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ADOLF REINACH
Zur Theorie des
negativen Urteils

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"Gegenstände überhaupt können niemals Grund und Folge sein. Ein Ding oder ein Erlebnis oder eine Zahl etwa kann unmöglich etwas begründen, aus ihm kann nichts folgen. Allenfalls kann die Existenz eines Dings oder Erlebnisses als Grund fungieren. Die Existenz eines Gegenstandes ist selbst kein Gegenstand, sondern ein Sachverhalt. Stets sind Sachverhalte und können nur Sachverhalte Grund und Folge sein."

"Im Streit darüber, ob beliebige Gegenständlichkeiten, oder nur Relationen geurteilt werden können, haben beide Parteien Unrecht. Man hat jendes dritte Gebilde verkannt - den Sachverhalt - welches weder Gegenstand ist noch Relation und welches wesensgesetzlich allein das intentionale Korrelat für Urteile abgeben kann."


II.

Von den Akten, in denen wir, wie bei der "Vorstellung" und "Meinung" Gegenständliches habend oder abzielend erfassen, unterscheiden wir die Erlebnisse, in denen wir, wie bei der Überzeugung, eine Stellung zu etwas einnehmen. Wir kennen als solche letztere Akte z. B. das Streben nach etwas, die Erwartung von etwas und andere mehr. Durch diese Aktklasse zieht sich, im Unterschied zu der ersten, ein Gegensatz von Positivität und Negativität. Wir streben nicht nur positiv nach etwas, sondern können auch demselben Gegenständlichen widerstreben. Beide Male haben wir ein Streben, aber sozusagen mit entgegengesetzten Vorzeichen (17). Genau dasselbe nun finden wir bei der Überzeugung. Wir haben uns bisher natürlicherweise stets an der positiven Überzeugung orientiert; ihr steht aber eine negative völlig gleichberechtigt gegenüber. Nehmen wir an, es wird von irgendjemand behauptet, eine Blume sei rot, wir gehen an die Stelle, wo sie steht, um uns selbst zu überzeugen, und sehen, sie ist gelb. Mit der Frage, ob die Blume wohl rot ist, sind wir an sie herangetreten; jetzt erwächst und diesem Sachverhalt gegenüber eine negative Überzeugung, ein "Unglaube", daß die Blume rot ist. Positive und negative Überzeugung können sich auf denselben Sachverhalt beziehen; suchen wir nach umschreibenden Ausdrücken, so können wir sagen, die eine ist eine Überzeugungszuwendung, die andere eine Überzeugungsabwendung. Beide aber sind "überzeugte" Stellungnahmen. Das Überzeugungsmoment ist beiden gemeinsam, so wie das Strebensmoment dem positiven Streben und Widerstreben; es trennt sie von anderen intellektuellen Stellungnahmen, wie der Vermutung oder dem Zweifel. Es ist dasjenige, was erlaubt, sie beide als ein Urteil zu bezeichnen, während der polare Gegensatz, von welchem wir gesprochen haben, die eine zu einem positiven, die andere zu einem negativen Urteil stempelt.

Positive und negative Überzeugung stehen, rein auf ihr deskriptives Wesen hin betrachtet, einander gleichgeordnet gegenüber. Eine gewisse Verschiedenheit aber scheint sich herauszustellen, wenn wir die psychologischen Voraussetzungen ihres Entstehens beachten. Wenn wir uns umsehen in der uns umgebenden Welt, so treten uns eine Fülle von Sachverhalten entgegen, die wir erschauen, und auch welche sich dann unsere Überzeugung bezieht. Auf diese Weise können offenbar nur positive Überzeugungen erwachsen. Eine negative Überzeugung kann niemals so entstehen, daß Sachverhalte von außen einfach gleichsam abgelesen werden, sondern es ist stehts vorausgesetzt, daß wir an einen bestehenden Sachverhalt mit einer intellektuellen Stellungnahme zu einem widerstreitenden Sachverhalt herantreten. Der widerstreitende Sachverhalt kann beispielsweise geglaubt, vermutet, bezweifelt, dahingestellt oder auch nur in Frage gestellt sein; indem wir den anderen Sachverhalt erschauen, verwandelt sich die positive Überzeugung oder Vermutung, der Zweifel oder das Dahingestelltseinlassen in eine negative Überzeugung, oder es findet die Frage in ihr ihre Antwort. Wir bemerken hier eine Eigentümlichkeit des negativen Urteils, der wir jetzt allerdings noch nicht ganz gerecht werden können.

Neben der negativen Überzeugung von einem Sachverhalt gibt es die positive Überzeugung vom kontradiktorischen Sachverhalt. Beide Urteile, der Glaube, daß A nicht b ist und der Unglaube, daß A b ist, stehen sich ihrem logischen Gehalt nach so nah wie möglich. Indessen sind es durchaus verschiedene Urteile, die keineswegs identifiziert werden dürfen. Sowohl die "Bewußtseinsseite" (18) als auch die gegenständliche Seite sind beide Male grundverschieden: dem Glauben steht der Unglaube, dem b-sein des A das nicht-b-sein gegenüber. Der Unglaube einem Sachverhalt gegenüber verdient den Namen eines negativen Urteils in erster Linie. Da es jedoch in der traditionellen Urteilstheorie durchaus üblich ist, die Urteile nicht nur nach ihrer Eigentümlichkeit als Urteile, sondern auch nach den Eigentümlichkeiten ihrer gegenständlichen Seite zu benennen, so wollen wir auch die positive Überzeugung von negativen Sachverhalten in den Kreis unserer Betrachtungen ziehen. Hat man doch gerade bei der auf Negatives gehenden Überzeugung - welche man freilich nicht von der auf Positives gehenden negativen Überzeugung trennte - besondere Schwierigkeiten gefunden. Ihre Behandlung wird sich auch für unsere späteren Erwägungen als förderlich erweisen.

Diese Schwierigkeiten haben ihren Ursprung in der etwas primitiven Auffassung, nach welcher sich das positive Urteil als ein Verbinden oder Vereinen darstellt (eine Auffassung, die, ob nun haltbar oder nicht, offenbar einen ganz verschiedenen Sinn hat, je nachdem sie sich an der Überzeugung oder an der Behauptung orientiert). Ein wahres Urteil liegt danach vor, wenn dem Akt des Vereinigens eine tatsächliche reale Vereinigung in der gegenständlichen Welt entspricht. Die analoge Anwendung dieser Auffassung auf das negative Urteil mußte offenbar Schwierigkeiten begegnen. Man faßte das Urteil als ein Trennen auf, fragte dann aber vergebens nach dem realen Verhältnis, welches durch dieses Trennen wiedergegeben wäre. Was sollte es auch heißen - so betont WINDELBAND mit Recht (19), daß in dem schlichten Urteil "blau ist nicht grün" einer Trennung Ausdruck gegeben wäre? Und wenn gerade dieses Beispiel dazu verlocken könnte, etwa die Verschiedenheitsrelation als das hier in Betracht kommende reale Verhältnis zu betrachten, so wird schon die kurze Betrachtung eines Urteils wie "gewisse Funktionen sind nicht differenzierbar" von dem Vergeblichen eines solchen Versuches überzeugen. So kam man dazu, die Negation überhaupt als "kein reales Verhältnis", sondern lediglich als eine "Beziehungsform des Bewußtseins" (20) zu betrachten. Die Negation soll etwas rein Subjektives sein, nach SIGWART und einer Reihe anderer neuerer Logiker ein Akt des Verwerfens. Wenn jedoch auch zugegeben werden kann, daß in der negativen Überzeugung von einem positiven Sachverhalt die Negativität rein der Bewußtseinsseite angehört, so scheitert doch jener Versuch an den Fällen, wo eine positive Überzeugung sich auf Negatives richtet. Die Möglichkeit solcher Fälle ist evident; die Logik hat nicht die Aufgabe, sie umzudeuten, sondern ihnen gerecht zu werden.

Genauso wie die Behandlung des negativen Urteils eine Aufklärung des Urteilsbegriffs überhaupt zur Voraussetzung hatte, müssen wir jetzt das Wesen des gegenständlichen Urteilskorrelates überhaupt untersuchen, bevor wir uns über das negative Korrelat klar werden können. Wir werden auch jetzt diese Untersuchung nur soweit führen können, wie es für unsere speziellen Zwecke unerläßlich ist.

Wir wissen bereits, daß zwischen der "Bewußtseinsseite" des Urteils und dem Gegenständlichen, auf das sie sich bezieht, Wesenszusammenhänge bestehen derart, daß keineswegs jeder intentionale Akt zu jedem beliebigen Gegenständlichen paßt, sondern daß beiderseits notwendige Zuordnungsverhältnisse vorhanden sind. So ist es evident unmöglich, daß sich eine Überzeugung auf einen Ton, eine Farbe, ein Gefühl oder ein Ding der Außenwelt bezieht; und ebenso unmöglich ist es, einen Ton oder ein Ding usw. zu behaupten. Oder wenn wir aus der Sphäre der realen Gegenstände in die der ideellen, d. h. der außerzeitlichen Gegenstände übergehen: Was sollte es heißen, eine Zahl oder einen Begriff oder etwas dgl. zu glauben oder zu behaupten? In welchem Sinn wir auch den Urteilsbegriff nehmen mögen, es kann sich wesensgesetzlich ein Urteil niemals auf diese Art von Gegenständlichkeiten beziehen, welche wir ganz verständlich als (reale oder ideelle) Gegenstände bezeichnen können.

BRENTANO und seine Anhänger freilich scheinen anderer Ansicht zu sein. Nach ihnen kann jedes beliebige Gegenständliche geurteilt, d. h. "anerkant" oder "verworfen" werden, ein Baum oder ein Ton oder dgl. Hier zeigt es sich, wie notwendig jene begrifflichen Sonderungen waren, welche wir im Beginn dieser Darlegungen vorgenommen haben. Solange man mit einem so vieldeutigen Terminus, wie dem des Anerkennens operiert, ist es möglich, ihn einem beliebigen Gegenständlichen zuzuordnen. Es gibt ja in der Tat einen Sinn des Anerkennens oder Billigens, in dem es sich wertend oder zustimmend auf Gegenstände, auf Handlungen oder Sätze z. B. beziehen kann. Scheiden wir aber alle fremden Bedeutungen aus und heben das heraus, was wirklich als echtes Urteilen in Anspruch zu nehmen ist, die Überzeugung und das Behaupten, so wird sich niemand der Erkenntnis verschließen, daß sich diese intentionalen Gebilde ihrem Wesen nach niemals auf Gegenstände wie Farben oder Dinge oder Erlebnisse und dgl. beziehen können. So stehen dann auch BRENTANO und seine Anhänger in dieser Hinsicht ziemlich allein. Herrschend in der Logik ist seit ARISTOTELES die Ansicht, daß Gegenstandsbeziehungen im Urteil gesetzt werden. Un in der Tat liegt es ja sehr nahe: Wenn Gegenstände nicht geurteilt werden können, so scheinen nur Relationen von Gegenständen als Urteilskorrelate übrig zu bleiben.

So verbreitet nun auch diese Ansicht ist, einer näheren Prüfung hält sie keineswegs stand. Wir brauchen dazu nicht in eine eigene Relationsuntersuchung einzutreten; es zeigt uns das schon eine kurze Erwägung. Nehmen wir Relationen, wie die der Ähnlichkeit oder Verschiedenheit, des Links oder Rechts, so gibt es allerdings Urteile, in denen solche Relationen geglaubt bzw. behauptet zu werden scheinen: "A ist B ähnlich" oder "A ist links von B". Daneben aber gibt es einen und gerade den häufigsten Typus von Urteilen, bei denen wir eine solche Relation auf der gegenständlichen Seite durchaus nicht finden können, so die Urteile der Form: "A ist b". Nehmen wir als Beispiel das Urteil: "die Rose ist rot". Hier müßte nach der traditionellen Lehre eine Relation zwischen der Rose und dem Rot geurteilt sein, offenbar aber ist das gar nicht der Fall. Natürlich gibt es solche Relationen, und sie können auch in Urteilen auftreten: "Die Rose substituiert dem Rot"; "das Rot ist der Rose inhärent". Hier haben wir die eigenartigen, konversen Relationen der dinglichen Subsistenz und Inhärenz. Sie werden aber in dem Urteil "die Rose ist rot" sicherlich nicht gesetzt. Man darf sich nicht täuschen lassen durch die nahe gegenseitige Verwandtschaft unserer drei Urteile. Gewiß liegt ihnen allen derselbe sachliche Tatbestand zugrunde, aber sie fassen diesen Tatbestand in verschiedener Weise und nach verschiedener Richtung auf. Daß bei der Existenz des zugrunde liegenden Tatbestandes alle drei verschiedenen Urteile möglich sind, ändert nichts an ihrer Verschiedenheit. Wie die Urteile "A ist links von B" und "B ist rechts von A" verschieden sind, wenngleich ihnen ein genau identischer Tatbestand zugrunde liegt, so die Urteile "die Rose subsitutiert dem Rot" und "das Rot inhäriert der Rose". Und beide wiederum sind bedeutungsverschieden von dem auf denselben Tatbestand gegründeten Urteil: "die Rose ist rot". Nur in den beiden ersten Urteilen finden sich Relationen auf der gegenständlichen Seite; das dritte Urteil weist bei vorurteilsloser Betrachtung nicht von einer Relation auf (21). Wie aber läßt sich nun das gegenständliche Korrelat dieses Urteils, das "rot-sein-der-Rose" - welches wir als Beispiel für die Form "b-sein des A" einsetzen können - näher bestimmen?

Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß wir das Rotsein der Rose scharf unterscheiden müssen von der roten Rose selbst. Die Aussagen, die von dem einen gelten, gelten nicht vom anderen. Die rote Rose steht im Garten, sie kann welken; das Rotsein der Rose steht weder im Garten, noch hat es Sinn, von seinem Verwelken zu reden. Man ist sehr geneigt, hier von bloß sprachlichen Argumentationen zu reden und den Vorwurf zu erheben, Eigentümlichkeiten der Sprache seien verwechselt mit Eigentümlichkeiten der Sachen. Es liegt uns sehr fern, solche Verwechslungen, wo sie wirklich vorliegen, zu verteidigen. Immerhin sollte man mit solchen Vorwürfen etwas vorsichtiger sein, man sollte sie insbesondere niemals erheben, bevor man sich überlegt hat, was "bloße Eigentümlichkeiten des Sprachgebrauchs" eigentlich sind. KANT spricht davon, daß er irgendein Problem "vor" unberechtigt hält, heute verbietet uns das der Sprachgebrauch. Nehmen wir an, jemand handelt diesem oder anderen Geboten des Sprachgebrauchs zuwider. Dann würde man ihm allenfalls vorwerfen, daß er sich sprachungebräuchlich ausdrückt, niemals aber würde das, was er sagt, um des ungebräuchlichen Ausdrucks willen falsch sein, wenn es sonst richtig ist, oder richtig, wenn es sonst falsch ist. Die Bedeutung der Sätze wird ja durch den Ausdruck nicht berührt, es handelt sich hier wirklich nur um einen "bloßen Unterschied der Worte". Ganz anders liegt die Sache, wenn wir die Urteile "die rote Rose steht im Garten" und "das Rot-sein der Rose steht im Garten" einander gegenüberstellen. Um "sprachliche" Unterschiede handelt ees sich da wirklich nicht. Das erste Urteil ist wahr, das zweite ist falsch, ist sogar unsinnig. Das Rot-sein einer Rose kann als solches nicht im Garten stehen, genauso wie etwa mathematische Formeln als solche nicht wohlriechend sein können. Damit ist aber gesagt daß das Rotsein der Rose so gut wie eine mathematische Formel etwas ist, das seine Forderungen und Verbote stellt, von dem Urteile gelten und nicht gelten. Will man da wirklich mit Unterschieden des Sprachgebrauchs kommen, will man wirklich sagen, zwischen dem Rotsein der Rose und der roten Rose besteht ein "bloßer Unterschied von Worten"; es sei nur "sprachungebräuchlich" zu sagen, das Rotsein der Rose steht im Garten? Was soll denn das für ein merkwürdiger Sprachgebrauch sein, der einen Ausdruck wie das Rotsein der Rose allgemein zuläßt und ihn nur dann verbietet, wenn er als Subjekt gewisser Urteile auftritt? Und vor allem: wie kann die Verletzung des Sprachgebrauchs ein sonst richtiges Urteil zu einem falschen oder gar unsinnigen machen? Es bedarf hier wirklich keiner weiteren Argumentationen mehr, soviele auch zu Gebote stehen mögen: der Satz "die rote Rose steht im Garten" ist richtig, der Satz "das Rotsein der Rose steht im Garten" ist falsch, mag er nun in deutscher, französischer oder chinesischer Sprache ausgedrückt sein. Damit ist aber bewiesen, daß die Subjektsgegenständlichkeiten in den beiden sonst gleichen Urteilen verschieden sein müssen, mit anderen Worten: daß die rote Rose etwas anderes ist als das Rotsein der Rose.

Im Grunde finden wird darin nur eine Bestätigung für das, was wir früher festgestellt haben: Da Dinge niemals behauptet oder geglaubt werden können, und da andererseits im Urteil "die Rose ist rot" das Rotsein der Rose als gegenständliches Korrelat fungiert, so muß dieses Korrelat etwas anderes sein als die rote Rose selbst, dieses Ding der Außenwelt. Wir wollen es künftig als einen Sachverhalt bezeichnen. Dieser Name hat sich uns bisher schon ganz ungezwungen eingestellt; er ist auch in der Tat am Besten geeignet für gegenständliche Gebilde der Form "b-sein des A" verwendet zu werden (22). So haben wir also von den Gegenständen in einem engeren Sinn, seien sie nun realer Natur, wie Dinge, Töne, Erlebnisse, oder ideeller Natur, wie Zahlen oder Sätze oder Begriffe, als eine Gegenständlichkeit ganz anderer Natur die Sachverhalte zu unterscheiden. Wir kennen bisher nur eine Eigentümlichkeit der Sachverhalte: sie sind im Gegensatz zu den Gegenständen dasjenige, was im Urteil geglaubt bzw. behauptet wird (23). Wir wollen dem noch ein paar weitere Bestimmungen hinzufügen.

Der Unterschied zwischen der Beziehung von Grund und Folge und der zwischen Ursache und Wirkung ist heute Gemeingut in der Philosophie geworden. Es ist aber zu beachten, daß es sich hier nicht nur um einen Unterschied der beiderseitigen Relationen handelt, sondern daß auch eine prinzipielle Verschiedenheit der Glieder besteht, welche in den Relationen stehen. Die Bewegung einer Kugel ist Ursache der Bewegung der zweiten; hier fungiert ein dingliches Geschehen als Ursache eines anderen. Dagegen können Dinge, dingliche Vorgänge oder Zustände niemals in der Eigenschaft von Grund und Folge auftreten. Man kann sogar ganz allgemein sagen: Gegenstände überhaupt können niemals Grund und Folge sein. Ein Ding oder ein Erlebnis oder eine Zahl etwa kann unmöglich etwas begründen, aus ihm kann nichts folgen. Allenfalls kann die Existenz eines Dings oder Erlebnisses als Grund fungieren. Die Existenz eines Gegenstandes ist selbst kein Gegenstand, sondern ein Sachverhalt. Stets sind Sachverhalte und können nur Sachverhalte Grund und Folge sein. Daß sich etwas so oder so "verhält", ist Grund für einen anderen Sachverhalt, der daraus folgt; daraus, daß alle Menschen sterblich sind, folgt die Sterblichkeit des Menschen Caius.

So gewinnen wir als eine weitere Bestimmung der Sachverhalte, daß sie und ausschließlich sie in der Beziehung von Grund und Folge stehen. (24) Alles, was uns in der Wissenschaft oder im täglichen Leben als Begründungszusammenhang entgegentritt ist ein Zusammenhang von Sachverhalten. Das gilt auch für die Zusammenhänge, welche man unter dem Namen der Schlußgesetze zusammenzufassen pflegt; sie sind, richtig aufgefaßt, nichts anderes als allgemeine gesetzmäßige Beziehungen von Sachverhalten. Die fundamentalen Folgen, welche aus dieser Einsicht für den Aufbau der Logik erwachsen, liegen auf der Hand. In diesem Zusammenhang geht unser Interesse in eine andere Richtung (siehe weiter unten).

Die verschiedenartigen Schlußgesetze, welche die traditionelle Logik herauszuheben pflegt, müssen, wenn die Schlußgesetze als Sachverhaltszusammenhänge aufzufassen sind, in der Verschiedenartigkeit der Sachverhalte ihren Grund haben. Nach zwei Seiten wollen wir solche Verschiedenartigkeiten betrachten. Sachverhalte können sich zunächst nach der Modalität unterscheiden. Neben dem schlichten Sachverhalt "b-sein des A" gibt es ein wahrscheinlich "b-sein des A", ein möglicherweise "b-sein des A" usw. Wir können hier auf die eigentümliche Natur dieser Modalitätsunterschiede nicht eingehen. Das für uns Wichtige ist, daß es wiederum Sachverhalte und nur Sachverhalte sind, welche solche Modalitäten annehmen können (25). Ein Gegenstand kann schlechterdings nicht wahrscheinlich sein, eine solche Prädikation hätte bei ihm keinen Sinn, und wo man trotzdem von einer solchen Wahrscheinlichkeit, etwa einer Wahrscheinlichkeit von Dingen, redet, so ist das nichts als ein unadäquater Ausdruck. Man hat die Wahrscheinlichkeit der Existenz von Dingen oder der Existenz gewisser dinglicher Vorkommnisse im Auge, d. h. aber nichts anderes als die Wahrscheinlichkeit von Sachverhalten. Ein wahrscheinlicher Baum dagegen oder eine unwahrscheinliche Zahl sind evidentermaßen unmöglich, und zwar nicht, weil es sich gerade um einen Baum oder eine Zahl handelt, sondern weil die Gegenstandsform als solche Modalitäten ausschließt, wogegen sie die Sachverhaltsform ganz allgemein und wesentlich zuläßt.

Nach einer anderen Richtung hin unterscheiden sich die Sachverhalte in positive und kontradiktorisch-negative. Auch das ist ein Unterschied, wie wir ihn in der Welt der Gegenstände niemals antreffen können. Neben dem "b-sein des A" gibt es ein "nicht b-sein des A". Beide Sachverhalte sind einander kontradiktorisch; der Bestand des einen schließt den Bestand des anderen aus. Dagegen gibt es neben dem Ton c keinen nicht-c, und nebem einem Rot kein negatives Rot. Allerdings redet man von negativen Stellungnahmen. Aber positive und negative Stellungnahme, Liebe und Haß z. B. sind einander zwar entgegengesetzt, jedoch nicht kontradiktorisch-widersprechend. Nur wenn dasselbe Subjekt derselben Sache gegenüber entgegengesetztes Stellungnahmen vollzieht, können wir von einer inneren Uneinstimmigkeit oder einem "sich Widersprechen" dieses Subjekts reden. Hier ist aber von Widerspruch in einem offensichtlich anderen Sinn die Rede. Das uns hier interessierende Verhältnis logisch-kontradiktorischer Positivität und Negativität gibt es allein in der Sphäre der Sachverhalte (26).

Positiver und negativer Sachverhalt sind einander durchaus koordiniert. Existiert irgendwo eine rote Rose, dann sind mit der Existenz dieses Dings beliebig viele - positive und negative - Sachverhalte gegeben. Die rote Rose existiert, die Rose ist rot, das Rot inhäriert der Rose; die Rose ist nicht weiß, nicht gelb usw. Die rote Rose, dieser dingliche Einheitskomplex ist der allen diesen Sachverhalten zugrunde liegende Tatbestand. Bei ihm reden wir von Existenz, bei den auf ihm basierten Sachverhalten besser von Bestand (27). Es ist zu beachten, daß im Begriff des Sachverhaltes sein Bestand keineswegs als wesentliches Moment eingeschlossen liegt. Genauso wie wir die (realen oder ideellen) Gegenstände von ihrer (realen oder ideellen) Existenz trennen und ohne weiteres anerkennen, daß gewisse Gegenstände, wie goldene Berge oder runde Vierecke nicht existieren, oder sogar überhaupt nicht existieren können, so trennen wir auch die Sachverhalte von ihrem Bestand und reden von Sachverhalten, wie dem "golden-sein von Bergen" oder dem "rund-sein von Vierecken", die bestehen oder nicht bestehen können (28). Insofern liegt eine weitgehende Analogie zwischen Gegenstand und Sachverhalt vor; dann aber tritt sofort eine fundamentale Verschiedenheit hinzu: wo ein Sachverhalt nicht besteht, da besteht notwendig sein kontradiktorisch entgegengesetzter Sachverhalt. Für nichtexistierende Gegenstände dagegen gibt es entsprechende gegenständliche Existenzen nicht. Das Verhältnis kontradiktorischer Positivität und Negativität mit allem, was in ihm gesetzmäßig gegründet ist, hat eben nur auf dem Gebiet der Sachverhalte seine Stelle.

Bis jetzt gelten uns die Sachverhalte als das, was im Urteil geglaubt und behauptet wird, was im Zusammenhang von Grund und Folge besteht, was Modalitäten besitzt, und was im Verhältnis kontradiktorischer Positivität und Negativität steht. Diese Bestimmungen reichen insofern aus, als jedes Gebilde, für welches sie zutreffen, notwendig einen Sachverhalt darstellt. Schulgemäße Definitionen des Sachverhaltes sind sie freilich nicht, aber es fragt sich, ob Definitionen für solche letzte gegenständliche Gebilde (29), wie "Sachverhalt", "Ding" oder "Vorgang", überhaupt möglich sind, und was sie, falls sie möglich wären, zu leisten vermögen. Das was uns in solchen Problemzusammenhängen einzig zu fördern vermag, ist, daß wir solche Gebilde aus der Sphäre bloßen Meinens oder inadäquaten Vorstellens heraus uns so nah wie möglich rücken.

Das führt uns auf die Frage, wie uns eigentlich Sachverhalte zur Gegebenheit kommen. Zunächst ergeben sich hier ja offenbar eigentümliche Schwierigkeiten. Nehmen wir unser Beispiel vom Rotsein der Rose. Ich sage doch und jedermann sagt es ebenso, daß ich das Rotsein der Rose "sehe" und ich meine damit - nicht etwa, daß ich die Rose oder das Rot sehe, sondern ich meine das von der roten Rose evident Verschiedene, welches wir als den Sachverhalt bezeichnen. Aber hier stellen sich uns Bedenken entgegen, sobald wir versuchen, uns von der Berechtigung dieser Redeweise zu überzeugen. Ich sehe vor mir die Rose, ich sehe auch das Rotmoment, welches sich an ihr befindet. Aber damit scheint doch erschöpft zu sein, was ich sehe. Ich mag meine Augen noch so scharf anstrengen, ein Rotsein der Rose kann ich auf diese Weise nicht entdecken (30). Und noch weniger kann ich negative Sachverhalte sehen, das nicht-weiß-sein der Rose oder dgl. Und doch meine ich etwas ganz Bestimmtes, wenn ich sage, "ich sehe, daß die Rose rot ist" oder "ich sehe, daß sie nicht weiß ist". Das ist ja keine leere Redensart, sondern stützt sich auf Erlebnisse, in denen uns solche Sachverhalte wirklich gegeben sind. Allerdings müssen sie in anderer Weise gegeben sein als die Rose und ihr Rot. So ist es in der Tat. Indem ich die rote Rose sehe, "erschaue" ich ihr Rotsein, wird es von mir "erkannt". Gegenstände werden gesehen oder geschaut, Sachverhalte dagegen werden erschaut oder erkannt. Man darf sich nicht beirren lassen durch die Redeweise, welche auch Gegenstände erkannt sein läßt, etwa "als" Menschen oder Tiere. Hier liegt eine leich zu durchschauende Äquivokation zugrunde. Dieses Erkennen im Sinne der begrifflichen Fassung ist etwas ganz anderes als das Erkennen im Sinne des Sachverhaltes-Erschauens. Auch in den angeführten Fällen werden keineswegs die Gegenstände in unserem Sinn erkannt, sondern allenfalls das Menschsein oder Tiersein dieser Gegenstände.

Diese Erwägungen gestatten ohne weiteres eine Verallgemeinerung auf alle Urteile, die aufgrund sinnlicher Wahrnehmung gefällt werden. Ob hier von Sichtbarem, Hörbarem oder Riechbarem die Rede ist, die entsprechenden Sachverhalte werden nicht gesehen oder gehört oder gerochen, sondern sie werden erkannt. Aber auf diese Sphäre von Urteilen brauchen wir uns keineswegs zu beschränken. Nehmen wir ein beliebiges anderes Urteil, etwa "2 x 2 = 4", so müssen wir auch hier unterscheiden, wie uns die im Urteil vorkommenden Gegenstände, die 2 und die 4 etwa, gegeben sind, und die Art und Weise, wie uns der ganze Sachverhalt gegeben ist. Zahlen werden sicherlich nicht sinnlich wahrgenommen, aber es ist darum doch voreilig, ihnen jede wahrnehmungsmäßige oder, um einen sachgemäßeren Ausdruck zu wählen, jede anschauliche Gegebenheit abzustreiten. Auch Zahlen können uns je vorstellig werden. Ich kann mir an zwei beliebigen einzelnen Gegenständen klar machen, was die Zahl zwei ist; ich blicke dann auf die Zweiergruppe hin, aber meine Intention gilt letztlich nicht ihr selbst, vielmehr bringe ich mir an ihr die Zwei zur anschaulichen Gegebenheit. Wir können diese sehr wichtigen Fälle anschaulichen Vorstellens ideeller Gegenstände hier nicht näher untersuchen. HUSSERL hat sie eingehend besprochen und bei ihnen von einer "kategorischen Anschauung" gesprochen (31). Wie von der sinnlichen, so müssen wir auch von der kategorialen Vorstellung von Gegenständen das echte Erkennen von Sachverhalten unterscheiden. Es ist ja ohne weiteres klar: die Art wie uns die Zwei und die Vier gegeben sind, ist eine ganz andere als die, in der wir das Gleichsein von 2 x 2 und 4 erfassen. Den Sachverhalt erkennen wir; die Zahlen werden geschaut, können aber ihrer Natur nach niemals erkannt werden. Wir können ganz allgemein sagen: Das Gegenständliche, welches die Elemente der Sachverhalte bildet, wird wahrgenommen, wird gesehen, gehört oder kategorial erfaßt. Und aufgrund dieser "Vorstellungen" werden die Sachverhalte selbst in eigentümlichen neuen Akten erkannt. Die dem Erkennen zugrunde liegenden Vorstellungen sind verschieden je nach der Art des betreffenden Gegenständlichen. Das auf ihnen aufgebaute Erkennen der Sachverhalte aber läßt eine Differenzierung dieser Art nicht zu.

So haben wir eine weitere Bestimmung für Sachverhalte gewonnen: sie und nur sie werden erkannt in dem eigentümlichen, von uns erörterten Sinn. Es soll damit nicht gesagt sein, daß ein Sachverhalt uns nicht anders vorstellig werden kann, als da, wo ein Akt des Erkennens vorliegt. Wir wollen im Gegenteil noch besonders hervorheben, daß es ein bloßes Vergegenwärtigen von Sachverhalten gibt, welches von keinem Erkennen begleitet ist. Ich kann mir aus der Erinnerung das Rotsein der Rose vergegenwärtigen, ohne daß ich die Rose selbst wahrnehme. Wie das Erkennen des Sachverhaltes sich auf eine echte Wahrnehmung des Dinges gründet, so gründet sich diese Vergegenwärtigung des Sachverhaltes auf eine bloße Vergegenwärtigung desselben Dinges. In der Vergegenwärtigung des Dings-ansich habe ich noch nicht die des Sachverhaltes. Wir haben ja gelernt, Dinge und Sachverhalte durchaus zu unterscheiden, und wir wissen, daß zu demselben Dingtatbestand eine ganze Fülle bestehender Sachverhalte gehört. Aufgrund der Vergegenwärtigung desselben Dinges kann ich mir das Rotsein einer Rose, das "nicht-gelb-sein" derselben Rose usw. vergegenwärtigen. (32) Es handelt sich offenbar wieder um das, was HUSSERL eine kategoriale Anschauung nennt, d. h. um eine anschauliche Vorstellung, die selbst keine sinnliche ist, wohl aber letztlich in einer sinnlichen ihre Fundierung findet. Daß die Sachverhaltsvergegenwärtigung kein Erkennen ist, ist unmittelbar evident. Sie spielt jedoch in erkenntnistheoretischer Beziehung eine wichtige Rolle, insofern es ihr häufig zukommt, das Satz-"Verständnis" und damit in vielen Fällen die Sachverhaltserkenntnis zu vermitteln. Wir können diese Zusammenhänge hier nicht weiter verfolgen; uns kommt es nur darauf an, den Akt des Erkennens von allen anderen Akten, in denen wir uns auf Sachverhalte intentional beziehen, zu trennen. (33)

Erkennen ist nicht das Vergegenwärtigen, es ist aber selbstverständlich auch nicht das Behaupten eines Sachverhalts. Dem Erkennen ist es ja wesentlich, daß in ihm der korrelate Sachverhalt für uns da ist in einem prägnanten Sinn, im Behaupten dagegen ist er bloß vermeint. Das Erkennen ist sehend, das Behaupten als solches ist blind. Die deskriptive Verschiedenheit beider Akte ist zu unmittelbar deutlich, als daß wir näher darauf einzugehen brauchten. Näher liegen könnte vielleicht auf den ersten Blick eine Verwechslung des Erkennens mit der Überzeugung. Auch bei der Überzeugung, soweit sie für uns in Betracht kommt, ist ja der geglaubte Sachverhalt vorstellig. Aber gerade die letzten Erwägungen, welche wir angestellt haben, zeigen uns deutlich die absolute Unterschiedenheit der beiden. Nehmen wir an, ich vergegenwärtige mir das Rotsein einer Rose, das ich früher einmal erkannt habe. Ich bin von ihm genauso wie früher überzeugt; hier ist die Überzeugung von einem vorstellig gemachten Sachverhalt vorhanden, aber ein Erkennen liegt jetzt gewiß nicht vor. Aber auch da, wo Erkennen und Überzeugung nebeneinander vorhanden sind, ist ihre Verschiedenheit unverkennbar. Ich erkenne das Rotsein der Rose; in der Erkenntnis präsentiert sich mir der Sachverhalt, und aufgrund der Erkenntnis erwächst in mir die Überzeugung, der Glaube an ihn. Die Überzeugung ist in diesem Fall in der Erkenntnis fundiert; sie ist meine Stellungnahme zu dem - meine Quittung sozusagen über das, was mir die Erkenntnis darbietet. Über die deskriptive Verschiedenheit der beiden klärt im Übrigen schon die Beobachtung auf, daß die Gewißheitsabstufungen, welche von der Überzeugung zum Zweifel führen, beim Erkennen überhaupt keine Stelle haben, und daß ferner das Erkennen, genauso wie das Behaupten, im Gegensatz zur zuständlichen Überzeugung durchaus punktueller Natur ist. Behauptung und Überzeugung tragen den Namen des Urteils. Wir sehen jetzt, daß wir Urteilen und Erkennen auf das schärfste voneinander unterscheiden müssen (34). Und wir sehen ferner, daß die einem vorgestellten Sachverhalte gegenüber erwachsende Überzeugung, welche wir früher als einen Typus des Urteils von anders gearteten Überzeugungen abgeschieden haben, sich des Näheren als eine im Erkennen von Sachverhalten fundierte Überzeugung charakterisiert. Daß der Sachverhalt dasjenige ist, was geglaubt und behauptet wird, war die erste, daß er das ist, was erkannt wird, ist die letzte Bestimmung, die wir ihm geben.

Im Streit darüber, ob beliebige Gegenständlichkeiten, oder nur Relationen geurteilt werden können, haben beide Parteien Unrecht. Man hat jendes dritte Gebilde verkannt - den Sachverhalt - welches weder Gegenstand ist noch Relation und welches wesensgesetzlich allein das intentionale Korrelat für Urteile abgeben kann. Man wird nun fragen, wie es denn mit Urteilen steht wie "A inhäriert dem B" oder "A ist dem B ähnlich". Wenn auch zugegeben wird, daß im Urteil "A ist b" keine Relation geurteilt wird, so scheint es sich in diesen Fällen doch anders zu verhalten. Es ist nicht schwer, solche Zweifel zur Entscheidung zu bringen. Das Ähnlich-sein von A und B ist etwas, das behauptet, geglaubt, erkannt werden kann, das Modalitäten annehmen kann usw. Es ist also sicherlich ein Sachverhalt. Bezeichnet man es und andere Sachverhalte gleicher Form als Relationen, so ist zu sagen: es gibt Sachverhalte, die Relationen sind und andere, wie das "b-sein eines A", welche es nicht sind. Demgemäß gehen auch die Urteile bald auf Relationen bald auf Nichtrelationen; aber auch da, wo sie auf Relationen gehen, wird diese intentionale Beziehung dadurch, daß diese Relationen Sachverhalte sind, und nicht dadurch daß sie Relationen sind, vermittelt.

Ein Wort ist hierzu allerdings noch zu sagen. Der Terminus Relation ist keineswegs eindeutig. Sowohl das links und rechts, oben und unten usw. wird so genannt, als auch das links-sein, das oben- und unten-sein usw. Beides aber ist grundverschieden. Nur das zweite ist ein - allerdings ergänzungsbedürftiger - Sachverhalt; das erste verhält sich zu ihm wie das Rot zum Rotsein. Weder das Rot noch das links kann negiert werden oder Modalitäten annehmen, wohl aber das Rotsein und das Linkssein. Bei gewissen Relationen, wie der Ähnlichkeits- oder der Inhärenzrelation wird dieser Unterschied verdeckt durch die zweideutigen Namen "Ähnlichkeit" und "Inhärenz". Die Ähnlichkeit und Inhärenz können einmal das ähnlich-sein und inhärent-sein (= inhärieren) bedeuten; in diesem Sinn reden wir davon, daß eine Ähnlichkeit von A und B behauptet oder geglaubt wird. Oder sie können das bedeuten, wodurch das "Sein" im Sachverhalt (welches selbstverständlich nicht mit seinem Bestand verwechselt werden darf (35)) zum Ähnlichsein oder Inhärentsein bestimmt wird, also das "ähnlich" oder "inhärent". In diesem Sinn reden wir davon, daß A mit B Ähnlichkeit hat. Genauso, wie wir den Satz "A ist rot" umwandeln können in den anderen "A hat Röte", wobei Röte durchaus nicht Rotsein bedeutet, sondern nichts weiter ist als die Substantivierung von Rot, so können wir auch den Satz "A ist dem B ähnlich" umwandeln in den anderen "A hat mit B Ähnlichkeit"; und auch hier bedeutet Ähnlichkeit nicht ähnlich-sein - was sollte es auch heißen, daß das A ein Ähnlichsein hat -, sondern es ist die einfache Substantivierung des "ähnlich".

So sehen wir: es gibt Relationen in zweierlei Sinn: nach dem einen sind die Relationen zugleich Sachverhalte, nach dem zweiten sind sie es niemals. Wir wollen hier unentschieden lassen, welcher Sinn dem Ausdruck zweckmäßiger zuzuordnen ist (36). Nur für unseren Gedankenzusammenhang wollen wir die Konsequenz ziehen: nehmen wir Relation im zweiten Sinn, so können Relationen niemals geurteilt werden, da sie dann ja niemals Sachverhalte sind. Man könnte dann die Sachverhalte einteilen in solche, in denen Relationen als gegenständliche Elemente enthalten sind - wie das Ähnlichsein von A und B - und solche, bei denen das nicht der Fall ist - wie das Rotsein einer Rose. (37)

Wir haben nun die Mittel gewonnen, um unsere Ausgangsfrage zu beantworten. Wir gingen aus von der positiven Überzeugung, welche sich auf Negatives richtet, und sprachen von den Schwierigkeiten, die man hier gefunden hat. Diese Schwierigkeiten sind unvermeidlich für die traditionelle Auffassung, welche Relationen als intentionale Korrelate von Urteilen fungieren läßt. Diese Ansicht konnte sich solange in der Sphäre des Positiven behaupten, weil einerseits manche Sachverhalte in der Tat als Relationen betrachtet werden können, und andererseits bei den übrigen, wie etwa dem Rotsein einer Rose, die Umdeutung in eine Relation zwar irrig, aber doch mangels näherer Analyse möglich ist. Ganz anders beim Negativen; hier ist es ja gar zu deutlich, daß mit dem "nicht-b-sein des A" keine Relation zwischen A und b geurteilt wird. So ist es ganz verständlich, daß einsichtige Logiker bemüht waren, die Negation von der gegenständlichen Seite in die "Bewußtseinsseite" zu verlegen. Wir haben gesehen, daß dieser Versuch an der positiven Überzeugung von Negativem scheitert. Für uns ist es nun nicht schwer, dieser Sachlage gerecht zu werden. Das Negative, worauf sich die positive Überzeugung vom "nicht-b-sein eines A" bezieht, ist allerdings weder ein Gegenstand noch eine Relation, sondern es ist ein negativer Sachverhalt. Die negativen Sachverhalte bestehen genau in demselben Sinn und genau mit derselben Objektivität wie die positiven Sachverhalte. Eine subjektivierende Umdeutung der Negativität ist hier weder notwendig noch möglich. Neben der negativen Überzeugung von positiven Sachverhalten steht nun in gleicher Berechtigung die positive Überzeugung von negativen Sachverhalten; beide können den Namen negatives Urteil tragen. (38)

Eine negative Überzeugung von positiven Sachverhalten und die positive Überzeugung von negativen Sachverhalten sind nach den bisherigen Ausführungen der positiven Überzeugung von positiven Sachverhalten durchaus koordiniert. Blicken wir aber auf die Voraussetzungen, unter denen sie erwachsen, so zeigen sich bei beiden negativen Urteilen bemerkenswerte Eigentümlichkeiten gegenüber dem positiven. Wir haben diese Verhältnisse bisher nur gestreift; wir müssen sie jetzt etwas näher beleuchten. Positive Sachverhalte können, wie wir uns früher einmal ausgedrückt haben, "abgelesen" werden. Auf der sinnlichen Wahrnehmung eines Dings z. B. baut sich das Erkennen eines ihm zugeordneten Sachverhaltes und die positive Überzeugung auf. In dieser Weise kann niemals ein negativer Sachverhalt abgelesen werden, noch eine negative Überzeugung entspringen. Betrachten wir zunächst die negative Überzeugung.

Sie hat, wie wir früher bereits ausgeführt haben, zur psychologischen Voraussetzung eine intellektuelle Stellungnahme zum Sachverhalt, auf den sie sich bezieht, mag diese Stellungnahme nun in einer positiven Überzeugung, einer Vermutung, einer Frage oder dgl. bestehen. Mit ihr treten wir an einen dem ersten Sachverhalt widerstreitenden Sachverhalt heran. Indem wir nun diesen erkennen, und zugleich seinen Widerstreit mit dem ersten Sachverhalt erfassen, steht dieser erste Sachverhalt uns in einer ganz neuen Weise vor Augen, für die wir keinen passenden Ausdruck besitzen und auf welche wir zunächst nur hinweisen können. Der zweite Sachverhalt, welcher erkannt wird, steht uns in einer Weise gegenüber, die man als seine Evidenz charakterisieren kann: Im Erkennen wird uns dieser Sachverhalt evident (39). Erfassen wir nun den Widerstreit, in dem er erste Sachverhalt mit ihm steht, so gewinnt dieser jenes eigentümliche Ansehen, welches wir am verständlichsten wohl als negative Evidenz bezeichnen können. Erst aufgrund dieser negativen Evidenz erwächst in uns die diesbezügliche negative Überzeugung.

Denken wir ein Beispiel durch: Indem wir die uns umgebende Welt durchmustern, werden wir zwar zu der positiven Überzeugung kommen können, daß ein Gegenstand rot ist, aber nie zu der negativen, daß er gelb ist. Für das letztere ist Voraussetzung, daß ich den Sachverhalt in irgendeiner Weise, sei es fragend oder zweifelnd oder dgl. in Erwägung gezogen habe. Was geht nun vor, wenn wir aus dieser erwägenden Stellung zu einer abschließenden Überzeugung gelangen? Wir treten vor den Tatbestand in der existierenden Welt und erkennen, daß der Gegenstand rot ist. Indem dieser Sachverhalt uns dabei positiv evident ist, erfassen wir den Widerstreit, in welchem der in Erwägung gezogene Sachverhalt, das Gelbsein des Gegenstandes zu ihm steht, und damit gewinnt dieser zugleich jenes eigentümliche Gesicht, welches wir, um eine Benennung dafür zu haben, als negative Evidenz bezeichnet haben. Jetzt erst erwächst uns der Unglaube an diesen Sachverhalt.

Die negative Überzeugung steht also unter zwei Voraussetzungen: Es muß eine intellektuelle Stellungnahme zum zugehörigen Sachverhalt vorangehen; und es muß ferner das Erkennen eines widerstreitenden Sachverhalts und das Erfassen dieses Widerstreits stattfinden. Mit dem Ersten ist die Einstellung bezeichnet, welche die Voraussetzung des Zustandekommens des Urteils ist. Es ist von spezifisch psychologischem Interesse. Das Zweite ist dasjenige, aus dem die negative Überzeugung ihre Gewißheit und ihre Berechtigung schöpft. Es ist von spezifisch erkenntnistheoretischem Interesse; wir wollen es als das Fundament des negativen Urteils bezeichnen.

Wenden wir uns nun der positiven Überzeugung von negativen Sachverhalten zu. Auch sie steht unter ganz besonderen Voraussetzungen. Würden wir uns darauf beschränken, die Sachverhalte abzulesen, welche die Welt der realen und ideellen Gegenstände uns gibt, so würde uns niemals ein negativer Sachverhalt vorstellig werden. Gewisse intellektuelle Stellungnahmen sind auch hier Vorbedingungen. Ich muß dem negativen Sachverhalt als solchem mein Interesse zuwenden, ihn bezweifeln, in Frage stellen oder dgl., um ein Urteil über ihn zu gewinnen. Daß wir überhaupt zu dieser Stellungnahme kommen, ist verständlich, sobald einmal eine negative Überzeugung von einem positiven Sachverhalt vorhanden ist. Mit der positiven Überzeugung von einem negativen Sachverhalt ist diese ja so nah verwandt, daß psychologisch die eine sehr wohl an die Stelle der anderen treten kann.

Viel wichtiger als diese psychologischen Vorbedingungen ist die Tatsache, daß auch hier der Überzeugung ein kompliziertes Fundament zugrunde liegt. Wie die negative Überzeugung vom positiven Sachverhalt so setzt auch die positive vom negativen Sachverhalt das Erkennen eines anderen Sachverhalts voraus. Die Überzeugung, daß 3 nicht kleiner ist als 2, kann nur auf Grund des Erkennens erwachsen, daß 3 größer ist als 2. Gerade hier läßt sich nun aber auch die Verschiedenheit dieses Falles vom früheren deutlich bemerken. Früher wurde ein Sachverhalt erkannt, der mit dem geurteilten positiven in einem Widerstreit stehen mußte. Jetzt steht umgekehrt der geurteilte negative Sachverhalt - das nicht-kleiner-sein der 3 - mit dem erkannten Sachverhalt - dem größer-sein der 3 - einem Verhältnis notwendiger Verknüpfung und zwar derart, daß mit dem Bestehen des einen unmittelbar auch das Bestehen des anderen verbunden ist. Dem enstprechend ist der ganze Aufbau in unserem Fall ein anderer als früher. Indem wir die notwendige Verknüpfung des negativen Sachverhalts mit dem erkannten positiven Sachverhalt erfassen, wird auch dieser negative Sachverhalt erkannt, und auf den erkannten bezieht sich nun die positive Überzeugung. Früher war der (positive) Sachverhalt, auf den sich die (negative) Überzeugung bezog, negativ evident, insofern er im Widerstreit stand zu einem anderen, positiv evidenten Sachverhalt. Jetzt ist der (negative) Sachverhalt, auf den sich die (positive) Überzeugung bezieht, positiv evident, da er ja in einer notwendigen Verknüpfung steht zu einem anderen, positiv evidenten Sachverhalt.

Es gibt nun natürlich auch eine negative Überzeugung von einem negativen Sachverhalt, also ein in doppelter Hinsicht negatives Urteil. Psychologische Vorbedingung ist hier eine intellektuelle Stellungnahme zum betreffenden negativen Sachverhalt. Dem Fundament nach liegt der negativen Überzeugung von ihm - wie in allen diesen Fällen - das Erkennen eines positiven Sachverhalts zugrunde. Wie im ersten Fall, so muß auch hier dieser Sachverhalt dem geurteilten widerstreiten, aber es liegt hier ein besonders ausgezeichnetes Verhältnis des Widerstreits vor: die zwei Sachverhalte sind einander kontradiktorische (40).

Selbstverständlich handelt es sich hier überall nicht um empirische Zufälligkeiten, sondern um apriorische Wesenszusammenhänge. Wir können einigen derselben folgende vorläufige Formulierung geben: Jede positive Überzeugung von einem positiven oder negativen Sachverhalt setzt erkenntnismäßig deren positive Evidenz voraus. Jede negative Überzeugung von einem positiven oder negativen Sachverhalt setzt deren negative Evidenz voraus. Die positive Evidenz eines notwendig mit ihm verknüpften positiven Sachverhalts. Die negative Evidenz eines positiven oder negativen Sachverhaltes setzt die positive Evidenz eines widerstreitenden positiven Sachverhaltes voraus, welcher, wenn es sich um die negative Evidenz eines negativen Sachverhaltes handelt, allemal kontradiktorisch-widerstreitend ist.

Alle diese, teilweise nicht einfachen Verhältnisse bedürfen noch einer näheren Untersuchung.
LITERATUR - Adolf Reinach, Zur Theorie des negativen Urteils, in Alexander Pfänder (Hg), Münchener Philosophische Abhandlungen [Theodor Lipps zu seinem 60. Geburtstag gewidmet von früheren Schülern] Leipzig 1911.
    Anmerkungen
    17) Vgl. LIPPS, Leitfaden der Psychologie, Seite 230f.
    18) Dieser Ausdruck für das Urteil als solches im Unterschied zum Gegenständlichen, auf das es sich bezieht, ist ohne weiteres verständlich. Sachlich korrekter wäre es freilich, von der intentionalen Seite des Urteils zu reden. Ich muß hier auf die ausführliche Erörterung dieses wichtigen Punktes in meiner in Aussicht gestellten Schrift "Urteil und Sachverhalt" verweisen.
    19) WINDELBAND, a. a. O., Seite 169
    20) WINDELBAND, a. a. O., Seite 169
    21) Man könnte versuchen, sich statt an die Relationen der (dinglichen) Subsistenz und Inhärenz an die allgemeinere Relation der (dinglichen) Zugehörigkeit zu halten und sie unserem Urteil zuzuordnen. So meine MARBE (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 34, Seite 5), das Urteil, die Rose ist rot, beziehe sich auf die Zugehörigkeit von Rose und Rot. Aber wiederum müssen wir einwenden, daß die Urteile "die Rose ist dem Rot zugehörig" und "die Rose ist rot" bedeutungsverschieden sind. So ist das erste umkehrbar ("das Rot ist der Rose zugehörig"), das zweite nicht. Mag man auch solche Bedeutungsunterschiede als unerheblich bezeichnen, so macht doch diese Unerheblichkeit aus der Bedeutungsverschiedenheit keine Bedeutungsidentität. Wir sind der sicheren Überzeugung, daß man derartige Bedeutungsverschiebungen, so unerheblich sie in anderen Problemzusammenhängen tatsächlich sein mögen, auf das genaueste beachten muß, wenn die Fragen, die wir hier behandeln, einer Lösung zugeführt werden sollen.
    22) Bezüglich dieses Begriffs hat sich eine Kontroverse entsponnen; Literaturangaben finden sich bei MEINONG (Über Annahmen, Seite 98f). - In der Abhandlung "Erscheinungen und psychische Funktionen" bemerkt STUMPF, BRENTANO habe bereits von 3 Jahrzehnten in logischen Vorlesungen scharf hervorgehoben, daß dem Urteil ein spezifischer Urteilsinhalt entspricht, der vom Vorstellungsinhalt (der Materie) zu scheiden ist und sprachlich in "Daß - Sätzen" oder in substantivierten Infinitiven ausgedrückt wird. STUMPF selbst gebraucht, wie er mitteilt, für diesen spezifischen Urteilsinhalt bereits seit 1898 den Ausdruck Sachverhalt in seinen Vorlesungen. Es ist uns nicht bekannt, wie BRENTANO und STUMPF den Begriff des "Urteilsinhalts", bzw. "Sachverhalts" näher ausgestalten. Der Begriff des Urteilsinhalts, so wie er sich bei MARTY (vgl. besonders "Untersuchungen zur Grundlegung usw.") findet, weicht von der des Sachverhalts in unserem Sinne in allen wesentlichen Punkten ab. - - - Wir knüpfen hier an HUSSERLs "Logische Untersuchungen" an, in welchen die Eigenart und Bedeutsamkeit des Sachverhaltsbegriffs zum ersten Mal in der Literatur klar und nachdrücklich hervortritt. Unsere Bestimmungen decken sich teilweise mit denen, welche MEINONG und seine Schüler dem Objektbegriff geben; zum anderen Teil finden sich erhebliche Abweichungen. Der fundamentale Einwand, den man gegen MEINONG erheben muß, scheint mir der zu sein, daß sein Objektivbegriff die durchaus verschiedenen Begriffe von Satz (im logischen Sinne) und Sachverhalt ungeschieden enthält. Es genügt nicht, wie MEINONG es tut, den Satz als ein "erfaßtes, womöglich sogar ausgesprochenes, zumindest sozusagen in Worten formuliert vorliegendes Objektiv" zu bezeichnen (a. a. O., Seite 100). Ich muß jedoch zur Begründung dieser These auf spätere Ausführungen verweisen. - - - Im Folgenden beschränke ich mich darauf, die Stellen kurz zu bezeichnen, an denen ich mit HUSSERLs oder MEINONGs Ausführungen in einem übereinstimmenden oder abweichenden Sinn zusammentreffe.
    23) Ebenso, allerdings ohne innerhalb des Urteils die "Überzeugung" und die "Behauptung" zu unterscheiden, HUSSERL (a. a. O. I, Seite 12; II, Seite 48, 378, 416f usw.) und MEINONG (Über Annahmen, Seite 44, 46 usw.).
    24) Vgl. MEINONG, a. a. O, Seite 21, Anm. 6, Seite 216 und öfter, vgl. auch bereits HUSSERL, LU I, Seite 242, LU II, Seite 36f und öfter.
    25) Vgl. MEINONG, a. a. O, Seite 80f, auch schon HUSSERL, LU I, Seite 13f und 16.
    26) Von "kontradiktorischen Sachverhalten" bzw. "kontradiktorisch entgegengesetzten Objektiven" reden auch HUSSERL (LU I, Seite 91, 92) und MEINONG (a. a. O., Seite 93).
    27) Ebenso HUSSERL in terminologischer Fixierung LU II, Seite 598. Auch MEINONG redet bei seinen Objektiven von einem Bestand, aber auch bei Gegenständen, wie Zahlen, Gestalten usw., bei welchen wir von einer, wenn auch ideellen Existenz sprechen würden (a. a. O., Seite 63, 74). Daß MEINONG unter bestimmten Voraussetzungen auch von Wahrheit und Falschheit von Objektiven reden will, erklärt sich aus seiner schon berührten Konfundierung von Sachverhalt und Satz. Sachverhalte bestehen oder bestehen nicht. Sätze sind wahr oder falsch. - - - HUSSERL hat die Bezeichnungen wahr und falsch, die er im ersten Band seines Werkes noch mitunter auf Sachverhalte angewandt hat, im zweiten fallen lasen, nachdem sich die Scheidung zwischen Satz und Sachverhalt bei ihm durchgesetzt hat. Aber auch der Ausdruck "Gültigkeit", dessen er sich dort noch bedient, würde besser vermieden, da er ebenfalls im Gebiet der Sätze seine eigentliche Stelle hat. Volle Klarheit über die Termini "Wahrheit", "Bestand" und "Sein" bringt erst Seite 597f.
    28) Daß wir in der gewöhnlichen Rede unter Sachverhalt nur "tatsächliche Objektive", d. h. bestehende Sachverhalte zu verstehen pflegen (MEINONG, a. a. O., Seite 101), scheint mir kein hinreichender Grund zu sein gegen die Beibehaltung eines Terminus, der, wie MEINONG selbst ausführt, den Vorzug hat, "eine lebendige Bedeutung mitzubringen". (Über Urteilsgefühle: was sie sind und was sie nicht sind. Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 6, Seite 33)
    29) Unter "gegenständlichen Gebilden" und "Gegenständlichkeiten" verstehen wir in dieser Abhandlung sowohl Gegenstände als auch Sachverhalte.
    30) Vgl. dazu HUSSERL, LU II, Seite 416, ferner 609.
    31) HUSSERL, LU II, Seite 600f.
    32) Ob es neben der Sachverhaltsvergegenwärtigung auch die Wahrnehmung eines bestehenden Sachverhaltes gibt, ohne daß zugleich ein Erkennen vorliegt, ist eine Frage, deren Erörterung hier zu weit führen würde, die aber wohl zu bejahen ist.
    33) Wir können nach dem obigen MEINONG keineswegs darin zustimmen, daß Objektive nur durch Urteile und Annahmen "erfaßt" werden können (Über Annahmen, Seite 131f). Es gibt vielmehr ein (kategorial) Vergegenwärtigen, ein Meinen, ein Erkennen und noch eine Reihe anderer Akte, welche sich auf Sachverhalte erfassend beziehen.
    34) Es ist demnach nicht zulässig, wenn MEINONG das Erkennen als ein seiner Natur nach wahres Urteil bestimmt (Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie, Seite 18). Eine sich auf einem Akt des Erkennens aufbauende wahre Überzeugung ist selbst kein Erkennen. Und andererseits muß nicht jedes Erkennen ein wahres sein. Wenn ich von weitem das Herannahen eines Radfahreres erschaue, so liegt, rein deskriptiv gesprochen, ein Erkennen vor, auch wenn es sich in Wirklichkeit nicht um einen Radfahrer, sondern um eine Kuh handelt.
    35) So grundverschieden ist beides, daß die Bestimmung, welche AMESEDER ("Beiträge zur Grundlegung der Gegenstandstheorie" in den Untersuchungen zur Gegenstandstheorie usw., Seite 72) und MEINONG ("Über Annahmen", Seite 61) dem Objektiv geben: es sei etwas, was "Sein ist und Sein hat" meiner Meinung nach nur Verwirrung stiften kann. Übrigens lassen sich auch nicht alle Sachverhalte ohne Künstlichkeit als ein "Sein" darstellen. Man denke an die Sachverhalte, welche den Urteilen "es wird getanzt" oder "mich friert" entsprechen.
    36) AMESEDER schlägt für die Relationen im zweiten Sinn die Bezeichnung "Relate" vor. Vgl. im übrigen HUSSERL, LU II, Seite 609 und MEINONG, a. a. O., Seite 57f.
    37) Die Aufstellung AMESEDERs: "jedes positive Seinsobjektiv ist eine Relation" (a. a. O., Seite 75) ist demnach in keinem Sinn haltbar. Aber man muß noch einen Schritt weiter gehen, Nicht nur, daß es "Soseinsobjektive" (Sachverhalte der Form "b-sein des A") gibt, welche keine Relationen sind, es gibt auch Sachverhalte, die statt zwei oder drei gegenständlicher Glieder nur ein einziges aufzuweisen haben. Bei ihnen ist es auf den ersten Blick einleuchtend, daß von einer Relation keine Rede sein kann; zugleich zeigen sie, daß MEINONGs Einteilung der Sachverhalte in solche der Form "A ist" und "A ist B" (a. a. O., Seite 72) keine echte Disjunktion darstellt. Als Beispiele mögen die Sachverhalte "warm-sein", "glatt-sein" und dgl. dienen, die keineswegs in "Seinsobjektive" (Warm-sein irgendeiner Sache) umgedeutet werden dürfen. Diese eingliedrigen Sachverhalte können geglaubt und behauptet werden. Wir erhalten auf diese Weise die Urteile "es ist warm" und "es ist glatt". Von hier aus löst sich gleichsam mit einem Schlag die alte, vielverhandelte Frage nach dem Wesen der impersonalen Urteile. Die Durchführung des Gedankens behalte ich einer späteren Arbeit vor.
    38) Eine Logik, welche den Unterschied zwischen Urteil und geurteiltem Sachverhalt konsequent durchführt, wird allerdings kaum mehr dazu neigen, die Urteile nach den Sachverhaltseigentümlichkeiten zu klassifizieren.
    39) Unter Evidenz verstehe ich hier nicht ausschließlich den idealen Fall absoluter Selbstgegebenheit, sondern jede Gegebenheit von Sachverhalten in erkennenden Akten.
    40) Zu beachten ist, daß es sich bei diesen Ausführungen lediglich um ein unmittelbares Erkennen und eine unvermittelte Evidenz handelt. Bei negativen Urteilen, die aufgrund von Schlüssen gewonnen werden, liegen die Verhältnisse ganz anders.