cr-3Philosophie des Metaphorischen 
 
FRITZ MAUTHNER
Metapher und Assoziation
II-39

"Aber nicht einmal denken können wir, wie wir wollen. Wir können nur denken, was die Sprache uns gestattet, was die Sprache und ihr individueller Gebrauch uns denken läßt."

Wir haben die Metapher als den Ausdruck für die, Erscheinung begreifen gelernt, welche man sonst das Wachstum oder die Entwicklung der Sprache nennt. Metaphorisch vollzieht sich der Bedeutungswandel der Worte. Bis zum Ursprung der Sprache konnten wir damit freilich nicht vordringen, weil der metaphorische Bedeutungswandel sich nur für die kurze Spanne von zwei- bis dreitausend Jahren verfolgen läßt, welche uns etwa Einblick in die Sprachgeschichte gewähren; und nur die Vermutung, daß immer wirkte, was heute wirkt, ließ uns vermuten, daß auch zu irgend einer Zeit der Sprachentstehung die Metapher sofort mit tätig war.

Sehen wir aber ein, daß Sprache, Gedankenassoziation und Gedächtnis nur verschiedene perspektivische Bilder desselben Vorgangs sind, und erweitern wir dadurch noch ein wenig den Begriff der Metapher, so sehen wir auf einmal auch die ersten Worte der Menschheit notwendig metaphorisch aus einem sprachlosen Zustande werden. Wir erblicken auf einmal die Rhetorik, welche die ungeheure Wirrnis der verschiedenen Metaphern unter geordnete Klassen bringen wollte, auf demselben Irrwege wie die Psychologie, welche die unendliche Vielheit der möglichen Assoziationen unter einige wenige Assoziationsgesetze einordnen wollte. Je nachdem wir den Standpunkt wechseln, erscheint uns nun entweder die Metapher als eine Unterart der Assoziation oder die Assoziation als eine Unterart der Metapher, also im Grunde Assoziation und Metapher als Begriffe, die man unter Umständen miteinander vertauschen kann. Beide Tätigkeiten knüpfen sich leicht und gern an den Gebrauch der Worte. Eine Erinnerung ruft durch sogenannte Assoziation die andere hervor, und die Hauptmasse dieser Hervorrufungen wird, wie man weiß, durch Ähnlichkeiten der Erinnerungen ausgelöst.

Wir können uns aber das Hervorrufen einer Erinnerung durch eine ihr ähnliche Erinnerung kaum anders vorstellen, als daß es während des kurzen Verlaufes dieses Aktes einen noch kürzeren Zeitmoment gibt, in welchem die zweite Erinnerung deshalb ins Blickfeld tritt, weil sie mit der ersten für vollkommen ähnlich, für gleich gehalten wird. Erst einen Augenblick später kann sich die Aufmerksamkeit der zweiten Erinnerung zuwenden, die größere Aufmerksamkeit beachtet die Unterschiede und kommt so erst zu der Qualifikation einer bloß teilweisen Gleichheit, also einer Ähnlichkeit. Dies mag aber doch wohl derselbe Vorgang sein wie die Entstehung der Metapher, wenn wir dabei nicht an ihren konventionellen Gebrauch durch gebildete Dichter denken, welche den QUINTILLIAN oder einen neuen Schulmeister studiert haben, sondern an die tausendfältigen Metaphern, welche unbewußt auf dem Wege des Bedeutungswandels die Sprache bereichern. Das bloß ähnliche Bild würde sich dem Bewußtsein gar nicht aufdrängen, wenn die Ähnlichkeit nicht im ersten Augenblicke überschätzt würde.

Wir haben aber bei der Untersuchung der Gedankenassoziationen sogar gesehen, daß der einfachste und konkreteste Begriff durch Gedankenassoziation entsteht, daß z.B., wenn das Wort  Apfel  zunächst die farbige Gestalt (bereits Assoziation zweier und mehrerer Empfindungen) einer bestimmten Frucht ins Gedächtnis ruft, sich die Erinnerungen an einen bestimmten Geschmack, Geruch, an eine Konsistenz usw. assoziieren. Hat nun aus irgend welchen Gründen der Sprachgeschichte, die sich fast immer im Nebel der Zeit verlieren, das Wort zunächst an die sichtbare Erscheinung des Dings erinnert, und bezeichnet man trotzdem damit alle anderen Eigenschaften, so tut man ja doch wieder nichts anderes, als daß man metaphorisch pars pro toto setzt, das heißt eine der beliebtesten Formen der Metapher anwendet.

Da alle Erkenntnis, also auch die Erkenntnis der Tiere, Gedächtnis ist, und da Gedächtnis so auf einer zunächst irrtümlichen Gleichsetzung und späteren Vergleichung zweier Wahrnehmungen beruht, so läßt sich nicht daran zweifeln, daß auch die sprachlose Welterkenntnis der Tiere ebenso metaphorisch ist wie assoziativ. Wir können uns bequem vorstellen, daß für den Raubvogel bestimmte Gesichtseindrücke, für den Hund bestimmte Geruchswahrnehmungen Assoziationszentren bilden, welche metaphorisch zu einem Bedeutungswandel dieser Sinneserinnerungen führen; wir können uns bequem vorstellen, wie ein bestimmter Geruch für den Hund seinen Herrn und sein Haus, sein regelmäßiges Essen und die Peitsche und zu alledem noch eine Art Hundereligion bedeutet. Zu manchen Orientierungen in der Wirklichkeitswelt sind gewiß diese Gesichts- und Geruchsassoziationszentren geeigneter, als es die Sprache der Menschen ist. Aber die Menschensprache liefert der Orientierung mit ihren Tausenden von scharf differenzierten Worten, welche einen durch Jahrtausende langsam verbesserten Weltkatalog darstellen, und durch ihre Hunderte von Variationen dieser Worte, welche Beziehungen ungefähr ausdrücken, Assoziationszentren von so erstaunlicher Menge und Bereitschaft, daß der menschliche Reichtum an Assoziationen oder Metaphern wirklich den Reichtum des Raubvogels oder des Hundes an Weltübersicht bedeutend übertreffen muß. Ein Konversationslexikon, welches der Adler auf seine Gesichtsassoziationszentren, der Hund auf seine Geruchsassoziationszentren aufbauen wollte, wäre innerhalb eines bestimmten Kreises noch für den Menschen sehr aufschlußreich; aber die historischen, chemischen und astronomischen Daten unserer Lexika würden größtenteils darin fehlen.

Nur freier als das Tier dürfen wir uns mit unserem Sprachdenken nicht dünken. Sicherlich steht das Tier in seiner Orientierung unter dem Zwange der Notwendigkeit. Die Kette kann länger oder kürzer sein, je nachdem die Sinne weiter tragen oder nicht; an einer Kette jedoch schleift die Notwendigkeit die Amöbe hinter sich her wie den klugen Hund. Und die Kette des reich besinnten Menschen ist so lang, daß er sich für frei hält. Für frei auch darum, weil der Reichtum der möglichen Assoziationen der Notwendigkeit gestattet, dem denkenden Menschen das Spiel unzähliger Möglichkeiten vorzugaukeln, unter denen nur eine einzige wirklich notwendig ist. Und wie im Handeln, so tritt auch im Denken oder Erinnern oder Assoziieren die einzig wirkliche Notwendigkeit in sein Bewußtsein. Und das Gaukelspiel der anderen Möglichkeiten nennt er den Zufall, scharfsichtig genug, wenn er dieses Gaukelspiel auch noch in den Daten seiner Sinne und in den Bedeutungen seiner Worte wiedererkennt. Wir waren so scharfsichtig, die Entstehung der menschlichen Sinnesorgane, so wenig sie auch sonst durch den Darwinismus erklärt ist, als zufällig zu begreifen, unsere Sinne bescheiden als Zufallssinne zu erkennen; wir haben weiter erfahren, daß die Sprachgeschichte mit ihrem Bedeutungswandel wie jede andere Geschichte Zufallsgeschichte ist, das heißt ein Nacheinander, dessen Gesetze wir nicht begreifen.

Wir müssen jetzt gesenkten Hauptes uns selber zugestehen, daß unser sogenanntes Denken oder Sprechen nichts weiter ist als das Heranschießen oder Kristallisieren neuer Assoziationen oder Metaphern an die ererbten Assoziationszentren unserer Sprache, daß die Art dieses Heranschießens oder Kristallisierens, abgesehen von der Sprache selbst , von dem Zufall unserer individuellen Erfahrungen abhängt, daß aber der sogenannte objektive Geist der Sprache, die einem Volksstamm gemeinsame Assoziationskraft der einzelnen Worte, entstanden ist durch den Zufall der Sprachgeschichte und weiter zurück durch die Daten unserer Zufallssinne, daß dieser vermeintliche Zufall für einen außermenschlichen Standpunkt doch wieder Notwendigkeit war, und daß wir nur denken können, was unsere Zufallssprache will. Daß wir nicht handeln können, wie wir wollen, ist von der neueren Ethik ausgemacht worden. Aber nicht einmal denken können wir, wie wir wollen. Wir können nur denken, was die Sprache uns gestattet, was die Sprache und ihr individueller Gebrauch uns denken läßt. Wir können nur denken, was wir gewollt  haben  und was unsere Vorfahren gewollt  haben.  Einstiges Wollen hat einstiges Interesse erzeugt und so die Sprache. Und selbst unser phantastisches Wollen einer Zukunft ist nur einstiges Interesse, ist nur ein Erinnern dessen, was wir gewollt haben und was unsere Vorfahren gewollt haben.

Die innere optische Täuschung einer Willensfreiheit beruht vielleicht zunächst auf dem Scheine, daß die Reihe der heranschießenden Assoziationen von unserem Entschlusse abhänge, während sie bis zu einem gewissen Grade höchstens von unserer Aufmerksamkeit abhängt, die nicht von uns bestimmt ist. Wenn ich mich z.B. genau des Tages erinnern will, an welchem ich in Fonterossa ein denkwürdiges Erlebnis hatte, und es fällt mir zunächst nur die Erdbeertorte ein, die ich an jenem Tage zu essen bekam, so kann ich nichts tun als aufpassen. Mein Interesse - ich halte es für meinen Willen - preßt mir den Kopf zusammen und läßt wahrscheinlich reichlich Blut ins Gehirn strömen, so daß die Erinnerungsdispositionen lebhafter geweckt werden. Ich warte und passe auf. Eine unscheinbare Erinnerung nach der anderen steigt über die Schwelle des Bewußtseins, die Zeit ordnet sich in Tage, mir fällt der erste August als der Tag meiner Ankunft ein, und endlich knüpft sich an die Erdbeertorte und was drum und dran hängt das Datum des dritten August. Ganz so mag es zugehen, wenn ich scheinbar meinen Willen auf etwas Zukünftiges richte. Wenn ich z.B. den folgenden Satz bilden will. Die eben gebildeten letzten Worte sind der Ausgangspunkt; ein Gedanke, der aber wieder nur irgendwie aus dem individuellen Gebrauch meines ererbten Sprachschatzes stammt, ist der scheinbar in der Zukunft liegende Endpunkt. Ich habe nur kürzere oder längere Zeit aufzupassen und zu warten, daß der Kristallisationsprozeß der Assoziationen die luftige Wortbrücke schlage vom Ausgangspunkte zum Zielpunkt. Ich "glaube" es nicht, aber ich weiß es: ich habe gesagt, was .die Sprache mich sagen ließ, was ich in einem Leben von sechzig Jahren gewollt hatte und was die Geschlechter vor mir "gewollt" haben.
rückerLITERATUR - Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache II,
Zur Sprachwissenschaft, Stuttgart/Berlin 1906