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Das Interesse [eine psychologische Untersuchung mit pädagogischen Nutzanwendungen]
Vorwort zur ersten Auflage Daß die Lehre vom Interesse aus dieser Verworrenheit der Ansichten zu größerer Klarheit und Einheitlichkeit herausgearbeitet werde, muß bei der fundamentalen Bedeutung, welche sie besonders in praktisch-pädagogischer Hinsicht beansprucht, zweifellos als ein dringendes Bedürfnis anerkannt werden, und eben hieraus ergab sich für den Verfasser die Veranlassung, das nachstehende Schriftchen zu veröffentlichen, welches nichts weiter sein will als ein Versuch, zur Lösung der beregten Frage einen bescheidenen Beitrag zu liefern. Die drei ersten Abschnitte der vorliegenden Schrift
2. Bedeutung des Interesses für das Vorstellungs- und Gedankenleben, 3. Bedeutung des Interesses für das Wollen und Handeln Der letzte Abschnitt enthält pädagogische Schlußfolgerungen und Nutzanwendungen, die zumindest andeutungsweise in Erinnerung bringen sollen, wo und wie die Ergebnisse der psychologischen Untersuchungen pädagogisch zu verwerten sind Vorwort zur zweiten Auflage Seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieser Schrift sind nahezu 12 Jahre verflossen; es wird darum nicht befremden, daß sie in der neuen Auflage - ohne Verschiebung des grundsätzlichen Standpunktes - doch manche Änderung und eine wesentliche Bereicherung des Inhalts erfahren hat. Eigene Beobachtungen und wiederholtes Durchdenken des Themas und mehr noch eine aufmerksame Verfolgung des Entwicklungsganges der neueren psychologischen Forschung führten von selbst zu neuen Gesichtspunkten und einem tieferen Eingehen in einzelne Seiten des Gegenstandes. Auf die neu hinzugekommenen Abschnitte I (Geschichtliches), III, 2 (Das Gefühl als Ausdruck einer Förderung oder Störung des Seelenlebens), IV, 1 (Die psychische Kausalität), IV, e, f, g (Bedeutung des Interesses für Phantasie, Denken und Bewußtseinsinhalt) darf besonders aufmerksam gemacht werden. Ich hoffe, daß die Kritik die "stark vermehrte" Neuauflage auch als eine "verbesserte" anerkennen wird, und daß seine Schrift zu einer weiteren Klärung des behandelten Gegenstandes auch in dieser neuen Gestalt an ihrem bescheidenen Teil beitragen wird. I. Geschichtliches Das Wort "Interesse" ist bekanntlich der lateinischen Sprache entlehnt. Hier bedeutete es - als Kompositum des Zeitwortes "esse" mit der Präposition "inter" -
2) Dabeisein, ebenfalls räumlich wie zeitlich (in convivio oder convivio interesse = bei einem Gastmahl zugegen sein, daran teilnehmen).
2. Nutzen, Vorteil überhaupt ("im Interesse jemandes handeln"), 3. Eigennutz ("man ist bei einer Sache interessiert", "man handelt nicht aus edlen Motiven, sondern aus Interesse". 4. der Anteil, den man an einer Sache nimmt, der Wert, den man ihr beimißt. KANT bestimmte das Interesse als "das Wohlgefallen, das wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes (oder einer Handlung) verbinden", auch als "das, wodurch Vernunft praktisch, d. h. eine den Willen bestimmende Ursache wird". Das Interesse hat danach "immer zugleich eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen, entweder als Bestimmungsgrund desselben oder doch als mit dem Bestimmungsgrund desselben notwendig zusammenhängend". Es ist daher nicht jedes Wohlgefallen = Interesse. Insonderheit ist das Wohlgefallen am Schönen "ohne alles Interesse", da hier die Existsenz des Gegenstandes gleichgültig ist (nicht begehrt wird), vielmehr "die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet ist". (1) Dagegen ist sowohl "das Wohlgefallen am Angenehmen wie das am Guten mit Interesse verbunden". "Ungeachtet aller Verschiedenheiten zwischen dem Angenehmen und Guten kommen beide doch darin überein, daß sie jederzeit mit einem Interesse an ihrem Gegenstand verbunden sind, nicht allein das Angenehme und das mittelbar Gute (Nützliche), welches als Mittel zur irgendeiner Annehmlichkeit gefällt, sondern auch das schlechterdings und in aller Absicht Gute, nämlich das moralische, welches das höchste Interesse bei sich führt. Denn das Gute ist das Objekt des Willens ... etwas aber wollen und am Dasein desselben (der guten Handlung) ein Wohlgefallen haben, d. h. daran Interesse nehmen, ist identisch." Das moralische Interesse ist ein echtes ("reines", "unmittelbares") nur dann, wenn es - frei voll allen egoistischen Motiven - das Sittengesetz (das Pflichtgebot, den "kategorischen Imperativ") um seiner selbst willen, aus "Achtung" vor ihm, befolgt wissen will. (Kant "Kritik der Urteilskraft", I. Teil, 1. Abschnitt, 1. Buch § 1-4; "Kritik der praktischen Vernunft", I. Teil, 1. Buch, 3. Hauptstück) Einer eingehenderen - philosophischen (psychologischen) wie pädagogischen - Bearbeitung hat den Begriff des Interesses erst HERBART unterzogen. Wie er ihn auffaßte, möge nachstehend durch einige kurze Zitat aus seinen Schriften gezeigt werden.
"Das Interesse, welches mit der Begehrung, dem Wollen und dem Geschmacksurteil gemeinschaftlich der Gleichgültigkeit entgegensteht, unterscheidet sich dadurch von jenen dreien, daß es nicht über seinen Gegenstand disponiert, sondern an ihm hängt. Wir sind zwar innerlich aktiv, indem wir uns interessieren, aber äußerlich so lange müßig, bis das Interesse in Begierde oder Wille übergeht. Dasselbe steht in der Mitte zwischen dem bloßen Zuschauen und dem Zugreifen. ... Nur dadurch erhebt sich das Interesse über der bloßen Wahrnehmung, daß bei ihm das Wahrgenommene (Vorgestellte) den Geist vorzugsweise einnimmt und sich unter den übrigen Vorstellungen durch eine gewisse Kausalität geltend macht." (Herbart, sämtliche Werke, ed. HARTENSTEIN, Bd. X, Seite 51f)
b) das spekulative (an der Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhangs), c) das ästhetische (am Sittlichen und Schönen. Ästhetik bei Herbart die Wissenschaft von den Werturteilen, den ästhetischen wie den ethischen), d) das sympathetische (am Wohl und Wehe einer anderen Einzelpersönlichkeit), e) das soziale (am Wohl und Wehe der menschlichen Gesellschaft), f) das religiöse Interesse.
"Es ist zwar eine bekannte padägogische Vorschrift, der Lehrer müsse suchen, seine Schüler für das, was er vorträgt, zu interessieren. Allein diese Vorschrift wird gewöhnlich in dem Sinne gegeben und verstanden, als wäre das Lernen der Zweck, das Interesse das Mittel. Dieses Verhältnis kehre ich um. Das Lernen soll dazu dienen, daß Interesse aus ihm entsteht. Das Lernen soll vorübergehen, und das Interesse soll während des ganzen Lebens beharren (Umriß padögogischer Vorlesungen, a. a. O., Bd. X, § 62) Nachhaltigen Einfluß auf die weitere Entwicklung der Interessenlehre hat nach HERBART besonders LOTZE gewonnen. Zwar hat er selbst den Begriff des Interesses weder psychologisch noch pädagogisch näher bearbeitet; aber indem er in seiner Psychologie - im Gegensatz zu HERBART - die kausale Bedeutung des Gefühls wieder zur Geltung brachte und dieses als Organ allen Wertbewußtseins erkennen lehrte, hat er doch für eine richtige, mit den Erfahrungstatsachen des Bewußtseins übereinstimmende Auffassung des Interesses die psychologische Grundlage geschaffen und zu einem weiteren Ausbau des Begriffs auf dieser Grundlage eine wirksame Anregung gegeben (3). Die kausale Bedeutung des Gefühls und dessen inniger Zusammenhang mit dem Interesse (Wertbewußtsein) wird auch von den meisten Vertretern der Psychologie der Gegenwart anerkannt. Wenn sie von einer eingehenderen psychologischen Erörterung des Interesses in der Regel absehen, so hat das seinen Grund weniger in mangelnder Erkenntnis und Würdigung der Bedeutung des Interesses, als vielmehr darin, daß sie es mit dem Gefühl identifizieren, bzw. in dieses irgendwie mit einbegreifen, oder es auch als eine Teilerscheinung des Wollens behandeln. Freilich kommt dabei das Interesse nicht in seinem ganzen - auch in das Intellektuelle hineinreichenden - Umfang voll zur Geltung: einer der Punkte, in denen die Lehre vom Interesse zweifellos des Ausbaus bedarf, wozu diese Schrift einen bescheidenen Anteil liefern möchte. Die moderne Pädagogik, die sich über die fundamentale Wichtigkeit des Interesses für Unterricht wie Erziehung einig ist, steht mit ihrer Auffassung seines Wesens zum Teil noch auf HERBARTs Standpukt, zum Teil hat sie sich dem LOTZEs, das Interesse auf das Gefühl basierenden Ansicht angeschlossen, zum Teil sucht sie eine zwischen diesen beiden Standpunkten vermittelnde Stellung einzunehmen, die dann freilich wegen der sich ausschließenden Gegensätze, die man auszugleichen bemüht ist, oft die nötige Konsequenz und Klarheit vermissen läßt. Schon HERBART bemerkte - und jeder, wie er im übrigen auch den Begriff definiert, wird ihm darin beistimmen -, daß das Interesse im Gegensatz zum Begriff des "Gleichgültigen" steht. Was uns interessiert, das ist uns insofern nicht gleichgültig, und was uns gleichgültig ist, das interessiert uns eben insofern nicht. Daß eine Sache uns nicht gleichgültig ist, bedeutet aber, positiv ausgedrückt, doch wohl nichts anderes als dies, daß sie irgendeinen Wert für uns hat, oder noch präziser: daß wir uns dieses Wertes irgendwie bewußt sind, sie wertschätzen. Ganz allgemein gefaßt und von jeder näheren psychologischen Deutung hier noch absehend, können wir also das Interesse als Wertbewußtsein oder Wertschätzung bestimmen. Diese Definition steht in Einklang mit der sprachlichen Herkunft des Wortes (latein. mea interest = mir liegt an einer Sache, ich lege wert darauf) wie auch mit dem vorwaltenden Sprachgebrauch. Die Beobachtung, daß die Wertschätzung einer Sache in der Regel auch unser Wollen und Handeln irgendwie beeinfluß, hat Veranlassung gegeben, in den Begriff des Interesses außer dem des Wertbewußtseins auch eine bezügliche Richtung des Willens, das aktive Sich-Hingeben an die bewertete Sache, mit aufzunehmen. Die Berechtigung dieser Fassung wollen wir nicht bestreiten. Ob man den Begriff in diesem erweiterten oder in jenem engeren Sinn fassen will, ist schließlich nur eine Frage der Terminologie, die für das Wesen der Sache von untergeordneter Bedeutung ist. Da es sich aber doch empfiehlt, nicht ohne zwingende Gründe vom sprachlichen Herkommen abzuweichen, und da die betreffenden psychischen Vorgänge, wenn auch ursächlich noch so innig zusammenhängend, doch ihrem Wesen nach zu verschiedenartig sind, als daß sie ohne logische und psychologische Bedenken in die Einheit eines Begriffs zusammengefaßt werden könnten, ziehen wir es vor, an der gegebenen Erklärung: Interesse = Wertschätzung festzuhalten. Die mit ihm zusammenhängenden Vorgänge des Strebens und Wollens fassen wir also nicht als Begriffsmomente, sondern als notwendige Folgeerscheinungen des Interesses auf. Als solche werden sie in einem späteren Abschnitt einer näheren Betrachtung zu unterziehen sein. Auf den ersten Blick mag es scheinen, daß von einem Interesse nur da die Rede sein kann, wo wir uns des positiven Werts einer Sache (ihrer Vortrefflichkeit, Güte, Schönheit, Nützlichkeit etc.) bewußt werden, Gefallen an ihr finden. In Wahrheit gehören aber auch die gegenteiligen Fälle hierher, wo wir uns also durch eine Sache abgestoßen fühlen, uns ihres Unwertes bewußt werden: das Wort "Unwert" hier nicht im Sinne des Gleichgültigen genommen, sondern im Sinne des Mißfälligen, Abstoßenden. Man denke beispielsweise an das lebhafte Interesse, welches der Anblick einer bösen Tat oder die Nachricht von einem uns nahe angehenden Unglück in uns zu erregen vermag. Man würde also eine zweifache Art des Interesses zu unterscheiden haben, ein positives und ein negatives. Vom ersteren ist überall da die Rede, wo uns ein Gegenstand, ein Ereignis etc. um seinen positiven Wertes willen gefällt, uns anzieht; von letzterem da, wo uns ein Gegenstand etc. durch seinen Unwert (im oben bezeichneten Sinn) mißfällt, uns abstößt. Zwischen diesen beiden Polen des Positiven und Negativen liegt das Gebiet des Gleichgültigen, was weder gefällt noch mißfällt, weder anzieht noch abstößt. Das positive Interesse hat, wie wir später darzulegen haben werden, ein bezügliches Streben, das negative Interesse ein Widerstreben zur Folge. Das Gleichgültige dagegen übt auf unser Streben und Wollen überall keinen Einfluß. Je nachdem sich die Wertschätzung auf sinnliche oder geistige Güter richtet, hat man sinnliche (niedere) und geistige (höhere, ideelle) Interessen zu unterscheiden. Begrifflich zumindest läßt sich diese Scheidung rechtfertigen, wenn auch in Wirklichkeit die eine Art oft in die andere hinüberspielt und eins mit dem andern sich verquickt. Die geistigen Interessen kann man, je nach der Verschiedenheit der Objekte der Wertschätzung, wieder einteilen in intellektuelle Interessen (am Wissen, Forschen, Erkennen), sympathetische Interessen (am Wohl und Wehe der Mitmenschen), ethische, religiöse, patriotische Interessen, Interessen der Ehre etc. Nach KANT und HERBARTs Vorarbeiten pflegt man ferner ein unmittelbares und mittelbare Interesse zu unterscheiden. Wir haben an einer Sache ein unmittelbares Interesse, wenn wir sie um ihrer selbst willen schätzen, ein mittelbares Interesse, wenn dieses an Nebenrücksichten hängt, die mit dem Wert, den die Sache ansich besitzt, nichts zu tun haben. Das Interesse an der Wissenschaft z. B. ist ein unmittelbares, wenn das, was interessiert, das Forschen und Erkennen selbst ist, ein mittelbares, wenn sie nur als Mittel zu eigennützigen Zwecken (Ehre, Gewinn) geschätzt wird.
Dem andern die tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt." - Schiller 1. Zusammenhang des Interesses mit dem Gefühl Nachdem das Interesse als Wertbewußtsein erkannt ist, gilt es, seine Entstehung und Entwicklung im menschlichen Geist psychologisch zu erklären. Alles Wertbewußtsein - so dürfen wir in Übereinstimmung mit den namhaftesten Vertretern der neueren Psychologie behaupten - ist letzten Endes auf Vorgänge des Gefühlslebens zurückzuführen, hat im Gefühl seine Wurzel und Quelle. Wohl geht das Wertbewußtsein (Interesse) nicht, wie manche meinen, im Gefühl auf, sondern wächst im Laufe seiner Entwicklung auch in die Sphäre des Intellekts hinein und nimmt hier intellektuelle Formen an; aber es wurzelt mit seinen Ursprüngen doch auch dann stets im Gefühl. Daß nämlich dem Geist die Dinge, die auf ihn wirken, mehr sind und mehr gelten als gleichgültige Objekte der Wahrnehmung und Erkenntnis, daß er zu ihnen in jene warme Beziehung subjektiver Teilnahme zu treten vermag, die in jeer echten Bewertung zum Ausdruck kommt: dazu liegt ausreichender Grund und Antrieb für ihn allein in den Gefühlen der Lust und Unlust. Ihre Eigenart und ihr spezifischer Unterschied von allgen Vorgängen des bloßen Wahrnehmens, Vorstellens und Erkennens liegt ja eben darin, daß die Eindrücke, die für die theoretische Erkenntnis etwas bloß Gegenständliches, Objektives bleiben, durch sie zur subjektiven Angelegenheit des Ich erhoben werden, so daß dieses den Eindrücken nun nicht mehr als gleichgültiger Beobachter gegenübersteht, sondern sich in Lust und Unlust zu ihnen hingezogen oder von ihnen abgestoßen fühlt, mit anderen Worten: sie (unmittelbar) bewertet. Nicht als ob diese Bewertung in ihren mannigfachen Abstufungen nur nach dem Intensitätsgrad des Gefühls erfolgte. Lust und Unlust ist keineswegs - wie diese Mißdeutung voraussetzen würde - etwa einfürallemal Gleichartiges, was in allen Gefühlen in gleicher Weise und nur dem Grad nach verschieden sich geltend machte; vielmehr hat jedes Gefühl der Lust und Unlust auch seine eigentümliche Färbung, und vorwiegend hierin, durchaus nicht bloß in dem Stärkegrad, kommt der Wert dessen zum Ausdruck, wodurch es erregt wurde. Das Gefühl des sittliche Wohlgefallens an einer edlen Tat kann an Intensität einem sinnlichen Lustgefühl erheblich nachstehen, und dennoch offenbart sich uns in jenem Gefühl deutlich genug, wenn auch vielleicht unerklärbar, der unvergleichlich viel höhere Wert des darin Erlebten. Mit dem Wertungscharakter, den wir dem Gefühle zuschreiben, mag dessen Wesen und Bedeutung nicht erschöpft sein; jedenfalls ist er eine psychische Tatsache, von der jede rationale Deutung des Interesses wird ausgehen müssen. Auf keine andere Weise ist dies befriedigend zu erklären. Nicht aus den Vorgängen des Begehrens und Wollens - etwa als Ausdruck der Befriedigung oder Nichtbefriedigung des Willensdranges - denn jedes Wollen setzt als Antrieb irgendein Wertbewußtsein, wenn auch in Form dunkelster Gefühle, schon voraus. Ebensowenig aus dem reinen Intellekt, der, von allem Gefühlsmäßigen losgelöst, seinen Objekten immer nur als gleichgültiger Beobachter gegenüberstehen, niemals zu ihnen in jene warme Beziehung subjektiver Teilnahme treten würde, die wir mit dem Wort "Interesse" ausdrücken wollen. Wohl vermag der Geist, der entwickelt zumindest, über Wert und Unwert auch verstandesmäßig zu entscheiden; er könnte dies aber nicht, es würde ihm überhaupt jeder Sinn für Wertverhältnisse fehlen, wenn er solche nicht irgendwie und irgendwo bereits im Gefühl erlebt hätte und sich dessen zu erinnern vermöchte. Man denke sich einen Geist, der ganz im Intellektuellen aufginge, vom ersten Beginn seines Daseins keinerlei Gefühlsregung der Lust oder Unlust empfunden hätte: ihm würde die ganze Welt seines äußeren und inneren Lebens vollkommen gleichgültig erscheinen; nichts würde ihm wertvoll oder unwert, wichtig oder unwichtig sein, sondern alles nur wirklich (4). Ob der Geist auf jede ihm zugeführte Erregung außer in den Vorgängen des Wahrnehmens, Vorstellens etc. auch in Wertgefühlen der Lust und Unlust reagiert, ist eine schwer zu entscheidende und tatsächlich unentschiedene Streitfrage der Psychologie. Bejaht wird sie u. a. von LOTZE, der deshalb auch von einer "Allgegenwart des Gefühls" redet.
Die Auffassung, daß alles Interesse auf Gefühlen beruht, findet in den Tatsachen des Seelenlebens die allseitigste Bestätigung. Wir erinnern zunächst an die sinnlichen Interessen, die, in den ersten Lebensstadien alleinherrschend, auch in einem ausgebildeten Leben noch einen weiten Umfang einnehmen und vielfach das Wollen und Handeln bestimmen: Interesse an Speise und Trank, Bewegung und Ruhe, Schmerz und Wollust, Gesundheit und Kranksein und dgl. Alle diese Interessen beruhen ganz und Gar auf sinnlichen Gefühlen der Lust und Unlust, des Angenehmen und Unangenehmen. Täte der Hunger nicht weh und wäre der Genuß der Speise nicht angenehm, wäre das körperliche Wohlbefinden nicht mit Lustgefühlen, das Kranksein nicht mit Unlustempfindungen verbunden, kurz: machten sich alle jene sinnlichen Güter und Übel nicht in Gefühlen der Lust und Unlust als solche bemerkbar: sie würden uns vollkommen gleichgültig lassen, kein Interesse, keinerlei Wertschätzung im positiven wie im negativen Sinn in uns hervorzurufen imstande sein. Eben erst durch das Gefühl und im Gefühl werden sie für uns zu "Gütern" und "Übeln", die unser Interesse in Anspruch nehmen, uns anziehen oder abstoßen, uns gefallen oder mißfallen. Oder man denke an das Interesse am Mammon, welches - leider aber doch wirklich - im Leben der Menschen eine so ungeheure Rolle spielt. Hier tritt die Beziehung zum Gefühlsleben zwar nicht so sichtbar an die Oberfläche, liegt aber doch in ganz derselben Weise wirklich vor. Der Grund, weshalb das Geld so sehr geschätzt wird, liegt doch wohl nur darin, daß mittels desselben mancherlei Güter, Genüsse und Annehmlichkeiten des Lebens erworben und umgekehrt mancherlei Übel, Leiden und Unbequemlichkeiten vermieden werden können. All jene Güter und Übel aber, das bedarf keines weiteren Beweises, werden als das, was sie sind, wieder nur durch Gefühle der Lust und Unlust aufgefaßt. Man denke sich diese Gefühle weg aus dem Leben der Seele, und jedes Interesse an jenen Gütern und Übeln, damit aber auch jedes Interesse am Geld, wäre ausgeschlossen. Aber auch die höheren Interessen des menschlichen Lebens - Interesse am Forschen und Erkennen, Interesse am Wohl und Wehe unserer Mitwelt, alle ästhetischen, ethischen, religiösen Interessen - wurzeln gleichfalls ganz und gar in Gefühlen. Jeder Akt klaren und wahren Erkennens, jedes Bewußtwerden eines geistigen Fortschritts, einer Bereicherung unserer Kenntnisse und Erkenntnisse ist mit einem Gefühl der Lust, wie umgekehrt jede Hemmung der Denktätigkeit, jedes Bewußtwerden mangelnder Kenntnis und Einsicht mit einem Gefühl der Unlust verbunden. Mögen auch diese Gefühle manchmal zu zart anklingen, als daß sie sofort deutlich ins Bewußtsein treten, einer genaueren Selbstbeobachtung werden sie doch in keinem jener Fälle ganz verborgen bleiben. In diesen Gefühlen aber - man bezeichnet sie als "intellektuelle", weil sie die Tätigkeiten des Intellekts begleiten - liegt oder auf ihnen beruth doch alles echte Interesse am Forschen und Erkennen. Alles "echte" Interesse sagen wir und meinen damit das Interesse, welches aus der Sache selbst entspringt, welches sich am Erkennen um seiner selbst willen erfreut, ganz abgesehen von etwaigen Zwecken, denen es dient. Daß auch um dieser willen Erkenntnis und Wissen geschätzt wird, sei es daß der Gedanke an Vorteil und Ehre, sei es daß der Gedanke an den Nutzen für die Mitwelt, sei es daß andere Zweckrücksichten zugrunde liegen, das soll natürlich nicht in Abrede gestellt werden; nur daß solche Nebeninteressen nicht mit dem "intellektuellen" Interesse zu verwechseln und nicht wie dieses auf die intellektuellen, sondern auf andere Gefühle (sinnliche Gefühle, Ehrgefühl, sympathetisches Gefühl etc.) zurückzuführen sind. Das Interesse am Wohl und Wehe unserer Mitmenschen beruth auf den sympathetischen Gefühlen des Mitleids und der Mitfreude. Das Ergehen und die Erlebnisse unserer Mitmenschen berühren uns nicht bloß in dem Sinne, daß wir sie theoretisch wahrnehmen oder vorstellen bzw. mit unserer Phantasie in die Situation der anderen uns hineinversetzen, sondern auch in unserem Gemüt, in unserem Gefühl klingt des anderen Leid und Freude mehr oder weniger lebhaft wieder und wird so zu unserem eigenen Leid und zu unserer eigenen Freude. Eben hierin beruth jenes sympathetische Interesse, welches - als der Schlüsse zum innersten Verständnis unserer Mitmenschen, als der kräftigste Magnet menschlichen Gemeinschaftslebens, als der wirksamste Hebel werktätiger Nächstenliebe - von so tiefgreifender Bedeutung ist. Auch die ästhetischen, ethischen und religiösen Interessen sind ganz und gar durch die bezüglichen Gefühle bedingt. Wer die Schönheit der Musik niemals selbst empfunden hat oder überhaupt nicht zu empfinden imstande ist, der mag wohl darüber reden können und an ihre Vortrefflichkeit auf die Aussage anderer hin glauben; aber das ist dann doch nur eine äußerlich angenommene Meinung, ein totes Fürwahrhalten, kein wirkliches Interesse. Dieses setzt, wie überall, so auch hier, das eigene Erleben oder, was dasselbe ist, eigenes Empfinden und Fühlen unbedingt voraus. Über sittliche und religiöse Dinge mag jemand noch so genau unterrichtet sein, er mag sie noch so oft haben preisen hören und auf guten Glauben selbst gepriesen haben: wenn er vom Wert dieser höchsten Güter nie in seinem Gemüt ergriffen ist, wenn er niemals Wohlgefallen Am Guten und Abscheu gegen das Böse selbst empfunden hat, wenn Gottes Größe und Güte nie sein Herz bewegt, Gottes Herrlichkeit in der Natur, Gottes Geist aus der Schrift nie zu seinem Gefühl gesprochen hat, so kann von einem Interesse für diese Dinge bei ihm nicht die Rede sein. Äußerlich anlehren und anlernen läßt es sich nicht; es gilt auch hier des Dichters Wort: "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nie erjagen." Freilich gibt es auch ein Interessen an diesen Dingen, welches nicht aus der Sache selbst entspringt, die ästhetischen, sittlichen und religiösen Güter nicht ihrer selbst wegen wertschätzt, sondern um eigennütziger Zwecke willen, denen sie dienen sollen; doch sind das dann eben Nebeninteressen, die von den hier in Rede stehenden wohl zu scheiden sind. Daß sich auch diese Nebeninteressen wieder auf bezügliche Gefühle zurückführen lassen, bedarf nach den bisherigen Ausführungen wohl keines weiteren Beweises mehr. LITERATUR - Wilhelm Ostermann, Das Interesse, Oldenburg und Leipzig 1907
1) Die Ansicht KANTs, daß das ästhetische Wohlgefallen außer Beziehung zum Begehrungsvermögen steht und die damit zusammenhängende Leugnung eines ästhetischen Interesses ist nicht aufrechtzuhalten. Wohl folgt aus dem Wohlgefallen am Schönen nicht mit Notwendigkeit ein Begehren nach dem Besitz des schönen Gegenstandes ("die Sterne, die begehrt man nicht"), wohl aber ein Begehren ästhetisch zu genießen. 2) Eine nähere Auseinandersetzung mit der Lehre HERBARTs scheint mir hier nicht am Platz. Zu weiterer Orientierung darf ich aber auf meine Schrift "Die hauptsächlichsten Irrtüm der Herbartschen Psychologie und ihre pädagogischen Konsequenzen" hinweisen. 3) Zu näherem Eingehen in LOTZEs Gedanken wird sich später noch Gelegenheit finden, sodaß wir hier davon absehen dürfen. 4) Ebenso oder doch ähnlich die meisten Vertreter der modernen Psychologie. "War es eine ursprüngliche Eigentümlichkeit des Geistes, Veränderungen nicht nur zu erfahren, sondern sie vorstellend wahrzunehmen, so ist es ein ebenso ursprünglicher Zug desselben, sie nicht nur vorzustellen, sondern in Lust und Unlust auch des Wertes innezuwerden, den sie für ihn haben." "Das Gefühl ist das Licht, in welchem die objektive Vortrefflichkeit der Dinge für uns erst wahrhaft zu leuchten beginnt." "Weit entfernt, als eine nebenherlaufende Zugabe nur aus der Übung unserer vorstellenden Tätigkeit zu entstehen, beruth das Sittliche vielmehr auf dem Grund des Gefühls, das weit eigentümlicher als die Erkenntnis die wahre natur des Geistes bezeichnet." "Die ästhetischen Urteile der Billigung und Mißbilligung, also: "dies gefällt" und "jenes mißfällt", sind bloß ihrer sprachlichen Form nach Urteile oder Sätze; das aber, was durch sie ausgedrückt wird, ist gar keine Denkhandlung mehr, sondern ein Gefühl von Lust oder Unlust." (LOTZE, Mikrokosmus I, dritte Auflage, Seite 269f; Grundzüge der praktischen Philosophie, zweite Auflage, Seite 12) "Jede Wertbestimmung beruth auf Gefühlen." (WUNDT, System der Philosophie, erste Auflage, Seite 136) "Wem die Willens- und Gefühlsseite ganz fehlt, wer bloß reiner Verstand wäre, dem wären alle Prädikamente, die Wertverhältnisse ausdrücken, ganz unfaßbar." (PAULSEN, Einleitung in die Philosophie, zweite Auflage, Seite 237) "Das Gefühl zeigt mir den Wert an, den ein Reiz für micht hat." (ZIEGLER, Das Gefühl, dritte Auflage, Seite 99) "Der Verstand erschöpft nicht das Wesen des Geistes, und die Bestimmung des Menschen geht nicht im Erkennen auf ... Das Wirkliche, auf uns Wirkend wird nicht bloß mit dem Verstand erfaßt, es wird auch mit dem Gemüt erlebt, durch das Gefühl geschätzt, vom Willen erstrebt. Solcher Gestalt entspringen Ideen oder Werte." (ALOIS RIEHL, Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart", zweite Auflage, Seite 182) "Das Gefühl ist eine psychische Erregung, in welcher der Wert einer im Zustand des lebenden Organismus oder im Zustand des Bewußtseins eingetretenen Änderung für das Wohl oder Wehe des Subjekts unmittelbar als Lust oder Schmerz wahrgenommen wird." (JODL, Lehrbuch der Psychologie, Seite 374) "Die Gefühle sind das innerste Leben der Seelenmonade selbst; sie sind darum auch nichts weniger als Nebenprodukte des Vorstellens und Wollens; vielmehr liegen in ihnen die feinsten und letzten Entscheidungen über den Wert der Güter des Lebens." (RÜMELIN, Reden und Aufsätze, Seite 138f) "Das Gefallen oder Mißfallen, welches unwillkürlich und unmittelbar durch die Anschauung fremden Tuns in uns geweckt wird, ist zunächst Empfindung (Gefühl); indem wir die Empfindung auf das sie hervorrufende Objekt beziehen, wird erst das Gefallen oder Mißfallen zur Billigung oder Mißbilligung des Objekts, d. h. es entspringt aus der Empfindung (dem Gefühl) ein Urteil über das Objekt. Das Urteil spricht aus, ob das Objekt eine wohlgefällige oder nichtgefällige Empfindung (Gefühl) in uns erregt, und besteht in einer Wertbestimmung desselben nach Maßgabe der von demselbe in uns hervorgerufenen Empfindungs(Gefühls)-Reaktion." "Die Empfindung (das Gefühl) hat den Vorrang, das Urteil spaziert nur als der hilfreiche Diener hinterher." (EDUARD von HARTMANN, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins", zweite Auflage, Seite 98f) |