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Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geist der Mystik
Vorwort Es dürfte nicht ganz überflüssig sein, auf den Titel dieses Buches hinzuweisen. Es spricht vom Ursprung der Naturphilosophie, und das heißt nicht von ihren Wegen und Zielen oder all ihren Entwicklungsbedingungen; es spricht vom Ursprung der Naturphilosophie, und das heißt nicht aller Naturwissenschaft oder gar aller Naturbeobachtung; es erklärt diesen Ursprung weniger aus der Mystik selbst als aus dem Geist der Mystik, der Gemeinschaft mit ihr. Trotz alledem wird es geschehen (ich habe bereits Proben dafür), daß viele aus dem Buch lesen: Naturwissenschaft soll Mystik werden. Sie werden es sich nicht ausreden lassen, daß ich mit dem "Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geist der Mystik" eigentlich die "Zukunft der Naturwissenschaft im Bann der Mystik" meine. Und über eine solche Perspektive entrüsten sie sich mit Recht. Aber es ist nicht anders, als ob man den Darwinismus versteht als die Lehre, daß die Menschen Affen werden sollen. Was nützt es mir, daß ich erkläre: "Die Naturerkenntnis hat sich immer weiter von der Mystik abgewandt, und sie soll es" (Seite 157)? Ich werde doch Mystagoge heißen, und kann man heutzutage schimpflicher benannt werden? Wenn es den Alten höchster Stolz war, Abkömmlinge der Götter zu heißen, so lassen die Modernen für ihre Herkunft sich nur die Gesellschaft der Affen gefallen. Sie glauben an nichts, das nicht aus dem Tier erklärt wird. Sie verachten jeden, der sie nicht erniedrigt. Und wenn die Alten sich entschuldigten: naturalia non sunt turpia [Natürliches ist keine Schande. - wp], so muß man heute um Gnade bitten: theologica non sunt turpia. Es liegt mir fern, die Modernen im Kultus der sprechenden Affen, der klugen Pferde, der blonden Bestien und der Versuchskaninchen zu zerstören; ich möchte im letzten Grund nur zeigen, daß es eben auch ein Kultus ist, daß schon in dem ja unbestreitbar niedrigen Ursprung der Keim des Höheren steckt, daß im Natürlichen schon das Göttliche geahnt ist, im Physischen schon das Geistige waltet, im ersten Objektiven schon das Subjektive treibend wirkt. Erkenntnis ist Spaltung, Gliederung, Sonderung und nachherige Verbindung. Der Sonderung muß die Einheit vorausgehen, nicht mehr als indifferenter Zustand, sondern als bewußter, erlebter, sich aufdrängender. Die Einheit des Seelischen und Sinnlichen, des Subjekts und Objekts wird erlebt im Gefühl. Aus der Schwellung, Überschwellung des Gefühls bricht die Spaltung der Erkenntnis auf. Wer vom Baum der Erkenntnis ißt, scheidet aus dem Paradies des Gefühls. Die erste Erkenntnis wächst im Mystischen auf, d. h. als Gefühlsspekulation. Und immer wieder muß die mystische Ureinheit erlebt oder nachgefühlt werden, um in aller fortschreitenden Sonderung die Einheit der Erkenntnis wachzuhalten, die organische Ganzheit des Menschen, der nicht bloß erkennend ist. Immer wieder muß das Denken eintauchen in das Grundgefühl des Lebens, um die Kraft zu schöpfen zu immer lebensfremderen Abstraktionen, zu immer gefühlsfremderen Naturentdeckungen. Immer wieder muß aus zentralen Tiefen mystischer Geist aufsteigen, um immer überwunden, verzehrt zu werden in der peripherisch sondernden Wissenschaft. Ohne die Einheit kein Trieb der Sonderung. Nur aus der Tiefe kommt die Kraft zur Weite. Man fürchte nicht, daß hier das Mystische mystisch behandelt, die Gefühlsmacht gefühlvoll gepriesen wird. Es gilt eine nüchterne, stark philologisch-historische Untersuchung, um den gemeinsamen Ursprung des naturphilosophischen Geistes in seinen drei klassischen Zeitaltern aus dem Geist der Mystik aufzudecken. Der Hauptton der Untersuchung fällt dabei auf die Antike, teils weil in der vorsokratischen Naturphilosophie uns überhaupt die erste Epoche, also der geschichtliche Ursprung der Naturphilosophie gegeben ist, teils weil dort der mystische Grundton oder Oberton bisher noch am wenigsten erkannt wurde und somit eine Neufassung dieser ganzen philosophischen Epoche begründet werden muß. Deutlicher und darum rascher aufzuzeigen war das genetische Band von Mystik und Naturphilosophie in der Renaissance, und die wenig ausgeschöpften Parallelen der philosophischen Anfänge in der Antike und in der Neuzeit konnten hier für eine gegenseitige Deutung fruchtbar gemacht werden. Am deutlichsten liegt jenes Band von Mystik und Naturphilosophie in der SCHELLINGschen Epoche. Der kurze Hinweis, der hier genügte, erhält eine gewisse Ergänzung durch den angehängten, ursprünglich selbständigen Aufsatz über archaische Romantik. Sachlich gehört er mit dem Nachweis der tiefen Verwandtschaft zwischen den alten Naturphilosophen und den romantischen Gefühlsphilosophen wohl unverkennbar hierher, so sehr er im Ton vom Vorhergehenden absticht. Nicht etwa, daß ich, des trockenen Tons nunmehr überdrüssig, dem Ernst der Untersuchung ein Satyrspiel anhängen wollte. Meine Fachgenossen dürfen diesen Ton hier nicht vor Gericht stellen; er ist nicht für sie bestimmt. Wir Philosophie-Professoren, oft zu leicht befunden von den Wissenschaftlern und zu schwer von den Laien, werden nie den rechten Ton für alle treffen; an die Pforte gestellt zwischen Wissenschaft und Zeitgeist müssen wir zu beiden sprechen und anders, volltöniger nach außen als nach innen. Ist doch die Scheidung von esoterisch und exoterisch so alt fast wie die Philosophie! Jedes Mittel ist erlaubt, wenn es gilt, den Zeitgeist für die zeitfernste und scheinbar auch zeitfremdeste Philosophie zu erwärmen, jedes Mittel ist erlaubt, außer dem, das die Sache antastet. In der Sache fordere ich strenge Kritik. Wer aber das Gewicht der Sache nach dem leichtbeschwingten Ton beurteilt, der ist nicht viel besser als irgendein Backfisch, der einen Vortrag schlecht findet um der grauen Krawatte des Redners willen. Unsere wissenschaftlichen Kritiker allerdings haben einen anderen Geschmack; sie fordern graue Krawatten. Doch es ist ernster! denn gerade heute wollte ich an die wiedererwachte Romantik ein neues Verständnis der alten Naturphilosophen anknüpfen, und nach Art jener Historiker, die in der Philosophiegeschichte noch wenig Nachfolge gefunden haben, wollte ich etwas vom lebendigen Affekt der alten Denker nacherzeugen, einen Schimmer des Glanzes wiedererwecken den wir nicht sehen, weil wir weiße Statuen mit erloschenen Augen sehen in kalten Museen und nicht die farbigen Originale in des Südens Freiluft und Sonnenglanz. Die alten Meister würden sich in den Schattengalerien unserer Handbücher schwer wiedererkennen, und versagen sich nicht erst recht die Romantiker jeder unlebendigen Auffassung? Dieses Buch ist also kein Handbuch. Ich sage es, weil unsere moderne Wissenschaftlichkeit fast nur darauf eingestellt ist, Handbücher oder Stücke davon, d. h. Monographien zu schreiben, zu verstehen, zu beurteilen. Ich gebe hier durchaus kein Kolleg über vorsokratische Naturphilosophie oder Renaissancephilosophie oder gar über Geschichte der Naturwissenschaften; ich beabsichtige weder lexikalische noch didaktische noch spezialistische Vollständigkeit, und wenn mir jemand sagt, daß sich PARMENIDES oder CUSANUS oder PARACELSUS noch anders darstellen lassen, so werde ich zustimmend lächeln; denn ich wollte überhaupt nicht "darstellen". Bei aller Achtung vor denen, die den längst bekannten Stoff zum hundersten Mal mehr oder weniger klar und geschickt wiederzugeben sich berufen fühlen: mir lag hier nicht am Stoff, sondern an der Linie, an einer neuen Beleuchtung, die übersehene Grundzüge aufhellt. In diesem Buch steckt also bewußte Einseitigkeit; was sonst vom Stoff bekannt ist, soll hier nicht übersehen sein, sondern vorausgesetzt. Einseitig allerdings erscheinen muß dieser Versuch, wesentlich den spekulativen Grundquell der Naturerkenntnis aufzudecken. Die methodische Induktion, die mechanistische Weltdeutung, kurz die Tendenzen, die dem spekulativen Keim zugewachsen sind, ihn mehr und mehr bis zur Unsichtbarkeit überdeckend und überwindend, sollen darum und können gar nicht verkannt werden. Ihr Recht ist so unbestritten, ihre Macht so unüberwindlich, ihre Andersartigkeit so deutlich, daß ich lieber gar nicht von ihnen sprach. Die Tatsache und Notwendigkeit der wachsenden Entfremdung der Naturerkenntnis von der Mystik eben aufgrund anderer Tendenzen ist zugestanden; deren Erklärung ist ein besonderes Kapitel, und ich möchte es selber noch einmal schreiben oder zumindest ein schon lange mir vorschwebendes amystisches Motiv der sich entfaltenden Naturerkenntnis zu charakterisieren versuchen. Hier aber rede ich vom Keim und nicht von der Entfaltung. Ein Netz von schweren Problemen wird schon damit heraufgezogen, die für den schärfer Zusehenden übergeschichtlich sind. Die Geschichte der Erkenntnis wird zur Erkenntnis der Geschichte, der tiefsten Geschichte, der Geschichte der Seele, des Zusammenhangs zwischen der Seele und ihrem Objekt und zwischen der Erkenntnis und anderen seelischen Funktionen. Psychologie und Erkenntnistheorie ernten so aus der Geschichte, und - wer weiß? - vielleicht werden die Quellen der Metaphysik auch wieder springen, wenn man sie aufgegraben in Mystik und Naturphilosophie, deren wahrer, letzter Ausgleich sie ist. Oder kann es nicht geschehen, wie im 19. Jahrhundert nach HEGEL die Geschichte das Erbe der Philosophie antrat, daß nun wieder Geschichte, von Material überflutet, sich zurückverwandelt in Philosophie? Der kosmische Anfang der Philosophie und seine Erklärungen. Unsere Lehrbücher pflegen die erste Hauptperiode griechischen Denkens als vorsokratische Naturphilosophie abzugrenzen; sie tun recht daran, so die Tatsachen didaktisch zu vereinfachen; folgen sie doch dabei auch der bekannten Tradition der Alten: der erste logos der griechischen Philosophie sei der physische gewesen, SOKRATES habe nicht mehr über die Natur philosophiert, er habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde herabgerufen, in die Städte und Häuser eingeführt usw. Jede Disposition ist grob, und die von didaktischer Rücksicht freie Forschung mag an den Abschnittsstellen die gelösten Fäden wieder knüpfen. Doch es handelt sich hier nicht nur um die Übergänge, sondern um den Anfang, es gilt die für die Geschichte der Wissenschaften und das heißt für die Selbstkritik der Wissenschaften wichtige Frage: wie konnte die griechische Philosophie und in ihr die europäische Wissenschaft wesentlich als Naturerkenntnis und gerade als Erkenntnis des Weitesten, Fernsten und Fremdesten beginnen, um langsam genug zur Erkenntnis des menschlich Nächsten und Eigensten fortzuschreiten? Wie konnte sie den Weg von den Sternen zum Leben nehmen statt umgekehrt? Gerade bei den ältesten Denkern am meisten Kosmologie, Astronomie, wird sie bei den jüngeren Naturphilosophen stark biologisch, bei den Sophisten Anthropologie und in der Sokratik Lebensphilosophie, Kultur- oder Geistesphilosophie. Wie konnte, fragt der Erkenntnistheoretiker, die Erkenntnis des Objekts der des Subjekts überhaupt und gar noch so weit voranschreiten? ARISTOTELES, der doch wohl wußte, was in der Antike Erkenntnis hieß, stell das proteron pros hemas [was zuerst bewußt wird - wp] und das proteron physei [das von Natur aus Frühere - wp] in einen Gegensatz, - und doch ist das Erste der Natur auch das Erste der Erkenntnis gewesen? Wie sich auch der Erkenntnistheoretiker damit abfinden mag, wir wollen der Frage wesentlich historisch näher treten - zum Nutzen auch der Erkenntnistheorie. Naheliegend wäre zunächst die Antwort oder vielmehr der Ausweg: Griechenland hat jene Naturwissenschaften nicht erzeugt, sondern sie in einem reifen Zustand vom höher entwickelten Orient empfangen - und es ist mir erstaunlich, daß die orientalischen Herleitungen der griechischen Philosophie sich nicht auf die Schwierigkeit einer sonstigen Erklärung ihres kosmischen Anfangs berufen. Die griechische Philosophie entstand doch nun einmal, gerade als Ägypten sich den Griechen geöffnet und der Orient ihnen im Lyderreich [heutige Türkei - wp] weit entgegenkam, und sie entstand gerade dort an den Toren des Orients in Kleinasien, in Milet, dem Hafen von Sardes, kurz sie entstand durch die Anregung des Orients: das wird gerade der am wenigsten bezweifeln, der in der griechischen Philosophie eine gewaltige Emanzipation vom Orient, die echteste Leistung von Hellas sieht. Der Orient hat die astronomischen, metereologischen, mathematischen Wissenschaften gepflegt, weil die Verwaltung der großen Reiche, für Ägypten auch die jährlichen Überschwemmungen Zeit- und Landmessungen forderten: so wußten es zum Teil schon die Alten. Dies gilt nicht für Hellas; wohl aber konnte ein anderes praktisches Bedürfnis, die Schiffahrt, auch den Griechen die Astronomie nahelegen, und der größte unter den Hafen- und Handelsplätzen, aus denen das kleinasiatische Hellas bestand, die Mutterstadt von 80 Kolonien, Milet, wurde ja die Mutterstadt der Philosophie. Und eben der archelos [Quellfluß - wp] der Philosophie, der Milesier THALES soll der Schiffahrt den kleinen Bären als himmlischen Kompaß, als Leitstern für den Norden gewiesen haben, soll einen gefundenen geometrischen Satz in seiner Bedeutung für maritime Entfernungsschätzungen empfohlen, soll sogar eine "Schiffsastronomie" geschrieben haben. Und wenn auch über die Unechtheit aller Schriften des THALES die Akten (vielleicht etwas zu rasch und zu summarisch) geschlossen sind, so bleit es doch bezeichnend, daß gerade diese nautike astrologia am frühesten sich an seinen Namen heftete, also am ehesten ihm zugetraut wurde. Er soll ferner durch einen ablenkenden Kanalbau dem Heer des Krösus den Übergang über den Halys ermöglicht haben und seine Reise ins Land der gelehrten Priester am Nil, dessen Überschwemmungen er wiederum erklärt haben soll, ist zwar auch durch die Vielheit der Zeugnisse nicht gesichert, aber zumal in der Zeit milesischer Handelsfaktoreien und Söldnerquartiere in Ägypten wahrscheinlich. Und nun hat ihn natürlich dieses starke nautische und hydrotechnische Interesse darauf gewiesen, das Wasser zum Weltprinzip zu machen? So würde etwa ein Rationalist vom Stil des 18. Jahrhunderts schließen. Wir aber werden doch Zweifel hegen, ob man etwas zum Prinzip amcht, weil man es überwindet. Sind die Seefahrer und Wasserbaumeister Anhänger des THALES? Haben Phönizier und Ägypter die Philosophie des Wasserprinzips aufgestellt oder anerkannt? Nein, der belehrende Orient und die praktische Absicht mögen den Mathematiker, Metereologen und Techniker THALES erklären, aber nicht den Kosmologen, den Philosophen, der eine Weltanschauung, eine Gesamtwissenschaft im Keim anlegt. Es bleibt eine gewichtige Tatsache: das technische, praktische Bedürfnis und Verständnis war bei Phöniziern, Ägyptern, Babyloniern und Chinesen weit stärker als bei den Griechen, und doch hat gerade das erfindungsärmste der Kulturvölker die wirkliche Naturerkenntnis begründet, wohl eben, weil bei ihm die praktische Absicht zurücktrat. Die griechische Naturwissenschaft behielt einen auffallend untechnischen Zug zu ihrem Nutzen und zu ihrem Schaden. Stark in der typisierenden Auffassung, bleibt sie kurzsichtig für heterogene Kausalität und Funktion (1). Der Orient hatte nicht nur technische Naturüberwindung und Naturberechnung zu lehren, er besaß auch eine phantasievolle Naturauffassung in seiner Mythologie; aber auch damit war keine Naturphilosophie gegeben. Auch dem ausgebildeten mythologischen Weltsystem der Babylonier, das namentlich seit der Blüte des Lyderreiches Wege genug zu griechischen Ohren finden konnte, fehlt doch das Eigentliche, das Philosophische. Nur den Indern fehlt es nicht. Doch von der Zweifelhaftigkeit und nur sehr indirekten Möglichkeit des indischen Einflusses abgesehen, dürfte der später zu entwickelnd menschlich allgemeinere Grund der Naturphilosophie den Vorzug haben, daß er den Griechen näher liegt als Indien und zudem noch die indische Parallele selber erklären könnte. Wer aber jenes Eigentliche einfach aus dem spekulativen Genie der griechischen Rasse erklärt, der mag nur beruhigt und stolz die Feder aus der Hand legen und alles weitere für überflüssig halten: die Zukunft wird lächeln über diese selbstbefriedigte Wortanbetung, die sich für Wissenschaft hält und halb Trägheit, halb Aberglaube ist. Die Mythologie, oder bald allgemeiner gesprochen, die Macht der Religion als solche vermag die Naturphilosophie nicht zu erklären, sonst wäre gerade der Orient weit fähiger gewesen, sie hervorzubringen als gerade Hellas. Oder bot vielleicht die griechische Religion und Mythologie ein spezifisch spekulatives Element? Es ist erstaunlich genug: man kann sie weit eher anti-spekulativ nennen, mehr wohl als irgendeine Religion: je bunter und plastischer, also je hellenischer dieser Polytheismus wurde, desto ferner stand er ja der abstrakten Einheit des Gedankens; und wirklich drängt ja auch die griechische Naturphilosophie schon in ihren Anfängen offenkundig darauf hin, ihn zu überwinden. XENOPHANES und HERAKLIT kämpfen leidenschaftlich gegen den plastischen Kult, gegen die Fabeln der Alten, gegen HOMER und HESIOD, die laut HERODOT den Griechen ihre Götter gegeben haben. Niemand sicherlich, dem man von den Griechen nur HOMER in die Hand gibt, würde in ihm die ionische Naturphilosophie vorauswittern. Aber haben nicht doch schon die Alten in ihm den Vorläufer des THALES gesehen, weil er ja den Okeanos nebst der Mutter Thetys als Ursprung der Götter und als Ursprung aller Dinge preist? Doch das ist unverkennbar eine schon von PLATO im Theaetet belächelte Tendenzkonstruktion aus der Zeit, da man anfing, einen Philosophen mit möglichst archaischen testes zu schmücken und HOMER allegorisch auszulegen. Kein Neuerer wird diese unschuldigen Dichterwendungen, stammend aus der Phantasie eines Seefahrervolkes, das den Ozean alles umspannen, diesem Unbegrenzten alles Land entsteigen sieht, so pressen, daß das Wasserprinzip des THALES herausspringt. Es ist ein weiter Weg von einem persönlich gefaßten und lokal bestimmten Okeanos zu allem Wasser überhaupt, und ein noch weiterer von allem Wasser zu allem Sein. Die homerischen Worte führen vielleicht noch zu der Nebenthese des THALES, daß die Erde auf dem Wasser ruht, aber nicht zu seiner Hauptlehre: Alles ist seinem Wesen nach Wasser. Man mag die homerischen Worte geographisch oder theogonisch nehmen, philosophisch sind sie nicht. Das Philosophische liegt doch nur in dem, was THALES mit den anderen Naturphilosophen gemein hat, und das ist gerade nicht die Betonung des Wassers, und so entfällt erst recht die homerische Parallele. Aber ist denn nicht doch die theogonische Dichtung, an die die homerische hier schon rührt, der Vorläufer der Philosophie und so nun doch die Naturphilosophie ein Produkt wenigstens der weiter entwickelten griechischen Religion? Indessen scheidet ARISTOTELES deutlich schon die ältesten Philosophen als physikoi von den theologoi, und die Neueren werden wohl meist von WILAMOWITZ zustimmen, der als "die Macht, welche der theologischen Entwicklung schließlich mit überlegener Feindschaft in den Weg" trat, "die ionische Naturwissenschaft" findet, die nur "weltlich" war, "nur an den Verstand appellierte; das Herz blieb kalt dabei." Ein solcher Gegensatz würde nun gänzlich die religiöse Erklärung der Naturspekulation abschneiden, und so fragen wir wieder: wie konnte sie entstehen? Aus dem Anblick der Natur - so kindlich wird heute kaum jemand mehr antworten. Es ist freilich die einfachste Erklärung, aber auch die unmöglichste. Es ist nicht ander als NEWTONs Entdeckung aus jenem Apfel zu erklären, den er fallen sah. Milliarden Äpfel waren schon vor Milliarden Augen gefallen, ohne daß das Gesetz der Schwer gefunden wurde. Unzählige Völker sahen die Natur und wurden keine Naturphilosophen, die "Naturvölker" am wenigsten. Wie viele fromme Gemüter mochten Kirchenlampen schwingen gesehen haben, bis GALILEI daraus das Gesetz des Pendels ableitete und zum Ketzer wurde. "Glaube niemand", sagt er später, "das das Lesen der erhabensten Gedanken, die auf den offenen Blättern des Himmelsbuches leuchtend stehen, damit fertig sei, daß man bloß den Glanz der Sonne und der Sterne bei ihrem Auf- und Untergang angafft, was die Tiere am Ende auch können." Und GALILEI nannte sich einen Philosophen, ebenso wie KEPLER, der da sagte: "Meine Entdeckungen sind mir nicht vom Himmel in die Seele herabgeflossen, sondern sie ruhten in den Tiefen derselben und meine Augen sahen die Sterne, und die Sterne erweckten nur insofern jene Ideen in mir, als sie mich zu unermüdlicher Wißbegier über ihre Natur anregten." PLATO und ARISTOTELES behalten eben wieder recht: das thamatein macht den Anfang der Philosophie, aber zum thaumatein genügen eben nicht die äußeren Anlässe, die thaumata, denn davon hatte auch der unphilosophische Orient mehr als Hellas. Nich von außen also kam die Naturspekulation, nicht vom großen Anblick der Natur, nicht von den Lehren des Orients oder vom praktisch-technischen Bedürfnis, aber auch die mythologisierende Religion schien als Erklärungsgrund zu versagen. Also nicht der Naturanblick, nicht die Naturberechnung und Naturüberwindung, nicht die Naturmythlogie schaffen die Naturphilosophie. Denn all jenes hatte auch der unphilosophische Orient. Nicht die schauenden Sinne, nicht der rechnende Verstand, nicht der praktische Wille und nicht die ausschweifende Phantasie erzeugen die Naturspekulation, also nicht aus dem Wahrnehmen, Denken, Wollen, Vorstellen stammt sie zunächst - was bleibt dann noch vom menschlichen Geist? Das Fühlen. Aber ist die griechische Naturphilosophie ein Produkt des Gefühls? Das erscheint mehr als barock. Die Erkenntnis des Objekts gerade aus der subjektivsten Funktion? Die Erkenntnis der Außenwelt gerade aus dem Innersten der Seele, die Erkenntnis der fremden Dinge und gerade zuerst der fernsten aus dem Persönlichsten des Menschen? Das erscheint unmöglich, weil widersprechend. Diese Naturphilosophie, in der hellenischen Klarheit und Geistesschärfe triumphierend die europäische Wissenschaft begründen, soll aus dem dunkelsten Innern stammen, aus dem ewig unbestimmten, vagen, dumpfen Gefühl? Diese Erkenntnis, die nur "weltlich", nur "verstandesmäßig" "das Herz kalt" lassen soll, sie gerade aus dem Herzen, aus dem niemals kalten, niemals nüchternen Gefühl? Die Gefühlsphilosophie heißt Mystik, aber die griechische Naturphilosophie ein Kind der Mystik? Wo bleibt da der Gegensatz der physikoi zu den theologoi? Und der religiöse Ursprung schien doch unmöglich? Ob Naturphilosophie mit Mystik sich vertragen, ja ihr entstammen kann, darüber soll man doch zuerst die Geschichte befragen, die zwar nie strikt beweisen kann, was unmöglich, wohl aber, was möglich ist. Sie kennt drei klassische Zeitalter der Naturphilosophie, die Zeit der Vorsokratier, die Renaissance und die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Und in den beiden späteren Zeitaltern zeigt jedenfalls die Naturphilosophie mit der Mystik die engste Verwandtschaft in ihrem auffallenden Zusammentreffen mit religiöse innerlichen Erhebungen, teils in derselben Zeit, teils sogar in denselben Personen. Zunächst ist es eine oft betonte, aber darum noch immer wichtige und erstaunliche Tatsache, daß KOLUMBUS und KOPERNIKUS in das Zeitalter der Reformation gehören, daß also die größten Erweiterungen der Außenwelt zusammengingen mit der stärksten Erregung und Vertiefung der Innenwelt. Frömmigkeit und ästhetisches Gefühl waren mächtige Triebkräfte in den großen Erweiterern des Horizonts. Der Mangel an Symmetrie im ptolemäischen Weltsystem habe ihn gestört und angestachelt, bekennt KOPERNIKUS in der Widmung seiner Schrift - an den Papst. Und KOLUMBUS fühlt sein Unternehmen als göttliche Mission, in der heiligen Schrift vorausverkündet, und wird in seinen Reiseschilderungen zum Dichter und Maler. Andererseits fühlt LUTHER, wie seine neue Glaubenserweckung das Auge für die Natur öffnet. Es ist die bekannte Stelle der Tischreden:
Und wiederum die Naturphilosophen fühlen mit dem Reformator. Es sind fast seine Altersgenossen, THEOPHRASTUS PARACELSUS, der Neuschöpfer der Chemie, der sich zugleich gern den Luther der Medizin' nennen ließ, und AGRIPPA von NETTESHEIM, der den "unwiderleglichen Ketzer" gegenüber den Mönchen preist, wie noch BRUNO "den Herkules" LUTHER in den Himmel hebt. Es ist aber nicht nur ein Zusammenstehen gegen dieselben Feinde, es ist eine innere Gemeinschaft, ein gemeinsamer Ursprung aus der Mystik, die mit dem Keim der Reformation auch den Keim der Naturphilosophie in sich trug in ihrem Durchdrungensein von der Immanenz Gottes. Gott ist in allen Kreaturen, predigte TAULER, dessen Theologie LUTHER als die gesündeste pries, und noch glühender schwärmt ja die Mystik in dem Gotteslyriker SUSO vom Frühlingsglanz der Natur und der Göttlichkeit aller Wesen. Der Naturerkenntnis geht die Naturverklärung voran, die aus der Mystik stammt, und das heißt aus dem Gefühl. Der Mystik jener Übergangszeit blieb das lebendige Naturgefühl eigen von jenem Frühling, den SUSO mit einem geistlichen Mai begrüßte, bis zu dem Sommertag, da es JAKOB BÖHME in seinem gotterfüllten Herzen vors Tor hinauszieht und er allen Geschöpfen in die innerste Natur hineinzusehen glaubt, wie er auch wirklich oft aus Gestalt und Farbe einer Pflanze ihre innersten Eigenschaften erraten haben soll. BÖHME ist der Vollender jener Mystik, die schon in SEBASTIAN FRANCK die Natur für etwas Göttliches erklärte. Gott selbst sei in der Natur, der Natur folgen heißt also Gott folgen, und wer in der Natur bleibt, der bleibt in Gott. Tiefste, frömmste Mystik drängt hier zu einer Wertund der Natur, die auch der Materialist nicht übertreffen kann. Man entdeckte die Natur, indem man Gott in ihr suchte. Die Dinge leuchteten erst auf und wurden jung im Wunderglanz der Kreatur. Es darf für jene Zeit gesagt werden: alle Mystiker drängten mehr oder weniger zur Naturphilosophie, und man kann namentlich bei den Systematikern vom Cusaner und PICO della MIRANDOLA bis zu BÖHME, PATRITIUS und CAMPANELLA nur schwanken, ob man sie mehr theosophische Mystiker oder mehr Naturphilosophen nennen soll. Eine Scheidung beider Richtungen oder Interessen wäre für jene Zeit rein willkürlich. Denn wie die Mystiker zugleich Naturphilosophen, sind damals Naturforscher und Mediziner zugleich Mystiker. Nicht nur CARDANUS und CÄSALPIN, auch ein KEPLER ist es ja in einem Grad, daß LAPLACE sich entsetzte, und noch die großen Chemiker HELMONT sind es, wie der Ältere ergriffen von THOMAS a KEMPIS zur Medizin und zur magischen Naturerkenntnis kommt, erfüllt von der Lehre, daß Gott in allen Dingen sei. Im 15. und 16. Jahrhundert stehen ja Alchemie und Astrologie erst in voller Blüte, und die Naturerkenntnis erneuert sich und nimmt neuen Aufschwung, erreicht ihren Höhepunkt als Magie, die AGRIPPA von NETTESHEIM als Vollendung aller Wissenschaft verkündet, obgleich er, wie schon der Magier PICO della MIRANDOLA, die Astrologie bestreitet. Auch PARACELSUS, der Feind der Alchemisten, will als echter Magus die Signatur des Himmlischen im Irdischen deuten, fühlt sich von Gott berufen, glaubt an seine göttliche Erleuchtung, die ihm die Geheimnisse der Natur offenbart und lehrt gleich den älteren Mystikern: Nur wer sich mit Gott vereinigt, erkennt die Dinge in ihrem Urquell. Fragen wir nun, wie in dieser Weise die Mystik als Naturphilosophie niederschlagen kann, wie gerade die subjektive Vertiefung des Religiösen eine Erkenntnis der objektiven Welt anregen und gestalten kann. Verständlich ist zunächst, wie die Mystik, die Gott ins Herz des Menschen zieht, das Höchste dem Individuum zu eigen gibt, damit das Individualgefühl, das geistige Selbstvertrauen stärkt und so einer selbständigen, neuen Weltbetrachtung die Bahn öffnet. Allerdings ist es ein Individualismus des Gefühls, aber das Gefühl ist ja nicht nur ein Gegensatz zur Erkenntnis, es ist gerade auch das Anregende, Treibende für die Erkenntnis, die ja voraussetzt, daß die Gegenstände reizen, interessieren, also irgendwie gefühlsmäßig ansprechen. Aber Gefühl (das zunächst noch mit der Empfindung, der Wahrnehmung verschmolzen ist) ist mehr als ein Trieb zur Erkenntnis, es ist schon werdende Erkenntnis selbst. Das Gefühl ist undifferenzierte Erkenntnis, wie die Erkenntnis undifferenziertes Gefühl. Das Gefühl kann doch dasselbe enthalten wie die Erkenntnis, denselben Gegenstand, nur eben in undifferenzierter Form. Der Fortschritt der Erkenntnis liegt gewiß in der Differenzierung. Aber der Differenzierung der Objekte muß die von Objekt und Subjekt vorangehen, die ihm Gefühl eins sind. Der Erkennende hat seinen Gegenstand von sich getrennt, hat ihn als fremdes Gegenüber, als Objekt, der Fühlende hat ihn in einer Einheit mit sich, eben subjektiv. Etwas fühlen heißt gar nichts anderes als etwas in einer Einheit mit sich selbst fassen. Und nun fragen wir: wie kommt der Mensch dazu, über die fremden Außendinge, über die fernen Objekte zu spekulieren, sie verstehen zu wollen? Er muß Anteil an ihnen nehmen, aber das setzt voraus, daß er sie irgendwie zu sich gehörig, in einer Einheit mit sich selbst faßt, daß er sie fühlt. Das Gefühl schlägt die erste Brücke zwischen Subjekt und Objekt. Er muß sich erst für die Dinge erwärmen, sie auf sich beziehen, in seinen Lebensprozeß hineinziehen, also sie sich innerlich aneignen, sie mit sich geistig verschmelzen, ehe sein Bewußtsein sie in kühler Objektivität von sich ablagern und bestimmen wird. Das Gefühl also, wie es der Erkenntnis vorangeht, faßt das Objekt in Einheit mit dem Subjekt. Nun ist ja das mystische Gefühl nur ein bestimmtes Gefühl, enthält also die Einheit des Subjekts nur mit einem bestimmten Objekt, die Einheit des Menschen, der Seele mit Gott, und es ist noch nicht abzusehen, wie dieses mystische Gottesgefühl gerade der Welt-, speziell der Naturerkenntnis fördernd vorangehen soll. Aber es muß doch seinen Grund haben, daß die Mystik neben der Immanenz Gottes in der Seele auch seine Immanenz in der Welt lehrt; Gott ist ja dem Mystiker die Weltquelle, der allgemeine Lebensgrund. Das mystische Gefühl ist eben nicht ein beliebiges Gefühl, sondern sozusagen der Superlativ des Gefühls, das Totalgefühl, das höchste, ekstatische, unendliche Gefühl, das Gefühl des Unendlichen. Alle Mystik stammt aus einem gesteigerten Lebensgefühl, und jedes erweiterte Lebensgefühl führt zuletzt zur Mystik. Jedes Gefühl zieht seinen Gegenstand in den Lebensprozeß des Fühlenden hinein, jedes Gefühl fühlt Leben, und dem Mystiker in seinem erweiterten Lebensgefühl ist Gott der höchste, unendliche Gefühlsgegenstand als solcher, ist damit Gott das Leben selbst. Dem Mystiker in seinem großen, mystischen Moment wandelt sich alles in Gefühl und das heißt alles in Gott. Fausts Gottesbeweis aus all den großen gefühlten Tatsachen der Natur, aus dem Satz: "Gefühl ist alles", dieser Beweis ist mystisch. Mit der mystischen Gotterfülltheit des Menschen ist tatsächlich und notwendig die Gotterfülltheit der Natur gegeben; denn der Gotterfüllte fühlt eben alles in Gott getaucht, alles göttlich, alles eins in Gott. Und gerade wenn dem Mystiker die Welt Gott wird, schlägt ihm schließlich Gott wiederum zur Welt um. Die Mystik als die Gefühlsphilosophie faßt alles als Einheit und Leben. Gott, Welt und Seele werden ihr eins im Lebensprozeß, in der Fühlbarkeit. Gott und Welt, das Höchste und das weiteste Objekt werden von ihr in das Lebensbewußtsein des Subjekts gezogen, werden gefühlt, in ihrer Einheit mit der Seele bewußt. Darum lehrt die Mystik die Beseeltheit der Welt, die Weltlichkeit Gottes, die Göttlichkeit der Seele. Die Philosophie der Renaissance ist ganz durchdrungen von diesen drei Lehren - der Cusaner und BRUNO verkünden sie ebenso wie PARACELSUS und REUCHLIN, KEPLER und JAKOB BÖHME, PATRITIUS, CÄSALPIN und CARDANUS. Das erweiterte und vertiefte Lebensgefühl und Selbstbewußtsein des Menschen in der Renaissance und Reformation spricht darin; denn Gott, Welt und Seele werden eben eins im allgemeinen Lebensprozeß, den das Subjekt in sich fühlt - die Philosophen jener Zeit sind alle fanatische Vitalisten. Es ist eigentlich eine vierfache Einheit, die sie alle in der gefühlten Einheit des Lebens lehren: die Einheit des Menschen, der Seele mit Gott, die Einheit Gottes mit der Welt (sei es als Immanenz, sei es als Pantheismus), die Einheit der Welt als solcher und die Einheit des Menschen mit der Welt. Die erste Einheitslehre ist die ursprünglichste, die der alten Mystik, und sie bliebt in der ganzen Renaissancephilosophie lebendig. Die zweite hängt daran, aber die Göttlichkeit der Welt wird nun erst voll bewußt, daß das vertiefte Gefühl sich zugleich erweitert, das Gottgefühl in der Renaissance zugleich die Buntheit der Welt in sich einziehen läßt, und das unendliche Gefühl als Gefühl des Unendlichen sich aufschließt. Mit der Göttlichkeit der Welt ist ihre Einheit gegeben, ihre Einheit eben in Gott. Die Göttlichkeit der Welt bedeutet ja die Fühlbarkeit, die Lebendigkeit der Welt. Und das Gefühl schmilzt alles zur Einheit, und Leben hat nur, was eine Einheit bildet. Die ganze Renaissancephilosophie ist monistisch; und am lautesten in ihren typischen Systematikern, im Cusaner und in BRUNO, der gegen den aristotelischen Dualismus eifert. Selbst die leidenschaftlich gesuchte Erneuerung PLATOs führt damals nicht zum Dualismus; sie finden eben nicht den echten PLATO, sie fassen nur die neuplatonische Lehre der Strahlung der Welt aus dem göttlichen Ureinen. Aus der Einheit strahlt der Renaissance die Buntheit der Welt, und darum betont sie die Welt als Einheit in der Mannigfaltigkeit, als Harmonie. Daß sie eine Harmonie, Mannigfaltigkeit in der Einheit darstellt, gibt der Ellipse als Sternbahn in den Augen KEPLERs den Vorzug vor der gleichförmigen Kreisbahn. Wie KOPERNIKUS an der Wirrnis des ptolemäischen Weltbildes Anstoß nahm, so findet GALILEI die kopernikanische Lehre einleuchtend, weil sie die einfachste ist. Die Einheit, Ordnung, Übereinstimmung der Natur entspreche der Weisheit des Schöpfers, und das Wahre sei zugleich das Schöne. Die ästhetisch-religiöse Tendenz, eben das Gefühl mit seinem Einheitsdrang ist hier Wahrheit zeugend. Aus der Mystik stammt die aus keiner Induktion zu gewinnende Lehre von der Einheit der Natur, der Sinn für die Natur als Ganzes und damit alle Naturphilosophie und zugleich die Grundlage aller wirklichen Naturerkenntnis. Aber eben weil sie aus dem mystischen Gefühl stammt, ist sie zugleich Irrtum zeugend. Alchemie und Astrologie sind gar nichts anderes als die falschen, weil zu raschen Konsequenzen jener erfühlten Wahrheit, die irrigen Übertreibungen jenes Einheitsdrangs. Sie sind nicht altgewordener Aberglaube, sondern frühreife Erkenntnis; sie gehören nicht zum absterbenden Mittelalter, sondern zur erwachenden Neuzeit. Die Alchemie glaubt an die Einheit der Stoffe, indem sie ihre Wandlung übertreibt, die Astrologie glaubt an die Einheit der Kräfte, indem sie ihren Zusammenhang übertreibt. Sie glauben und übertreiben nur, was auch die moderne Wissenschaft glaubt und sucht. Sie übertreiben, weil eben das ahnende Gefühl der differenzierenden Erkenntnis voraneilt in der Vereinheitlichung der Natur, die sie im Stein der Weisen und durch das Horoskop viel zu direkt und einfach zu greifen glauben. Auch die Magie, die selbst Verächter der Alchemie und Astrologie als ihre Kunst festhalten, beruth ja ganz und gar auf dem durchdringendsten Gefühl für die Einheit der Natur; ja, der Magier ist nur der wirksame Verkörperer dieser Einheit der Natur. Die echte Magie, sagt PICO della MIRANDOLA, erforscht den Zusammenhang oder die Sympathien aller Wesen. Wie der Landmann den Weinstock mit der Ulme verbindet, so vermählt der echte Magier die Gegenstände der Erde mit den Kräften der himmlischen Körper. Und ähnlich erklären POMPONATIUS, AGRIPPA und PARACELSUS (2) und noch HELMONT die Magie, die fernwirkende Kraft aus dem Zusammenhang des Universums, und man kann erkennen, wie in all jenen Lehren die Einheit der Natur zusammengeht mit, ja entstammt aus der Göttlichkeit und Beseeltheit der Natur, aus der mystischen Einheit von Gott, Seele und Welt im gefühlten Lebensprozeß. So lehrt z. B. JOHANN BAPTIST PORTA in seinem Buch von der natürliche Magie: Ein allgemeiner Weltgeist oder Lebenshauch verbindet alle Dinge, erzeugt auch unsere Seelen und befähigt sie zur Magie. Die Natur gleiche einem Tier, in dem ein Glied Freud und Leid des anderen teilt; so eben werde sie von der Magie aufgefaßt und behandelt. Die Seele der Welt, lehrt ähnlich AGRIPPA, sei ein einiges, alles erfüllendes, verbindendes Leben. Wie im menschlichen Körper en Glied durch Mitempfindung der Bewegung des anderen bewegt wird, so werden mit einem Teil der Welt alle anderen berührt, und da die Worte zur Welt mitgehören, könne ein Magus durch sie kraft dieser Wechselliebe bis in den Himmel hinaufwirken. Das Universum gleiche eine gespannten Saite, die, an einem Ende berührt, sogleich überall erklingt. Alles ist in allem und wirkt auf alles. Alle Dinge ziehen einander an oder stoßen einander ab, sind freundlich oder feindlich zueinander. Deutlich bekunden diese Vergleiche der Natur mit dem lebenden Wesen, wie die Einheit der Natur sich aus der Allbelebung herleitet. In der allgemeinen Lehre der Renaissance von der Sympathie aller Dinge liegt unverkennbar eine Vermenschlichung der Natur. Aber es ist lächerlich den Anthropomorphismus zu verdammen; er ist notwendig, und er bedeutete damals den Fortschritt, denn er brachte eine organische Naturauffassung. Und es galt mehr als eine Analogie zwischen Mensch und Natur, es galt eine Einheit beider - eben jene vierte Einheit -, aber eine Einheit, nicht nur, weil der Mensch zur Natur gehört, als ein Teil der Natur, sondern weil er das Ganze der Natur in nuce [im Kern - wp] ist, die Quintessenz der Natur. Der Mensch das Band der Welt im Kleinen, sagt der Cusaner, die Mitte der Welt, sagt REUCHLIN, das Modell der Welt, sagt LIONARDO, das vollendete Bild des Universums, das Band und Symbol aller Dinge, sagt AGRIPPA; der Mensch der Mikrokosmos - so betont es meist ausdrücklich die ganze Philosophie der Renaissance, ja, es ist ihr Kerngedanke, denn sie ist im wörtlichen Sinne Humanismus. Und eben diese zentrale Hochstellung des Menschen stammt ja aus der Mystik, die den Menschen "vergotten" will. Stellt doch ECKEHART die Menschen über die Engel und sagt: wäre der Mensch nicht, so wären alle Dinge nicht. Und REUCHLIN, MELANCHTHON, TAURELLUS und viele andere stimmen zu: alle Dinge sind um des Menschen willen da. Und es mußte wahrlich in die Welterkenntnis eingreifen, wenn LUTHER die "Ehre und Höhe des Christenmenschen" pries, der "durch sein Königreich aller Dinge mächtig" ist. Welterkenntnis ist Selbsterkenntnis, lehrt der Mystiker WEIGEL, und der Mensch sei der tätige Grund des Erkennens, das in allem Wachstum nur zu sich selber kommt. Liegt doch Himmel und Erde mit allem Wesen, dazu Gott selber im Menschen, sagt JAKOB BÖHME. Die Renaissancephilosophie versteht den Menschen aus der Natur, weil sie die Natur aus dem Menschen versteht. Aus dem Menschen sind nach PARACELSUS die Geheimnisse der Natur herauszulesen. "Also, daß der Philosophus nichts anderes findet im Himmel und in der Erde, denn was er im Menschen auch findet, und daß der Arzt nichts findet im Menschen, denn was Himmel und Erde auch haben." Der Mensch ißt und trinkt aus den Elementen zur Erhaltung seines Blutes; seine Sinne, sein Geist ziehen die Kraft der Gestirne heran, aber man dürfe nicht sagen, er arte nach dem Mars, sondern eher der Mars nach dem Menschen, denn der Mensch ist mehr als der Mars und alle Planeten. Alle Geschöpfe sind gleichsam nur Buchstaben, die auf den Menschen als Ganzes weisen. So lehrte PARACELSUS, und auch AGRIPPA findet im Menschen die Zeichen und Charaktere aller Dinge, und der Cusaner vergleicht den Menschengeist einem hellgeschliffenen Diamanten, in dem sich alle Dinge spiegeln, und der, wenn er lebendig wäre, nur sich selbst zu betrachten bräuchte, um in sich alle Ähnlichkeiten der Dinge zu finden. Alle Erkenntnis, sagt PARACELSUS, liege im Menschen selbst und alles Lehren sei ein Ermahnen, in uns selbst zu forschen. Alle Menschen tragen alle Wissenschaften in sich eingeboren, lehrt der auch aus einem theologos zum Physiker und Mediziner gewordene TAURELLUS. Erkennen, findet auch KEPLER, sei wie ein Erwachen aus dem Schlaf; wie die Zahl der Staubfäden den Pflanzen, so seien die Ideen und Harmonien den Menschen eingeboren. Das ewige Maß der Dinge gehe auf den Menschen als Ebenbild Gottes über und werde nicht durch äußere Wahrnehmung aufgenommen. Die Gesetzmäßigkeit der Sinnenwelt erwecke die eingeborene Gesetzmäßigkeit in unserem Geist, dergemäß wir nun jene erklären. Es ist also ganz verkehrt, die Renaissancephilosophen, selbst die naturwissenschaftlichen, zu reinen Positivisten und Empirikern zu machen; sie sind eher das Gegenteil. Aber fordern und betonen sie nicht gerade die Erfahrung, die Naturbeobachtung, die Sinneswahrnehmung? Ja, aber gegenüber der scholastischen Autorität. Der Mensch solle sich selber trauen, seinen eigenen Sinnen gegenüber der Überlieferung. Sie betonen also nicht so sehr die Sinnesobjekte als das Sinnessubjekt. Ihr Empirismus ist stark Sensualismus, ist es selbst und gerade am meisten beim Naturwissenschaftsbegründer TELESIUS, der Empfindung und Eigentrieb ja zum kosmischen und ethischen Prinzip macht. Aus dem Selbständigkeits- und Lebensdrang der Renaissance ist ihre Erfahrungsbetonung zu verstehen. So erklärt sich der Widerspruch bei PARACELSUS, der einerseits alles aus dem Menschen, andererseits alles aus der Natur verstehen will. Auch der Naturforscher konnte damals dem Mystiker WEIGEL zustimmen: von innen müsse die Erkenntnis herausquellen in den Gegenwurf. Nicht der Gegenwurf sei das Wirksame, sondern unser Auge, unser Verstand. Nicht das Auge machte damals den Menschen sehen, sondern der Mensch machte das Auge sehen. Jene Männer wollten erleben, sich innerlich bereichern, empfinden, darum öffneten sie ihr Auge und gingen oft weit auf die Wanderschaft. In Wahrheit gingen sie gerade über die Sinne hinaus; KOLUMBUS und KOPERNIKUS emanzipieren sich gerade vom Augenschein, erheben sich gerade weit über die Sinnesdaten, GALILEI betont die Subjektivität der meisten Wahrnehmungsqualitäten, und all die anderen suchen unter der gegebenen Sinneswirklichkeit das verborgene Geheimnis. Ein starker Mysteriendrang durchzieht die ganze Zeit. Sie bildet vielfach Geheimbünde für geheime Künste, lehrt Geheimwissenschaften, treibt allerlei Symbolik - von ROGER BACONs epistola de secretis operibus und PETRARCAs secretum suum durch REUCHLINs ars cabbalistica und AGRIPPAs occulta philosophia bis zu VANINIs Dialogen über die wunderbaren Geheimnisse der Natur, JAKOB BÖHMEs Mysterium magnum und KEPLERs Mysterium cosmographicum. In diesem Mysterienzug bekennt die Weisheit jener Zeit ihre Abstammung aus der Mystik. Der Grund ist, daß sie hinter allem Äußeren, Sinnlichen, Stofflichen ein Inneres, Seelisches, einen göttlichen Lebensgeist wittert, der alle Dinge durch ein innerliches, seelisches Band unter sich und vor allem mit der Seele des Magiers, überhaupt des gotterfüllten Menschen verbindet. Aber dieses Band ist unsichtbar, das Bewußtsein dieser weltdurchdringenden inneren Gemeinschaft muß erfühlt werden, ist subjektives Erlebnis, also nicht jedermanns Sache, sondern nur des Erleuchteten, daher Mysterium. Also auf der mystischen Einheit der Menschenseele mit Gott und Natur beruth der Mysteriencharakter der Renaissancephilosophie. Um die Verschiedenheit von Gott, Seele und Natur zu überbrücken, dient ihr eine weit getriebene Analogistik, die künstliche Parallelen herzustellen sucht, vor allem jene so auffallende, weitgetriebene Zahlensymbolik, die formal, quantitativ jene Einheit zwischen Geistigem und Physischem stiften sollte, die sachlich nicht gegeben war. Derselben monistischen Tendenz dient auch die (nicht nur theologisch begründete) Hochschätzung des Wortes, in dem ja das Geistige sich sinnlich offenbart. Die Vereinheitlichung des Seelischen und des Physischen macht namentlich JAKOB BÖHMEs Philosophie so schwer verständlich, ja für den amystischen Geist unverständlich. Es ist da ein fortwährendes Ineinanderspielen göttlicher, seelischer und physischer Prozesse, ein Schillern des Ausdrucks zwischen allen drei Bedeutungen. Nichts verkehrter als darin eine mystifizierende Künstelei zu sehen. BÖHME erlebt wirklich in sich die Einheit von Gott, Seele, Natur. Der Bildausdruck des einen für das andere ist ihm deshalb natürlich. Er läßt es in Gott wallen und gären wie in Seele und Natur, er fühlt in seiner Seele die Geburt der Gedanken aus dem Chaos, er fühlt ihr Vorübergehen "wie ein Platzregen", er fühlt ihr Wachsen, "als wenn ein Korn in die Erde gesäet wird" und "hervorgrüne in allem Sturm, mit hundertfältiger Frucht", er fühlt in sich "das Gewächs des neuen Menschen aufgehen", er erlebt die salzig zusammenziehende Begierde, die quecksilberne Beweglichkeit, die schwefelgleiche Angstqual und all seine anderen Naturgestalten, er erlebt in der Seele die Natur und in der Natur die Seele. Wenn man fragt, wie das möglich ist, so ist eben der Mittelbegriff das Erleben. Die Natur und die Seele haben beide ihre Wandlungen, und der Renaissancephilosoph versteht die eine aus der anderen, er versteht Gott selber als Wandlung, als ein immerwährendes Gestalten, als ewiges Band des Lebens, wie ihn BÖHME feiert; die Welt, das lebendige Bildnis Gottes, sagt CAMPANELLA. Wie schäumt doch die Welt beim Cusaner, bei BRUNO und VANINI, bei PARACELSUS und BÖHME in beständiger fließender Wandlung und Lebensentfaltung, in unendlichem Gebären! War die Natur so verändert, daß sie nun so lebendig erschien? Nein, die Seele war anders geworden, und zuerst in der Mystik und durch sie. Auch LUTHER findet: "Das Leben ruhet nimmer." "Leben", sagt DILTHEY von ihm, "ist ihm das Erste" und Quell des religiösen Wissens. Und die Mystik FRANCKs will Gott in sich leben lassen, und der Glaube besteht ihm in der inneren Umwandlung. Wie in der Menschenseele ein fortwährendes Wallen des Gemüts und Gedankenzeugen sei, so sei im göttlichen Wesen und in der Natur eine ewige Geburt - dieser Vergleich BÖHMEs sagt genug. Der Renaissancephilosoph hat ein so intensives Gefühl für die Wandlungen der Natur, weil er selber in seiner Seele so wandlungsfähig und wandlungslustig, so lebensvoll ist. Er versteht die Natur als Bild und Echo seiner vielbewegten Seele - das macht ihn zum Philosophen - und er fordert diese große Resonanz der Natur, weil seine Seele überschwillt von Lebensdrang. Er will sich erleben an den Dingen, in immer neuen Ausdrucksformen, an unendlich vielen Gegenständen. Das Ich ohne Gegenstand ist leer. Gerade das erhöhte Selbstgefühl verlangt mehr Gegenstände, das Subjekt vertieft sich gerade an der Fülle der Objekte. WEIGEL spricht vom "Gegenwurft" der Erkenntnis. So hat die Mystik den Begriff des Objekts und damit das Erkenntnisziel erfaßt, gerade weil sie das Subjekt so lebendig betont. Das Lebensgefühl des Renaissancemenschen ist stärker als seine Person, es schwillt auf die Dinge über. Er will, wie gesagt, den Lebensprozeß in möglichst vielen bunten Gestalten erleben, durchleben. So durchlebt er die Natur. Es ist ein Einfühlen in die Natur, um diesen modernen Terminus zu gebrauchen, der vielleicht noch zu wenig sagt, denn es ist ebenso ein Fühlen des Naturprozesses, ein Erleben der Natur in sich wie ein Erleben seiner selbst in der Natur. Man will heute durch das Prinzip der Einfühlung die Kunst erklären - man täte ganz recht auch die Renaissancephilosophie stark künstlerisch zu erklären. Sie hat nicht zufällig in Italien wie in Deutschland die größten Künstler zu Zeitgenossen, sie zeigt in LIONARDO die wunderbarste Vereinigung künstlerischen Schauens und vorahnender Naturerkenntnis, sie dichtet selber von PETRARCA bis CAMPANELLA, sie dichtet selbst als deutsche Mystik von SUSO und TAULER bis ANGELUS SILESIUS, sie erlebt und fordert auch prinzipiell in ihrem klassischen Vollender BRUNO die volle Einheit von Denker und Dichter. DANTE, PETRARCA, BOCCACIO pflegt man der italienischen Renaissancephilosophie als Anreger voranzustellen wie der deutschen Philosophie die Mystiker desselben 14. Jahrhunderts - die ästhetischen und religiösen Gefühlserwecker sind eben die Vorläufer der Erkenntnis. Und daß das Gefühl seine treibende, seine oft nur zu sehr beherrschende Gewalt in der Renaissancephilosophie behielt, zeigt sich ja schon darin, daß vielfach gerade die leidenschaftlichsten Geister jener leidenschaftlichen Zeit ihre anregendsten Denker waren: die Geschichte der Philosophie kennt kaum heißere Naturen als jene LAURENTIUS VALLA und PETRUS RAMUS, jene AGRIPPA und PARACELSUS, BRUNO, VANINI und CARDANUS. Es ist in diesen streitbaren, abenteuerlichen, unruhigen, wanderlustigen Männern eben ein Durchbruch des hochgeschwollenen Lebensgefühls in das formelhaft erstarrte Denken hinein, selbst in die Logik, die sie durch die Beziehung auf die Rhetorik zu verlebendigen und zu vereinfachen suchen; denn Leben und Gefühl drängen zur Vereinfachung gegenüber dem distinguierenden Denken. Der ganze Anti-Aristotelismus der Renaissancephilosophie ist die Überwindung der Formen durch das Erlebnis. Es ist die Beziehung auf das eigene Lebensgefühl, die damals ein Reformationszeitalter auch für die Erkenntnis heraufführte. HEGEL spricht von einem Originalitätsdrang des hier typischen CARDANUS: "Sein positives Verdienst besteht mehr in der Erregung, die er mitteilte, aus sich selbst zu schöpfen." Deutlicher bezeichnet es GOETHE:
Gerade im subjektivsten Geist der werdenen Neuzeit erwacht das Naturgefühl, in PETRARCA, der sich Silvanus und Solivagus nannte. Man kennt die Szene, da er den Mont Ventoux mühsam erklommen, ein in jener Zeit unerhörtes, weil unverstandenes Unternehmen. Eine ausführliche Beschreibung der Aussicht, sagt JAKOB BURCKHARDT, erwartet man nun allerdings vergebens - - aber nicht, weil der Dichter dagegen unempfindlich wäre, sondern im Gegenteil, weil der Eindruck allzu gewaltig auf ihn wirkt. Vor seine Seele tritt nämlich sein ganzes vergangenes Leben mit allen Torheiten - -, er schlägt ein Büchlein auf, das damals sein Begleiter war, die Bekenntnisse des heiligen AUGUSTIN, allein siehe, sein Auge fällt auf die Stelle im 10. Abschnitt: "und da gehen die Menschen hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluten und mächtig dahinrauschende Ströme und den Ozean und den Lauf der Gestirne, vergessen sich aber selbst darüber." Sein Bruder, dem er diese Worte vorliest, kann nicht begreifen, warum er hierauf das Buch schließt und schweigt. Er hatte getan, was der große Mystiker, der damals "sein Begleiter" war, fordert: er hatte über der Bewunderung der hohen Berge nicht sich selbst vergessen, er hatte gerade in der Natur sich selbst gefunden und sie darin gerade am höchsten genossen, daß er "sein ganzes vergangenes Leben mit allen Torheiten" an sich vorüberziehen ließ. Der Natursinn also erwacht im gesteigerten Lebensgefühl; das gesteigerte Lebensgefühl als solches fordert und enthält schon eine Verschmelzung der eigenen Existenz mit fremder, ein Hinausgehen über sich selbst, ein Hineinziehen anderer Elemente in den eigenen Lebensprozeß. Erleben heißt schon teilnehmen, Fremdes mitgenießen, empfinden, sich an Fremdem wandeln. Das Ich als bloße Existenz ist eben leer, man fühlt sich nur an anderem; das gesteigerte Gefühl drängt zu anderem, zu Wandlung, zur Selbsthingabe. Aus diesem Wesen des Lebensgefühls erklärt sich der scheinbare Widerspruch in der Renaissancephilosophie und gerade schon in der Mystik zwischen dem kolossal gesteigerten Selbstbewußtsein des Menschen und der geforderten Hingabe an Gott und die Natur. Gott bedarf des Menschen, Gott kann nicht leben ohne mich, lehrt der Mystiker, und gleichzeitig lehrt er, der Mensch solle sich selbst absterben, sein Ich preisgeben. Dem Mystiker kommt es eben nicht so sehr auf die beiden Existenzen Gott und Mensch an als auf die Einheit beider im Gottgefühl des Menschen, im Seelenerlebnis. Beide sollen aufgehen darin; Gott soll nur als das Erlebte da sein - daher bedarf er des Erlebenden, des Menschen; der Mensch soll nur der Erlebende sein, daher die Selbsthingabe. Gott ist für den Mystiker das Erlebnis als solches, der unendliche Erlebnisgegenstand. Der Mystiker erlebt nur Gott, Gott in allen Dingen. Ist aber Gott alles, dann ist alles Gott: die Vergöttlichung der Welt ist auch eine Verweltlichung Gottes. Indem der Mystiker Gott verinnerlicht, ihn in die Seele zieht, hat er ihn tatsächlich zugleich veräußerlicht, naturalisiert. Denn für die Seele, dem Subjekt gegenüber werden Gott und Natur eins als das unendliche Objekt, als das Totalerlebnis, das Allerfüllende der Seele. Die Immanenz Gottes in der Seele führt, wie gesagt, zu seiner Immanenz in der Natur. In der Seele finden sich Gott und Natur - das ist der Kern der Renaissancephilosophie, die mit dieser Betonung der Menschenseele in der Mystik wurzelt. Nur für das Selbstgefühl der erlebenden Seele steht die so differente Natur als Einheit da, als Gesamtobjekt - sonst wäre die Erfassung der Natur als Ganzes und damit die Naturspekulation und -erkenntnis das größte Rätsel. Man sieht ja nur Einzelnes und hat keinen Anlaß die Welt als Welt, als Ganzes zu fassen, - auch die Addition des Gesehenen gibt noch nicht das All. Es wird nur erreicht im Allgefühl, im Unendlichkeitsdrang der Seele. Und dieser Unendlichkeitsdrang sprach sich zuerst als Mystik aus. Im mystischen Gefühl hat die Seele zuerst ihr Erlebnis aufgeweitet zum Unendlichen, all ihr Erlebnis zur Einheit zusammengefaßt und gewertet als Hingabe forderndes Objekt. Die Mystik hat also den Seelenhorizont geweitet, hat den Menschen über seine beschränkte leibliche Sphäre, über den Augenschein zur geistigen Erfassung des nicht Sichtbaren erhoben, hat ihn zur Hingabe an das Objekt gedrängt, hat ihm das Vertrauen auf sein eigenes Erlebnis, also auf selbständige Erkenntnis und Erfahrung gegeben, insgesamt also, die Mystik hat ihn zur Wissenschaft erzogen. In Gott als Weltseele, wie ihn die Mystik verstand, wurde die Welt als solche zuerst der Menschenseele nahegebracht. In Gott, der unendlichen Ureinheit, wie sie die Mystik betont, hat der menschliche Geist zuerst die Welt als Einheit und Unendlichkeit erlebt. Aus der Unendlichkeit Gottes beweist BRUNO die Unendlichkeit der Welt - nur der tiefmystische Cusaner ist ihm darin vorangegangen; die Naturforscher, selbst KOPERNIKUS und KEPLER wollen von der Unendlichkeit der Welt noch nichts wissen, und doch haben auch sie die unsichtbare Ordnung der Welt gesucht und gefunden, gerade aus einem echt mystischen Gefühl für die Göttlichkeit der Welt, für ihre Gott entsprechende, harmonische Einheit und aus einem ebenso mystischen Vertrauen auf die Gottes Geheimnisse in sich tragende und erkennende Menschenseele. Die Unendlichkeit wie die Einheit der Welt, diese Erträge der Renaissancephilosophie, sind nicht aus Induktionsschlüssen gewonnen. Das Gefühl ist's, das die Tendenz zur Einheit und Unendlichkeit in sich trägt. Das Gefühl ist zugleich verschmelnzend und grenzenlos ausschweifend im Gegensatz zum scheidenden, begrenzenden Denken. Die bloße Gefühlssteigerung führt schließlich zum Allgefühl, das einheitlich und grenzenlos die Seele füllt. Der Drang also, die Seele ganz zu füllen, dieser mystische Drank, führt zur Erfassung der Einheit und Unendlichkeit. Indem die aus der Mystik aufsteigende Renaissancephilosophie dahin drängt, die Seele ganz zu füllen, das All-Eine und Unendliche zu fassen, drängt sie zum Kosmos. Als Zug zum Unendlichen drängt die Mystik zur Aufweitung des Horizonts, über das sinnlich Gegebene hinaus, als Einheitszug drängt sie zur harmonischen Ordnung dieses aufgeweiteten Alls. So drängt das Allgefühl der Mystik zur Kosmologie und Astronomie. So nun löst sich schließlich das Problem, warum die junge Erkenntnis gerade mit dem weitesten Horizont, mit dem fernsten Objekt beginnt, und warum die neue Seele der Reformationszeit zugleich eine neue Welt sieht, warum die Vertiefung zugleich eine Aufweitung ist. Die Mystik gab der Menschenseele den Drang und den Mut zur Erfassung der Totalität. Gott ist dem Mystiker zunächst das Allerfüllende der Seele, aber je mehr er Mystiker ist, je mehr er sein Selbst absterben, seine Seele in Gott aufgehen läßt, desto mehr wird ihm Gott das Allerfüllende überhaupt, desto mehr erlebt er in Gott den Allinhalt nicht bloß der Seele, sondern der Welt. Je mehr der Mystiker seine Seele füllt, desto mehr vergißt er seine Seele. Die äußerste Subjektivität schlägt so in äußerste Objektivität um, da im mystischen Gefühl die Einheit von Subjekti und Objekt, somit ihr Übergang ineinander gegeben ist. Der Drang zu höchster Innigkeit wird Drang zum Fernsten. Im Gefühl zuerst erobert sich der Mensch das Fernste. Für das Gefühl, weil es ausschweift, ist der Zug zum Fernen am natürlichsten, unmittelbarsten, am wenisten rätselhaft; der fühlenden Seele steht das Fernste gleich nahe wie das Nächste; sie erlebt beides in sich. "Im Jüngling", sagt SCHOPENHAUER, "wirkt alle Wahrnehmung zunächst Empfindung und Stimmung, ja, vermischt sich mit dieser; wie das BYRON sehr schön ausdrückt:
ein Teil von dem, was mich umgibt, und mir Sind hohe Berge ein Gefühl." In diesem Nahebringen der Sterne an die Menschenseele wurzelte ja die Astrologie. Der Mensch habe Anteil an der siderischen [aus nichtirdischen Kräften resultierend - wp] Sphäre, lehre AGRIPPA, PARACELSUS, WEIGEL und all die anderen Naturmystiker, er trage Himmel und Erde in seiner Seele, sagt BÖHME, er esse im Brot Himmel und Erde und alle Gestirne, sagt PARACELSUS, und der Arzt müsse zugleich Astronom sein, wie ja bei CAMPANELLA der Staatsleiter zugleich Astrologe ist. Die siderische Sphäre, lehren sie, steht Gott näher als die irdische, und so ist tatsächlich für den Mystiker das kosmische, astronomische Interesse näherliegend als das spezielle, irdische. Das Gottgefühl der Mystik ist Allgefühl, und so faßt der Mystiker das All eher als das Einzelne, das Fernste, Unendliche eher als das Nahe und Endliche, ja er faßt das Endliche durch das Unendliche, das Einzelne durch das Ganze, und dadurch begründet er die wissenschaftliche Erkenntnis. Der Mystik und nur ihr ist das Unendliche nicht das Letzte, sondern das Erste, nur ihr der Zug zum All, der Keim zur kosmischen Auffassung eingeboren; sie erlebt das All, das Unendliche. Der Gott der Mystik trägt schon die Totalität, den Allcharakter an sich. Und wie gesagt, je mehr die Mystik sich selbst gehorcht, je mehr die mystische Seele sich selbstlos in ihren Inhalt versenkt, desto mehr fühlt sie in ihrem Allgefühl das All, desto mehr schwindet das Subjekt des Fühlens im Objekt. So paradox es klingt, es mehr die Mystik in die Tiefe geht, desto mehr streift sie an die Grenze des Naturalismus. Die Renaissancephilosophie ist ja wirklich in einen Naturalismus umgeschlagen, in einem wilden Radikalismus eines LAURENTIUS VALLA und VANINI, die schließlich die Natur zum Gott erklärten. Aber auch der Cusaner, dem die Welt zum explizierten Gott wird, auch BÖHME, dem selbst das Böse in Gott fällt, stehen ja nicht so weit ab vom Pantheismus, den BRUNO erreicht und von dem wieder nur ein Schritt ist zum Naturalismus. Allerdings - all das sind Übergänge, mögliche Wege, nicht notwendige Konsequenzen. Irgendeine Einheit aber zwischen Gott und Natur, auch bei allem Wertüberragen Gottes, liegt im Wesen der Mystik; Gott und Natur werden eins als die in der fühlenden Seele erlebte Totalität. Schon ECKEHART lehrt: Gott ist alles und alles ist Gott, und wie Gott alle Dinge ist, so ist auch die Seele alle Dinge, aller Dinge edelstes. Die Seele, deren Erhebung und Ausfüllung recht eigentlich der Kern der Mystik ist, eint für sie Gott und Natur. Die Göttlichkeit der Natur heißt die Beseeltheit der Natur. In Gott als Allseele wird dem Mystiker die Natur eins mit der Menschenseele, wird sie subjektiviert. In Gott, dem Allobjekt der mystischen Seele und zugleich Allsubjekt der Natur ist die gesuchte Brücke zwischen Subjekt und Objekt gegeben. Die Natur kann in der Seele sein, weil sie in Gott ist. Im mystisch (d. h. seelisch, als Allerfüllung der Seele) erfaßten Gott also ist dem Menschen zuerst die Totalität der Welt ans Herz gelegt, die Naturferne nahe gebracht. Das All der Natur ist gefühlt, d. h. seelisch erlebt, als Leben erfaßt. Der Kontrakt zwischen Seele und Natur bedeutet die Lebendigkeit der Natur, und Gott ist für den Mystiker eben der Grund dieses Kontakts, der Lebensgrund, das Leben selbst. Der Kontakt zwischen Seele und Natur kann, da sie verschieden sind, nicht im Sein, sondern nur in der Wandlung erfaßt werden. Die Seele wandelt sich in und mit der Natur. Die Natur wandelt sich mit der Seele, d. h. eben, sie lebt, sie entfaltet sich. Die Beseeltheit der Natur ist die Lebendigkeit, die Entfaltung der Natur. Die mystische, d. h. die allerfüllte Seele drängt also zur Beachtung der Wandlungen der Natur, in denen sie sich wiederfindet. Gott, Seele, Natur eine Entfaltung, ein Leben und dadurch eine Wesenseinheit - in diesem Gedanken liegt die Einheit von Mystik und Naturphilosophie. Es ist wohl klar - ein leichter Hinweis kann genügen - daß diese ganze Auffassung auch die beherrschende im dritten klassischen Zeitalter der Naturphilosophie ist, im Anfang des 19. Jahrhunderts. Wir haben diese Einheit von Mystik und Naturphilosophie in all den Erneuerungen BÖHMEs und auch BRUNOs, die ja das Ineinander von Gott, Seele, Natur in der Lebensentfaltung wohl am heißesten und reichsten ausgesprochen, vor allem in SCHELLING und den großen Naturforschern seiner Schule, den OKEN, CARUS, OERSTED usw. Dann in BAADER, dem Mystiker und Geologen, auch in SCHOPENHAUER, der nicht umsonst die "deutsche Theologie" und andere Mystiker schätzt, nur statt Gott den Anti-Gott setzt, aber sonst die Natur als Lebensentfaltung des Alltriebes faßt, die aus der Menschenseele zu verstehen ist. Er nennt die Welt den Makranthropos, wie NOVALIS damals den Menschen die Analogiequelle für das Weltall nennt, wie beide auch in der Magie die praktische Naturmystik der Renaissance erneuern wollen. Und OKEN faßt das ganze Tierreich als den in seine Bestandteile auseinandergelegten Menschen, und STEFFENS ist erfüllt von dem tiefliegenden Zusammenhang des Menschen mit der gesamten Natur. Die Mystik enthält nun einmal einen starken Antrieb, die Natur in ihren Geheimnissen zu durchleuchten und in ihrer Unendlichkeit zu fassen. Es mag zufällig scheinen, daß in Frankreich die großen Biologen damals gleichzeitig mit der theologischen Philosophenschule auftreten. Deutlicher ist, wie gerade die Unendlichkeit ihres Subjektivismus die Romantiker zur Naturphilosophie führt. Der Genosse dieser romantischen Naturphilosophen ist SCHLEIERMACHER, der ja die Religion gerade aufs Gefühl begründet, sie am tiefsten in die Seele zieht, sie am reinsten subjektiviert, gewiß ein naturfremder Theologe, aber man vergesse nicht, daß eben das Gefühl, in das er die Religion setzt, das Gefühl fürs Universum, das Gefühl der Abhängigkeit gegenüber dem Unendlichen ist. Die Gottheit ist ihm die Einheit des Weltganzen, und jeder Teil der Welt steht ihm mit den übrigen in einer Wechselwirkung. Wiederum zeigt sich, daß der aufweitende, kosmische Zug, die Idee der Einheit der unendlichen Natur der echten Mystik eingeboren ist. ![]() ![]()
1) HERMANN NOHL in seiner klugen Schrift "Sokrates und die Ethik" ist unzufrieden mit diesen Sätzen, die ja niemand bestreiten kann, die auch er offenbar nur ein wenig beschränken will, wenn er entgegenhält: "Diese Ärzte sowohl als auch Sokrates orientieren sich an ihrem Gegensatz zur Mystik eben an der Technik, und so entsteht ihnen die Erkenntnis von Ursache und Funktion; sie erscheinen uns dadurch beide so modern" - also ist diese Tendenz eben doch unantik, wie ich behaupte. Ich habe selbst Sokrates als Erben und Vorkämpfer der techne vorgeführt; aber NOHL verdirbt alles, wenn er die ur& griechische techne für eins nimmt mit der modernen "Technik". Eben die antike techne ist wenig technisch; in seiner, wie ich zugebe, etwas parteiischen Kennzeichnung der untechnischen hellenischen Kultur vergleicht DUBOIS-REYMOND sie jenen Münzen, denen die Griechen ein herrliches Götterantlitz aufprägten, die sie aber rund zu machen nicht verstanden. Gerade die antike techne ist typisierend, bildet Typen fort, und eben in diesem Sinne sucht Sokrates Typen festzustellen, Begriffe herauszumeißeln und fragt beständig nach dem "Was?" der Dinge, ti esti [was es ist - wp]; NOHL weiß es, und spricht ihm dennoch gerade die andere, die kausal-funktionale Denkweise zu? - Die Ärzte aber geben hier kein reines Bild, nicht nur weil die Griechen medizinisch gerade viel vom Orient lernten und erst bewiesen werden müßte, daß sie gerade an praktisch-technischem Sinn über ihre Lehrmeister hinausgingen, sondern auch weil die griechischen Ärzte "in ihrem Gegensatz zur Mystik" ja gar nicht einig sind. NOHL selbst findet es ja sogar eine (im Thema aber gar nicht angelegte) Lücke meiner Schrift, daß "die auf die Mystik gegründete Medizin nicht berücksichtigt ist, zumal die historische Verbindung der Renaissance mit dieser Literatur die deutlichste ist." Ich bekenne, sie ist mir die undeutlichste, aber umso besser, wenn ich für eine solche Ergänzung meiner Nachweise auf NOHL verweisen kann. 2) FRANZ STRUNZ in seiner vielfach zustimmenden Besprechung dieser Arbeit (Mitteil. f. Gesch. d. Medizin u. d. Naturwiss.) findet die Bezeichnung des PARACELSUS als Magier veraltet und seine Charakterisierung hier etwas einseitig. Aber ich will doch hier keine vollständige Charakteristik des PARACELSUS liefern, sondern nur gewisse modern nicht beliebte und erkannte Züge hervorziehen und durch Parallelen erhellen. Und er selber nennt sich Magus und deutet die wahre Magie. Man muß nur eben beim "Magier" nicht an den Zauberkünstler der Schaubuden und andere betrogene Betrügerdenken. Ich mache einen ziemlich dicken Strich zwischen der Naturmystik der Renaissance und dem alten Volksaberglauben, der wohl STRUNZ mehr interessiert. Es ist mir ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß er sich in seinem gleichzeitig erschienenen schönen Buch über antike Naturbetrachtung und Naturerkenntnis mehrfach mit meinen Tendenzen in der Hervorhebung der subjektiven Präzedenzien [exemplarische Beispiele - wp] des Naturerkennens berührt. Vgl. auch seinen Aufsatz: "Die Natur als psychische Lebensmacht im antiken Phantasie- und Geistesleben" (Zeitschrift für Naturwissenschaft, Bd. 76). Doch handelt er darin weit weniger von der klassischen Antike, am wenigsten von den altgriechischen Naturphilosophen, weit mehr von jener volksphantasiemäßigen Urmystik, die von der philosophischen Mystik weit getrennt ist. Dafür ist eine andere Differenz nur scheinbar. STRUNZ läßt mich "das kritische Sehen und das Typische der Tatsachen- und Ursachenprüfung rundweg aus ersten mystischen Beweggründen ableiten" und "die Induktion aus der Geschichte der Naturwissenschaften durch das Gefühlsmoment verdrängen". Wo in aller Welt sage oder tue ich das? Es ist jene im Vorwort charakterisierte Verkennung: weil mir der Ursprung der Naturphilosophie in der Einheit mit der Mystik liegt, soll mir die ganze Geschichte der Naturwissenschaften Mystik sein. Aber wenn ich ihre Allmacht und Ursprünglichkeit bestreite, darum verkenne ich doch nicht die gewaltige historische Bedeutung der Induktion für die Naturwissenschaften. |