p-4A. StadlerM. StingelinSigwartF. BrentanoA. Marty    
 
KARL SCHNEIDER
Zur Kritik der
Urteilslehre Franz Brentanos

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"Was wir sehen, hören, riechen, schmecken usw., das ist und existiert als solches ohne jeden Zweifel und es kann darüber, ob wir solche Wahrnehmungsinhalte richtig benennen oder Bezug auf ihre dinglichen Träger und bewirkenden Ursachen richtig deuten, niemals aber in Bezug auf ihr Dasein oder ihre Inhaltlichkeit selbst einen Irrtum oder Zweifel geben. Eben weil im Bereich der Wahrnehmung alles ist, hat daher auch in Bezug auf sie, als auf einen gehörten, gesehenen, geschmeckten usw. Inhalt die Behauptung des Daseins keinen Sinn."

"Weil sich das Kind bisher in einer Welt voller seiender Dinge bewegte, hat es ein Existentialurteil überhaupt noch nicht gefällt; erst wenn es aus diesem Unschuldszustand heraustritt, wenn es erfährt, daß es die gute Fee oder den bösen Zauberer, an die es bisher glaubte, in Wirklichkeit gar nicht gibt - erst in diesem Augenblick fällt das Kind das erste Existentialurteil, das aber darum selbstverständlicherweise kein positives, sondern ein negatives ist und sein muß."

"Dieser Sinn der Existentialbehauptung ist nicht etwa auf solche Phantasievorstellungen beschränkt, die sich unmittelbar auf Wahrnehmungsinhalt oder körperliche Dinge beziehen, sondern gilt auch für Vorstellungen rein unsinnlicher Art, da ja auch bei diesen die Frage nach ihrer Wirklichkeit oder Unwirklichkeit nur in dem bezeichneten Sinn gestellt werden kann; denn wer etwa behauptet, daß es Freundschaft, Selbstlosigkeit, Aufopferung, eine ewige Gerechtigkeit usw. wirklich gibt, mit damit selbstverständlich nicht, daß es den Begriff oder die Vorstellung dieser Eigenschaften, Betätigungsweisen usw. gibt, sondern daß Arten und Zusammenhänge des Handelns, deren Bewertung im Sinne bestimmter sittlicher Maßstäbe der Sinn des Begriffes ist, in der Welt des Wahrnehmens und unmittelbaren Erlebens zutage treten. Immer liegt also der Existentialbehauptung zumindest der Möglichkeit nach die Erwartung einer der Vorstellung entsprechenden Wahrnehmung zugrunde; und für diesen gemeinsamen Sinn aller positiven Existentialurteile ist es ohne Bedeutung, wie in erkenntnistheoretischer Hinsicht das einzelne Existentialurteil bewertet werden muß."

In diesen bisherigen Betrachtungen ist das sogenannte "subjektlose" Urteil nur nach seinem unmittelbaren Inhalt betrachtet und gezeigt worden, daß in Bezug auf diesen Inhalt selbst die Auffassung dieser Sätze als "eingliedriger" Urteile nicht aufrecherhalten werden kann. Mit diesem Nachweis sind jedoch die Fragen, die sich aus der Urteilslehre BRENTANOs in Bezug auf diese Sätze ergeben, noch nicht erschöpft; vielmehr bedarf eine Reihe weiterer Aufstellungen und Folgerungen, die aus ihr und in Verbindung mit ihr teils von BRENTANO selbst, teils in einer Weiterbildung dieser Lehre von seinen Anhängern geltend gemacht worden sind, der näheren Prüfung. So muß vor allem, abgesehen vom Verhältnis der "kategorischen" Urteile zur Existentialbehauptung, untersucht werden, in welcher Beziehung die vermeintlich "subjektlosen" sogenannten Impersonalsätze zu den schon erwähnten unmittelbaren Wahrnehmungsurteilen stehen, die nach bisheriger allgemeiner Ansicht den einfachsten Fall der Urteile oder jedenfalls doch der kategorischen Urteile darstellen. Soll doch nach BRENTANOs Deutung sowohl beim "subjektlosen" Urteil von der Form "es blitzt", wie beim Wahrnehmungsurteil von der Form "dies ist ein Blitz" der Gehalt des Urteils nicht restlos durch die sprachliche Form ausgedrückt werden, sondern beide Urteile einen über den ausgedrückten unmittelbaren Inhalt hinausgehenden Sinn besitzen, der in beiden Fällen in der "Bejahung" der "Vorstellung" des Blitzes bestehen soll; diese auf einen wahrgenommenen Inhalt bezogene Bejahung soll die über den sprachlich bezeichneten Inhalt hinausgehende, letztlich mit der Existentialbehauptung zusammenfallende Bedeutung beider Urteile ausmachen. Es muß also, ehe die Frage nach dem Wesen und den Voraussetzungen der Existentialbehauptung aufgeworfen und damit der entscheidende Punkt von BRENTANOs Urteilslehre berührt wird, noch gefragt werden, ob die behauptete Gleichsinnigkeit der "subjektlosen" Urteile mit den einfachsten Wahrnehmungsurteilen wirklich vorhanden ist, oder ob eine nähere Betrachtung nicht vielmehr ein anderes Verhältnis dieser zweifellos in enger Beziehung zueinander stehenden Urteilsgattungen als das tatsächlich bestehende erweist.

Und in der Tat dürfte es nicht schwer sein, zu zeigen, daß das Verhältnis dieser beiden Urteilsarten ein anderes als das der völligen Gleichsinnigkeit und bedingungslosen Vertauschbarkeit ist. Ein Urteil von der Form "es blitzt" enthält, wie schon erörtert, ansich keinen Hinweis auf einen bestimmten Vorgang, der in diesem Satz seine Beurteilung findet; sein unmittelbarer Inhalt ist vielmehr nur, daß überhaupt und irgendwo ein Blitzen stattfindet. Soll also dieser Satz dennoch als Aussage über einen bestimmten Vorgang im Sinn des Satzes: "dies war ein Blitz" gemeint und verstanden werden können, so muß dieses Urteil, wenn auch vielleicht nicht in sprachlicher Form, offenbar dem Sprechenden wie dem Hörenden als Grundlage und eigentlicher Sinn des tatsächlich gefällten und gehörten Urteils gegenwärtig sein. Um die Aussage machen zu können: "es blitzt", muß ich mit anderen Worten das Urteil: "dies ist (war) ein Blitz" oder "dies sind (waren) Blitze" bereits sowohl überhaupt wie in Bezug auf den in Rede stehenden Vorgang gefällt haben; sonst wäre es ja offenbar unmöglich, daß das ansich ganz allgemeine Urteil "es blitzt" doch auf einen bestimmten Vorgang sich beziehen und als Aussage über diesen verstanden werden könnte. Das gilt selbstverständicherweise für alle Urteile dieser Art, sofern sie sich auf eine bestimmte Zuständlichkeit oder einen einzelnen Vorgang beziehen sollen, gleichgültig, ob darin ausgesagt wird, daß "es" blitzt, donnert, friert, sommert, an Geld fehlt, getanzt wird, oder welche Bestimmung auch immer diesem durch "es" bezeicheten allgemeinen Subjektsbegriff beigelegt werden mag. Denn auch ein der Form nach vielleicht wirklich subjektloses Urteil wie "pugnatur" [kämpfen - wp] ist doch erst dann denkbar, wenn sowohl dem Sprechenden wie dem Hörenden bereits bekannt ist, was der Begriff des Kampfes bedeutet, d. h. wenn sie in Bezug auf bestimmte wahrgenommene oder auch nur vorgestellte Ereignisse das Urteil "dies ist ein Kampf" bereits gefällt haben: was klar beweist, daß dieses Wahrnehmungsurteil, nicht aber der Impersonalsatz die ursprüngliche Urteilsgattung ist. Vollends deutlich wird dieses Verhältnis, wenn wir uns auf den Sinn eines Urteils, wie "es sommert", zu besinnen suchen: es ist ganz klar, daß sich dieses Urteil nicht im Sinne einer zeitlichen Bestimmung erschöpft, sondern daß es eine ganze Reihe von zweigliedrigen Wahrnehmungsurteilen, wie "es ist warm", "die Bäume sind grün", "die Früchte reifen", voraussetzt und in ihnen seinen Sinn findet. Alle dieser Urteile und noch viele weitere dazu faßt dieses Urteil zusammen und bringt sie auf einen einfachsten Ausdruck; weit entfernt, die nicht weiter zurückführbare "Bejahung der Vorstellung Sommer" zu sein, stellt ein solches Urteil vielmehr einen Inbegriff von Wahrnehmungsurteilen in Verbindung mit weiteren Bestimmungen zeitlichen und sachlichen Inhalts dar, wie er erst auf einer verhältnismäßig späten Stufe der geistigen Entwicklung entstehen konnte; und es bedeutet daher eine völlige Verkennung, ja geradezu die Umkehrung des wirklichen Verhältnisses der "subjektlosen" Sätze dieser Art zu den unmittelbaren Wahrnehmungsurteilen, wenn man ein solches Urteil als bedeutungsgleich mit einem Wahrnehmungsurteil oder gar, wie dies von den Anhängern BRENTANOs namentlich MARTY zu erweisen suchte, als Urform und Grundlage der Urteie überhaupt auffassen und ihm zugleich den Sinn der Existentialbehauptung beilegen will.

In Wahrheit kann vielmehr über das Verhältnis, in dem die vermeintlich subjektlosen Impersonalsätze und die einfachsten Wahrnehmungsurteile zueinander stehen, nach diesen Ausführungen kein Zweifel sein. Der "Impersonalsatz": "es blitzt" setzt das Wahrnehmungsurteil: "dies ist ein Blitz" voraus und begreift es in sich; aber es ist damit doch nicht bedeutungsgleich: er deutet vielmehr das Wahrnehmungsurteil um, indem er, statt über den Vorgang oder die Erscheinung lediglich als solche eine Aussage zu machen, diese einem als bekannt gedachten dinglichen Träger, der sprachich durch ein allgemeines Fürwort oder auch durch die bloße Zeitwortform seine andeutende Bezeichnung findet, als dessen Zustand, Tun oder Wirkung zuschreibt. Mit anderen Worten: es ist nicht die Wahrnehmung selbst, die ein solcher "Impersonalsatz" zum Ausdruck bringt, sondern eine Deutung oder Theorie der Wahrnehmung im Sinne ihrer Zusammenfassung und Erklärung. Durch unsere allgemeine geistige Entwicklung gewöhnt, die ursprünglich rein für sich betrachteten Vorgänge und Erscheinungen innerhalb unseres Wahrnehmens als Eigenschaften bestimmter Dinge oder als Wirkungen handelnder Menschen oder sonstiger Kräfte zu betrachten, fassen wir in einem "Impersonalsatz" dieser Art auch den gesehenen Blitz als Wirkung eines - wenn auch tatsächlich nicht bekannten, so doch als bekannt unterlegten - Dinges oder Wesens auf, wenn wir dazu übergehen, den "subjektlosen Impersonalsatz": "es blitzt" anstelle des Wahrnehmungsurteils "dies ist ein Blitz" zu setzen und damit die in Frage stehende Erscheinung nicht nur zu beurteilen, sondern auch in allgemeinster Weise zu erklären; und das Gleiche gilt sinngemäß für alle weiteren Beispiele, die in der Erörterung dieser Frage teils von BRENTANO selbst, teils von seinen Anhängern beigebracht wurden. Daß aber im Sinne dieser Auffassung das "subjektlose" Urteil nicht als eine letzte und unzurückführbare Bewußtseinstatsache gelten kann, wie im Sinne von BRENTANOs Lehre beispielsweise HILLEBRAND (a. a. O., Seite 26) allgemein das Urteil aufgefaßt wissen will, liegt auf der Hand. An der vollkommenen Verkennung des Wesens des Urteils, wie sie sich in dieser Ansicht ausspricht, dürften freilich gewisse Unklarheiten und unhaltbare Anschauungen, die bei BRENTANO sowohl in Bezug auf das Wesen des Urteils wie sein Verhältnis zur Wahrnehmung zutage treten, nicht ohne Schuld sein. Wäre es richtig, daß - wie BRENTANO behauptet - jede Wahrnehmung schon zu den Urteilen zählt, daß also auch die einfache Feststellung des Daseins eines Wahrnehmungsinhaltes als ein gegebenes "dies" ein Urteilen darstellt, so müßte allerdings wohl das Urteil als eine letzte Bewußtseinstatsache anerkannt werden; denn das Auftreten solcher Wahrnehmungsinhalte gehört unzweifelhaft zu den letzten Gegebenheiten allen Bewußtseinslebens. So sicher es indessen ist, daß auch diese einfachste Art des Wahrnehmens schon ein Erkennen genannt werden muß, so ist doch eben so gewiß, daß sie keinen Anspruch auf den Namen eines Urteils hat; und zwar aus dem einfachen Grund, weil in Bezug auf die bloße Feststellung eines vorhandenen "dies" nicht die Frage nach "wahr" oder "falsch" gestellt werden kann, Urteile aber allgemein jene Bewußtseinsgebilde sind, in Bezug auf die sie diese Frage eine sinngemäße Anwendung finden kann. Gewiß ist ansich der Begriff der Wahrnehmung vieldeutig (vgl. darüber: Der Begriff der Wahrnehmung von WILHELM ENOCH, Hamburg 1890, Seite 102), und man mag im weiteren Sinne auch das näher bestimmte Urteil, sofern es sich auf einen unmittelbar gegenwärtigen Inhalt bezieht, den Wahrnehmungen zurechnen können; nur wird dadurch nicht aufgehoben, daß Wahrnehmen und Urteilen trotzdem nicht allgemein zusammenfallen, und daß die einfache Wahrnehmung eines vorhandenen "dies" oder "etwas" als solche noch kein Urteil ist. Wenn ferner im Sinne BRENTANOs die anerkennende oder leugnende Haltung des Ichs einem Vorstellungsinhalt gegenüber als die eigentliche seelische Grundlage des Urteils anerkannt wird, so läßt auch diese Auffassung allerdings die Deutung des Urteils als einer nicht weiter zurückführbaren seelischen Grundtatsache zu. Indessen hat gegenüber dieser Auffassung BRENTANOs schon ENOCH (a. a. O. § 51) mit Recht eingewandt, daß eine Anerkennung im Sinne eines Für-wahr-nehmens oder Für-wahr-haltens einen unbezweifelbaren Sinn nur gegenüber einem Satz, einer ausgesprochenen oder unausgesprochenen Behauptung, nicht aber gegenüber einem Gedanken, einem absoluten Sinneninhalt oder bloßen Vorstellungsinhalt besitzt, daß es daher völlig unmöglich ist, einen Vorstellungsinhalt als solchen anzuerkennen oder zu verwerfen; die Zumutung einer solchen Anerkennung oder Verwerfung erscheint ihm nicht wesentlich verschieden von dem Ansinnen, etwa die Tugend zu vergolden oder zu versilbern. Das deutet offenbar darauf hin, daß das Wesen des Urteils so wenig in einem "Anerkennen" besteht, wie es ohne weiteres mit der Wahrnehmung zusammenfällt. BRENTANOs Annahme einer bejahenden oder verneinenden Haltung des Subjekts als der letzten Bedingung der Urteilsfällung übersieht eben, daß auf diese Weise gültige Bestimmungen in Bezug auf die Objekte der Wahrnehmung und ihre gegenseitigen Beziehungen gar nicht ausgesagt werden können; denn da es eine solche Bestimmung, wenn man sie überhaupt als "Anerkennung" auffassen will, nur mit der Anerkennung eines objektiven Sachverhalts zu tun haben, nur als solche wahr oder falsch sein kann, so ist klar, daß auch der Grund einer solchen "Anerkennung" oder "Leugnung" nur in der dem Urteil zugrunde liegenden Wahrnehmungs- oder Vorstellungsgegebenheit, nicht aber in einer - doch notwendigerweise als willkürlich veränderlich zu denkenden - bejahenden oder verneinenden Haltung des Urteilenden diesen Inhalt gegenüber liegen kann.

Diese Darlegungen müssen wohl ansich schon genügend erscheinen, um BRENTANOs Urteilslehre in ihrem einen wesentlichen Punkt, daß nämlich eingliedrige, einen "Vorstellungs"-Inhalt anerkennende oder leugnende Urteile mit dem Sinn der Existentialbehauptung die Grundlage und den eigentlichen Inhalt der sogenannten "kategorischen" Urteile bildeten, als irrtümlich darzutun. Denn wenn es solche eingliedrige Urteile in der Erfahrung überhaupt nicht gibt, die als solche aufgefaßten "subjektlosen" Impersonalsätze vielmehr trotz einer gewissen ihnen im einzelnen Fall zuzusprechenden Vieldeutigkeit sich doch stets als richtige zweigliedrige Urteile mit Subjekt und Prädikat ausweisen, während sie andererseits zweigliedrige Wahrnehmungsurteile zur Voraussetzung haben und nur durch solche ihr Sinn bestimmt werden kann, so sind die Auffassung BRENTANOs vom Wesen dieser Urteile, wie die daraus gezogenen Folgerungen eben notwendigerweise als unhaltbar erwiesen. Die erschöpfende Behandlung des Gegenstandes verlangt jedoch, daß wir uns auch mit der weiteren Anschauung BRENTANOs befassen, wonach die vermeintlich eingliedrigen Urteile der genannten Art auch den Sinn einer Existentialbehauptung hätten; und diese Anschauung ist umsomehr der Untersuchung wert, als sie, wie schon erwähnt, nicht nur von BRENTANO und seinen Anhängern vertreten wird, sondern auch wesentlich anders gerichtete ältere und jüngere Philosophen in Bezug auf das Verhältnis vom einfachsten Wahrnehmungsurteil oder Impersonalsatz und Existentialbehauptung im Wesentlichen den gleichen Standpunkt einnehmen. Eine Entscheidung darüber, ob zwischen diesen Urteilsarten tatsächlich das Verhältnis der Gleichsinnigkeit besteht, oder ob vielleicht auch diese Annahme als unhaltbar verworfen werden muß, muß natürlich die Untersuchung des Existentialurteils nach Bedeutung und Voraussetzung, und damit eine Betrachtung der Begriffe des Seins und der Existenz überhaupt zum Ausgangspunkt nehmen. Es ist wohl ganz unbestritten und keines Beweises bedürfnit, daß alles, was dem Bereich der Wahrnehmung angehört, damit und als solcher Inhalt ohne weiteres auch der Welt des Seienden oder Wirklichen zugesprochen werden muß. Was wir sehen, hören, riechen, schmecken usw., das "ist" und "existiert" als solches ohne jeden Zweifel und es kann darüber, ob wir solche Wahrnehmungsinhalte richtig benennen oder Bezug auf ihre dinglichen Träger und bewirkenden Ursachen richtig deuten, niemals aber in Bezug auf ihr Dasein oder ihre Inhaltlichkeit selbst einen Irrtum oder Zweifel geben. Eben weil im Bereich der Wahrnehmung alles "ist", hat daher auch in Bezug auf sie, als auf einen gehörten, gesehenen, geschmeckten usw. Inhalt die Behauptung des Daseins keinen Sinn; und es ist daher schon aus diesem Grund notwendigerweise ein Irrtum, wenn nicht nur von Anhängern von BRENTANOs Urteilslehre überhaupt, sondern auch von LIPPS (Grundzüge der Logik, Seite 294? [Es gibt keine Seite 294. - wp] dem "einfachen oder primitiven Wahrnehmungsurteil" der Sinn der Existentialbehauptung untergelegt werden konnte. Überall ist vielmehr bei diesen Urteilen zwar das Bewußtsein eines Wahrgenommenen und darum Seienden, das seine Bezeichnung in einem hinweisenden "dies" findet, sowohl beim Sprechenden wie beim Hörenden vorausgesetzt; behauptet aber wird aus eben diesem Grund dieses Dasein nicht, sondern der Inhalt dieser Urteile ist stets die Feststellung einer Übereinstimmung innerhalb dieser Wirklichkeit, die, mag man sie mit SIGWART als "Synthese" von Subjekt und Prädikat, mit CORNELIUS als Einreihung des Subjekts in eine bestimmte Ähnlichkeitsreihe oder wie auch immer auffassen, jedenfalls mit der Existentialbehauptung nicht zusammenfällt. Wie in Bezug auf Wahrnehmungsinhalte, so gilt das gleiche Verhältnis aber offenbar auch in Bezug auf die andere große Gruppe der Bewußtseinsinhalte, nämlich die Vorstellungen, solange wir diese in ihrer unmittelbaren Gegebenheit betrachten. Jede "Vorstellung", sei sie ein Erinnerungsbild oder eine eigentliche Phantasievorstellung, ist offenbar als solche "wirklich", sie "existiert", und die Frage nach Existenz, Dasein oder Wirklichkeit, die bei den Wahrnehmungen überhaupt sinn- und gegenstandslos ist, wird hier erst dann möglich, wenn wir die Vorstellung nicht als solche, sondern als Vertreterin einer Sinneswahrnehmung oder eines Zusammenhangs von solchen auffassen und betrachten. Diese Eigenschaft, sich auf einen Wahrnehmungsinhalt zu beziehen, ihn "symboisch zu vertreten" (siehe CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Kapitel 4) kommt natürlich von Haus aus jeder Vorstellung zu; das besagt aber doch nicht, daß mit dem Auftreten einer Vorstellung jedesmal auch die Fällung eines Existentialurteils Hand in Hand geht: vielmehr erfolgt die Fällung eines solchen Urteils immer erst unter einer besonderen Voraussetzung, deren Betrachtung zugleich auf gewisse wichtige Besonderheiten und Unterschiedenheiten dieser Urteilsgattung von den anderen Urteilen ein aufklärendes Licht wirft.

Die ersten "Vorstellungen", die uns in der Entwicklung unseres Bewußtseins als dessen Inhalte entgegentreten, sind bekanntlich die Erinnerungen. Die Wahrnehmungsinhalte, auf die sich diese Vorstellungen beziehen, die Dinge, die durch sie vertreten werden, sind dem ursprünglichen Bewußtsein genau in dem gleichen Maß "wirklich", sie haben den gleichen Grad von "Existenz", als ob sie unmittelbar wahrgenommen - oder aufgrund einer Wahrnehmung erschlossen - würden; dergestalt, daß dem ursprünglichen Bewußtsein die Tatsache, daß es lediglich innerliche Bewußtseinsinhalte und nicht äußere Wahrnehmungen sind, die den aufgrund dieser Vorstellungen gefällten Urteilen zugrunde liegen, gar nicht zur Feststellung gelangt. Auch die ersten eigentlichen, d. h. auf der Verknüpfung von Erinnerungsbildern und Merkmalen von solchen zu neueren inneren Anschauungen beruhenden Phantasievorstellungen, die in einem sich entwickelnden Bewußtsein entstehen, nehmen an dieser Wirklichkeitsgeltung der Erinnerungen teil. Daher "glaubt" das Kind auf der ersten Stufe der geistigen Entwicklung bekanntlich nicht nur jede Vorstellung und Vorstellungsverbindung, die durch Erzählen und Schildern in ihm hervorgerufen wird, sondern es schreibt auch den Schöpfungen seiner eigenen Phantasie die gleiche Wirklichkeitsbedeutung zu; eine Tatsache, der bekanntlich für die Psychologie und Pädagogik des Kindes große Bedeutung zukommt. Dieser unbedingte Glaube des Kindes an die Wirklichkeit seiner Phantasievorstellungen, d. h. an die sinnenfällige Erlebbarkeit der durch diese vertretenen Wahrnehmungsinhalte, wird erst erschüttert, wenn dem Kind zum ersten Mal als Erfahrung oder Möglichkeit die Erkenntnis ins Bewußtsein tritt, daß einem solchen Vorstellungsinhalt ein wirklicher, also der Sinnenwelt angehörigen Erlebnisinhalt nicht notwendigerweise entsprechen muß. Bis zum Eintritt dieser Erkenntnis konnte das Kind, eben weil es sich in einer Welt voller "seiender" Dinge bewegte, ein Existentialurteil überhaupt noch nicht fällen; erst wenn es aus diesem Unschuldszustand heraustritt, wenn es erfährt, daß es die gute Fee oder den bösen Zauberer, an die es bisher glaubte, "in Wirklichkeit" gar nicht gibt - erst in diesem Augenblick fällt das Kind das erste Existentialurteil, das aber darum selbstverständlicherweise kein positives, sondern ein negatives ist und sein muß. Genau wie wir also zum Begriff der Tugend nur dadurch gelangen, daß wir Handlungen und Gesinnungsbetätigungen erleben, deren Abweichung von einer bestimmten, uns ursprünglich gegebenen oder durch Belehrung vermittelten Regel des Verhaltens uns diese Abweichung gewissermaßen mit einem sittlich-negativen Vorzeichen versehen läßt, was dann gleichzeitig zur Folge hat, daß wir die Beobachtung der Regel "positiv" bewerten und so den Begriff der Tugend als Wertsetzung bilden; genau wie wir nichts von Größe wüßten, wenn es keine Kleinheit, nichts von Schönheit, wenn es keine Unschönheit gäbe: genauso gelangen wir auch zum Begriff des Seins oder der Existenz erst dadurch, daß wir in der bezeichneten Weise das Nichtsein erleben. Besäßen wir Menschen nicht die Fähigkeit, unsere Erinnerungsbilder - willentlich oder unwillentlich - zu Phantasievorstellungen zu verknüpfen, denen ein Wahrnehmungsinhalt nicht notwendig zu entsprechen braucht; könnten wir keine Dinge oder Wesen erdenken, die nicht dem Bereich der Wahrnehmung angehören, oder könnten wir wirklichen Dingen und Wesen nicht Zustände und Handlungen andichten, denen gleichfalls keine Wirklichkeit entspricht, so würden wir nie ein negatives - und eben darum nie ein positives Existentialurteil fällen; denn wo alles "ist", hat die Behauptung des Daseins keinen Sinn. Erst wenn wir in der bezeichneten Weise ein Nichtsein, d. h. die so unbestimmte Unwirklichkeit erlebt haben, entsteht vielmehr für uns die Möglichkeit, beim Auftreten einer neuen Phantasievorstellung die Frage zu stellen, ob sie denn auch "wirklich" ist, d. h. ob die durch sie vertretenen Wahrnehmungsinhalte erlebbar wären, die durch sie dargestellten Dinge als eine "Existenz" hätten oder nicht; und die Bejahung oder Verneinung dieser Frage ist der einzige Sinn des Existentialurteils. Dieser Sinn der Existentialbehauptung ist nicht etwa auf solche Phantasievorstellungen beschränkt, die sich unmittelbar auf Wahrnehmungsinhalt oder körperliche Dinge beziehen, wie etwa den bekannten "goldenen Berg" HUMEs, sondern gilt auch für Vorstellungen rein unsinnlicher Art, da ja auch bei diesen die Frage nach ihrer Wirklichkeit oder Unwirklichkeit nur in dem bezeichneten Sinn gestellt werden kann; denn wer etwa behauptet, daß es Freundschaft, Selbstlosigkeit, Aufopferung, eine ewige Gerechtigkeit usw. wirklich gibt, mit damit selbstverständlich nicht, daß es den Begriff oder die Vorstellung dieser Eigenschaften, Betätigungsweisen usw. gibt, sondern daß Arten und Zusammenhänge des Handelns, deren Bewertung im Sinne bestimmter sittlicher Maßstäbe der Sinn des Begriffes ist, in der Welt des Wahrnehmens und unmittelbaren Erlebens - gegebenenfalls in einem Erleben nach dem Tod - zutage treten. Immer liegt also der Existentialbehauptung zumindest der Möglichkeit nach die Erwartung einer der Vorstellung entsprechenden Wahrnehmung zugrunde; und für diesen gemeinsamen Sinn aller positiven Existentialurteile ist es ohne Bedeutung, wie in erkenntnistheoretischer Hinsicht das einzelne Existentialurteil bewertet werden muß. Diese erkenntnistheoretische Bedeutung kann allerdings unter verschiedenen Existentialurteilen sehr ungleichartig sein, je nachdem die Behauptung aufgrund einer Erinnerung, eines logischen Schlusses oder im Sinne einer letztlich auf Hoffnungen und Gefühlen beruhenden Glaubensüberzeugung gefällt wird. Der letzte Fall ist es offenbar, auf den BRENTANOs Anschauung, daß alle Anerkennung einer Existenz auf einem gewissermaßen willensmäßigen Verhalten des Subjekts gegenüber dem vorgestellten Objekt beruth, letztlich zurückgeht; er übersah dabei nur, daß gerade Urteile dieser Art jedenfalls nicht das ursprüngliche Existentialurteil darstellen, so daß, selbst wenn man für diesen Fall - wie z. B. dem obigen Urteil - "es gibt eine ewige Gerechtigkeit" usw. - dem Willen Einfluß auf die in einem Urteil ausgesprochene "Anerkennung" der jeweiligen Vorstellung zugestehen will, dieses Verhältnis doch nicht als die allgemeine und ursprüngliche Bedingung der Existentialbehauptung gelten kann; wie auch sicherlich bei all jenen Existentialurteilen, deren Grundlage die Erinnerung ist - und diese Gattung stellt allein den ursprünglichen und eigentlichen Fall des Existentialurteils als einer Tatsachenbehauptung dar - eine Abhängigkeit des in diesen Urteilen zum Ausdruck gelangenden Erfahrungsbesitzes von unserem Willen nicht besteht.

Die obigen Feststellungen bedeuten aber für die Bewertung von BRENTANOs Lehre vom Existentialurteil und seiner Beziehung zum Urteil überhaupt einen erheblichen Gewinn. Zunächst geht aus diesen Ausführungen hervor, daß ein Existentialurteil niemals ein Urteil über einen gegenwärtigen Wahrnehmungsinhalt sein kann; damit ist aber ohne weiteres gesagt, daß - im Gegensatz zu der von BRENTANO und so vielen anderen oben zum Teil genannten Philosophen vertreetenen Anschauung - dem Wahrnehmungsurteil nicht der Sinn einer Existentialbehauptung zukommt. Wie wir oben sahen, daß das Urteil "es blitzt" kein eingliedriges Urteil im Sinne BRENTANOs ist, so zeigte sich jetzt auch, daß sein Sinn nicht die Existentiabehauptung: "Blitzen ist" ausmacht; einfach darum, weil niemand die Frage aufgeworfen hatte, ob es so etwas wie Blitzen in der Welt der Wirklichkeit gibt. Damit ist zugleich die Auffassung BRENTANOs widerlegt, der zufolge die Existentialbehauptung die Grundform aller Urteile bildet; denn wenn diese sich nur auf einen nicht gegenwärtigen Inhalt beziehen kann, so fällt eben ein großer, wenn nicht der größte Teil aller gefällten Urteile außerhalb ihres Bereichs. Die gleiche Folgerung ergibt sich aus der weiteren obigen Feststellung, daß das Existentialurteil stets auf eine, sei es ausdrückich oder in Gedanen, vorgelegte Frage, nämlich die Frage nach einer Existenz, mit Ja oder Nein Antwort gibt; denn das bedeutet, daß die ganze Gruppe der von SIGWART (Logik I, dritte Auflage, Seite 155f) sicherlich mit Recht von den bejahenden und verneinenden Urteilen unterschiedenen schlechtin positiven Urteile nicht zu den Existentialurteien gehört. Das Existentialurteil bildet vielmehr, das ist das ganz klare Ergebnis dieser Untersuchung, eine Urteilsklasse für sich, die sich von den anderen Urteilen durch bestimmte Besonderheiten unterscheidet und deren Sinn, Voraussetzung, Aufbau und Stellung in der Gesamtheit der Urteile festzustellen offenbar eine wichtige Aufgabe der Logik und Psychologie bildet.

In diesen Aufgabenbereich fällt zweifellos die Untersuchung von BRENTANOs Urteilslehre zugrunde liegende Voraussetzung, daß, wie der "Impersonalsatz", auch das Existentialurteil unzweifelhaft ein "eingliedriges" Urteil ist, dessen Wesen in der "Anerkennung" oder "Leugnung" einer Vorstellung besteht. Diese Auffassung gehört freilich nicht zum ausschließlichen Besitz des genannten Philosophen und seiner Anhänger, vielmehr wird sie, wie die obigen Hinweise auf gleichsinnige Äußerungen von HERBART, TRENDELENBURG, LIPPS u. a. dartun, auch darüber hinaus vielfach vertreten; auch die Stellung KANTs, daß das Sein "kein reales Prädikat", sondern "bloß die Position eines Dings oder gewisser Bestimmungen ansich selbst" ist, fällt ja in gewissem Sinn mit der Auffassung BRENTANOs zusammen. Eben darum kommt der Untersuchung der Frage, ob sich auch in dieser Beziehung die Auffassung BRENTANOs vom Wesen und Verhältnis von Urteil und Existentialurteil nicht vielleicht als irrig erweisen könnte, eine über den Geltungsbereich dieser Lehre hinausgehende Bedeutung zu.

Im Obigen wurde gezeigt, daß jedes Existentialurteil sich auf einen nicht gegenwärtigen Inhalt bezieht. Das ist natürlich ansich kein unterscheidendes Merkmal des Existentialurteils, vielmehr fällen wir auch "kategorische" Urteile dieser Art fortgesetzt und in großer Zahl. Allein es besteh doch zwischen jenen Urteilen, soweit sie sich auf einen nichtgegenwärtigen Inhalt beziehen, und dem Urteil, das die Existenz dieses Inhalts im Sinn seiner "Wirklichkeit" behauptet, ein wesentlicher Unterschied. Beim "kategorischen" Urteil dieser Art nehmen wir die Sache oder die Person, die das Subjekt des Urteils bildet, als existierend an; auf dieses als existierend angenommene Ding, nicht auf die Vorstellung von diesem Ding bezieht sich die Aussage. Fälle ich z. B. um ein in einem solchen Zusammenhang oft gebrauchtes Schulbeispiel zu wiederholen, das Urteil: "Cäsar wurde mit 33 Dolchstichen ermordet", so meine ich damit sicherlich nicht, daß meine Vorstellung von Cäsar, die mir allein gegenwärtig ist, sondern daß der als wirklich vorausgesetzte Cäsar auf diese Weise ermordet wurde; die Vorstellung tritthier wie in allen gleichartigen Urteilen vollkommen hinter dem Ding zurück, sie ist von diesem förmlich im Bewußtsein ausgelöscht worden, und lediglich dem als seiend angenommenen Ding gilt die Aussage. Wird dagegen die Frage gestellt, ob Cäsar tatsächlich existierte, und wird diese Frage aufgrund der geschichtlichen Zeugnisse bejaht, wird also Cäsar zum Subjekt eines Existentialurteils gemacht, so ist es offenbar nicht mehr der als seiend angenommene Cäsar, dem durch das Urteil Existenz zugesprochen wird - denn das hätte schlechtweg keinen Sinn - sondern es ist die Vorstellung von Cäsar, die in diesem Satz als wirklich anerkannt, d. h. von der ausgesagt wird, daß ihr in der Vergangenheit ein Wahrnehmungsinhalt entsprach. Nur als Behauptung dieser Beziehung zwischen Vorstellung und Wahrnehmungsinhalt, nicht aber in Bezug auf eine Vorstellung ansich, am wenigsten aber in der von BRENTANO vorgenommenen Ausdehnung des Ausdrucks "Vorstellung" auf alles, was dem Bewußtsein erscheint, hat die von diesem der Existentialbehauptung als Bedeutung unterlegte "Anerkennung einer Vorstellung" überhaupt einen Sinn. Dieser Sachverhalt gilt selbstverständlich für alle Fälle, in denen einem nichtgegenwärtigen Inhalt eine Existenz zugesprochen wird; und so ergibt sich dann aus dieser Betrachtung, daß es zwar sprachlich ein nichtgegenwärtiger Inhalt, sachlich oder psychologisch aber stets dessen Vorstellung ist, deren "Wirklichkeit" im dargelegten Sinn im Existentialurteil bejaht oder verneint wird. Daß ein solcher Zwiespalt zwischen sprachlichem und psychologischen Urteilssubjekt möglich ist, kann nicht verwunderlich erscheinen, wenn wir bedenken, daß unsere Sprache überhaupt nicht dazu geschaffen ist, psychologische Tatbestände zu beschreiben, sondern ihrem Ursprung nach lediglich ein Werkzeug darstellt, das uns die Berichtigung und Verständigung über Vorgänge, Wirkungsverhältnisse und Sachzusammenhänge in einer Welt körperlicher Dinge ermöglichen soll. Schon die Sinnesempfindungen in ihrer ungeheuren Mannigfaltigkeit werden daher, da es unter dem bezeichneten Gesichtspunkt auf feinere und feinste Unterscheidungen unter diesen zumeist wenig ankommt, von unserer Sprache im allgemeinen nur sehr unvollkommen bezeichnet; vollends versagt sie, wo die lediglich der inneren Wahrnehmung angehörigen Tatbestände des seelischen Erlebens ins Spiel kommen. Darum ist es nur natürlich, daß die Sprache des täglichen Lebens auch da, wo sie ein Existentialurteil fällt, keinen psychologischen Tatbestand ausdrückt, sondern innerhalb der Welt der als wirklich vorausgesetzten Dinge bleibt, mit denen es der weitaus größte Teil aller Urteile zu tun hat; daß sie also auch in diesen Fällen, wo die Aussage ansich der Vorstellung eines Dings gilt, nicht diese, sondern das Ding selbst zum Träger der Aussage macht. Der Tatbestand nun, der bei der Fällung des Existentialurteils vorliegt, ließe sich am zutreffendsten wohl in die Formel fassen: "der Vorstellung A entspricht (genauer entsprach oder wird entsprechen) ein Wahrnehmungsinhalt"; dieser deckenden sprachlichen Einkleidung gegenüber erscheint die Ausdrucksweise "A ist", die bei BRENTANO (vgl. z. B. Psychologie etc. Buch II, § 5) stets als der völlig zutreffende Ausdruck des bei einem Existentialurteil vorliegenden Tatbestands behandelt und zur Grundlage seiner weiteren Folgerungen gemacht wird, lediglich als eine durchaus unzulängliche Fassung, die entweder, wenn "A" als Ding betrachtet wird, auf einer Verkennung des Tatbestands beruth, oder aber, falls sie unterschiedslos ein Ding oder seine Vorstellung bezeichnen soll, schon wegen dieser Unklarheit nicht zu einer richtigen Einsicht in das Wesen des Existentialurteils führen kann. Daß aber bei einem so viele Bewußtseinsgegebenheiten zur Einheit verbindenden seelischen Gebilde, wie sich uns hier das Existentialurteil zu erkennen gab, von einer Eingliedrigkeit dieses Urteils im Sinne des bloßen Vorhandenseins einer anerkannten oder bejahten Vorstellung keine Rede sein kann, liegt auf der Hand.

Mit dieser Erkenntnis ist dann wohl auch der richtige Standpunkt zu der in der Geschichte der Philosophie so viel erörterten Frage gewonnen, ob "Sein" als ein "reales Prädikat" angesehen werden muß oder nicht; und dieser Standpunkt wird nach dem Obigen ein anderer sein müssen als die von KANT, BRENTANO und so vielen anderen vertretene Ansicht, daß "Existenz" kein richtiges und eigentliches Prädikat eines Urteils sein kann. Gewiß sind nämlich, um bei KANTs viel angezogenem Beispiel zu bleiben, 100 gedachte Taler von 100 wirklichen Talern durch kein Merkmal unterschieden - solange eben die 100 gedachten Taler lediglich im Sinn und in der Bedeutung eines stellvertretenden Inhalts für 100 wirkliche Taler in unserem Bewußtsein vorhanden sind; besinnen wir uns aber darauf, ob ihnen diese Bedeutung auch tatsächlich zukommt, sollten wir also in Bezug auf die 100 gedachten Taler das Existentialurteil fällen, so zeigt sich alsbald, nicht nur, daß diese gedachten Taler von sichtbar vorhandenen, sondern auch daß sie von als vorhanden betrachteten 100 Talern durch irgendein wesentliches Merkmal verschieden sind und sein müssen: denn sonst wäre es ja offenbar nicht möglich, daß "ein und derselben" Vorstellung einmal die Bedeutung eines "wirklich existierenden" Inhalts zukommen, und unter bestimmten anderen Voraussetzungen ihr diese Bedeutung abgesprochen werden kann. Es dürfte auch nicht allzu schwer sein, das Merkmal, das eine Vorstellung enthalten muß, um als eine "wirkliche" in diesem Sinn gekennzeichnet zu sein, zumindest seiner allgemeinen Beschaffenheit nach zu bestimmen. Wir sahen oben, daß die Erinnerungsbilder die ersten und ursprünglichsten als wirklich gekennzeichneten Vorstellungen darstellen; bezüglich dieser hat uns aber die neuere Psychologie, besonders bei JAMES und CORNELIUS in ihren dem Gedächnis gewidmeten Untersuchungen, wohl zur völligen Klarheit gezeigt, in welcher Eigentümlichkeit ihre Unterschiedenheit von den reinen Phantasievorstellungen besteht. Er besteht darin, daß die Erinnerungsbilder - nach JAMES - von gewissen "Beziehungsfransen" ("relation-fringes") umgeben oder nach CORNELIUS durch eine gewisse "Relationsfärbung" gekennzeichnet, d. h. von einem unanalysierten Bewußtseinshintergrund umgeben sind, die dem Erinnerungsbild in unzweifelhafter, wenn auch vielleicht noch weiter bestimmbarer Weise seinen Platz als Einzelheit eines in zeitlicher Ordnung erfolgten Erlebenszusammenhangs anweisen, und die der dieser zeitlichen Beziehung entbehrenden reinen Phantasievorstellung notwendigerweise fehlen müssen. Eine seelische "Beziehung", die unzweifelhaft als "Merkmal" angesehen werden muß, ist es also, die das Erinnerungsbild von der Phantasievorstellung im engeren Sinn unterscheidet; und es muß daher offenbar ein wesentlich gleichartiges Merkmal sein, das auch unter den reinen Phantasievorstellungen selbst die als "wirklich" betrachteten von jenen ohne Wirklichkeitsbedeutung unterscheiden läßt. Das Wesen und den genauen Inhalt der hier gemeinten Relationsfärbung und die Bedingungen ihres Vorhandenseins oder Eintretens des Näheren zu bestimmen, muß der Psychologie überlassen bleiben; hier genügt die Feststellung, daß ein solches Merkmal als Träger der Wirklichkeitsbedeutung einer Vorstellung notwendig vorhanden sein muß. Denn mit dieser Erkenntnis ist zugleich erwiesen, daß die Wirklichkeitsbedeutung einer Vorstellung, die der einzige Sinn der Existentialbehauptung ist, ein wahrhaftes Merkmal, somit auch "Existenz" ein wirkliches Prädikat ist. Existentialbehauptung ist Wirklichkeitsbehauptung; sie wird daher nicht durch die zweideutige Formel BRENTANOs "A ist", sondern nur durch die Fassung: "A ist wirklich" unmißverständlich zum Ausdruck gebracht; diese Bestimmung "wirklich" ist aber offenbar genau so gut ein richtiges Prädikat, wie es etwa in den kategorischen Urteilen "dies ist rot" oder "dies ist grün" diese letztgenannten Eigenschaftsbezeichnungen sind: wie diese Bestimmungen einen Inhalt der Klasse der roten oder grünen Inhalt zuordnen, so ordnet die Existentialbehauptung ganz unabhängig von ihrer sprachlichen Form eine bestimmte Vorstellung der Gruppe der "wirklichen" Vorstellungen im obigen Sinne zu. Diese Erkenntnis ist ansich keineswegs neu; ihr hat schon EUDEMOS unzweideutig Ausdruck gegeben; und diese Anschauung, daß die Existenz ein Merkmal oder Prädikat ist, wird im Gegensatz zur Auffassung BRENTANOs, daß die Prädikation nicht zum Wesen des Urteils und insbesondere des Existentialurteils gehört (vgl. "Psychologie etc.", Buch II, Kapitel 7, § 6), sowie zu der von KANT und anderen vertretenen Anschauung, der zufolge Existenz kein Prädikat sein soll, als durch die obigen Darlegungen ausreichend begründet angesehen werden müssen. Das bedeutet aber, daß auch der Existentialsatz ebenso wie das "richtige" kategorische Urteil und der "subjektlose" Impersonalsatz auch nach seinem unmittelbaren Aufbau zutreffend nur als zweigliedriges Urteil aufgefaßt werden kann.

Auch der letzte der von BRENTANO als wesentliche Neuerungen in die Urteilslehre eingeführten Standpunkte, daß nämlich das Urteile eine von den Vorstellungen grundhaft verschiedene Klasse der seelischen Erscheinungen darstellt, kann nach den obigen Darlegungen nicht als zutreffend gelten. Denn wenn nicht das Existentialurteil, sondern das Wahrnehmungsurteil mit dem Subjekt "dies" die ursprünglichste und Grundform aller Urteile ist, wenn ferner die Existentialbehauptung selbst nicht in der von BRENTANO behaupteten "intentionalen" Beziehung des Subjekts zum Objekt, sondern in einer bestimmten Zuständlichkeit der Objektsvorstellung selbst ihren Grund hat, so kann von einer grundsätzlichen Verschiedenheit von Anschauung - welches Wort eindeutiger als die von BRENTANO gewählte Bezeichnung "Vorstellung" die äußere und innere Wahrnehmung zusammenfaßt - und Urteil im Sinne von BRENTANOs Neueinteilung der Bewußtseinstatsachen keine Rede sein; vielmehr erscheint dann das Urteil lediglich als ein bestimmter Zusammenhang von Anschauungsinhalten, der als solcher ein im Fluß der seelischen Erlebnisses sich abhebendes Ganzes bildet, und in allen Fällen durch zwei in einem bestimmten Verhältnis stehende Bestandteile, nämlich Subjekt und Prädikat, gekennzeichnet ist; wobei die Frage, wie - oder unter welcher Bildlichkeit - das Verhältnis dieser beiden Grundpfeiler des Urteils am Besten beschrieben und veranschaulicht werden kann, sowie die nach näherer Untersuchung noch offen gelassen ist.

Muß somit die Urteilslehre BRENTANOs in ihren eigentlichen Kernpunktn als eine unzutreffende Beschreibung der in Frage stehenden Tatbestände bezeichnet werden, so gilt dies nicht weniger von einigen Konsequenzen, die BRENTANO daraus in Bezug auf die Auffassung bestimmter anderer philosophischer Begriffe und Anschauungen zu ziehen suchte. So hat BRENTANO beispielsweise dem Existentialurteil nicht nur für die Urteilslehre, sondern in Verbindung damit auch für den Sinn des Begriffs der Wahrheit eine Bedeutung zugeschrieben, die, wenn sie als begründet erweislich wäre, sicherlich ebenfalls einen wichtigen Abschnitt im Fortschritt der philosophischen Erkenntnis bilden würde. Nach BRENTANO (Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis, Seite 17) nennen wir nämlich "etwas wahr, wenn die darauf bezügliche Anerkennung richtig ist"; daher sind die Begriffe der Existenz oder Nichtexistenz die "Korrelate der Begriffe der Wahrheit und Falschheit" (ebd. Seite 76) Diese Auffassung leidet nun von vornherein an einer Unklarheit, ja sie begeht eigentlich eine petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp], insofern die "Richtigkeit" der in Rede stehenden Anerkennung doch wohl mit der Wahrheit des sie ausdrückenden Urteils zusammenfällt; aber sie läßt auch eine Besinnung auf die Anwendbarkeit der Begriffe "Wahrheit" und "Unwahrheit" überhaupt vermissen. Im ursprünglichen und eigentlichen Sinn kann nämlich offenbar nicht, wie dies bei BRENTANO vorausgesetzt ist, jedes beliebige "etwas", sondern nur ein Urteil wahr oder falsch genannt werden; nur in einem übertragenen Sinn läßt sich der Begriff der Wahrheit auch auf eine Phantasievorstellung übertragen, wenn wir nämlich mit dieser Redeweise in abgekürzter Weise zum Ausdruck bringen wollen, daß das Existentialurteil wahr ist, durch das jener Vorstellung eine Wirklichkeitsbedeutung zugeschrieben wird. Bei dieser übertragenen Anwendung fällt in der Tat der Begriff der Wahrheit mit der Existentialbehauptung zusammen; dagegen ist in ursprünglicher und allgemeiner Anwendung der Begriff der Wahrheit, wie eine einfache Überlegung zeigt, von der Existentialbehauptung ganz unabhängig. Ein Urteil, das einem anderen die Eigenschaft der Wahrheit oder Richtigkeit zuschreibt, wird natürlich stets vom "Standpunkt des Hörenden" aus gefällt; der Grund aber, der den Hörenden ein Urteil als wahr bezeichnen läßt, besteht einfach darin, daß sein eigenes Urteil über den in einem gehörten Urteil beurteilten Tatbestand mit dem gehörten Urteil selbst übereinstimmt. Lediglich diese Übereinstimmung ist es, die der Begriff Wahrheit in seiner eigentlichen Bedeutung und Anwendung zum Ausdruck bringt; die "Anerkennung", deren Kennzeichnung als richtig nach BRENTANO dem Begriff der Wahrheit zugrunde liegt, hat gleichfalls diese Übereinstimmung und damit dem Begriff der Wahrheit zur Voraussetzung und kann daher nicht ihrerseits für diesen Begriff eine Erklärung in sich tragen. Andererseits kann aber diese Übereinstimmung selbstverständlich zwischen Urteilen jeder Art, zwischen kategorischen so gut wie zwischen Existentialsätzen bestehen; was bedeutet, daß die Frage nach der Wahrheit keineswegs allgemein, sondern nur dann mit der Frage nach einer Existenz zusammenfällt, oder daß in BRENTANOs Ausdrucksweise der Begriff der Existenz nur dann ein Korrelat des Begriffs der Wahrheit ist, wenn das der Beurteilung unterliegende Urteil selbst ein Existentialurteil war. Auch in dieser Konsequenz hat sich daher die Urteilauffassung BRENTANOs nicht als der richtige Schlüsse zur Deutung der in Frage stehenden Tatbestände erwiesen; und da damit die wesentlichen Punkte seiner Lehre behandelt sind, dürfte das zu fällende Urteil über deren Wert und Haltbarkeit schon hinreichend begründet und eine weitere Beschäftigung mit Einzelbehauptungen oder anderweitigen von ihrem Urheber gezogenen Folgerungen entbehrlich erscheinen. Immerhin wird es zur Bestätigung der gewonnenen Erkenntnis beitragen können, wenn auch im Einzelnen auf das Bemühen BRENTANOs, die "kategorischen" Urteile auf die Existentialsformel zu bringen, anhand einiger von ihm selbst angeführter Beispiele, die einer solchen Deutung offensichtlich widerstreben, noch in Kürze eingegangen wird, da mit der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer solchen Zurückführung selbstverständlich auch die diesen Sachverhalt behauptete Urteilslehre Bestätigung oder Widerlegung findet.

Nach BRENTANO hat das in der üblichen Bezeichnunsweise als das "partikulär bejahende" bekannte Urteil, wie es etwa in dem Satz: "irgendein Mensch ist krank" vorliegt, den Sinn: "ein kranker Mensch ist" oder "es gibt einen kranken Menschen" (vgl. "Psychologie etc.", Buch II, Kapitel 7). Diese Deutung ist eine selbstverständliche Folgerung der hier behandelten Urteilsauffassung; aber es läßt sich ohne Schwierigkeiten zeigen, daß sie der tatsächlichen Bewußtseinsbewegung nicht entspricht.

In jedem Fall verläuft doch ein Erkenntnisvorgan oder eine Aussage, wie sie in dem Urteil "X ist krank" ihren Ausdruck findet, so, daß dem Urteilenden oder Sprechenden zunächst der Krankheitszustand des X nicht bekannt ist, sondern daß er aufgrund gewisser Wahrnehmungen, die dieser Satz zusammenfaßt und auf ihre Ursache zurückführt, als etwas Neues in Bezug auf diese Person festgestellt oder ausgesagt wird. Daß diese Person vorhanden ist, was dabei vorausgesetzt; was aber dem Urteilenden oder Hörenden nicht bekannt oder bewußt war, war eben ihr Kranksein. Eben daraum darf und kann aber dieser Zustand nicht, wie es in BRENTANOs Umdeutung dieses Urteils geschieht, von vornherein der in Frage stehenden Person als Eigenschaft beigelegt werden; und so zeigt diese einfache Überlegung, daß der Versuch, das "partikulär bejahende" Urteil als Existentialurteil zu deuten, unvollziehbar ist. Noch deutlicher tritt diese Unmöglichkeit bei dem von BRENTANO (a. a. O., Kapitel 7), HILLEBRAND (a. a. O., Seite 38f) u. a. in Verteidigung ihrer Anschauung gleichfalls unternommenen Versuch zutage, auch das allgemein bejahende" Urteil, wie es z. B. in den Sätzen: "Alle Menschen sind sterblich" oder "Alle Dreiecke haben die Winkelsumme von 180°" gegeben ist, in diesem Sinne als Existentialbehauptung verständlich zu machen. Denn der Grund der "Allgemeinheit" dieser Urteile beruth offenbar und selbstverständlicherweise nicht etwa auf einer Zusammenstellung, die eine zufällige Übereinstimmung aller Menschen und Dreiecke in Bezug auf die ihnen in diesen Urteilen beigelegten Eigenschaften ergeben hätte; diese Allgemeinheit ist also keine "komparative" oder "diskursive"; sondern jener Grund besteht im ersten Fall darin, daß wir dem Begriff des Menschen aufgrund vieler Erfahrungen die Sterblichkeit als Merkmal beilegen mußten, während im zweiten Fall die Allgemeinheit des Urteils darin ihren Grund hat, daß mit der Gestalt des Dreiecks notwendig bestimmte Beziehungen und Verhältnisse seiner Seiten und Winkel gegeben sind, die eine einheitliche Gesamtgröße seiner Winkel herbeiführen. Man darf daher wohl fragen, ob die übliche Bezeichnung dieser Urteile als "allgemein bejahender" und die Auffassung dieser Allgemeinheit als Gegensatz zur "partikulären Bejahung" dem Verhältnis von Subjekt und Prädikat bei diesen Urteilen überhaupt gerecht wird; jedenfalls aber sollte man annehmen, daß die hier vorliegende Untrennbarkeit des Prädikats vom Subjekt auf alle Fälle zu einer positiven Deutung dieser Urteile führen müßte. Allein gerade diese Urteilsgattung hat für BRENTANO und HILLEBRAND einen verneinenden Sinn, nämlich in den angeführten beiden Fällen den: "es gibt keinen nicht sterblichen Menschen" und "ein Dreieck mit einer anderen Winkelsumme als 180° existiert nicht"; von der Allgemeinheit des Urteils bei dieser Urteilsgattung überzeugt sein, heißt ihnen zufolge (siehe "Ursprung etc." a. a. O., Seite 70) "nichts anderes als überzeugt sein, daß keine Ausnahme besteht".

Eine solche Deutung muß gewiß bei BRENTANO umso mehr befremden, als er selbst unmittelbar vor der angeführten Stelle ("Ursprung" a. a. O., Seite 69) gegen die Unterscheidung SIGWARTs zwischen dem bejahenden und dem ohne eine Beziehung auf Vorangegangenes einfach behauptenden oder feststellenden Urteil als wesentlich verschiedenen Urteilsgattungen gerade mit der Begründung anficht, daß diese Unterscheidung dazu führt, das schlechthin behauptende Urteil als ein verneinendes aufzufassen; was sich nach BRENTANO daraus ergeben soll, daß SIGWART dieses schlechtweg positive Urteil nur, insofern es die Möglichkeit einer Verneinung abweist, also doch nur uneigentlich als ein bejahendes Urteil gelten lassen will. Mag man diese Folgerung BRENTANOs für richtig halten oder nicht, so ist jedenfalls gewiß, daß die Ablehnung, die BRENTANO hier der negativen Deutung eines positiven Urteils zuteil werden läßt, dann mit der gleichen Entschiedenheit auch seine eigene Auffassung vom "allgemein bejahenden" Urteil treffen müßte; und das umso mehr, als diese Umdeutung des "allgemein bejahenden" kategorischen Urteils zum negativen Existentialurteil wie die oben behandelte Deutung des "partikulär bejahenden" Urteils die psychologische Unmöglichkeit in sich trägt, daß sie das Prädikatsmerkmal, das auch in diesem Fall vom Subjekt etwas Neues aussagen soll, diesem als eine von vornherein bekannte Eigenschaft beilegt. Das Verhältnis von Subjekt und Prädikat ist aber in Wahrheit bei dieser Urteilsgattung das der notwendigen Zusammengehörigkeit; die Ausnahmslosigkeit, die nach BRENTANO den Grund der Allgemeinheit dieser Urteile bilden soll, ist davon erst die Folge; und es bedeutet daher eine völlige Verkennung dieses Verhältnisses, wenn man einen das Bestehen einer Ausnahme bezüglich der Zusammengehörigkeit von Subjekt und Prädikat in diesen Fällen leugnenden negativen Existentialsatz mit dem diese Untrennbarkeit aussagenden positiven Urteil gleichsetzt oder gar als dessen eigentlichen Sinn ausgibt.

Mit diesen letzten Darlegungen dürften aber zur Beurteilung der Frage, ob BRENTANOs Urteilslehre als eine zutreffende Deutung des Urteils im allgemeinen und des Verhältnisses von "kategorischem" Urteil und Existentialurteil im Besonderen angesehen werden kann, genügende Unterlagen gegeben sein. Unsere Untersuchung zeigte zunächst, daß die der Behauptung BRENTANOs von der Zurückführbarkeit aller kategorischen Urteile auf eingliedrige Existentialurteile zugrunde liegende und von ihm als Beweismittel verwertete Anschauung, daß es nämlich "eingliedrige" Urteile mit dem einzigen Inhalt der "Anerkennung einer Vorstellung" in der allgemeinen Urteilsgattung der sogenannten "subjektlosen Impersonalsätze" tatsächlich gibt, nicht zutrifft, daß vielmehr auch diese bisher so bezeichneten Urteile richtige kategorische Urteile mit Subjekt und Prädikat sind; sie zeigte ferner, daß die hier gemeinten Urteile keine ursprüngliche Gruppe von Urteilen darstellen, sondern daß sie das ursprüngliche Wahrnehmungsurteil bereits zur Voraussetzung haben und es in bestimmter Weise umdeuten; sie wies weiter nach, daß Sinn dieser Sätze keine Existentialbehauptung ist, daß vielmehr auch in ihnen, wie in allen anderen kategorischen Urteilen ein Subjekt als seiend vorausgesetzt wird; sie zeigte sodann, daß auch die Existentialbehauptung selbst nicht in der einfachen "Anerkennung einer Vorstellung" besteht, sondern einen sehr verwickelten psychologischen Tatbestand zum Ausdruck bringt, der es völlig ausschließt, daß diese Urteile als "eingliedrige Grundform aller Urteile aufgefaßt werden könnten; sie erwies ferner, daß auch BRENTANOs Auffassung von den grundhaften Verschiedenheiten zwischen "Vorstellen" und Urteilen nicht zutrifft, daß sich vielmehr das Urteil als eine bestimmte Verbindung "vorgestellter" oder mit passender Bezeichnung angeschauter Inhalte zu erkennen gibt; und sie legte schließlich dar, wie auch in dem Versuch, ihre Haltbarkeit an den verschiedenen Unterarten der kategorischen Urteile nachzuweisen, die BRENTANOs Auffassung mit Notwendigkeit zu Folgerungen gelangte, die das Wesen der in ihrem Sinn gedeuteten Urteile durchaus verkennen. Danach kann nicht zweifelhaft sein, wie die Urteilslehre FRANZ BRENTANOs im Ganzen gewertet werden muß. Sie ist ein geistreicher und mit beharrlicher Folgerichtigkeit unternommener Versuch, die Urteilslehre von einem bestimmten Grundgedanken aus neu zu begründen und auszugestalten, und man wird ihr das Verdienst zusprechen müssen, daß sie zu erneuter und fruchtbarer Untersuchung aller von ihr berührten logischen und psychologischen Vorgänge und Gebilde angeregt hat; aber ihre Behauptungen haben sich bei näherer Betrachtung so wenig wie ihre Voraussetzungen und Folgerungen als haltbar erwiesen, und sie kann daher nicht zu den bleibenden und weiter wirkenden Bereicherungen unserer Einsicht in das Wesen der Urteilserscheinungen gerechnet werden.

LITERATUR: Karl Schneider, Zur Kritik der Urteilslehre Franz Brentanos, [Inaugural-Dissertation] Heidelberg, 1915