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Über die dialektische Methode [3/5]
B. Die dialektische Methode Hegels. I. Kurze Beschreibung der dialektischen Methode Ich will absichtlich das Skelett der dialektischen Methode nicht mit HEGELs, sondern mit meinen eigenen Worten geben, teils um kürzer sein zu können, als es die Aneinanderreihung zusammengelesener HEGELscher Aussprüche erlauben würde, teils weil eine freie Reproduktion mehr als eine bloße Kompilation erkennen läßt, wie weit ich selbst HEGELs Intentionen verstanden habe. Der Verstand bewegt sich in Abstraktis, in festen, einseitigen Begriffsbestimmungen, am Leitfaden der formalen Denkgesetze der Identität und des Widerspruchs. Nimmt man sich nun aber einen beliebigen Verstandesbegriff vor und betrachtet ihn eingehend, so zeigt sich, daß er nicht bleiben kann, was er ist, sondern die ihm vom Verstand gezogenen Grenzen zerbricht, sich selbst (vermöge der in ihm enthaltenen Widersprüche) aufhebt, und die so eingeschlagene negative Bewegung bis zu ihrer natürlichen Grenze hin, d. h. bis er in sein vollständiges Gegenteil umgeschlagen ist, fortsetzt. Betrachtet man nun abermals dieses (dem Verstand auch bekannte) Gegenteil, so zeigt sich dieselbe Erscheinung: es hebt sich ebenfalls auf und schlägt in das andere Gegenteil zurück. - Aus dieser immanenten oszillatorischen Selbstbewegung des Begriffs geht hervor,, daß es dem Verstand nur dadurch möglich ist, an einer einseitigen Bestimmung festzuhalten, daß er ihr Gegenteil gewaltsam von ihr abhält (HEGELs Werke VI, Seite 178), und durch subjektive Willkür den Begriff an der ihm natürlichen objektiven Bewegung künstlich verhindert. Es geht ferner daraus hervor, daß nicht die einseitigen Verstandesbestimmungen die Wahrheit des Begriffs sind, sondern nur dies, ebensowohl sein Gegenteil als er selbst zu sein, und das nicht zu sein, als was man ihn festhalten will. Dies ist ein Widerspruch. Aber der Widerspruch ist nicht aus der Bewegung entstanden, sondern diese aus ihm (Werke IV, Seite 68); er steckte nämlich schon in den einseitigen Bestimmungen, in jeder einzelnen gleich ohnmächtig, sich zu beruhigen und seine Einheit zu finden; aber gerade in der Bewegung selbst findet er diese Einheit, denn er geht ja in seinem Gegenteil nur mit sich selbst zusammen. Die Wahrheit des Begriffs ist also, daß er sich zum absoluten Widerspruch entzweit, aber diesen Widerspruch seiner selbstgeschaffenen Gegensätzlichkeit ebensowohl seine absolute Identität findet, und zwar nicht mehr jene armselige abstrakte Verstandesidentität, welche dem einseitigen Verstandesbegriff in seiner ihm aufgezwungenen Unveränderlichkeit zukommt, sondern die konkrete Vernunftidentität, welche den Reichtum des Gegensatzes als aufgehobenen, d. h. zugleich vernichteten und erhaltenen, in sich schließt. Nicht so ist die Identität des Widerspruchs zu verstehen, als ob die Gegensätze in einer anderen Beziehung identisch wären, als sie entgegengesetzt sind,, sondern gerade in derselben Beziehung, in welcher sie entgegengesetzt sind, und eben nur weil sie entgegengesetzt sind, und zwar absolut entgegengesetzt sind, sind sie identisch, und zwar absolut identisch, so daß der Widerspruch des Gegensatzes in derselben Totalität bestehen bleibt, wie er in der Identität verschwindet. Mit einem Wort, der absolute Widerspruch ist die absolute Identität, und nur in der Identität zugleich und dem Widerspruch der Identität und des Widerspruchs liegt die Wahrheit, während jede Bemühung des Verstandes, die Wahrheit in der Form eines Urteils oder Satzes zu fassen, notwendigerweise einseitig bleibt, mithin falsch ist. Mit der Erreichung der Vernunftidentität des Widerspruchs ist aber die Selbstbewegung des Begriffs noch nicht am Ende; denn die konkrete Einheit der Gegensätze stellt sich als ein neuer Begriff heraus, als eine begriffliche Bestimmung, welche ihre neuen Widersprüche in sich trägt und somit zur Wiederholung des vorigen Rhythmus und weiter zum Fortgang der Methode bis zu dem in ihr selbst liegenden höchsten Abschluß führt. Die Tätigkeit, durch Abstraktion feste Bestimmungen zu bilden, ist die verständige, - die Tätigkeit des Begriffs, ruhelos in sein Gegenteil umzuschlagen, die dialektische im engeren Sinne, oder negativ vernünftige, - die Tätigkeit des Begriffs endlich, in seinem Gegenteil mit sich selbst zusammenzugehen, die spekulative oder positiv-vernünftige; sie zusammen bilden die drei Seiten oder Momente des Logischen. Die dialektische Methode hat die Gegensätze: synthetisch und analytisch, deduktiv und induktiv, apriorisch und empirisch, überwunden, sie steht zu ihnen, wie zu begrifflichen Gegensätzen überhaupt, nicht mehr in der Beziehung eines "Entweder Oder", sondern gleichzeitig in der des "Weder Noch" und eines "Sowohl Als auch" (Werke VI, Seite 238-239). Da der Begriff die einzige und alleinige Substanz ist, so ist seine Selbstbewegung der einzige und alleinige Prozeß, den es gibt, ebensowohl der objektive Gang der Sache selbst, als der Denkprozeß im Kopf des Philosophen. Das Subjekt als solches ist mithin beim Philosophieren bloß der Zuschauer dieses objektiv vor seinem Bewußtsein sich abspielenden Prozesses, und seine einzige Aufgabe die, denselben unbeeinflußt gewähren zu lassen und möglichst wenig durch zufällige subjektive Zutaten zu stören. 1. Die Stellung der Kritik zur dialektischen Methode Die Kritik hat zu HEGELs dialektischer Methode eine ganz andere Stellung einzunehmen als zu irgendeinem anderen Gegenstand. Zwar kann sie die Untersuchung, ob diese Methode das erklärt oder leistet, was sie zu erklären oder zu leisten verspricht, d. h. ob sie gegenwärtig brauchbar oder unbrauchbar und wertlos ist, ebenso wie bei jedem anderen Gegenstand behandeln, aber diese Frage ist in der Philosophie nicht die Hauptaufgabe der Kritik, sondern die andere, ob der Gegenstand ansich richtig oder falsch ist, und hierüber wird durch die Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit desselben noch gar nichts entschieden. In Bezug auf die zweite Frage hat die Kritik bei Teilen der induktiven Wissenschaften die Induktionsbasis zu prüfen, ob die Tatsachen, von welchen ausgegangen wird, auch konstatiert sind, bei einer deduktiven Wissenschaft hat sie zu untersuchen, ob die Prinzipien, von denen aus deduziert wird, unanfechtbar sind, in beiden Fällen, ob der Gedankengang, der von den Ausgangspunkten zu den Resultaten führt, nach den Regeln der formalen Logik richtig ist. Die Dialektik aber kennt keine empirischen Tatsachen und keine höchsten Prinzipien, von denen sie ausgeht, sondern ist, wie wir später sehen werden, schlechthin voraussetzungslos und absolut, die Regeln der formalen Logik aber verachtet sie als einen überwundenen Standpunkt (Werke VI, Seite 239), der eo ipso [schlechthin - wp] unfähig ist, die Wahrheit jemals zu erreichen. Letzten Endes beruth alle negative Kritik auf dem Nachweis von Widersprüchen, seien es nun Widersprüche in sich (apriorische Unmöglichkeit) oder Widersprüche gegen unanfechtbare Tatsachen (empirische Unmöglichkeit). Beide Parteien sind stillschweigend darüber einig, nicht, wie HEGEL vom Verstand meint, daß der Widerspruch = Nichts ist (Werke IV, Seite 72), sondern daß, wo ein Widerspruch nachgewiesen ist, ein Fehler stecken muß, weil der Widerspruch das Anzeichen des Unmöglichen, des Unsinns ist, während das Nichts ein ganz bestimmtes, durchaus nicht unmögliches Resultat wäre. Dieses gemeinsame Einverständnis über die Geltung des Satzes vom Widerspruch ist das Minimum von gemeinschaftlicher Basis, ohne welche überhaupt kein Streiten, zumindest keine Überführung der Unrichtigkeit, denkbar ist. Der Dialektiker aber lächelt über dieses Vorurteil, welches ja auch nur eines von den über Bord geworfenen Gesetzen der formalen Logik ist, und darum fehlt es am unerläßlichen Minimum von gemeinschaftlicher Basis, um mit dem Dialektiker zu streiten. So wenig wie der Widerspruch schreckt der Dialektiker das Unmögliche; denn HEGEL sagt ja selbst, daß Alles ein Unmögliches ist (Werke, Seite 203). Stellt man ihn vor eine kontradiktorische Alternative, bei welcher die Konsequenzen der einen wie der anderen Seite ihn ad absurdum führen, so überspringt er das Netz mit dem Bemerken, daß, daß die Wahrheit nicht in die Form eines Urteils gefaßt werden kann, die Dialektik kein "Entweder - Oder" kennt und daß die Wahrheit der scheinbaren Alternative nur ihr gleichzeitiges "Weder-Noch" und "Sowohl-Als auch" ist. (vgl. Werke VI, Seite 238-239, auch I, Seite 188); denn auch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist ja abgeworfener Ballast, und die dialektische Identität des Widerspruchs ist das stets geforderte Dritte. Beispiele hierzu wird die Folge genug ergeben. Ich hier nur eines anführen. MICHELET polemisiert ("Gedanke", Bd. III, Seite 209-210) gegen einen Einwurf TRENDELENBURGs, daß der Anfang der HEGELschen Logik sich der verpönten zweiten Schlußfigur bedient und (nach MICHELET vervollständigt) so lauten würde:
Das Nichts ist die einfache, unbestimmte, unmittelbare, leerste Abstraktion usw. ergo: Das Sein ist das Nichts. -
Eine Gans ist ein zweibeiniges Tier. Ergo bist du eine Gans.
Mit der Selbstbewegung des Begriffs, mit der Eigenschaft des Begriffs A, ebensowohl nicht A, oder B, zu sein, ist eo ipso der Widerspruch gesetzt. Wenngleich dieser Widerspruch, so wenig wie der Begriff, an dem er gesetzt ist, gleichviel ob dauernd oder nicht, ja sogar, er setzt sich unaufhörlich von Neuem, so oft er im Fortgang des Prozesses zu verschwinden scheint. Demgemäß erklärt auch HEGEL (Werke IV, Seite 67):
Es geht zur Genüge aus alledem hervor, daß man den echten Dialektiker für sein eigenes Bewußtsein auf keine Weise ad absurdum führen kann; denn da, wo für andere Menschen das Absurde eintritt, mit dem Widerspruch, fängt für den Dialektiker erst diejenige Weisheit an, zu welcher er allein Liebe hat. Nun frage ich aber, ob es ein anderes Mittel gibt, um etwas als falsch zu beweisen, als daß man es ad absurdum führt, d. h. es so umformt oder solche Konsequenzen daraus zieht, daß man bei einem Widerspruch ankommt? Nur der Dialektiker macht hierin eine Ausnahme, für ihn ist das Kriterium der Unwahrheit, widerspruchslos zu sein oder sein zu wollen, und das alleinige formale Kriterium der Wahrheit, die Einheit der Identität und des Widerspruchs, oder kürzer: die Identität des Widerspruchs zu sein oder sein zu wollen. Damit kann nicht gesagt sein sollen, daß Alles Widerspruchsvolle, mithin aller Unsinn, Blödwitz und Nonsens dem Dialektiker die Wahrheit ist, aber soviel ist gewiß, daß sein Kriterium der Wahrheit nicht weiter reicht; ob aber ein Widerspruch Nonsens oder Wahrheit ist, dafür hat auch der Dialektiker kein formales Kriterium, und zwei Dialektiker, wenn sich keiner von beiden des Vergehens schuldig macht, in die Einseitigkeit der Verstandeslogik herabzufallen, haben in der Tat so wenig ein Mittel, um einander Fehler nachzuweisen oder ad absurdum zu führen, wie der Nichtdialektiker dem Dialektiker gegenüber. So ist dem Dialektiker auf keine Weise durch die gewöhnlichen Beweise der Falschheit beizukommen, wozu noch die Flüssigkeit seiner Begriffe hinzukommt. Denn die andere unerläßliche Bedingung beim Streiten ist, bei der Stange zu bleiben, und wenn von A die Rede ist, auch wirklich nur A und nicht an B zu denken; dem Dialektiker ist gerade dies, ebensowohl B zu sein, wenn man ihn also beim A gefaßt zu haben glaubt, so ist er längst zum B entschlüpft und man hat das Nachsehen. Ein Dialektiker ist darin, wie ein Maniakus mit Ideenflucht; du wirst eher das Öl mit der Hand fassen, als ihn beim Wort. Es ist von größter Wichtigkeit, sich dieses Verhältnis völlig klar zu machen; denn der Nichtdialektiker will seine gewöhnlichen Mittel der Kritik natürlich zunächst auch gegen den Dialektiker versuchen, und ist dann erstaunt, daß er damit nicht ein Haarbreit weiterkommt, daß es ihm geht wie einem, der Gespenster jagt: hat er es in eine Ecke getrieben und glaubt es zu fassen, so hört er es plötzlich hinter sich aus der anderen Ecke hohnlachen. Andererseits ist es aber für inkonsequent vom Dialektiker zu halten, wenn er sich auf Widerlegungen solcher Angriffe seines Gegners einläßt; denn bald wird er doch an den Punkt kommen, wo er ihm nur durch die Berufung auf sein Prinzip entwischen kann, weshalb dann alles Vorhergehende ein unnützes Gerede war, und es für ihn das allein richtige bleibt, von vornherein die Unantastbarkeit des heterogenen Standpunkts durch jene verfehlten Mittel zu betonen, und sich auf gar nichts weiter einzulassen. So sagt HEGEL ganz richtig (Werke I, Seite 176: "Im Kampf der Verstandes mit der Vernunft kommt jenem eine Stärke nur insoweit zu, als diese auf sich selbst Verzicht tut." Überdies aber ist ein solches Streiten für ganz überflüssig zu erachten; denn wer den Widerspruch mit Bewußtsein perhorresziert [ablehnt - wp] muß ihn in jeder Gestalt auf die gleiche Weise perhorreszieren, für diesen aber ist HEGELs Logik selbst ihre beste Widerlegung. Wer dagegen einmal am gewöhnlich formalen Kriterium der Falschheit zweifelhaft geworden ist, der kann durch die wiederholte Anwendung dieses Kriteriums nicht mehr von seinen Zweifeln geheilt werden. Wohl aber kann es von Wichtigkeit sein, einem solchen Zweifler die vollständigen und scharfen Konsequenzen seiner Zweifel zu zeigen, ihm zu zeigen, daß, wenn er in einem einzigen Punkt wankend wird, mit einem Schlag alles aufhört. Diese Konsequenzen machen sich die wenigsten klar, welche mit einer zweifelhaften Ehrfurcht auf die Dialektik schauen, und viele täuschen sich mit dem Irrtum, daß der Widerspruch, welcher in der gemeinen Logik das Kriterium des Unsinns ist, und der Widerspruch, auf dem die Dialektik fußt, zweierlei Dinge sind, eine ganze irrtümliche Annahme, welche kein näherer Kenner der hegelschen Dialektik zu unterstützen wagen wird, und welche sowohl durch das schon Gesagte, als auch durch alles folgende von selbst ihre Widerlegung erhält. Die wesentliche Aufgabe der Kritik der dialektischen Methode ist also die, die Konsequenzen der Aufhebung des Satzes vom Widerspruch nach allen Richtungen darzulegen und die Berechtigung dieser wie aller andern von den gewöhnlichen Annahmen der Wissenschaft abweichenden Behauptungen und Voraussetzungen der Dialektik zu prüfen. Es wird sich zeigen, daß die Voraussetzungen, auf welche die dialektische Methode ihre Erhebung über die gemeine Verstandeslogik etwa stützen könnte, hinfällig sind, daß sie vielmehr als ein voraussetzungsloses Bauwerk in der Luft schwebt, daß diese Voraussetzungslosigkeit zugleich ihre eigene Haltlosigkeit und Berechtigungslosigkeit ist, daß sie schließlich, weit entfernt, zu irgendeiner Erkenntnis verhelfen zu können, die man noch nicht hatte, vielmehr ebenso sehr die Möglichkeit allen Denkens überhaupt wie die Möglichkeit der Mitteilung aufhebt und in jeder Beziehung das leere Wort-Schema zu unmöglichen Denkaufgaben ist. gemeine Unendlichkeit Die Betrachtung des Unendlichen kann nicht vermieden werden, weil, wie wir sogleich sehen werden, die hegelsche Vernunft vom Verstand sich nur durch das dem Denken hinzugefügte Adjektiv "unendlich" unterscheidet. HEGEL behandelt den Begriff des Unendlichen an zwei verschiedenen Stellen der Logik und zwar das eine Mal als qualitative, das andere Mals quantitative Unendlichkeit. Wir wollen letztere zuerst betrachten, weil sie allein mit dem gewöhnlichen Begriff des Unendlichen wenigstens im Gegenstand zusammenhängt. Es ist richtig, wenn HEGEL sagt (Werke III, Seite 279-280): "Das Unendlichgroße und Unendlichkleine sind Bilder der Vorstellung, die sich bei näherer Betrachtung als nichtige Nebel und Schatten zeigen." So wenig gewöhnliche Mathematiker dies anerkennen, so gewiß ist dies richtigff, von ARISTOTELES und SPINOZA ausgesprochen, von LOCKE ausgeführt und noch jüngst von DÜHRING in seiner "Natürlichen Dialektik" erneuert. Falsch aber ist es, wenn HEGEL hinzufügt: "Im unendlichen Prozeß aber ist dieser Widerspruch expliziert vorhanden." So gewiß das Unendlichgroße und Unendlichkleine unmögliche Begriffe sind, weil sie das Unendliche als wirklich existieren hinstellen, also mit dem Widerspruch einer als vollendet gegebenen Unendlichkeit behaftet sind, so gewiß ist der "unendliche Prozeß" ein natürlicher und widerspruchs loser Begriff, weil in ihm nur von einer endlosen Möglichkeit die Rede ist. Jeder Versuch, im "unendlichen Prozeß" Widersprüche aufzuzeigen, schiebt dem Begriff Prozeß, welcher nur Aktus, Tätigkeit, Bewegung bedeutet, den anderen Begriff Resultat unter, welcher gleich Actum, Tat, Weg ist; der Prozeß ist ein Werdendes, Unfertiges, das Resultat aber ein Seiendes, Fertiges; nur dann also, wenn man dem Prozeß das Unrecht antut, ihn als zurückgelegten Weg statt als das Produzieren dieses Weges, als Laufen zu fassen, nur dann bringt man mit dieser Begriffsfälschung auch den Widerspruch des gegebenen Unendlichgroßen in den Prozeß hinein. Nimmt man dagegen den unendlichen Prozeß als ein Laufen ohne Ende, als im Aktus des Laufens und mit der negativen Bestimmung behaftet, daß dieser Aktus des Laufens ohne Ende fortdauern soll, so ist durchaus kein Widerspruch mehr darin zu entdecken; denn die Unendlichkeit selbst bleibt dann ewig im Bereich der Möglichkeit der Zukunft, ohne je zur Wirklicheit, zur Gegenwart oder Vergangenheit zu werden. Der Schein des Widerspruchs entsteht letzten Endes durch die Form des Ausdrucks, welche die Negation in das Adjektiv wirft statt in die Kopula, wo sie allein einen Sinn hat; "der Prozeß ist unendlich" heißt nur "er ist = nicht endlich", sowie "das Kind ist ungehorsam" nur bedeutet: "das Kind ist = nicht gehorsam", HEGEL aber verleugnet diese bekannte Bedeutung des negativen Prädikats, um aus der Form: "der Prozeß ist unendlich" durch eine Vertauschung der Kopula "ist" mit "ist" = "existiert" dem Prozeß ein "unendliches Sein" anzudichten, während die Kopula ihm nur eine Unendlichkeit als Prozeß, d. h. als Werden, Aktus, Tätigkeit usw., zuschreibt. Die nächste Folge von HEGELs Verwerfung des unendlichen Progresses ist die, daß er das, was der Mathematiker und jeder andere Mensch unendlich zu nennen gewöhnt ist und mit Recht so nennt, von diesem Namen ausschließt, z. B. die Form der unendlichen Reihe (Werke III, 293-294), die unendliche Annäherung an die Asymptote und dgl. Da diese Formen aber doch ganz charakteristisch sind und irgendeinen Namen behalten müssen, so ist HEGEL so gütig, ihnen sogar den Namen unendlich zu lassen, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht verdienen, nur mit dem Epitheton [Nachsatz - wp] "schlecht" zur beständigen Erinnerung ihrer Unwürdigkeit. Die wahre quantitative Unendlichkeit aber findet HEGEL überall da, wo das Quantitative in eine derartige Form eingeht, daß es eine gewisse Qualität annimmt, mit einem Wort: beim Umschlag des Quantitativen ins Qualitative (Werke III, Seite 281-282 und 289). So findet z. B. HEGEL am einfachen Bruch (gleichgültig, ob er als Dezimalbruch eine unendliche Reihe gibt, was ja nur auf das gewählte Zahlensystem ankommt) im Vergleich zu den gemeinen ganzen Zahlen etwas Qualitatives und darum etwas Unendliches! In einem noch höheren Grad ist ihm dies der Fall beim Potenzenverhältnis in einer Funktion oder bei einem Differentialquotienten; dies sind seine quantitativen oder mathematischen Unendlichkeiten, und man kann es wohl keinem Mathematiker verdenken, wenn dies genügt, um ihm den Geschmack an HEGEL zu verderben. Abgesehen davon, daß diese Formen im rein Mathematischen doch gerade nur insoweit in Betracht kommen, als sie reine Größen sind, und ihre etwaige qualitative Natur nur nach Beendigung der mathematischen Lösung der Aufgabe in der nicht mehr mathematischen Anwendung der Resultate zur Bedeutung gelangen kann, so ist es doch zu klar, daß dieselben in jeder Beziehung endliche Größen sind, als daß von einer quantitativen Unendlichkeit bei ihnen die Rede sein könnte. Dies kann nur zu solchen Ungereimtheiten führen wie z. B. HEGELs Behauptung, daß ein Wert als unendliche Reihe ausgedrückt eigentlich endlich, im sogenannten endlichen Summenausdruck aber wahrhaft unendlich ist (Werke III, Seite 293-294), d. h. also die Reihe 1 + ½ + ¼ + ⅛ + ... soll nunmehr endlich, die Summe 2 aber unendlich sein!! Eine Folge dieser Verkehrungen ist auch die, daß HEGEL in seinen Anmerkungen über das mathematisch Unendliche immer nur die qualitative Bedeutung mathematisch endlicher Ausdrücke (zum Teil recht geschickt) behandelt, während er das mathematisch Unendliche, z. B. eine nicht bloß der Form, sondern auch dem Inhalt nach unendlich sein sollende Reihe (d. h. eine solche, für die es keinen endlichen Summenausdruck mehr gibt) so sehr ignoriert, daß er es gar nicht zu kennen scheint. Gerade das ist aber für den Philosophen die Aufgabe dem Mathematiker gegenüber, daß er zeigt, wie das mathematisch Unendliche und die Operationen mit diesem zu verstehen sind, wenn es doch keine unendlichen Größen gibt. Um diese Aufgabe bekümmert sich HEGEL gar nicht. - Es geht hieraus hervor, daß eine quantitative Unendlichkeit im wahren Sinn des Wortes für HEGEL schlechthin nicht existiert, weder als Unendlichgroßes und Unendlichkleines, noch als unendlicher Progreß, daß vielmehr seine sogenannte quantitative Unendlichkeit nichts anderes ist als die qualitative hegelsche Unendlichkeit in spezieller Anwendung auf den Begriff der Quantität. Dies geht klar daraus hervor, daß die Quantität eben nicht eher zur Unendlichkeit kommt, als bis sie sich qualitaviert hat; dann aber hat sie also doch eben nur eine qualitative und keine quantitative Unendlichkeit. Es bleibt uns also, nun diese qualitative Unendlichkeit zu betrachten, von der die quantitative nur ein besonderer Fall ist. Wenn diese schon das Sachverhältnis auf den Kopf stellt, so schlägt jene der naturgemäßen Ausdrucksweise geradezu ins Gesicht, wie es dann auch vor HEGEL niemandem eingefallen ist, an eine andere als quantitative Unendlichkeit zu denken. Jeder Begriff nämlich kann nur insofern das Prädikat "unendlich" erhalten, als er eine quantitative Seite, wie er eines Größer oder Kleiner, eines Mehr oder Weniger fähig ist. Jeder wird Ausdrücke wie: "unendlich barfüßig" für Unsinn erklären, und den Ausdrücken "unendlich weise, unendlich gütig" nur insofern einen Sinn beilegen, als die quantitative Steigerung, deren die Begriffe fähig sind, bis ins Unendlich fortsetzbar gedacht werden soll. Nur an demjenigen, was einer Vermehrung oder Verminderung fähig ist, ist es möglich, die Steigerung bis ins Unendliche fortgesetzt zu fordern, nur von demjenigen, was für gewöhnlich Enden hat, hat es einen Sinn, die Enden und die Endlichkeit zu negieren. Beides fällt aber zusammen; denn Enden hat nur eine Größe, und was eine Größe ist, dessen Enden können verschoben werden. Nimmt man nun aber den Begriff, abgesehen von seiner quantitativen, bloß von seiner qualitativen Seite, so kann man bei ihm auch nicht mehr von Enden sprechen, also hat es auch keinen Sinn mehr, seine Enden zu negieren, da ihm weder Endlichkeit noch Unendlichkeit zukommt, welches Spezien eines Genus sind, dem er heterogen [ungleichartig - wp] ist. Das Analogon der Enden in der Quantität aber ist in der Qualität die Bestimmtheit, doch auch nur als Analogon und nichts weiter. Dementsprechend braucht HEGEL auch die Ausdrücke "endliche Verstandesbegriffe", und "feste" oder "bestimmte Verstandesbegriffe" synonym. Mithin ist, was in der Quantität die Unendlichkeit ist, in der Qualität die Unbestimmtheit. Man wird HEGELs qualitative Unendlichkeit nie verstehen, wenn man nicht überall für das Wort "Unendlichkeit" das Wort "Unbestimmtheit" liest oder wenigstens mit jenem Wort nur diesen Sinn verbindet. Gerade das verhindert die meisten am Verständnis, daß sie immer noch Reminiszenzen [wachgerufene Erinnerungen - wp] irgendeiner Art von dem suchen, was sie als Unendlichkeit im Kopf haben. HEGEL entwickelt seine qualitative Unendlichkeit am Gegensatz des "Etwas" und des "Anderen". Es ist dies insofern gleichgültig, da die Sache sich aus jedem anderen Paar von Gegensätzen ebensogut hätte entwickeln lassen, doch sind die Begriffe insofern richtig gewählt, als auch bei jedem anderen Paar von Entgegengesetzten doch keine Eigenschaft weiter benutzt worden wäre, das daß das Eine in das Andere übergeht. Dieses Übergehen des beliebig als "Etwas" fixierten Begriffs in sein Anderes, dieses "Nicht umhin können, sich zu verändern", diese unstete, rastlose Flüssigkeit des Begriffs, das Überfließen über jede diesem vom Verstand gegebene Bestimmtheit, nicht nur über diese, die ich eben vorhabe, sondern über jede in Zukunft noch zu geben mögliche, - immer das nicht zu sein, als was man ihn festhalten will (allerdings nur dadurch der einen Bestimmtheit entrinnen könnend, daß er sich in eine andere Bestimmtheit, nicht in das negativ Bestimmungslose stürzt) - dies ist selbst die qualitative Unendlichkeit. Man sieht sogleich, daß dieses Prinzip der notwendigen Veränderung nichts ist als das dialektische Prinzip selbst. - Kommt man nun mit den Reminiszenzen des gewöhnlichen Denkens und der naturgemäßen Begriffsbildung an diese Betrachtung, so wird man sich verleiten lassen, dasjenige an diesem Prozeß für die hegelsche Unendlichkeit ansehen zu wollen, was daran unendlich im gewöhnlichen Sinne erscheint, d. h. den unendlichen Prozeß der Veränderung oder des Fließens. So kommt TRENDELENBURG dazu, HEGEL vorzuwerfen, daß er in seiner qualitativen Unendlichkeit über die perhorreszierte schlechte Unendlichkeit des unendlichen Prozesses in der Tat gar nicht hinweggekommen ist. Damit tut er ihm jedoch, wie ich glaube, unrecht; denn so wie man bedenkt, daß die qualitative Unendlichkeit nur Unbestimmtheit bedeutet, sieht man, daß die Pointe nicht in einem unaufhörlichen Fließen des Begriffes liegt, sondern darin, daß er unbestimmt, d. h. daß er ein solcher ist, dessen Natur es ist, in jeder Bestimmtheit seine Unbestimmtheit zu bewahren, d. h. nichts in bestimmter Weise Bestimmtes zu sein, und die Bestimmtheit nur als etwas zu Negierendes zu kennen. Die HEGELsche Unendlichkeit besteht also nicht in der Endlosigkeit des Veränderungsprozesses, sondern ausschließlich in dem treibenden Prinzip, kraft dessen der Begriff befähigt und gezwungen ist, jede ihm vom Verstand gegebene Bestimmtheit zu negieren, d. h. sie besteht im dialektischen Moment selbst und ist identisch oder synonym mit diesem. - HEGEL nennt mit Recht die gemeine Unendlichkeit eine negative, da dem Verstand nur das Endliche das Gegebene, Positive ist, das Unendliche aber nur die Negation seiner Endlichkeit; dagegen nennt HEGEL von seinem Standpunkt aus seine Unendlichkeit mit Recht eine positive, da seiner Vernunft die flüssige Unbestimmtheit des Begriffs oder seine Allerweltsmöglichkeit das gegebene Positive ist, dagegen die feste Bestimmtheit des Begriffs eine willkürlich vom Verstand gezogene Beschränkung (partielle Negation) dieses Positiven. Was hiervon für uns Wichtigkeit hat, ist folgendes: Die HEGELsche und die gemeine Unendlichkeit sind ganz heterogene Begriffe, die gemeine oder negative Unendlichkeit ist nur vom Verstand, die hegelsche oder positive Unendlichkeit ist nur von der Vernunft zu fassen, denn sie ist Eins mit dem dialektischen Moment, mit der flüssigen Unbestimmtheit des Begriffs. Jede Mühe, die HEGELsche Unendlichkeit vom Standpunkt des Verstandes aus zu fassen, ist vergebens, denn sie ist recht eigentlich das pulsierende Herz der Dialektik; man muß schon im dialektischen Prinzip drin sein, schon auf dem Standpunkt der Vernunft stehen, ehe man sie zu fassen vermag. Wenn sie vom Standpunkt des Verstandes aus schon nicht zu fassen ist, so ist sie noch weniger vor ihm zu rechtfertigen, da der Verstand leugnen muß, was er nicht begreift und wofür er zugleich keine Begründung sieht; am allerwenigsten aber kann durch eine Vermittlung der Hegelschen Unendlichkeit dem Verstand die Hegelsche Vernunft begreiflich gemacht werden. der gemeine Verstand Ohne von den 99 kursierenden Unterscheidungen von Vernunft und Verstand eine bestimmte annehmen oder gar eine hundertste hinzufügen zu wollen, kann man doch so viel behaupten, daß alle reiferen und natürlicheren Bestimmungen jener Begriffe nicht auf eine Zerreißung des Intellekts in nichts miteinander gemein habende Teile, sondern auf die Einheit des Denkvermögens mit bloß abstrahierender Sonderung verschiedener, auf verschiedene Gegenstände gerichteter Tätigkeiten hinauslaufen. Die Psychologie sondert noch heute das Vorstellungs-, Denk- oder Erkenntnisvermögen von anderen, z. B. Begehrungs- oder Gefühlsvermögen (gleichviel mit welchem Reht); aber jene spaltende Tendenz, welche sich darin gefiel, sogar die rein intellektuelle Seite des menschlichen Geistes aus verschiedenen Elementarseelen durch wer weiß welchen Kitt zusammengekleistert zu denken, ist glücklicherweise heute ein überwundener Standpunkt. Wie man Vernunft und Verstand auch unterscheiden mag, ob nach theoretischer oder praktischer Beziehung oder umgekehrt, oder ob nach Abstraktion und Kausalität (SCHOPENHAUER), oder nach welchen Rücksichten auch immer, so viel steht fest, daß es ein und derselbe Intellekt ist, der nach denselben allgemeinsten Gesetzen der Wirksamkeit hier diesem, dort jenem Gegenstand sich zuwendend, hier auf diese, dort auf jene Weise sich betätigt. Bei HEGEL ist dies nicht der Fall, denn bei ihm umfaßt der Verstand dasjenige, was bei allen anderen Vernunft und Verstand ist, während die hegelsche Vernunft als etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes neu hinzu kommt und nach Regeln denkt, welche zu denen des Verstandes in einem direkten Widerspruch stehen, So daß sie das Tun des Verstandes für ein ebenso verkehrtes hält, wie der Verstand ihr Tun für verkehrt und sinnlos erklären muß (Werke I, Seite 184-185), nur mit dem Unterschied, daß die Vernunft das Tun des Verstandes für verkehrt aus Borniertheit hält, und sich als erhaben über diese Borniertheit genießt, während der Verstand das Tun der Vernunft für verkehrt aus Übergeschnapptheit erklärt und sie für eine krankhafte Verirrung halten muß. Die Vernunft glaubt mithin den Verstand, den sie negiert, als überwundenen in sich einschließen zu können, der Verstand aber weiß, daß er die Vernunft, die er negiert, als Tollhäuslerin von sich ausschließen muß. Jedenfalls steht fest, daß jeder Teil das Tun des andern als etwas Verkehrtes negiert, und man hat somit zwei Teile im Intellekt, die beide denkende, aber nach entgegengesetzten, sich widersprechenden Grundsätzen denkende sind und im menschlichen Kopf im Kampf liegen müssen, bis die Stimme des einen Teils zum Schweigen gebracht und der andere ein souveräner Tonangeber ist. Bleibt der Verstand Sieger im Kopf, so wird das Denken der Einheit des Widerspruchs als etwas Unmögliches erklärt, bleibt die Vernunft Sieger, so wird der Satz des Widerspruchs mit der ganzen formalen Logik als einseitig und folglich unwahr über Bord geworfen. Etwas Ungeheuerlicheres als dieser Dualismus, dieser Antagonismus von Verstand und Vernunft, als diese Zusammenkettung von intellektuellen Seelen, deren jede auf entgegengesetzte Weise denken will, welche sich mithin wie Pferde, die auf den entgegengesetzten Seiten eines Wagens angespannt sind, entgegenarbeiten, ist wohl noch nie ersonnen worden, und es ist vergeblich, diesen in HEGELs System klar ausgedrückten Widerspruch der Geisteskräfte mit der Redensart übertünchen zu wollen, daß dieselben verschiedene Seiten oder Momente des Logischen sind. Wenn die Vernunft die Tätigkeit des Verstandes benutzt, so ist es nur insofern, als er Abstraktionen und bestimmte Begriffe bildet, aber die Gesetze , nach welchen er allein denken kann und muß, schlägt sie faktisch tot; sie erklärt also jenes Bilden von festen Begriffen allerdings nur insofern für falsch, als es einseitig ist und die Wahrheit noch nicht erreicht, immerhin aber für verwendbar als schätzbares, ja sogar unentbehrliches Material (Werke III, Seite 20); dagegen die Art und Weise seines Denkens und die Gesetze seiner Begriffsverbindungen erklärt sie nicht nur für völlig leer und deshalb wertlos, sondern auch für falsch als solche, als widerspruchsvoll in sich und untereinander, da sie den Widerspruch begehen, während sie ihn von sich abhalten wollen (Werke IV, Seite 231 und 238); er erklärt, daß ein Festhalten an ihnen die Wahrheit unmöglich macht, daß diese im Gegenteil nur zu erreichen ist durch ihr Aufgeben und Aufheben, durch das Fortgehen zum Gesetz der spekulativen Vernunft, welches das Aufnehmen des Widerspruchs fordert, den jene (vergeblich) von sich ausschließen und abhalten wollen (Werke IV, Seite 32-37, 66-73; VI Seite 230-231, 238-239). Nur als Organ der Begriffsbildung kann der Verstand von der Vernunft in der Bedeutung einer niederen Stufe geduldet und benutzt werden, als Kanon der Gesetze der Verstandeslogik dagegen muß sie ihm jede Berechtigung, zu existieren und sich geltend zu machen, absprechen, wenn sie auch seine faktische, historische Existenz leider nicht leugnen kann. (2) Was wir ferner über das gegenseitige Verhältnis von Vernunft und Verstand zu sagen haben, bezieht sich auf den letzteren hauptsächlich als Kanon der Gesetze der Verstandeslogik, weil er nur in dieser Eigenschaft, nicht aber als Organ einer bestimmten Begriffsbildung mit der Vernunft im Widerspruch steht. Wenn schon diese Aneinanderkettung der miteinander unverträglichen Denkvermögen, die nur für den am Widerspruch sich labenden dialektischen Standpunkt annehmbar erscheinen kann, erstaunlich genug ist, so ist es noch erstaunlicher, daß von diesem Antagonismus vor HEGEL und nach HEGEL (außer seiner Schule) niemand (mit alleiniger Ausnahme von NICOLAUS CUSANUS) etwas gemerkt hat, daß zu allen Denkfunktionen, welche von Nichtdialektikern vorgenommen werden, theoretisch und praktisch das, was HEGEL Verstand nennt, vollkommen ausreicht, und daß die hegelsche Vernunft ausschließlich für diejenigen angeblichen Denkfunktionen bemüht werden muß, von welchen ebenfalls vor HEGEL und nach HEGEL (außer seiner Schule) niemand etwas wissen will. In der Tat ein merkwürdiges Zusammentreffen! - Der Verstand ist nach HEGEL "die Kraft des Beschränkens" (Werke I, Seite 172) und seine Tätigkeit ein "endliches Denken" (Werke I, Seite 163; VI, Seite 63), d. h. nach dem vorigen: bestimmtes, festes Denken; im besten Fall liefert er ein "reines Denken". Die Vernunft dagegen liefert ein "unendliches Denken" (Werke VI, Seite 63), d. h. nach dem vorigen: flüssiges, unbestimmtes Denken oder "absolutes Denken" (Werke I, Seite 191). Das absolute Denken der Vernunft ist, wie über jeden Gegensatz, so auch über den des Subjektiven und Objektiven erhaben, es ist das "schlechthin Allgemeine", Alles Durchdringende, Alles Belebende. Wie ist es dann aber möglich, daß es noch einen Verstand gibt, der sich gegen die Gesetze der Vernunft auflehnt und die entgegengesetzten Gesetze als die seinigen behauptet? Wo kommt dieser Verstand her, oder, wenn die Vernunft ihn umschließen soll, wie kommt dieser heterogene Bestandteil in sie hinein, wenn die "absolute Idee" die alleinige Substanz ist, wie ist es möglich, daß er sich untersteht, nach entgegengesetzten Gesetzen tätig zu sein, woher nimmt er das Streben und die Kraft, das natürliche Umschlagen des Begriffs in sein Gegenteil zu verhindern, wenn die Vernunftgesetze das schlechthin Allgemeine und das "absolute Denken" der einzige Prozeß ist? Wie ist es gar denkbar, daß dieses Allgemeinste, in allem Lebende, die Vernunft, doch so Wenigen bekannt ist, ja sogar von den Allermeisten selbst dann noch, wenn sie davon gehört haben, die Existenz derselben bestritten werden kann, da sie doch in ihr leben und weben und sind und völlig von ihr durchdrungen sein müßten? Wie reimt sich diese Erscheinung mit HEGELs Behauptung, daß die Philosophie nur das Denken verlangt, welches jedem Menschen von Natur gegeben ist (Werke VI, Seite 8), ja sogar, daß das Logische die eigentümliche Natur des Menschen ist (Werke III, Seite 11), durch die er sich vom Tier unterscheidet? Wenn aber diese Vernunft in der allergrößten Mehrzahl der Menschen so schwach vertreten ist, daß man "ein Liebling der Götter" sein muß (MICHELET, "Gedanke", Bd. I, Seite 200), um etwas von ihr zu spüren, sollte es dann mit der Versicherung der Dialektiker nicht etwas zweifelhaft bestellt sein, daß in den so viel unvernünftigeren Regionen der organischen und unorganischen Natur dieselbe Vernunft, mit welcher der Mensch nur so ausnahmsweise begnadet ist, das allein tätige Prinzip ist? Freilich kommt dann die arme Natur sehr schlecht weg, wenn sie nicht mehr als die Menschheit mit Vernunft begnadet ist; denn Verstand ist nach HEGEL gar nicht im Objektiven (Werke VI, Seite 59):
HEGEL macht dem Verstand den Vorwurf, daß er unfähig ist, das Wahre zu fassen (Werke VI, Seite 53: "Alle Täuschung aber kommt daher, nach endlichen Bestimmungen zu denken und zu handeln." Werke VI, Seite 59:
Einen andern, mit dem oben erwähnten zusammenhängenden Vorwurf macht HEGEL ferner dem Verstand damit, daß er hart und einseitig ist, auch zum Teil zu zerstörenden und verderblichen Konsequenzen führt (Werke VI, Seite 147-148). Indem nämlich das Denken des Verstandes durchweg einseitig ist, muß es als solches falsch sein, da das Einseitige nie die volle Wahrheit sein kann. - Zunächst ist unbedingt zuzugeben, daß ein Gegenstand nur dann in Wahrheit erkannt ist, wenn er nach allen seinen möglichen Beziehungen und von allen nach den verschiedensten Standpunkten sich darbietenden Seiten erkannt ist; hält man dagegen eine ansich richtige, aber der Allseitigkeit entbehrende Anschauung für die vollständige Erkenntnis des Gegenstandes, so gerät man bei den Konsequenzen sehr leicht in Irrtümer, weshalb es höchst wichtig ist, die Einseitigkeit in der Erkenntnis zu vermeiden, noch wichtiger aber, eine einseitige nicht für eine vollständige zu halten. Dem entgegen ist jedoch folgendes zu berücksichtigen. Nicht jeder Gegenstand ist vielseitig oder bietet nach verschiedenen Seiten verschiedene Ansichten dar (z. B. eine Kugel); aber selbst bei solchen Gegenständen, denen sich verschiedene Seiten abgewinnen lassen, sind meistenteils für die vorliegenden Zwecke nur eine oder wenige ganz spezielle Seiten verwendbar, so daß die Einseitigkeit der Auffassung in solchen Fällen nichts Falsches entstehen läßt, sondern nur eine lobenswerte Vermeidung des ungehörigen Überflüssigen ist. Wenn man gleichzeitig das Bewußtsein der absichtlichen Beschränkung hat, so ist man auch vor der Möglichkeit geschützt, durch ein Überspringen in fremde Gebiete, wo jene Einseitigkeit nicht ausreicht, in Irrtümer zu verfallen. Schließlich aber ist schlechterdings nicht einzusehen, warum der Verstand einseitig sein muß, da er vielmehr nur die verschiedenen Seiten eines Gegenstandes zu erschöpfen braucht, um allseitig zu sein, wo dies not tut. (Nicht die Allseitigkeit als solche ist schon das, was HEGEL "Vernunft" nennt, sondern erst ein Zusammenfassen widersprechender Seiten desselben Gegenstandes, was aber in Wahrheit niemals vorkommen kann.) Nicht in der Natur des Verstandes, sondern nur in einer schlechten und unvollständigen Anwendung desselben liegt die Einseitigkeit. Nur ein unvollständiges, im toten Wort erstarrtes Denken wird durch die Vorwürfe der Schroffheit und Härte betroffen, die namentlich vom Gefühl ausgehen, weil dieses als eine der schwierigsten Seiten des Lebens vom Verstand zuletzt begriffen, dann aber auch in seinem natürlichen Recht bestätigt wird. Betrachten wir nunmehr etwas näher, was wir denn eigentlich an der hegelschen Vernunft haben. Die Vernunft ist ein unendliches Denken, die Reflexion wird durch das Aufheben des Endlichen (Werke I, Seite 173) und durch die Beziehung auf das Absolute (Werke I, Seite 182) zur Vernunft. Indem die endlichen oder festen Bestimmungen im Absoluten, d. h. Beziehungslosen, Unbestimmten, untergehen, wird das reine Denken des Verstandes zum absoluten oder unendlichen Denken der Vernunft, d. h. zum unbestimmten, haltlosen, flüssigen Denken, wie wir im Vorhergehenden den Begriff des hegelschen Unendlichen nachgewiesen haben. (Es ist zu bemerken, daß sich in Werke VI, Seite 63 eine vom Herausgeber von HENNING zugesetzte Stelle findet, welche wegen zu kurzen und mangelhaften Ausdrucks den Schein erweckt, als ob schon jedes reine Denken, welches ganz bei sich ist und nur sich selbst zum Gegenstand hat, als solches unendlich ist. Abgesehen davon, daß die Argumente, die dies darlegen sollen, falsch sind, kann dies gar nicht HEGELs Meinung sein, da auch das verständige Denken in festen Bestimmungen schon reines Denken sein kann (Werke VI, Seite 7), also damit der Verstand selbst schon Vernunft wäre (vgl. Werke I, Seite 181). Dies nur zur Vorbeugung von Mißverständnissen, die sich auf jene Stelle stützen könnten.) Die bisherigen Unterscheidungen waren formelle, vielleicht genügen sie, um den Unterschied des Inhalts zu bestimmen, vielleicht treten in Bezug auf letzteren noch mehr Unterschiede hinzu. Betrachten wir jetzt, wie sich die Leistungsfähigkeit von Vernunft und Verstand ihrem Inhalt nach verhalten. Was der Verstand leistet, weiß jeder: er geht von einer Begriffsbestimmung zur andern am Leitfaden des Satzes vom Widerspruch; die Frage ist, in welchen Punkten die Leistungen der Vernunft über die des Verstandes hinausgehen, bei welchen Funktionen der dialektischen Methode das Vermögen des Verstandes unzulänglich wird und das Bedürfnis der Vernunft eintritt. Zunächst in der negagiv vernünftigen Tätigkeit scheint der Verstand ausreichend, um
2. sich von diesen Widersprüchen abgestoßen zu fühlen und eine solche Fassung des Begriffs aufzusuchen, welche von diesen Widersprüchen frei, sich als das Gegenteil des ersten Begriffs ausweist; 3. in diesem Gegenteil den Widerspruch in neuer Form aufzufinden, und bei dem Versuch, dieser neuen Form auszuweichen, in die erste Form, den Ausgangsbegriff, zurückzufallen. Wir kommen nun zur positiv-vernünftigen oder spekulativen Tätigkeit. Die in einem engeren Sinn dialektische Tätigkeit hatte uns auf rein verständigem Weg so weit geführt, daß wir jedes der Gegenteile in seiner Isoliertheit als ein der ihm anhaftenden Widersprüche wegen Unhaltbares erkannt hatten. Das allgemeine Resultat dieser Tätigkeit wäre also ein skeptisches, welches lautet:
Fragen wir schließlich, wie jene Behauptung, die Einheit des Widerspruchs denken zu können, mit dem allgemeinen Charakter der Vernunft als des unendlichen Denkens zusammenhängt, so zeigt sich, daß bei dieser Voraussetzung der absoluten Unbestimmtheit und Flüssigkeit des Begriffs der Widerspruch allerdings insofern weniger abstoßend zu werden scheint, wie er in demselben Moment aufhört, Widerspruch zu sein, wo der Verstand ihn als solchen bestimmt zu haben glaubt, weil ja nur einer der Begriffe oder beide zugleich sich unvermerkt und momentan so verändert zu haben brauchen, daß das Widersprechende aus ihrer Verbindung verschwindet. Diesen scheinbaren Rettungsanker dürfen wir aber nicht ergreifen; denn HEGEL statuiert ausdrücklich nur dasjenige Denken der Einheit des Widerspruchs als ein vernünftiges, in welcher der Widerspruch in seiner totalen Entgegensetzung erhalten bleibt. Es muß also allerdings gesagt werden, daß die Vernunft außer der ihr zugeschriebenen Eigenschaft des unendlichen Denkens auch noch die dem Verstand unmöglich scheinende Fähigkeit besitzen soll, die Einheit des Widerspruchs zu denken. Als unendliches Denkens in flüssigen Begriffen erzeugt die Vernunft kraft der ihr innewohnenden logischen Notwendigkeit die Widersprüche, von denen sich der bloß negativ-vernünftige Verstand hin und her werfen läßt, ohne ihnen entrinnen zu können; als Vermögen, den Widerspruch zu denken, hebt die Vernunft mit ebenso logischer Notwendigkeit die selbstgesetzten Widersprüche in sich auf, um sie sofort in gleicher oder in anderer Gestalt von Neuem zu setzen. Für den Verstand gilt der Widerspruch im bewußten diskursiven Denken allemal als Ergebnis und damit auch als Symptom eines Irrtums, d. h. einer Abirrung von den logischen Gesetzen, eines unlogischen Denkens oder eines Herausfallens aus der logischen Normalität. Für die hegelsche Vernunft hingegen gilt der Widerspruch als Produkt des logisch gesetzmäßigen Denkens, als unentbehrlicher Bestandteil des logisch Notwendigen und sein Mangel als Symptom des Irrtums und der Unwahrheit. Das Resultat dieses Kapitels ist: Es ist falsch, daß der Verstand unfähig ist, die Wahrheit zu fassen; es ist abgeschmackt, in demselben Intellekt zwei Vermögen anzunehmen, die nach entgegengesetzten sich widersprechenden Gesetzen denken; die Behauptung, daß die Vernunft ein unendliches (flüssiges) Denken ist, ist nicht durch die Eigentümlichkeit der Funktionen der dialektischen Methode gefordert, sondern diese werden in festen Verstandesbestimmungen vorgetragen und erschöpft, soweit sie überhaupt mitteilbar sind; die negativ-vernünftige Tätigkeit verhält sich, insoweit sie dem Verstand Widersprüche nachweisen will, zum Widerspruch ebenso wie die verständige und widersprechend wie die positiv-vernünftige; die Tätigkeit der positiven Vernunft, insoweit sie über die Tätigkeit des Verstandes und über die Aufnahme des aus dieser entnommenen Materials hinausgeht, ist mystisch, unmittelbar für Andere und unbegreiflich für den sie Ausübenden selbst. - (Wenn Dialektiker der hegelschen Schue den Dualismus von Verstand und Vernunft dadurch zu beseitigen gewähnt haben, daß sie sich dieser Worte enthielten und ihn dadurch möglichst vertuschten, so ist dies ein völliger Irrtum. Solange in demselben Kopf dieselben widersprechenden Funktionen des Denkens behauptet werden wie von HEGEL, solange besteht das Ungeheuerliche jenes Dualismus, auch wenn man die Namen "Verstand" und "Vernunft" unterdrückt. Dies gilt z. B. gegen KUNO FISCHER, der in der zweiten Auflage seine Logik und Metaphysik (Seite 343-344 und 359-360) die Notwendigkeit aufrecht erhält, den Widerspruch gelten zu lassen, seine Einheit zu denken, und somit die formalen Denkgesetze aufzuheben.) Jede wissenschaftliche Behauptung, welche neu in die Welt tritt, muß sich rechtfertigen, d. h. sie muß nachweisen, warum sie überhaupt aufgestellt ist, sie muß begründen, warum sie so und nicht anders aufgestellt ist, und muß zeigen, daß sie überhaupt möglich ist, wenn diese Möglichkeit von irgendwoher angezweifelt werden sollte. Diese Rechtfertigung, Nachweisung und Begründung muß aber - man sollte dies für selbstverständlich halten - vom Bestehenden und bereits Anerkannten aus geführt werden und nicht aus dem heraus, was sich erst legitimieren soll, sonst begeht man denselben Fehler, wie wenn man einen Begriff durch eine Definition erklärt, in welcher der Begriff vorkommt, oder als wenn man einen Menschen, der durch gute und zureichende Indizien des Meineides überführt ist, sich durch einen Eid reinigen lassen wollte. Der neue Begriff, wenn er sich nur durch sich selbst definieren kann, bleibt unverständlich und unbekannt; der Angeschuldigte, wenn er die Indizien des Meineides durch keine anderen als auf seiner eigenen Glaubwürdigkeit beruhenden Argumente zu entkräften vermag, wird verurteilt, und die neue Behauptung oder der Komplex von neuen Behauptungen, welcher sich nur durch einen von ihm selbst ausgestellten Paß legitimieren kann, bleibt aus dem Reich der Wissenschaft verwiesen. Betrachten wir nun, wie es sich mit der Legitimation der dialektischen Methode verhält. HEGEL möchte seine Methode vor dem Verstand rechtfertigen, und er möchte es auch nicht. Er fühlt, daß die kühne Behauptung der Voraussetzungslosigkeit zwar wohl geeignet sein mag, manchem, der sich dupieren läßt, zu imponieren, daß aber die Gefahr, nirgends Eingang zu finden, doch noch größer ist. Darum begibt er sich an den Versuch der Rechtfertigung seines Werkes vor dem Verstand. Leider ist er aber trotz all der falschen Voraussetzungen, die er für diesen Zweck macht, nicht imstande, die Methode vor dem Verstand zu legitimieren und muß schließlich doch darauf zurückkommen, daß er wie ein dafür zu vornehmer Herr die Forderung einer Legitimation zurückweist und sich mit der Rechtfertigung vor dem erst durch die Methode geschaffenen Richterstuhl der Vernunft begnügt. Wer sich des über die Stellung der Kritik zur dialektischen Methode Gesagten erinnert, kann nicht zweifelhaft sein, daß das letztere Verhalten allein das mit dem Geist der Methode übereinstimmende, der Versuch aber, sich vor dem Verstand zu rechtfertigen, eine Inkonsequenz ist, die nur als eine exoterische Konzession betrachtet werden darf, vielleicht auch als eine die wahre Gestalt verbergende Hülle, ohne welche die Methode von vornherein von jedem als das erkannt worden wäre, was sie ist, und überall verschlossene Türen gefunden hätte. Daß aber die Vernunft, welche durch die Methode als ein über dem Verstand stehender Richterstuhl proklamiert wird, in der Tat nur durch die Methode und zu den Zwecken der Methode geschaffen ist, so daß sie mit der Methode steht und fällt, dies glaube ich in der historischen Einleitung und dem vorigen Kapitel genügend dargelegt zu haben. Wenn also die Methode sich vor dem Verstand nicht rechtfertigen kann, sondern, wie HEGEL selbst zugibt, von diesem stets als unmöglich erklärt werden muß, so schöpft sie in der tat ihre Rechtfertigung rein aus sich selber, da die Behauptung der Vernunft ausschließlich ein integrierender Bestandteil ihrer selbst ist, steht aber dem gesamten Kreis des Wissens und Denkens, welches, wie wir gesehen haben, durch den Verstand erschöpft wird, als ein nicht zu duldender Eindringling gegenüber, und der Verstand, d. h. die vorhandene Wissenschaft, hat somit nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, diese Vernunft "zu verabscheuen und zu verfolgen, wenn er nicht in der völligen Indifferenz der Sicherheit ist." (Werke I, Seite 184-185). Die dialektische Methode erklärt jedes andere Denen als eines nach ihren eigenen Prinzipien für unwahr, wollte sie sich also durch eine Begründung rechtfertigen, welche noch außerhalb ihrer selbst läge, so müßte sie selbst einen solchen Beweis zum Scheinbeweis erklären, d. h. zu einem Beweis, der die Wahrheit nur zufällig zum Resultat hat. HEGEL drückt dies so aus (Werke VI, Seite 15-16):
Nachdem wir uns überzeugt haben, wie es in Wahrheit mit der Legitimation der dialektischen Methode bestellt ist, wollen wir auch noch jenes betrachten, was man wohl "schieferweise" als Voraussetzungen derselben ansehen könnte. HEGEL spricht diese Punkte am deutlichsten in der schon oben erwähnten Stelle (Werke I, Seite 176-177) aus:
Immer wiederholt schärft uns HEGEL ein, daß es die Aufgabe der Philosophie ist, das Absolute mit dem Bewußtsein zu erfassen (z. B. Werke I, Seite 178):
Wir kommen nun zur anderen von HEGEL angegebenen Voraussetzung, der Entzweiung des Bewußtseins aus der Totalität in den Widerspruch des festen Gegensatzes. Wenn der Hinweis auf das ersehnte Absolute besonders für diejenigen ein Köder ist, welche es lieben, die Mystik ihres Gefühlslebens in die Wissenschaft hineinzuschmuggeln, so ist dagegen die Voraussetzung der totalen Entzweiung des Bewußtseins die conditio sine qua non, unter welcher allein die dialektische Methode es wagen kann, dem Publikum ihre unerhörten Zumutungen zu machen, da ohne jene Voraussetzung niemand auch nur die Geduld haben würde, sie anzuhören. Dies ist allerdings ein starker Kontrast mit der erhabenen Voraussetzungslosigkeit der Methode, die ihr in Wahrheit allein zukommt. Wenn HEGEL in Werke I, Seite 172-177 unter der Überschrift "Bedürfnis der Philosophie" die Entzweiung des Bewußtseins historisch als Erstarren in abgestorbenen, früher einmal lebensfähigen Gegensätzen erklärt, so ist dies nur dadurch möglich, daß er überhaupt Gegensatz und Widerspruch vermengt und verwirrt; daß die Entzweiung in der Tat nur das Verrennen des Verstandes in Widersprüche, von denen er keine Lösung sieht, mit einem Wort in Antinomien, bedeuten kann, ist aus HEGELs sonstiger Lehre klar, und dasjenige, was nun eigentlich die Voraussetzung der Dialektik bilden soll, ist HEGELs Behauptung, "daß die Antinomie sich in allen Gegenständen aller Gattungen, in allen Vorstellungen, Begriffen und Ideen findet" (Werke VI, Seite 103), daß an allen diesen "der Widerspruch wesentlich und notwendig ist" (Werke VI, Seite 102). Diese Behauptung ist ebenso neu und HEGEL eigentümlich wie dasjenige, dem sie als Voraussetzung dienen soll. Wir haben in der historischen Einleitung gesehen, daß alle Philosophen den Widerspruch für nichts weniger als wesentlich und notwendig, sondern vielmehr für unmöglich zu denken wie zu sein erklärt haben; wir haben gesehen, wie die Dialektik der Griechen wesentlich darin bestand, die Begriffe zu rektifizieren [richtigstellen - wp] durch eine Anwendung des Satzes vom Widerspruch als Kriterium der Unwahrheit; wir haben sogar gesehen, daß ARISTOTELES ausdrücklich nachweist, wie und warum jeder Versuch, dem Satz des Widerspruchs zuwider zu denken, sich selbst aufhebt, sofern er nicht auf einem Mißverständnis der Sache beruth. HEGEL bekümmert sich um diesen Nachweis gar nicht und hat den Grundgesetzen der Jahrtausende gegenüber nichts anderes zu bemerken als erstens: daß der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, auf konträre Gegensätze angewandt, Unsinn ergibt (Werke IV, Seite 67; VI, Seite 238-239), was aber durchaus kein Angriff auf diesen Satz ist, wie HEGEL meint, da ARISTOTELES schon (De interpret. c. 7. 17b, 20) ausdrücklich erklärt, daß und weshalb derselbe nur für kontradiktorische Gegensätze gilt; zweitens: daß alle drei Denkgesetze keinen neuen Inhalt liefern (Werke IV, Seite 33-37; VI, Seite 231) und die Erkenntnis nur ein Haar reicher machen oder weiter führen als sie ist, was ebenfalls noch niemand bezweifelt hat (außer FICHTE), da die Denkgesetze eben rein formell sind und natürlich aus dem rein Formalen zu keinem Materialen zu kommen ist; drittens endlich gibt er die Versicherung (Werke IV, Seite 68):
Mit dieser Betrachtung ist auch der mögliche Fall erledigt, daß der sich widersprechende Begriff des hegelschen Absoluten eine Existenz haben sollte; er würde darum dem Denken nicht weniger fremd bleiben müssen. Durch welche Mittel HEGEL seins bisher unerhörte Behauptung, daß der Widerspruch in Allem und Jedem ist, zu stützen sucht, dies wollen wir im nächsten Kapitel betrachten. ![]()
1) Der Schluß würde nur dann richtig sein, wenn das "ist" hier nicht bloß als gewöhnliche Kopula mit dem Subjekt ein Prädikat verknüpfen würde, sondern als Zeichen der Kongruenz oder Identität diente, d. h. wenn das Prädikat im Ober- und Untersatz die vollständige, erschöpfende und genaue Definition des Subjekts darstellt. In diesem Fall würde allerdings die vollkommene Identität des Begriffs dadurch konstatiert sein, daß ein und dieselbe Definition nur einen Begriff darstellen kann, der nur zufällig hier zwei beliebig miteinander zu vertauschenden Wortzeichen hätte; es würde aber durch die Identität einer erschöpfenden Definition für Sein und Nichts auch wiederum jede Möglichkeit eines Unterschiedes beider abgeschnitten sein, weil ja ein Unterschied im Begriff allemal auch als Unterschied in der Definition, die als erschöpfend vorausgesetzt wird, seinen Ausdruck finden müßte. Übrigens liegt es auf der Hand, daß im gegebenen Beispiel die Prädikate keine vollständigen Definitionen sind, insofern sie selbst sich als der Ergänzung bedürftig ankündigen; würde diese Ergänzung zu vollständigen Definitionen vollzogen, so müßten eben auch die Unterschiede zwischen Sein und Nichts in dieselbe aufgenommen werden, oder es müßte eingeräumt werden, daß ein solcher Unterschied nicht existiert. Im ersteren Fall wird durch die Verschiedenheit des terminus medius der Schluß unmöglich, d. h. es bleibt hier die Identität ausgeschlossen, wie im zweiten Fall der Unterschied; auf jeden Fall also kann nicht Identität und Unterschied im Sinn der Dialektik gleichzeitig behauptet werden. 2) Wenn HEGEL ihnen eine "formelle, abstrakte, unvollständige Wahrheit" zugesteht, so heißt dies auf logischem Gebiet und Bestimmungen gegenüber, die das höchste Regulativ aller Wahrheit sein wollen, nichts anderes, als wenn er ihre Falschheit behauptet. Die Hauptsache bleibt bestehen, daß er sie für leer, sich selbst widersprechend und für notwendig durch das Gesetz der spekulativen Vernunft aufzuheben erklärt, ehe man zur Wahrheit kommen kann, also auch für im Widerspruch stehend mit den Gesetzen der Vernunft. |