eigen macht, daß man genau so unmittelbar wie einen Ton hören, so ein Wesen ... schauen und im Schauen Wesensurteile fällen kann."
Man darf ihn jedoch hier nur ganz beim Wort nehmen: ist denn das, was ich höre, unmittelbar - ein Ton? Wahrlich nicht dem Neugeborenen; aber auch nicht mir selbst, wenn ich, im Moment mir gleichsam neugeboren, "unmittelbar" dem Erlebten hingegeben bin, diesseits aller Reflexion. Sagt doch HUSSERL selbst: erst in der Reflexion, in der wiederholten Wiederholung (der Erinnerung) identifiziert sich der erlebte Inhalt; wie wäre es aber "Ton", wenn nicht identifiziert? Wie wäre ein "Wesen" (ousia), was nicht als Identisches gesetzt, was nicht definiert, d. h. ganz in PLATOs Sinn: aus dem "Unbegrenzten" heraus erst abgegrenzt wäre? Das erlebte Unmittelbare ist nicht mit dem Erleben auch unmittelbar erkannt, oder auch nur gedacht; nur erkannt aber, oder zumindest gedacht, wäre es das "Wesen" z. B. "Ton", vollends das Wesen "Dingerscheinung", und was HUSSERL sonst als unmittelbar erschaute Wesenheiten angibt. Man hört nicht (oder sieht, fühlt, schmeckt, riecht) Abstraktionen; das Konkrete aber, das man "erlebt", ist allerdings nur durch die Abstraktionen, die es in der Tat doch nie ausschöpfen, also stets nur näherungsweise, nie abschließend - mittelbar, nie unmittelbar - zur Erkenntnis zu bringen. Die "Wesenheiten": "Ton", vollends "Dingerlebnis" usw. sind Abstraktionen, Herauslösungen aus den ursprünglich ungelösten Komplexen und damit - Objektivierungen auf verschiedener Stufe; das Urerlebnis ist, diesen gegenüber, erst Problem, durch sie näher und näher, aber nie abschließend zu bestimmen, d. h. zu "rekonstruieren". In den "Logischen Untersuchungen" kam HUSSERL selbst bereits so weit, das Präsentsein des Inhalts, (das LIPPsche "Haben" desselben) zu ersetzen durch einen Akt des Präsentieren. Diesen Aktsinn der Erkenntnis - jeder Art Erkenntnis, Präsentation wie Repräsentation - durchdenke man recht und mache vollen Ernst mit ihm, so wird die "Deskription" notwendig zur "Rekonstruktion". Das gilt aber nicht bloß vom letzten Konkreten, vom Urerlebnis, sondern auch die reinsten "Wesenheiten" können nun nicht mehr starr verbleiben, ihre "Schau" wird vielmehr zum Erschauen, zum Erschaffen im Gedanken, zum Erdenken, weil vielmehr Ausdruck eines fortwaltenden Prozesses, als eine einmaligen Resultats. Der Begriff des "Ursprungs" erhält damit seinen präzisen, nicht mehr anfechtbaren Sinn; er bedeutet das Schöpfen aus einem unerschöpflichen Grund, aus jenen mit keine Senkblei der Abstraktion je auszumessenden "Tiefen" nicht der Psyche, sondern des Logos der Psyche, von welchen schon HERAKLIT zu sagen wußten. So wandelte sich für PLATO die unmittelbare "Schau" der Ideen in den Prozeß einer "Grundlegung", die bei keinem zunächst gelegten Grund halt macht, sondern zu jedem Grund einen immer wieder tieferen Grund zu legen als Aufgabe erkennt.

Dem unendlichen Prozeß der "Ideation" entspricht dann notwendig, und zwar als reine Umkehrung, ein ebensowenig endlich abgeschlossener Prozeß der Rekonstruktion des ursprünglich "Erscheinenden" d. h. des Subjektiven. Denn zwar ist das in der Erscheinung Erscheinende eine Idee; aber die Idee ist darum nicht die Erscheinung. Das sollte selbstverständlich sein, aber durch diese Selbstverständlichkeit ändert sich in der Tat der ganze Sinn der Erkenntnis des Subjektiven als des reinen Phänomens. Es ist nicht zu erkennen in der Ideation, aber allerdings aus ihr, durch sie, auf ihrer Grundlage; d. h.: es ist nicht zu konstruieren, aber zu rekonstruieren.
LITERATUR - Paul Natorp, Auseinandersetzung mit Husserl, Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode, Tübingen 1912