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ERICH BECHER
Philosophische Voraussetzungen
der exakten Wissenschaften

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Vorwort / I. Einleitung
II. Der Wert der Hypothesen
III. Kritik der Hypothese von der Erkennbarkeit
IV. Prüfung der kritischen Bedenken
V. Erkenntnisse über die Außenwelt

"Die mechanistische Physik hatte schon zugegeben, daß die Farben, Wärme- und Kälteempfindungen usw. nicht der Außenwelt zugeschrieben werden dürfen. Sie hatte aber die Ausdehnungsverhältnisse des Nebeneinander, aus der Wahrnehmung auf die Außenwelt übertragen. Auch das ist unzulässig! Scheint es nun nicht, als ob überhaupt nichts übrig bliebe? Ist alles Erkennen der Außenwelt unmöglich? Muß diese Erkenntnis aufgegeben und an ihrer Stelle die Erforschung der Wahrnehmungen allein betrieben werden?"

"Wenn der schlichte Mensch sagt, draußen liegt Schnee, ist Schnee vorhanden, existiert Schnee, so meint er, daß draußen der Schnee weiß ist, kalt ist, also etwas mit Wahrnehmungen gemeinsam hat. Wird aber der Außenwelt all das genommen, werden ihr alle Qualitäten genommen, so hat es keinen Sinn mehr, ihr ein Sein zuzuschreiben; denn Sein ist qualitativ bestimmtes Sein."

"Hier habe ich ein wenig Bariumsalz, hier etwas Strontiumsalz. Beide Salze sind dasselbe; denn die Wahrnehmung kann beide nicht unterscheiden und da nur die Wahrnehmung existiert, unterscheiden sich die beiden Salze solange nicht, als sie in der Wahrnehmung nicht unterschieden werden. Ich bringe das Bariumsalz in diese Bunsenbrennerflamme. Die Flamme brennt grün. Ich nehme das Strontiumsalz; die Flamme leuchtet rot. Barium- und Strontiumsalz waren dasselbe; denn die Wahrnehmungen von beiden stimmten nach unserer Annahme völlig überein. Es lagen also die gleichen Ursachen vor. Diese gleichen Ursachen brachten nicht die gleichen Wirkungen hervor. In der alten einfachen Form ist also das Kausalgesetz falsch, wenn keine Außenwelt existiert. Viele Physiker halten aber dafür, daß das Kausalgesetz die Grundlage aller physikalischen Forschung sei. Die notwendige Revolution der Physik - und der Einzelwissenschaften überhaupt - muß also eine sehr weitgehende, tiefgreifende sein."

"Tun wir also ruhig weiter so, als ob eine Außenwelt da wäre, als ob hinter der Wahrnehmung etwas steckte, das diese bewirkt. Es bleibt dann alles beim alten. Wir brauchen die Physik und die ganze Wissenschaft nicht umzugestalten - ein Unternehmen, bei dem man ja doch noch nicht recht weiß, was herauskommen wird. Lassen wir nur den törichten Glauben beiseite, als ob die Außenwelt auch wirklich draußen stände. Das haben wir erkannt; diese ganze Außenwelt ist nur eine nützliche Fiktion."

III. Kritik der Hypothese von der
Erkennbarkeit und Realität der Außenwelt.

[Fortsetzung]

Wir sehen also, daß die Ausdehnungsverhältnisse, wie sie die Gesichtswahrnehmung bietet, nicht einfach auf die Gegenstände der Außenwelt übertragbar sind, daß vielmehr eine Deutung der optischen Wahrnehmung zu erfolgen hat, etwa unter Berücksichtigung der Tastwahrnehmung. So könnte viellecht die Ausdehnung, wie der Tastsinn sie bietet, der Ausdehnung in der Außenwelt gleichen.

Die Tastwahrnehmungen im weiten Sinn, in dem wir sie hier zu nehmen haben, bestehen aus Komplexen von Muskel- und Gelenkempfindungen usw., sowie von Hautempfindungen. Die Wahrnehmung der Ausdehnung durch das Betasten ist durch jene Komplexe von Empfindungen mitgegeben. Was in den Komplexen die Ausdehnung gibt, braucht hier nicht untersucht zu werden. Wir prüfen also nicht, ob es besondere Ausdehnungs- oder Raumempfindungen gibt oder ob der Raum und die Ausdehnung nichts sind als gewisse Verhältnisse, etwa die "Formen" der Empfindungskomplexe. Jedenfalls habe ich die Wahrnehmung eines Nebeneinander, wenn ich zwei getrennte Punkte eines Körpers mit den Spitzen zweier Finger betaste. Das, was in der Wahrnehmung dieses Nebeneinander gibt, müßte sich also nach unserer Annahme auch m Gegenstand der Außenwelt vorfinden.

Nehmen wir dies an, so müssen wir sofort zugeben, daß die Gesichtswahrnehmung der Ausdehnung in der Außenwelt nicht gleichen kann. Denn die Gesichtswahrnehmung (sagen wir bei ruhendem Auge) etwa einer Würfelkante ist durch einen Komplex von optischen Empfindungen mitgegeben und in diesem kann die psychologische Analyse nichts finden, was den inhaltlich einem Etwas gleich oder ähnlich wäre in den Komplexen der Tastempfindungen bei der Berührung der Kante. Stimmt also die Tastwahrnehmung der Ausdehnung mit der Ausdehnung in der Außenwelt überein, so kann mit letzterer die Gesichtswahrnehmung der Ausdehnung nicht übereinstimmen, da sie mit der ersteren nicht übereinstimmt, d. h. ihr nicht gleich oder ähnlich ist. Und doch werden sich die meisten Menschen die Ausdehnung eines Körpers in der Außenwelt vorstellen nach der Art, wie sie diese Ausdehnung sehen. Sie werden die Vorstellung der Außenwelt durch optische Reproduktionen erzeugen, nicht durch Reproduktionen von Tastwahrnehmungen. Das liegt am Vorwiegen der optischen Wahrnehmungen und Reproduktionen überhaupt, welches man bei der Mehrzahl der Menschen findet.

Die beiden Arten von Wahrnehmungen des Nebeneinander sind nach dem vorigen verschieden. Sehe ich ein Nebeneinander zweier Punkte, so unterscheidet sich das völlig vom Tasten des Nebeneinander. (1) Denn Gesichtswahrnehmungen sind überhaupt etwas ganz anderes als Tastwahrnehmungen. Zwar sind beide Wahrnehmungen des Nebeneinander, sei es auf angeborener Grundlage, sei es allein durch die wiederholte Erfahrung, zueinander in engste Beziehun gekommen. Zwar sind beide Wahrnehmungen des Nebeneinanders, sei es auf angeborener Grundlage,sie es allein durch die stets wiederholte Erfahrung, zueinander in engste Beziehung gekommen. Aber ihre Verschiedenheit kann nicht in Abrede gestellt werden. Die Ausdehnung in einer den beiden Wahrnehmungsarten gleich oder ähnlich sein. Gegen die Übereinstimmung mit der Gesichtswahrnehmung haben wir schon Gründe angeführt. Ähnliche Gründe mögen nun gegen die Übereinstimmung mit der Tastwahrnehmung angeführt werden.

Es muß nämlich erwähnt werden, daß auch bei der Tastwahrnehmung die ihr oben nachgerühmte Beständigkeit nur innerhalb gewisser Grenzen besteht. Fasse ich die oben erwähnte quadratische Platte in die eine Hand, etwa die linke, so habe ich die Wahrnehmung einer gewissen Ausdehnung. Berühre ich die vier Ecken nun mit der rechten Hand, nachdem ich vorher mit dieser eine größere Platte berührt habe, so erhalte ich die Wahrnehmung einer geringeren Ausdehnung. Habe ich vorher eine kleinere Platte mit der rechten Hand gefaßt, so wird in der rechten Hand die Platte nun größer scheinen als in der linken. Diese Tatsachen des sukzessiven Kontrastes (die den optischen Täuschungen entstprechende Tasttäuschungen ergeben) zeigen, daß jener Vorzug des Tastsinns, die Konstanz der Ausdehnung in der Tastwahrnehmung, nicht besteht. Welche der drei durch den Tastsinn wahrgenommenen Ausdehnungen soll ich der Platte in der Außenwelt zuschreiben?

Unsere Lage ist die folgende. Wir haben (wenigstens) zweierlei verschiedene Wahrnehmungen der Ausdehnung. Die beiden Arten von Wahrnehmungen sind so verschieden voneinander, daß die Ausdehnung in der Außenwelt nicht beiden gleichen kann. Keine der beiden Wahrnehmungen des Nebeneinander besitzt besondere Eigentümlichkeiten, die uns veranlassen könnten, gerade sie und nicht die andere der Außenwelt zuzuschreiben. Diese Tatsachen sind recht geeignet, die Willkür zu zeigen, die wir begehen, wenn wir den Dingen der Außenwelt Ausdehnung zuschreiben. Was für eine Ausdehnung, die des Gesichts- oder des Tastsinns? Daß wir meist auf die des Gesichtssinns verfallen, ist durch die Reproduktionsgesetze usw. bedingt. Aber es liegt kein Grund vor, dieser den Vorzug zu geben. Wir müssen zugeben: wir wissen gar nicht, ob das, was die Wahrnehmung des Nebeneinander bewirkt, dem Nebeneinander des Gesichts- oder des Tastsinns gleicht oder ob es überhaupt keiner der beiden Arten der Wahrnehmung des Nebeneinander ähnlich sieht. Daß also die Ausdehnung durch zwei Sinne wahrgenommen wird, spricht so wenig für ihre Objektivität, daß vielmehr durch diesen Umstand die Subjektivität der Ausdehnung erst recht einleuchtend gemacht wird. Wir müssen eingestehen, der Umstand (in der Außenwelt), der die beiden Arten von Wahrnehmungen des Nebeneinander bewirkt, braucht ebensowenig einer dieser Arten zu gleichen, wie die Ursache des Rot in der Außenwelt dem Rot der Gesichtswahrnehmung zu gleichen braucht. In diesem Sinne ist die Ausdehnung ebenso als subjektiv anzuerkennen, als die Sinnesqualitäten.

Faßt man die Wahrnehmung auf als Wirkung von Gegenständen der Außenwelt, so ist auch die Wahrnehmung der Ausdehnung als Wirkung von etwas aufzufassen, das der Außenwelt zukommt. Hat aber die Wirkung im allgemeinen mit der Ursache keine Ähnlichkeit, so wird auch im besonderen vorliegenden Fall die Ursache, jenes Etwas in Außenwelt, nicht einer der beiden Arten von Wahrnehmungen der Ausdehnungen gleich oder ähnlich zu sein brauchen.

Unsere Wahrnehmungen der Außenwelt sind demnach durchaus subjektiv. Das gilt von den räumlichen Eigenschaften der Wahrnehmung ebenso wie von der Qualität der Empfindungen. Gestalt, Größe, Lage und damit auch die Undurchdringlichkeit, alle diese Verhältnisse des Nebeneinander, der Ausdehnung, kommen nur unseren Wahrnehmungsarten zu; was in der Außenwelt diesen Wahrnehmungen als Ursache entspricht, davon wissen wir nichts. Es mag daher scheinen, als wüßten wir überhaupt nichts von der Außenwelt. Die mechanistische Physik hatte schon zugegeben, daß die Farben, Wärme- und Kälteempfindungen usw. nicht der Außenwelt zugeschrieben werden dürfen. Sie hatte aber die Ausdehnungsverhältnisse des Nebeneinander, aus der Wahrnehmung auf die Außenwelt übertragen. Auch das ist unzulässig! Scheint es nun nicht, als ob überhaupt nichts übrig bliebe? Ist alles Erkennen der Außenwelt unmöglich? Muß diese Erkenntnis aufgegeben und an ihrer Stelle die Erforschung der Wahrnehmungen allein betrieben werden?

Eine solche Beschränkung auf die Wahrnehmung müßte eine Revolution des einzelwissenschaftlichen Denkens, besonders aber der Physik und Chemie bedeuten. Die angeschnittene Frage ist also für die vorliegenden Untersuchungen von großer Wichtigkeit. Die Physik kann und darf am Außenweltsproblem nicht einfach vorübergehen. Je nach der Stellungnahme des Physikers zu dieser Frage wird sich seine Beurteilung einer großen Reihe von Auffassungen und Annahmen seiner Wissenschaft verschieden gestalten müssen.

Bevor wir dies nachweisen, wollen wir noch einen Schritt weiter gehen auf der Bahn, die von der naiv realistischen Auffassung zu einem Agnostizismus der Außenwelt führte. Wenn die Annahme, unsere Wahrnehmungen der äußeren Sinne seien Wirkungen einer Außenwelt, die Konsequenz nach sich zieht, daß von der Außenwelt selbst nichts erkennbar ist, so läßt uns diese Konsequenz vielleicht jene Annahme einer wirkenden Außenwelt selbst unnötig erscheinen. Wenn wir von der Außenwelt sonst absolut nichts wissen, so wissen wir vielleicht auch nicht einmal, ob die Wahrnehmungen durch sie bewirkt werden. Wenn die Außenwelt weder rot noch blau, noch warm oder kalt, noch rund oder viereckig, noch überhaupt ausgedehnt zu sein braucht, braucht sie da überhaupt noch zu existieren? Wird die Annahme einer solchen Außenwelt, der wir doch gar nichts, keine erkennbare Eigenschaft zuschreiben dürfen, nicht völlig müßig erscheinen müssen? Wenn wir nichts anerkennen können als die Wahrnehmungen, wer sagt uns dann, daß diese Wahrnehmungen Wirkungen von etwas anderem, einer Außenwelt sind? Müssen wir nicht gestehen, daß wir, da wir gar nicht von der Außenwelt wissen, auch nicht wissen, ob diese Außenwelt überhaupt wirkt, ob sie existiert?

Ja, noch mehr! Wir wissen nicht nur nicht, ob die Außenwelt existiert, wir können, einen neuen Gedanken in die Betrachtung einführend, zeigen, daß die Annahme einer Existenz der Außenwelt einen Widerspruch in sich enthält, daß diese Annahme mithin sinnlos ist. Was heißt es denn, eine Außenwelt existiert? Wenn wir von etwas Unbekanntem sagen, es existiert, so meinen wir damit doch, daß es mit dem anderen, von welchem wir sagen, es existiert, etwas Übereinstimmendes oder doch Ähnliches hat. Was ist das Bekannte, das andere, von dem wir sagen es existiert? Neben der Außenwelt nehmen wir Wahrnehmungen, Gefühle, überhaupt geistige Vorgänge als existierend an. Wenn ich rot sehe, so kann ich die Existenz dieses Rot nicht bestreiten, wenn ich einen Schmerz empfinde, so muß ich diesem Schmerz Existenz zuschreiben. Meint man also mit Existenz nicht das, was als allgemeinstes Gemeinsames im Rot und im Süß, im Schmerz und der Lust usw. steckt? All das, von dem wir unbedingt anerkennen müssen, daß es existiert, hat eine bestimmte, eigenartige Beschaffenheit, Qualität, oder wie wir es nennen wollen. Wenn daher von etwas gesagt wird, es existiert, so kann nur gemeint sein, es hat Qualitäten, einen Inhalt, wie das Rot oder wie ein Ton, ein Geruch, eine Erinnerung, ein Gefühl. Wenn der schlichte Mensch sagt, draußen liegt Schnee, ist Schnee vorhanden, existiert Schnee, so meint er, daß draußen der Schnee weiß ist, kalt ist, also etwas mit Wahrnehmungen gemeinsam hat. Wird aber der Außenwelt all das genommen, werden ihr alle Qualitäten genommen, so hat es keinen Sinn mehr, ihr ein Sein zuzuschreiben; denn Sein ist qualitativ bestimmtes Sein. Der Begriff der Existenz kann nur dem uns Bekannten entnommen sein, d. h. unseren Wahrnehmungen des äußeren und inneren Sinnes. Alle diese Wahrnehmungen unterscheiden sich dadurch vom Nichts, daß ihnen eine Qualität oder Qualitäten, Inhalte zukommen. Das Qualitäten-, Inhalte-haben oder -sein ist also als Existieren aufzufassen. Solange ich der Außenwelt Qualitäten, ein So-und-sosein zuschreibe, habe ich ein Recht zu sagen, sie existiert. Eine Außenwelt ohne ein bestimmtes, ein So-und-sosein, kann auch nicht existieren.

So ist schließlich von der Außenwelt nichts mehr übrig geblieben. Die Sinnesqualitäten, die Ausdehnung und was damit zusammenhäng sind ihr genommen worden und dann hat man gar ihre Existenz bestritten. Suchen wir uns nun klar zu machen, welche Konsequenzen die Leugnung der Außenwelt für die Physik haben müßte: es ist klar, nur dann kann von physikalischen Vorgängen die Rede sein, wenn ein wahrnehmendes Wesen vorhanden ist. Die physikalischen Vorgänge sind Wahrnehmungs- d. h. geistige Vorgänge. Alle angenommenen Vorgänge, die nicht wahrgenommen werden, sind nicht vorhanden. In Wirklichkeit haben nie Vorgänge existiert, denn man hat sie nie wahrgenommen. Ätherschwingungen gibt es nicht, denn der Äther ist nicht wahrnehmbar. Ja selbst der Schall wird nicht immer durch Wellen in der Luft bewirkt; denn die Wellen sind nur in jenen seltenen Fällen vorhanden, in denen sie als solche wahrgenommen werden. Diese Eisenstange, die ich hier vor mir sehe, ist weder warm noch kalt; sie wird es nur, wenn ich sie berühre. Eine Goldmünze und eine gute Nachahmung unterscheiden sich nicht, solange sie der Wahrnehmende nicht zu unterscheiden imstande ist. Unterwerfe ich die beiden gleichen Münzen derselben Reaktion - stecke ich beide in die gleiche Lösung, etwa in Scheidewasser - so kommt plötzlich eine Verschiedenheit in den Wirkungen zutage. Hier habe ich ein wenig Bariumsalz, hier etwas Strontiumsalz. Beide Salze sind dasselbe; denn die Wahrnehmung kann beide nicht unterscheiden und da nur die Wahrnehmung existiert, unterscheiden sich die beiden Salze solange nicht, als sie in der Wahrnehmung nicht unterschieden werden. Ich bringe das Bariumsalz in diese Bunsenbrennerflamme. Die Flamme brennt grün. Ich nehme das Strontiumsalz; die Flamme leuchtet rot. Barium- und Strontiumsalz waren dasselbe; denn die Wahrnehmungen von beiden stimmten nach unserer Annahme völlig überein. Es lagen also die gleichen Ursachen vor. Diese gleichen Ursachen brachten nicht die gleichen Wirkungen hervor. In der alten einfachen Form ist also das Kausalgesetz falsch, wenn keine Außenwelt existiert. Viele Physiker halten aber dafür, daß das Kausalgesetz die Grundlage aller physikalischen Forschung sei. Die notwendige Revolution der Physik - und der Einzelwissenschaften überhaupt - muß also eine sehr weitgehende, tiefgreifende sein.

Nun wird es in der Wissenschaft an konservativen Elementen nicht fehlen, die sehr abgeneigt sind, eine so radikale Umwälzung vorzunehmen. Ist wirklich die Außenwelt als Realität zu retten, so möge sie als Fiktion beibehalten werden: In Leben und Wissenschaft hat die Außenwelt so gute Dienste getan, daß es nötig ist, eine solche zu erdichten, wenn es in Wirklichkeit keine gibt. Radikal die Vorstellung von der Außenwelt abzuschaffen, können wir uns schlecht entschließen; denn wir müßten gleichzeitig auf das Kausalgesetz - wenigstens in der alten handlichen Form - verzichten. Und ohne das letztere sich im Getriebe der Wahrnehmungen sich zurechtfinden zu müssen, das erscheint doch bedenklich. Tun wir also ruhig weiter so, als ob eine Außenwelt da wäre, als ob hinter der Wahrnehmung etwas steckte, das diese bewirkt. Es bleibt dann alles beim alten. Wir brauchen die Physik und die ganze Wissenschaft nicht umzugestalten - ein Unternehmen, bei dem man ja doch noch nicht recht weiß, was herauskommen wird. Lassen wir nur den törichten Glauben beiseite, als ob die Außenwelt auch wirklich draußen stände. Das haben wir erkannt; diese ganze Außenwelt ist nur eine nützliche Fiktion.

Daneben wird eine Partei ihre Werbetrommel rühren, die schon weniger konservativ ist. Ihre Anhänger waren mit dem alten nicht an allen Enden zufrieden. Aber eine große Revolution scheint ihnen deshalb doch nicht nötig. EInige friedliche Reformen werden genügen. Im ganzen hat die Außenwelt sich gut bewährt, behalten wir also die Fiktion bei. Wird uns aber an einer Stelle die Durchführung der Fiktion einmal lästig, wozu sich dann mit ihr plagen? Fiktionen benutzt man, wo sie gute Dienste leisten; man kümmert sich nicht um sie, wo sie Schwierigkeiten machen. Für das praktische Leben ist es ganz nützlich, LOCKEs sekundäre Qualitäten, die Farben z. B., der Außenwelt zuzuschreiben, anzunehmen, daß die Rosen rot sind, wenn sie keiner sieht und der Essig sauer, wenn ihn keiner schmeckt. Der Physiker gerät in Verlegenheiten, wenn er die Sinnesqualitäten den Körpern der Außenwelt zuschreiben will; also verzichtet er auf sie und läßt der Außenwelt allein die Ausdehnung usw. So kommt er zu seinen schönen mechanischen Auffassungen, zur Molekulartheorie. Macht ihm aber an einer Stelle etwa die Atom- und Molekulartheorie Schwierigkeiten, dann läßt er sie eben fallen. Wozu sollte er sich auch mit einer Fiktion viel Mühe geben, die er nur behält, damit sie ihm Mühe sparen soll? Wo die Fiktion von Atomen im dreidimensionalen Raum lästig wird, ersetzt man sie durch Atome, die sich im vierdimensionalen aufhalten. (2) Natürlich wird kein Mensch glauben, hier, bei dieser einfacheren Verbindung, steckten die Atome wirklich in einem dreidimensionalen und dort, bei der komplizierteren Verbindung, in einem vierdimensionalen Raum. Nur ist in einem Fall die eine, im anderen Fall die andere Fiktion zweckmäßiger. Glaubten wir an eine Außenwelt mit wirklichen Atomen im dreidimensionalen Raum, so müßten wir allerdings, so umständlich es auch wäre, diese Auffassung in allen Fällen durchzuführen suchen. Da wir in dem allen aber nur Fiktionen sehen, haben wir es bequemer; wir brauchen die fiktiven Auffassungen nicht so ernst zu nehmen. Kommen neue Entdeckungen, so werden wir uns nicht übermäßig abmühen, sie mit unseren alten Auffassungen zusammenzureimen. Wenn das Schwierigkeiten macht, so erfinden wir vielleicht für das neue Wissensgebiet eine neue Fiktion; dabei mag die alte im alten Gebiet ruhig bestehen bleiben. Eine Wahrheit müßte auf allen Gebieten, in allen Teilwissenschaften wahr sein; aber von einer Fiktion braucht man nicht zu verlangen, daß sie überall zweckmäßig ist. Sie braucht noch nicht abgeschafft zu werden, wenn sie sich auf neuen Gebieten nicht bewährt. Das ist ungemein bequem. - Man sieht, diese Richtung wird nach und nach doch schon allerhand umändern. Sie wird sich vor allen Dingen keine große Mühe geben, Hypothesen über die Außenwelt mit großer Sorgfalt auf allen Gebieten durchzuführen. Denn für sie gibt es keine eigentlichen Hypothesen, sondern Fiktionen, die Mühe sparen sollen und zwecklos werden, wo sie viel Arbeit machen.

Neben den konservativen und den gemäßigten Reformern unter den Gegnern der Realität der Außenwelt wird es aber auch Radikale geben. Wie, werden sie sagen, sollte diese törichte Annahme von der Existenz einer Außenwelt, dieses überlebte Märchen, solche Wunder leisten? Sollte man wirklich nicht durch die Welt und die Wissenschaft durchkommen können, wenn man sich ganz einfach an die volle Wahrheit hält? Es wäre doch sehr merkwürdig, wenn eine Erdichtung so viel nutzen könnte. Aus einer Erdichtung, die sicher falsch ist, wir auch Falsches neben dem Wahren und Zutreffenden folgen müssen. Wer will mir sagen, ob etwas, das ich aus der Fiktion gefolgert habe, wahr oder falsch ist? Da muß ich doch wieder an die Wahrnehmung appellieren. Die Fiktion habe ich aufgrund der Wahrnehmungen gebildet; was Richtiges aus ihr ableitbar ist, wird sich auch direkt aus den Wahrnehmungen ergeben. Und nur an den Wahrnehmungen ist die Konsequenz aus der Fiktion prüfbar. Wozu also zwischen Wahrnehmungen eine Außenwelt einschieben? Die Außenwelt - auch als Fiktion - wird von uns konstruiert mit Rücksicht auf unsere Wahrnehmungen, in Anpassung an unsere Wahrnehmungen. Sie wird abgeleitet aus unseren Wahrnehmungen; wenn zukünftige Wahrnehmungen also aus der Fiktion der Außenwelt ableitbar sind, so müssen sie auch ableitbar sein aus den Wahrnehmungen, in Anlehnung an welche die Fiktion gebildet wurde. Man sagt, das Kausalgesetz werde vernichtet, wenn nur die Wahrnehmungen betrachtet würden. Beweist denn nicht die Tatsache, daß eine Außenwelt aufgrund der Wahrnehmungen, bestimmt durch die Wahrnehmungen, so fingiert werden kann, daß das Kausalgesetz besteht, auch die gesetzmäßige Abhängigkeit der späteren Wahrnehmungen von den früheren? Wären nicht die späteren Wahrnehmungen bestimmt durch die früheren, so könnten sie auch nicht bestimmt sein durch die fingierte Außenwelt; denn diese Fiktion ist rein zufällig, soweit sie nicht bestimmt wird durch Wahrnehmungen. Können zukünftige Wahrnehmungen überhaupt bestimmt werden, so kann das Bestimmende nur in den Wahrnehmungen liegen; denn worin sollte es sonst liegen, da die Außenwelt nur insoweit bestimmt ist, als die Wahrnehmungen Bestimmungen fordern? Ist also Kausalität oder Gesetzmäßigkeit in den Wahrnehmungen überhaupt möglich uner Annahme einer Außenwelt, so muß die Gesetzmäßigkeit auch in den Wahrnehmungen stecken. Die Wahrnehmungen können kein Chaos bilden; wenn durch die Annahme der Außenwelt eine Gesetzmäßigkeit in sie hereingebracht werden kann, so ist das nur möglich, weil die Gesetzmäßigkeit schon in den Wahrnehmungen steckt. Man gewöhne sich nur erst daran, in den Wahrnehmungen diese zu sehen, so wird man die Außenwelt nicht mehr nötig haben. Drücken wir den Gedanken einmal unter Zuhilfenahme des Funktionsbegriffs in der Weise ERNST MACHs aus, so können wir sagen: In den früheren und gegenwärtigen Empfindungen haben wir eine Reihe von Größen, zwischen denen etwa noch diese oder jene Gleichungen bestehen. Durch die Annahme, etwa die Fiktion, einer Außenwelt füge ich eine Zahl von neuen Unbekannten ein. Diese Unbekannten sind mit den durch die Wahrnehmungen gegebenen Bekannten durch Gleichungen verbunden. Aus den Unbekannten kann ich nun die zukünftigen Wahrnehmungen berechnen, da diese mit jenen wieder durch Gleichungen verbunden sind. Ich habe also frühere und gegenwärtige Empfindungen  α, β, γ ...,  die Außenwelt  x, y, z ...  und die zukünftigen Empfindungen  a, b, c ...  Zwischen den  α, β, γ ...,  und den  x, y, z ...  bestehen Gleichungen, ebenso zwischen den  x, y, z ...  und den  a, b, c ...  Der Realismus, auch als Fiktion, bestimmt  x, y, z ...  durch die  α, β, γ ...,  die Außenwelt durch frühere und gegenwärtige Empfindungen, dann  a, b, c ...  durch  x, y, z ...,  d. h. zukünftige Empfindungen durch die Außenwelt. Ist aber  x, y, z ...  durch  α, β, γ ...  und  a, b, c ...  durch  x, y, z ...  bestimmt, so ist damit auch  a, b, c ...  durch  α, β, γ ...  bestimmt. Mit anderen Worten, wir eliminieren  x, y, z ...  aus den beiden Gleichungssystemen und erhalten so ein Gleichungssystem, durch das direkt  α, β, γ ...  und  a,b,c ...  verbunden sind. So muß  a, b, c ...  direkt durch  α, β, γ ...  bestimmbar sein. Man muß natürlich alle die  α, β, γ ...  gebrauchen, welche nötig waren, um  x, y, z ...  zu bestimmen, wenn  a, b, c ...  bestimmt werden soll. Man darf nicht nur die augenblicklichen Wahrnehmungen  α  von Barium- und Strontiumsalz und  β  von der Flamme nehmen, wenn man die Wahrnehmung  a, b, c ...  der gefärbten Flamme im voraus bestimmen will. Man muß noch die früheren Wahrnehmungen, etwa der Flasche mit Aufschrift, der Gewinnung, früherer chemischer Reaktionen -  γ, δ ...  usw. hinzunehmen und mit in Rechnung stellen. Dann wird sich finden, daß in den  γ, δ ...  für Bariumsalz andere Sachen stecken als für Strontiumsalz. Für Bariumsalz habe ich vielleicht  γ1, δ1 ...,  für Strontiumsalz  γ2, δ2 ...  in den früheren Empfindungen. Setze ich diese verschiedenen Werte nacheinander in mein Gleichungssystem ein, so erhalte ich für die zukünftigen Empfindungen auch richtig verschiedene Resultate,  a, b1, c1 ...,  und a, b2, c2 ...' vielleicht. Und diese Resultate bekomme ich in gleicher Weise, ob ich die Berechnung unter Zuhilfenahme von  x, y, z ...,  der Außenwelt ausführe oder ob ich die Gleichungen benutze, die sofort die  a, b, c ...  aus den  α, β, γ ...  ergeben. Zur Bestimmung der  x, y, z ...,  d. h. zur Feststellung, ob in der Außenwelt Barium- oder Strontiumsalz vorlag, war auch mehr erforderlich als das  α,  die gegenwärtige Wahrnehmung des Salzes. Ohne die früheren Wahrnehmungen,  γ, δ ...  usw. geht die Bestimmung der  a, b, c ...,  der zukünftigen Wahrnehmung, keinesfalls. Der Unterschied ist nur der, daß wir uns die Berechnung von  x, y, z ...  ersparen. Mit der Gefährdung der Kausalgesetze steht es also so bedenklich nicht. Was fortfällt, ist nur überflüssiger Ballast. Die Zukunft, d. h. zukünftige Wahrnehmungen, bleiben enensowohl voraussagbar wie früher. Es sich auch nicht mehr Daten zur Voraussage notwendig. Nur der Umweg über die  x, y, z ...  fällt fort. Wie zukünftige, so bleiben auch vergangene Wahrnehmungen feststellbar. Auch die Möglichkeit historischer Wissenschaft bleibt unangefochten bestehen.

Zu den angedeuteten Standpunkte ist nun Stellung zu beziehen. Eine philosophische Betrachtung physikalischer Theorien kann an diesen Problemen nicht vorübergehen. Behalten die Radikalen recht, so müssen die mechanischen Hypothesen total beseitigt werden, Denn diese Hypothesen geben die  x, y, z ...,  welche zwischen die Wahrnehmungen bei physikalsichen Vorgängen eingeschoben worden sind. Und auch wenn die Reformer die richtige Mitte getroffen hätten, müßte manches anders werden. Eine Umwertung großen Stiles müßte Platz greifen in der Physik. Die Hypothesen würden zu Fiktionen degradiert und die Wahrnehmungen würden in der Schätzung bedeutend steigen. Die Wellenlängen im Spektrum würden weit weniger Interesse in Anspruch nehmen als die Verteilung der Empfindungsintensität. Denn die Wellenlängen wären nur fiktive Größen, die Empfindungsintensität aber ist etwas real Existierendes.
LITERATUR - Erich Becher, Philosophische Voraussetzungen der exakten Wissenschaften, Leipzig 1907
    Anmerkungen
    1) Man wird vielleicht einwenden, daß doch etwas Gemeinsames in den beiden Arten von Wahrnehmungen der Ausdehnung stecken muß. Sonst könnten ja nicht beide Arten der Wahrnehmung als ausgedehnt bezeichnet werden. Taste ich zwei Punkte und sehe ich sie, so haben, wird man sagen, beide Wahrnehmungen das gemeinsam, daß in beiden die zwei Teilwahrnehmungen der Punkte eben nebeneinander sind.
           Mir scheint die Selbstbeobachtung zu zeigen, daß eine inhaltliche Gleichheit oder Ähnlichkeit der Wahrnehmungen des Nebeneinander durch Tast- und Gesichtssinn nicht besteht, sondern nur eine sehr enge Beziehung. Der gemeinsame Name rührt nur daher, daß wir beide Arten von Wahrnehmungen des Nebeneinander auf dasselbe Nebeneinander in der Außenwelt beziehen.
           Woher kommen aber die Wahrnehmungen überhaupt in diese enge Beziehung? Wie wird diese ermöglicht? wenn , wenn in den beiden Arten von Wahrnehmungen nichts Gemeinsames steckt? Es besteht in der Tat trotz aller qualitativen Verschiedenheit eine weitgehende Übereinstimmung, nämlich ich eine Übereinstimmung der Verhältnisse. Diese setzt zunächst eine numerische Übereinstimmung voraus. Vier getasteten entsprechen vier Punkte im Sehfeld (unter passenden Wahrnehmungsbedingungen. Durch diese numerische Übereinstimmung wird eine eindeutige Zuordnen ermöglicht. Dadurch daß die beiden Arten von Ausdehnungswahrnehmungen aufeinander eindeutig bezogen werden können, wird es möglich, daß sie auf eine gemeinsames Drittes, eine Ausdehnung in der Außenwelt bezogen werden können.
    2) ERNST MACH, Erhaltung der Arbeit, Prag 1872, Seite 29