ra-1cr-4 F. H. JacobiE. PfleidererA. RiehlK. F. Stäudlin    
 
DAVID HUME
Von den skeptischen und
anderen Systemen der Philosophie

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"Die Philosophie lehrt, daß alles, was sich dem Geist darstellt, lediglich eine Perzeption, also in seinem Dasein unterbrochen und vom Geist abhängig ist, während die Masse der Menschen Wahrnehmungen und Gegenstände identifiziert und eben den Dingen, die empfunden oder gesehen werden, eine gesonderte und dauernde Existenz beilegt. Da diese Anschauung vollkommen unvernünftig ist, so muß sie aus einem anderen Vermögen als dem Verstand stammen. Sie muß dies schon darum, weil wir, solange Wahrnehmungen und Objekte von uns identifiziert werden, gar nicht auf den Gedanken kommen können, von der Existenz der einen auf die Existenz der anderen zu schließen."

Zweiter Abschnitt
Vom Skeptizismus
in Bezug auf die Sinne

So kann der Skeptiker nicht umhin, weiter zu schließen und zu glauben, obgleich er versichert, daß er seine Erkenntnis nicht mit Vernunftgründen verteidigen kann. Er kann aus dem gleichen Grund auch nicht umhin, dem Satz, daß Körper existieren, zuzustimmen, obwohl er nicht behaupten kann, daß er seine Richtigkeit mit philosophischen Gründen zu erweisen vermag. Die Natur hat uns eben in dieser Hinsicht keine Wahl gelassen; sie hat diesen Punkt ohne Zweifel für einen Punkt von großer Wichtigkeit gehalten, ihn unseren unsicheren Schlußfolgerungen und Spekulationen preiszugeben. Wir können wohl fragen: Was für Ursachen veranlassen uns, an die Existenz von Körpern zu glauben. Dagegen wäre es umsonst zu fragen: Ob es Körper gibt oder nicht. Die Existenz der Körper ist ein Punkt, den wir in allen unseren Überlegungen als feststehend voraussetzen müssen.

Den Gegenstand unserer folgenden Untersuchung bilden eben die Ursachen, die uns veranlassen, an die Existenz von Körpern zu glauben. Ich beginne meine Erörterungen hierüber mit einer Unterscheidung, die auf den ersten Blick überflüssig erscheinen mag, die aber zum vollkommenen Verständnis des Folgenden wesentlich beitragen wird. Wir sollten jede der beiden folgenden Fragen, die gewöhnlich zusammengeworfen werden, für sich untersuchen, nämlich einmal die Frage: weshalb wir Gegenständen, auch wenn sie den Sinnen nicht gegenwärtig sind, doch eine Existenz, oder kurz: warum wir Gegenständen eine dauernde Existenz beilegen; und dann: weshalb wir annehmen, daß sie als etwas vom Geist und Bewußtsein Gesondertes existieren. Bei dieser gesonderten Existenz denke ich sowohl an ihren Ort, als an ihre (kausale) Beziehung zu uns, d. h. sowohl an ihr Dasein außerhalb von uns, als auch an die Unabhängigkeit ihrer Existenz und Tätigkeit vom Bewußtsein. Die beiden Fragen, die nach der dauernden und die nach der gesonderten Existenz der Körper, hängen ja freilich unmittelbar zusammen. Wenn die Gegenstände unserer Sinne fortfahren zu bestehen, auch während sie nicht wahrgenommen werden, so ist ihre Existenz natürlich eine von der Wahrnehmung unabhängige und gesonderte; und umgekehrt, wenn ihre Existenz eine von der Wahrnehmung unabhängige und gesonderte ist, so müssen sie fortfahren zu existieren, auch während sie nicht wahrgenommen werden. Obgleich aber danach die Beantwortung der einen Frage die der anderen in sich schließt, so wollen wir doch den gemachten Unterschied festhalten, weil uns dadurch die Auffindung der Faktoren der menschlichen Natur, welche bei ihrer Beantwortung in Betracht kommen, erleichtert wird. Wir wollen also im Folgenden zusehen, ob die Sinne oder die Vernunft oder die Einbildungskraft den Glauben, sei es an die dauernde, sei es an die gesonderte Existenz erzeugen. Es sind dies ja die einzigen verständlichen Fragen, die im Hinblick auf unseren Gegenstand gestellt werden können. Was die Ansicht anbelangt, daß außerhalb von uns Existierende sei etwas von unseren Wahrnehmungen spezifisch Verschiedenes, so haben wir deren Ungereimtheit bereits nachgewiesen. (1)

Um mit den Sinnen zu beginnen, so ist klar, daß diese Vermögen den Gedanken einer Existenz ihrer Gegenstände, auch nachdem die Gegenstände den Sinnen entschwunden sind, nicht entstehen lassen können. Dies wäre eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp]; es wäre dabei vorausgesetzt, daß die Sinne fortfahren zu wirken, auch wenn jede Art ihrer Tätigkeit aufgehört hat. Es können also diese Vermögen, wenn sie in der Sache, die uns hier beschäftigt, überhaupt als wirkende Faktoren in Betracht kommen, nur den Glauben an die gesonderte, nicht den Glauben an die dauernde Existenz hervorrufen. Offenbar müssen sie aber, wenn sie diese letztere Wirkung haben sollen, ihre Eindrücke entweder als Abbilder und Repräsentanten (für sich bestehender äußerer Gegenstände) oder unmittelbar als für sich bestehende äußere Existenzen erscheinen lassen.

Daß nun unsere Sinne ihre Eindrücke nicht als Abbilder eines für sich bestehenden, also (vom Geist) unabhängigen, äußeren Daseins erscheinen lassen, ist klar; was sie uns vorführen, ist ja jedesmal nur eine einzelne Wahrnehmung; niemals liegt darin die geringste Andeutung von etwas, das darüber hinaus läge. Eine einzelne Wahrnehmung kann niemals die Vorstellung von einer zweifachen Existenz hervorrufen, außer aufgrund eines Schlusses der Vernunft oder der Einbildungskraft. Wenn der Geist mit seinem Blick über das hinausgeht, was sich ihm unmittelbar darstellt, so können seine Schlüsse unmöglich auf die Rechnung der Sinne gesetzt werden; sein Blick geht aber sicherlich über das, was sich ihm unmittelbar darstellt, hinaus, wenn er aus einer einzelnen Wahrnehmung zwei Arten der Existenz folgert und Beziehungen der Ähnlichkeit und Ursächlichkeit zwischen ihnen annimmt.

Wenn uns also unsere Sinne die Vorstellung einer vom Geist gesonderten Existenz vermitteln sollen, so müssen sie uns durch eine Art Trug oder Jllusion die Eindrücke selbst als solche Existenzen erscheinen lassen. Hierzu mag (zunächst) bemerkt werden, daß alle sinnlichen Wahrnehmungen vom Geist so aufgefaßt werden, wie sie wirklich sind, daß also, wenn wir zweifeln, ob sinnliche Wahrnehmungen sich uns als für sich existierende Gegenstände oder als bloße Eindrücke darstellen, der Zweifel nicht ihre Natur, sondern nur ihre (kausale) Beziehung (zu uns) und ihren Ort betreffen kann. Wenn nun aber die Sinne unsere Eindrücke als außerhalb unser selbst und von und unabhängig darstellen würden, so müßten notwendig sowohl die Gegenstände als auch wir selbst unseren Sinne gegenwärtig sein; sonst könnten sie nicht von diesen Vermögen (d. h. den Sinnen) mit uns verglichen (oder zu uns in Beziehung gesetzt) werden. Die Frage ist also die, wie weit sind wir selbst Objekt unserer Sinne.

Es gibt gewiß in der Philosophie keine abstrusere Frage als die nach der persönlichen Identität oder der Natur des Faktors, der die Einheit der Persönlichkeit konstituiert. Weit entfernt aber, daß etwa unsere Sinne allein diese Frage entscheiden könnten, müssen wir, um eine befriedigende Antwort auf sie zu geben, unsere Zuflucht vielmehr zu den tiefsten Tiefen der Metaphysik nehmen. Offenbar sind ja im gewöhnlichen Leben diese Vorstellungen des Ich und der Persönlichkeit keine sehr feststehenden oder bestimmten. Es ist deshalb absurd, anzunehmen, die Sinne könnten zwischen "mir" und den äußeren Dingen unterscheiden.

Man rechne hinzu, daß alle Eindrücke, äußere und innere, unsere Affekte, Neigungen, Sinnesempfindungen, unsere Lust und Unlust ursprünglich (darin) auf gleicher Stufe stehen, daß sie, was für Unterschiede wir auch sonst an ihnen bemerken mögen, in jedem Fall insgesamt sich als das darstellen, was sie in Wahrheit sind, d. h. als Eindrücke oder Perzeptionen. In der Tat ist es auch, wenn wir die Sache recht betrachten, kaum anders möglich; es ist völlig unbegreiflich, wie unsere Sinne eher dazu kommen sollten, uns hinsichtlich des Ortes und der Beziehungen unserer Eindrücke (zu uns), als hinsichtlich ihrer Beschaffenheit zu täuschen. Alle Vorgänge im Geist und alle sinnlichen Wahrnehmungen sind uns doch eben nur durch das Bewußtsein bekannt, sie müssen darum notwendigerweise in jeder Hinsicht als das erscheinen, was sie sind, und das sein, als was sie erscheinen. Alles, was ins Bewußtsein tritt, ist tatsächlich eine Perzeption, es kann darum nicht als etwas anderes von uns unmittelbar erlebt werden. Dies hieße annehmen, daß wir auch da, wo etwas für uns Gegenstand des unmittelbarsten Bewußtseins ist, irren können.

Um aber keine Zeit mit der Untersuchung der Frage zu verlieren, ob unsere Sinne uns täuschen, und unsere Wahrnehmungen als etwas von uns gesondert, d. h. außerhalb von uns selbst und von uns unabhängig Existierendes darstellen können, wollen wir lieber zusehen, ob sie dies wirklich tun, ob also dieser Irrtum aus der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung oder ob er aus irgendwelchen anderen Ursachen hervorgeht.

Um mit der Frage betreffend die äußere Existenz zu beginnen, so könnte man wohl mit einer Beiseitesetzung der metaphysischen Frage nach der Identität des denkenden Wesens sagen, unser eigener Körper gehöre doch jedenfalls "uns" an. Nun erscheinen allerlei Eindrücke außerhalb des Körpers. Sofern dies der Fall ist, erscheinen sie (also naturgemäß) auch als außerhalb "von uns" selbst existierend. Das Papier, auf das ich augenblicklich schreibe, ist außerhalb meiner Hand; der Tisch ist außerhalb des Papiers; die Mauern des Zimmers außerhalb des Tisches; und wenn ich meine Augen zum Fenster hinwende, so nehme ich eine Menge von Feldern und Gebäuden außerhalb meines Zimmers wahr. Aus all dem darf geschlossen werden, daß es außer den Sinnen keines anderen Vermögens bedarf, um uns von der äußeren Existenz der Körper zu überzeugen.

Um indessen diesen Schluß abzuwehren, brauchen wir nur folgende dreifache Erwägung anzustellen. Erstens (leuchtet ein), daß es genau genommen nicht unser Körper ist, den wir wahrnehmen, wenn wir unsere Gliedmaßen und Körperteile betrachten, sondern gewisse Eindrücke, die durch die Sinne vermittelt werden, daß also, wenn wir diesen Eindrücken oder ihren Gegenständen eine wirkliche und körperliche Existenz beilegen, dies eine Tätigkeit des Geistes in sich schließt, die sich nicht leichter erklärt als diejenige, von welcher hier die Rede ist. Zweitens scheinen Töne, Geschmäcke und Gerüche, wenn sie auch gewöhnlich vom Geist als dauern existierende und vom Geist unabhängige Qualitäten angesehen werden, doch kein räumliches Dasein zu besitzen; danach können sie auch den Sinnen nicht als außerhalb des Körpers befindlich erscheinen. Der Grund, der uns veranlaßt ihnen schließlich dennoch seinen Ort anzuweisen, soll später erwogen werden. Drittens gibt uns selbst unser Gesichtssinn von Entfernung oder Existenz außerhalb von uns nicht unmittelbar und ohne die Beihilfe gewisser Überlegungen und Erfahrungen Kunde. Dies wird von den einsichtigsten Philosophen zugegeben.

Was weiter die Unabhängigkeit unserer Wahrnehmungen von uns selbst betrifft, so kann sie niemals ein Gegenstand der Sinne sein, vielmehr muß jeder Gedanke an eine solche durch die Erfahrung und Beobachtung gewonnen werden. Daß freilich auch unsere Schlüsse aus der Erfahrung weit davon entfernt sind, der Lehre von der Unabhängigkeit unserer Wahrnehmungen von uns günstig zu sein, werden wir später sehen. Hier bemerke ich zunächst, daß, wenn wir von realen für sich existierenden Dingen reden, wir gewöhnlich mehr diese Unabhängigkeit im Auge haben als ihren Ort im Raum außerhalb von uns; daß wir meinen, ein Gegenstand besitzt eine genügende Realität, wenn das Dasein desselben ein ununterbrochenes und von den beständigen Wandlungen innerer Zustände, deren wir uns bewußt sind, unabhängiges ist.

Um aber den Faden dessen, was ich bereits über unsere Sinne gesagt habe, wieder aufzunehmen: dieselben geben uns, wie wir sahen, keine Vorstellung einer dauernden Existenz darum, weil sie nicht über die Grenzen ihrer tatsächlichen Wirksamkeit hinaus wirken können. Sie können ebensowenig den Glauben an ein gesondertes Dasein hervorrufen, weil sie ein solches Dasein dem Geist weder in der Weise vorführen können, daß es ihm als das Abbild eines wirklich gesonderten Daseins, noch so, daß es ihm als das Original erscheint.

Um ihm dasselbe in jener ersteren Weise vorzuführen, müßten sie ihm den Gegenstand und das Abbild zugleich vorführen; um es ihm als das Original erscheinen zu lassen, müßten sie dem Geist einen Trug vorspiegeln; das Trügerische läge in der (kausale) Beziehung (zu uns) und dem Ort (außerhalb von uns). Die Sinne müßten zugleich, wenn dieser Trug gelingen soll, imstande sein, den Gegenstand mit uns selbst in einen Vergleich zu stellen (oder in Beziehung zu setzen); und selbst dann würden sie uns nicht betrügen und könnten sie uns unmöglich betrügen. Wir können also mit Sicherheit sagen, daß der Gedanke einer dauernden und einer gesonderten Existenz niemals den Sinnen entstammen kann.

Zur Bekräftigung des Gesagten erinnern wir (nun aber weiter) daran, daß uns drei verschiedene Arten von Eindrücken durch die Sinne zugeführt werden. Der ersten Art gehören die Eindrücke der körperlichen Gestalt, Masse, Bewegung und Festigkeit an; der zweiten Art die Eindrücke der Farbe, des Geschmacks, Geruchs, der Töne, der Wärme und Kälte; der dritten Art die Lust- und Unlustempfindungen, die entstehen, wenn Gegenstände unseren Körper affizieren, z. B. wenn wir uns schneiden und dergleichen.

Sowohl die Philosophen nun als die Ungebildeten nehmen an, daß die erste Art von Eindrücken eine gesonderte, dauernde Existenz besitzt; nur der Ungebildete betrachtet die zweite Art als auf der gleichen Stufe stehend; die Eindrücke der dritten Art endlich gelten den Philosophen wie auch den Ungebildeten als bloße Perzeptionen, folglich als Dinge, die in ihrer Existenz unterbrochen und von uns abhängig sind.

Nun existieren aber zweifellos, welches auch immer unsere philosophische Ansicht von der Sache sein mag, für unsere Sinne Farben, Töne, Wärme und Kälte in derselben Weise wie Bewegung und Festigkeit; es ergibt sich also der Unterschied, den wir hinsichtlich der Art der Existenz zwischen jenen und diesen Eindrücken machen, nicht aus der bloßen Wahrnehmung. Demgemäß ist dann auch das Vorurteil für die gesonderte und dauernde Existenz jener ersteren Eigenschaften so stark, daß, wenn von neueren Philosophen die entgegengesetzte Ansicht vorgebracht wird, die Leute denken, so könnten sie fast durch die Empfindung und die (unmittelbare) Erfahrung widerlegen; ihre Sinne selbst scheinen ihnen gegen eine solche Ansicht Einsprache zu erheben. Andererseits ist ebenso klar, daß Farben, Töne etc. ursprünglich mit dem Schmerz, der durch einen Messerschnitt entsteht, und der Lust, die ein wärmendes Feuer erweckt, auf gleicher Stufe stehen; daß sich der Unterschied (den wir) hier (zu machen pflegen), weder aus der Wahrnehmung, noch aus der Tätigkeit der Vernunft ergibt, sondern (einzig) aus der Einbildungskraft. Und, wenn man zugibt, daß diese beiden Arten von Eindrücken nichts sind als Perzeptionen, die durch bestimmte Gestaltungen und Bewegungen materieller Teile entstehen, worin könnte da auch möglicherweise ihr Unterschied (für die Sinne) bestehen? Allein in allem können wir also sagen, daß, soweit die Sinne Richter sind, alle Wahrnehmungen hinsichtlich der Art ihrer Existenz einander gleich sind.

Zugleich können wir aus dem Beispiel der Töne und Farben ersehen, daß wir Gegenständen eine gesonderte und dauernde Existenz beilegen können, auch ohne dabei die Vernunft zu Rate zu ziehen, oder uns unsere Meinung nach philosophischen Prinzipien zu bilden. Welche nach ihrer Meinung höchst überzeugende Argumente die Philosophen auch für den Glauben an die vom Geist unabhängige Existenz von Gegenständen vorbringen mögen, sicher sind doch diese Argumente nur sehr wenigen bekannt; Kinder, Bauern, überhaupt der größte Teil der Menschheit, wird nicht durch sie veranlaßt, gewissen Eindrücken wirkliche Gegenstände entsprechen zu lassen, anderen nicht. Demgemäß sehen wir dann auch schließlich in diesem Punkt die Anschauungen der Ungebildeten denen, die durch die Philosophie sichergestellt sind, direkt entgegenstehen. Die Philosophie lehrt, daß alles, was sich dem Geist darstellt, lediglich eine Perzeption, also in seinem Dasein unterbrochen und vom Geist abhängig ist, während die Masse der Menschen Wahrnehmungen und Gegenstände identifiziert und eben den Dingen, die empfunden oder gesehen werden, eine gesonderte und dauernde Existenz beilegt. Da diese Anschauung vollkommen unvernünftig ist, so muß sie aus einem anderen Vermögen als dem Verstand stammen. Sie muß dies schon darum, weil wir, solange Wahrnehmungen und Objekte von uns identifiziert werden, gar nicht auf den Gedanken kommen können, von der Existenz der einen auf die Existenz der anderen zu schließen, insbesonders aus dem Gedanken des ursächlichen Zusammenhangs für die Existenz der Objekte abzuleiten; (wie wir wissen) die einzige Schlußart, die uns zur Erkenntnis des Wirklichen führen kann. Aber auch vorausgesetzt, daß wir unsere Wahrnehmungen von den Objekten unterscheiden: auch dann sind wir, wie sich sogleich zeigen wird, nicht imstande, von der Existenz jener auf die Existenz dieser Schlüsse zu ziehen; so daß uns schließlich unsere Vernunft unter keine Voraussetzung die Gewißheit einer dauernden und gesonderten Existenz der Körper gibt, noch irgendwie zu geben vermag. Der Glaube daran muß einzig und allein der Einbildungskraft sein Dasein verdanken. Auf diese soll sich darum jetzt unsere Untersuchung richten.

Da alle Eindrücke innere und vorübergehende Existenzen sind und als solche erscheinen, so muß der Gedanke ihrer gesonderten und dauernden Existenz auf einem Zusammentreffen gewisser Eigenschaften der Eindrücke mit Eigenschaften der Einbildungskraft beruhen; und da dieser Gedanke sich nicht auf alle Eindrücke erstreckt, so muß er durch solche Eigenschaften von Eindrücken bedingt sein, die bestimmten Eindrücken eigentümlich sind. Diese Eigenschaften nun müssen sich aus einem Vergleich der Eindrücke, denen wir eine gesonderte und dauernde Existenz beilegen, mit denen, die wir als innerlich und vorübergehend betrachten, leicht ergeben.

Der Vergleich nun ergibt zunächst, daß uns weder, wie gemeinhin angenommen wird, die Unwillkürlichkeit gewisser Eindrücke, noch ihre besondere Stärke und Aufdringlichkeit veranlaßt, diesen Eindrücken Realität und dauernde Existenz zuzuschreiben, daß (umgekehrt), wenn wir sie anderen absprechen, nicht die Willkürlichkeit oder Schwäche derselben die Schuld trägt. Offenbar wirken in uns die Lust- und Unlustempfindungen, Affekte und Leidenschaften, von denen wir nicht annehmen, daß sie irgendeine Existenz außerhalb des Bewußtseins besitzen, mit größerer Heftigkeit und sind ebenso unwillkürlich wie die Eindrücke der Gestalt und Ausdehnung, der Farbe und des Tons, die, wie wir annehmen, ein dauerndes Dasein haben. (Oder ein anderes Beispiel:) Solange die Wärme, die ein Feuer ausstrahlt, mäßig ist, läßt man sie im Feuer existieren; dem Schmerz, den das Feuer bei größerer Annäherung verursacht, schreibt man kein Dasein außerhalb des Bewußtseins zu.

Nachdem diese landläufigen Ansichten widerlegt sind, müssen wir anderswo die Merkmale von Eindrücken, die uns veranlassen, ihnen eine gesonderte und dauernde Existenz beizulegen, aufzufinden suchen.

Zunächst (nun) zeigt uns eine kleine Untersuchung sofort, daß alle diejenigen Gegenstände, denen wir eine dauernde Existenz zuschreiben, eine eigenartige Konstanz besitzen, die sie von den Eindrücken unterscheidet, deren Existenz an ihr Wahrgenommenwerden gebunden ist. Jene Berge, Häuser, Bäume, die sich jetzt eben meinen Blicken zeigen, sind mir stets in derselben Ordnung entgegengetreten, und wenn ich die Augen schließe oder den Kopf wende und sie dadurch aus dem Gesicht verliere, so sehe ich sie doch gleich darauf ohne die geringste Veränderung von Neuem vor mir. Mein Bett, mein Tisch, meine Bücher und Papiere zeigen dieselbe Gleichförmigkeit des Daseins; sie ändern sich nicht, wenn die Tätigkeit des Sehens oder Wahrnehmens eine Unterbrechung erleidet. Und dies ist bei allen Eindrücken der Fall, deren Objekte ich als außerhalb von mir existierend betrachte; es ist bei allen anderen Eindrücken, mögen sie nun geringe oder große Aufdringlichkeit besitzen, willkürlich oder unwillkürlich sein, nicht der Fall. Immerhin ist die Beständigkeit auch bei jenen Eindrücken nicht so vollkommen, daß sich nicht sehr wesentliche Ausnahmen finden würden. Körper wechseln ihren Ort und ihre Eigenschaften und sind vielleicht, nachdem sie der Wahrnehmung kurze Zeit entzogen waren, kaum wiederzuerkennen. Bei all diesen Veränderungen besteht dann aber (für unser Bewußtsein) eine Kohärenz [Zusammenhang - wp] der Eindrücke, ein gesetzmäßiges Abhängigkeitsverhältnis der Wahrnehmungsobjekte untereinander, so daß die Objekte uns eine Art von kausalen Schlüssen (vom einen aufs andere) gestatten. Und dies läßt (gleichfalls) in uns den Glauben an die dauernde Existenz entstehen. Wenn ich nach einer einstündigen Abwesenheit in mein Zimmer zurückkehre, so finde ich mein Feuer freilich nicht in der Verfassung, in der es sich befand, als ich es verließ; aber ich bin gewöhnt, in anderen Fällen eine gleiche Veränderung in einer gleichen Zeit vor sich gehen zu sehen, gleichgültig, ob ich anwesend oder abwesend, nah oder fern war. Dieser Zusammenhang bei aller Veränderung ist ebensowohl ein charakteristisches Merkmal der Gegenstände der Außenwelt, wie Beständigkeit.

Nachdem ich gefunden habe, daß der Glaube an die dauernde Existenz der Körper von der Kohärenz und der Beständigkeit gewisser Eindrücke abhängt, untersuche ich jetzt, wie diese Eigenschaften einen so merkwürdigen Glauben hervorzurufen vermögen. Um mit der Kohärenz zu beginnen: wir bemerken, daß die inneren Eindrücke, die wir als fließend und vergänglich betrachten, zwar auch einen gewissen Zusammenhang und eine gewisse Regelmäßigkeit des Auftretens zeigen, daß aber dieser Zusammenhang nicht durchaus von gleicher Beschaffenheit ist wie der Zusammenhang, den wir an Körpern wahrnehmen. Die Erfahrung lehrt, daß unsere Affekte miteinander verknüpft und voneinander wechselseitig abhängig sind; aber keine Beobachtung dieser Art nötigt uns den Gedanken auf, die Affekte müßten, wenn die Abhängigkeit und Verknüpfung, die uns in der Erfahrung entgegentrat, möglich sein soll, existiert haben und tätig gewesen sein, auch während sie nicht wahrgenommen wurden. Völlig anders liegt der Fall bei äußeren Gegenständen. Diese erfordern eine dauernde Existenz, wenn sie nicht (für unser Bewußtsein) in beträchtlichem Umfang der Gesetzmäßigkeit ihres Wirkens verlustig gehen sollen. Ich sitze hier in meinem Zimmer, mit meinem Gesicht dem Feuer zugewandt; alle Gegenstände, die auf meine Sinne einwirken, befinden sich in einem Umkreis von wenigen Yards um mich herum. Zugleich gibt mir die Erinnerung noch von der Existenz manch anderer Objekte Kunde; aber diese Kunde erstreckt sich nur auf die frühere Existenz derselben; weder meine Sinne noch mein Gedächtnis legen Zeugnis ab von ihrem jetzigen Dasein. Indem ich nun so dasitze und jenen Erinnerungen nachgehe, höre ich plötzlich einen Lärm wie von einer Türe, die sich in ihren Angeln dreht, und ein wenig später sehe ich einen Briefträger auf mich zukommen. Dies gibt mir Veranlassung zu allerlei neuen Reflexionen und Schlüssen. Erstens habe ich niemals beobachtet, daß ein solches Geräusch von etwas anderem als der Bewegung einer Tür herrührte; danach urteile ich, daß dieses gegenwärtige Phänomen im Widerspruch steht mit allen früheren Erfahrungen, sofern nicht die Tür, die sich, wie ich mich erinnere, an der anderen Seite des Zimmers befindet, nocht existiert. Weiterhin habe ich stets gefunden, daß der menschliche Körper eine Eigenschaft besitzt, die ich Schwere nenne und die ihn daran hindert, in der Luft emporzusteigen. Dies müßte der Briefträger, um zu meinem Zimmer zu gelangen, getan haben, wenn etwa die Treppe, an die mich noch erinnere, in meiner Abwesenheit vernichtet worden sein sollte. Aber das ist alles nicht der Fall. Ich erhalte einen Brief und beim Öffnen desselben erkenne ich an der Handschrift und Unterschrift, daß er von einem Freund stammt, der mir sagt, daß er noch 200 Meilen von mir entfernt ist. Offenbar kann ich diese Tatsache nicht übereinstimmend mit meiner in anderen Fällen gewonnenen Erfahrung erklären, ohne in meinem Geist die ganze See und den Kontinent zwischen uns auszubreiten und die Wirkungen und die dauernde Existenz von Posten und Überfahrtsgelegenheiten meiner Erinnerung und Beobachtung gemäß vorauszusetzen. Jene Erlebnisse, die Ankunft des Briefträgers und des Briefes, erscheinen in gewisser Weise der gewohnten Erfahrung widersprechend; sie könnten als Gegeninstanzen gegen unsere allgemeinen Regeln, die Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen betreffend, erscheinen. Ich bin gewohnt, wenn ich diesen bestimmten Ton höre, zu gleicher Zeit diesen bestimmten Gegenstand in Bewegung zu sehen. Hier aber habe ich nicht (zu gleicher Zeit) diese beiden Wahrnehmungen gemacht. Daraus ergibt sich ein Widerspruch der Beobachtungen, es sei denn, daß ich annehme, die Tür existiert noch und ist geöffnet worden, ohne daß ich es wahrgenommen habe. Diese Annahme, die zunächst vollkommen willkürlich und hypothetisch erscheint, erlangt Kraft und Sicherheit dadurch, daß sich herausstellt, daß sie die einzige ist, die jenen Widerspruch zu lösen vermag. Kaum ein Augenblick meines Lebens verfließt nun, ohne daß ich Ähnliches erlebe und mich in der Lage befinde, die dauernde Existenz von Gegenständen voraussetzen zu müssen, um ihr vergangenes und ihr gegenwärtiges Auftreten zu verknüpfen und sie in eine Verbindung miteinander zu bringen, wie sie mir durch die Erfahrung als ihrer besonderen Natur und den begleitenden Umständen entsprechend bezeichnet worden ist. Ich sehe mich so in natürlicher Weise dazu getrieben, die Welt als etwas Reales und Dauerndes zu betrachten, als etwas, das im Dasein beharrt, auch wenn es für meine Wahrnehmung nicht mehr besteht.

Dieser auf der Kohärenz der Erscheinungen beruhende Schluß könnte völlig gleicher Art scheinen mit unseren (sonstigen) kausalen Schlüssen: auch er wurzelt in der Gewohnheit und vollzieht sich in der Gemäßheit früherer Erfahrungen. Bei näherer Untersuchung indessen ergibt sich, daß beide Schlußarten im letzten Grund doch wesentlich voneinander verschieden sind, daß der Schluß, um den es sich hier handelt, nur in indirekter und mittelbarer Weise durch den Verstand und die Gewohnheit bedingt ist. Ohne weiteres wird zugegeben werden, daß, da dem Geist nichts gegenwärtig ist außer seinen eigenen Perzeptionen, nicht nur eine Gewohnheit nie anders entstehen kann, als aufgrund der regelmäßigen Aufeinanderfolge dieser Perzeptionen, sondern daß auch der Grad ihrer Sicherheit niemals über den Grad dieser Regelmäßigkeit hinausgehen kann. Ein bestimmter Grad der Regelmäßigkeit in unseren Wahrnehmungen kann uns also nie einen Schluß verstatten auf einen größeren Grad der Regelmäßigkeit bei den nicht wahrgenommenen Gegenständen; dies schlösse den Widerspruch in sich, daß durch etwas, was dem Geist nicht gegenwärtig war, im Geist doch eine Gewohnheit entsteht. Nun wollen wir aber offenbar dann, wenn wir aus der Kohärenz der Sinnesobjekte oder der Häufigkeit ihrer Verbindung auf ihre dauernde Existenz schließen, diesen Gegenständen ebendamit eine größere Regelmäßigkeit sichern, als wir in unseren Wahrnehmungen beobachtet haben. Wir mögen uns (in einem gegebenen Fall davon) überzeugt haben, daß zwei Arten von Gegenständen, jedesmal wenn sie den Sinnen erschienen, miteinander verbunden waren; eine vollkommene Konstanz dieser Verbindung aber konnten wir unmöglich beobachten. Es genügt ja schon eine bloße Wendung des Kopfes oder die Schließung der Augen, um diese Konstanz aufzuheben. Dies hintert uns doch nicht, anzunehmen, daß jene Gegenstände, trotz der anscheinenden Unterbrechung, in ihrer gewöhnlichen Verbindung verharren, und demnach zu schließen, daß die unregelmäßigen Erscheinungen durch etwas aneinander geknüpft sind, das sich unserer Wahrnehmung entzieht. Nun beruth alles Schließen, das Tatsachen betrifft, einzig auf der Gewohnheit, die Gewohnheit aber kann nur die Wirkung wiederholter Wahrnehmungen sein. Es kann also diese über die Wahrnehmungen hinausgehende Gewohnheit und Art der Schlußfolgerung nicht die direkte und natürliche Wirkung der konstanten Wiederholung und Verbindung sein, sondern muß auf der Mitwirkung anderer Faktoren beruhen.

Ich habe nun bereits, als ich die Grundlagen der Mathematik betrachtete, bemerkt (2), daß die Einbildungskraft, einmal in Tätigkeit gesetzt, geneigt ist, in einer bestimmten Tätigkeitsrichtung zu verharren, auch wenn der Gegenstand sie im Stich läßt, daß sie wie ein Schiff, das einmal durch die Ruder eine Bewegung erlangt hat, seinen Weg ohne einen neuen Anstoß fortsetzt. Ich sah darin ehemals den Grund für die Tatsache, daß wenn wir mehrere ungefähre Maßstäbe für die Bemessung der Gleichheit von Objekten betrachtet und einen aufgrund des anderen korrigiert haben, wir nun auch dazu gelangen können, einen vollkommenen und absolut genauen Maßstab der Vergleichung zu fingieren, einen solchen, bei dem auch der geringste Irrtum und die geringste Veränderung ausgeschlossen ist. Nach demselben Prinzip nun können wir auch leicht dazu kommen, uns jenem Glauben an die dauernde Existenz der Körper hinzugeben. Gegenstände zeigen schon, soweit sie den Sinnen erscheinen, eine gewisse Kohärenz; diese Kohärenz aber erscheint dann viel enger und gleichförmiger, wenn wir annehmen, daß die Gegenstände eine dauernde Existenz besitzen. Da nun der Geist einmal am Zug ist, in den Gegenständen aufgrund der Beobachtung eine Gleichförmigkeit anzunehmen, so ist es ihm natürlich, damit fortzufahren, solange bis er die Gleichförmigkeit in eine möglichst vollkommene verwandelt hat. Zu diesem Zweck genügt aber die einfache Annahme der dauernden Existenz der Gegenstände; sie gibt uns die Vorstellung einer viel größeren Gesetzmäßigkeit in den Gegenständen, als diese sie zeigen, wenn wir nicht weiter blicken als unsere Sinne reichen.

Was für eine Kraft wir nun aber auch diesem Prinzip zuschreiben mögen, so ist es doch, wie ich fürchte, zu schwach, um allein ein so mächtiges Gebäude, wie das des Glaubens an die dauernde Existenz der Körper außerhalb von uns, zu tragen. Erst wenn wir die Beständigkeit in ihrer Erscheinung zur Kohärenz hinzunehmen, werden wir eine befriedigende Erklärung jenes Glaubens geben können. Da mich die Erörterung dieses Punktes zu umfassenden und tiefgehenden Untersuchungen führen wird, so halte ich es für angebracht, zur Vermeidung von Unklarheiten meine Theorie zunächst in einem allgemeinen Satz kurz zu bezeichnen und dann erst die einzelnen Punkte ausführlicher zu behandeln.

(Meine Meinung geht dahin, daß) die Folgerungen, die wir aus der Konstanz unserer Perzeptionen ziehen, ebenso wie die oben besprochenen Folgerungen aus ihrer Kohärenz zunächst den Glauben an eine dauernde Existenz der Körper entstehen lassen, und daß dieser Glaube erst den Glauben an ihre gesonderte Existenz hervorruft. (Der Hergang der Sache ist folgender:)

Wenn wir einmal daran gewöhnt sind, in gewissen Eindrücken eine Konstanz zu entdecken, wenn wir etwa gefunden haben, daß sich die Wahrnehmung der Sonne oder des Ozeans, nachdem sie einen Moment entschwunden oder vernichtet war, von Neuem einstellt und zwar so, daß die Teile der Objekte und die Anordnung der Teile wiederum dieselben sind, die sie bei ihrem ersten Auftreten waren, so sind wir nicht geneigt, diese unterbrochenen Wahrnehmungen als verschiedene zu betrachten, was sie doch tatsächlich sind; wir betrachten sie vielmehr ihrer Ähnlichkeit wegen als individuell identisch (d. h. als ein und dieselbe Sache). Nun widerspricht aber die Unterbrechung ihrer Existenz ihrer vollkommenen Identität. Die Unterbrechung nötigt uns den ersten Eindruck als vernichtet und den zweiten als neu ins Dasein gerufen anzuerkennen. Damit befinden wir uns in einer gewissen Verlegenheit; wir sehen uns in eine Art von Widerspruch verwickelt. Um nun über diese Schwierigkeit hinwegzukommen, verhehlen wir uns die Unterbrechung soviel wie möglich oder vielmehr, wir schieben sie vollkommen beiseite, indem wir annehmen, daß die unterbrochenen Wahrnehmungen durch ein wirkliches Dasein verknüpft sind, das sich nur unserer Wahrnehmung entzieht. Die Annahme oder die Vorstellung einer dauernden Existenz erlangt durch die Erinnerung an die unterbrochenen Eindrücke und aufgrund der durch dieselben veranlaßten Neigung, sie als identisch anzusehen, Stärke und Lebendigkeit. Unserer früheren Darlegung gemäß besteht aber das eigentliche Wesen des Glaubens in der Stärke und Lebendigkeit des Vorstellens.

Um diese Lehre zu rechtfertigen sind vier Dinge erforderlich: Erstens haben wir das principium individuationis oder das Prinzip der Identität zu erörtern; zweitens, müssen wir einen Grund dafür angeben, weshalb uns die Ähnlichkeit unserer unterbrochenen und unzusammenhängenden Wahrnehmungen veranlaßt, ihnen Identität zuzuschreiben; drittens, müssen wir die durch diese Täuschung veranlaßte Neigung, die unterbrochenen Erscheinungen durch den Gedanken einer dauernden Existenz zu vereinigen, zu erklären suchen; viertens und letztens müssen wir deutlich machen, wie sich aus jener Neigung die Stärke und Lebendigkeit des Vorstellens ergeben kann.

Was nun erstens das Prinzip der Individuation betrifft, so steht fest, daß die Betrachtung eines einzelnen Gegenstandes nicht ausreicht, um uns die Vorstellung der Identität zu verschaffen. Wenn in dem Satz: Jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch, das Wort Gegenstand eine Vorstellung bezeichnet, die in keiner Weise von der mit "sich selbst" bezeichneten unterschieden wäre, so sagte der Satz in Wirklichkeit gar nichts, es fehlte in ihm (der Gegensatz von) Prädikat und Subjekt. Der Satz schließt aber tatsächlich beides (nebeneinander) in sich. Ein einzelner Gegenstand verschafft uns die Vorstellung der Einheit, aber nicht die der Identität.

Andererseits kann uns niemals eine Mehrheit von Gegenständen die letztere Vorstellung verschaffen, welchen Grad der Ähnlichkeit man auch bei ihnen voraussetzen mag. Der Geist ist sich stets bewußt, daß der eine Gegenstand nicht der andere ist; die Gegenstände sind für ihn zwei, drei oder eine beliebige Anzahl von Gegenständen, die für sich und unabhängig voneinander existieren.

Da also sowohl die Mehrheit wie auch die Einheit mit der Beziehung der Identität unvereinbar ist, so muß diese in etwas liegen, das keines von beiden ist. Dies scheint nun freilich auf den ersten Blick vollkommen unmöglich. Zwischen einer Einheit und einer Mehrheit kann es kein Mittleres geben, so wenig wie zwischen Existenz und Nichtexistenz. Angenommen, ein bestimmter Gegenstand existiert, so können wir uns entweder außer ihm noch einen anderen als existierend denken: in diesem Fall gewinnen wir die Vorstellung der Anzahl; oder wir nehmen an, dieser andere existiert nicht: in diesem Fall hat es bei der Einheit des ersten Gegenstandes sein Bewenden.

Um diese Schwierigkeit zu beseitigen, müssen wir zur Vorstellung der Zeit oder Dauer unsere Zuflucht nehmen. Ich habe bereits (an früherer Stelle) bemerkt, daß die Zeit streng genommen die Sukzession in sich schließt und daß, wenn wir die Vorstellung der Zeit auf einen unveränderlichen Gegenstand anwenden, dies nur möglich ist aufgrund einer Fiktion der Einbildungskraft, d. h. aufgrund der Voraussetzung, daß der unveränderliche Gegenstand an den Veränderungen unserer Perzeptionen teilnimmt. Solchen Fiktionen der Einbildungskraft nun begegnen wir fast überall; und kraft derselben kann nun auch ein einzelner Gegenstand, den wir vor uns haben und eine Zeitlang betrachten, ohne daß wir eine Unterbrechung oder Veränderung an ihm wahrnehmen, uns die Vorstellung der Identität verschaffen. Wenn wir innerhalb des Zeitabschnitts, während dessen wir den Gegenstand betrachten, zwei beliebige Momente ins Auge fassen, so können wir dieselben in doppelter Art betrachten. Wir können uns das eine Mal beide Momente in ein und demselben Augenblick vergegenwärtigen: in diesem Fall erwecken sie die Vorstellung der Mehrheit und zwar sowohl der Mehrheit der Zeitpunkte wie auch der Mehrheit der Gegenstände. Auch den Gegenstand müssen wir ja in unserer Vorstellung verdoppeln, wenn wir ihn in ein und demselben Moment als in diesen beiden voneinander verschiedenen Zeitpunkten existierend vorstellen wollen. Wir können aber auch ein andermal der Sukzession der Zeitmomente eine gleiche Sukzession in unseren Vorstellungen entsprechen lassen, d. h. wir können erst einen Zeitpunkt zugleich mit dem ihm zugehörigen Objekt auffassen, um uns dann einen Wechsel der Zeit vorzustellen ohne eine Veränderung oder Unterbrechung im Objekt; in diesem Fall erweckt das Objekt die Vorstellung der Einheit. Hier nun haben wir eine Vorstellung, die ein Mittelding zwischen Einheit und Mehrheit oder, richtiger ausgedrückt, beides ist, je nach dem Gesichtspunkt, unter dem wir sie betrachten; und diese Vorstellung nun nennen wir die Vorstellung der Identität. Wir können, wenn wir es nur irgendwie genau nehmen, nicht sagen, ein Gegenstand ist mit sich selbst identisch, es sei denn, daß wir damit sagen wollen, der Gegenstand, als in einem Zeitpunkt existierender, ist identisch mit sich selbst, als in einem anderem Zeitpunkt existierendem. Mit dieser Wendung statuieren wir einen Unterschied zwischen der Vorstellung, die unter dem Wort Gegenstand verstanden wird und derjenigen, die mit "sich selbst" gemeint ist, ohne daß wir uns weder in die Mehrheit verlieren, noch andererseits in der strikten und absoluten Einheit stecken bleiben.

So ist das Prinzip der Individuation nichts als die Unveränderlichkeit und Ununterbrochenheit eines Gegenstandes während des von uns angenommenen Wechsels in der Zeit, (eine Unveränderlichkeit und Ununterbrochenheit), vermöge welcher der Geist dem Objekt in den verschiedenen Momenten seiner Existenz nachgehen kann, ohne die Betrachtung zu unterbrechen und gezwungen zu sein, die Vorstellung der Mehrheit oder Anzahl zu bilden.
LITERATUR: David Hume, Traktat über die menschliche Natur [in deutscher Bearbeitung von THEODOR LIPPS] Bd. I, Hamburg und Leipzig 1904.
    Anmerkungen
    1) Teil II, Abschnitt 6
    2) Teil II, Abschnitt 4