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ROBERT SCHELLWIEN
Max Stirner
und Friedrich Nietzsche

[Erscheinungen des modernen Geistes
und das Wesen des Menschen]

[ 1/ 3 ]

"Wenn aber aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken verschwindet, dann entsteht im Menschen eine fixe Idee, die er nicht auflösen kann, und welche die Herrschaft über ihn gewinnt, er hat einen Sparren und ergibt sich einem Spuk, einem Gespenst, als einer höheren Macht, es herrscht nun etwas Fremdes in ihm, er ist besessen."

"Nicht, wie ich das allgemein Menschliche realisiere, braucht meine Aufgabe zu sein, sondern, wie Ich Mir genüge. Ich bin meine Gattung, bin ohne Norm, ohne Gesetz, ohne Muster. Vielleicht kann ich wenig aus mir machen, aber das ist besser, als was ich aus mir machen lasse durch die Gewalt Anderer, durch die Dressur der Sitte, der Religion, der Gesetze, des Staates."

"Ich kümmere mich um keine fremde Sache, weder Gott noch Menschheit, sondern nur um meine Sache; auch nicht um die gute Sache. Ich bin weder gut, noch böse. Meine Sache ist nur das Meinige, nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie usw. und sie ist keine allgemeine, sondern sie ist - einzig, wie Ich einzig bin. Mir geht nichts über Mich."

"Der Philanthropismus, die Menschenfreundlichkeit wird gewöhnlich so mißverstanden, als sei sie eine Liebe zu den Menschen, zu jedem Einzelnen, während sie nichts als eine Liebe des Menschen, des unwirklichen Begriffs, des Spuks ist."

"Für mich ist das Volk eine - zufällige Macht, eine Naturgewalt, ein Feind, den Ich besiegen muß. Was ist ein organisiertes Volk, das sich selbst regiert? ein Volk, in dem kein Ich hervorragt, ein durch Ausgrenzung organisiertes Volk. Die Verbannung der Iche durch Ausgrenzung macht das Volk zum Selbstherrscher. Volksfreiheit ist nicht meine Freiheit. Ein Volk kann nur auf Kosten des Einzelnen frei sein."

E i n l e i t u n g

Was ist das Wesen des modernen Geistes? Wollte man, um diese Frage zu beantworten, die fast unübersehbare Aufeinanderfolge von Meinungen und Weltanschauungen, die der moderne Geist hervorgebracht hat, durchforschen, so würde man in ein Labyrinth geraten, aus dem man ohne einen Leitfaden den Ausgang schwerlich fände. Es gibt aber einen Leitfaden, der durch die mannigfaltigen und wechselnden Erscheinungen der Kulturgeschichte sicher hindurchführt, und das ist der Mensch selber, der selbst- und weltbewußte Mensch, die fortschreitende Stellung, die er sich selbst zur Welt und der Welt zu sich beimißt, kraft eines unendlichen Triebes zum Selbstbewußtsein, zur Befreiung von allem Andern und Fremden. Dieser rastlose Trieb regt sich immer von Neuem aus sich selbst, er beruhigt sich bei keiner erreichten Stufe, er widerspricht ihr, um Höheres zu erreichen, mehr Selbstsein oder Freiheit, was durchaus dasselbe bedeutet. Die Freiheit des Menschen ist kein perfekter Zustand, sondern ein Vermögen zur fortschreitenden Selbstbefreiung, und das Wesen dieser Bewegung ist gerade die Unendlichkeit des Fortschritts, keineswegs aber ein Endziel, in dem das Selbstsein vollkommen wäre, denn dieses hat seine ewige Schranke an der Voraussetzung seiner selbst, dem vorhandenen Sein, in dem es wurzelt, und nur dies kann der Mensch anstreben: die wesensgleiche Übereinstimmung des vorhandenen Seins mit seinem Selbstsein. An dieser Übereinstimmung arbeitet er aber auch unangesetzt, und die unermüdliche Regung des Triebes, sie zu erreichen, erzeugt die verschiedenen aufeinanderfolgenden Weltanschauungen. Die griechische Götter- und Heroenwelt ist nichts, als das vergrößerte Spiegelbild der Seele der Griechen, seines eigentümlichen Willens zum Leben, und die von der modernen Naturwissenschaft festgestellte Gesetzmäßigkeit aller Naturerscheinungen, was wäre sie anders, als die Übereinstimmung der Natur mit dem gesetzgebenden menschlichen Geist, der die sinnlichen Erfahrungen seiner denkenden Reproduktion unterwirft und sie aus sich und sich in ihnen erkennt?

Es wird vielleicht künftig einmal in diesem Sinne eine Weltgeschichte geschrieben werden, die dann freilich keine gerade Linie zu verzeichnen haben wird, doch aber eine Bewegung, die trotz mancher Krümmung, mancher rückläufigen Abweichung, manchen Seitensprunges, im Großen und Ganzen den Fortschritt des Menschen zum Selbstsein darstellt.

Hier gehen wir nur zurück bis auf die Epoche, aus welcher der moderne Geist hervorgegangen ist, die Epoche der christlichen Weltanschauung. Das Christentum war ebenfalls ein Aufschwung des Menschen zu einem erhöhten Selbstsein. Die römische Weltherrschaft hat ihm den Boden bereitet. Mit der Zertrümmerung aller nationalen und sozialen Selbständigkeiten waren auch die Schutzgötter der Heimstätten machtlos und schattenhaft geworden, und die Menschen, in Ost und West durcheinander gerüttelt, ihren traditionellen Besonderheiten und Kulten entfremdet, fanden sich mehr und mehr gleich, gleich im Gefühl der Not, des Druckes und der Verödung des Lebens, gleich auch in einem allgemeinen Menschheitsbewußtsein, welches die alte Welt nicht gekannt hatte. Verzweiflung an der Wirklichkeit und erlösungsbedürftiges Verlangen nach einem Besseren, Höheren erfüllte die Seele der Menschen. Wie hätten sie da nicht empfänglich sein sollen für die frohe Botschaft, die ihnen aus dem Morgenlande kam? Der Botschaft vom allmächtigen Gott, dem wundergewaltigen Herrn über die Natur, dem Schöpfer und Vater aller Menschen, der sie also liebte, daß er, um sie zu erlösen, selbst in Gestalt seines Sohnes Mensch wurde und für den Menschen litt, der allen, die an ihn glaubten, eine feste Burg und Gewähr des Heils und der ewigen Seligkeit war. So entstand die christliche Religion, die vom Morgenland erzeugt und vom Abendland mit seinen geistigen Kulturmitteln ausgebaut wurde; in ihr schaffte das Absolute, das in der Seele des Menschen erwacht war, sich sein reales Weltbild. Wie aber die christliche Weltanschauung aus dem Widerspruch gegen eine unleidliche Wirksamkeit hervorgegangen war, so blieb dieser Gegensatz auch fortgesetzt in ihr herrschend, der Gegensatz zwischen Himmel und Erde, zwischen der gläubigen und unsterblichen Seele und dem sündigen und vergänglichen Fleisch, zwischen dem Jenseits und dem Diesseits. Aus dem Ungenügen an diesem Zwiespalt erhob sich der moderne Geist, ein erneuter Trieb des Menschen zum Selbstsein. Er verlangte, das Unendliche in seinem eigenen Wesen zu haben und aus eigener Kraft zu betätigen; es trat nun an die Stelle der Offenbarung die Vernunft, anstelle der Theologie die Philosophie, an die Stelle des Glaubens das Wissen, an die Stelle der Andacht die sittliche Tatkraft, an die Stelle von Blut und Wunden die dichtende und bildende Kunst. Unsterbliche Meisterwerke sind die Marksteine auf dem Weg, den die Menschheit in dieser Richtung zurückgelegt hat. Aber es zeigt sich auch von vornherein im modernen Geist eine zweite Richtung, die sich wesentlich negativ gegen das Absolute, gegen die Idee eines lebendigen Weltganzen, verhält und nur das Einzelne anerkennen will, die schließlich nicht nur den Gott im Himmel entthront, sondern auch den Gott im Menschen verneint, den Trieb des Unendlichen, den die natürlichen Regungen beherrschenden Willen und das Gewissen. Der Rest ist der aus der unbewußten Natur hervorgegangene einzelne Mensch, das leiblich-geistige Individuum.

Man kann sich nicht darüber täuschen, daß diese Richtung in unseren Tagen das Übergewicht gewonnen hat: der moderne Mensch ist durchschnittlich bloß das kluge, sich selbst bejahende Individuum. Man sollte erwarten, daß daraus ein rücksichtsloses Heraustreten des Individuellen, eine Fülle der Gestalten, ein heftiger Widerstreit der Einzelnaturen und Einzelinteressen hervorgehen müßte. Indessen, davon ist nichts zu spüren, die modernen Menschen sind recht zahm und sehen sich durchschnittlich so ähnlich wie ein Ei dem andern. Man erkennt auch bald den Herrn, vor dem sie sich beugen, und die Macht, die ihnen allen denselben Stempel aufdrückt: der Herr ist die Gesellschaft, der sie angehören, das Vaterland, der Staat, die Stadt, der Stand, der Beruf, und die Macht ist die darin herrschende öffentliche Meinung. Das moderne Individuum ist kein Ganzes für sich, sondern ein Exemplar innerhalb eines Komplexes von mehreren Individuen, ein "Herdentier" würde NIETZSCHE sagen. Wüßte der moderne Mensch, daß er selbst der Schöpfer der Gesellschaft und der öffentlichen Meinung ist, und jederzeit auch frei über ihr steht, so könnte er ein ganzes und volles Individuum sein, aber er weiß es nicht, ihm sind diese Mächte, denen er nur als ein Teil angehört, ein Gegebenes, Äußeres, Überragendes. Daraus versteht man das Wesen des modernen Menschen: er strebt vor allem sorglich nach Übereinstimmung mit der in seinem Kreis herrschenden Meinung und wagt sich über diese nicht leicht hinaus. Er ist human, liberal, sozial, loyal und sogar ein wenig religiös, es sei denn, daß er zu den "freien Geistern" gehört. Diese aber wissen zu sagen, weshalb das Alles so ist, daß der Mensch, wie alles Organische, aus niederen Lebensstufen vermöge der allmählichen Befestigung im Kampf um das Dasein erlangter nützlicher, arterhaltender Eigenschaften durch Zuchtwahl und Vererbung zu seiner jetzigen Höhe angezüchtet ist, daß das gesellschaftliche Leben nützlich ist und dem Einzelnen zum Vorteil gereicht, und daß deshalb gesellschaftlicher Sinn und soziale Gewöhnung die Herrschaft erlangt haben. Wenn ein moderner Mensch solcher Art in seinem Gesellschaftsanzug in den Spiegel schaut, hat er sich selbst ganz und gar vor sich, denn auch sein Geistiges spielt sich ja lediglich in seinem Kopf ab, und, wenn nur sein Schädel durchsichtig wäre, würde er vielleicht auch seine Gedanken in und zwischen den Nervenzentren des Gehirns sich bewegen sehen.

Die konsequenten Propheten des Individualismus, von denen hier die Rede sein soll, MAX STIRNER und FRIEDRICH NIETZSCHE, unterscheiden sich sehr wesentlich vom vulgären Individualismus und werden auch schwerlich jemals auf diesen eine erhebliche Einwirkung gewinnen, denn es scheint ein Gesetz des Lebens zu sein, daß dieses in seiner Breite und alltäglichen Gestaltung den großen Einseitigkeiten des Denkens nur Einfluß auf sich gestattet, indem es ihnen zugleich Abbruch tut. Wie selbst in der Zeit, in der das dogmatische Christentum eine wahre und ehrliche Sache war, die Weltverneinung doch niemals eine allgemeine Praxis wurde, die Menschen vielmehr, indem sie Gott dienten, sich zugleich auch recht gut mit der Welt vertrugen, so ist auch der moderne Individualismus durchaus abgeschwächt und ergänzt durch einen im Wesen des Menschen gegründeten Trieb, der über alles Einzelne auch wieder hinausgeht und, wenn auch seiner selbst unkundig, die ethischen und sozialen Bildungen schafft und fortschreitend weiterführt. Die großen Wahrheiten gehen stets nur in abgestumpfter Form und vulgärer Weise in das reale Leben ein, aber auch die großen Irrtümer und Einseitigkeiten erfahren in ihm eine ermäßigende Korrektur; in allen Wandlungen der Sitten und Weltanschauungen wirkt die allgemeine und unveränderliche Menschennatur, der gesunde Menschenverstand, als ein konservatives Element, als ein Regulator, der das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Seiten des menschlichen Wesens und Lebens aufrecht erhält oder nach vorübgergehenden Erschütterungen alsbald wieder herstellt. So ist der Bestand des Lebens in sich selbst gesichert, und es kann von den großen Einseitigkeiten des Denkens jede Förderung erfahren, ohne von ihnen fortgerissen zu werden.

Das Denken andererseits wird dadurch von der Rücksicht auf das Bestehende entbunden, es kann in jeder Richtung, die es einschlägt, bis ans Ende gehen, und auch nur diese konsequenten Gedanken sind von dauerndem Wert, mögen sie direkt oder indirekt der Erkenntnis dienen.

Solche konsequenten Gedanken sind von dauerndem Wert, mögen sie direkt oder indirekt der Erkenntnis dienen.

Solche konsequenten Gedanken sind es, die hier, möglichst mit dem eigenen Ausdruck ihrer Urheber, vorgeführt werden sollen, um eine Untersuchung vorzubereiten, die ebenso der Wahrheit in diesen Gedanen gerecht zu werden, wie ihre Einseitigkeiten zu überwinden hofft.

Die Propheten des Individualismus, von denen hier die Rede sein soll, MAX STIRNER (1) und FRIEDRICH NIETZSCHE, sind frei von der Halbheit des modernen Durchschnittsmenschen: auch sie verneinen das über dem Einzelnen Stehende, das Absolute, und zwar mit viel größerer Entschiedenheit und Konsequenz, als das gewöhnliche moderne Bewußtsein es fertig bringt, aber sie tun es nur, um das Individuum absolut zu machen und alle daraus sich ergebenden Folgerungen rücksichtslos hinzustellen.

Die literarische Tätigkeit der beiden Denker liegt um mehr als 30 Jahre auseinander, aber, so groß auch ihre Verschiedenheit ist, ihre Übereinstimmung ist es nicht weniger, und in dieser treten die wesentlichen Charakterzüge des prinzipiellen Individualismus umso deutlicher hervor.


I. Max Stirner

Anfang und Ende bei STIRNER (2) ist "Ich, der einzelne, leibhaftige, individuelle Mensch, Ich - der Einzige." Ich habe nichts über mir, weder außerhalb meiner, noch in Mir. Ich bin auch dem Geist nicht untertan, Geist sowohl wie Fleisch ist meine Eigenschaft, mein Eigentum; was man Freiheit des Geistes nennt, ist die Knechtschaft Meiner, denn Ich bin mehr, als Fleisch und Geist. Für Mich hat die arme Sprache kein Wort, und "das Wort", der Logos, ist für Mich ein bloßes Wort. Ich bin der Unsagbare. Man sagt von Gott: "Namen nennen Dich nicht." Das gilt von Mir: kein Begriff drückt mich aus, nichts, was man als mein Wesen angibt, erschöpft Mich; es sind nur Namen. Gleichfalls sagt man von Gott er sei vollkommen und habe keinen Beruf, nach Vollkommenheit zu streben. Auch dies gilt von mir. Wir sind nicht, wie die Religion sagt, allzumal Sünder, wir sind allzumal vollkommen, denn wir sind in jedem Augenblick Alles, was wir sein können; mehr können wir nicht, mehr brauchen wir nicht zu sein. So wenig, wie über Mir, habe ich neben Mir etwas, was Mich bindet und Mir Pflichten auferlegt, Ich bin nicht "ein" Ich neben anderen Ichen, sondern das alleinige Ich. Ich bin einzig. Alles Andere, Dinge und Menschen, ist mein Eigentum, so weit meine Macht reicht, sie Mir zu eigen zu machen und Ich es will.

Freiheit ist ein Ideal, ein Spuk. Frei bin ich von dem, was ich los bin, Eigner von dem, was Ich in meiner Macht habe, dessen ich mächtig bin. Mein Eigen bin ich jederzeit, wenn Ich mich zu haben verstehe und nicht an Andere wegwerfe. Frei sein kann ich nur, soweit meine Gewalt reicht, aber wie Vieles entzieht sich ihr, und die Fesseln der Wirklichkeit schneiden jeden Augenblick in mein Fleisch die schärfsten Striemen: Mein Eigen aber bleibe Ich. Von den Folterqualen und den Geißelhieben ist mein Leib nicht frei unter der Herrschaft eines grausamen Gebieters; aber meine Knochen sind es, die unter der Tortur ächzen, meine Fibern zucken unter den Schlägen, und Ich ächze, weil mein Leib ächzt. Daß Ich seufze und erzittere, beweist, daß ich noch bei mir, daß Ich noch mein eigen bin. Mein Bein ist nicht "frei" vom Prügel des Herrn, aber es ist mein Bein und mir unentreißbar. Er reiße es mir aus und sehe zu, ob er noch mein Bein hat! Nichts behält er in der Hand, als den Leichnam meines Beines, das so wenig mein Bein ist, als ein toter Hund noch Hund ist.

Meine Freiheit wird erst vollkommen, wenn sie meine - Gewalt ist. Durch diese höre Ich auf ein bloßer Freier zu sein und werde ein Eigener. Die Freiheit der Völker ist ein hohles Wort, weil die Völker keine Gewalt haben. Warum schmachten die deutschen Kammern vergeblich nach Freiheit und werden dafür von den Ministern geschulmeistert? Weil sie keine "Gewaltigen" sind. Ihr Toren: nähmet ihr die Gewalt, so käme die Freiheit von selbst. Laut erschallt ringsum der Ruf nach "Freiheit"! Aber nichts bedeutet eine geschenkte oder oktroyierte Freiheit. Alle Freiheit ist wesentlich - Selbstbefreiung, ich kann nur soviel Freiheit haben, als ich durch meine Eigenheit mir verschaffe. Was nützt es den Schafen, daß ihnen niemand die Redezeit verkürzt? Sie bleiben doch beim Blöken.

Die Eigenheit ist keine Idee, gleich der Freiheit, sie ist nur die Beschreibung des - Eigners.

So beschränkt die Freiheit in der Wirklichkeit ist, so grenzenlos ist sie im Denken. Ich bin der Schöpfer und Herr meiner Gedanken und schalte mit ihnen, wie Ich will. Vor meinem Denken bin Ich, und die einzige Voraussetzung meiner Gedanken ist nichts Gedachtes, ist der Eigner des Denkens. Jeden Gedanken, der sich verfestigt, der außerhalb von mir Gestalt gewinnen will, nehme Ich in Mich zurück und löse ihn auf. Alle Götzen sind durch Mich. Ich brauche sie nur nicht von Neuem schaffen, so sind sie nicht mehr. Ich bin in jedem Augenblick mein Geschöpf und stehe auch über Mir selbst, als der Schöpfer, ein anderes, ein "höheres Wesen" gibt es für Mich nicht.

Wenn aber aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken verschwindet, dann entsteht im Menschen eine fixe Idee, die er nicht auflösen kann, und welche die Herrschaft über ihn gewinnt, er hat einen Sparren und ergibt sich einem Spuk, einem Gespenst, als einer "höheren Macht", es herrscht nun etwas Fremdes in ihm, er ist besessen.

Diese Spukgestalten sind Vampyre, die dem lebendigen Menschen das Blut aussaugen, und als Kirche, Staat, Gesellschaft, vertreten durch physische Repräsentanten, reale Mächte, die ihn beherrschen und Gehorsam bei ihm finden, weil er von einem Spuk besessen ist.

Der Liberalismus ändert hierin nichts, weder der bürgerliche, noch der soziale.

Der bürgerliche Liberalismus gewährt Alles dem Staat, dem Einzelnen ansich nichts; alle Macht und aller Befehl (Gesetz) ist beim Staat, und der Einzelne dem Staat durchaus unterworfen; nicht der Einzelne als solcher gilt etwas, sondern nur der Bürger, das vom Staat sanktionierte Individuum.

Der soziale Liberalismus nimmt, um die Ungleichheit des Besitzes aufzuheben, jedem, was er hat, und überträgt es auf eine imaginäre Gesellschaft; es wird jeder zur Arbeit gezwungen und auf den Lohn beschränkt, den die Gesellschaft ihm dafür gewährt; die Gleichheit Aller besteht darin, daß Keiner etwas hat und bedeutet.

Der bürgerliche Liberalismus macht uns alle - zu Nullen, der soziale - zu Lumpen.

Wenn endlich der humane Liberalismus BRUNO BAUERs "den Menschen" als Ideal aufstellt, das im Einzelnen und im "freien Staat" verwirklicht werden soll, wenn er verlangt, daß in der menschlichen Gesellschaft nichts Anerkennung finden soll, was Einer oder der Andere Besonderes hat, nicht s Wert hat, was den Charakter des "Privaten" trägt, so ist hier wieder ein "Höheres", ein "Heiliges" zur Norm, zum Gesetz erhoben, dem Ich, der Einzige, mich unterwerfen, das Ich "werden" soll.

Der humane Liberalismus achtet nur den Menschen in mir, d. h. eine Eigenschaft von mir, mein Eigentum, nicht Mich. Dieser "Mensch", der aber nicht als das Eigentum des leibhaftigen Ichs, sondern als das eigentliche Ich betrachtet wird, ist ein Gespenst, ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.

Auch der humane "freie Staat" fordert seine Religion von den Seinigen, die menschliche Religion ist nur die letzte Metamorphose [Verwandlung - wp] der christlichen Religion - sie stellt "den Menschen" über Mich, wie irgendeine andere Religion ihren Gott oder Götzen.

Wenn man einen Lebensberuf, eine Lebensaufgabe hat, dann hat man einen Gott, der ein lebendiges Opfer verlangt. Nur die Rohheit des Menschenopfers hat sich mit der Zeit verloren; das Menschenopfer selbst ist unverkürzt geblieben.

Nicht, wie ich das allgemein Menschliche realisiere, braucht meine Aufgabe zu sein, sondern, wie Ich Mir genüge. Ich bin meine Gattung, bin ohne Norm, ohne Gesetz, ohne Muster. Vielleicht kann ich wenig aus mir machen, aber das ist besser, als was ich aus mir machen lasse durch die Gewalt Anderer, durch die Dressur der Sitte, der Religion, der Gesetze, des Staates.

Alles "Heilige" ist Spuk. "Wenn Du das Heilige verzehrst", ruft STIRNER aus, "hast Du es zum Eigenen gemacht. Verdaue die Hostie, und Du bist sie los." Folgerecht finden auch die Wahrheit, die Moral und das Recht keine Anerkennung beim "Einzigen".

Die Wahrheit, die überindividuell ist, kann der absolute Individualismus nicht gelten lassen.
    "Früher eiferte man im Namen der göttlichen Vernunft gegen die schwache menschliche, jetzt im Namen der starken menschlichen gegen die egoistische, die als Unvernunft verworfen wird. Und doch ist keine andere wirklich, als gerade diese Unvernunft. Weder die göttliche, noch die menschliche Vernunft, sondern allein Deine und Meine jedesmalige Vernunft ist wirklich, wie und weil Du und Ich es sind."

    "Ich bin, wie übersinnlich, so überwahr. Die Wahrheiten sind vor Mir so gemein und so gleichgültig, wie die Dinge, sie reißen mich nicht hin und begeistern mich nicht. Die Gedanken sind meine Geschöpfe. Wollen sie sich losreißen und etwas für sich sein, so nehme ich sie in ihr Nichts, d. h. in Mich, ihren Schöpfer, zurück. Ich bin gedankenlos, und nur durch diese Gedankenlosigkeit bin ich mein eigen und kann das Denken und die Sprache als mein Eigentum verbrauchen."

    "Die Wahrheit oder die Wahrheit überhaupt will man nicht aufgeben, sondern suchen. Was ist sie anderes, als das être suprême, das höchste Wesen? Und doch ist die Wahrheit nur - ein Gedanke, aber nicht bloß einer, sondern sie ist der Gedanke, der über allen Gedanken ist, der unumstößliche Gedanke, sie ist der Gedanke selbst, der alle anderen heiligt, ist die Weihe der Gedanken, der absolute, der heilige Gedanke. Die Wahrheit hält länger vor, als alle Götter, denn nur in ihrem Dienst und ihr zuliebe hat man die Götter und zuletzt selbst den Gott gestürzt. Den Untergang der Götterwelt überdauert die Wahrheit, denn sie ist die unsterbliche Seele dieser Götterwelt, sie ist die Gottheit selber."

    "Woran erkennst Du den wahren Gedanken? An Deiner Ohnmacht, daran, daß Du ihm nichts mehr anhaben kannst. Seine Herrschaft über Dich dokomentiert Dir seine Wahrheit, und wenn Du von ihm besessens bist, dann hast Du Deinen Herrn und Meister gefunden. Die Wahrheit, mein lieber Pilatus, ist der Herr und Alle, welche die Wahrheit suchen, suchen und preisen den Herrn. - Solange Du an die Wahrheit glaubst, glaubst Du nicht an Dich und bist - ein Diener, ein religiöser Mensch. Du allein bist die Wahrheit, oder vielmehr, Du bist mehr, als die Wahrheit, die vor Dir gar nicht ist."

    "Wahr ist, was mein ist; unwahr das, dem Ich eigen bin."

    "Ich mache mich an die Vorstellungen und Gedanken, wie an die Erscheinungen, um sie mir mundgerecht, genießbar und eigen zu machen, um mich in ihnen zu orientieren und zuhause zu wissen. Die Wahrheiten sind Material, wie Kraut und Unkraut; ob Kraut oder Unkraut, darüber liegt die Entscheidung in Mir. Die Wahrheit ist nur ein Nahrungsmittel für meinen denkenden Kopf, wie die Kartoffel für meinen verdauenden Magen, der Freund für mein geselliges Herz. Wo ich hingreife, fasse ich eine Wahrheit, die ich mir zurichte. Die Wahrheit hat ihren Wert nicht in sich, sondern in Mir. Für sich ist sie wertlos. Die Wahrheit ist eine - Kreatur.

    Pflichten gegen Andere erkennt der absolute Individualismus nicht an, folglich auch keine Moral. Auf fessellose Befriedigung der Sinnlichkeit ist es dabei nicht abgesehen. Man höre: Eigennutz im christlichen Sinn heißt etwa dies: Ich sehe nur darauf, was mir als sinnlichem Menschen nützt. Ist denn aber die Sinnlichkeit meine ganze Eigenheit? Bin ich bei mir selbst, wenn ich der Sinnlichkeit hingegeben bin? Folge Ich Mir selbst, wenn ich jener folge? Mein eigen bin ich erst, wenn nicht die Sinnlichkeit, aber ebensowenig ein Anderes (Gott, Menschen, Obrigkeit, Gesetz, Staat, Kirche usw.) Mich in der Gewalt haben, sondern Ich selbst; was Mir, diesem Selbsteigenen oder Selbstangehörigen nützt, das verfolgt mein Eigennutz."
Entschieden abgelehnt wird jede Verpflichtung für Mitmenschen, jede Tätigkeit für Andere.
    "Die Geschichte sucht den Menschen: er ist aber Ich, Du, Wir. Gesucht als ein mysteriöses Wesen, als das Göttliche, erst als der Gott, dann als der Mensch (die Menschlichkeit, Humanität, Menschheit), wird er gefunden als der Einzelne, der Endliche, der Einzige. Ich bin Eigner der Menschheit, bin die Menschheit und tue nichts für eine andere Menschheit. Tor, der Du eine einzige Menschheit bist, daß Du Dich aufspreizst, für eine andere, als Du selbst bist, leben zu wollen."

    "Wo mir die Welt in den Weg kommt - und sie kommt mir überall in den Weg - da verzehre ich sie, um den Hunger meines Egoismus zu stillen, Du bist für Mich nichts, als - meine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeist und verbraucht werden. Wir haben zueinander nur eine Beziehung, die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens. Wir sind einander nichts schuldig, denn, was ich Dir schuldig zu sein scheine, das bin ich höchstens Mir schuldig. Zeige ich Dir eine heitere Miene, um Dich gleichfalls zu erheitern, so ist mir an Deiner Heiterkeit gelegen, und meinem Wunsch dient meine Miene; tausend Anderen, die ich zu erheitern nicht beabsichtige, zeige ich sie nicht."

    "Ich kümmere mich um keine fremde Sache, weder Gott noch Menschheit, sondern nur um meine Sache; auch nicht um die gute Sache. Ich bin weder gut, noch böse. Meine Sache ist nur das Meinige, nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie usw. und sie ist keine allgemeine, sondern sie ist - einzig, wie Ich einzig bin. Mir geht nichts über Mich."
Die Liebe wird anerkannt, so weit sie eine freie Regung des Einzelnen ist; sie wird verworfen, wo sie als Schuldigkeit gefordert wird und statt des einzelnen wirklichen Menschen ein Phantom zum Gegenstand hat.
    "Der Philanthropismus, die Menschenfreundlichkeit wird gewöhnlich so mißverstanden, als sei sie eine Liebe zu den Menschen, zu jedem Einzelnen, während sie nichts als eine Liebe des Menschen, des unwirklichen Begriffs, des Spuks ist."

    "Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern jeden. Aber ich liebe sie mit dem Bewußtsein des Egoismus. Ich liebe sie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich ist, weil es Mir gefällt. Ich kenne kein Gebot der Liebe. Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Wesen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: töten kann ich sie, martern nicht."

    "Wer aber voll heiliger (religiöser, sittlicher, humaner) Liebe ist, der liebt nur den Spuk, den wahren Menschen, und verfolgt mit dumpfer Unbarmherzigkeit den Einzelnen, den wirklichen Menschen, unter dem phlegmatischen Rechtstitel des Verfahrens gegen den Unmenschen. Das ist der Sinn der berühmten Liebeserscheinung, die man Gerechtigkeit nennt. Der peinlich Angeklagte hat keine Schonung zu erwarten, und niemand deckt freundlich eine Hülle über seine unglückliche Blöße."

    "Ihr liebt den Menschen, darum peinigt ihr den einzelnen Menschen, den Egoisten; eure Menschenliebe ist Menschenquälerei." (3)

    "Ich muß die Liebe Mir wieder vindizieren [als Eigentum einfordern - wp] und sie aus der Macht des Menschen erlösen."
Das Recht, als eine bindende Norm für die Handlungen der Einzelnen perhorresziert [ablehnen - wp] der absolute Individualismus ebenso, wie die Gesellschaft, von der es ausgeht, und die als organisiertes Ganzes, als Staat, über den Einzelnen steht.
    "Eigner und Schöpfer meines Rechts - erkenne ich keine andere Rechtsquelle an, als Mich, weder Gott, noch den Staat, noch die Natur, noch auch den Menschen selbst mit seinen ewigen Menschenrechten, weder göttliches, noch menschliches Recht."

    "Der Gedanke des Rechts ist ursprünglich mein Gedanke, aber als Wort ist es Fleisch geworden, eine fixe Idee. So ist das absolute Recht, das von Mir abgelöste, entstanden. Wir können es, indem wir es als absolutes verehren, nicht wieder aufzehren, und es benimmt uns die Schöpferkraft: das Geschöpf ist mehr, als der Schöpfer, ist an und für sich. Laß das Recht einmal nicht mehr frei herum laufen, zieh es in seinen Ursprung, in Dich, zurück, so ist es Dein Recht, und recht ist, was Dir recht ist."

    "Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre es recht, d. h. Ich wollte es, so früge Ich nach der ganzen Welt nichts. So macht es jeder, der sich zu schätzen weiß, jeder in dem Grad, als er Egoist ist, denn Gewalt geht vor Recht, und zwar - mit vollem Recht."

    "Was Ich mein Recht nannte, das ist in Wahrheit nur meine Macht. Recht - ist ein Sparren, erteilt von einem Spuk. Macht - das bin ich selbst, Ich bin der Mächtige und Eigner meiner Macht."

    "Das Recht ist der Herrscherwille der Gesellschaft. Alles bestehende Recht ist - fremdes Recht, Recht, das man mir gibt. Jeder Staat ist eine Despotie. Der Staatswille ist nicht mein Wille und hääte jeder Einzelne im Volk den gleichen Willen ausgesprochen, ein Gesamtwille das herrschende Gesetz aufgerichtet, so wäre ich an meinen gestrigen Willen heute und ferner gebunden, mein Wille wäre erstarrt.

    Ich erkenne keine Pflicht an, ich beide mich nicht und lasse mich nicht binden Habe ich keine Pflicht, so habe ich auch kein Gesetz."
Der Gesellschaft wird nur der Verein, die gewollte Einheit, eine Vereinigung von Ichen, die für Mich nur besteht, solange Ich will.
    "Wir beide, der Staat und Ich sind Feinde. Mir, dem Egoisten, liegt das Wohl dieser menschlichen Gesellschaft nicht am Herzen, Ich opfere ihr nichts; Ich benutze sie nur; um sie aber vollständig benutzen zu können, verwandle ich sie vielmehr in mein Eigentum und mein Geschöpf, d. h. Ich vernichte sie und bilde an ihrer Stelle den Verein von Egoisten."

    "Die Menschen haben bisher ihre Gesellschaften nicht auf Sich gegründet, sie haben immer nur Gesellschaften gründen und in Gesellschaften leben können; Gesellschaften waren immer Personen, moralische Personen, d. h. Gespenster, vor welchen der Einzelne den angemessenen Sparren, Gespensterfurcht, hatte."

    "Unsere Gesellschaften sind, ohne daß wir sie machen, sind vereinigt ohne unsere Vereinigung, sind prädestiniert [dazu bestimmt - wp] und bestehen, sind gegen uns Egoisten das unauflöslich Bestehende."

    "Es handelt sich fortan nicht mehr um den Staat, sondern um Mich. Damit verschwinden alle konstitutionellen Fragen in ihren wahren Abgrund und ihr wahres Nichts. Ich, dieses Nichts, werde meine Schöpfungen aus Mir hervortreiben."

    "Jede Partei hört in dem Augenblick auf, Verein zu sein, wo sie gewisse Prinzipien bindend macht, und dieser Augenblick ist gerade der Geburtsakt der Partei. Sie ist als Partei schon eine geborene Gesellschaft, ein toter Verein, eine fix gewordene Idee."

    "Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur, wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches Sich vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist - tot als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er ist - Gesellschaft, Gemeinschaft."

    "Nicht die Freiheit, die überall Schranken findet, wird durch den Verein realisiert - auch in ihm wird die Freiheit beschränkt sein -, sondern die Eigenheit. Ich habe darin nichts über Mir, wie im Staat, der Verein ist mein Werk, und Ich nehme mich aus ihm zurück, wie Ich will. Im Verein opfern wir einen Teil unserer Freiheit, aber nicht dem Wohl Aller, sondern unserem eigenen."

    "Der Verein ist nur eine Verstärkung meiner Macht, eine Multiplikation meiner Kräfte, und nur solange er das ist, behalte ich ihn bei."

    "In den Verein bringst Du Deine ganze Macht, Dein Vermögen, und machst Dich geltend, in der Gesellschaft wirst Du mit Deiner Arbeitskraft verwendet. Die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du."
Der Patriotismus hat keine Macht über den Einzigen; er will ebensowenig abhängig sein von Volksgesinnung (öffentlicher Meinung), als von Fürstengesinnung.
    "Für mich ist das Volk eine - zufällige Macht, eine Naturgewalt, ein Feind, den Ich besiegen muß."

    "Was ist ein organisiertes Volk, das sich selbst regiert? ein Volk, in dem kein Ich hervorragt ein durch den Ostrazismus [Ausgrenzung - wp] organisiertes Volk. Die Verbannung der Iche, der Ostrazismus, macht das Volk zum Selbstherrscher."

    "Volksfreiheit ist nicht meine Freiheit. Ein Volk kann nur auf Kosten des Einzelnen frei sein."

    "Der Untergang der Völker und der Menschheit wird Mich zum Aufgang einladen."

    "Eigentum soll nicht das Recht Aller, sondern das des Einzelnen sein, oder vielmehr: die Eigentumsfrage ist keine Rechtsfrage, sondern eine Machtfrage. Ich eigne Mir zu, was Ich will, und behalte, was Ich durch meine Gewalt behaupten kann."

    "Im Vermögen der Bankiers sehe ich so wenig etwas Fremdes, als Napoleon in den Ländern der Könige. Wir tragen keine Scheu, es zu erobern, und sehen uns auch nach den Mitteln dazu um."

    "Mir gehört die Welt. Sagt ihr (die Sozialisten, speziell Proudhon) mit dem Satz: Allen gehört die Welt etwas anderes? Alle sind Ich und wieder Ich usw. Aber ihr macht aus dem Allen einen Spuk und macht ihn heilig, so daß dann die Alle zum fürchterlichen Herrn des Einzelnen werden. Auf ihre Seite stellt sich dann das Gespenst des Rechts."

    "Gegen den Druck des Einzeleigentums lehnt sich der Kommunismus mit Recht auf, aber grauenvoller noch ist die Gewalt, die er der Gesamtheit einhändigt."

    "Was ist also mein Eigentum? Nichts, als was in meiner Gewalt ist. Zu welchem Eigentum bin ich berechtigt? Zu jedem, zu welchen Ich Mich - ermächtige. Das Eigentumsrecht gebe Ich mir, indem Ich mir Eigentum mache."

    "Heißt es sozialistisch: die Gesellschaft gibt mir, was ich brauche, - so sagt der Egoist: Ich nehme Mir, was Ich brauche. Gebärden sich die Kommunisten als Lumpen, so benimmt sich der Egoist als Eigentümer."

    "Gelangen die Menschen dahin, daß sie den Respekt vor dem Eigentum verlieren, so wird jeder Eigentum haben. Vereine werden dann auch in dieser Sache die Mittel des Einzelnen multiplizieen und sein angefochtenes Eigentum sicher stellen."

    "Die Eigentumsfrage wird gelöst durch den Krieg aller gegen Alle. Was dann werden wird? Ebensogut könnte man verlangen, daß ich einem Kind die Nativität stellen soll."
Dann wird aber doch eine düstere Prophezeiung ausgesprochen:
    "In Verbrechen hat sich seither der Egoist behauptet und das Heilige verspottet: der Bruch mit dem Heiligen oder vielmehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rücksichtsloses, schamloses, gewissenloses, stolzes - Verbrechen, grollt es nicht in fernem Donnern, und siehst Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll schweigt und sich trübt?"
Hier spukt auch in STIRNER etwas, es spukt voraus, der Nihilismus.

Der "Einzige" ist "der sterbliche Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt."

Alles Streben wird abgelehnt.
    "Ich bin in jedem Augenblick, was ich sein kann. Seine Kräfte zu gebrauchen, ist nicht der Beruf und die Aufgabe des Menschen, sondern es ist seine allezeit wirkliche vorhandene Tat, Kraft ist nur ein einfaches Wort für Kraftäußerung."

    "Nicht um Euret-, auch nicht einmal um der Wahrheit willen spreche Ich aus, was Ich denke, Nein -
      Ich singe, wie der Vogel singt,
      Der in den Zweigen wohnet:
      Das Lied, das aus der Kehle dringt,
      Ist Lohn, der reichlich lohnet.
      (4)
    Ich singe, weil - Ich ein Sänger bin. Euch aber gebrauche Ich dazu, weil Ich - Ohren brauche."

    "Ich hab mein Sach' auf Nichts gestellt."

LITERATUR - Robert Schellwien, Max Stirner und Friedrich Nietzsche, Leipzig 1892
    1) Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, Leipzig 1845.
    2) In der nachfolgenden Darstellung werden überall, auch wo es nicht ausdrücklich gesagt ist, nur die Meinungen Stirners, wenn auch nur teilweise mit seinen Worten und zum Teil in der Sprache des Verfassers dieser Darstellung wiedergegeben.
    3) Der Verfasser (ich) erinnert sich eines nun schon längst vergessenen philosophischen Schriftstellers - er war zugleich Chefpräsident eines hohen Gerichtshofes -, von dem die Äußerung erzählt wurde: "Auch ich habe die allgemeine Menschenliebe, aber den einzelnen Menschen liebe ich nicht."
    4) Johann Wolfgang von Goethe, Der Sänger (1783)