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Untersuchungen über die Ideenassoziation [und ihren Einfluß auf den Erkenntnisakt] [1/2]
Der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Ideenassoziation und vornehmlich der Einfluß derselben auf den Erkenntnisakt. Ich glaube nämlich klar erkannt zu haben, daß sich mit der bisherigen gewöhnlichen Erkenntnistheorie weder die Möglichkeit des Irrtums, noch das Verständnis der Erfahrung erklären läßt. Beides nun durch die Einwirkung der Ideenassoziation auf den Erkenntnisakt zu erklären, ist der letzte Zweck dieser Abhandlung. Mit dem Beginn der neueren Philosophie trat die Frage über den Erkenntnisgrund in den Vordergrund, eine Frage, die man sich früher nie aufgeworfen hatte. Vor KANT bildeten sich hauptsächlich zwei grundverschiedene Theorien aus: die sensualistische (Empirismus, bis hin zum Materialismus, vornehmlich vertreten durch LOCKE, CONDILLAC und die französischen Enzyklopädisten) und die idealistische Erkenntnistheorie (vertreten durch CARTESIUS, MALEBRANCHE, SPINOZA, LEIBNIZ etc.) Ins Extrem verfolgt, zeigte sich ihre Einseitigkeit, welche nun KANT zu versöhnen suchte. Das Resultat seines Kritizismus war: Das Erkennen ist das Produkt zweier Faktoren, des erkennenden Subjekts und der Außenwelt. Letztere liefert den Stoff, Ersteres gibt die Form, durch welche erst eine zusammenhängende Erkenntnis möglich wird. Anschauungen ohne Begriffe sind blind; Begriffe ohne Anschauungen leer. So versöhnte er jene beiden extremen Richtungen. - Nach ihm verfiel die Philosophie einerseits in einen dogmatischen Idealismus (FICHTE, SCHELLING, HEGEL) andererseits neigte sie zum Empirismus (HERBART), während der moderne Materialismus (MOLESCHOTT, CARL VOGT, LUDWIG BÜCHNER etc.) nur eine Erneuerung des französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts ist (vgl. ULRICI "Gott und der Mensch", Bd. 1, Leipzig 1866, Seite 2). So sehr nun auch die kantische Erkenntnistheorie, welche seitdem beständig unter dem Namen eines "Realidealismus" oder "Idealrealismus" wiederkehrt, die Einseitigkeiten der sensualistischen wie der idealistischen Erkenntnislehre vermieden und überwunden zu haben scheint, so ist dieselbe dennoch völlig unfähig das Rätsel des menschlichen Erkennens genügend zu erklären und hat wieder ihre eigentümlichen Schwierigkeiten. Denn ist es richtig, daß alle Erkenntnis nur aus diesen beiden Faktoren (Verstand und Sinnlichkeit stammt, dann läßt es sich schwer erklären, wie Täuschungen und Irrtümer möglich sein sollen. KANT fühlt dies selbst sehr wohl und sagt in seiner Logik (Werke I, Hartenstein, Leipzig 1838, Seite 380):
Und wer ist nun dieser mächtige Dämon, der mit uns dieses trügerische Spiel der Täuschung treibt? Kein anderer als unsere Ideenassoziation. Um jedoch ihren merkwürdigen Einfluß auf den Erkenntnisakt nachweisen zu können, müssen wir uns vor allem eine nähere Kenntnis der Ideenassoziation selbst und des menschlichen Denkens und Erkennens überhaupt verschaffen. Ich beginne daher damit, die wissenschaftliche Wertlosigkeit der sogenannten "Vier Gesetze der Ideenassoziation" aufzuzeigen und dann das meines Erachtens allein wahre Gesetz derselben aus dem Wesen des menschlichen Denkens und Erkennens heraus zu entwickeln. Es ist eine allgemeine zugestandene Tatsache, daß in unseren Vorstellungen ein gewisser Zusammenhang waltet, daß sie sich in gewissen Verbindungen wiedererwecken, und man hat diese merkwürdige Erscheinung "Ideenassoziation" genannt. Über den Wert und die Bedeutung derselben scheint man sich jedoch seltsamerweise noch sehr im Unklaren zu befinden. Wenigstens wird der Ideenassoziation in philosophischen Lehrbüchern oft nur mit ein paar Worten gedacht und mehr als die sogenannten 4 Gesetze derselben bekommt man gewöhnlich nicht zu lesen. So kam es dann, daß dieser Gegenstand noch außerordentlich dunkel ist, und wie ULRICI sagt, "der wissenschaftlichen Begründung und Aufklärung" noch "dringend bedarf". Über die Entstehung der Ideenassoziation haben sich nun zwei verschiedene Ansichten gebildet. Die Einen behaupten, die Vorstellungen verschmelzen und assoziieren sich von selbst. Dieses ist die sogenannte Verschmelzungstheorie, welche von HERBART, BENEKE und ihren Anhängern aufgestellt und vertreten wird. Die Anderen dagegen meinen die Ideenassoziation beruth auf einem Akt der Selbsttätigkeit der Seele und diese Anschauung wird vornehmlich von ULRICI vertreten. Von der Richtigkeit der Verschmelzungstheorie konnte ich mich nicht überzeugen und habe daher für ULRICI Partei genommen. Ich sehe jedoch vorderhand von dieser Streitfrage ganz ab. Sie löst sich ohnehin im Laufe der Untersuchung ganz von selbst. Was aber die Widerlegung der HERBART-BENEKE-Theorie betrifft, so verweise ich auf die spezielle Kritik der Theorie HERBARTs bei ULRICI (Gott und der Mensch, a. a. O., Seite 505 Anmerkung, 508 und 524). Beide Parteien erkennen nun an, daß die Ideenassoziation nach gewissen Gesetzen erfolgt. An diese wollen wir uns jetzt machen und zeigen, daß dieselben wissenschaftlich wertlos sind und nur die Bedeutung empirischer Regeln haben. Man nimmt gewöhnlich vier solcher Gesetze an. Sie lauten:
2) Das Gesetz des Kontrastes: "Kontrastierende Vorstellungen wecken einander." 3) Das Gesetz der Koexistenz: "Vorstellungen, die auch nur durch Zeit und Raum miteinander verbunden sind, wecken sich gegenseitig." 4) Das Gesetz der Sukzession: "Vorstellungen wecken sich in derselben Ordnung, in welcher sie ursprünglich in uns hervorgetreten waren." (Wilhelm Esser, Psychologie, Münster 1854, Seite 157f)
Allerdings läßt sich allen diesen sogenannten Gesetzen eine gewisse empirische Berechtigung nicht absprechen; nach Umständen kann es ja vorkommen, daß sich Ideen nach dem einen oder anderen dieser Gesetze erwecken und ist auch tatsächlich der Fall - aber wissenschaftlichen Wert haben diese Formeln nicht; sie sagen nur was sein kann, nicht aber was sein muß und warum. Sie sind auch nnincht nach einem bestimmten Prinzip aufgestellt, sondern zufällig aus der Erfahrung aufgelesen und zusammengestellt, von Anderen vermehrt oder vermindert, oder anders gefaßt. Kurz es sind empirische Regeln, aber keine wissenschaftlichen Gesetze. Die empirische Regel unterscheidet sich nun vom wissenschaftlichen Gestz dadurch, daß diesem ein apriorischer Gehalt zukommt, d. h. daß es allgemein und notwendig gilt, jene nicht. Bloße Regeln gestatten Ausnahmen: "Keine Regel ohne Ausnahme", Gesetze müssen dagegen ausnahmslos gelten, dürfen keine Ausnahmen zulassen: denn würden sie dies tun, so würden sie den Charakter ihrer Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, worin ihre wissenschaftliche Bedeutung besteht, einbüßen und wieder zu bloßen Regeln herabsinken. Nun verhalten sich aber die Regeln zum Gesetz wie die Arten zur Gattung. In jeder Regel muß, wenn etwas Wahres daran sein soll, das wissenschaftliche Gesetz implizit enthalten sein. Obige vier Regeln wären demnach nur einzelne Fälle (Arten) eines viel allgemeineren Gesetzes (Gattung) und dieses Gesetz muß, wenn jene Regeln wahr sein sollen, implizit in ihnen enthalten sein. Nun ist nicht zu leugnen, daß unsere Ideenassoziation sich häufig nach diesen Regeln richtet, ja daß, wenn man diese fälschlich sogenannten vier Gesetze der Ideenassoziation, wie es in der Mnemotechnik geschieht, praktisch verwertet, wirklich die gewünschte Reproduktion der aufgrund jener Gesetze verbundenen Vorstellungen wieder eintritt. Etwas Wahres ist also unbedingt an ihnen. Es muß daher in diesen Regeln das geheimnisvolle Gesetz der Ideenverbindung implizit enthalten sein, und unsere Aufgabe ist es nun, dasselbe aus jenen zu entwicken. Betrachten wir diese 4 Regeln näher, so finden wir, daß sie alle das Gemeinsame haben, daß sie sich auf einen Vergleich zurückführen lassen. Zu diesem wichtigen Resultat sind auch schon Andere gekommen. So setzt z. B. HERMANN KOTHE in seinem "Katechismus der Mnemotechnik" (Leipzig 1863, Seite 29f) ganz vortrefflich auseinander, daß allen 4 Gesetzen der Ideenassoziation "die Bezogenheit der Vorstellungen" zugrunde liegt.
Auf dieses eine allgemeine Gesetz lassen sich nun leicht die bisherigen sogenannten 4 Gesetze der Ideenassoziation zurückführen. Sie sind nur einzelne Fälle desselben. Ähnlichkeit, räumliche und zeitliche Koexistenz und Sukzession sind einzelne tertia comparationis, konkrete Erscheinungen des Gesetzes, aber nicht das Gesetz selber. Auch kontrastierende Vorstellungen haben Beziehungspunkte (tert. comp.); denn konträre Gegensätze sind ja gleichartig, während der kontradiktorische Gegensatz nur logische Realität hat. Es ist daher durch Induktion höchst wahrscheinlich gemacht, daß das eben aufgestellte Gesetz wirklich das wahre Gesetz der Ideenassoziation ist. Damit können wir uns aber nicht begnügen. Unsere Aufgabe wird jetzt sein, den apriorischen Gehalt dieses Gesetzes, ein solches soll es ja sein, nachzuweisen. Jedes wissenschaftliche Gesetz muß nämlich allgemein und notwendig gültig sein. Diese Allgemeinheit und Notwendigkeit überhaupt kann nun ihren Grund entweder in den Dingen haben, in der Einerleiheit der Objekte (in der Sinneswahrnehmung) oder in der Wesensgleichheit aller Menschen. Ersteres ist der Standpunkt des Dogmatismus, ein, wie KANT gezeigt hat, unhaltbarer Standpunkt; wir stellen uns daher auf den anderen, auf den auch KANT sich gestellt hat, auf den Standpunkt des Kritizismus, und suchen nun die subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Gesetzes der Ideenassoziation nachzuweisen. Dies geschieht entweder durch eine Zurückführung eines Satzes auf die gemeinsame Organisation (Wesensgleichheit) der gesamten Menschheit d. h. all jener Individuen, die unter den Begriff Mensch fallen und gleichmäßig organisiert sein müssen, um unter diesen Begriff zu fallen, oder dadurch, daß wir zeigen, daß ein bestimmter Satz nur die notwendige Konsequenz eines allgemein gültigen menschlichen Gesetzes ist. Ich werde nun zu zeigen versuchen, daß sich unser Gesetz der Ideenassoziation auf das Gesetz des menschlichen Denkens und Erkennens zurückführen läßt. Daher muß ich vorerst vom menschlichen Denken und Erkennen selbst sprechen. menschlichen Denkens Um die Lösung psychologischer und erkenntnistheoretischer Fragen hat sich in unseren Tagen namentlich Professor ULRICI in Halle verdient gemacht. ULRICI suchte nämlich in seinen verschiedenen Schriften ("System der Logik", Leipzig 1852, Seite 13f; "Kompendium der Logik", Leipzig 1860, Seite 20f; "Gott und der Mensch", Leipzig 1866, Seite 293 und besonders 239f und an vielen anderen Stellen) nachzuweisen, daß allem Bewußtsein und Denken eine unterscheidende Tätigkeit zugrunde liegt.
Indessen dünkt mich, daß dem Unterscheiden doch noch eine andere Tätigkeit, nämlich ein Vergleichen vorausgeht, deren Resultat erst das Unterscheiden ist. Die Gründe, die mich bewegen, in diesem Punkt von ULRICI abzuweichen, sind in Kürze folgende: Es ist nicht einzusehen, wie ich zwei Objekte voneinander unterscheiden soll, ohne daß und ehe ich beide miteinander verglichen habe. Ich kann doch z. B. nicht sagen, wieviele Fenster ein Haus hat, ohne daß und ehe ich meinen Blick über dieselben hingleiten ließ d. h. sie verglichen habe. Es ist ferner eine Tatsache, daß wir uns erst infolge wiederholten Vergleichens der Unterschiede der Dinge bewußt werden. Je mehr wir die Dinge vergleichen, umso mehr unterscheiden wir sie. Sagt man aber, ich müsse, um ein paar Objektie miteinander vergleichen zu können, dieselben erst als zwei unterschieden, d. h. sie voneinander geschieden, einander gegenübergestellt haben, so ist das richtig; allein ich hätte sie doch überhaupt nicht als zwei unterscheiden können, wenn ich nicht zuvor auf das eine und dann auf das andere Objekt geblickt, d. h. beide aufeinander bezogen, d. h. verglichen hätte. Der wichtigste Grund aber ist der, den ich im Folgenden näher erörtern will, daß nämlich aller Unterschied subjektiv-relativ ist, d. h. vom Standpunkt meiner Vergleichung abhängt, daß es mithin keinen absoluten, objektiven oder gegebenen Unterschied geben kann. Aus dieser Relativität desselben folgt klar, daß aller Unterschied ein Vergleichen voraussetzt und erst das Produkt einer Vergleichung ist. Aus diesen Gründen muß ich behaupten, daß allem Unterscheiden ein "Vergleichen" zugrunde liegt, daß mithin die primitive Tätigkeit unseres Denkens ein "Vergleichen", das "Unterscheiden" aber erst das Resultat dieses Vergleichens ist. Beide verhalten sich wie Tätigkeit und Tat, wie Ursache und Wirkung; eines ist nur die andere Seite des anderen. Es sind nicht zwei verschiedene Tätigkeiten, sondern es ist immer nur ein und dieselbe Tätigkeit, die in ihrem Anfangspunkt "vergleichen" in ihrem Endpunkt "unterscheiden" heißt. Indessen ist diese Differenz mit ULRICI nicht so bedeutend, als es scheinen möchte, da auch er anerkennt, daß das "Beziehen" ein notwendiges Moment jeden Aktes der unterscheidenden Tätigkeit ist (Kompendium der Logik, a. a. O., Seite 36). Nun sind aber "Beziehen" und "Vergleichen" nur verschiedene Worte für ein und dieselbe Tätigkeit. Beides ist ein wechselseitiges Betrachten zweier oder mehrerer Objekte mit der bewußten oder unbewußten Absicht, dadurch ihre Identität oder ihren Unterschied festzustellen. Jedes derartige wechselweise Betrachten heißt ein "Beziehen"; "Vergleichen" aber wird dieses Beziehen genannt, wenn die Objekte "gleichartig" sind. Indessen wird im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwischen beiden Begriffen gar nicht unterschieden und es werden beide als synonym gebraucht, da sie ja doch an und für sich ein und dieselbe Tätigkeit bezeichnen. Wir streiten uns daher schließlich höchstens um den Ausdruck, indem ich den Begriff "Vergleichen" im Anschluß an das populäre Sprachbewußtsein und um eine einfachere Terminologie zu erhalten in einer allgemeineren Bedeutung fasse als ULRICI. Im Resultat kommen wir ja ohnehin auf dasselbe hinaus. Auch mir ist das Denken schließlich ein "Unterscheiden" und alles Gedachte ein "Unterschiedenes". - Da nun kein Unterscheiden ohne Vergleichen möglich ist, mithin alles Unterscheiden ein Vergleichen notwendig voraussetzt, so habe ich ein Recht darauf, alles, was ULRICI für seine unterscheidende Tätigkeit anführt, für meine vergleichende Tätigkeit in Anspruch zu nehmen und ich verweise daher zur nächsten Begründung meines Prinzips: "Alles Denken ist Vergleichen", auf das, was ULRICI in seinem "System der Logik", "Kompendium der Logik", "Gott und der Mensch" etc. für seine unterscheidende Tätigkeit vorbringt. Ich müßte sonst größtenteils nur wiederholen, was ULRICI bereits gesagt hat. Gestützt auf das Resultat der Untersuchungen ULRICIs und obige Auseinandersetzung der beiden Begriffe Vergleichen und Unterscheiden, behaupte ich daher: Alles Denken ist nichts anderes als Vergleichen. Unter Denken aber verstehe ich diejenige Tätigkeit der Seele, welche der Erfahrung die Form gibt, welche die Erfahrung eben zur menschlichen Erfahrung macht, kurz die formschaffende Tätigkeit der menschlichen Seele. Alles Denken, Erkennen, Urteilen, Schließen, Verbinden, Trennen, Schätzen, Zählen, Messen, Wägen, Betrachten, Studieren, Erwägen, Addieren, Substrahieren usw. usf. ist nichts anderes als ein Vergleichen, bzw. Unterscheiden, ist ein und dieselbe Tätigkeit und nur nach den verschiedenen Gesichtspunkten, nach welchen sie ausgeübt wird, wird sie verschiedentlich benannt. Und was ist nun das Erkennen? Das Erkennen ist jedenfalls ein Akt unserer Denktätigkeit. Fasse ich nun diesen Denkakt in seiner Tätigkeit, so kann ich mit Recht alles Erkennen ein Vergleichen nennen. Richte ich mein Augenmerk dagegen auf das Resultat dieser Tätigkeit, so muß ich sagen, das Erkennen ist Unterscheiden, das Erkannte ein Unterschiedenes. Wir kommen hiermit zu folgendem Prinzipalsatz:
Was nun den Grad der Gewißheit unseres Prinzips betrifft, so muß ich gestehen, es hat nur assertorische [behauptende - wp] und keineswegs apodiktische [sichere - wp] Gewißheit. Die Erfahrung zeigt, es ist so; warum? weiß ich ebensowenig, wie der Geomater mir den Grund sagen kann, warum der Raum gerade 3 und nicht 2 oder 4 Dimensionen hat. Letzte Prinzipien haben immer nur assertorische und nie apodiktische Gewißheit. Es wäre überhaupt eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] von einem letzten Prinzip mit apodiktischer Gewißheit zu sprechen. Denn alle apodiktische Gewißheit beruth auf dem Satz vom Widerspruch. Nun lassen sich die letzten Prinzipien mit dem Satz vom Widerspruch wohl prüfen, haben aber nicht den Grund ihrer Wahrheit in demselben (vgl. KANT, "Kritik der reinen Vernunft", Hartenstein, Bd. II, Seite 46). Alle apodiktische Gewißheit ist somit eine nach dem Satz vom Widerspruch abgeleitete. Da sich aber die letzten Prinzipien nicht weiter ableiten lassen, sondern vielmehr alles Übrige selbst aus ihnen abgeleitet ist, so können sie auch nie apodiktische, sondern immer nur assertorische Gewißheit haben. Zu demselben Resultat kommt auch ULRICI in seinem "System der Logik", Seite 25. Der Beweis der Grundvoraussetzungen der Philosophie, sagt er dort, ist "nur ihre unleugbare Tatsächlichkeit." Das einzige materielle Kriterium der Wahrheit oder Unwahrheit, das wir haben, ist die Übereinstimmung oder der Widerspruch mit der Erfahrung. An sie also müssen wir appellieren. Sie bestätigt die Richtigkeit der mathematischen Gesetze, sie bestätigt auch, daß allem Denken und Handeln der Menschen ein vergleichender bzw. unterscheidender Geist zugrunde liegt. In der Praxis muß die Theorie ihre Wahrheit zeigen. - Ein schlagender Beweis für die Richtigkeit und Allgemeingültigkeit unseres Denk- und Erkenntnisprinzips ist die Sinneswahrnehmung. Wohin wir nämlich blicken, überall nehmen wir Unterschiede in den Dingen wahr, ja jedes Ding ist selbst nichts anderes als ein Unterschiedenes, denn wir würden nicht von Dingen sprechen, wenn wir nicht das eine vom anderen unterscheiden würden. Es ist nun aber klar, daß wir keine Unterschiede wahrnehmen könnten, wenn unser Denken und Erkennen keine vergleichende und unterscheidende Tätigkeit wäre. Der Grund, warum wir Unterschiede wahrnehmen, liegt somit zunächst nicht in den Dingen, sondern in der Beschaffenheit unseres Denkvermögens, und wenn wir Unterschiede erblicken, so ist dies hiermit nur eine Folge unserer Organisation. Mithin richtet sich unser Erkennen, wie schon KANT so sehr betonte, nicht nach den Dingen, sondern die Dinge müssen sich nach unserem Vermögen richten. Nur darum nehmen wir Unterschiede wahr, weil wir unterscheidende Wesen sind; anders organisierte Wesen würden weder Dinge noch Unterschiede in den Dingen erblicken. Unsere ganze Weltanschauung ist also nur die Folge unserer eigentümlichen Organisation. Wir fassen die Welt in unserer Weise auf. Unsere Weise aber, menschliches Denken, ist Vergleichen bzw. Unterscheiden; wir müssen daher die Welt als einen Komplex von Dingen, von Unterschieden auffassen und können sie nicht anders denken, auch wenn wir anders wollten. Der Mensch muß sich also die Welt nach einer bestimmten Norm denken, die ihm in seiner Vernunft vorgezeichnet ist. Er muß Dinge und Unterschiede in der Welt erblicken und kann sich die Welt auch nicht anders denken, als seine Vermögen es verlangen. Wie sehr unsere ganze Weltanschauung von dieser vergleichenden und unterscheidenden Tätigkeit abhängt, werden wir unten noch sehen: es geht nur soviel in unser Bewußtsein ein, als wir verglichen und unterschieden haben. Was daher der Mensch in sich aufnimmt, ist seine Tat und die Welt in unserem Bewußtsein ist kein bloßes Spiegelbild der Außenwelt. Wenn ich nun aber einmal weiß, ich muß mir die Welt so denken, wie ich sie mir denke, und kann sie nicht anders denken, auch wenn ich anders wollte, dann kann es mich eigentlich wenig kümmern, ob die Welt in der Wirklichkeit auch so ist, wie ich sie mir denke, ich kann sie ja doch nicht anders denken als meine geistige Organisation mir vorschreibt. Indessen läßt auch diese Frage sich entscheiden und ein einfaches Räsonnement [Argument - wp] wird uns zeigen, daß der Unterschied als solcher nicht in den Dingen existieren kann. Aller Unterschied ist nämlich relativ. Je nachdem ich ein Objekt so oder so vergleiche, ist das oder jenes sein Unterschied. Der Unterschied ist also nichts Festes, Bleibendes in den Dingen, sondern ändert sich mit dem Standpunkt meiner Vergleichung. Vergleiche ich z. B. zwei Menschen in Bezug auf ihre Haare, so unterscheidet sich der eine vom andern z. B. durch schwarze Haare, während der andere blonde hat. Dies ist also ihr Unterschied. Vergleiche ich dagegen beide im Hinblick auf ihre Beschäftigung, so ist der eine ein Handwerker, der andere ein Gelehrter, und nun liegt hierin ihr Unterschied, während die Haare keinen Unterschied für ihre Beschäftigung ausmachen und gleichgültig sind. Nun sage mir Einer, ohne sich auf einen bestimmten Standpunkt zu stellen, was ist der Unterschied dieser beiden Individuen? wodurch unterscheiden sie sich voneinander? Kein Mensch ist imstande hierauf eine Antwort zu geben; denn was er auch immer antworten würde, wäre ebenso relativ wie das bereits Erwähnte und lediglich von dem Standpunkt bedingt, den er gewählt hat. Es nützt auch nichts zu sagen: der Unterschied beider liegt in der Summe ihrer unterscheidenden Merkmale; denn alle diese sind subjektiv, können daher auch in ihrer Gesamtheit keinen objektiven Unterschied begründen. Es gibt also keinen objektiven, absoluten, vom Subjekt unabhängigen Unterschied; aller Unterschied ist vielmehr subjektiv, relativ, d. h. er hängt vom subjektiven Standpunkt unserer Vergleichung ab. Daher kann der Unterschied als solcher (als objektiver Unterschied) in den Dingen selbst nicht existieren. Freilich fällt es uns unendlich schwer, diesen Satz zu begreien, und man wird erstaunt fragen: Wie? ein Baum, ein Haus, ein Gebirge etc. das sind keine Unterschiede? Allein man vergißt eben, daß wenn wir sagen, wir sehen "etwas", wir unbewußt schon unterschieden haben, und daß wir nur deshalb Unterschiede erblicken, weil wir eben unterscheidende Wesen sind. Die Dinge müssen sich ja nach unseren Vermögen richten und nicht umgekehrt. Es ist daher auch verzeihlich, wenn es uns so schwer fällt jenen Satz zu begreifen, da unsere ganze Organisation uns nötigt, wohin wir blicken Unterschiede wahrzunehmen. Allein eine nähere Reflexion zwingt uns doch zu gestehen, daß der Unterschied als solcher nicht in den Dingen existieren kann, da derselbe nur das Produkt unserer unterscheidenden Tätigkeit, und vom subjektiven Standpunkt unserer Vergleichung bedingt ist. Dieser Satz verwickelt uns jedoch in eine bedenkliche Antinomie. Freilich ist es klar bei der Relativität und Subjektivität allen Unterschiedes, daß derselbe als solcher in den Dingen nicht existieren kann; es ist aber ebenso klar, daß wir keine Unterschiede aus den Dingen herauslesen könnten, wenn solche nicht in denselben wären. Jene Reflexion niegiert den Unterschied in den Dingen diese postuliert ihn. Diesen Widerspruch löst nun: Das Gesetz der Koexistenz. Es ist eine Tatsache, wohin wir blicken: überall nehmen wir Unterschiede wahr. Der Unterschied kann aber als solcher in den Dingen selbst nicht existieren, er soll jedoch und muß in den denselben existieren, da wir sonst keine Unterschiede wahrnehmen könnten, also: kann er in den Dingen nur koexistieren, d. h. die unterscheidenden Merkmale koexistieren in den Dingen neben anderen Merkmalen, die keinen Unterschied begründen. Ich nenne diese wichtige Folgerung das Gesetz der Koexistenz. Wir müssen demnach fragen: Allerdings sind Dinge und überhaupt Unterschiede in der Welt; aber sie existieren nicht als solche, als fertige objektive Unterschiede in einem dogmatischen Sinn, sondern nur als Unterschiede der Potenz, der Möglichkeit nach, d. h. jedes Ding und jeder Teil eines Dings hat die Befähigung in sich, ist dazu angelegt, Unterschied werden zu können. Die Welt und jedes Ding ist ein Komplex von unendlich vielen möglichen Unterschieden, und es kommt nur auf den subjektiven Standpunkt meiner Vergleichung an, ob ich diesen oder jenen möglichen Unterschied zum wirklichen Unterschied mache. In der Welt koexistieren alle Unterschiede heißt nicht, sie sind nicht vorhanden, sondern sie sind vorhanden aber nur der Potenz, der Möglichkeit nach. Wirklich werden die Unterschiede erst in unserem Denken durch die vergleichende und unterscheidende Tätigkeit. Damit ist jene scheinbare Antinomie gelöst und es ist gezeigt, aß die beiden Sätze: "der Unterschied existiert als solchen in den Dingen selbst nicht" und "es müssen Unterschiede in der Welt existieren, da sonst keine Unterschiede wahrgenommen werden könnten", keinen Widerspruch enthalten. Dieses Gesetz ist in seiner Anwendung von der größten Tragweite. Indessen kann ich mich hier darauf nicht einlassen, da es mich zu weit führen würde. Es genügt mir die durchgängige Subjektivität unserer Weltanschauung gezeigt zu haben. Es ist durchaus nicht zufällig, daß wir die Welt als einen Komplex von unendlich vielen Dingen, die Dinge wieder als einen Komplex von vielen Merkmalen, Beschaffenheiten, Eigenschaften, Atomen, Monade etc. denken; Dinge, Merkmale usw. all das sind nichts anderes als Produkte unserer vergleichenden bzw. unterscheidenden Tätigkeit, es sind Unterschiede und wir müssen uns die Welt als einen Komplex von unendlich vielen Unterschieden denken, weil wir unterscheidende Wesen sind. So ist unsere ganze Weltanschauung unsere subjektive Tat und nichts weniger als das bloße Abbild der wirklichen objektiven Außenwelt. - Ich kehre zurück zu dem Satz: Alles Erkennen beruth auf Vergleichen, ist Unterscheiden. "Vergleichen" heißt nun nichts anderes, als zwei oder mehrere Objekte unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt (tertium comparationis) zusammenzustellen und ihr Verhältnis zu diesem zu bestimmen. Ein solcher gemeinsamer Beziehungspunkt muß immer vorhanden sein, d. h. die Dinge, die ich vergleichen will, müssen "gleichartig" sein, wenn ein Vergleich und hiermit positive Erkenntnis möglich sein soll. Wo kein tert. comp. da ist, ist auch kein Vergleichen möglich. Daher lautet das erste Gesetz der Erkenntnismöglichkeit, das Gesetz der Gleichartigkeit: Gleichtartiges wird durch Gleichartiges und nicht durch Ungleichartiges erkannt. Also Individuum durch Individuum, die Art durch Vergleichung mit anderen Arten, Gattung durch Gattung, Historisches durch Historisches, Chemisches durch Chemisches etc. Dieses Gesetz ist so allgemein bekannt, daß ich nichts weiter darüber zu sagen brauche. Ich erwähnte es hier nur, um mich später darauf berufen zu können. Bevor ich nun wieder auf die Ideenassoziation übergehe, muß ich noch ein Thema berühren, welches für die spätere Untersuchung ebenfalls von Wichtigkeit ist, nämlich die Frage über die Entstehung des Bewußtseins. Auch über diesen Punkt hat ULRICI wohl die trefflichsten Aufschlüsse gegeben, indem (Gott und der Mensch, Seite 274-362; Kompendium der Logik, Seite 18f und öfter) eingehend nachzuweisen suchte, daß das Bewußtsein auf derselben unterscheidenden Tätigkeit beruth, die wir bereits als Denktätigkeit kennen gelernt haben. Ich stimme ihm auch hierin vollständig zu. Wenn aber das Bewußtsein auf Unterscheiden beruth, so wird man mir auch zugeben, daß es auf einem Vergleichen beruth, da alles Unterscheiden, wie oben gezeigt, ein Vergleichen voraussetzt. Demnach erscheint mir das Bewußtsein als das Produkt einer gewissen Entwicklung, welche mit Vergleichen beginnt und mit Unterscheiden endet. Über diesen Entwicklungsprozeß läßt sich im Allgemeinen Folgendes sagen (Details finden sich bei ULRICI, Gott und der Mensch, Seite 274-362): Wir werden uns der Dinge, die um uns her vorgehen, nur dann bewußt, wenn sie eine Veränderung unseres Zustandes herbeiführen. Nur die Veränderung oder genauer der Unterschied zwischen früher und jetzt kommt uns zu Bewußtsein und zwar muß derselbe mit einer gewissen Stärke auftreten (vgl. die Untersuchungen von E. H. WEBER und FECHNER über den Stärkeunterschied der Sinneseindrücke; ULRICI, Gott und der Mensch, Seite 236f). Doch vermögen wir auch durch einen spontanen Akt der Seele uns Dinge zu Bewußtsein zu bringen, die uns sonst nicht zu Bewußtsein kämen (z. B. das Gleichmäßig auf uns Einwirkende), wenn wir aus irgendeinem Interesse unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Aber auch hier ist das Gegebensein eines möglichen Inhaltes des Bewußtseins und eine gewisse Passivität, in welche er uns versetzt, wenn wir sie auch nicht mehr fühlen, da wir uns daran gewöhnt haben, die Vorbedingung des Bewußtseins. Das Bewußtsein selbst nun entsteht durch einen Akt der Unterscheidung, indem wir durch unbewußte, unwillkürliches Vergleichen unseres früheren Zustandes mit dem jetzigen, den Unterschied beider wahrnehmen und fühlen, daß wir Andere geworden sind. Dadurch nun, daß wir die Ursache unserer Beschränkung, die Sinnesempfindung, von unserem Selbst unterscheiden, kommen wir zum Bewußtsein, daß überhaupt etwas auf uns wirkt. Damit weiß ich aber noch nicht, was auf mich einwirkt, d. h. ich habe noch kein Bewußtseins, kein Verständnis und keine Erkenntnis des Gegenstandes, der mich in eine Passivität versetzt und sich mir aufgedrungen hat. Um nun aus meiner Beschränkung herauszukommen und mir ein Verständnis meiner Empfindung zu verschaffen, vergleiche ich den Inhalt meiner Empfindung mit anderen früheren gleichartigen Inhalten meines Bewußtseins und gewinne so das klare Bewußtsein des Gegenstandes, der sich mir aufgedrängt hat. Dieses Stadium des Bewußtseins, in welchem uns das Verständnis der Erfahrung aufgeht, heißt der Erkenntnisakt, von dem wir Näheres unten ansprechen werden. Der Gegenstand meiner Empfindung wird mir also dadurch bewußt, daß ich ihn mit anderen gleichartigen Inhalten meines Bewußtseins vergleiche und ihn von denselben unterscheide. Dieses aber setzt voraus, daß ich den Inhalt meiner Empfindung zuerst in sich selbst, in seinen Bestandteilen unterschieden habe, was ich freilich erst genau infolge der Vergleichung mit anderen gleichartigen Vorstellungen zustande bringen kann. Allein zumindest die Form, den Umriß meines Inhaltes muß ich im Allgemeinen unterschieden haben, ehe ich daran kam, ihn mit anderen Umrissen zu vergleichen. Im Entwicklungsprozeß des Bewußtseins von einem unbestimmten Gefühl der Beschränkung unseres Daseins angefangen bis zum klaren Verständnis des Gegenstandes, der diese Hemmung verursachte, dürften sich hiermit folgende 3 Stadien mit Bestimmtheit unterscheiden lassen: Vorbedingung des Bewußtseins ist ein Inhalt, der eine Veränderung in meinem Dasein hervorruft und sich mir mit einer gewissen Stärke aufdrängt. Dadurch werde ich in eine gewisse unfreiwillige Spannung und Passivität versetzt, welche mich veranlaßt, meine Aufmerksamkeit auf die Ursache derselben, den Eindruck, den ich erleide, zu richten, d. h. diese zu vergleichen und zu unterscheiden und sie mir dadurch zum Bewußtsein zu bringen. Im ersten Stadium nun vergleiche ich unwillkürlich meinen jetzigen beschränkten Zustand mit dem früheren und unterscheide meine Beschränkung von meinem Selbst als dem Beschränkten, das Objekt meines Bewußtseins von mir selbst als bewußtem Subjekt und gelang zu dem Bewußtsein, daß etwas auf mich wirkt. Im zweiten Stadium vergleiche ich den Inhalt meiner Empfindung in sich selbst, d. h. in seinen Bestandteilen und unterscheide wenigstens den allgemeinen Umriß desselben. Ich bringe mir also den Inhalt meiner Empfindung im Allgemeinen zu Bewußtsein. Im dritten Stadium endlich unterscheide ich den Inhalt meiner Empfindung von anderen früheren gleichartigen Inhalten meines Bewußtseins, wodurch ich dann ein Verständnis der Empfindung erlange und das klare Bewußtsein, die Erkenntnis des Gegenstandes, der auf mich wirkt, gewinne. So viel über den Entwicklungsprozeß des Bewußtseins. Machen wir uns jetzt den Unterschied zwischen Bewußtsein und Erkenntnis klar. Beide Begriffe werden häufig verwechselt; sie sind aber nur verwandt und nicht identisch. Bewußtsein entsteht nämlich dadurch, daß wir einen gegebenen, sich aufdrängenden Inhalt von uns selbst als durch denselben beschränkten Wesen, ein Objekt des Bewußtseins von uns selbst als bewußtem Subjekt unterscheiden. Das Erkennen dagegen besteht darin, daß wir irgendeinen Inhalt unseres Bewußtseins von einem anderen Inhalt desselben unterscheiden. Im Erkenntnisakt also unterscheiden wir zwei Objekte des Bewußtseins voneinander, im Bewußtseinsprozeß dagegen ein sich aufdrängendes Objekt von uns selbst als bewußtem Subjekt. Was das Selbstbewußtsein betrifft, so ist dieses nur eine spezielle Art des Bewußtseins, ein Bewußtsein, dessen Gegenstand mein eigenes Selbst ist. Im Selbstbewußtsein unterscheide ich meine eigenen Zustände, Vorstellungen, Gefühle etc., kurz meine Daseinsweise als die meinige von mir selbst als dem bewußten Grund derselben, mein Ich als Objekt meines Bewußtseins von meinem Ich als bewußtem Subjekt.
Näher auf das Problem des Bewußtseins einzugehen ist hier nicht der Ort. Wir reichen mit dem Gesagten für die spätere Untersuchung aus. Was aber die BENEKE-HERBART-Theorie des Bewußtseins betrifft, wonach die Empfindung bei gehöriger Stärke das Bewußtsein unmittelbar mit sich führt (BENEKE definiert z. B. das Bewußtsein geradezu als "Stärke des psychischen Seins", "Lehrbuch der Psychologie", 1845, § 57 Anm.), so verweise ich auf die treffliche Widerlegung derselben bei ULRICI, "Gott und der Mensch", Seite 285-288, 301f, 484f und öfter. Apriorischer Inhalt desselben. Ideengänge. Wechsel der Einfälle. Ich kehre nun wieder zu meinem eigentlichen Thema zurück. Es handelt sich darum, den apriorischen Gehalt des oben aufgestellten Gesetzes der Ideenassoziation nachzuweisen. Wir haben oben bereits durch Induktion gefunden, daß aller Wahrscheinlichkeit nach das tertium comparationis, der Beziehungspunkt, das Band der einzelnen Vorstellungen in der Ideenassoziation ist. Durch Deduktion aus dem Erkenntnisprinzip aber gelangen wir zu folgenden Resultaten: Da alles Denken ein Vergleichen, alles Erkennen hiermit ein Unterscheiden ist, da ferner auch unser Bewußtsein nur auf dieser vergleichenden und unterscheidenden Tätigkeit beruth, so kann nichts in unser Bewußtsein eingehen, nichts gedacht und erkannt werden, ohne vorher verglichen worden zu sein. In jeder Sinneswahrnehmung liegt daher bereits in nous [Geist - wp]. Sobald ich sage, ich sehe "etwas", muß ich, wenn auch unbewußt, schon verglichen und unterschieden haben; denn jedes "Etwas" ist schon ein Unterschiedenes. Wo aber Unterschiedenes ist, da war Vergleichung und wo Vergleichung ist, da müssen sich auch tertia comparationis finden, denn eine Vergleichung ohne Vergleichspunkte ist nicht denkbar. Da nun alle Vorstellungen nur durch Vergleiche in unser Bewußtsein eingehen können, so wird jede neue Erfahrung im Erkenntnisakt bereits mit dem früheren durch tertia comparationis verbunden, und es ist daher logisch sehr wohl denkbar und gerechtfertigt, daß das Band der Ideenassoziation kein anderes ist als diese Beziehungspunkte. Das Resultat der Induktion und Deduktion würde sich also decken. Allein die Induktion gibt nur Wahrscheinlichkeit, Deduktion sagt nur, daß etwas möglich ist; die Notwendigkeit folgt aus keinem von beiden. Entscheidend für den wissenschaftlichen Wert dieses Gesetzes ist daher erst Folgendes: Wir haben oben gesehen, daß unser Erkennen sich nicht nach den Dingen, sondern die Dinge sich nach unserem Erkennen, nach unserem Vermögen richten müssen. Daher kann auch das Gesetz der Ideenassoziation seinen Grund nur in unseren Vermögen, nur in unserer eigentümlichen allgemeinmenschlichen Organisation haben. Unsere Organisation besteht nun darin, daß alles, was in unser Bewußtsein eingeht, zuerst verglichen und unterschieden werden muß und eben durch diese Tätigkeit in unser Bewußtsein aufgenommen wird. Also muß das Gesetz der Ideenassoziation notwendig in diesem Vergleichen seinen Grund haben und aus dem Begriff des Vergleichens deduziert werden können. Dann kann das ideale Band der Vorstellungen aber kein anderes sein, als das tertium comparationis, denn nur durch dieses werden zwei Vorstellungen im Erkenntnisakt miteinander verbunden, und weil nun eben alles, was in uns eingeht, verglichen werden muß, und nur durch einen Vergleich in uns eingehen kann, so ist alles durch tertia comparationis miteinander verbunden und das Gesetz der Ideenassoziation kann nicht anders lauten als:
Es wundert mich sehr, daß ULRICI dieses Gesetz nicht fand und sich lieber in seiner Darstellung der Ideenassoziation ("Gott und der Mensch", Seite 497-537) mit dem Hergebrachten begnügte, anstatt seine Prinzipien auch hier praktisch zu verwerten. Wie nahe er daran war, dieses Gesetz zu finden, zeigt seine Beantwortung der Frage: Wie ist Erinnerung möglich? (Seite 473-474). Man darf sich indessen die Ideenassoziation nicht vorstellen als eine einzige endlose Reihe aneinanderknpüpfter Vorstellungen, sondern ähnlich wie die Gänge eines Bergwerks, in welchem sich immer ein Gang vom anderen abzweigt, und von diesem sich wieder andere abzweigen, und wieder verbinden in infinitum [endlos weiter - wp]. Denn durch jede neue Erfahrung, welche mit den früheren verglichen wird, entstehen neue Verbindungen, neue Ideengänge, und so kann eine Vorstellung mit hundert anderen Vorstellungen verknüpft sein und daher auch mit hundert verschiedenen Ideengängen, je nachdem ich eben einmal die betreffende Vorstellung mit dieser oder jener anderen Vorstellung verglichen habe. Daraus erklärt sich auch der Wechsel der Einfälle, daß mir z. B. beim Namen Dresden heute die berühmte Bildergalerie, morgen ein Freund, der dort wohnt, übermorgen ein angenehmer Vorfall, der mir dort begegnete, in Erinnerung kommt. Die Vorstellung, die ich mir von Dresden gemacht habe, ist ja mit allen anderen Vorstellungen verknüpft, mit denen ich sie verglichen habe und dadurch mit hundert Ideengängen in Verbindung gebracht. Es kommt daher nur auf die zufällige Veranlassung an, ob mir bei der Vorstellung Dresdens diese oder jene Verbindung wieder zum Bewußtsein kommt. Den Inhalt der Ideenassoziation bildet die gesamte Erfahrung. In ihr ist all unser Wissen beschlossen. Alle Erfahrungen, die wir in jedem Augenblick durch die Sinne machen, gingen ohne sie sofort für uns wieder verloren. Im Geist kann keine Erfahrung (Vorstellung) allein stehen; wir könnten uns an sie nicht mehr erinnern, da uns das Mittel dazu fehlen würde. Die Ideenassoziation aber ist das Mittel uns an die gemachten Erfahrungen wieder zu erinnern, und darum müssen alle Erfahrungen in dieselbe aufgenommen werden, wenn sie nicht sofort wieder verloren gehen sollen. Dies geschieht auch unwillkürlich infolge des Denkens (Vergleichens) und Erkennens von selbst, indem hierdurch jede neue Erfahrung mit den früheren durch tertia comparationis verbunden und dadurch der Ideenassoziation einverleibt wird. Auf der Ideenassoziation beruth auch unser ganzes Wissen. Ohne sie wäre weder ein zusammenhängendes Denken (Kontinuität) noch ein Wissen überhaupt möglich. Ohne sie gäbe es keine Geschichte, keine Philosophie, mit einem Wort: keine Wissenschaft. Ja ich kann mir gar nicht denken, wie wir ohne sie auch nur für einen Augenblick leben könnten, geschweige denn ein Bewußtsein von unserer Vergangenheit hätten. Von einer Zusammenfassung der mannigfaltigen Erfahrungen in der Einheit des Bewußtseins könnte keine Rede sein. Wir könnten uns weder eine räumliche Ausdehnung noch eine zeitliche Sukzession vorstellen, da wir immer ohne Ideenassoziation das vorhergehende Teilchen schon wieder vergessen haben würden, wenn wir auf das nachfolgende blicken. So aber beruth alle Synthesis der Erfahrung auf der Verbindung durch tertia comparationis und nichts verbindet sich von selbst, sondern alles nur durch die Tätigkeit des Denkens, wie sich deutlich in der Reproduktion zeigt, wo nur das wieder erscheint, was wir durch unsere vergleichende Tätigkeit in der unmittelbaren Anschauung verbunden haben. Was ich aber ganz und agr für die weittragendste Bedeutung der Ideenassoziation halte, ist: daß das Verständnis jeder neuen Erfahrung ganz von unserer jeweiligen Ideenassoziation abhängt, und daß da, wo die Ideenassoziation nicht imstande ist, ein gleichartiges Medium zur Vergleichung zu liefern, auch ein Verständnis der Erfahrung nicht zustande kommt. Doch davon unten. Den mächtigsten Einfluß hat die Ideenassoziation auch auf unser Handeln. Alle unsere Entschließungen, kurz der Wille und die Äußerungen desselben, all unser Tun hängt von ihr ab. Die jeweilige Vorspiegelung der Ideenassoziation ist gewöhnlich das oft halb unbewußte Motiv unserer Handlungen, und je weniger sich der Mensch die Triebfedern seines Handelns zu Bewußtsein bringt, umso mehr ist er der Sklave seiner (unbewußten) Ideenassoziation. So wenig daher eine Freiheit im Sinne von "Unabhängigkeit von der Natur" denkbar ist, ebensowenig gibt es eine Freiheit, die unabhängig von der Ideenassoziation wäre (ULRICI glaubt dagegen, die menschliche Freiheit retten zu können, a. a. O., Seite 533). Wenig gebildete und wenig denkende Leute stehen ganz unter der Herrschaft ihrer Ideenassoziation und handeln unbewußt nach ihren Befehlen. Es lebt überhaupt niemand, der unabhängig von seiner Ideenassoziation wäre. Frei ist nur der, der sich, die unvermeidliche Notwendigkeit des Gesetzes erkennend, aus freier Wahl demselben fügt, und nun seiner Ideenassoziation selbst den Weg vorzeichnet, den er wandeln will, selbst die Grundsätze aufstellt, nach denen er denken und handeln will. Der freie Mann gibt sich selbst seinen Imperativ und lebt nach demselben. Je strenger er aber demselben nachlebt, umso mehr hängt er natürlich von seiner Ideenassoziation ab; aber diese Assoziation und die Abhängigkeit von derselben ist eine selbstgewollte selbstgesetzte, eine Assoziation die sich wieder aufheben und ändern läßt, und darin liegt seine Freiheit. Der unfreie Mensch dagegen ist der willenlose Spielball seiner Ideenassoziation, ein Spielball des Zufalls in der Verbingung seiner Vorstellungen und ein Sklave der augenblicklichen Laune, in die ihn seine Ideenassoziation versetzt. - Näher auf das Problem der menschlichen Freiheit einzugehen ist hier nicht der Ort. Diese Andeutungen genügen jedoch, um zu zeigen, daß der Determinismus in der Ideenassoziation keineswegs so gefährlich für die menschliche Freiheit ist, als es scheinen möchte. Die größte Bedeutung erhält die Ideenassoziation schließlich auch dadurch, daß in ihr die geistige Individualität des Menschen liegt. Jeder Mensch hat eine doppelte Individualität: eine materielle, welche in seinem räumlich zeitlichen Dasein liegt und eine geistige; und diese ist bedingt durch seine Ideenassoziation. Es gibt keine zwei Menschen, welche genau dieselben Erfahrungen und daher genau dieselbe Ideenassoziation hätten. Es können ja schon zwei Menschen nicht einmal ein und denselben Gegenstand betrachten, ohne verschiedene Bilder desselben in sich aufzunehmen. Und nun vergleicht erst Jeder denselben noch mit seinen Erfahrungen und sagt auch unverhohlen, daß er mit seinen Erfahrungen dieses Objekt so betrachten muß. Dadurch entsteht eine unendliche Verschiedenheit in den Geistern, und es gibt keine zwei Menschen auf der Welt, die sich ein und denselben Gegenstand in genau derselben Weise vorstellen und über ihn genau dasselbe denken. Jeder Mensch ist nicht bloß körperlich, sondern auch geistig "nur die Summe von Eltern und Amme, Ort und Zeit, Luft und Wetter, Schall und Licht, von Kost und Kleidung." Jeder Mensch ist das Produkt seiner indidividuellen Erfahrungen und der individuellen Verbindung derselben in seiner Ideenassoziation. Darauf beruth seine Persönlichkeit und Individualität, sein ganzes Denken und Handeln Wer einen Menschen gründlich kennen lernen will, braucht nur seine Ideenassoziation zu studieren; ihr Inhalt ist ja der terminus medius [Mittelbegriff - wp], an dem er alles, was er wahrnimmt und denkt, prüft. Trotz dieser ungeheuren Verschiedenheit der geistigen Individualität der Menschen infolge der Ideenassoziation sind wir alle doch durch die gleichen Gesetze des Denkens und Erkennens zur Einheit gebunden, und so verschieden auch der Inhalt der Erfahrungen der einzelnen Menschen ist, die Formen derselben sind doch für alle die gleichen und alle denken und erkennen die Dinge nach denselben Gesetzen. Die Stellung der Ideenassoziation zur Persönlichkeit und Individualität des Menschen ist von höchster Wichtigkeit für die Unsterblichkeitsfrage So interessant dieser Gegenstand wäre, begnüge ich mich doch damit dieses hier angedeutet zu haben und überlasse das Weitere dem eigenen Nachsinnen denkender Leser. Da alle Erfahrung uns durch Vergleiche zum Bewußtsein und zur Erkenntnis kommt, durch dieselbe Tätigkeit aber auch zugleich in unsere Ideenassoziation aufgenommen wird, so können wir mit vollem Recht behaupten: Der Gedanke des Menschen ist ewig, d. h. was einmal in mein Bewußtsein und damit in meine Ideenassoziation eingegangen ist, ist und bleibt mein geistiges Eigentum, solange ich lebe und kann nicht wieder für mich verloren gehen, da ich in der Ideenassoziation das Mittel habe alle meine Erfahrungen unter günstigen Bedingungen wieder zu reproduzieren. So
Andererseits aber ist es eine Tatsache, daß wir das Außergewöhnliche in unserem Leben z. B. Gefahren, die wir ausgestanden haben, folgenreiche Ereignisse etc. nicht leicht wieder vergessen, weil eben alles Erinnern nur ein Unterscheiden der reproduzierten Vorstellungen ist, und da, wo ähnliche Vorstellungen fehlen, die uns das Unterscheiden schwer machen könnten, eine Verwechslung möglich ist. Es gibt also in der Tat kein Vergessen, keine Verdunklung oder Vernichtung, keine Verschmelzung unserer Vorstellungen, nichts geht spurlos verloren, sondern alles scheinbare Vergessen ist nur die subjektive Unfähigkeit unter einer Masse ähnlicher und fast gleicher konkreter Vorstellungen eine bestimmte Wahl treffen zu können. Wenn es nun aber tatsächlich feststeht, daß wir Vorstellungen vergessen und zwar dergestalt vergessen, daß wir uns auch nicht erinnern, sie jemals gehabt zu haben, daß also keineswegs alle Vorstellungen erinnerbar sind, so wird es nötig sein, noch zu untersuchen, was denn überhaupt in unsere Ideenassoziation aufgenommen und von ihr reproduziert werden kann, damit wir nicht am Ende Dinge von ihr verlangen, die sie ihrer Natur nach gar nicht leisten kann. Hierfür läßt sich ein ganz bestimmtes Gesetz aufstellen: der Ideenassoziation Da nämlich in unsere Ideenassoziation nur dasjenige aufgenommen wird, was verglichen und unterschieden und dadurch mit den früheren Erfahrungen durch tertia comparationis verbunden wurde, so kann die Ideenassoziation auch nur das reproduzieren, was wir verglichen und unterschieden haben, und es ist ein unbilliges Verlangen, sie für anderes haftbar zu machen. Das Gesetz der Reproduktion der Vorstellungen lautet hiermit:
Andererseits aber kann man von mir auch nicht verlangen, daß ich das, was ich nur flüchtig verglichen und daher auch nur unbestimmt und verschwommen perzipiert (unterschieden) habe, klar und deutlich reproduziere. Wenn solche Vorstellungen, dann ebenfalls nur unbestimmt und verschwommen reproduziert werden, so liegt dieses nur in der Natur der Sache, und war nicht anders zu erwarten, Was nie bestimmt und klar in mein Bewußtsein einging, kann eben auch nie bestimmt und klar reproduziert werden. Es gibt also eigentlich keine verblaßten und verdunkelten Vorstellungen, und wo sich solche finden, sind sie nicht etwa durch einen allmählichen Verblassungs- oder Verschmelzungsprozeß entstanden, sondern der Grund ihrer Verschwommenheit liegt bereits im Erkenntnisakt. So sagt auch ULRICI ("Gott und der Mensch", Seite 342), daß wir uns der Vorstellungen umso leichter und sicherer erinnern "umso bestimmter klarer und deutlicher" sie ursprünglich gefaßt (d. h. unterschieden) wurden. Indessen ist diese Verschwommenheit und Unbestimmtheit ein Mangel, an dem überhaupt alle reproduzierten Vorstellungen mehr oder weniger leiden. Wenn wir etwas auch noch so genau angesehen haben, wird es doch oft nur unvollkommen reproduziert, und erst wenn wir die gehabte Anschauung im Detail reproduzieren wollen, merken wir, wie wenig wir in der unmittelbaren Sinneswahrnehmung genau verglichen und daher bestimmt unterschieden haben. Der allgemeine Umriß, die allgemeine Gestalt einer Sache ist schnell unterschieden, das Detail dagegen wird gewöhnlich nur flüchtig verglichen und daher nur unbestimmt unterschieden, kann infolgedessen auch nicht bestimmter reproduziert werden, als es in die Ideenassoziation aufgenommen wurde. Die Reproduktionsfähigkeit der Ideenassoziation deckt sich mit der Arbeitsleistung der Denktätigkeit in der Sinneswahrnehmung. Was dagegen einmal bestimmt unterschieden in die Ideenassoziation aufgenommen wurde, kann jederzeit unter günstigen Umständen reproduziert werden und geht nie wieder verloren, da wir ja in der Ideenassoziation eben den Schlüssel haben, den Gesamtinhalt unserer Erfahrung uns wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Sonst wäre auch in der Tat nichts trostloser als die Existenz eines Gelehrten. Sich mit Kenntnissen bereichern hieße Wasser in das Faß der Danaiden tragen. Soll die geistige Arbeit des Menschen kein vergebliches Bemühen und alles Lernen nicht eine Torheit sein, dann müssen wir festhalten an dem Satz: Die Gedanken des Menschen sind ewig. - Dieses Gesetz, glaube ich, ist der klarste Beweis auch dafür, daß sich der Inhalt unserer Sinneswahrnehmung nicht von selbst in der Anschauung verschmilzt, sondern durch die Tätigkeit unseres Denkens einheitlich durch tertia comparationis verbunden wird. Denn würde er sich von selbst zur Einheit einer Vorstellung verschmelzen, so müßte die Anschauung vollständig reproduziert werden können; so aber wird nur dasjenige reproduziert, was durch unsere Denktätigkeit verglichen und unterschieden wurde, und dadurch sich sowohl unter sich, als auch mit der früheren Erfahrung in der Ideenassoziation verbunden hat. HERAKLIT hat gesagt: Alles fließt. Die Welt ist in einem beständigen Werden begriffen, nicht zweimal vermagst du in denselben Fluß zu steigen. Diese Lehre vom ewigen Fluß gilt auch für den menschlichen Geist. Auch unsere Gedanken sind in einem beständigen Werden begriffen: Alles fließt in unserem Geist. In jedem Augenblick machen wir ja neue Erfahrungen, die wir durch vergleichen und unterscheiden erkennen, dadurch aber zugleich auch in unsere Ideenassoziation aufnehmen und sie uns für immer einverleiben. Da nun aber die Ideenassoziation das Medium zu jedem Erkenntnisakt liefert mit dem wir jede neue Erfahrung vergleichen müssen, und dadurch ihr Inhalt beständig neue Verbindungen mit neuen Erfahrungen eingeht, so geraten unsere Gedanken in einen ewigen Fluß. Jeden Augenblick machen wir neue Erfahrungen und verbinden sie mit den früheren, jeden Augenblick ist daher der Mensch ein anderer und in keinem Augenblick ist er ein und derselbe, der er früher war. Da alles Denken und Erkennen wesentlich Tätigkeit ist und auf Vergleichen beruth, so ist ein Stillstand der Ideenassoziation, da sie die Medien zur Vergleichung schafft und ohne solche kein Vergleichen, also kein Denken möglich ist, ebensowenig denkbar, wie ein Stillstand des Denkens, wenn wir uns auch nicht immer klar bewußt sind, daß wir denken und daß unsere Ideenassoziation in Bewegung ist. Der ewige Flußt der Gedanken ist somit ein notwendiges Postulat der eigentümlichen Organisation des Menschen. Unsere eigentümliche Denktätigkeit ist der Grund des ewigen Flusses der Ideenassoziation. Wie der ewigwechselnde Mond so sind die Gedanken des Menschen. Sie sind dieselben und sind es nicht; in jedem Augenblick stehen sie unter einer anderen Beleuchtung, und du erkennst sie wieder und kennst sie nicht mehr die schönen ewigwandelnden Kinder der Natur und deines Geistes. Ist so der psychische Mensch, der ja jeden Augenblick nur das Resultat seiner ganzen bisherigen Erfahrung ist, in einem beständigen Wechsel begriffen und zu keiner Zeit derselbe, der er früher war: was Wunder! wenn er nach Monden und Jahren die Welt mit ganz anderen Augen betrachtet, als früher. Wir vermögen ja nicht einmal ein und dasselbe Buch zum zweiten Mal mit denselben Augen zu lesen; so oft wir es lesen, lesen wir etwas anderes heraus, denken wir etwas anderes hinein, weil wir selbst schon wieder Andere geworden sind. So erscheint dir die Welt schön und häßlich, du freust dich des Lebens und fluchst dem Tag, der dich geboren hat, bist heute froh und morgen traurig, weil du beständig ein Anderer und nie derselbe bist. In ewiger Veränderung sind des Menschen Gedanken begriffen; Nichts bleibt dasselbe, Alles wird gewandelt. Über dem Wechsel aber steht das Gesetz; dieses allein kennt den Wechsel nicht. Der ewige Fluß existiert also auch im menschlichen Geist. Wir haben ein Bewußtsein davon und sprechen vom Wechsel der Vorstellungen und Gefühle, von einem Unterschied zwischen jetzt und früher usw. Dies wäre aber nicht möglich, wenn nicht etwas in uns wäre, was in allem Wechsel beharrt und sich gleichbleibt. Da nämlich alles Bewußtsein nur durch Vergleichen, bzw. Unterscheiden entsteht, so wissen wir von unserer Veränderung nur dadurch, daß wir unseren jetzigen Zustand mit dem früheren vergleichen und so den Unterschied beider wahrnehmen. Wäre aber unser Bewußtsein selbst mit in die allgemeine Veränderung verflochten und nur ein begleitendes Phänomen unserer Vorstellungen, so hätten wir kein Bewußtsein einer Veränderung, da das Bewußtsein unseres früheren Zustandes in dem des jetzigen aufgegangen, ein Vergleich beider Zustände also nicht möglich wäre. Daher ist die Verknüpfung der mannigfaltigen Vorstellungen in der Einheit des Bewußtseins die Grundbedingung und unabweisbare Voraussetzung der Möglichkeit des Bewußtseins unserer Veränderungen. Unser Bewußtsein geht nicht wie ein Keim in seiner Entfaltung in seinen wechselnden Vorstellungen auf, sondern bleibt über allem Wechsel als ein Beharrendes stehen. Das "Ich denke" sagt KANT, muß alle meine Vorstellungen begleiten können (Werke II, Seite 129). Es könnte nun scheinen, als ob die Ewigkeit des Gedankens und der ewige Fluß derselben in einem Widerspruch stehen. Dem ist aber nicht so. Ewig sind nämlich unsere Erfahrungen so weit sie Inhalt einer Ideenassoziation geworden sind, weil wir dadurch im Besitz des Mittels sind, sie unter günstigen Umständen reproduzieren zu können. Beständig wechselnd dagegen sind die einzelnen Formen (Verbindungen) der Erfahrung in der Ideenassoziation. Beständig werden unsere Vorstellungen durch die Denktätigkeit teils unter sich, teils mit neuen Erfahrungen in neue Verbindungen gebracht, unter neue Gesichtspunkte gestellt; beständig erscheint uns daher unsere Gesamterfahrung, unsere Welt- und Selbstanschauung unter einer anderen Beleuchtung, in einem anderen Licht. Man verstehe mich daher recht: Nicht der Inhalt der Ideenassoziation auch nicht die Form, das Gesetz derselben ist dem Wechsel unterworfen, sondern nur die einzelnen Verbindungen der Erfahrung in der Ideenassoziation, die tertia comparationis wechseln und damit das Verständnis der Erfahrung (denn unter anderen Gesichtspunkten erscheint uns ein und dasselbe Ding wieder ganz anders); tertia comparationis aber bleiben sie immer. Sie werden auch nicht in dem Sinne andere, daß die früheren Verbindungen hierdurch gelöst würden, und an ihre Stelle nun die neue träte; jene früheren bleiben vielmehr, und wir wissen daher recht gut, daß wir irgendeinen Gegenstand früher ganz anders betrachtet und verstanden haben, zu den früheren Verbindungen aber gesellen sich neue, so daß ein und dasselbe Ding mit vielen anderen Vorstellungen durch verschiedene tertia comparationis verbunden ist. - Da ich gerade von der Verknüpfung des Mannigfaltigen in der Einheit des Bewußtseins sprach, so ergreife ich diese Gelegenheit, um noch einmal auf den oben aufgestellten Satz zurückzukommen, daß der Unterschied als solcher unabhängig von uns nicht existieren kann. Alles unterscheiden setzt nämlich nicht nur Etwas, welches unterschieden werden soll, und Etwas von dem es unterschieden werden soll voraus, aller Unterschied ist also nicht nur erst das Produkt dieser beiden und eines dritten Faktors, des unterscheidenden Subjekts, sondern aller Unterschied setzt auch die Verknüpfung des Mannigfaltigen in der Einheit des Bewußtseins voraus. Denn ich könnte keine Unterschiede wahrnehmen, könnte zwei Dinge nicht voneinander unterscheiden, wenn ich, sobald ich auf das zweite Objekt blicke, das erste schon wieder vergessen hätte, und nicht beide Objekte als Inhalt meines Bewußtseins wüßte. Da also die Wahrnehmung des Unterschiedes die Verknüpfung des Mannigfaltigen in der Einheit des Selbstbewußtseins voraussetzt, mithin von unserer eigentümlichen Organisation bedingt ist, so folgt hieraus wieder, daß der Unterschied als solcher unabhängig von uns nicht auftreten kann. ![]() LITERATUR - Max Schießl, Untersuchungen über die Ideenassoziation und ihren Einfluß auf den Erkenntnisakt, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Bd. 61, Halle/Saale 1872 |