tb-2cr-2ra-2F. MünchL. SsalagoffF. GoldnerA. Liebert    
 
EMIL LASK
Die Logik der Philosophie
und die Kategorienlehre

[Eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form]
[1/3]

"In tausend Variationen des Namens und des Sinnes hat sich der von Plato vorbildlich ausgeprägte Dualismus, diese Zweisphärentheorie, wiederholt; ist in solchen Gegenüberstellungen wie Sinnliches und Übersinnliches, aistheton und noeton, sensible und intelligible, Erscheinung und wahre Wirklichkeit, Erscheinung und Idee, Materie und Form, Materie und Geist, Endliches und Unendliches, Bedingtes und Unbedingtes, Empirisches und Überempirisches, Relatives und Absolutes, Natur und Vernunft, Natur und Freiheit, Zeitliches und Ewiges, ausgesprochen worden."

"Es ist eine befreiende und klärende Tat der Gegenwart, daß sie - hauptsächlich an Anregungen Lotzes anknüpfend - die Gesamtheit des überhaupt Denkbaren mit ungeheurer Schroffheit wieder auf eine letzte Zweiheitlichkeit zurückzuführen trachtet, auf die Kluft nämlich zwischen Seiendem und Geltendem, Seinsgebiet und Geltungsgebiet, Seinsgebilden und Geltungsgebilden, zwischen der Wirklichkeits- und der Wertsphäre, zwischen den, was da ist und geschieht, und dem, was gilt, ohne sein zu müssen. Damit ist von Neuem über alle sekundären und nebensächlichen Einteilungen hinweg zur wahren Scheidung im All des Denkbaren fortgeschritten. Mit einer solchen letzten Sonderung im Bereich des Etwas ist zugleich die grundlegende Zweiheit allen Erkennens aufgezeigt, der Anarchie der Tendenzen alles überhaupt möglichen Fragens und Forschens ein endgültiges Ende bereitet."

"Der Sinn der kopernikanischen These Kants ist: theoretischer Gehalt und nichts anderes steckt nun einmal in Realität, Dinghaftigkeit und kausalem Zusammenhang."


Vorwort

Die vorliegende Schrift beabsichtigt, aus einer geplanten Gesamtdarstellung der logischen Hauptprobleme lediglich einen einzigen Gedanken herauszugreifen und ihn hier in einer nur ankündigenden und postulierenden, äußerst elementaren und breit ausführenden Darstellung zu behandeln, ohne ihn schon in den Zusammenhang einer Logik streng und systematisch hineinzuarbeiten. Was mir für die theoretische Philosophie am meisten am Herzen liegt, eine von wenigen letzten Grundbegriffen einheitlich durchherrschte Logik, mußte dabei hinter einen Angelegenheit, auf die es allein abgesehen war, noch zurücktreten. Da jedoch der Grundgedanke der folgenden Blätter so selten Beachtung und Würdigung gefunden hat, habe ich geglaubt, ihn schon in dieser primitiven und provisorischen Gestalt mitteilen zu dürfen.



Über die Fundamente und die allgemeinste Gliederung der Kategorienlehre sollen in dieser Abhandlung programmatische Thesen aufgestellt werden. Aber lediglich der  Umfang  und die  Weite  des Geltungsgebietes der Kategorien, die Universalität des Logischen und zwar der konstitutiven Kategorialform wird hier behandelt; die seit KANT so berühte und doch so wenig durchdachte Frage, ob die kategoriale Form auf sinnlich-anschauliches Materials eingeschränkt ist oder nicht, von Neuem aufgeworfen. Es soll dem Logischen der ihm gebührende Herrschaftsbereich in seiner wahren universalen Weite begründet und gesichert, der Logik, insbesondere der Kategorienlehre ein zwar nicht ganz neu zu entdeckendes, aber in der Gegenwart fast gänzlich verschüttetes Arbeitsgebiet erobert werden. Für die Ausdehnung des Kategorienproblems und für die oberste Einteilung des kategorialen Gehalts sollen gewisse Argumente geltend gemacht werden, die sich in der gesamten Entwicklung der theoretischen Philosophie nur an einzelnen Punkten und unter dem größten Widerstand, besonders aber unter der größten Nichtbeachtung einen Eingang in die logische Wissenschaft zu erkämpfen vermochten.

Aus Gründen, die hier noch nicht näher anzugeben sind, hat sich das System der Logik dem System der Philosophie überhaupt anzuschmiegen, von dort her letzte Einteilungsprinzipien zu entnehmen. Das gilt vor allem für die Kategorienlehre: was für eine Kategorienlehre man wählt, hängt davon ab, was für ein Philosoph man ist. Oder sollte wenigstens davon abhängen. Es wird sich gerade zeigen, daß das leider nicht stets der Fall zu sein pflegt.

Um erkennbar zu machen, was für Anforderungen an das Gesamtbild eines Kategoriensystems zu stellen sind, soll die Einleitung zunächst einige kurze, ganz primitive und summarische Andeutungen über die Gegenstandsgebiete und über die Erkenntnisgebiete machen, die sich aus einem Gesamtbild philosophischer Weltanschauung ergeben. Es muß zunächst einmal der Typus einer Zweiweltentheorie skizziert werden, damit im Anschluß daran für die Vertreter einer solchen Zweiweltentheorie eine mit ihr im Einklang stehende Logik und Kategorienlehre postuliert werden kann.


1. Abschnitt
Die Zweiweltentheorie

Durch die ganze Geschichte des Denkens zieht der Versuch einer letzten Lichtung und Ordnung im Inbegriff des Erlebbaren überhaupt, des Denkbaren überhaupt, des Etwas überhaupt. Von den ersten Anfängen der Spekulation an hat er zur Ausprägung einer Zweiweltentheorie geführt. Aus einer solchen fundamentalen Scheidung gewisser urgegensätzlicher Sphären entstammte alle letzte und einheitliche Orientierung philosophischer Weltanschauungen. Denn die philosophische Reflexion hat hier den Beruf, das in seine Urbestandteile zu zersetzen und zu den Elementen dessen vorzudringen, was uns im "Leben", in der unmittelbar uns umgebenden Wirklichkeit, nicht anders als miteinander verschmolzen, als Gemisch, begegnet, wenn denn bereits PLATO die Wirklichkeit, in der wir leben, die  genesis -Wirklichkeit als ein Mittleres, ein Gemischtes (mikton), faßte. In tausend Variationen des Namens und des Sinnes hat sich der von PLATO vorbildlich ausgeprägte Dualismus, diese Zweisphärentheorie, wiederholt; ist in solchen Gegenüberstellungen wie Sinnliches und Übersinnliches,  aistheton  und  noeton,  sensibile und intelligibile, Erscheinung und wahre Wirklichkeit, Erscheinung und Idee, Materie und Form, Materie und Geist, Endliches und Unendliches, Bedingtes und Unbedingtes, Empirisches und Überempirisches, Relatives und Absolutes, Natur und Vernunft, Natur und Freiheit, Zeitliches und Ewiges, ausgesprochen worden.

Nur von einer letzten und unerbittlich durchgeführten Scheidung und Sichtung des Denkbaren aus vermag sich Klarheit und Orientierung über das ganze Gebiet der Philosophie zu verbreiten, wie denn alle geschichtlich aufgetretenen Systeme nach der Stellungnahme dazu einheitlich und durchdringend zu begreifen sind. Darum ist es auch eine befreiende und klärende Tat der Gegenwart, daß sie - hauptsächlich an Anregungen LOTZEs anknüpfend - die Gesamtheit des überhaupt Denkbaren mit ungeheurer Schroffheit wieder auf eine letzte Zweiheitlichkeit zurückzuführen trachtet, auf die Kluft nämlich zwischen Seiendem und Geltendem, Seinsgebiet und Geltungsgebiet, Seinsgebilden und Geltungsgebilden, zwischen der Wirklichkeits- und der Wertsphäre, zwischen den, was da  ist  und  geschieht,  und dem, was  gilt,  ohne sein zu müssen. Damit ist von Neuem über alle sekundären und nebensächlichen Einteilungen hinweg zur wahren Scheidung im All des Denkbaren fortgeschritten. Mit einer solchen letzten Sonderung im Bereich des Etwas ist zugleich die grundlegende Zweiheit allen Erkennens aufgezeigt, der Anarchie der Tendenzen alles überhaupt möglichen Fragens und Forschens ein endgültiges Ende bereitet. In Seins- und Geltungserkennen, Wirklichkeits- und Werterforschung gewinnen wir die fundamentale Gegensätzlichkeit des Erkennens, die auf der Dualität der Erkenntnisgegenstände beruth. Mit einem Schlag kann uns diese Einsicht insbesondere auch über die Verworrenheit  philosophischen  Strebens, dem philosophischen Forschen ein eindeutig bestimmtbares Gebiet zuweisen. In der  Ergründung des Nichtseienden,  des zeitlos Geltenden, der geltenden Bedeutngen, der Formen des Sinnes, in der Erforschung des Werts, aber auch der wertvollen Wirklichkeit, ist ihm eine einheitliche - wenn auch, wie sich zeigen wird, vielleicht nicht erschöpfend bestimmte - Aufgabe zugeteilt.

Also in der Unterschiedenheit des Seienden und des Nichtseienden ist der wahre Einschnitt im Inbegriff des Etwas überhaupt gefunden. Aber es sei sofort hinzugefügt: des Sinnlichseienden und des Nicht-Sinnlichseienden. Wir haben uns nun einmal dem Sprachgebrauch unseres positivistisch geschulten Zeitalter zu beugen, das den Ehrentitel des "Seins" gerade dem zuerkennt, was den größten Denkern der Vergangenheit als das  me on  [anders sein als das Sein - wp] erschien, und nach dem entsprechend als das Nichtseiende gerade das bezeichnet werden muß, was einst als das  ontos on  [seiendes Sein - wp] galt. Das "Sein" ist uns also ein spezifisches Prädikat ausschließlich jener Sphäre, in der allein es auch eine Geschehen und eine ursächliche Verknüpfung gibt. Das Seinsgebiet, das Existierende und Reale, ebenso die "Wirklichkeit" soll mit der räumlich-zeitlichen Sinnenwelt zusammenfallen.

Jede Zweiweltentheorie statuiert somit neben der Sinnenwelt irgendwie einen "mundus intelligibilis", geht irgendwie über das Seiende der Sinnenwelt hinaus. Nur darauf, daß man beim Sinnlichseienden nicht stehen bleibt, also nur auf das Hinausgehen über das Sinnlichseiende zu einem in diesem Sinne Nichtseienden kommt es für die Zweiweltentheorie an. Was es dagegen noch für Unterschiede innerhalb des Nichtseienden geben möge, kann für den Typus der Zweiweltentheorie überhaupt außer Betracht bleiben. Es ist dafür irrelevant, wie arm oder wie reich man sich die Sphäre des Nichtseienden denkt. Es ist darum beispielsweise auch gleichgültig, ob mit der Region des "Geltenden" die Sphäre des Nichtseienden erschöpft ist oder nicht. Auch wenn das Geltungsgebiet lediglich  ein  und nicht  der  Repräsentant des Nichtseienden und somit nur  ein  und nicht  das  Revier der philosophischen Spekulation ist, ist mit der Entgegensetzung des Seienden und des Geltenden jedenfalls die Kluft zwischen Seiendem und Nichtseiendem getroffen. Das Geltende kommt dann lediglich als ein Nichtseiendes in Betracht, wobei es nichts ausmacht, wenn auf Seiten des Nichtseienden noch mehr steht als bloß das Reich des Geltenden.

Ist so allerdings mit der Behauptung irgendeines Nichtsinnlichen schon der Erfordernis einer Zweiweltentheorie Genüge getan, so dürfen doch andererseits die möglichen Unterschiede innerhalb des Nichtsinnlichen nicht ignoriert werden. Ja, es muß sich das Augenmerk geradezu auf sie richten, sofern es doch darauf ankommt, den Überblick über alle Spielarten einer Zweiweltentheorie zu gewinnen. Nur wenn man das Nichtsinnliche seinem ganzen Umfang nach berücksichtigt, erhält man eine Grundlage, von der aus überhaupt erst das Problem einer universalen, der Zweiweltentheorie entsprechenden Kategorienlehre erörtert werden kann. Man muß somit den Fall gar wohl in Erwägung ziehen, daß die Sphäre dessen, was da "gilt" - um uns schon jetzt stets dieses von LOTZE geprägten Ausdrucks zu bedienen - in ihrer weitesten Ausdehnung, mitsamt allen Derivativa [Ableitungen - wp] und Verwicklungen, nicht die gesamte Hemisphäre des Nichtseienden oder Nichtsinnlichen erfüllt; daß also nicht alles, was über dies Späre des Sinnlichseienden hinausliegt, darum schon der Sphäre des Geltenden angehört. Es darf die Möglichkeit nicht abgewiesen werden, daß es jenseits der Region des Sinnlichseienden etwas gibt, ein Nichtsinnliches und Zeitloses, von dem man trotzdem nicht sagen kann, daß es "gilt" so wie die Wahrheit eines Satzes gilt; ein Nichtsinnliches also, das ebenso außerhalb der Geltungs- wie der Seinssphäre liegt, nicht nur metaphysischer, sondern auch noch meta-axiologischer Art wäre - sofern es gestattet ist, die Geltunssphäre als die axiologische zu bezeichnen.

Ein Nichtsinnliches von solcher Beschaffenheit war es, worauf alle Metaphysik der Vergangenheit hingezielt hat. Das aber braucht uns dabei noch gar nicht zu kümmern, ob dieses Übersinnliche Trug und Wahn ist oder nicht. Es kommt hier lediglich darauf an, daß unter allen Umständen das Geltende und das Übersinnliche eine bloßes Hirngespinst ist - was übrigens der negative Dogmatismus, der an jeder Stelle einzusetzen veramg, vom Geltenden ebenso gern wie vom Übersinnlichen behauptet -, dann scheidet es eben als legitimes Objekt eines Erlebens und Wissens überhaupt aus, ist einfach preiszugeben. Aber auch dann vermag die Philosophie des Geltenden sich nicht an die Stelle der ehemaligen Metaphysik des Übersinnlichen zu setzen, nicht die Aufgaben zu übernehmen, die jene sich von jeher zugemutet hat. Auch in diesem Fall hat man somit noch allen Grund, das Übersinnliche und das Geltende auseinanderzuhalten, schon um zumindest das kenntlich zu machen, wohin die Philosophie des Geltenden niemals hinzudringen vermag, und sie so vor einer Überschreitung ihrer Grenzen zu bewahren. Wie es sich also auch mit dem Übersinnlichen verhalten mag, eine Philosophie des Geltenden ist jedenfalls nicht imstande, das Erbe der Metaphysik des Übersinnlichen anzutreten. Das Übersinnliche mag sich in Nichts auflösen, so löst es sich jedenfalls nicht in das Geltende auf. Die einzige Möglichkeit einer Zerstörung der Metaphysik, an die man denken könnte, nämlich die, der Metaphysik durch "erkenntnistheoretische" Überlegungen der Kategorienlehre den Garaus zu machen, wird sich gerade durch diese Schrift als nichtig erweisen. Es wäre darum ein Wahn, zu meinen, alle historischen Ausprägungen der Metaphysik seien auf irregeleitete, sich selbst mißverstehende Versuche einer den geltenden Wert zum absoluten Sein hypostasierenden [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] Spekulation zurückzuführen . Gewiß gibt es vermeintlich metaphysische Probleme, bei denen das Geltende zur übersinnlichen Realität "hypostasiert" wird, die sich deshalb ganz in Geltungsprobleme auflösen lassen und von diesen abgelöst zu werden bestimmt sind. Deren Euthanasie [Linderung des Leidens im Sterben - wp] und Umwandlung in Geltungsprobleme herbeizuführen wirkt wie eine Erlösung, und von diesen Verdiensten und Siegen der Geltungsphilosophie wollen wir wahrlich nichts verkümmert wissen. Aber keineswegs der gesamte Bestand des geschichtlich vertretenen metaphysischen Problemkreises gestattet eine solche Aufhebung in die philosophische Geltungstheorie.

Das ist vor allem im Interesse der Geltungsphilosophie selbst zu behaupten. Denn der ihr zufallende eigentümliche Aufgabenkreis wird umso reiner hervortreten, je klarer er sich nach beiden Seiten, gegen das Erkennen des Sinnlichen nicht nur, sondern auch des Übersinnlichen abhebt. Wenn einerseits das Gebiet des Übersinnlichen von der Geltungsphilosophie nicht okkupiert werden kann, so ist doch die Kehrseite davon, daß man in der philosophischen Geltungstheorie streng im Umkreis des Ametaphysischen zu verharren hat. Das Wesen der Geltungsprobleme gewinnt an Reinheit, wenn man ihnen nicht die Ersetzung der metaphysischen Probleme aufbürdet, wenn man darauf verzichtet, von der Geltungsphilosophie die Aufgaben der Metaphysik miterledigen zu lassen. Man wird umso schärfer, einseitiger, unbekümmerter die charakteristischen, unvergleichlichen Ziele des Geltungserkennens verfolgen können, je mehr man sich innerhalb seines Bereiches von jedem Liebäugeln mit der Metaphysik befreit.

Es scheiden sich also im Umkreis des Nichtsinnlichen die beiden Bezirke des Übersinnlichen und des Geltenden, das man im Unterschied dazu das Unsinnliche nennen kann. Ein ähnlicher glücklicher Ausdruck wie der des Geltens, mit dem man nach LOTZE die Art des Unsinnlichen zu bezeichnen vermag, fehlt freilich leider für das spezifische Prädikat des Übersinnlichen, nachdem das "Sein" nun einmal für die Sinnenwelt vergeben sein soll. Es mag darum in Ermangelung eines besonderen Terminus das spezifische Nichtsein des Übersinnlichen als "Übersein" ausgezeichnet werden. Das Übersinnliche soll Überseiendes oder Überwirkliches heißen, demgemäß das  Geltend -Nichtseiende im Unterschied dazu auch als Unseiend oder Unwirkliches kenntlich gemacht werden darf. Das Unseiende bildet dann zusammen mit dem Überseienden die Hemisphäre des Nichtseienden, die der des Sinnlichseienden gegenüberliegt.

Mit den beiden Ausdrücken des Überseienden und des Geltenden ist lediglich jedesmal das bloße reine Gebietsprädikat, die Überschrift, die allgemeinste Art, das letzte Element, das Urphänomen von ganzen Sphären namhaft gemacht; von etwas, das uns vielleicht in eine ganze Mannigfaltigkeit auseinanderfallen, in ein ganzes Heer von Bedeutungen entfaltet, in viele Einzelheiten sich zersplitternd, entgegentritt. Nimmt man z. B. das Geltende, so ist es hier ja, wo gar nicht die Grundbegriff der Geltungsphilosophie dargestellt werden sollen, nicht die Aufgabe, zu zeigen, was alles in Geltungssphäre hineinfällt, welche Mannigfaltigkeit von Gestaltungen in ihr ihre Stelle hat. Wie das Urphänomen dieses ganzen Gebietes zu einer Vielheit, zu einem ganzen Kosmos geltender Einzelbedeutungen, geltender "Formen", determiniert wird. Wie am Geltungsartigen, wenn es als das Anerkennungswürdige betrachtet, also uf die ihm Hingabe gewährende Subjektivität bezogen wird, das Wert- und weiterhin das Normmoment hervorspringt, wie die Subjektivität dem werthaft Entgegengeltenden ein Substrat darbietet und sich dadurch Wert auf sie selbst zu übertragen scheint, wodurch überhaupt der Anschein des über der Wirklichkeit schwebenden und sich in ihr "realisierenden" Wertes entsteht, es nicht nur wertartiges Gelten, sondern auch wertvolle Wirklichkeit gibt, wie ferner, angestiftet durch die Subjektivität, der Gegensatz von Wert und Unwert entspringt und dergleichen. Es mag genügen, wenn lediglich versichert wird, daß nach unserer Ansicht eine ganze Mannigfaltigkeit von Wert, Sinn und Bedeutung in verschiedenartigster Vermittlung, in tausend Abschattungen und Ablassungen, schließlich vom schlichten Gelten herstammt, von jenem Gelten, das z. B. geltender Wahrheit zukommt. Dann steckt also auch in der Vielheit der Einzelgestaltungen das überall gleiche Geltungsmoment, und all die Einzelheiten nehmen an der einheitlichen zeitlosen Wesenheit der Geltungsartigkeit überhaupt teil.

Ebenso mag sich nun das Übersinnliche in irgendwelchen einzelnen Ausprägungen verschiedenartig offenbaren, in mancherlei bestimmte Gestaltungen hineinragen. Da wäre nun das vor allem in Erwägung zu ziehen, daß ein Zusammentreffen in gewissen Verzweigungen des Übersinnlichen und des Geltenden denkbar ist und das in der vergangenen Spekulationi fast ausnahmslose Zusammenfließen von Geltungsphilosophie und Metaphysik des Übersinnlichen begreiflich machen könnte. Steht doch dem Übersinnlichen wie dem Geltenden dasselbe, nämlich die erlebende Subjektivität, gegenüber. Das Übersinnliche wie das Geltende nimmt im Verhältnis zur Subjektivität die Stellung des ergreifbaren Objekts ein; beidem vermag sich das Erleben hinzugeben, sich zu unterwerfen. In Anbetracht des dem Übersinnlichen und dem Geltenden gemeinsamen Wesens der Nichtsinnlichkeit ist es nun begreiflich, wenn in dieser gemeinsamen Situation, in der gemeinsamen Zugekehrtheit und Bezogenheit zur Subjektivität, an beiden dasselbe Moment, etwa der Wert- und dann auch der Forderungscharakter hervortritt, sowie manch andere Gleichartigkeiten, die mit dem Hineinspielen der Subjektivität zusammenhängen, wie die Gegensätzichkeit eines gehorchenden und eines übertretenden, eines genügende und eines versagenden Subjektverhaltens, überhaupt der ganze Wertgegensatz des Guten und des Bösen, sich ergeben; lauter Erscheinungen, die auf eine Gemeinsamkeit der beiden nichtsinnlichen Teilbezirke hinweisen. Hat doch dementsprechend, ebenso wie die philosophische Geltungstheorie am Geltenden den Wertcharakter entdeckte, die Metaphysik zu allen Zeiten das Übersinnliche mit dem "Guten" in Zusammenhang gebracht. Gerade in ihrem Hingewandtsein zur Subjektivität käme das die beiden sinnlichen Sphären Verklammernde zum Vorschein. Das aber meinen wir nun, daß hierbei gerade das von den Symptomen der Bezogenheit auf die Subjektivität jedesmal Gereinigte, also das zugrundeliegende Einfache, Letzte, das,  dem  in beiden Fällen gleichmäßig solche Momente wie der Wertcharakter sich erst ansetzen nicht Einerlei, sondern Zweierlei, ein Übersinnliches und ein Geltendes, darstellt. Daraus wird verständlich, daß in alle Probleme des Menschen, der Seele, der Persönlichkeit, des Geistes, des Lebens, der Kultur, der Vernunft, des Wertes, kurz überall, wo bereits eine Bezogenheit der Subjektivität auf das Transsubjektive oder umgekehrt da, woe eine Bezogenheit des Transzendenten auf die Subjektivität dahintersteht, ebensogut das Übersinnliche wie das Geltende und beides ungeschieden hineinzuragen vermag. Wie denn das Göttliche ebensogut wie das Logische zur "praktischen Seite der Menschennatur" in Beziehung gebracht werden konnte. Soweit man deshalb nur auf solche Probleme blick, in denen beides ungesondert zusammentrifft, kann sich die Geschiedenheit des Übersinnlichen und des Geltenden leicht verbergen. Es wird daraus begreiflich, daß da, wo die philosophische Betrachtung vom Wertbegriff anstatt vom Geltungsbegriff ausgeht, sich ihr leicht der gesamte Aufgabenkreis der Philosophie mit Verwischung der Grenzlinien als das ungeschiedene Ganze einer "Wertwissenschaft" darstellt. Die Gespaltenheit tritt eben erst bei den von allen Überdeckungen durch Immanenzsymptome gereinigten transzendenten Urphänomenen hervor. Die Begriffsbestimmung der Philosophie als Wertwissenschaft involviert unvermeidlich eine Unbestimmtheit, läßt die Frage offen, ob nur die Geltungssphäre oder auch die übersinnliche in den Kreis der philosophischen Probleme einbezogen sein soll.

Die eben gemachte Andeutung sollte vor allem dem Zweck dienen, auf die starke Verflechtung zwischen der überwirklichen und der unwirklichen Sphäre hinzuweisen. Dementsprechend charakterisiert sich dann auch die gesamte bisherige Spekulation über das irgendwie Nichtsinnliche, die gesamte ehemalige Metaphysik, dadurch, daß bei ihr die Geltunsschicht und die im engeren Sinne eigentlich metaphysische Schicht noch voneinander ungesondert zusammenlagern, und zwar so, daß dabei die Geltungssphäre in die metaphysische hineingezogen und zur ihr "hypostasiert" [vergegenständlicht - wp] wird. Das gewaltige, die Jahrtausende beherrschende Urbild dieser Erscheinung liegt in der platonischen Philosophie. Ihren Ausgangspunkt nämlich hat die ganze platonische Metaphysik des  Übersinnlichen  von einem Problem des Unsinnlich- Geltenden,  vom Problem geltender Wahrheit, geltender "Begriffe" genommen. Die Welt des Theoretischen, das Transzendente der Begriffe, hat PLATO überhaupt über das Sinnliche hinaus zu einem Nichtsinnlichen hingeführt. Am Wesen der zeitlos geltenden unsinnlichen Wahrheit ist ihm das Wesen der Zeitlosigkeit überhaupt, der Nichtsinnlichkeit überhaupt aufgegangen. das Reich der Wahrheit  ansich der theoretischen Sachlichkeit, wurde für ihn das Paradigma für jegliches An-sich, für die am unsinnlichen Ort antreffbare, von der zeitlichen Subjektivität unabhängige und ihren Gegenstand bildende zeitlose Wesenheit, der gegenüber alles Erfassen ein bloßes Empfangen und Erinnern ist. Wie ja von PLATO - darauf wird an einer späteren Stelle noch einmal hinzuweisen sein - auch das Atheoretisch-Übersinnliche, das "Gute, Schöne, Gerechte, Heilige", stets nicht anders als vom Theoretischen umschlossen, als in Wahrheit, in Begrifflichkeit eingetaucht als Gegenstand der Hingabe zugelassen wird, also für ihn zwischen die übersinnliche Welt und unser Erleben sich stets das Theoretische dazwischen schiebt. Doch ganz abgesehen von diesem letzteren Anzeichen für seine Verehrung des Theoretischen, es wird bei ihm das Theoretische schon als solches, die Wahrheit, die Begrifflichkeit, die Idee - ganz gleich ob die Idee des Guten und Gerechten oder die von Blau und Rot-, all das wird, schon weil es aus der sinnlichen Sphäre und aus der Zeitlichkeit  irgendwie  herausfällt, schon um seiner bloßen Unsinnlichkeit und Geltungsartigkeit willen, vergöttert, zum übersinnlichen An-sich und Urgrund gemacht. Das Logische, die Gültigkeit der Wahrheit, was den Sinndes theoretischen Gebietes ausmacht, wird mit Vernunft und Sinn der Welt, mit dem göttlichen Prinzip, mit dem wahren Sein, wovon das sinnliche nur ein niederer Abglanz ist, in eins gesetzt. Das allein ist der wahre Sinn des "Hypostasierens" der Ideen zu einer von der Erscheinungswelt unterschiedenen übersinnlichen Realität. Der Fehler des Hypostasierens besteht in der Zusammenwerfung des Geltend-Unsinnlichen und des Metaphysisch-Übersinnlichen. Es ist darum ebenso LOTZEs Interpretaion der platonischen Ideenwelt wie auf der anderen Seite der nichtssagende Vorwurf der Verdinglichung abzulehnen. So gewiß man LOTZEs Deutung zugeben muß, daß PLATO das, was "gilt", vorgeschwebt hat, ja sogar für den ganzen Entwurf der Ideenlehre bestimmend geworden ist, so zweifellos ist es andererseits, daß er nicht bei einem bloß Geltenden Halt gemacht, nicht den Gedanken des Geltenden gesondert festgehalten hat, vielmehr die ganze Gegenständlichkeitsart des Metaphysischen damit zusammenfließen ließ. So gewiß aber PLATO somit über die geltende Begrifflichkeit zum Überseienden fortgeschritten ist, so verfehlt ist es wiederum, zu verkennen, daß die "Realität", zu der von ihm die Ideen "hypostasiert" worden sind, eben nichts mit der Realität des Sinnlich-Seienden zu tun hat.

So ist die Sphäre, über die das Gebietsprädikat des "Geltens" herrscht, und darum insbesondere auch die Art des Logischen in der bisherigen Spekulation entweder in einer metaphysischen Sphäre des Idealen, des Intelligiblen, der Vernunft, des Geistes untergegangen oder aber gänzlich heimatlos geblieben. Da war es nun in jüngster Zeit die entscheidende Leistung LOTZEs, daß er neben der Art des Seienden und der des Überseienden das Geltende als ein drittes Reich entdeckt und damit- zumindest implizit - die Unzulänglichkeit der uralten Dualität des Sinnlichen und des Übersinnlichen, der ganzen bisherigen Zweiweltentheorie, offenbar gemacht hat. Wir stehen heute mitten in der Zeit seines belebenden Einflusses. Dem LOTZEschen Begriff dessen, "was gilt, ohne sein zu müssen", hat WINDELBAND eine das ganze System der Philosophie einheitlich beherrschende Bedeutung gegeben, ihn der letzten Scheidung des Denkbaren, der Einteilung allen Erkennens zugrunde gelegt und damit für die Gegenwart die Erneuerung der Zweiweltentheorie geschaffen, deren zu Beginn dieser Einleitung gedacht wurde. Unabhängig von LOTZE, der Formulierung, aber in letzter Linie nicht der Sache nach abweichend, steht neben dieser ganzen Richtung COHEN und der gesamte den kantischen transzendentalen Begriff der apriorischen Gültigkeit für die Gegenwart wieder zurückerobernde Neukantianismus. HUSSERL hat den LOTZEschen Begriff des Geltens in einen ganz bestimmten Gedankenkreis BOLZANOs eingeführt, woraus eine bedeutsame Revision der logischen Grundbegriffe entspringt. Über die Entlegenheit und Verschlossenheit des transzendenten Geltens hat in der theoretischen Philosophie RICKERTs in dem für die Erkenntnistheorie dieser Richtung grundlegenden Werk "Der Gegenstand der Erkenntnis" hinausgeführt, indem er den Wertbegriff zum Zentralbegrif auch der Logik machte. Das Gelten erhält dadurch Farbe und Charakter, das Logische ist aus seiner Isolierung erlöst, seine sachliche Heimat ihm angewiesen.

LOTZEs Herausarbeitung der Geltungssphäre hat der philosophischen Forschung der Gegenwart den Weg vorgezeichnet. Es ist ihre Bestimmung, weder das Geltende vom Metaphysischen überwuchern zu lassen, noch bei Verdrängung des Übersinnlichen alle philosophischen Probleme in die Geltungssphäre hineinpressen zu wollen. Sie hat innerhalb des Nichtsinnlichen die panmetaphysische ebenso wie die panaxiologische Klippe zu vermeiden. Es ist ihr Beruf und die ihr entstehende ganz neue Aufgabe in der Entwicklung des philosophischen Nachdenkens, die Geltungssphäre in ihrer Unvergleichlichkeit als ein neues Revier der philosophischen Besinnung gegen das Sinnlich-Seiende wie gegen das Übersinnlich-Überseiende abzugrenzen. Nur dann wird die neue philosophische Geltungswissenschaft ihren Platz behaupten können, nur ann entgeht sie der Gefahr, über der Freude am Neuen sich gegen die uralten Themata der Philosophie zu versündigen und so zu verkümmern.

Wie wichtig und gerade für das Verständnis der gegenwärtigen Lage in der Kategorienlehre gar nicht zu umgehen diese ganze Auseinanderhaltung des Geltenden und des Übersinnlichen ist, wird sich später noch auf das Deutlichste bestätigen. -

Allein der Hauptangelegenheit dieser Schrift, nämlich der Forderung einer beide Hemisphären berücksichtigenden Logik gegenüber, können die Unterschiede innerhalb des Nichtseienden allerdings vernachlässigt werden. Für diese Zwecke genügt schon, daß überhaupt eine Zweiweltentheorie vorliegt, neben dem Sinnlich-Seienden irgeneindein Minimum an Nichtseiendem steht. der Zweiweltentheorie ist ja jede Weltanschauung schon verfallen, in der auch nur an irgendeiner Stelle - sei es in der theoretischen oder sonstigen Spekulation - der strikteste Naturalismus und Sensualismus durchbrochen, von jenem alle Geltung, Wert, Sinn und Bedeutung leugnenden sensualistischen Nihilismus abgewichen wird, der übrigens in achtungsgebietender Reinheit und Strenge fast nirgends anzutreffen ist. An der Gegenüberstellung des Seienden und des Geltenden kann somit bereits die Urdualität, die des Seienden und des Nichtseienden, studiert werden. Diese Abhandlung wird dann auch in ihren systematischen Ausführungen von der Sphäre des Nichtseienden nur das Geltende zugrunde legen, sich in erster Linie an das philosophische Geltungserkennen halten. Es wird darum der ganzen Postulierung einer an der Zweiweltentheorie orientierten Kategorienlehre im wesentlichen der Dualismus der Seins- und der Geltungssphäre, des Seins- und des Geltungserkennens zugrunde liegen. Dabei werden aber die für die Metaphysik des Übersinnlichen von selbst sich ergebenen Konsequenzen gelegentlich nicht außer acht bleiben; im Ganzen jedoch soll die Lehre vom Über-Seienden lediglich in der historischen Darstellung Berücksichtigung finden.

Da somit die gerade auf die Zweiheit des Seienden und des  Geltenden  zugespitzte Zweisphärentheorie den Unterbau der gesamten folgenden Ausführungen bilden wird, soll schon an dieser Stelle, wenn auch nur in der vorläufigsten und rohesten Gestalt, die Heterogenität gerade dieser beiden Regionen nahe gebracht werden. Nach der zunächst sich aufdrängenden Vorstellung treten aber die beiden Sphären als zwei getrennte Gebiete, zwei gesondere Reiche einander gegenüber. Alle Bedenken, die sich gegen eine solche Auseinanderreißung zu zwei getrennten "Welten" regen könnten, sind an dieser Stelle noch zu unterdrücken. Man muß sich für jetzt damit begnügen, daß doch wenigstens hinter dem, was hierbei als zweierlei hingestellt wird, auch in Wahrheit jedenfalls nicht ein monistisch aufzufassendes Allerlei, sondern ein irgendwie  zweierlei  Etwas dahintersteckt. Auf diese hierbei irgendwie zugrundeliegende Dualität soll vorläufig der Blick hingelenkt werden. Es mag im Übrigen eine solche Gegenüberstellung an noch so vielen Schiefheiten leiden. Vielleicht bilden die einander eigentlich gegenüberzustellenden Glieder nur Momente an den beiden hierbei zu Gebieten verselbständigten Sphären. Das alles aufzuklären ist gerade der Hauptzweck der ganzen Untersuchung. Erst an ihrem Ende kann sich herausstellen, welch mannigfache Rektifikationen [Berichtigungen - wp] der Gedanken der Zweiweltentheorie erfahren muß, und was überhaupt an der ganzen Rede von zwei Welten noch übrig bleibt. Gerade die Inbeziehungsetzung von Zweiweltentheorie und Kategorienlehre wird hierin Klärung bringen können. Denn wenn auch einerseits die Kategorienlehre an den Dualismus der Weltanschauung erst angeknüpft wird, so verhilft doch auf der anderen Seite wieder die Kategorienlehre dazu, den genaueren Sinn einer Zweiweltentheorie zu bestimmen. Die jetzige Gegenüberstellung hat darum eigentlich mehr einen didaktischen Wert, indem sie uns die Heterogenität der beiden Sphären vorläufig nur in der plumpesten Form aufdrängt.

Nach den beiden Gebietsprädikaten des Seins und des Geltens sollten die beiden heterogenen Gebiete benannt werden. Man hat sich also nach der jetzigen vorläufigen Betrachtungsweise diese beiden Sphären als zwei selbständige Reiche einander gegenüberstehend zu denken, von denen die eine ebenso durch und durch geltender Art ist, ebenso als ein Bestand von lauterer Geltungsartigkeit erscheint, wie die gegenüberliegende Sphäre einen durch und durch aus Seinsmasse bestehenden Komplex bildet.

Man mag die Seinsmasse mit Rücksicht auf die allumfassenden Seinsmomente der Räumlichkeit und Zeitlichkeit als räumlich-zeitliche, raum- und zeiterfüllende sinnlich-anschauliche Inhaltsmasse bezeichnen. Das Seinsgebiet besteht im räumlich ausgedehnten und zeitlich verlaufenden Inbegriff, dessen Elemente noch dinghaft und kausal verknüpft sein mögen; mithin im Universum des Seienden und Geschehenden, der ursächlich miteinander verketteten Dinge und Ereignisse. Neben dem Gebietsprädikat  Sein  erweisen sich damit weitere Prädikate wie Dinghaftigkeit und Kausalität als charakteristisch für das ganze Gebiet. Die Seinsmasse fällt mit der psychophysischen Masse zusammen, wobei weder über das Psychische noch über das Physische, noch über das Verhältnis beider das mindeste ausgesagt sein soll.

Auf der gegenüberliegenden Seite steht das dem Sein korrespondierende Gebietsprädikat des Geltens. Es herrscht über die Geltungssphäre, über das Reich des zeitlos Gültigen, des Sinnes, des objektiven Sachgehalts. Nur nach seiner allgemeinsten Wesenheit wird es vorläufig ganz unbestimmt und in absichtlich elementarster Darstellung gekennzeichnet. Die folgenden allbekannten Primitivitäten sind lediglich dazu da, im weiteren Verlauf mannigfach wieder umgestoßen zu werden. Aber gerade darin findet die jetzige Formulierung der Zweiweltentheorie ihre Rechtfertigung, daß sie für die späteren mehrfachen Umbildungen die Basis abzugeben hat. Schon in der jetzigen Darstellung tritt jedoch immerhin das Moment der Geltungsartigkeit, der Unsinnlichkeit, der Zeitlosigkeit überhuapt - und auf nichts anderes soll es vorläufig ankommen - deutlich entgegen.

Als Prototyp der Geltungssphäre stellt sich sofort das schrankenlose Reich der Wahrheit ein, das sich aus lauter zeitlosen Geltungseinheiten, aus den einzelnen Wahrheiten, zusammensetzt. Da eröffnet sich sogleich der Ausblick in die Region des Nichtseienden, in jene Sphäre, in der es kein oben und unten, kein vorher und nachher, kein Sein und Geschehen, keine Ursache und Wirkung gibt. Die Wahrheit eines Satzes  gilt;  es wäre absurd, zu meinen, sie sei oder geschehe wie das Raum- und Zeiterfüllende. Auch die Wahrheit über ein räumlich-zeitliches Ereignis nimmt als Wahrheit, als Geltendes, an der Raumzeitlichkeit und überhaupt an der sinnlichen Anschaulichkeit des Seienden nicht teil; sie gilt raumlos und zeitlos, erfüllt nicht den Raum und tritt nicht wie ein Ereignis in die Zeit ein. Wir sagen von der Wahrheit meist nur die Zeitlosigkeit aus. Aber diese ist lediglich ein diagnostisches Merkmal dafür, daß sie erst recht auch raumlos, farblos, tonlos, überhaupt unanschaulich ist. Wie ja auch die Wahrheiten über räumliche, bewegliche, farbige, tönende, überhaupt anschauliche Gegenstände, über früher und später eintretende Ereignisse selbst nicht räumliche, bewegliche, farbige, tönende, überhaupt anschauliche, frühere oder spätere Wahrheiten sind. Man kann sich für diese didaktischen Zwecke das Wesen der Zeitlosigkeit noch etwas näher bringen, wenn man gewisse sogenannte Wahrheitsbeziehungen, z. B. das "Folgen" der Wahrheiten auseinander, berücksichtigt. Im Syllogismus "folgt" der Schlußsatz aus seinen "Gründen", aus der Wahrheit der Prämissen. Eine solche Geltungsfolge ist eine eigenartige Verwicklung auf dem Gebiet des Zeitlosen von unvergleichbar anderer Art als sie die auf die zeitliche Region zugeschnittenen prädikativen Bestimmungen des Geschehens und des kausalen Geschehenszusammenhangs aufweisen. Folge und Ursächlichkeit, diese zwei Prädikate für das Zeitlose und für das Zeitliche, zeigen die ganze Heterogenität der ihnen zugeordneten Gebiete. "Bewirkt" vielleicht die Wahrheit der Prämissen die Wahrheit der Konklusion? Die geltenden Wahrheiten der Vordersätze sind doch nicht reale Potenzen, zeiterfüllende Ereignisse, die zusammentreffen und so die Wahrheit der Konklusion realiter in die Welt setzen. Vielmehr ist die Abhängigkeit des Gegründetseins - wenn die einen Sätze  gelten,  dann  gelten  auch die andern -, dieses dem  Sinn  nach Durcheinanderbedingtsein, der Geltung nach Auseinanderhervorgehen und Zusammengeschlossensein, diese im Reich der zeitlosen Sachlichkeit sich abspielende Beziehung, etwas unvergleichbar anderes als die ursächliche Verkettung zwischen realen Geschehnissen. Die Sprache freilich vermag dieses "Folgen", dieses "Nachsichziehen" (dem Sinn nach) nur in Gleichnissen auszudrücken, die der Welt des Sinnlichseienden entnommen sind. Sie bedient sich der räumlichen und zeitlichen Bilder: "Folge", "Grund", "Hervorgehen" usw. Oder man denke an ein anderes Wahrheitsverhältnis, an das der Unverträglichkeit zweier einander kontradiktorisch entgegengesetzter Sätze. Wie vorher das Zusammengehörigkeitsgefühl keine Verbindung, so ist das Ausschließungsverhältnis keine Abstoßung zwischen Realitäten, keine "Realrepugnanz" [wirklicher Widerspruch - wp]. Es besteht hier nicht ein reales Sichausdemfeldschlagen wie zwischen gleichnamigen magnetischen Polen, kein realer Vernichtungsprozeß. Das "Sichwidersprechen", die Unverträglichkeit des Geltens und dem Sinn nach, ist ein ganz eigentümliches Verhältnis zwischen Gebilden unsinnlich-zeitloser Art. Wieder verfügt die Sprache nur über Bilder aus dem Bereich der anschaulichen Realität, über Bilder eines räumlichen Auseinandeliegens oder Aufeinanderstoßens und Kämpfens:  antikeisthai  [entgegenliegen - wp], oppositio, Widerstreit, Unverträglichkeit.

Es liegt bekanntlich die Versuchung nahe, sich die Zeitlosigkeit des Geltenden doch wieder mit Hilfe zeitlicher Bestimmungen als anfangs- und endlose Dauer auszumalen, der zeitlosen die zeitliche Ewigkeit, der  aeternitas  die  sempiternitas  [Beständigkeit - wp] unterzuschieben. Aber das "ewig"-währende Beharren, die Unentstandenheit und Unvergänglichkeit, ist nach PLATOs richtiger Angabe nur ein Bild der wahren Ewigkeit, die Unendlichkeit der Zeit höchstens ein Symbol der Zeitlosigkeit (1). Wir erklären die Wahrheit eines Satzes wohl für unabhängig vom "Augenblick" ihrer Entdeckung, für "vorher" bereits geltend und auch "dann" noch gültig, wenn kein Denken mehr davon weiß, kurz als an keinen Zeitpunkt gebunden und auf keine Zeitdauer beschränkt. Aber gerade eine solche Ablehnung der Zeitbeschränkung verleitet die Phantasie dazu, sich die geltende Wahrheit als ein die Zeit dauernd und unbewegt Erfüllendes, Ungewordenes und Unzerstörbares, zu denken. Es kommt der falsche Nebensinn hinein, durch den das zeitlos Geltende zu einer den Weltveränderungen trotzenden, von der Gewalt der Zeit nicht bedrohten Wesenheit umgewandelt wird. Für die echte Betrachtungsweise  sub specie aeternitatis  [im Licht der Ewigkeit - wp] ist jegliche Zeitbestimmung fernzuhalten, das zeitliche Beharren ebensogut wie das eine Zeitstelle und eine begrenzte Zeitstrecke Einnehmen.

Kaum sollte vielleicht die Warnung davon nötig sein, an der Zeitlosigkeit des Geltenden durch das Hineingebanntsein des Zeitlosen in die Zeitlichkeit des Erlebens irre zu werden. Man wird sich nicht dazu verleiten lassen, das Zeitlose selbst in die Zeitlichkeit herabgezogen zu denken, der lediglich die Erlebnisakte angehören, die auf die zeitlosen Geltungsgebilde gerichtet sein können. Vielmehr gerade bei einem solchen Aneinandergebundensein des Zeitlosen und des Zeitlichen hebt sich die Diskrepanz beider Sphären umso schärfer heraus. Die zeitlose Ordnung des Sinnes, zu der sich die einzelnen Geltungsgebilde zusammenschließen, die Zusammengehörigkeit im reinen Sachgehalt, tritt umso deutlicher in ihrer völligen Unabhängigkeit und Fremdartigkeit gegenüber der zeitlichen Entfaltung ihrer bloßen Erlebnisträger hervor.

So zerfällt nach der bisher erreichten Anschauungsweise das All des Denkbaren in die zwei gesonderten Gebiete des Seienden und des Geltenden, von denen das eine das Objekt des Seins-, das andere das des philosophischen Geltungserkennens ausmacht. Denn gerade in das hat sich doch die Philosophie zu vertiefen, was aus der Fläche des Seins herausfällt, was ein Nicht-"Seiendes" ist und dennoch nicht ein Nichts. Noch steht die Geltungssphäre, dieses Objekt der Philosophie, völlig unbestimmt und undurchdrungen da. Sie ist bis jetzt allein nach der naheliegendsten Vorstellungsart gezeichnet. Da erschien sie wie ein Inbegriff von eitel Geltungsartigkeit, wie ein einziger, ununterbrochener, aus lauter Geltungsgebilden aufgebauter Zusammenhang, wie eine in sich ruhende, aus nichts als aus Zeitlosigkeit bestehende Sphäre. Diese Struktur oder vielmehr Strukturlosigkeit mußte sie jetzt noch aufweisen. Aber sofern es überhaupt und in irgendeinem Sinn ein Geltungsartiges gibt, ist doch die allgemeinste Daseinart oder vielmehr Nichtseinsart, die Unsinnlichkeit, die Zeitlosigkeit des Geltenden in vorläufiger Fassung bereits eingeführt. Was auch später über den Bestand einer zeitlosen Sphäre ausgemacht werden mag, sie wird auf jeden Fall das jetzt erörterte Wesen der Zeitlosigkeit an sich tragen müssen. Wenn es nur  irgendwie  das Zweierlei eines seienden und eines zeitlos-geltenden Etwas gibt, dann ist dem Erfordernis einer Zweisphärentheorie schon Genüge getan.


2. Abschnitt
Die Forderung einer der Zweiweltentheorie
entsprechenden Kategorienlehre

Wie hat sich die Logik und "Erkenntnistheorie" bisher zu dem zweiweltentheoretischen Gesamtbild der philosophischen Weltanschauung und zu der daraus hervorgehenden Tatsache der zwei Erkenntnisgebiete verhalten? Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Fast die gesamte theoretische Philosophie der Gegenwart und zu einem überwiegenden Teil die der Vergangenheit - über die Ansätze zum Gegenteil wird in einem historischen Überblick berichtet werden - hat das Wesen des Theoretischen, das "Erkennen", nur in ungeheuerer Einseitigkeit und Verengerung berücksichtigt. Auch da, wo in der Spekulation eine Zweiweltentheorie vertreten wird, ist man in der Logik geradezu blinde gegen diese Dualität der Gegenstands- und der Erkenntnisgebiete, stellt eine Logik der Einweltentheorie auf, läßt nur das Seinsgebiet und das Seinserkennen in der "Erkenntnistheorie" gelten. Bestimmend ist hierbei für die Neuzeit KANTs Dogma von der Unerkennbarkeit des Nicht-Sinnlichen, seine Einengung des kategorialen Gehalts auf die Sphäre des Sinnlich-Anschaulichen, seine Einschränkung der theoretischen Spekulation auf eine "Metaphysik der Natur" gewesen. KANT glaubte sich mit der wirklichkeits- und naturerkennenden reinen Vernunft bescheiden zu müssen, nur dem Erkennen der sinnlichen Seinshemisphäre räumte er im positiven Teil der Vernunftkritik eine Stelle ein. In dieser Einengung des Erkenntnis- und folgeweise des Kategorienproblems ist die gesamte spätere irgendwie an KANT orientierte Erkenntnistheorie dem Begründer des Kritizismus nachgefolgt.  Es gilt für selbstverständlich, daß Erkenntnistheorie nur Theorie des Seinserkennens, Kategorienlehre - wenigstens, was die "konstitutiven" Kategorien anlangt - nur Lehre von den Seinskategorien sein kann.  Fast nirgends wird auch nur die Frage aufgeworfen, ob sich die Herrschaft des Theoretischen nicht über die Seinssphäre hinaus erstreckt. So tritt hier der grelle Widerspruch zutage, daß, während in der Praxis des Erkennens ein nichtnaturalistisches Philosophieren, ein Erkennen des Unsinnlich-Geltenden betätigt, ja während sogar bereits der Schritt getan wird, in der Reflexion dieses Philosophieren ausdrücklich als Geltungserkennen zu bestimmen, also während doch ein  Wissen  von der unsinnlichen Geltungssphäre ausdrücklich zu gestanden wird, man dennoch gleichzeitig in der offiziellen  Theorie  des Erkennens von all dem keine Notiz nimmt, in der logischen Besinnung das ganze Geltungserkennen geradezu unterdrückt.

Man mache mit dem Gedanken der Erkennbarkeit auch des Nicht-Sinnlich-Seienden einmal ernst, dann entsteht ein ganz neues Forschungsgebiet für die Wissenschaft der Logik, dann wird man gewahr werden, was aus der schlichten Tatsache der Erkennbarkeit des Nichtseienden alles folgt, was für ein genaues Analogon der seinslogischen Probleme man für die Logik des Nichtseienden erhält. Es wird sich in dieser Abhandlung zeigen, welche fundamentalen Konsequenzen gerade für die  Kategorienlehre  aus dieser Neubebauung eines fast nie bearbeiteten Gebiets der Logik, aus der Erweiterung des Erkenntnis- und Kategorienbegriffs, aus der ausdrücklichen Besinnung auf den ganzen Umfang des Theoretischen sich ergeben. Es gilt, eine Logik zu begründen, in der endlich einmal auch das geltende Etwas als ein  Etwas  und nicht als ein Nichts und zwar als ein  erkennbares  Etwas anerkannt, in der das  All  des Denkbaren als Gegenstand der Erkenntnis legitimiert wird.

Wir postulieren somit eine mit der Zweiweltentheorie übereinstimmende Logik. Wir fordern, daß jegliches, auch das philosophische Erkennen, ins "Bewußtsein" erhoben wird und die logische Besinnung sich darauf richtet. Daß ferner diese logische Ergründung ausdrücklich in die Gesamtwissenschaft der Logik, der theoretischen Philosophie einverleibt wird, und daß die logischen Grundbegriffe stets in der dadurch nötig gewordenen Erweiterung behandelt werden. Wir fordern, daß, so wahr das Nichtseiende um nichts weniger ein Etwas ist, als das Seiende, neben die logische Untersuchung des Seinserkennens als ebenbürtiger Zweig der theoretischen Philosophie die entsprechende "Erkenntnistheorie" des philosophischen Erkennens tritt, wir fordern - mit einem Wort -  die Logik der Philosophie.  Wir legen als Logiker die Hand auf eine unbegreiflicherweise fast stets vernachlässigte Domäne der Logik. Die Logig spielt gegenüber dem philosophischen Erkennen genau dieselbe Rolle wie gegenüber allem anderen Wissen. Es ist nicht einzusehen, warum in der Logik gerade das philosophischen Erkennen unterschlagen werden und unerforscht bleiben soll. Nur wer dem Philosophieren den Erkenntnischarakter abspricht - das tun aber in der Theorie der Spekulation die wenigsten, und gar in der Praxis der Spekulation macht es niemand -, nur der dürfte die Logik der Philosophie leugnen. So wahr es spekulatives Wissen gibt, so wahr gibt es auch die Logik der Spekulation. So weit das Erkennen reicht, so weit reicht die Theorie des Erkennens und, wie gezeigt werden wird, die Kategorienlehre. Die Gegenwart bemüht sich, alle Wissensgebiete und Wissenstendenzen für die Logik zu erobern, sie logischen und methodologischen Untersuchungen zu unterwerfen. Warum wird gerade das philosophische Wissen in der Logik ignoriert? Man kämpft mit Recht gegen die Einseitigkeit der ausschließlich auf das Naturwissen gerichteten Logik, gegen den methodologischen Naturalismus. Aber das Übel sitzt viel tiefer. Heilung dagegen gibt es nur, wenn man sich vom "erkenntnistheoretischen", kategorial-theoretischen Naturalismus und Realismus, von der Einseitigkeit der bloßen Seinslogik befreit, wenn man der kantischen Kritik der naturerkennenden Vernunft zunächst eine Kritik der philosophisch erkennenden Vernunft gegenüberstellt, die Ebenbürtigkeit  zweier  Sphären  konstitutiv -kategorialen Gehalts einsieht. Denn umd diese Grundschicht, die konstitutiv-kategoriale, die der "Erkenntnistheorie" angehörende Region der theoretischen Philosophie handelt es sich bei dieser Forderung einer breiteren Fundamentierung der Logik. Nur die Koordinierung des Seins- und des Nichtseinserkennens, die Grundlegung der primitivsten, der übermethodologischen Schicht logischer Probleme wird auch die Basis für alle weitere Klärung über den  globus intellectualis  der Wissenschaften bilden können. Auch in der  Logik  muß schließlich zum Ausdruck gebracht werden, daß alle Klassifikation des Erkennens von nirgends anders her als von der Gegensätzlichkeit des philosophischen und des Seinserkennens ihren Ausgang zu nehmen hat, von jener Gegensätzlichkeit, die man ja sonst - nur nicht in der Logik selbst - zutreffend an die Spitze aller Erkenntniseinteilungen stellt. -

Nur den allgemeinen Grundzügen nach wird diese Abhandlung die Übertragung des Kategorienproblems auf die Hemisphäre des Nichtseienden vornehmen. Immerhin soll die Berechtigung einer Logik der Zweiweltentheorie, die Möglichkeit einer kategorial-logischen Unterbauung nicht nur des empirisch-wissenschaftlichen, sondern auch des philosophischen Erkennens, die genau bis ins Einzelne reichende Analogie der logischen Probleme in den beiden heterogenen Sphären, zu völliger Klarheit herausgearbeitet, die Fruchtbarkeit der für die Logik geforderten Aufgabe einwandfrei erwiesen werden.

Der erste vorbereitende Teil wird die Grundbegriffe der Logik, insbesondere den Begriff der kategorialen Form, in der gegenwärtig üblichen Einschränkung auf das Seinsgebiet und zwar nur soweit erörtern, als für die Zwecke der im zweiten Teil vorgenommenen Übertragung des Kategorienproblems auf das unsinnliche Gebiet, also für das eigentliche Thema der ganzen Abhandlung erforderlich ist. Die Untersuchung bleibt dabei fortwährend im Problemkreis der Kategorienlehre, aber ohne den Ort des Kategorienbegriffs in einem System der Logik allseitig zu bestimmen. Wenn diese Abhandlung als "Logik der Philosophie" betitelt ist, so behandelt sie dennoch in ihrem zweiten Teil nur die  Kategorienlehre des philosophischen Erkennens  und auch diese nur in den durch den Zweck dieser Schrift geforderten Grenzen. Auch die Methodologie der Philosophie wird nicht berührt, da es ganz allein auf den "erkenntnistheoretischen", den übermethodologischen Teil der Logik abgesehen ist. Denn auf die Erkämpfung eines neuen Anwendungsgebietes für die Kategorie soll es ja in letzter Linie hier ankommen.

Nur im Sinne dieser Umfangsfrage richtet sich auch die Polemik gegen die Einseitigkeit des Kantianismus (2). Es sind dagegen gerade die Prinzipien der Transzendentalphilosophie, der Kategorienlehre KANTs, die hier eine erweiterte Anwendung und dadurch Befestigung erfahren sollen. Es ist der kantische Form- und Kategorienbegriff, es ist die kopernikanische Tat, die allen Ausführungen zugrunde liegt. Nachdem KANT uns die kopernikanische Tat für das Seinsgebiet vorgemacht hat, gilt es, sie in ihrem ganzen Umfang zu beweisen.


Erster Teil
Die Logik der Seinskategorien

Die theoretische Philosophie, die Logik, die Kategorienlehre ist ein Zweig der philosophischen Geltungswissenschaft, ihr Objekt gehört der Geltungssphäre an. In der Einleitung sind die Sphären des Seienden und des Geltenden einander gegenübergestellt, und es ist dann - zumal im zweiten Abschnitt - auf beide das jedesmalige Erkennen, das seinswissenschaftliche und das philosophische, bezogen worden. Die Theorie des Erkennens nun als philosophische Disziplin hat es unter allen Umständen, deshalb auch die Theorie des auf das Seinsgebiet gerichteten Erkennens, mit einem Nichtseienden, mit Geltendem, mit Erkenntnisgültigkeit, mit theoretischer Gültigkeit, zu tun. Wenn jetzt in die logische Untersuchung eingetreten wird, so gilt darum für ihr Objekt das, was vorher für die Geltungssphäre als für das philosophische Objekt überhaupt ausgemacht wurde. Trat uns doch früher als Beispiel für das Reich des Sinnes gerade das Reich der Wahrheit ein. Zudem wurde gelegentlich schon angedeutet, daß durch die schroffe Aufteilung des Denkbaren in das Seiende und das Geltende gerade auch für den Gegenstand der  theoretischen  Philosophie, der Logik, der transzendentale Ort im All des Denkbaren bestimmt wird (siehe oben). Erst durch die ausdrücklich Hineinstellung in die Geltungssphäre wird das Logische aus seiner Vereinsamung herausgerissen. All die Derivativa des Geltungsbegriffs, des Leitbegriffs dieser ganzen Sphäre, wie die Begriffe der Bedeutung, des Sinnes, vor allem des Wertes, werden von jetzt an auch im Bereich des Logischen heimisch. Ohne diese klare Einordnung des Logischen in eine der Sphären des Denkbaren erscheint das ganze Wiedererwachen der theoretischen Transzendentalphilosophie, des Kantianismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ihr Sichlosringen von seinswissenschaftlicher Psychologie auf der einen, von Metaphysik des Übersinnlichen auf der anderen Seite, noch nicht als ein Zustand völliger Wachheit. Wenn da versichert wird, nicht um die Entstehung, sondern um den "Begriff", nicht um die Ursachen, sondern die "Gründe" der Erfahrung, nicht um Erkennen im subjektiven, sondern im "objektiven" Sinne, nicht um psychologische, sondern um eine "logische" Charakterisierung handle es sich - so ist das in letzter Linie noch ein Stammeln von Worten und ein Tappen im Dunkeln. Besonders auf dem Wort "logisch" ruht ein uralter Zauber. Es wird für ein Letztes, Unvergleichbares, Unkoordinierbares ausgegeben, über das nicht hinausgefragt werden darf. Logisch ist eben logisch und weder metaphysisch noch psychologisch. Aber welcher Art ist es dann, und hat es nirgends seinesgleichen, nirgends eine Unterkunft im All des Denkbaren? Da ist es nun ein entscheidender Schritt der gegenwäritgen Geltungs- und Werttheorie gewesen, das Logische eindeutig und fraglos und unerbittlich in der Zweisphärentheorie, in der Dualität des Seienden und des Geltenden untergebracht, ihm seine sachliche Stelle angewiesen zu haben. Bei irgendeinem Letzten muß man freilich Halt machen. Aber so ein Letztes ist eben das Logische noch nicht. Die Zweiweltentheorie vermag es umfassenderen letzten Begriffen unterzuordnen, bringt es in einen erleuchtenden Zusammenhang mit den anderen philosophischen Disziplinen. -

Die Logik, die Erkenntnistheorie, die theoretische Transzendentalphilosophie hat es also mit theoretischer Gültigkeit, mit einem Ausschnitt aus der Geltungssphäre zu tun. Die kantische Erkenntnistheorie aber behandelt ausschließlich das Erkennen des Seinsgebietes; und auf dieses Kapitel der theoretischen Philosophie beschränkt sich auch der ganze folgende erste Teil.

Es soll nun wie bisher die Geltungssphäre überhaupt, so auch der theoretische Geltungsgehalt zunächst noch völlig unbestimmt gelassen werden. Der erste Abschnitt behandelt noch unabhängig von jeder genaueren Charakterisierung der transzendentalen Gebilde, der apriorischen Geltungseinheiten, das durch KANT in die Geschichte des Denkens eingeführte Verhältnis zwischen der Sphäre der Erkenntnisgültigkeit und dem Gegenstand des Erkennens, also dem sinnlich-anschaulichen Seinsgebiet. Obgleich der kantische  Form begriff sachlich gar nicht von seiner theoretischen Transzendentalphilosophie und seiner kopernikanischen Tat zu trennen ist, soll aus Gründen der Problemerzeugung das Eingehen auf den Formcharakter des Theoretischen erst im zweiten Abschnitt nachgeholt werden.


1. Abschnitt
Kants kopernikanische Tat

Die universalgeschichtliche Stellung KANTs in der Entwicklung der theoretischen Philosophie beruth auf seiner kopernikanischen Tat. Wie sehr auch in der historischen Gestalt seines Systems seine Umwälzung des Wahrheits- und Erkenntnisbegriffs der vergangenen Jahrtausende sich mit seiner metaphysischen Zweiweltentheorie, mit seiner Entgegensetzung von Erscheinung und Ding-ansich, verquickt, seine revolutionäre Leistung in der Wahrheits- und Erkenntnistheorie läßt sich trotzdem aus dieser Verschlingung als etwas Selbständiges herauslösen. Durch KANTs kopernikanische Tat teilt sich die theoretische Spekulation aller Zeiten in eine dogmatische und eine kritische Epoche. Daß er jedoch das Erkenntnisproblem nicht als ein psychogenetisches, sondern als eine Kritk der reinen spekulativen "Vernunft" gefaßt hat, erklärt noch nicht seine einzigartige Stellung, macht ihn noch nicht zum Begründer einer neue Epoche. Die großen Rationalisten aller Zeiten sind darin seine Vorläufer gewesen. Und bestände ferner seine kritische Eigenart in jenem so häufig dafür vorgeschobenen Unternehmen, vor der Erforschung der Gegenstände das Erkennen selbst zu prüfen, so ermangelte seine Lehre der Originalität, und KANT sänke zum Epigonen von DESCARTES oder LOCKE herab. Denn eine noch so große Bevorzugung und Voranstellung der philosophischen Erkenntnisprobleme vor den philosophischen Seinsproblemen führt noch nicht über den allen vorkantischen Richtungen gemeinsamen Dogmatismus hinaus. Das ganz Neue und Unerhörte, was sich noch niemand hatte "einfallen lassen", besteht vielmehr in der Überführung des Seinsbegriffs in einen Begriff der transzendentalen Logik. (3)

Der gesamte vorkantische Dogmatismus rationalistischer, empiristischer wie skeptischer Denkungsart hat - hinsichtlich der Bezihung zwischen theoretischer Sphäre und Erkenntnisgegenstand - sein gemeinsames Wesen darin, daß überhaupt noch eine Beziehung zwischen, ein Auseinanderfallen, eine  Zweiheit  von Gegenstand und Wahrheit, von "Sein" und "Erkennen", von Sein und transzendentalem Erkenntnisgehalt behauptet, die Gegenständlichkeit jenseits des "Verstandes", des theoretisch Verstehbaren, außerhalb des logischen Geltungsgehalts gesetzt wird. Die von KANT geleistete wahre Überwindung von jeglichem "Dogmatismus" (in engsten erkenntnistheoretischen Sinn) zeigt sich in der Beseitigung dieser Metalogizität, dieser "Transzendenz" gegenüber dem Logischen, in der Aufhebung dieser Unabhängigkeit des Seins gegenüber der logischen Sphäre, in der Zerstörung der uralten Auseinanderreißung von Gegenstand und Wahrheitsgehalt, in der Erkenntnis der transzendentalen Logizität oder "Verstandes"-Artigkeit des Seins.

Es handelt sich somit hierbei gar nicht um ein Verhältnis zwischen erkennendem Subjekt und Gegenstand, nicht um die Subjekt-Objekt-Zweiheit, sondern um ein Verhältnis zwischen transzendentallogischen Erkenntnis gehalt  und Gegenstan. Zwar scheint KANTs Originalität gerade darin zu bestehen, daß nach ihm die Objektivität in die notwendige und allgemeingültige Subjektivität hineinverlegt wird. Allein das läuft doch schließlich darauf hinaus, daß die gegenständliche Objektivität auf die irgendwie einer Subjektivität innewohnende Objektivität und zwar auf die dem theoretischen Subjekts- oder Vernunftgebiet angehörende Objektivität, also auf theoretische oder Erkenntnisobjektivität zurückgeführt, somit das Auseinanderfallen von Gegenständlichkeit und theoretischer Gültigkeit aufgehoben wird. Es kommt darum für die kopernikanische Leistung in letzter Linie darauf an, daß jene Doppeltheit von Gegenständlichkeit und logischem Gelten zerstört, der logische Gehalt als die Gegenständlichkeit ausmachend oder konstituierend, somit als konstitutiver transzendentallogischer Gehalt begriffen, die Gegenständlichkeit an den Gegenständen als auf Rechnung logischen Geltens kommend eingesehen wird.

KANT hat für das Objekt des Seins- und "Natur"-Erkennens, für die Realität der sinnlich-anschaulichen Wirklichkeit, diese Identifikation von Gegenständlichkeit und logischem Geltungsgehalt vertreten. Was liegt denn in all jenen Ausdrücken wie Sein, Realität, Tatsächlichkeit, Existenz? Da hat nun KANT - darin eben besteht seine so höchst einfache und ungeheure Leistung - aus all diesen Worten etwas herauszuhören vermocht, worüber die Jahrtausende hinweggehört hatten. Er hat das philosophische Nachdenken aufgerüttelt, sich einmal auf das zu besinnen, was uns aus all jenen Ausdrücken entgegentönt, wenn wir sie gleichsam emphatisch aussprechen. Dann entdeckt man: etwas ist  tatsächlich  so, etwas ist  wirklich  so, das heißt ja nichts anderes als: es ist in  Wahrheit so.  (4) Der Tatsächlichkeits- und Wirklichkeitscharakter von etwas bedeutet nichts anderes als: es hat seine objektive Bewandtnis, seine Wahrheit damit. Der objektive Bestand, die Festigkeit und Unabhängigkeit der Wirklichkeit und "Natur", die Notwendigkeit und Unverbrüchlichkeit des Geschehens, sie sind nichts anderes als die Notwendigkeit und Unverbrüchlichkeit geltender Wahrheit. Gegenständlichkeit ist weiter nichts als Gültigkeit, als unbedingtes Gelten und Zurechtbestehen (5), Objektivität des Seins weiter nichts als Absolutheit des Geltens. Gegenständliche Notwendigkeit, Sein, Existenz ist der transzendentallogische Geltungsgehalt gerade für das Sinnlich-Anschauliche. Das besagt die kopernikanische Umdrehung, wenn man sie als die Tat der transzendentalen Logik erfaßt: der logische Geltungsgehalt dreht sich nicht um die Gegenstände, steht nicht in funktioneller Abhängigkeit von ihnen, ist nicht an sie gebunden wie ein sie begleitender Schatten, ist nicht Wahrheit über die Gegenstände, so daß es heißen könnte: soviel Gegenstand, soviel Wahrheit darüber; sondern umgekehrt: die Gegenstände drehen sich um das logische Gelten, bei den Gegenständen dreht es sich um logisches Gelten, ihre Gegenständlichkeit  ist  geltende Wahrheit. So ist Tatsächlichkeit soviel wie in Wahrheit Bestehen, dinghafter und kausaler Zusammenhalt der Wirklichkeit soviel wie in Wahrheit Zusammen gehören.  (6) In Gegenständlichkeit, Sein, Existieren, Bestehen tritt uns entgegenforderndes logisches Gelten gegenüber. "Gegenstand" ist: der Subjektivität entgegengeltende, "entgegenstehende" Wahrheit. Es liegt somit in der Gegenständlichkeit noch zugleich angedeutet, daß dabei das Gelten bereits als vorschwebendes Objekt auf das Subjekt hinblickend gedacht wird. "Gegenstand" ist der transzendentallogische Gehalt, wenn er bereits als "Objekt" in Korrelation zum erkennenden Subjektverhalten gesetzt ist.

Der Sinn der kopernikanischen These ist: theoretischer Gehalt und nichts anderes steckt nun einmal in Realität, Dinghaftigkeit und kausalem Zusammenhang. Man bescheidet sich nicht etwa damit, zu meinen: so verhält es sich unter einseitig erkenntnistheoretisch-logischen "Gesichtspunkten". Vielmehr mit dem Aufweis seines theoretischen Geltungscharakters ist  das  Wesen von Sein, Gegenständlichkeit, Wirklichkeit enthüllt, und es gibt gar keinen Standpunkt, auf dem es anders erscheinen könnte.
LITERATUR: Emil Lask - Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre, Gesammelte Werke, Bd. 2, Tübingen 1923
    Anmerkungen
    1) PLATO, Timäus 37 D, 38 Bf, vgl. PLOTIN, Enn. III, 7 c 10 (ed. CREUZER), sempiternitas und aeternitas bei BOETHIUS unterschieden (siehe RITTER, Geschichte der Philosophie, Bd. VI, Seite 590); vgl. ferner SPINOZA, Ethik I, def. VIII expl., KANT, Dissertation § 22, schol., Reflexionen (hrsg. von ERDMANN) II, Nr. 389, 1427, 1431, 1432, Werke (HARTENSTEIN), Bd. VI, Seite 359
    2) Unter Kantianismus im weitesten Sinn werden in dieser Abhandlung alle gegenwärtigen nichtpositivistischen, irgendeine Apriorität, Transzendentalität, Gültigkeit, Norm- und Werthaftigkeit des Theoretischen vertretenden erkenntnistheoretischen Richtungen zusammengefaßt.
    3) historische Behandlung des Schlußkapitels unterstützt.
    4) Dann nicht bloß so hinerlebt, sondern  als  Gegenstand und als dieser  Gedanke. 
    5) Es hat damit seine "Richtigkeit".
    6) Mehrere Inhalte umgebende Objektivität = objektive Verbundenheit! Umspielend als theoretisch gültiger Gehalt!