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NICOLAUS PETRESCU
Glanvill und Hume

"Der dogmatische Rationalismus konnte für den englischen Empirismus kein eigentliches Problem bilden; er galt stets als ein durch die Wissenschaft überwundendes Vorurteil. Jede Prüfung oder Kritik der Erkenntnis wurde vom empiristischen Standpunkt aus geführt. Als eine Konsequenz dieses empiristischen Gesichtspunktes ist der Skeptizismus der englischen Erfahrungsphilosophie zu betrachten.  Bacon  war zu dilettantisch verfahren, um zu einem solchen Resultat gelangen zu können. Bei  Locke  läßt sich zum erstenmal jene Konsequenz wahrnehmen, indem er ein eigentliches Wissen auf dem Gebiet der Tatsachen leugnete."

"Die Unzulänglichkeit der Wissenschaft ist der Beweis der Unzulänglichkeit unserer intellektuellen Fähigkeit. Ein Skeptizismus in Bezug auf unser theoretisches Wissen läßt sich deshalb rechtfertigen, weil wir nicht imstande sind, über die Grenzen unseres schwachen Verstandesvermögens hinauszukommen. Daraus folgt jedoch keineswegs, daß wir mit den Skeptikern dasselbe behaupten.  Glanvill  glaubt an die Wahrheit der Religion, ja sogar an die Fortschritte der positiven Wissenschaften; daher wird er auch nicht müde, auf die wissenschaftlichen Entdeckungen seiner Zeit hinzuweisen. Seine Skepsis bezieht sich auf die Anmaßung der Wissenschaft der Religion gegenüber und will den Dogmatismus zerstört wissen."


Einleitung

In England ist der Skeptizismus im 17. Jahrhundert auf eine eigentümliche Weise durch JOSEPH GLANVILL vertreten worden. Nicht als einer Methode des Denkens, wie DESCARTES, sondern vielmehr als eines Arguments für eine religiöse Gesinnung bedient sich GLANVILL des Skeptizismus. Seine Skepsis soll die Unzulänglichkeit und das "Nicht-wissen-können" der Wissenschaft beweisen, um die Religion gegen jeden Angriff zu sichern. Aus dieser Absicht läßt sich ersehen, daß GLANVILL bei seinem Skeptizismus den Glauben zum Zweck hat. Der Weg, auf dem er den Zweifel zu rechtfertigen versucht, ist kein wissenschaftlicher, sondern ein populärer. Er stellt Behauptungen auf, führt willkürlich herausgegriffene Beispiele ins Feld, ohne einen eigentlichen Beweis zu liefern. Die Gründe seiner Argumentation sind unzureichend, sie beweisen nicht, sie behaupten nur, und die Grundüberzeugung seiner Lehre, daß der menschliche Intellekt beschränkt und keiner eigentlichen Wissenschaft fähig ist, erlangt keine Begründung. Mit diesem Verfahren ist der Skeptizismus GLANVILLs negativ und unkritisch, wie es sich im folgenden deutlich zeigen wird.

Einer von denjenigen Denkern der neueren Philosophie, die den Skeptizismus in einem positiven Sinn vertreten haben, ist DAVID HUME. Die Ansicht, daß er ein voller Skeptiker im pyrrhonischen Sinn ist, läßt sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Wenn die Konsequenzen seiner Lehre zum Skeptizismus führten, so ist dabei nicht zu vergessen, daß ihre Grundtendenz eine andere war. Seine Kritik wollte nicht die Wissenschaft, sondern die alte Metaphysik mit ihren Vorurteilen zerstört wissen. - Die Philosophie in England hatte sich seit BACON allen übertriebenen Vernunftspekulationen gegenüber kritisch und skeptisch verhalten. Der dogmatische Rationalismus konnte für den englischen Empirismus kein eigentliches Problem bilden; er galt stets als ein durch die Wissenschaft überwundendes Vorurteil. Jede Prüfung oder Kritik der Erkenntnis wurde vom empiristischen Standpunkt aus geführt. Die Philosophie sollte ihre Aufgabe, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einer einheitlichen Zusammenfassung zu bringen, nur auf dem Weg des Empirismus lösen. Als eine Konsequenz dieses empiristischen Gesichtspunktes ist der Skeptizismus der englischen Erfahrungsphilosophie zu betrachten. BACON war zu dilettantisch verfahren, um zu einem solchen Resultat gelangen zu können. Bei LOCKE läßt sich zum erstenmal jene Konsequenz wahrnehmen, indem er ein eigentliches Wissen auf dem Gebiet der Tatsachen leugnete. BERKELEYs Idealismus mußte dieselbe Konsequenz nach sich ziehen, und HUMEs Wort, daß er die "beste Anweisung zum Skeptizismus" bietet, ist in diesem Sinn zu verstehen. Was BACON, LOCKE und BERKELEY gelehrt hatten, das nahm HUME wieder auf und entwickelte eine Lehre, die, weil sie konsequenter und rücksichtsloser durchgeführt war, in ihren Resultaten skeptischer wurde als diejenige seiner Vorgänger.

Von einem Skeptizismus im HUMEschen Sinn kann bei GLANVILL nicht die Rede sein. Auch darf dieser Denker nicht als ein unmittelbarer Vorgänger HUMEs angesehen werden. Denn seine skeptischen Ansichten in Bezug auf das menschliche Wissen sind viel mehr aus einer religiösen Überzeugung als aus der Kritik der Erkenntnis entsprungen. Bei HUME ist der Skeptizismus eine Konsequenz und eine Methode des Denkens, bei GLANVILL ist er dagegen eine unbewiesene Voraussetzung und ein Argument für die Religion. Daher kann eine Parallele im eigentlichen Sinne zwischen den Lehren beider Denker nicht entwickelt werden. Doch lassen sich in einem Punkt die Gedanken ihres Skeptizismus miteinander vergleichen, nämlich im Zweifel an der Möglichkeit einer kausalen Erklärung der Dinge durch die Wissenschaft. GLANVILL berührt alle diejenigen Momente, welche in Bezug auf die logische Unbegreiflichkeit des Kausalzusammenhangs durch HUME zum Hauptproblem der Erkenntniskritik gemacht wurden. Und noch von einem anderen Gesichtspunkt könnte man den Skeptizismus beider Denker gegeneinander abwägen. Es ist in der Tat in ihren Lehren ein gemeinsamer Punkt zu finden, wo der Skeptizismus sich von selber aufhebt, obgleich diese Beseitigung der Skepsis bei jedem auf einem ganz verschiedenen Weg und nicht aus gemeinsamen Gründen geschieht. In diesem Sinne wollen wir versuchen zu zeigen einerseits, daß verschiedene Ausgangspunkte auf verschiedenen Wegen zum selben Resultat führen können, wie dies mit GLANVILL und HUME der Fall zu sein scheint, andererseits, inwieweit wir berechtigt sind anzunehmen, daß zwischen diesen beiden Denkers in ihren skeptischen Ansichten in Bezug auf die Wissenschaft und die Kausalität eine Übereinstimmung oder vielmehr eine  Ähnlichkeit  besteht.

Die vorliegende Arbeit wird auf die Gedanken GLANVILLs das Hauptgewicht zu legen haben. Ihr Titel läßt sich aber nur dadurch rechtfertigen, daß sie besonders auf denjenigen Punkt hinweist, wo die beiden Denker, vom historischen und sachlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, in einem näheren Verältnis zueinander zu stehen scheinen. Wenn sich ergeben wird, daß ein solches Verhältnis weder in historischer noch in sachlicher Beziehung vorhanden ist, ja daß historisch genommen beide Männer überhaupt nichts miteinander zu tun haben, so war die Gegenüberstellung zweier so grundverschiedener Denkarten in diesem Fall doch berechtigt. Denn in denjenigen Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie, wo einige Zeilen oder Worte über GLANVILL zu lesen sind, findet man meistens die Ansicht, daß dieser Denker in Bezug auf die Kausalität ein "Vorgänger" HUMEs ist. Diese Ansicht hat nirgends eine ausführliche Begründung gefunden und bedarf daher in diesem Sinne einer Untersuchung. Und wenn auch das Ergebnis dieser Untersuchung das Gegenteil jener Ansicht erweisen wird, so kann GLANVILL mit HUME doch noch aus einem anderen Grund zusammen behandelt werden: auf diese Weise kann der Unterschied zwischen den beiden Denkern besser hervortreten und somit der Name GLANVILLs demjenigen HUMEs in ganz anderer Hinsicht gegenübergestellt werden, als es bisher geschehen ist.

GLANVILLs Lebenszeit umfaßt 44 Jahre und reicht vom Jahr 1636 bis ins Jahr 1680 (1). Er war in Playmouth geboren und stammte aus einer alten Familie (2). Von seiner Jugendzeit bis zum 16. Lebensjahr ist nichts bekannt. Am 2. April 1652 ließ er sich im Exter College, Oxford, immatrikulieren, am 11. Oktober 1655 bestand er das sogenannte "Bachelorship of art" und am 29. Juni 1658, d. h. an demselben Tag wie LOCKE (3), erwarb er sich im Lincoln College seinen akademischen Grad (Master of Arts). Zunächst war SAMUEL CONANT (4), ein bekannter Gelehrter in Oxford, GLANVILLs Lehrer. JOHN WILLKINS und WALLIS verdankte er seine weitere wissenschaftliche Bildung. Zu seinen besten Freunden während der akademischen Studienzeit gehörten FRANCIS WILLOUGHBY und SAMUEL PARKER, beide Mitglieder der "Royal Society". Unmittelbar nach der Vollendung seiner Studien wurde GLANVILL Kapellan [Hilfspriester - wp] von FRANCIS ROUS, des Rektors des Eton College in Acton. Mit 25 Jahren veröffentlichte er seine erste Schrift (1661): "Vanity of Dogmatizing", wo sich die Grundgedanken seiner späteren Schriften finden. Ein Jahr später erschien anonym "Lux Orientalis" (5), eine Schrift über die Präexistenz der Seele, wo er die Ansichten der Cambridger Platonisten vertrat. HENRY MORE war in dieser Zeit sein bester Freund. In selben Jahr kam GLANVILL nach Frome Selwood, in Somersetshire, als Landprediger (Vikar). Im Jahr 1665 erscheint sein Hauptwerk: "Scepsis Scientifica", und unmittelbar danach wurde er ein Mitglied der neugegründeten (1662) "Royal Society", eine Ehre, die auf die Entwicklung seines Geistes Einfluß ausgebübt hat. 1666 wurde er Rektor der Abbey Church in Bath, wo er bis zu seinem Tod (4. November 1680) blieb. Im Jahr 1672 war er Hofprediger des Königs KARL II. geworden. (6)

Über GLANVILL ist äußerst wenig geschrieben worden. Wegen ihrer Seltenheit sind nicht immer seine sämtlichen Schriften von denjenigen berücksichtigt worden, welche sich über ihn ausgesprochen haben (7). Das Urteil seiner Kritiker bezog sich mehr auf die weniger bedeutenden seiner Schriften als auf sein Hauptwerk "Scepsis Scientifica", weil diese Schrift äußerst selten zu finden war (8). Und das hat nicht wenig dazu beigetragen, daß GLANVILL bisher verkannt worden ist. Aber auch, wo er in Bezug auf die Kausalität als "Vorgänger" HUMEs erwähnt wurde, hat man sein wahres Verdienst nicht richtig zu schätzen gewußt. In der englischen philosophischen Literatur hat DUGALD STEWART auf seine Kausalitätslehre hingewiesen (9). Unter den älteren Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie, welche in diesem Sinn GLANVILL erwähnen, ist dasjenige von BUHLE (10) hervorzuheben. In der französischen philosophischen Literatur hat in demselben Sinn auf HUMEs "Vorgänger" zum erstenmal DEGÉRANDO (11) hingewiesen.

GLANVILLs Name war in seiner Zeit und sogar nach seinem Tod auf einem anderen Gebiet sehr bekannt geworden. Nicht seine philosophischen Gedanken oder die Originalität seiner Präludien in Bezug auf das Problem HUMEs hatten ihm diesen Ruhm verschafft, sondern die phantastischen Ansichten über die Spukgeschichten und Geistererscheinungen, für die er ebenso schwärmte wie für die Fortschritte und die Förderung der Wissenschaft. In der Geschichte der Philosophie mußte er sein Verdienst durch diese Merkwürdigkeit seines Geistes zum großen Teil einbüßen: seine Leistung auf diesem Gebiet erlangte keine Beachtung und wurde durch den Erfolg seiner Schriften über die Geister zurückgedrängt und vergessen.


Erstes Kapitel
Systematisches und unsystematisches Denken

Von einem wissenschaftlichen Ausgangspunkt kann bei GLANVILLs Untersuchungen nicht die Rede sein. Seines Hauptschrift (12) enthält weder ein philosophisches System noch eine wissenschaftliche Theorie noch einen systematischen Gedankenbau sondern eine  Stimmung.  Diese Stimmung bildet den Grund seines Denkens und den Inhalt seiner Philosophie; sie ist zugleich  sein  Ausgangspunkt. Eine unüberwindbare Überzeugung liegt dieser Stimmung zugrunde. Es ist eine  religiöse  Überzeugung, die das Denken unseres Philosophen bewegt.

Schon der Titel der Schrift deutet deren Absicht und Aufgabe an: "Scepsis Scientifica: oder, eingestandene Unwissenheit, der Weg zur Wissenschaft." (13) Es steckt schon in diesem Titel etwas Paradoxie, welche auch sonst das Denken GLANVILLs nicht selten durchdringt. Wissenschaftliche Skepsis soll mit eingestandenem Nichtwissen ein und dasselbe bedeuten; denn beides muß zur Wissenschaft führen. Es folgt daraus, daß die Wissenschaft eine Skepsis und ein eingestandenes Nichtwissen zur Grundlage haben muß. Nur, wer zweifelt oder seine Unwissenheit freiwillig eingesteht, kann hoffen, etwas zu wissen. Das sokratische Wort, ich weiß, daß ich nichts weiß, ist unser Wissen.

Die Unzulänglichkeit der Wissenschaft ist der Beweis der Unzulänglichkeit unserer intellektuellen Fähigkeit. Ein Skeptizismus in Bezug auf unser theoretisches Wissen läßt sich deshalb rechtfertigen, weil wir nicht imstande sind, über die Grenzen unseres schwachen Verstandesvermögens hinauszukommen. Daraus folgt jedoch keineswegs, daß wir mit den Skeptikern dasselbe behaupten. GLANVILL glaubt an die Wahrheit der Religion, ja sogar an die Fortschritte der positiven Wissenschaften; daher wird er auch nicht müde, auf die wissenschaftlichen Entdeckungen seiner Zeit hinzuweisen (14). Seine Skepsis bezieht sich auf die Anmaßung der Wissenschaft der Religion gegenüber und will den Dogmatismus zerstört wissen. Unter Dogmatismus versteht er aber mehr jede Wissenschaft, die von sich Allwissenheit behauptet, als die Philosophie, auch wenn er ARISTOTELES oft angreift und gegen seine Autorität, die er in Oxford kennen gelernt hatte, sich kritisch verhält (15). - GLANVILL wird zuletzt zeigen, daß Wissenschaft und Religion, Vernunft und Glaube sich nicht widersprechen. Der Skeptizismus in Bezug auf die Wissenschaft muß der Religion ein Argument liefern: das ist der Beweggrund seiner Gedanken. Das Eingeständnis unserer Unwissenheit bzw. die wissenschaftliche Skepsis führt zur wahren Wissenschaft. Und diese Wissenschaft kann keine andere sein als die Religion selbst. Das will der Titel besagen, dessen richtiger Sinn erst aus dem Inhalt der Schrift klar hervortreten wird.

Jene religiöse Überzeugung, auf die wir oben hingewiesen hben, läßt sich schon in den ersten Zeilen der Schrift vernehmen. Die Argumentation geht von den Angaben der Bibel aus. Wir waren in unserem ursprünglichen Zustand weise und glücklich. Diese göttlichen Gaben haben wir mit unserer Unschuld verloren und wir können sie nie zurückerwerben (Sc. Scient., Kap. I, Seite 1 - 2) (16) "es ist eine miserable Tatsache,  glücklich  gewesen zu sein. Und ein selbst erworbenes (self contracted) Unglück ist ein doppeltes. Wäre die Glückseligkeit unserer Natur fremd gewesen, so würde unser jetziges Elend nicht vorhanden sein; erst recht nicht, wären wir nicht selbst die Urheber unseres Ruins. ... Unsere intellektuellen und höchsten Vermögen sind die beklagenswürdige Evidenz unseres Untergangs" (Kap. II, Seite 4 - 5) (17). Unsere intellektuelle Schwäche ist die Folge unserer Sünde. Solange wir unschuldig waren, kannten wir nichts, das uns unwissend hätte machen können. Die Sünde hat uns die Augen aufgemacht, und wir haben die Scham unserer Armut und die Nacktheit unseres Elends gesehen. Der Sündenfall aber ist unsere eigene Schuld. Das ist der Ausgangspunkt des Denkens von GLANVILL. Auf diese Weise argumentiert er weiter, um die Beschränktheit unserer Natur zu beweisen und die Wissenschaft mit ihrem angeblichen Wissen zu verurteilen. Die Beweise sind aus allen Gebieten der menschlichen Erkenntnisse gewählt. Überall erweist sich die Behauptung, daß wir etwas wissen, als irrtümlich. Sowohl die Sinne wie auch die Vernunft täuschen uns. Die evidentesten Phänomene der Naturerscheinungen, wie Bewegung, Licht, Farbe, Klang, Gravitation, sind uns unbekannt. Wenn wir einmal eine sichere Erkenntnis erlangen könnten, so wäre sie in unserer inneren Natur zu finden. Wir sind aber über uns selbst ebenso unwissend wie über die Dinge außer uns (18). Kurz, wir wissen nichts, weil wir nichts wissen können.

Mit solchen Gedanken und mit einer solchen Argumentation vermag man nichts zu beweisen, wohl aber seiner Stimmung einen Ausdruck zu geben. Alles, was uns GLANVILL sagt, erscheint daher als private Meinung. Jedermann denkt mehr oder weniger und hat seine eigene Meinung in Bezug auf jede Frage, die er sich stellt. Das ist eben das gewöhnliche, unsystematische Denken, das jedem Menschen zukommt. GLANVILL denkt sich die Dinge nicht anders. Er erzählt die Sachen, wie er sie sich denkt, ohne sich auf eine Begründung irgendwo einzulassen. Auch wo er sich eines triftigen Arguments bedient, erscheint sein Verfahren unreif und unwissenschaftlich. So sieht er in der Kausalitätskritik den wesentlichen Punkt der Wissenschaft selbst, aber ohne sich den Kern des Problems zu Bewußtsein zu bringen. Sein Denken ist unsystematisch und zu oberflächlich, um nach einer methodischen Begründung zu streben. Der Skeptizismus ist ihm von vornherein klar. Der Zweifel an der Wissenschaft ist nicht das Ergebnis, sondern die Voraussetzung seiner Argumentation. Hierin besteht der unsystematische Zug von GLANVILLs Denken (19).

HUME ist ein systematischer Denker. Seine Philosophie besitzt von Anfang an einen methodischen und wissenschaftlichen Charakter. Der Vergleich soll hier nur dazu dienen, um den charakteristischen Zug von GLANVILLs Denken besser hervorzuheben. Aus anderen Gründen würde dieser Versuch, GLANVILL mit HUME hier zu vergleichen, keinen Zweck haben, da beide Denker, wie oben hervorgehoben wurde, eine gelegentliche Paralle nicht zulassen. - HUME geht von der positiven Annahme aus, daß wir in unserer Erkenntnis nie über das Gebiet unserer Erfahrung hinauszukommen vermögen. Wenn die Erkenntnis nur in der Erfahrung zu finden ist, so ist die eigentliche Aufgabe der Philosophie und der Erkenntnis, zu forschen und zu bestimmen, worin die Tatsache der Erfahrung besteht. Was ist Erfahrung, und wie läßt sich ihr Erkenntniswert rechtfertigen? Dies sind die HUME zu beantworten hat.

Die Welt unserer Erfahrung ist eine Welt von Eindrücken und Vorstellungen, oder, zusammengefaßt, von Perzeptionen unseres Geistes. Diese Elemente unserer Erfahrung müssen untersucht werden, um den Wert dieser für die Erkenntnis zu zeigen und zu begründen. Als Ausgangspunkt der Untersuchung stellt HUME den Satz auf, daß jede Vorstellung von einem Eindruck stammt; daß jene daher als abgeleitet, dieser dagegen als ursprünglich zu betrachten ist (Treatise, Teil I, Abschnitt 1 und Enquriy, Abschnitt 2). Dieser Satz bildet das Kriterium und den Prüfstein seiner ganzen Philosophie. Mit Hilfe dieses Prinzips zeigt er uns die Vorurteile der alten Metaphysik, und bekämpft er den Dogmatismus aller bisherigen Philosophie. Mit der strengsten Konsequenz zieht er alle Folgerungen, die sich aus der Unterwerfung aller Erkenntnisfragen unter dieses Prinzip notwendig ergeben. Auf diese Weise und auf diesem Weg werden sich die Irrtümer herausstellen, die der Wissenschaft von der menschlichen Natur so viel geschadet haben. Auf diese Weise werden skeptische Konsequenzen nicht zu vermeiden sein, und nachdem man alles geprüft hat, wird man ruhig anzunehmen haben, daß das Gebiet unseres Wissens ein sehr beschränktes ist. Der Skeptizismus erscheint somit als ein Resultat der Prüfung unserer Erkenntnis, nicht aber wie bei GLANVILL als eine Voraussetzung oder als das unvermeidliche Schicksal unseres Denkens.

Sowohl HUME als GLANVILL werden uns sagen, daß eine absolute Erkenntnis, wie sie sich die Philosophie denkt oder ein objektives Wissen, welches die Wissenschaft erstrebt, kaum zu erreichen ist. Beide zweifeln an einer allgemeingültigen Erkenntnis: aber die Ausgangspunkte und infolgedessen die Richtungen beider Denker sind diametral entgegengesetzt. GLANVILL, als unsystematischer Denker, behauptet vor der Untersuchung der Erkenntnis die Unmöglichkeit aller wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt, ohne diese Behauptung zu begründen. Er geht von keiner objektiven Tatsache, sondern vielmehr von einer subjektiven Überzeugung aus, um alles zu bezweifeln; daher ermangeln seine Gedanken der Methode und einer systematischen Durchführung ihrer Begründung. HUME verfährt in seiner Untersuchung systematisch und geht nicht von einer subjektiven Denkweise, sondern von einer Behauptung objektiver Tatsachen aus, die er zu begründen und zu rechtfertigen versucht. Seine Gedanken sind geordnet und mit philosophischer Allseitigkeit durchgeführt. Seine Lehre enthält keine subjektiven Äußerungen über die Beschränktheit unseres Erkenntnisvermögens, wie es bei GLANVILL der Fall ist, sondern wissenschaftliche Einsichten über die objektiven Grundprinzipien und das Wesen der Erkenntnis. So steht dem populären das philosophische, dem unsystematischen das systematische Denken gegenüber.
LITERATUR: Nicolaus Petrescu, Glanvill und Hume, Berlin 1911
    Anmerkungen
    1) Wir entnehmen die biographischen Notizen teils aus ANTHONY WOODs "Athenae Oxonienses" (neu editiert von BLISS, London 1817, Bd. III, Seite 1244 - 1246), teils aus FERRIS GREENSLETs Schrift über GLANVILL (New York 1900, Kap. III, Seite 51 - 88). Vgl. die Anmerkungen 1 und 2 am Schluß der Abhandlung.
    2) Seine Vorfahren und meistens auch seine Zeitgenossen schrieben den Namen  Glanvill  mit "e" (Glanville). Alles seine Schriften tragen aber den Namen "Glanvill".
    3) Vgl. TH. FOWLER, Locke, London 1880, Kap. 1, Seite 9
    4) "Glanvills tutor was Samuel Conant, celebrated as a stern disciplinarian in prosody and the syllogism." (GREENSLET, Glanvill, Kap. III, Seite 53.
    5) Diese Schrift ist WILLOUGBY gewidmet.
    6) Die sämtlichen Schriften GLANVILLs sind, nach der chronologischen Reihenfolge, am Ende dieser Abhandlung verzeichnet: Anmerkung I.
    7) So kennt CHARLES de RÉMUSAT, in seiner ausführlichen Schrift "Histoire de la Philosophie en Angleterre depuis Bacon jusqu'á Locke", 2 Bde., Paris 1875, nur die unbedeutendsten Werke GLANVILLs. In Bezug auf die "Scepsis Scientifica" bemerkt REMUSAT: "... ce livre est trés rare, et j'avoue ne le connaître que par les éloges et les citations de Hallam" (vol. II, Seite 194).
    8) HENRY HALLAM: "This book (Vanity of Dogmatizing", I believe, especially in the second edition (als "Scepsis Scientifica"), is exceedinglich scarce" ("Introduction to the Literature of Europe, in the 15th, 16th and 17th centuries", London 1837 - 1839, vol. IV, Kap. III, Note, Seite 263). HALLAM betrachtet die "Scepsis Scientifica" als die zweite Auflage der "Vanity of Dogmatizing", was nicht ganz richtig ist. Denn die beiden Schriften unterscheiden sich nicht nur durch die Form, sondern auch durch den Inhalt. Die spätere Schrift entält eigentlich keine wesentlich neuen Gedanken, ist aber von der früheren dadurch grundverschieden, daß sie dieselben Gedanken zu begründen und zu entwickeln versucht. Auch die skeptische Stimmung erscheint hier in einer anderen Form, und der Titel "Scepsis Scientifica" besagt, daß die Schrift mehr sein will als eine Polemik gegen den Dogmatismus. - Man sagt auch, daß die Ausgabe der "Scepsis Scientifica", welche im Jahr 1665 erschien, durch das große Feuer in London (1666) fast vollständig zerstört wurde. Dazu W. E. H. LECKY: "History of the Rise and Influence oft the spirit of Rationalism in Europe", zweite Ausgabe, London 1865, Bd. 1, Kap.I, Note, Seite 122. - Die Königliche Bibliothek zu Berlin hat unter den Schriften GLANVILLs nur "Saducismus Triumphatus" und zwar in deutscher Übersetzung aufzuweisen (Hamburg 1701). - Ein neue Auflage der "Scepsis Scientifica" hat JOHN OWEN im Jahr 1885 (London) veranstaltet. Auch diese Ausgabe ist leider vergriffen.
    9) "The same doctrine, concerning the proper object of natural philosophy (commonly ascribed to Mr. Hume, both by his followers and his opponents), is to be found in various writers contemporary with Hobbes. It is stated, with uncommon precision and clearness, in a book entitled  Scepsis Scientifica,  or Confessed Ignorance ..." (The Collected Works - ed. by Sir William Hamilton, Edinburg, 1854, Bd. 1, Teil 1, Kap. II, Seite 84, Note). - Über D. STEWARTs Überschätzung der "Scepsis Scientifica" siehe weiter unten Note.
    10) "Unter seinen skeptischen Argumenten ist am merkwürdigsten dasjenige, was er von der Zufälligkeit des Kausalverhältnisses hernahm, die er aus eben dem Grund folgerte, aus welchem sie späterhin von HUME hergeleitet wurde; so daß es nicht unwahrscheinlich ist, daß HUME dieses Argument ihm verdankte." (Geschichte der neueren Philosophie seit der Epoche der Wiederherstellung der Wissenschaften", Göttingen 1801, Bd. III, 4. Abschnitt, Seite 356 - 357). Dasselbe, ad litteram, im VI. Band seines "Lehrbuchs der Geschichte der Philosophie", § 980, Seite 606. - Schon vorher ist der Name GLANVILLs bei BRUCKER zu finden. Dieser erwähnt ihn nur unter den Gegnern von HOBBES: "Hist. crit. Philos. a mundi incunabulis ad nostram aetatem deducta" (Lips. 1744, Tom. IV, Pars Altera, Kap. VI, § XVIII, Seite 178)
    11) "Histoire comparée des Systémes de Philosophie", Deuxiéme Partie, Paris 1847, Bd. 3, Kap. XVIII, Seite 183
    12) Unter den Schriften GLANVILLs, die für uns hauptsächlich in Betracht komen, ist hier "Scepsis Scientifica" vom Jahr 1665 hervorzuheben, indem sie den Grundstock seiner philosophischen Ansichten bildet. Seine anderen Schriften enthalten keine neuen Gedanken und sind meistens von religiösem Inhalt oder philosophisch völlig belanglos. Auch seine über Gespenster und Geistererscheinungen handelnden Schriften sind hier auszuschließen. Diese sind von LECKY gewürdigt worden (History of the Rise und Influence of the spirit of Rat, 2nd ed., London 1865, Vol. I, Kap. I, Seite 120 - 128). Auch GREENSLET in seiner Monographie über GLANVILL (New York, 1900) hat diesen Punkt untersucht.
    13) "Scepsis Scientifica: or, Confest Ignorance, the way to Science", London 1665
    14) An diesen Stellen läßt sich ein Einfluß BACONs wahrnehmen. GLANVILLs Schriften enthalten sehr oft Winke BACONs über die Erweiterung der Wissenschaften.
    15) GLANVILL nennt sein Unternehmen "a charge against the  Philosophy  of the  Schools".  (Sc. Scient. Im Vorwort des Werkes, das der Royal Society zugeeignet ist: "An Address to the Royal Society"). Er widmet der aristotelischen Philosophie eine besindere, aber oberflächiche und einseitige Kritik (Sc. Scient. Kap. XVIII - XXII). Die erste seiner Schriften: "Vanity of Dogmatizin" (1661, war hauptsächkich gegen die aristotelische Philosophie gerichtet und hatte den katholischen Priester und Aristoteliker THOMAS WHITE (ALBIUS) bestimmt, eine Schrift ("Sciri sive Sceptices et Scepticorum a jure Disputationis Exclusio", London 1663) zu schreiben, wo ARISTOTELES verteidigt wurde. - Über ARISTOTELES hat GLANVILL sich noch in den folgenden zwei Schriften geäußert: "Plus Ultra" (Kap. XV - XVII) und "Letters to a friend concerning Aristotle".
    16) Wir zitieren nach der Originalausgabe vom Jahr 1665.
    17) "... our intellectual and Highest Faculties are deplorable evidence of our Ruins."
    18) Eine charakteristische Stelle seiner philosophischen Melancholie ist in den folgenden Zeilen zu finden, welche sich durch die spielende Feinheit eines ungewöhnlichen Stiles auszeichnen: "Whatever I look upon within the amplitude of heaven and hearth, is evidence of human ignorance; for all things are great darkness to us, an we ar so unto our selves: The plainest things are as obscure, as the most confessedly mysterious; and the Plants we tread on, are as much above us, as the Stars and Heavens. The things that touch us are as distant from us, as the Pole; and we are as much strangers to our selves, as to the inhabitants of America ..." (Sc. Scient., "An address to Royal Society")
    19) Der Standpunkt der "Sc. Scient." ist mit der Schrift AGRIPPAs von Nettesheim "De incertidudine et Vanitati omnium scientarium" übereinstimmend. GLANVILL kennt AGRIPPA, und es ist höchst wahrscheinlich, daß er diesen im Auge hatte, als er seine Hauptschrift aufsetzte. Es sei hier auf die folgende Stelle bei AGRIPPA hingewiesen: "... Praeterea omnes scientiae, nil nisi decreta et opiniones hominum sunt, tam noxiae quam utiles, tam pestiferae, quam salubres, tam malae, quam bonae, nusquam completae, sed et ambigue, plenae erroris et contentionis, atque id nunc ita esse per singulas scientiarum disciplinas progrediendo ostendemus." (Lugd. 1624, I, Seite 12)