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Zur Beurteilung des Kritizismus vom idealistischen Standpunkt [3/3]
III. Der Kritizismus in der griechischen Philosophie Seit SCHLEIERMACHER seine Abhandlung über den Wert des SOKRATES als Philosophen (Werke II, 3. Abt., Seite 287-308) gelesen hat, hat nicht mehr die Rede davon sein können, dem SOKRATES seine Stelle noch in der ersten Periode der Geschichte der griechischen Philosophie anzuweisen. Ein "eigentlich philosophischer aber der früheren Periode nicht mehr angehöriger Gehalt" (Seite 298) wird, abgesehen von der Frage, in welchem Maß bereits die Sophistik Anfänge der neuen Richtung enthält, der Lehre des SOKRATES allgemein zuerkannt. Wenn aber SCHLEIERMACHER diesen neuen Gehalt ausschließlich darin setzt, daß SOKRATES zuerst die Idee des Wissens zum Bewußtsein erhoben hat, und wenn er den Zweck der Lehrtätigkeit des SOKRATES ausschließlich darin erblickt, in allen, die ihn irgendwie verstehen oder auch nur ahnen konnten, die Grundgedanken, welche die Idee des Wissens konstituieren, aufzuregen (Seite 301), und wenn er demgemäß meint, der bürgerliche und ökonomische und sittliche Inhalt sei ihm bei seinen Gesprächen die Nebensache gewesen (Seite 302, 304), so daß die Bedeutung des SOKRATES ausschließlich darin beruth, daß er der eigentliche Urheber der Dialektik gewesen ist, welche die Seele aller späteren großen Gebäude hellenischer Philosophie geblieben ist (Seite 303): so wird dagegen wohl die Mehrzahl der Historiker an der Auffassung festhalten, daß nicht der dialektische, sondern der ethische Gesichtspunkt für SOKRATES Forschung und Lehre am meisten bestimmend gewesen ist, und daß auch dieser sich nicht sowohl aus theoretischen als auch aus praktischem Interesse ergeben hat. Nicht bloß XENOPHANES, sondern auch PLATONs Darstellung muß auf den unbefangenen Leser diesen Eindruck machen. Es ist der eigentliche SOKRATES, den PLATON im Gorgias sagen läßt, für einen Menschen, der auch nur ein wenig Vernunft habe, könne es nichts Ernsthafteres geben als die Frage, auf welche Weise er leben soll, und im PROTAGORAS, wie ihm PROMETHEUS, der Vorausdenker, besser als EPIMETHEUS, der Hinterherdenker, gefallen habe, so möchte er gern auf sein ganzes Leben im Voraus Bedacht nehmen, und deshalb beschäftige er sich mit diesen Untersuchungen über die Tugend, und den er in der Republik dem Mitunterredner, mit welchem er den Begriff der Gerechtigkeit sucht, zurufen läßt: meinst du etwa, es ist eine Kleinigkeit, die du unternommen hast zu bestimmen, und nicht die Einrichtung des ganzen Betragens, wie es jeder einrichten muß, um das zweckmäßigste Leben zu führen. Die historische Bedeutung des SOKRATES beruth ganz allgemein darin, daß er den vernünftigen Geist zum Gegenstand der Philosophie gemacht, im Selbstbewußtsein die Quelle des philosophischen Wissens entdeckt hat, und zwar nicht, wie die Sophisten, damit die Vernunft sich selbst zerstört, sondern damit sie sich fest in sich selbst gründet. Die Vernunft, d. h. aber nichts anderes als das gesamte Vermögen des sich seiner als Ich bewußten, sich von seinen zufälligen Bestimmtheiten unterscheidenden Ich, galt ihm für das höchste Gut; sie als solches wieder zur Anerkennung zu bringen und sie für die gesamte menschliche Tätigkeit, und zuhöchst für ihre eigene, zum Bestimmungsgrund bei sich und bei Anderen zu machen, war das Ziel seiner Bestrebungen. Sein Begriff der Vernunft aber setzte das Wesen derselben in das Vermögen, das Handeln [b3verbum] zu bestimmen, d. h. in das Wollen. Das Begehren im weitesten Sinn des Wortes galt ihm nicht für ein dem Vorstellen im weitesten Sinn des Wortes nebengeordnetes, sondern für ein darin enthaltenes Verhalten, nämlich für das Vorstellen des Guten und Üblen, und die höchste Stufe des Begehrens, das freie Wollen des Ich, galt ihm für einerlei mit der höchsten Stufe des Vorstellens, dem vernünftigen, soweit sich dasselbe auf das Gute und das Üble bezieht. Mindestens zieht nach seiner Auffassung das Vorstellen eines Guten, genauer das Vorstellen von etwas als einem Guten, das entsprechende Begehren, und das Vorstellen eines Üblen das entsprechende Verabscheuen so unmittelbar und unfehlbar nach sich, daß man wenn man beides identifiziert, die innere Übereinstimmung der Lehre des SOKRATES in keiner Weise verletzt. Es soll hiermit nicht gesagt sein, daß SOKRATES das Begehren und das indifferente Vorstellen für wesensgleich gehalten und das erstere von letzterem nur durch seine Objekte unterschieden hat, etwa wie man zwischen dem Vorstellen eines Roten und dem Vorstellen eines Blauen nur nach der Seite des Objekts, aber nicht nach der des Subjekts einen Unterschied machen zu müssen glaubt, sondern es soll ihm die Ansicht zugeschrieben werden, daß die Begriffe des indifferenten Vorstellens und des Begehrens, ohne irgendeine Abschwächung des uns unmittelbar bekannten Unterschiedes beider, einander in einem höheren Begriff nebengeordnet werden können, welchen man den des Vorstellens nennen kann, sofern damit nur nicht wieder das Merkmal der Indifferenz in ihn hineingelegt wird, oder besser den des Bewußtseins, und daß es also ein indifferentes Vorstellen oder Bewußtsein eines Guten und eines Üblen nicht geben kann. Man muß übrigens diesem sokratischen Satz, um ihm beistimmen, ja um ihn nur verständlich finden zu können, eine nähere Bestimmung hinzufügen. Es genügt nicht, das Begehren vom indifferenten Vorstellen dadurch zu unterscheiden, daß man das Gute und das Üble als seine Gegenstände bezeichnet, man muß es näher dem unmittelbaren Vorstellen (Bewußtsein), d. h. dem Anschauen gleichsetzen. Die vermittelte Erkenntnis davon, daß etwas gut oder übel ist, enthält nur ein positives oder negatives Begehren, insofern sie nämlich auch die Anschauung ihres Gegenstandes enthält. Sicherlich hat auch SOKRATES nicht gemeint, daß die in der Form des Begriffs auftretende Einsicht in den Wert oder Unwert einer Handlungsweise ganz mit dem positiven oder negativen Begehren derselben identisch ist oder doch ganz dazu verwandt wird, das entsprechende Begehren unmittelbar hervorzurufen, sondern hat in derselben insofern, als sie die Form des Begriffes hat, gleichsam einen theoretischen Überschuß über das Begehren erblickt. Der Begriff der Vernunft als eines wesentlich praktischen Vermögens hat nicht notwendig die Folge, daß der Wert des Wissens um das Gute und das Üble ausschließlich in seinen Zusammenhang mit dem richtigen Begehren gesetzt wird, und daß allem übrigen Wissen nur insofern Wert beigelegt wird, als es sich zum Wissen um das Gute und das Üble wie das Mittel zum Zweck verhält. PLATON zumindest hat dieser Begriff nicht gehindert, das Wissen auch um seiner selbst willen zu schätzen. Auch SOKRATES hat selbstverständlich das theoretische Forschen nicht als eine lästige, aber zum Zweck des vernünftigen Handelns unumgängliche Arbeit betrachtet, eher könnte man auch nach XENOPHONs Mitteilungen einen unersättlichen stets wachen Trieb des Denkens charakteristisch für ihn finden. Aber sein Begriff des Wissens scheint doch den Wert desselben ausschließlich in seine Beziehung zum Handeln gesetzt zu haben. So ist von den beiden Wissenschaften, welche die Vernunft als Vernunft zum Gegenstand haben, derjenigen, welche sich auf die praktische Seite derselben bezieht, der Ethik, von SOKRATES in dem Maße der Vorrang eingeräumt worden, daß der anderen, welche sich auf die theoretische Seite bezieht, der Logik, kaum noch ein selbständiger Wert geblieben ist. Wie sehr SOKRATES auch die Logik als Kunst des Denkens mit Bewußtsein geübt und ausgebildet hat, als Theorie des Denkens hat er sie kaum über die prinzipielle Behauptung der Allgemeingültigkeit der Erkenntnis gegenüber dem Skeptizismus der Sophisten hinausgeführt. Die bisherige Metaphysik und ihre Anwendung auf das Empirische, die Physik, hat SOKRATES nicht nur nicht fortgesetzt, sondern ausdrücklich verworfen, teils weil sie dem eigentlichen Zweck des Erkennens, dem vernünftigen Handeln nicht dient, teils weil sie die Kraft des Menschen übersteigt (Xen. Mem. I, 1, 11f). Daß sich aus der Selbsterforschung der Vernunft eine neue Metaphysik ergeben kann, ist ein ihm noch gänzlich fremder Gedanke. Dennoch hat er tatsächlich mit der Ausführung dieses Gedankens den Anfang gemacht, indem er teils aus ethischen Gründen, teils aus der erfahrungsmäßigen Zweckmäßigkeit der Natur, für welche ihm aus seiner Beschäftigung mit der praktischen Vernunft das Verständnis ausgegangen war, auf das Dasein einer die Welt beherrschenden göttlichen Vernunft schloß (Xen. Mem. I, 4), dabei an ANAXAGORAS anknüpfend, wenn wir die bekannte darauf bezügliche Stelle aus PLATONs Phädon als historische Mitteilung betrachten dürfen. Wenn man demnach den oben aufgestellten Begriff des Kritizismus, daß derselbe die erste Gestalt der reflektierenden Philosophie ist, den Schwerpunkt in die Ethik legt, außer der Ethik die Logik und die Teleologie bearbeitet und die Ontologie verwirft, für zulässig hält, so ist SOKRATES der Urheber des Kritizismus. Die Auffassung der Bedeutung des SOKRATES im allgemeinen wird bestätigt und ergänzt durch diejenige BOECKHs, wie sie von BRATUSCHECK in dem mehrfach erwähnten Aufsatz dargestellt worden ist. BOECKH nimmt an (Seite 298), daß SOKRATES in seiner Jugend den ZENON und PARMENIDES gehört, sich mit besonderem Eifer mit der Naturphilosophie beschäftigt und ohne Zweifel, da SIMMIAS und KEBES seine Bekannten waren, auch die pythagoreische Lehre gekannt hat. Alle diese Philosopheme habe er mit kritischem Auge in echt attischer Weise betrachtet. Zuerst hat das Treiben der Sophisten seine Kritik herausgefordert; ihrer negativen Ethik hat er eine positive entgegengestellt, gegründet auf der Erkenntnis des Guten, nach dem Grundsatz, daß diese Erkenntnis mit der Ausübung identisch ist. Die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft, ausgedrückt im zweckmäßigen Handeln, hat er dann auch im Wesen der Dinge selbst nachzuweisen gesucht, indem er sie in Gott in höchster Vollkommenheit vorausgesetzt und seine Verbindung der Gottheit und der menschlichen Seele durch eine innere göttliche Offenbarung (daimonion) angenommen hat. Dies habe ihn zu einer teleologischen Betrachtung der Natur und zur Abwendung von der früheren Naturphilosophie geführt. Alles sei ihm zum Nutzen des Menschen geschaffen und geordnet erschienen. Mit seiner Ethik selbst ins praktische Leben einzugreifen, hat er aber als seine Hauptaufgabe angesehen. - Um die Eigentümlichkeit dieses sokratischen Kritizismus festzustellen, müssen wir auf den Begriff der Vernunft, der seinen Inhalt bildet, etwas näher einzugehen. Was zunächst die theoretische Vernunft betrifft, so war es die Grundüberzeugung des SOKRATES, daß die Ergebnisse des ungestörten und ungetrübten vernünftigen Denkens im Gegensatz zur Meinung allgemeingültig sind. Auf seine tiefere Begründung der Möglichkeit allgemeingültiger Erkenntnisse scheint er sich aber nicht eingelassen zu haben. Die Kritik des Skeptizismus des PROTAGORAS ist wohl der Hauptsache nach das Werk PLATONs, wenn sie auch, bis auf die schließliche Hindeutung auf eine Erkenntnis des Übersinnlichen (im Theaetet), ganz im Geiste des SOKRATES gehalten ist. Insbesondere die Frage, aus welchen Quellen die Vernunft ihre Erkenntnis schöpft, ob aus der Erfahrung allein oder auch aus sich selbst, ob also die Vernunft in theoretischer Hinsicht von bloß formaler oder auch von materialer Bedeutung ist, dürfen wir dem SOKRATES nicht zuschreiben. Es ergibt sich aber mit Notwendigkeit aus seiner Lehre, daß die Vernunft zumindest eine Erkenntnis aus sich selbst muß schöpfen können, diejenige des Wesens des Guten. Um dies darlegen zu können, muß ich eine kurze Erörterung über das Verhältnis der theoretischen und der praktischen Seite der Vernunft voranschicken. Auf die Frage, inwiefern die Vernunft praktisch sein, d. h. das Handeln bestimmen kann, ist die nächste Antwort: indem sie beurteilt, ob etwas gut oder übel ist und zwar nicht bloß ansich, sondern auch im Zusammenhang unseres Tuns und Leidens. Wonach beurteilt die Vernunft dies aber, mit welchem Maßstab bestimmt sie den Wert der Dinge? Offenbar muß dieser Maßstab aus dem Willen genommen werden, denn gut und übel würde gar nichts sein, wenn es keinen Willen gäbe. Einem willenlosen Wesen wäre alles gleichgültig (denn das Gefühl des Guten, der Lust im weitesten Sinn des Wortes, kann einem nicht anders zukommen, als indem man es gern hat, und das Gefühl der Unlust nicht anders, als indem man es ungern hat, das Gernhaben und Ungernhaben aber sind Weisen des Begehrens, oder vielmehr es ließe sich nachweisen, wie es auch allein mit dem sokratischen Satz von der Einheit des Erkennens und Wollens zusammenstimmt, daß es gar kein Begehren und Wollen gibt, welches nicht ein Gern- oder Ungernhaben eines gegenwärtigen Gefühls ist, sowie keine Lust oder Unlust sein kann, welche nicht insofern sie gefühlt wird auch begehrt wird), das Vorstellungsvermögen ohne das Begehrungsvermögen, die Vernunft ohne den Willen kennt keine Wertbestimmungen. Ist dies richtig, so kann das Gute als solches nur das bedeuten, was wir ursprünglich und eigentlich begehren, worauf unser Begehren seinem innersten unveränderlichen Wesen nach gerichtet ist, was wir in allem Begehren begehren, und das Übel nur das, was wir ursprünglich verabscheuen, wogegen sich unser Begehren seinem innersten Wesen nach richtet (sowie das Seiende dasjenige bedeutet, was wir in allem Vorstellen vorstellen, als was wir jeden Vorstellungsinhalt, insofern wir ihn überhaupt vorstellen, setzen). Wenn wir etwas begehren, was nicht gut ist, so gerät das Begehrungsvermögen mit sich selbst in Widerspruch aufgrund einer Täuschung über die wahre Beschaffenheit seines Objekts. Derartige Täuschungen abzuwehren dient nun die Vernunft, dieselbe erfüllt diese Aufgabe, indem sie das, was gut zu sein scheint und deshalb das Begehren erregt, vergleicht mit demjenigen, was wir eigentlich und ursprünglich, was wir aus dem Innersten unseres Wesens heraus begehren, d. h. aber mit dem, was wirklich gut ist. Mit anderen Worten, die Vernunft erfüllt ihre Aufgabe, indem sie den Willen durchgängig mit sich selbst in Übereinstimmung hält. Ein solcher durchgängig mit sich selbst übereinstimmender Wille ist ein vernünftiger, ein sich selbst widersprechender ein unvernünftiger. Wir nennen ja auch z. B. Jemanden, der in einer Krankheit den Vorschriften seines bewährten Arztes folgt, auch wo ihm dieselben schwere Entbehrungen auferlegen und mancherlei Unangenehmes zu ertragen nötigen, darin vernünftig; unvernünftig hingegen, wenn er sich etwa sein Lieblingsgericht nicht versagen kann, obwohl dasselbe seine Genesung gefährdet, oder sich zu einer schmerzhaften Operation nicht entschließen kann, die ihn doch allein von seinen Leiden zu befreien vermag. Offenbar halten wir aber deshalb das eine für vernünftig, das andere für unvernünftig, weil Jeder, der richtig denkt, die Gesundheit für ein größeres Gut als kurze Lust und für Wert, durch vorübergehende Schmerzen erkauft zu werden, halten muß, und weil der dieser Wertbeurteilung entsprechende Wille, gesund zu werden, zur logischen Folge die Absicht hat, alle Neigungen zu opfern, welche den erforderlichen Mitteln widerstreben. Es könnte freilich scheinen, als gehöre zum vernünftigen Wollen nicht bloß, daß man zur Erreichung seines Zweckes trotz widerstrebender Neigungen diejenigen Mittel und Weg wählt, welche die Vernunft in Erwägung der gerade vorhandenen Umstände angibt, daß folglich das Wollen mit sich selbst in Übereinstimmung, konsequent bleibt, sondern auch, daß der Zweck ein richtiger, d. h. ein wirklich begehrens- oder wollenswerter, ein Gut, ist. Der innere Widerspruch wäre danach zwar ein unfehlbares Kennzeichen für die Unvernünftigkeit nicht bloß der Ansichten, sondern auch der Absichten, die innere Übereinstimmung dagegen oder die Abwesenheit des inneren Widerspruchs wäre kein genügendes Kennzeichen für die Vernünftigkeit des Wollens, wie auch von den Ansichten die Logiker im allgemeinen lehren, daß sie, wenn sie keinen Widerspruch einschließen, darum noch nicht für wahr gelten dürfen, sondern bloß für möglich. Zu der inneren Übereinstimmung des Wollens mit sich selbst müßte noch hinzukommen, daß dasjenige, wozu oder worin es mit sich selbst übereinstimmt, ein Gutes ist, da ja auch törichte Pläne mit logischer Folgerichtigkeit durchgeführt werden können, sowie zur Übereinstimmung einer Ansicht mit sich selbst nach der herrschenden Logik noch hinzukommen muß, daß sie auch mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Allein wie es sich auch bezüglich der Ansichten verhalten mag, bezüglich der Absichten folgt aus dem oben über den Begriff des Guten Bemerkten, daß sie für richtig und vernünftig gelten dürfen, sobald sie keinen Widerspruch einschließen. Denn Jeder will, solange er überhaupt will, wirklich Gutes, Niemand kann etwas wollen, was ihm in keiner Hinsicht wollenswert, gut, erscheint, weil Gutes nichts anderes bedeutet, als was gewollt wird (sowie Niemand etwas vorstellen kann, ohne es als seiend zu setzen, wenn er auch durch einen begleitenden Denkakt diese Setzung wieder zurücknehmen kann). Wer demnach aufgrund einer unrichtigen Wertbeurteilung oder mit Unterdrückung seines richtigen Urteils einen Entschluß faßt, der will zugleich seinem allgemeinen unveränderlichen Zweck gemäß wirklich Gutes und dem besonderen Zweck gemäß bloß scheinbar Gutes, er will also Widersprechendes. Und umgekehrt, wer in seinem Willen keinen Widerspruch aufkommen läßt, der will nicht nur im Allgemeinen, sondern auch im Besonderen Gutes, sein Wollen ist durchweg vernünftig. Es ist wohl nicht zu befürchten, daß man diese Erörterung der Ansicht des SOKRATES zuwiderlaufend finden wird. Jedenfalls gehört zu ihrem wesentlichen Inhalt nichts, was nicht der SOKRATES der Dialoge Protagoras und Gorgias vertritt. Wenn unser Wohlbefinden, heißt es im ersteren, darauf beruhen würde, daß wir große Linien ziehen und zu erlangen suchen, kleine aber vermeiden und nicht ziehen, dann würde das Heil unseres Lebens in der Kunst zu bemessen beruhen, in der Kunst, gegenüber der Gewalt des Scheins, wenn uns ein Kleineres größer zu sein scheint als ein Größeres, weil es uns näher liegt als dieses, das richtige Verhältnis festzustellen. Nun wollen wir alle Lust (Gutes) erlangen, Unlust (Übles) vermeiden; unser Wohlbefinden hängt also davon ab, daß unsere Vernunft stets Lust und Unlust in der Weise gegeneinander abmißt, wie im angenommenen Fall große und kleine Linien. Und im Gorgias sagt SOKRATES von den Rednern, welche das Volk in ihrem Interesse auf falsche Wege leiten, daß sie zwar tun, was ihnen das Beste zu sein dünkt, aber doch nicht, was sie wollen. Wäre der wesentliche Inhalt der sokratischen Ethik durch diese Bestimmungen erschöpft, so würde sich dieselbe von der sophistischen nur durch die ihr zugrunde liegende Ansicht von der theoretischen Vernunft, daß es nämlich eine allgemeingültige Erkenntnis gibt, unterscheiden. Die in der angegebenen Weise den Willen leitende Vernunft ist ja nur die theoretische, denn ihre Tätigkeit besteht ausschließlich darin, daß sie aus dem, was im allgemeinen zu wollen richtig ist, darauf schließt, was es im einzelnen Fall ist. Aber die Vernunft hat nach SOKRATES, mag er sich dessen nun klar oder bloß dunkel bewußt gewesen sein, noch eine ganz andere Bedeutung für den Willen, eine Bedeutung, um deretwillen sie allein den Namen der praktischen verdient, und dementsprechend besteht zwischen seiner Ethik und derjenigen der Sophisten ein Unterschied, der nicht bloß aus der Logik herrührt, sondern eigentümlich ethischer Natur ist. Fragt man nämlich im Anschluß an die eben erörterten Bestimmungen, worin denn nun das Gute oder, was nach der Auffassung des SOKRATES dasselbe ist, das Nützliche oder das zur Glückseligkeit Beitragende oder die Lust im weitesten SInn des Wortes beruth, so bieten sich zwei verschiedene Antworten dar. Entweder vermag die Vernunft aus sich selbst gar nichts darüber zu sagen, was gut und was übel, sondern muß sich darüber im allgemeinen vom Willen, der dann etwas von der Vernunft Verschiedenes ist, belehren lassen, oder sie hat ein Prinzip der Unterscheidung zwischen Gut und Übel in sich selbst. Im ersteren Fall ist die Vernunft in praktischer Hinsicht nur von formaler Bedeutung, ihre Aufgabe ist, den Inhalt, welchen der von ihr verschiedene Wille nun einmal hat, empirisch zu erforschen und danach den Willen mit sich selbst in Übereinstimmung zu halten. Es gibt dann eigentlich gar keine praktische Vernunft, sondern nur eine theoretische, denn nicht die Vernunft bestimmt dann das Handeln, sondern der Wille mittels der Vernunft; die Vernunft ist, nach einem kantischen Ausdruck, heteronom. Im zweiten Fall ist die Vernunft in praktischer Hinsicht nicht bloß von formaler, sondern auch von materialer Bedeutung, sie leitet nicht bloß den Willen zu seinen Zielen, sondern sie setzt ihm auch sein allgemeinstes Ziel, sie ist wirklich praktische Vernunft, indem sie aus sich selbst das Handeln bestimmt, sie ist autonom. Wer sich für die Autonomie der Vernunft entscheidet, wird diesem Prinzip noch folgende Bestimmung hinzufügen müssen, Die Vernunft entscheidet aus sich selbst, worin das Gute überhaupt besteht; sie schöpft, mit anderen Worten, einen Begriff des Guten aus sich selbst, welcher nicht bloß die Form aller Güter, den gemeinsamen Titel derselben, wie KANT sagt, d. h. etwas, worin zwar alle Güter übereinstimmen, das aber noch nicht zu dem gehört, worin das Gute besteht, angibt, sondern welcher auch den allgemeinsten allen Gütern gemeinsamen Inhalt des Guten, der demnach notwendig mit der Form gesetzt sein muß, angibt. (Der Begriff des Guten als des zur Glückseligkeit dienenden ist einer von den leeren Begriffen der kantischen Theorie. Vom Standpunkt dieser Schrift aus muß hingegen der Begriff des Guten wie alle Begriffe einen Inhalt haben und zwar an einer Bestimmung, die allen Gütern gemeinsam ist, weil und insofern sie Güter [döring] sind, - etwa, daß sie in einem Verhalten des Ich bestehen, welches der Natur des Ich angemessen ist, oder daß sie etwas im Ich sind, was zu enthalten das Ich die Tendenz hat. Man kann dieses Gemeinsame in kantischer Redeweise die Form aller Güter, allen Begehrens nennen, aber diese Form des Begehrten ist dann nicht die Form des Begehrens, sondern bildet den allgemeinsten durch die bloße Form des Begehrens, d. h. durch das Begehren, insofern es nicht dieses oder jenes, sondern überhaupt Begehren ist, gesetzten Inhalt desselben. In analoger Weise kann man das Seiende als solches die Form alles Vorgestellten nennen, welche nicht die Form des Vorstellens, sondern der allgemeinste durch die bloße Form des Vorstellens gesetzte Inhalt ist). Die Vernunft schöpft aber ferner aus sich selbst noch eine Besonderung dieses allgemeinen Begriffs des Guten, oder vielmehr es entspringt aus ihr a priori der Begriff eines besonderen Gutes, nämlich desjenigen, welches das Gute für ein Vernunftwesen als Vernunftwesen, für das Ich in der höchsten Bedeutung des Wortes ist, - welches von einem Vernunftwesen als Vernunftwesen genossen wird, - der Begriff des höchsten Gutes. Diejenigen Bestimmungen, auf welch die übrigen Besonderungen des Begriffs des Guten beruhen und welche also zu den Begriffen von Gütern führen, die nicht für das Vernunftwesen als solches, sondern für dasselbe, insofern es niedrigere Geistesvermögen gleichsam zum Fundament hat, oder für Wesen, welche eine niedrigere Stufe des Daseins einnehmen, Güter sind, ferner diejenigen Bestimmungen, welche zum Streben nach dem höchsten Gut hinzutreten müssen, damit ein den besonderen Umständen entsprechendes Handeln stattfinden kann: diese kann die Vernunft nur aus der Erfahrung schöpfen. Zur Erläuterung erinnere ich an PLATONs Unterscheidung von drei Teilen der Seele. Jeder Teil, heißt es im 9. Buch der Republik, habe seine eigentümliche Begierde und Lust. Das Begehrliche geht auf Geld und Gewinn als Mittel des sinnlichen Genusses, das Mutartige auf Ehre und Ruhm, das Vernünftige auf Wahrheit und Einsicht. Jeder Teil rühmt seine Lust als die größte. Was aber der vernünftige lobt, ist das Richtigste, denn dieser allein hat Erfahrung vom Angenehmen auch der Anderen, diese aber nicht von dem seinigen, auch vermag der vernünftige allein mit Einsicht und Gründen zu urteilen. Der vernünftige Teil, wäre dem Obigen zufolge hinzuzufügen, kennt das, worin seine Lust beruth, und damit auch das, worin die Lust überhaupt beruth, rein durch sich selbst; dasjenige hingegen, wodurch sich die Lust des begehrlichen und des mutartigen Teils von der seinigen unterscheidet, sowie die besonderen Zusammenhänge, an welche seine eigene Lust gebunden ist, kennt er durch Erfahrung. Man kann bezweifeln, daß SOKRATES sich diesen Gegensatz der Heteronomie und Autonomie der Vernunft und den damit zusammenhängenden der Erkenntnisse a posteriori und a priori auch nur in der unvollkommensten Weise zum Bewußtsein gebracht hat, aber geahnt muß er ihn haben. Mag er es gewußt haben oder nicht, tatsächlich durchdringt der Begriff der Autonomie der Vernunft seine Ethik. Daß dieselbe Eudämonismus ist, kann nach den vorstehenden Erörterungen nicht dagegen eingewendet werden. SOKRATES und PLATON würde eben nie zugegeben haben, daß der Eudämonismus notwendig heteronomisch ist, weil sie nie zugegeben haben würden, daß, wie KANTs Ethik behauptet, das Wollen ansich leer ist und seinen Inhalt nur aus der Sinnlichkeit empfangen kann und daß es vernünftig nur durch die Unterordnung unter ein Gesetz sein kann, welches seinen Ursprung in der Tendenz der theoretischen Vernunft zum Allgemeinen hat und den Willen, ohne ihm einen anderen Inhalt zu geben, doch in Beziehung auf seinen Inhalt bestimmen soll. Vielleicht ist es nicht überflüssig, einen scheinbaren Widerspruch in dieser Auffassung der sokratischen Ethik als bloß scheinbaren nachzuweisen. Es wurde nämlich zuerst gesagt, daß die Vernunft nach SOKRATES den Maßstab für die Beurteilung des Guten und des Üblen aus dem Willen nehmen muß, während sie ihn nach dem Prinzip der Autonomie aus sich selbst nimmt. Diese beiden Behauptungen wären nur dann unverträglich, wenn SOKRATES den Willen (im engeren Sinn des Wortes) für etwas von der Vernunft Verschiedenes gehalten hätte. Er ist aber, wie schon oben erinnert wurde, der Überzeugung, daß die praktische Vernunft der Wille selbst ist. Wenn es gestattet ist, einen Augenblick den wesentlichsten Inhalt der vorstehenden Erörterungen als sokratisch zu behandeln, so ergibt sich als des SOKRATES Begriff der Vernunft dieser. Die Vernunft enthält in sich selbst eine Quelle für die Erkenntnis des Guten und des Üblen als solchen und des höchsten, d. h. des sittlich Guten und des Bösen. Insofern sie diese Quelle enthält ist sie unmittelbares Bewußtsein oder Anschauung von dem, worin das sittlich Gute überhaupt und weiter das Gute überhaupt beruth, und insofern sie dieses unmittelbare Bewußtsein ist, bestimmt sie unmittelbar das Handeln, vorausgesetzt, daß nicht andere Bestimmungsgründe ihr das Gleichgewicht halten oder sie überwiegen, ist sie also praktisch oder Wille. Die Aufgabe der theoretischen Vernunft besteht darin, aus der ursprünglichen Anschauung die begriffliche Erkenntnis des Guten und des Üblen abzuleiten und dieselbe zur Beurteilung des Guten und Üblen in jedem einzelnen Fall anzuwenden. - Wie die apriorische Vernunftanschauung von dem, was gut und übel überhaupt, und weiter von dem, was sittlich gut und böse überhaupt ist, gedacht werden muß, ergibt sich unmittelbar aus den Erörterungen des ersten Abschnitts über die intellektuelle Anschauung. Übrigens wird darauf im folgenden, PLATON betreffenden Abschnitt näher einzugehen sein. Die Frage, worin das Gute überhaupt besteht, hat SOKRATES gar nicht beantwortet (denn die Identifizierung mit dem Nützlichen, dem zur Glückseligkeit Beitragenden, der Lust im weitesten Sinne des Wortes ist keine Antwort), diejenige, worin das höchste Gut besteht, in unbefriedigender Weise, wie alle seine Nachfolger, PLATON nicht ausgenommen. Er preist die Unabhängigkeit von den Begierden und die Bedürfnislosigkeit. Für das höchste Gut selbst können diese aber nicht gelten, sondern nur für Bedingungen der Realisierung desselben. Denn was könnte der vernünftige Geist als solcher für ein Interesse daran haben, daß das gesamte Handeln nicht auf die Befriedigung der Triebe und niederen Begierden gerichtet ist, wenn es nicht ein positives Interesse für ihn gäbe, um dessentwillen die niederen Vermögen auf die Betreibung ihrer Interessen mehr oder weniger verzichten müssen. Ohne ein solches könnte die Vernunft in praktischer Hinsicht nur jene formale Bedeutung haben, welche allein den niederen Seelenvermögen zugute käme; sie könnte nur das Prinzip des rationalen Glückseligkeitsstrebens, des Utilitarismus der modernen Empiriker sein, nur zu jener Tapferkeit führen, von welcher es im Phädon (68) heißt, daß diejenigen, welche sie haben, auf Furcht und Feigheit tapfer sind, und zu jener Mäßigkeit, welche eine Mäßigkeit aus Unmäßigkeit ist. Als ein solches positives Interesse der Vernunft bezeichnet SOKRATES die praktische Einsicht. Das positive Interesse der Vernunft ist aber gleichbedeutend mit dem Guten, und die praktische Einsicht mit der Einsicht in das Gute, und so erfahren wir damit nur, wie schon PLATON (Rep. VI, 503) bemerkt hat, daß das Gute die Einsicht in das Gute ist. Allerdings ist dieser Satz kein bloßes idem per idem [das für jenes - wp]. Es liegt darin, daß das Gute, dessen Erkenntnis die Vernunft aus sich selbst schöpfen kann, die Vernunft selbst ist, und daß also jene Anschauung, welche die Vernunft ihrem Wesen nach vom höchsten Gut hat, die Anschauung ihrer selbst ist; es liegt, mit anderen Worten, darin, daß das, was wir als Vernunftwesen ursprünglich und eigentlich wollen, wir selbst als Vernunftwesen, als Wesen, in denen der Begriff des vernünftigen Geistes vollkommen realistiert ist, sind. Allein es fragt sich dann weiter, was der zu realisierende Begriff des vernünftigen Geistes enthält, welches das Ideal sein soll, dem wir uns, um wahrhaft wir selbst zu sein und an uns selbst das höchste Gut zu besitzen, gleich machen müssen, - eine Frage, die ihre Beantwortung nur aufgrund der Metaphysik finden kann. SOKRATES weist zum Ersatz einer solchen auf die Sitte und die göttlichen und menschlichen Gesetze als die obersten Normen des Handelns hin. ![]() SOKRATES hinterließ seinen Schülern die Aufgabe, in seinem Geist ein in sich zusammenhängendes Ganzes der Erkenntnis zu gestalten. Keiner hat diese Aufgabe gelöst, PLATON nicht, weil sie ihm zu klein, die sogenannten einseitigen Sokratiker nicht, weil sie ihnen zu groß war. PLATON ist über den Kritizismus hinaus, die anderen sind hinter ihn zurückgegangen. Obwohl demnach für die Lehren dieser der Name des Kritizismus kaum zutreffender sein würde als für die jenes, so wird man sie doch in der historischen Darstellung, für welche die logischen Regeln der Subsumtion nicht unbedingt maßgebend sein können; mit unter diesen Titel bringen dürfen und, sofern man sich desselben überhaupt bedient, müssen. Hier würden die einseitigen Sokratiker unbeschadet des Zusammenhangs ganz übergangen werden können, da es jedoch lehrreich sein wird, sie von dem bisher festgestellten Gesichtspunkt aus zu betrachten, so werden einige Worte über sie nicht unangemessen sein. Von den Schülern des SOKRATES hat, wenn wir den Phädon3 als zu unbekannt ganz außer Acht lassen, EUKLID am meisten sich mit Bewußtsein vom Standpunkt des Meisters entfernt. Ihm war es wieder hauptsächlich um die Metaphysik zu tun, aber nicht, weil er erkannt hätte, daß das von SOKRATES eingeführte Prinzip der Einkehr der Vernunft bei sich selbst zu einer neuen Metaphysik drängt, als vielmehr weil er mit der alten, die ihm in der ihr von den Eleaten gegebenen Gestalt früher als die sokratische Lehre bekannt geworden zu sein scheint, nicht völlig gebrochen hatte. Er bezeichnet somit, obwohl er über SOKRATES hinausstrebt, einen Rückfall in die dogmatische Denkweise. Sein Verfahren war wesentlich das eleatische, einerseits nämlich die Negation all dessen an der Außenwelt, was ihm den Anforderungen der Vernunft nicht zu entsprechen, d. h. was sich zu widersprechen schien, andererseits die Identifizierung dessen, was diese Negation übrig gelassen hat, des Seienden als solchen, mit der Vernunft. (Daß die Megariker eine Vielfalt gültiger Begriffe angenommen haben, wie man aus PLATONs Sophisten schließt, widerspricht der zuverlässigen Angabe, daß sie nur das eine Gute für seiend erklärt haben, ein Widerspruch, den auch ZELLER (Philosophie der Griechen, Bd. 2, Seite 185), welcher jenem Schluß beistimmt, zugiebt; vielleicht haben sie in der Entwicklung ihrer Lehre nur vorläufig eine Vielheit gesetzt.) Der Einfluß von SOKRATES zeigt sich erstens darin, daß die Megariker das der reflektierenden Philosophie angehörige metaphysische Verfahren, die Ableitung der Bestimmungen des Seienden aus der Natur (der Form) des begrifflichen Wissens, zu der negativen Seite ihres dogmatischen Verfahrens als eine unselbständige Ergänzung hinzugefügt haben, und zweitens darin, daß sie, auch die positivie Seite ihres dogmatischen Verfahrens ergänzend, das Seiende nicht bloß mit der Vernunft, sondern auch mit dem Guten identifizierten (die Identifizierung der Vernunft und des Guten ist in der Tat, wie oben gezeigt wurde, eine notwendige Konsequenz der sokratischen Lehre. Am wenigstens hat sich vom Standpunkt des Kritizismus ANTISTHENES entfernt, obwohl er nur eine Karikatur der sokratischen Lehre geliefert hat. Die Praxis gilt ihm für die Hauptsache, die Theorie ist um der Praxis willen, und in der Theorie die Logik um der Ethik willen da. Durch seine Logik, die übrigens mit seiner Ethik im engsten Zusammenhang steht, ist auch ANTISTHENES auf einen vorsokratischen Standpunkt zurückgegangen; er war ja auch, bevor er zu SOKRATES gekommen ist, Schüler des GORGIAS gewesen. Seine Logik ist ihrer Konsequenz nach ein Skeptizismus, denn darf von jedem Begriff nur er selbst ausgesagt werden, gibt es also keine synthetischen, nicht einmal analytische, sondern nur identische Urteile, so kann natürlich von Erkenntnis keine Rede mehr sein. ANTISTHENES kann indessen unmöglich einen radikalen Skeptizismus gewollt haben, wenn er auch gewiß die Möglichkeit der Erkenntnis zugunsten der Praxis einzuschränken gewünscht hat, denn mit der Erkenntnis überhaupt würde er auch die Tugend preisgegeben haben. Er muß geglaubt haben, daß die identischen Urteile wenigstens die zur Tugend erforderliche Erkenntnis enthalten. Dies kann er aber nur geglaubt haben, wenn er in denselben stillschweigend die Verneinung der entsprechenden nicht-identischen mitdenkt; alsdann konnte er eine aus lauter Verneinungen bestehende Erkenntnis für möglich halten. Nun hat die Ethik des ANTISTHENES in der Tat einen durchaus negativen Charakter und so läßt sich verstehen, wie ihm jene logische Theorie zur Grundlage der Ethik hat dienen können. - In der Ethik genügte dem ANTISTHENES der Hinweis auf die Sitte, die göttlichen und die menschlichen Gesetze nicht, mit dem SOKRATES die Frage nach der Norm, welche die Vernunft dem Handeln vorschreibt, beantwortet hatte. Und mit Recht; denn entweder gebietet die Vernunft, jenen göttlichen und menschlichen Gesetzen zu folgen oder sie gebietet es nicht; gebietet sie es nich, so ist demjenigen, der sich nach denselben richtet, nicht mehr die Vernunft Bestimmungsgrund des Handelns, sondern etwas anderes ist gegen den ersten Grundsatz der sokratischen Ethik an ihre Stelle getreten; gebietet sie es, so muß dies aus ihrem Wesen nachgewiesen werden, es muß nachgewiesen werden, daß die Vernunft selbst sich ein Gesetz gibt, welches zugleich den Gehorsam gegen die menschlichen und göttlichen Gesetze verlangt. ANTISTHENES fand aber keine andere Bestimmung dieses Vernunftgesetzes oder, was auf dasselbe hinausläuft, der Tugend oder der praktischen Einsicht oder des Guten, als diejenige, welche ihm auch allein von seiner Logik gestattet wurde, nämlich die tautologische: das Gute ist das Gute, die Einsicht ist die Einsicht, die Tugend ist die Tugend. Diese Bestimmungen haben aber bei ihm die Bedeutung: das Gute ist nicht das Angenehme, die Einsicht nicht das Bedürfnis, die Tugend kein Vergnügen. Und diese Negation geht ihm in die, die eine Seite der Ethik des SOKRATES karikierende Affirmation [Zustimmung - wp] über, daß das vernünftige Tun in der Unterdrückung der nicht aus der Vernunft hervorgehenden Triebe beruth. Die nicht aus der Vernunft hervorgehenden Triebe sind somit das einzige Objekt der praktischen Vernunft und zwar, um unterdrückt zu werden. Da ANTISTHENES von keinem anderen Antrieb weiß, der aus der Vernunft selbst hervorgeht, als von dem auf die Niederhaltung aller anderen Antriebe gerichteten, so müßte er konsequenterweise die Vollendung der Weisheit und Tugend in die absolute Untätigkeit, in das vollständige Gleichgewicht der nicht aus der Vernunft stammenden Triebe einerseits und des ihnen entgegengesetzten aus der Vernunft stammenden andererseits setzen. Man kann nicht etwa in jenen niederen Trieben einen Unterschied zwischen schlechten und erlaubten machen, denn schlecht können sie nach dem Prinzip des ANTISTHENES eben nur dadurch sein, daß sie nicht aus der Vernunft stammen. Statt der ernsten Überzeugung vom Wert und der Macht der Vernunft treffen wir bei ANTISTHENES eine Art Schwärmerei für die Vernunft an, die, genau besehen, einen absolut wertlosen und ohnmächtigen Götzen aus derselben macht. Noch weniger Gehalt hat das Preisen der Vernunft bei ARISTIPP. In der Ethik leugnet ARISTIPP die praktische Vernunft ganz, denn er spricht der Vernunft jede materiale Bedeutung für das Handeln ab und läßt ihr kaum die formale, das Handeln im Interesse der sinnlichen Natur zu leiten. Will der Eudämonismus des ANTISTHENES wenigstens noch autonomisch sein, so macht derjenige des ARISTIPP aus seiner Heteronomie keinen Hehl. In der Logik hebt ARISTIPP, zum Sensualismus und Skeptizismus des PROTAGORAS zurückkehrend, auch die theoretische Vernunft, folglich auch jene formale Bedeutung der Vernunft für das Handeln, auf. Wie er dennoch, gleich dem ANTISTHENES, in seiner Logik eine Grundlage seiner Ethik erblicken konnte, ist leicht verständlich. ![]() |