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Grundriss der Psychologie
§ 1. Begriff und Aufgabe der Psychologie 2. Die Tatsachen, mit denen sich alle Wissenschaften, abgesehen von der Philosophie, beschäftigen, bezeichnen wir als Erlebnisse. Es sind die ursprünglichsten Data unserer Erfahrung, dasjenige, was den Gegenstand der Reflexion bildet, ohne selbst eine zu sein. Im Gegensatz dazu liegt der Philosophie ob, die Beschreibung der Erlebnisse, die Reflexion über sie, sofern darin ein eigentümlicher Tatbestand gegeben ist, zu untersuchen. Es ist nun klar, daß die Vorstellungen, Leidenschaften und dgl., welche von Psychologen verschiedenster Standpunkte als ihre Forschungsobjekte betrachtet werden, zu den Erlebnissen gerechnet werden müssen. Demnach gehört die Psychologie nicht zu den philosophischen, sondern zu den Einzelwissenschaften. 3. Die Abgrenzung der Einzelwissenschaften gegeneinander pflegt nach sehr ungleichen Gesichtspunkten zu erfolgen. So scheiden sich Botanik und Zoologie, Rechts- und Sprachlehre nach den von ihnen behandelten Gegenständen. Ferner drückt der Gegensatz zwischen beschreibenden und erklärenden Naturwissenschaften den Grad der Vollständigkeit und damit der Allgemeingültigkeit aus, der bei der Darstellung der Tatbestände erreicht ist. Physik und Chemie wiederum verhalten sich zur physikalischen und chemischen Technologie wie die Theorie zur Anwendung. Man redet wohl auch von induktiven und deduktiven Wissenschaften, wobei den ersteren der Fortschritt vom Besonderen zum Allgemeinen, den letzteren das umgekehrte Verfahren eigentümlich ist. Die meisten dieser Unterscheidungsgründe lassen sich auch auf das Verhältnis der Psychologie zu anderen Wissenschaften anwenden. So ist sie z. B. induktiv gegenüber der deduktiven Mathematik, steht sie zur Pädagogik wie die Theorie zur Anwendung, ist sie zumeist noch eine beschreibende Disziplin gegenüber den sog. exakten Wissenschaften, die im eminenten Sinne als erklärende gelten. Nur der eine, die Abgrenzung nach Gegenständen, läßt sich in keiner Weise bei der Beziehung der Psychologie zu anderen Einzelwissenschaften auffinden. Denn es gibt in der Tat kein Erlebnis, welches nicht auch Gegenstand psychologischer Untersuchung werden könnte. Da nun alle übrigen Gesichtspunkte nur die Form der wissenschaftlichen Arbeit betreffen und das Verhältnis der Psychologie zur Naturwissenschaft sich keinem von ihnen unterordnen läßt, so muß die Besonderheit des psychologischen Tatbestandes nicht sowohl in einer bestimmten Klasse von Erlebnissen, als vielmehr in einer für alle geltenden Eigenschaft derselben bestehen. Diese Eigenschaft ist die Abhängigkeit der Erlebnisse von erlebenden Individuen. 4. Man pflegt dies auch wohl so auszudrücken, daß man die Erlebnisse subjektiv nennt oder daß man die Psychologie als eine Wissenschaft von den psychischen, den Bewußtseinstatsachen, bezeichnet. Diese Ausdrücke sind sämtlich mißverständlich. Eine Subjektivierung kann sich zunächst auf das optische Bild des eigenen Körpers beziehen, dann heißen die anderen sichtbaren Gegenstände im Raum objektiv, sie kann ferner ausschließlich auf solche Zustände angewandt werden, die einer Objektivierung überhaupt unzugänglich bleiben, also einen der Psychologie ganz eigentümlichen Tatbestand bilden, wie etwa das Denken, die Gefühle von Lust und Leid und dgl. In beiden Fällen ist das Objekt der psychologischen Untersuchung falsch oder unzureichend angegeben. Desgleichen kann der Name "psychisch" in Anlehnung an bekannte metaphysische Lehren eine Wirklichkeit anzudeuten scheinen, die als solche schlechthin trennbar wäre von den sogenannten physischen Vorgängen. Nicht weniger vielsagend ist der Ausdruck "Bewußtsein", der bald das Erlebte schlechtweg, bald das Wissen davon, bald einen Zustand, in den sonst unbewußte geistige Realitäten geraten können, bezeichnet. Wo wir im Folgenden der Abwechslung oder der Kürze halber eben diese gerügten Ausdrücke anwenden werden, sollen sie nichts anderes als dasjenige an den Erlebnissen andeuten, was von erlebenden Individuen abhängig ist. Die subjektiven oder subjektivierten Vorgänge, Bewußtseinstatsachen, psychischen oder geistigen Zustände sollen für uns nur diesen Sinn haben, und das Bewußtsein, die Seele oder der Geist werden nur die Summe aller solcher Erscheinungen in unserem Sprachgebrauch darstellen. In keinem Fall sollen ein transzendentales Bewußtsein, eine substantielle Seele, ein immaterieller Geist und Ähnliches in unseren Erörterungen eine Rolle spielen. 5. Aber auch eine Definition der Psychologie als einer Wissenschaft von den Erlebnissen in deren Abhängigkeit von erlebenden Individuen scheint der Erläuterung und spezielleren Bestimmung insofern zu bedürfen, als sie den von mannigfachem Bedeutungswandel betroffenen Ausdruck "Individuum" aufgenommen. Man dürfte zunächst geneigt sein, von einem geistigen Individuum zu reden und darunter entweder eine transzendente immaterielle Substanz Seele, Geist oder eine Anzahl von allgemein subjektivierten Erlebnissen oder Fähigkeiten (Gefühle, Aufmerksamkeit, Phantasie) zu verstehen. Diese Meinung lehnen wir in beiden Interpretationsformen ab. Die erstere ergäbe keine empirische, die zweite keine wissenschaftliche Psychologie. Es bedarf keiner Begründung für jene, aber einer kurzen Rechtfertigung dieser Behauptung. Von einer wissenschaftlichen Psychologie verlangen wir die Allgemeingültigkeit ihrer Aussagen, vor allem im zweiten oben hervorgehobenen Sinn dieser Bezeichnung. Eine solche ist nur erreichbar aufgrund einer möglichst vollständigen Beschreibung der Beziehungen, welche zwischen den einzelnen Tatbeständen obwalten und sie erschöpfend charakterisieren. Niemand wird aber sagen dürfen, daß etwa ein Akkord genügend festgestellt ist, wenn man ihn angenehm gefunden oder seine Aufmerksamkeit durch ihr erregt gefühlt hat oder die Erinnerung an Situationen, Musikstücke und dgl. dadurch geweck worden ist. Außerdem fehlt zwischen diesen Bestandteilen der inneren Wahrnehmung die Abhängigkeitsbeziehung, die wir in unsere Definition der Psychologie gerade als bestimmendes Merkmal eingeführt haben. Die Vorstellungen sind abhängig von den Gemütsbewegungen und diese nicht von jenen, eine Veränderung auf der einen Seite ist nicht notwendig gefolgt von einer bestimmten Veränderung auf der anderen. Und die Vorstellungen sind nicht voneinander abhängig, sondern kommen und gehen nach unserer inneren Erfahrung sehr willkürlich, und ihre Verbindungen knüpfen sie nicht durch gegenseitige Beeinflussung, sondern unter Umständen, die auf eine außerhalb ihrer stehende Gesetzmäßigkeit schließen lassen. Wenn man endlich häufig die Aufmerksamkeit unter den Bedingungen eines subjektiven (psychischen) Vorganges erwähnt, so ist damit erstens nur eine von den verschiedenen Bedingungen angedeutet und zweitens eine wegen ihrer Kürze und Verständlichkeit bequeme Form der Beschreibung gewählt, die den gegensätzlichsten Ansichten über das eigentliche Wesen dieser Erscheinung freien Spielraum läßt. Schließlich sei noch daran erinnert, daß der Vorteil der Meßbarkeit, der Eindeutigkeit, den die Objekte der Naturforschung in so weitgehendem Maße genießen, den Gegenständen der psychologischen Untersuchung ganz fehlen würde, wenn sie nur auf die Beziehungen zum geistigen Individuu angewiesen wäre. 6. Es mag mit diesen kurzen Bemerkungen vorläufig genug zur Rechtfertigung unserer Ablehnung der nächstliegenden Auffassung des Individualbegriffs getan sein. Muß doch die Ausführung des Buches selbst im einzelnen dazu beitragen, das Andere, was wir meinen, zur Geltung zu bringen! Offenbar ist die Abhängigkeit, die wir im Sinn haben, eine solche vom körperlichen Individuum. Daß diese überhaupt besteht, ist bisher bloß von Metaphysikern einer gewissen Richtung bestritten worden. In welchem Umfang sie vorkommt, hat erst die fortschreitende physiologische und psychologische Forschung gezeigt. Hiernach sind die körperlichen Prozesse, welche in einem direkten Funktionsverhältnis zu den Erlebnissen stehen, beim Menschen ausschließlich im Gehirn, wahrscheinlich in der Großhirnrinde zu finden. Diese Abhängigkeitsbeziehung denkt man sich durchgängig verwirklicht, obwohl sie vielfach nur hypothetisch behauptet werden kann. Sie als eine zeitlich bestimmte, also kausale zu betrachten hat man jedoch keinen Anlaß in den Tatsachen und mit Rücksicht auf das die physische Welt beherrschende Gesetz von der Erhaltung der Energie scheinbar auch kein wissenschaftliches Recht. Deshalb redet man gegenwärtig meist von einem Parallelismus der psychischen und Gehirnprozesse, d. h. man stellt sie sich als einander begleitende Erscheinungen eines Charakters dergestalt vor, daß sich eine jede Veränderung auf der einen Seite in einer entsprechenden Änderung auf der anderen ausdrückt. Ob dieses regulative Prinzip, dessen wachsende Bestätigung wir von der Erfahrung erwarten, im Zusammenhang einer Weltanschauung als Wechselwirkung zweier Substanzen (Dualismus) oder als doppelseitige Betätigung eines Wesens (Monismus), ob es als Materialismus oder als Spiritualismus gedeutet werde, ist für die wissenschaftliche Arbeit gleichgültig. Als Vertreter einer empirischen Psychologie verzichten wir daher billig auf eine Diskussion dieser Möglichkeiten. 7. Die Abhängigkeit von erlebenden Individuen scheint nun aber die Allgemeingültigkeit der Psychologie zu gefährden und ihr das Auffinden der Tatsachen zu erschweren. Die jederzeit feststellbaren individuellen Differenzen spielen jedoch keineswegs bloß für den Psychologen, sondern ebenso für den Zoologen oder Anthropologen eine Rolle. Sie sind in allen Fällen nur dann eine Gefahr für die Wissenschaft, wenn diese auf rein singuläre, den einzelnen Tatbestand als solchen betreffende Beschreibung angewiesen ist. Können sie dagegen in ihrer Eigenart durch die Angabe zureichender Bedingngen erklärt werden, so lassen sie sich ohne Rest allgemeinen Regeln einfügen. So wenig eine wissenschaftliche Anatomie und Physiologie durch die zahlreichen individuellen Unterschiede im Gliederbau, in der der nervösen Erregbarkeit, in der Blutzirkulation an der Erfüllung ihrer Aufgaben gehindert wird, so wenig kann der Psychologie aus der Tatsache persönlicher Differenzen im Verhalten der subjektivierten Erlebnisse eine unüberwindliche Schwierigkeit erwachsen. Von ernsthaftem Gewicht ist aber der an zweiter Stelle hervorgehobene Gesichtspunkt. Die eigenen Erlebnisse kann jeder auch ohne Beschreibung als Tatsachen würdigen, zu den Erlebnissen anderer Individuen erhält er aber immer nur einen indirekten Zugang. Zeichen, die wir Eingangs erwähnten, vermitteln dem Psychologen allein die Kenntnis fremder Erlebnisse, von der richtigen Anwendung solcher Zeichen hängt auf der einen, von der richtigen Deutung auf der anderen Seite die Brauchbarkeit des Resultats ab. Zu beidem ist nicht jeder berufen, und es ist begreiflich, daß der Psychologe ebenso wie seine Untersuchungsperson gewisser günstiger Anlagen und einer besonderen Übung bedürfen. Je schwerer die Zeichen zu deuten sind, um so zweifelhafter wird das Ergebnis, wie mühsam erraten wir aus den Gebärden eines sich fremder Laute bedienenden Menschen die einfachsten Erlebnisse, die ihn erfüllen! Man mag daran ermessen, wieviel Aussicht besteht, das Seelenleben niederer Tiere, etwa gar von Protisten, zu ergründen. An und für sich aber bildet diese Schwierigkeit bei der Ermittlung des Tatbestandes kein absolutes Hindernis wissenschaftlicher Erkenntnis. Die sprachlichen Aussagen lassen sich bis zu einem gewissen Grad durch das Experiment kontrollieren und sind als verständliche Ausdrucksmittel gleichartiger Erlebnisse verschiedener Individuen ein äußerst wichtiges Hilfsmittel psychologischer Forschung. 8. Nach dem Bisherigen ist die Aufgabe der Psychologie eine im allgemeinen fest bestimmte, sie hat eine vollständige Beschreibung der von erlebenden Individuen abhängigen Eigenschaften der Erlebnisse zu liefern. Dazu gehören nicht nur solche, die keinen objektiven Zusammenhang darstellen, also lediglich individuelle Zustände sind, wie Affekte, Triebe und dgl., sondern auch Tatsachen, die zugleich ein vom Individuum unabhängiges Verhalten aufweisen und somit auch einer naturwissenschaftlichen Untersuchung anheimfallen, wie die Vorstellungsobjekte mit ihren raum-zeitlichen Beziehungen. Die sogenannten Sinnesqualitäten werden vom Naturforscher als subjektive Vorgänge angesehen, ihre Beschreibung bleibt der Psychologie überlassen. Aber auch räumliche und zeitliche Eigenschaften und Verhältnisse dieser Tatbestände werden subjektiv erfahren und beurteilt, wir vergleichen Entfernungen und Richtungen, Bewegungen und Geschwindigkeiten miteinander und stellen die scheinbare Größe oder Dauer der wirklichen, d. h. der objektiv gemessenen gegenüber. Während also einerseits der Tatbestand all dieser Erscheingungen als solcher einer eingehenden Schilderung bedarf, damit man genau zu übersehen vermag, was an den Erlebnissen die Abhängigkeit vom Leib des erfahrenden Subjekts aufweise, muß andererseits die letztere selbst zum Gegenstand einer genaueren Untersuchung gemacht werden. 9. Versteht man unter einer Theorie im Sinne der Naturwissenschaften die Angabe der Bedingungen, unter welchen eine Erscheinung steht, so wird die Theorie der psychischen Vorgänge eben den Nachweis ihrer Abhängigkeit von gewissen körperlichen Prozessen zu liefern haben. Nun ist aber dieser Nachweis mit ganz besonderen Schwierigkeiten verknüpft. Es fehlt erstens an einem Mittel, beide Tatsachenkomplexe, die psychischen und die zentralen Nervenerregungen in einem unmittelbaren Vergleicht ihres Ablaufs auf ihre Beziehungen der Gehirnmasse parallel mit dem Auftauchen von Sinneseindrücken, Gemütsbewegungen und dgl. zu beobachten, aber der Wert dieser Einsicht muß natürlich so lange gering bleiben, so lange nicht eine speziellere Abänderung und Feststellung der besonderen, einzelnen geistigen Aeten [Erscheinungen - wp] entsprechenden Gehirnprozesse möglich ist. Zweitens aber hat uns die Physiologie der nervösen Zentralorgane noch nicht die physikalischen und chemischen Grundlagen aufgezeigt, welche den Mechanismus der Gehirntätigkeit hervorbringen. Über die eigentliche Natur der Nervenerregung wissen wir noch nichts. Man ist bisher nur zur Aufstellung von Lokalisationssphären in der Großhirnrinde gelangt, d. h. also zur Abgrenzung der Orte, an welchen die bestimmten subjektivierten Erlebnissen parallel gehenden nervösen Prozesse stattfinden sollen. 10. Daraus folgt, daß eine vollständige Theorie der psychischen Vorgänge im angegebenen Sinn noch nicht geleistet werden kann. Um ein solche wenigstens vorzubereiten oder anzudeuten, ohne zu zweifelhaften oder verfrühten Hypothesen greifen zu müssen, kann die Psychologie in doppelter Weise verfahren. Sie kann erstens eine Beziehung der Erlebnisse zu solchen körperlichen Prozessen ermitteln, die in einem kausalen Verhältnis zu den unbekannten Großhirnrindenerregungen stehen und einer genauen Prüfung zugänglich sind. So wird beispielsweise die Abhängigkeit der Empfindung vom Reiz und der unwillkürlichen und willkürlichen Bewegungen von Gefühlen und Willensakten untersucht. Aus den Relationen zwischen diesen sehr vermittelten Gliedern einer Kausalreihe darf freilich noch nicht auf die Beziehung zwischen den Parallelvorgängen geschlossen werden. Aber der eigentlichen Theorie wird hierdurch doch wenigstens in willkommener Weise vorgearbeitet. Ein mehr andeutendes Verfahren ist das zweite. Demnach führt man Allgemeinbegriffe von Fähigkeiten und Zuständen ein, die auf Bedingungen hinweisen, deren Beschaffenheit nicht näher bekannt ist, wie Gedächtnis, Phantasie, geistige Disposition und dgl. Früher wurden solche Ausdrücke in einem ähnlichen Sinn angewandt, wie der Kraftbegriff der modernen Naturwissenschaft, also als Bezeichnungen für rein seelische Anlagen oder Vermögen, auf deren Wirksamkeit die einzelnen erlebten Vorgänge zurückzuführen seien. Gegenwärtig dienen sie nur als verständliche kurze Ausdrücke für die unbekannten Bedingungen gewisser in der Verbindung oder dem Verhalten der Erlebnisse hervortretenden Eigentümlichkeiten. Wenn wir also bei der Lehre von den Empfindungen z. B. unter den Faktoren, welche ihre Unterscheidbarkeit beeinflussen, die Übung erwähnen, so meinen wir damit nicht eine besondere psychische Fähigkeit oder gar einen neuen geistigen Akt, sondern deuten damit bloß gewisse, nicht näher bekannte Vorgänge an, welche bewirken, daß nach häufiger Wiederholung derselben Operation diese erleichtert wird. Das Gleiche gilt, wie sich später herausstellen wird, in gewissem Sinne von der Aufmerksamkeit. 11. Von unserer Behandlung der Psychologie schließen wir die Tierpsychologie und die Völkerpsychologie aus. Die unsicheren und spärlichen Anfänge jener werden sich dereinst ebensosehr zu einer selbständigen Zoopsychologie zusammenschließen, wie wir bereits eine Tier- und Pflanzenphysiologie neben derjenigen des Menschen besitzen. Die Völkerpsychologie behandelt die geistigen Erscheinungen, welche von einer größeren Gemeinschaft von Individuen abhängig sind. Auch sie ist schon zu einem besonderen Betrieb, wenn nicht zu einer geschlossenen Disziplin gelangt. Die Psychologie des menschlichen Individuums, wie wir demnach unsere Psychologie eigentlich nennen müßten, bildet aber, wie leicht ersichtlich, die Grundlage für die Tierpsychologie und für die Völkerpsychologie. Für die erstere deshalb, weil wir nur aus der genauen Kenntnis der Beziehungen zwischen menschlichen Bewußtseinsvorgängen und Ausdrucksbewegungen nach Analogie aus tierischen Bewegungen auf psychische Zustände in Tieren mit einiger Sicherheit schließen können. Für die letztere aber deshalb, weil jene von menschlichen Gemeinschaften abhängigen Vorgänge immer nur in den Einzelnen zur Wirklichkeit oder durch die Einzelnen zur Äußerung kommen. Wir können demnach unsere Psychologie auch die allgemeine Psychologie nennen. der Psychologie 1. Die Methoden, deren sich die Psychologie zur Erkenntnis ihres Tatbestandes bedient, sind teils direkt, teils indirekte. Die direkten Methoden sind dadurch charakterisiert, daß eine unmittelbare Auffassung und Beschreibung des Tatbestandes bei ihrer Anwendung stattfindet. Wenn ich z. B. meine eigenen Farbempfindungen untersuche, so wende ich dabei direkte Methoden an, sobald ich sie unmittelbar erlebe und in ihren Einzelheiten feststelle. Eine indirekte Methode dagegen liegt vor, wenn aus irgendwelchen Zeichen der Tatbestand, um dessen Erkenntnis es sich handelt, erschlossen werden muß. So verfahre ich z. B. indirekt, wenn ich meine Erinnerung oder sprachliche Mitteilungen zur Erkenntnis erlebter Zustände benutze. Es ist klar, daß die direkten Methoden vor den indirekten viele Vorzüge besitzen, aber die Psychologie kann die letzteren nicht entbehren, weil sie sonst zum Unding einer rein individuellen Wissenschaft herabsänke. Überall da, wo wir die geistigen Vorgänge bei anderen Menschen studieren, sind wir auf das indirekte Verfahren angewiesen. 2. Jede der genannten Klassen von Methoden läßt teils eine rein subjektive, teils eine objektive Anwendung zu, indem sie entweder nur vom erlebenden Individuum oder auch von anderen benutzt werden können. Nennen wir die unmittelbare Auffassung und Beschreibung von geistigen Vorgängen innere Wahrnehmung, so würde die subjektive Form der direkten Methode die Methode der inneren Wahrnehmung heißen. Eine objektive Form erhalten wir durch die Anwendung des Experiments, sie würde demnach als die experimentelle Methode zu bezeichnen sein. Das indirekte Verfahren erhält in gleicher Weise in der Methode der Erinnerung eine subjektive und in der sprachlichen Methode eine objektive Ausprägung. Die beiden objektiven Methoden sind nie ohne die entsprechenden subjektiven, wohl aber dies ohne jene anwendbar. Das Experiment bleibt eine physikalische Spielerei ohne die innere Wahrnehmung, und die Sprache wird zum bedeutungslosen Bild oder Geräusch ohne die Erinnerung. Die Sprache kontrolliert, befestigt, sichert die Erinnerung, wie das Experiment der inneren Wahrnehmung größere Zuverlässigkeit und allgemeinere Bedeutung verleiht. Jede dieser Methoden bedarf nun noch der näheren Bestimmung ihres Charakters und ihrer Tragweite. 3 a) Die Methode der inneren Wahrnehmung ist die einfachste und selbstverständlichste von allen. Die Wissenschaft teilt sie mit der Selbsterkenntnis des praktischen Lebens. Zu einer brauchbaren psychologischen Methode kann aber die innere Wahrnehmung nur werden, wenn man sich ihrer unter besonderen, ihre Leistungsfähigkeit erhöhenden Bedingungen bedient. Dazu gehört vor allem die Aufmerksamkeit. Wir bezeichnen mit diesem Wort denjenigen Zustand von geistigen Vorgängen, indem sie eine besondere Lebhaftigkeit, Dauer, Deutlichkeit, Verbindungsfähigkeit und Reproduktionsfähigkeit besitzen. Es ist demnach ohne weitere klar, welchen Vorteil die innere Wahrnehmung von diesem Zustand der zu untersuchenden Erscheinungen hat. Hierbei ist festzuhalten, daß die Aufmerksamkeit diesen letzteren und nicht etwa der inneren Wahrnehmung zuteil werde, sonst würde gerade deren Zweck vereitelt oder wenigstens beträchtlich gestört werden. An eine solche Verschiebung des eigentlichen Ziels der Methode grenzt die absichtliche Selbstbeobachtung, welche manche Psychologen empfohlen haben. Es handelt sich vielmehr bloß um aufmerksames Erleben. Von besonderem Wert ist es, daß sich die Aufmerksamkeit einzelnen Seiten der Erlebnisse mit ausschließlicher oder wenigstens vorwiegender Intensität zuwenden kann, wodurch ihnen eine gesteigerte Klarheit zuteil wird. Das andere, was wir zu den Bedingungen einer methodisch geleiteten inneren Wahrnehmung rechnen, ist die Unbefangenheit gegenüber den Tatsachen. Schon den Naturobjekten gegenüber ist man vielfach geneigt zu sehen, was man sehen will; weit größer ist eine solche Tendenz und weit wirksamer bei den subjektiven Vorgängen. Die mehr oder weniger bestimmten Erwartungen, mit denen man im Sinne einer Theorie oder aufgrund gewisser Indizien an die eintretenden Bewußtseinsvorgänge herangeht, können in nicht unbeträchtlichem Maße den Tatbestand fälschen. Abgesehen von einer durch das Experiment möglichen Kontrolle läßt sich als ein Mittel dagegen nur eine sorgfältige Selbstbeobachtung empfehlen. 4. Wissenschaftlich verwertbar wird nun die innere Wahrnehmung oder das aufmerksame Erleben erst durch eine ihren Inhalt wiedergebende Beschreibung. Es ist deshalb notwendig, was noch spezieller bei der Behandlung der sprachlichen Methode zu erwähnen ist, daß ein verständliches und feines Zeichensystem ausgebildet werde, um diesem Bedürfnis in möglichst vollkommener Weise Rechnung tragen zu können. Auch hier leistet die zweckmäßige Richtung und gesteigerte Lebhanftigkeit der Aufmerksamkeit die besten Dienst. Da in diesem Zustand die einzelnen Bewußtseinserscheinungen besonders verbindungs- und reproduktionsfähig sind, so werden auch die die Beschreibung ausführenden Sprachlaute bzw. Schriftzeichen mit vorzugsweiser Leichtigkeit und Vollständigkeit durch aufmerksam erlebte Vorgänge hervorgerufen werden. Aber auch hier ist natürlich die Gefahr groß, daß den Tatsachen sprachlich fixierte Resultate entgegengebracht werden, welche sich ihnen zur Reproduktion gewissermaßen anbieten. Durch die Erlebnisse selbst muß die Beschreibung des unbefangenen Beobachters ausschließlich bestimmt werden. Da dieses Ziel durch die innere Wahrnehmung selbst nur unvollkommen erreicht werden kann, leidet sie an offenkundigen Mängeln. Es dürfte bei bestem Willen kaum möglich sein, alle die subjektiven Tendenzen des Beobachters, welche die reine Hingabe an das Tatsächliche trüben, einflußlos zu machen. Dazu kommt, daß die innere Wahrnehmung allein eine Theorie der psychischen Vorgänge nicht zu liefern vermag und daß ihre Resultate einen mehr zufälligen, gelegentlichen Charakter tragen. Immerhin bleibt diese Methode die Grundlage aller übrigen und ist sie vielfach gegenwärtig die einzige direkt mögliche. 5 b) Die experimentelle Methode. So wenig dem Physiker die äußere, so wenig wird dem Psychologen die innere Wahrnehmung ndurch das Experimentieren ersetzt. Es will und kann vielmehr lediglich eine Unterstützung der ersterwähnten Methode liefern, sie von den Mängeln befreien, denen sie bei ausschließlicher Anwendung unterliegt, ihre Aussagen kontrollieren und zuverlässiger machen. Zu dieser Aufgabe ist die experimentelle Methode durch sechs Vorzüge, die sie besitzt, befähigt.
2) kann durch experimentelle Hilfsmittel eine isolierte Veränderung einzelner Bestandteile des untersuchten Vorgangs hervorgebracht werden. Nur durch eine solche Variierung im Detail wird es möglich, die Bedeutung und das gesetzmäßige Verhalten der einzelnen Momente und Seiten des psychischen Geschehens klarzulegen. Wie soll ein Aufschluß über die räumlichen und zeitlichen Bestandteile der Wahrnehmung im Unterschied von den qualitativen oder intensiven beispielsweise sonst gewonnen werden? Es ist dieselbe Eigenschaft des Experiments, welche der Naturwissenschaft zu so glänzenden Erfolgen verholfen hat. Auch hierdurch wird die Leistung der dem Zufall überlassenen inneren Wahrnehmung wesentlich überholt, vertieft und erweitert. Insbesondere wird nicht nur die Erkenntnis des Tatbestandes auf eine solche Weise bedeutend gefördert, sondern auch eine theoretische Erklärung desselben angebahnt und vorbereitet.
4) Dadurch wird noch ein weiterer wichtiger Vorteil erzielt. Bestehen solche Abhängigkeitsverhältnisse zwischen subjektiven und objektiven Vorgängen, so kann man auch in den letzteren ein Maß, einen festen, reproduzierbaren Ausdruck für erstere gewinnen. Wie wertvoll das ist, erhellt sich leicht aus einem Vergleich mit dem früheren Zustand psychologischer Behauptungen. Entweder waren diese so allgemein, daß sie die mannigfaltigsten individuellen Ausprägungen zuließen, oder sie entbehrten jeglicher Allgemeingültigkeit. Findet man durch die experimentelle Methode abweichende Beziehungen zwischen den objektiven Erscheinungen und dem subjektiven Verhalten Einzelner, so weiß man jetzt, wo man den Grund dafür zu suchen hat, und kann die individuellen Differenzen auf ihre Bedingungen zurückführen, also ihres unwissenschaftlichen Charakters entkleiden. So wird die Allgemeingültigkeit psychologischer Resultate durch diese die Meßbarkeit der geistigen Phänomene begründete Eigenschaft der experimentellen Methode gesichert.
6) verdanken wir dem Experiment eine Gemeinsamkeit der psychologischen Arbeit, die man früher nicht kannte. Dieser Vorteil beruth darauf, daß man die Tatsachen unter ganz bestimmten, von jedem nachzuahmenden Bedingungen beobactet. So kann jeder Psychologe an den Arbeiten und Ergebnissen der anderen Fachgenossen teilnehmen, sie bestätigen oder berichtigen, so kann sich ein stetiger Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis entwickeln. Bald wird man nicht mehr von der Psychologie dieses oder jenes Mannes als einem individuellen Ideenkreis reden, sondern nur noch von der Psychologie schlechthin als einer Wissenschaft mit festem Bestand, an den sich Neues leicht und friedlich angliedern läßt. 9 a) Die Methode der Erinnerung ist ein bei der Vergänglichkeit psychischer Erscheinungen sehr häufig zu berücksichtigendes Verfahren in der Psychologie. Wir verstehen hier unter Erinnerung nicht die reproduzierten Vorstellungen oder sonstigen geistigen Phänomene, also nicht das Wiederaufleben früherer Erfahrungen, sondern die aufgrund irgendwelcher Zustände sich vollziehende Beschreibung oder Erkenntnis früherer Erlebnisse. Hierbei dienen offenbar die vorhandenen Bewußtseinsvorgänge nur als Zeichen für andere früher stattgefundene. So läßt sich beispielsweise ein größerer Zeitraum, dessen ich mich erinnere, nicht als solcher mit auch nur annähernder Treue reproduzieren, sondern aus den bei dieser Erinnerung wirksamen Momenten schließe ich auf die Größe jenes Zeitraums. Ebenso wird, wenn ich ein eben gehörtes starkes Geräusch in Bezug auf seine Intensität mit einem anderen bei früherer Gelegenheit vernommenen ähnlichen vergleiche, nicht etwa das letztere in seiner damaligen Stärke wiederholt, sondern ich erkenne aus irgendwelchen Erinnerungsmerkmalen, wie intensiv es gewesen ist. Die Erinnerung interessiert uns hier also nicht als ein psychologischer Vorgang, sondern als ein Weg zur Ermittlung eines solchen. 10. Die Brauchbarkeit dieser Methode hängt von der Zuverlässigkeit der Zeichen ab, aus denen auf seelische Ereignisse bestimmter Art geschlossen wird. Allgemeine Regeln lassen sich darüber kaum geben. Aufmerksamkeit und Unbefangenheit sind auch hier wesentliche Bedingungen für das Zustandekommen eines richtigen Schlusses. Denn die größere Aufmerksamkeit stärkt nicht nur die Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem bei ihrem Eintritt, sondern läßt sie auch später leichter und präziser funktionieren. Und wenn schon der Tatbestand der inneren Wahrnehmung durch Einwirkung fremdartiger Voraussetzungen verändert werden kann, so ist diese Gefahr bei der Erinnerung noch größer, wo die unmittelbare Kontrolle zu fehlen pflegt. Außerdem aber ist die Wahl zweckmäßiger Zeichen bis zu einem gewissen Grad vom Einzelnen abhängig. Dieser Gesichtspunkt erlaubt eine methodische Ausbildung der Erinnerung, wie sie allein psychologischen Zwecken genügen kann. Die Erkenntnis früherer Tatbestände kann sich ja auch die mannigfaltigsten Merkmale stützen. Es ist Sache des Psychologen herauszufinden, welche Bedeutung den einzelnen innewohnt und mit welcher Aussicht auf Erfolg man sich ihrer wird bedienen können. Von besonderer Wichtigkeit ist dies im Vergleich sukzessierender Bewußtseinsvorgänge, wo die Erinnerung auch bei der Anwendung experimenteller Methodik eine Rolle zu spielen pflegt. So werden in der Erinnerung schreckhaft starke Geräusche überschätzt, überraschend kleine Gewichte unterschätzt. Will man gleiche Versuchsbedingungen haben, so muß man daher derartige Nebeneindrücke möglichst ausschließen. Immerhin bleibt die Methode der Erinnerun eine rein subjektive und deshalb mit großen Mängeln behaftete. Sie kann nur dadurch zu allgemeinerer Bedeutung gelangen, daß sie sich gewisser Zeichen bedient, die allen zugänglich und verständlich sind. Solche Zeichen sind die sprachlichen Symbole. Daher wird die Erinnerung erst in ihrer Beziehung auf die Sprache zu einer objektiven, über den engen Kreis individueller Erfahrung hinausreichenden psychologischen Methode. 11 b) Die sprachliche Methode. Unter allen Zeichen, die zur Beschreibung von Tatbeständen benutzt werden, erfreuen sich die sprachlichen der größten Verbreitung und Wertschätzung. Es sind vornehmlich folgende Eigenschaften, denen die Sprache diese Stellung zu verdanken hat:
2) ihre Konstanz und Präzision; 3) die Leichtigkeit und Schnelligkeit ihrer Mitteilung.
3) Die leichte und schnelle Mitteilbarkeit der sprachlichen Symbole ist eine durch die praktischen Bedürfnisse des Verkehrs geschaffene vorteilhafte Eigenschaft derselben. Beim raschen Ablauf und der Geschwindigkeit im Wechsel der psychischen Vorgänge ist es erforderlich, mit der Angabe des Tatbestandes in entsprechender Schnelligkeit zu folgen. Außerdem aber bewirkt die große Einübung in der Anwendung der sprachlichen Symbole, daß die Aufmerksamkeit durch sie nicht wesentlich von den Erlebnissen absorbiert wird, daß sich mit einer halb automatischen Sicherheit die Verknüpfung der passenden Worte abwickelt. Vielfach wird diese Leichtigkeit der Aussagen noch erhöht durch die Verabredung, einfache kurze Symbole für bestimmte Urteilsgattungen zu gebrauchen. Im Interesse der psychologischen Ergebnisse liegt es jedoch, dieses Verfahren nicht gar zu sehr zur Schablone werden zu lassen. Einmal wird dadurch leicht auch das Erleben selbst ein von geringerer Aufmerksamkeit getragenes, und die Langeweile kann zu einer bösen Fehlerquelle werden. Sodann aber ist es in der Natur der psychischen Phänomene begründet, daß sie stets komplexer sind, als die Erscheinungen, die man vornehmlich studieren will, daß sie regelmäßig mehr enthalten, als man zunächst zu erkunden die Absicht hat. Von einem gewiegten Psychologen darf erwartet werden, daß er auch diesen Nebenerscheinungen einiges Interesse zuwendet und entsprechende Angaben darüber vermerkt. So ergeben z. B. die einfachen Versuche über die ebenmerklichen Reizunterschiede auch manches Wertvolle über Vorstellungsassoziationen, Grundlagen des vergleichenden Urteils und dgl. mehr. Auf diese Weise können auch die einfachsten Experimente für den Beobachter fesselnd und für die Psychologie ertragreich werden. 13. Zur Ergänzung der durch innere Wahrnehmung, Erinnerung, Sprache und Experiment gewonnenen Erkenntnis können noch für einzelne Fragen die Hilfsmittel herangezogen werden, welche uns krankhafte Veränderungen der seelischen Organisation, Tatsachen aus der geistigen Entwicklung und die Produkkte der geistigen Tätigkeiten darbieten. Es braucht kaum betont zu werden, daß diese Hilfsmittel erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Den ersten und grundlegenden Aufschluß über die Tatsachen und Zusammenhänge des Bewußtseins erwarten wir stets von den im Bisherigen geschilderten Methoden, namentlich von einer geschulten und unter gebührende Kontrolle gestellten inneren Wahrnehmung. Nur selten wird man in der Lage sein aus den genannten Hilfsquellen eine Erkenntnis schöpfen zu müssen oder zu können, die nicht schon auf dem gewöhnlichen Weg erreichbar war.
15. Wir erwähnten 2) die geistige Entwicklungsgeschichte. Hierunter verstehen wir in erster Linie die Lehre von der Entwicklung der psychischen Phänomene im menschlichen Individuum. Es ist kein Zweifel, daß wir hieraus übe die Entstehung einzelner seelischer Vorgänge mancherlei lernen können, es sei nur an die Entstehung der Sprache, die Entwicklung des Gedächtnisses, die Bildung von Assoziationen erinnert. Aber auch auf diesem Gebiet besteht die Schwierigkeit, daß eine zuverlässige, eindeutige innere Wahrnehmung nicht vorausgesetzt werden kann. Deshalb sind die Forschungen über das Seelenleben von Kindern mit ähnlichen Hindernissen behaftet, wie die psychologischen Studien an Tieren. Man wird auch kaum behaupten können, daß ein entscheidender Beitrag für irgendeine Frage der allgemeinen Psychologie solchen Forschungen entstammt sei. Doch bilden sie eine unumgängliche Ergänzung zu den Erkenntnissen, die wir dem entwickelten Bewußtsein verdanken. Am wenigsten umittelbaren Inhalt für die Psychologie liefern 3) die geistigen Erzeugnisse. Kunst, Recht, Sprache sind in erster Linie selbst als Tatbestände anzusehen, die einer psychologischen Auffassung und Behandlung zugänglich sind, und erst in zweiter Linie in deren Dienst zu stellen, wo es gilt gewisse geistige Zusammenhänge oder Beziehungen zu erläutern. So kann man etwa in der Ordnung der sprachlichen Formen und Aussagen Regeln wirksam finden, die für die Verbindung der Vorstellungen beim Denken gelten. So kann uns die künstlerische Verwendung der Sinnesempfindungen und des reproduktiven Mechanisus gesetzmäßige Verhältnisse in der Verbindung der Empfindungen untereinander und mit Gefühlen ausdrücken helfen. Aber weder sind alle diese Erzeugnisse lediglich von psychologischen Faktoren abhängig, noch weisen sie auf einen eindeutig bestimmten psychischen Zusammenhang hin. Deshalb ist auch von diesen Hilfsmitteln nur eine vorsichtige und beschränkte Anwendung zu machen.
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