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Zur Kritik des Relativismus in der Erkenntnistheorie
Die Frage ist also zunächst: Ist der Begriff eines Bewußtseins, das nicht die Normen unseres Bewußtseins hat, sich selbst widersprechend? Es muß betont werden, daß diese Frage noch gar nichts zu tun hat mit der Behauptung, die Denknormen seien deshalb veränderlich, weil sie von der psychophysischen Beschaffenheit der Individuen abhängig sind. Wir bewegen uns vielmehr noch ganz innerhalb der Analyse der Begriffe Bewußtsein und Bewußtseinsnorm. Die Gegner des Relativismus erklären, daß diese nicht ohne Widerspruch voneinander zu trennen sind. RICKERT begründet dies folgendermaßen (3):
Was nun den zweiten Einwurf betrifft, daß der Relativist die Geltung der Wahrheit überhaupt bestreitet, und daher seine eigene Meinung nicht ernst nehmen kann, so ist er unbegründet. Der Relativist bestreitet den Satz: "Der Wahrheitswert ist absolut", aber nicht den Satz: "Der Wahrheitswert gilt". Er behauptet, daß die Geltung der Norm niemals eingesehen, sondern ohne weiteres hingenommen werden muß, wie alle Tatsachen des Bewußtseins; daß wir also nicht darüber entscheiden können, ob sie nicht noch zu einem unzugänglichen, weil nicht vorstellbaren Zusammenhang gehört. Daß er sich aber dieser Norm vollständig unterwirft, steht außer Frage. Denn er stützt sich doch gerade darauf, daß man jede Tatsache durch die Norm rechtfertigen kann, aber nie die Norm selbst. In diesem ganzen Streit kann überhaupt der Relativist seinem Gegner ohne weiteres die Beweislast zuschieben. Denn seine Intention geht überhaupt nicht dahin, einer bestimmten Meinung Geltung zu verschaffen, sondern nur dem Zweifel an der Behauptund des Gegners Ausdruck zu verleihen. Man kann ihm deshalb nicht vorwerfen, daß er seine eigene Meinung nicht ernst nimmt, denn er hat dies auch gar nicht nötig; es genügt ihm, wenn sein Gegner ihn nicht zwingen kann, die Behauptung, der Wahrheitswert sei absolut, anzuerkennen. Du kannst dich, so lautet der Einwand des Relativisten, auf nichts anderes berufen, als daß die Norm eben vorhanden ist. Behauptest du auch ihre Bedingungslosigkeit, dann nehme ich solange eine abwartende Stellung ein, bis jene erwiesen ist. Diesen Beweis kannst du aber nicht führen, ohne dich im Kreis zu bewegen und die Norm durch die Norm zu begründen. Also kann ich nicht einsehen, daß die Norm die unbedingte Voraussetzung der Bewußtseinsfunktion sein muß. - Wir möchten hier daran erinnern, was WINDELBAND über die Indifferenz im Urteilen ausgeführt hat. Verhalte ich mich einer Verbindung von Vorstellungen gegenüber so, daß ich weder ein bejahendes, noch ein verneinendes Urteil vollziehen kann, so kann diese Indifferenz entweder eine totale oder eine kritische sein. Die totale Indifferenz liegt da vor, wo überhaupt noch nicht geurteilt wird, also bei der Frage. In dieser wird eine Vorstellungsverbindung vollzogen ohne eine Entscheidung des Wahrheitswertes, aber mit dem Verlangen danach. Die kritische Indifferenz dagegen ist schon ein Ergebnis der Reflexion. Wenn nämlich weder für die Bejahung noch für die Verneinung zureichende Gründe vorhanden sind, so ist der Zustand der Ungewißheit erkannt und es entsteht das problematische Urteil. Dieses enthält die vollständige Suspension [Aufhebung - wp] der Beurteilung, die Einsicht, daß eine Entscheidung unmöglich ist, und ist somit ein Akt der Erkenntnis, während in der Frage noch gar keine Entscheidung vorliegt. Hier in unserem Fall liegt zweifellos die totale Indifferenz vor. Der Relativist will die Verbindung der Begriffe Geltung und Absolutheit der Norm nicht anerkennen und wartet mit der Entscheidung, bis sich die Notwendigkeit derselben ergeben wird. Diese Notwendigkeit kann aber nicht aufgezeigt werden, weil es keinen Standpunkt außerhalb der Norm gibt, um sie zu begründen und durchsichtig zu machen. Der Relativismus stellt nur das große Fragezeichen auf, aber keine absolute Behauptung. Man wird nun einwenden, daß man nicht die Geltung der Wahrheit einräumen kann, ohne zugleich ihre Absolutheit zuzugestehen. Nimmt man an, daß noch eine andere Wahrheit möglich sei, so wird dadurch der ganze Wahrheitsbegriff illusorisch. Es liege im Begriff der ideellen Norm, daß sie allein und unbedingt gilt. Dieser Einwand wäre berechtigt, wenn der Relativismus behaupten würde, daß innerhalb der Normen der Erkenntnis noch eine andere Wirklichkeit möglich sei, daß es für uns erkennende Wesen noch eine andere Wahrheit geben kann. Das wäre in der Tat ein Unsinn. Denn ich nenne doch Dasjenige "Wirklichkeit", was der Norm entspricht, oder vielmehr, ich abstrahiere die Norm von dem, was ich als Wirklichkeit bezeichne. Der Relativismus aber sagt Folgendes: Wahrheit bzw. Wirklichkeit ist dasjenige, was mich in einer gewissen Richtung zwingt, und dem ich nicht entgehen kann, insoweit ich erkenne. Es gibt dann allerdings nur eine Wahrheit, denn ich nenne doch eben Wahrheit alles was mich so (nämlich: zur Anerkennung) zwingt. Setze ich aber begrifflich die Möglichkeit der Nichtgeltung des Zwangs, so ist das, was ich postuliere toto genere [völlig - wp] verschieden von dem, was ich in meinem Bewußtsein habe; der Wahrheitsbegriff ist also darauf gar nicht anwendbar. Ich behaupte daher nicht die Möglichkeit einer anderen Wahrheit, denn von dieser kann doch nur die Rede sein unter der Voraussetzung des Zwangs, den ich gerade negiere. Wir legen auf den logischen Fehler in diesem Hauptargument gegen den Relativismus besonderes Gewicht. Das Anderssein der Norm ist nicht identisch mit dem Anderssein der Wahrheit, da letztere nur innerhalb der Norm einen Sinn hat. Hebt man die Norm auf, so ist das, was an ihre Stelle tritt, nicht vorstellbar, sondern nur begrifflich denkbar; jedenfalls ist es keine "Wahrheit", sondern etwas grundsätzlich anderes, das mit unserem Erkennen nur noch den Begriff der Funktion gemein hat. Daß der Relativismus, so verstanden, berechtigt ist, lehrt eine nähere Betrachtung des Begriffs des erkenntnistheoretischen Subjekts. RICKERT erläutert diesen Begriff durch folgenden Gedankengang (5): Der Begriff des Subjekts kann einen dreifachen Sinn haben. Man versteht nämlich unter Außenwelt die Welt im Gegensatz zu meinem Körper und meiner Seele. Oder man rechnet auch den Körper mit zur Außenwelt, wozu dann mein geistiges Ich mit seinen Vorstellungen, Gefühlen und Willensäußerungen als Subjekt gehört. Dazu tritt schließlich noch ein dritter Gegensatz, der dadurch entsteht, daß man auch die Vorstellungen, Gefühle, Willensäußerungen, kurz jeden Bewußtseinsinhalt als Objekt denkt. Subjekt ist dann dasjenige, was sich eines Inhalts bewußt wird. Dieser Begriff des Subjekts als Bewußtsein im Gegensatz zu allem Inhalt, von dem man nichts weiter sagen kann, als daß es sich bewußt ist, ist ein Grenzbegriff, der dadurch entstanden ist, daß der Umfang dessen, was zum Objekt gehört, immer größer wurde, während der Umfang des zum Subjekt Gehörigen sich immer mehr verengte, bis schließlich aller Inhalt als Objekt betrachtet wurde. Wir können aber so weit gehen, daß wir alles Individuelle, also das, was das Bewußtsein zu meinem Bewußtsein macht, auch zum Objekt rechnen.
Wir haben in der obigen Auseinandersetzung zu zeigen versucht, daß der Relativismus in einem rein transzendentalen Sinn berechtigt ist. Anders verhält es sich aber mit dem psychologistischen Relativismus, welcher die Erkenntnisnorm von psychologischen und physiologischen Vorgängen abhängig macht. Die Einwände gegen diesen sind dieselben, wie die gegen die psychologistische Erkenntnistheorie überhaupt gerichteten. Sie stützen sich alle darauf, daß die logische Norm durch ihren Ewigkeitswert so grundverschieden von einmaligen Tatsachen und Vorgängen ist, daß das Verhältnis von Ursache und Wirkung auf sie gar nicht angewendet werden kann. Das, was in dem Urteil: 2 x 2 = 4 ausgedrückt wird, ist nicht das Zusammensein der Vorstellungen 2 und 4 in einem Subjekt, sondern eine ideelle Gesetzmäßigkeit, die mit dem psychologischen Faktor nichts zu tun hat. Um nicht anderweitig vielfach Ausgeführtes hier zu wiederholen, gehen wir auf diesen Punkt nicht weiter ein, und verweisen auf die diesbezüglichen Ausführungen in den Werken von RIEHL, RICKERT und HUSSERL (6). Dagegen möchten wir die extremste Richtung des Relativismus hier noch näher betrachten, die die Selektionstheorie auf die Erkenntnistheorie anwendet. Die von uns als "wahr" bezeichneten Vorstellungen sollen ursprünglich durch dynamische Momente ihre Stellung gegenüber anderen Vorstellungen behauptet, und infolgedessen ihre vom Subjekt angeblich unabhängige Stellung erst allmählich erlangt haben. Diese Ansicht ist am ausführlichsten von SIMMEL begründet worden (7). SIMMEL geht aus von der Tatsache, daß sich unser Handeln nur dann als nützlich erweist, wenn es auf wahre Vorstellungen gebaut ist. Bei der Berührung mit der Außenwelt setzen wir voraus, daß es eine von unserem Denken unabhängige objektive Wirklichkeit gibt, und zweitens, daß durch die Nützlichkeit und durch die psychologischen Gesetze die Fähigkeit, richtig zu denken, ausgebildet wird. Diese Zweiheit der Prinzipien läßt sich auf eine einheitliche Wurzel zurückführen, wenn man annimmt, daß die Wahrheit der Vorstellungen nicht auf der Übereinstimmung mit einer Wirklichkeit beruth, sondern auf ihrer Zweckmäßigkeit, als Motiven des günstigen Handelns. Das Erkennen erscheint uns als ein selbständiges Gebiet mit ausgebildeten Kriterien, nach denen wir jede Tatsache beurteilen. Die Gültigkeit der Kritierien selbst läßt sich aber nicht theoretisch ausmachen, wir können uns nur auf die Nützlichkeit des von ihnen geleiteten Handelns berufen. Somit liegt die Vermutung nahe, daß die Wahrheit der Vorstellung nichts anderes ist als ihre Zweckdienlichkeit. Unter unzähligen auftauchenden Vorstellungen wurden diejenigen durch natürliche Auslese bezeichnet und erhalten, welche sich durch ihre weiteren Folgen als nützlich erwiesen haben. - Dem Einwand, daß das Denken schon eine selbständige Wahrheit haben muß, um den Erfolg, bzw. die Nützlichkeit des Handelns vorauszuberechnen, begegnet SIMMEL durch folgende Überlegung: Habe ich die Vorstellung einer Bewegung und führe sie dann aus, so erzeugt doch nicht der Inhalt dieser Vorstellung die Realisierung der Bewegung, sondern einen Nerven- bzw. Muskelvorgang, dessen Form überhaupt nicht im Bewußtsein ist. Der Willensvorgang ist also dem Inhalt der Vorstellung nicht morphologisch [der Form nach - wp] gleich. Wenn die Vorstellung M die Wirkung hat, die Vorstellung N ins Bewußtsein zu rufen, so wirkt nicht der Inhalt der Vorstellung M weiter, sondern nur das Vorstellen des M, ein dynamischer Vorgang, dessen Anfang und Endstation M und N sind. Auch in unserem Fall brauchen die Ursachen, die eine Bevorzugung bestimmter Vorstellungen bewirken, dem Inhalt dieser Vorstellungen nicht morphologisch gleich zu sein.
Wir haben in jedem Akt des Bewußtseins zwei Momente zu betrachten. Erstens das dynamische Moment, das "Vorstellen", worin physiologische Vorgänge und Veränderungen der psychischen Energie mit inbegriffen sind; und zweitens das ideelle Moment, den Inhalt, dasjenige, was wir im Blickpunkt des Bewußtseins haben, wenn wir ein Urteil fällen. Es gibt nun für das erste Stadium der Entwicklung, die wir betrachten drei verschiedene Möglichkeiten. Entweder waren die dynamischen Vorgänge ohne Bewußtsein. Oder sie waren verbunden mit einem Bewußtsein, für das unsere Normen noch nicht galten, aus dem sie sich vielmehr erst entwickelt haben. Oder schließlich, sie waren schon "Vorstellungen", d. h. psychische Akte, die sich von den unsrigen nicht prinzipiell unterscheiden, aber ohne die Ordnung und Einheit, die erst im Lauf der Entwicklung in sie hineingebracht wurde, und die man dann als "Wahrheit" bezeichnete. Mit der ersten Möglichkeit brauchen wir uns wohl nicht ausführlich zu beschäftigen. Die Meinung, daß die Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins sich aus Bewegungsvorgängen entwickelt hat, wäre gleichbedeutend mit einem Materialismus, ja sie würde noch weiter gehen als dieser. Denn sie würde nicht nur behaupten, daß das Bewußtsein auf Bewegungsvorgängen beruth, sondern es auch zeitlich aus diesen hervorgehen lassen. Die Unfähigkeit, den Übergang von Bewegungs- zu Bewußtseinsvorgängen begreiflich zu machen, würde diese Ansicht noch absurder machen als den metaphysischen Materialismus. Auch die zweite Ansicht, daß früher ein Bewußtsein vorhanden war, das sich prinzipiell von dem unsrigen unterschied, ist undurchführbar. Wir haben zwar oben darzulegen versucht, daß wir berechtigt sind, den Begriff eines Bewußtseins zu bilden, für das unsere Normen nicht gelten. Etwas anderes aber ist es zu behaupten, es habe ein solches Bewußtsein jemals in der Zeit existiert. In der Erkenntnistheorie darf ein Begriff durch einseitige Abstraktion gebildet werden, trotzdem er nie in einer Vorstellung realisiert werden kann (vgl. oben). Was aber als daseiend in einem zeitlichen Verlauf gedacht werden soll, muß vorstellbar sein, es müssen jedenfalls die Formen der Zeit und des Daseins darauf anwendbar sein. Wir bilden z. B. den Begriff des erkenntnistheoretischen Subjekts, das niemals Objekt werden kann, trotzdem für uns jeder Bewußtseinsinhalt Objekt ist. Es wäre aber ein Unsinn zu sagen, es hätte jemals in der Zeit ein erkenntnistheoretisches Subjekt, eine Kategorie, oder ein Satz des Widerspruchs für sich existiert. Der Begriff des Bewußtseins selbst ist auch nur eine solche Abstraktion, denn wir kennen kein Bewußtsein schlechthin, sondern nur Objekte des Bewußtseins. Was Objekt einer historischen Betrachtung sein soll, kann nicht etwas sein, das nur als Begriff für uns einen Wert hat. Nun wird von uns noch verlangt, daß wir darauf das Gesetz der Auslese im Kampf ums Dasein anwenden, und die Struktur unseres Bewußtseins daraus hervorgehen lassen sollen. Es bleibt also noch die Möglichkeit der Annahme, es hätten zwar ursprünglich Vorstellungen existiert, aber ohne die Einheit, die erst durch eine Entwicklung in sie gebracht wurde. Dabei wird vorausgesetzt, daß die Vorstellungen bestimmte, in sich geschlossene Größen sind, die in übersehbarer Zahl ein voneinander unabhängiges Dasein führen, bis später durch eine Norm die Ordnung geschaffen wurde. Dieser Voraussetzung widersprechen die Ergebnisse der von KANT ausgehenden Erkenntniskritik. Diese lehrt, daß die Inhalte des Erkennens erzeugt werden durch die Möglichkeit des Erkennens, und daß die Synthesis als transzendentale Funktion das letzte Prinzip unseres Bewußtseinslebens ist. Wir mögen uns die Anfänge des Bewußtseins, die "Vorstellungen", so primitiv denken, als nur möglich, immer müssen wir die Synthesis schon voraussetzen. Die Vorstellung kann nicht vor der Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins gewesen sein. Und übrigens auch hier wieder die Frage: Wie kann aus dynamischen Vorgängen Bewußtsein entstehen? Denken wir uns eine Anzahl großer und kleiner bewußtloser Elemente von verschiedener Größe in ein Sieb geschüttet. Die kleineren fallen durch die Löcher des Siebs, während ein einziges sich darin behauptet, weil es größer ist als die anderen. Aus diesem Vorgang müßte sich, nach der Theorie SIMMELs, auf irgendeine Weise Bewußtsein entwickeln. Denn die Bedingung ist hier erfüllt, daß ein einziges Element, das kein Bewußtsein hat, sich im Kampf ums Dasein auf einem dynamischen Wet vor allen anderen behauptet. - Wenn SIMMEL sagt, daß nicht der Inhalt der Vorstellung M eine andere Vorstellung N hervorruft, sondern das "Vorstellen" des M, der dynamische Vorgang, so trifft dies nicht die logische Norm, die diese Vorstellung verbindet. Die Beziehung, die zwischen letzteren besteht, und die wir als Grund und Folge, als Widerpruch, Über- oder Unterordnung und dgl. bezeichnen, hat es nur mit dem Inhalt, aber nicht mit dem dynamischen Vorgang, der überhaupt nicht ins Bewußtsein fällt, zu tun. SIMMEL weist schließlich noch darauf hin, daß durch die Selektionstheorie eine Schwierigkeit beseitigt wird, die vom Standpunkt der idealistischen Philosophie in einem Verhältnis zwischen Vorstellen und Handeln vorliegt. Wenn man nämlich annimmt, daß wir durch die Vorstellung nicht an die Realität der Dinge heranreichen, so gewinnen wir doch durch das Handeln eine direkte Beziehung zu diesen Objekten. Wir haben also einerseits theoretische Vorstellungen, die nur ein subjektives Phänomen der Realität geben, andererseits ein praktisches, nicht phänomenales, Verhältnis zu ihr. Und doch stimmen diese beiden Funktionen verschiedenen Wesens und Ursprungs miteinander überein, so daß das auf sie gebaute Handeln günstig ist. Dieses Wunder einer prästabilierten [vorgefertigten - wp] Harmonie zwischen Vorstellen und Handeln löst sich dann, wenn man annimmt, daß die Vorstellungen als reale psychische Kräfte, nicht aber ihrem Inhalt nach, das Handeln bestimmen. - Darauf ist zu erwidern, daß die Schwierigkeit auch für die idealistische Philosophie nicht vorhanden ist. Da die Rückwirkung der Realität auf uns nur möglich ist aufgrund der Gesetzmäßigkeit, die das Subjekt in sich trägt, so ist das praktische Verhältnis zu den Dingen dasselbe wie das theoretische; es ist eben ein Verhältnis zu Dingen, das heißt zu phänomenalen Objekten. Denn die Kategorie ist doch abstrahiert aus der Art und Weise, wie ein Transzendentes für ein Subjekt ist; es ist daher die Realität auch in praktischer Beziehung eine Erscheinung, weil sie nicht anders sein kann, als durch die Kategorie. Das Subjekt kann die praktische Rückwirkung nicht erfahren, ohne daß es ich ihrer bewußt ist aufgrund der transzendentalen Synthese. Wir dürfen dabei nicht vergessen, wie wir zum Begriff des Transzendenten überhaupt gekommen sind. Wir haben versucht, die idealen Bedingungen unserer Erfahrung begrifflich zu fixieren, und sind dann an einen Punkt gekommen, wo wir eine Grenze dieser idealen Funktion erkannten. Dieses Ding-ansich ist aber nur ein Begriff der auf etwas geht, das die Kategorien ermöglicht. Wollten wir von einer selbständigen Wirkung des "Ding-ansich" in praktischer Beziehung sprechen, so müßten wir es als metaphysisches Wesen, als agierendes Etwas betrachten, das hinter unserer Bewußtseinswelt ein unabhängiges Dasein führt. Dies wäre aber keine idealistische Philosophie mehr, sondern dogmatische Metaphysik. ![]()
1) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen I, Seite 118. 2) HEINRICH RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 29 3) RICKERT, a. a. O., Seite 132f. 4) F. A. LANGE, Geschichte des Materialismus, II. Buch, I. Abschnitt, Anm. 25 und 35. 5) RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 11f. 6) ALOIS RIEHL, Philosophischer Kritizismus II, Seite 71f - RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis 11f und 20f; Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 168f. - EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen I, Seite 110-154. 7) GEORG SIMMEL, Über eine Beziehung der Selektionstheorie zur Erkenntnistheorie, Archiv für systematische Philosophie, Bd. I, Seite 37f. |