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Logik der reinen Erkenntnis (3/5) 5. Das Denken der Wissenschaft Wie das Wort Erkenntnis mehrdeutig ist im wissenschaftlichen Sprachgebrauch, so nicht minder das Wort Denken. Und diese Unbestimmtheit des Denkens ist für die Logik verhängnisvoll geworden; ist sie doch das untrügliche Symptom des Mangels und der Schwäche in der bisherigen logischen Bestimmung des Denkens. Auf welches Denken bezieht sich die Logik? Auf das Denken in Tönen? Nein; das wird dem Generalbass zugewiesen. Und dessen Verwandtschaft mit der Logik wird durch die Mathematik vermittelt. Was das Denken in der Musik sonst noch etwa zu bedeuten haben sollte, gehört auch nicht in die Logik, sondern allenfalls in eine Ästhetik, wie man diese immer auffassen und wie man in derselben auch das Verhältnis der Musik zu anderen Künsten, inbesondere zur Poesie, bestimmen mag. Oder ist das Denken etwa das Denken in Versen? Ist es das Denken der Poesie? Nun freilich, die Poesie hat ihren natürlichen Quell im Mythos und so wurzelt sie allerdings im Trieb nach Wahrheit. Aber allmählich hat sie sich doch ein eigenes mächtiges Bett gegraben und das Land der Schönheit ist ein Gebiet, das durch eigenartige Quellen befruchtet wird. Man nimmt allgemein an, daß es verdorren müßte, wenn das Denken der Wahrheit allein seine Quellen zu speisen hätte. So wenig die Schönheit einerlei ist mit der Wahrheit, so wenig ist das Denken der Poesie, wie überhaupt das Denken der Ästhetik, das Denken der Logik. Ein genau bestimmtes, von einem eingeschränkten Interesse geleitetes Denken ist es, auf welches die Logik ursprünglich Bezug nimmt. Die etwaigen Bezugnahmen dieses Denkens auf andere Gebiete werden erst zulässig, wenn und sofern die Übertragung der ursprünglichen, grundsätzlichen Beziehung auf die anderen Gebiete statthaft wird. Welches ist nun diese ursprüngliche Beziehung? Darüber kann kein Zweifel entstehen. Das Denken der Logik ist das Denken der Wissenschaft. Die Bedeutung der Wissenschaft ist uns nicht mehr unbestimmt. Zwar ist die Wissenschaft in eine große Vielheit geteilt und wie es scheinen könnte, gespalten. Und auch der Schein ist nicht abzuweisen und nicht bedrohlich, daß immer neue Wissenschaften zur Entstehung gelangen. Und endlich ist es gar nicht als eine begründete Aussicht zu betrachten, daß alle die verschiedenen Wissenschaften in eine Wissenschaft einmünden müßten, weil sie etwa aus einer erflossen wären. Alle diese Ansichten irren in dem einen Punkt, daß sie die Wissenschaft nach den Inhalten denken und nicht vornehmlich nach der Methode. Ist die Methode einer Wissenschaft die unentbehrliche Voraussetzung für alle anderen Wissenschaften, so besteht ein notwendiger Zusammenhang zwischen der ersteren und der letzteren. Die Frage des Zusammenhangs der Wissenschaften - denn nur so wird man ihre angebliche Einheit zu verstehen haben - ist die Frage des Zusammenhangs ihrer Methoden. Alle Methoden aber operieren mit dem Denken. Indessen in diesem Satz schon liegt wieder die beregte Unbestimmtheit im Wort "denken". Sie kann nur überwunden werden, sofern es gestattet ist, von einer bestimmten Wissenschaft auszugehen, deren Methoden die Bestimmtheit dieses Denkens zur Darstellung bringen. Als diese Wissenschaft hat sich die mathematische Naturwissenschaft herausgestellt. Nun könnte die Frage entstehen, daß die mathematische Naturwissenschaft doch erst durch NEWTON zu einer Systematik ihrer Prinzipien und Methoden gelangt sei, während doch die Logik in den Anfängen der theoretischen Kultur der Griechen bereits entstanden ist und Gestalt erlangt hat. Der Einwand ist hinfällig. Denn wie ein Zusammenhang besteht zwischen NEWTON einerseits und EUKLID und ARCHIMEDES andererseits, so besteht er auch zwischen NEWTON einerseits und PYTHAGORAS und PLATON andererseits. Alle drei aber sagen, das Denken sei das Denken des Seins. PYTHAGORAS sagt es von einer bestimmten Art des Denkens, von der Zahl, indem er sie zur Substanz macht. PARMENIDES, wie wir schon sahen, drückt die Relation zwischen Denken und Sein unter dem Zwangsgedanken der Identität aus. Und in derselben Richtung urgiert auch PLATO die Idee als das wahrhafte Sein. Aber er schüttelt die Naivität seiner Vorgänger in der Ernüchterung ab, die den ewigen Grundgedanken der wissenschaftlichen Vernunft ans Licht bringt: Das Denken erschafft die Grundlagen des Seins. Die Ideen sind diese Grundlagen, diese Grundlegungen. Das Mißverständnis der Platonischen Idee bei ARISTOTELES erklärt sich aus dem Mißverhältnis des Aristoteles zur Mathematik und zu der auf Mathematik begründeten Naturwissenschaft. Und das fortgesetzte und fortdauernde Mißverständnis der Platonischen Idee verrät sich so als bloßes Mißverständnis der mathematischen Naturwissenschaft und der Mittel, welche ihr zur Ermittlung des Seins, zur Entdeckung der Natur gegeben sind oder in ihr aufgegeben werden. Die Logik aber, wie sie in der Platonischen Idee ihren ersten Höhepunkt erreicht, ist somit von Anfang an die Logik der Mathematik und der mathematischen Naturwissenschaft gewesen und geblieben. In der Idee PLATONs gelangt das Denken zu seiner Reife. Die Naivität des instinktiven, gleichsam mythischen Schaffens von Gedanken wird abgetan. Das Denken geht in sich, zieht sich selbst zur Rechenschaft. Es wird in seinem innerlichen Tun dialogisch. So wird das Denken, so wird die Logik Dialektik. Unter den Ausdrücken, mit denen PLATO das Denken kennzeichnet, ist daher der der Dianoia besonders charakteristisch. Erstlich obwaltet die Tendenz, diesen Ausdruck für das Denken der Mathematik auszuzeichnen und zu isolieren. Schon dieser Wortgebrauch läßt den Zusammenhang erkennen, den PLATO zwischen der Logik und der Mathematik festzustellen bestrebt ist. Wie ein Hauptgebiet der Ideen als "das Mathematische" bezeichnet ist, so ist eine Art des Denkens, als die des mathematischen Denkens, von den anderen Arten des Denkens unterschieden. So prävalierend, so grundlegend ist diese Art. Aber die Wahl des Ausdrucks bezeichnet noch ein anderes. Die Stammsilbe gehört der Grundbedeutung des Denkens an. Die Vorsilbe aber bringt das Gegen und das Durch hinzu. Das Denken kommt in Gegenbewegung und in Kampf. Und der Sieg aus diesem Kampf ist die Klarheit, die das Denken über sich selbst erlangt, über die Voraussetzungen seiner Grundlagen und über die Mittel, die ihm zu Gebote stehen. Wahrlich, die Dialektik ist keine äußerliche Gebahrung des dialogischen Stils; sondern sie spiegelt den Wogenkampf der Gedanken ab; das Gegeneinander und die Durchführung der Dianoia. Indessen ist bei PLATON selbst die Dianoia keineswegs der abschließende Ausdruck geblieben für die Bestimmung des Denkens, als des Denkens der Wissenschaft. Allerdings behauptet sich dagegen vornehmlich der ihm ursprüngliche Ausdruck des reinen Schauens. Und dieser wiederum hat es mitverschuldet, daß das Denken seines in der Dianoia gewonnenen prägnanten Charakters bei der Menge der Ideenverächter wieder verlustig ging. Das Reine ließ man als belanglos fort und das Schauen wurde so zu einem inneren Sehen. Damit aber wurde das Denken nivielliert zur Vorstellung. Und so verlor die Logik die Abgrenzung, die sie sich mühsam genug gegen die Psychologie eroberte. Wir müssen hier nochmals auf das Verhältnis der Logik zur Psychologie zurückkommen. Man bedenke nur, so wenig es eine Logik gab, die sich vielmehr erst schrittweise zu bilden hatte, so wenig auch, noch weniger sogar gab es eine Psychologie. Man wird nicht meinen, der Mensch sei sich näher, als ihm die Natur sei. Vielmehr lernt er erst aus der Natur sich selbst erkennen, sich selbst auch nur beobachten. Die ersten Mathematiker und Physiker unter den Griechen, sie sind auch die ersten Psychologen. Mit aller Mythologie und mit der Poesie, mit dem Drama selbst werden zwar grelle und helle Streiflichter auf die Seele des Menschen geworfen, aber theoretische Einsicht in die Verschlungenheiten seines Wesens und Sammlung und Disposition der Grundrichtungen seines Bewußtseins wird dadurch nicht erzielt. Die methodische Kontrolle, die nur in der wissenschaftlichen Untersuchung angestellt werden konnte, sie erst führte zur Psychologie. Der Urheber der klassischen Logik, PLATO, er ist zugleich der erste Psychologe im großen, methodischen Stil. Er schuf auch die Ethik. Also konnte es vor ihm keinen Willen geben. So mußte er die Psychologie des Willens entwerfen. Und ebenso hat er, als der Schöpfer der Logik, das Denken herausarbeiten müssen aus der Wahrnehmung und aus der Vorstellung. Er mußte die Psychologie der Vorstellung erarbeiten, um zum reinen Denken durchdringen zu können. Es besteht somit ein innerlicher Zusammenhang, ein unvermeidliches Zusammenwirken der logischen Rücksicht und der psychologischen Kleinkunst. Aber dieses Zusammenwirken bliebe nicht ein solches, wenn es mit dem Zusammenfallen endete. Dann würde vielmehr der logischen Rücksicht, welche jene Kleinkunst zu leiten hat, der Garaus gemacht und die Logik würde in Psychologie verschwinden. Das Denken ist nicht Vorstellung, auch wenn man der Vorstellung noch ein logisches Attribut liehe und sie zur geraden, rechten Vorstellung machte. Oder wenn BERKELEY die Idee als general idea mißversteht, bleibt sie trotz der ihr zugemuteten Allgemeinheit dennoch nichts mehr als Vorstellung. Sie bleibt auf solche Weise nur ein Gebilde der Psychologie. Die Schöpferkraft des Denkens kann dagegen nur von der Logik erst zur Offenbarung gebracht werden. Nur im Zusammenhang mit der Wissenschaft, mit dem Prototyp der Wissenschaften entdeckt die Logik die Eigenart und den Eigenwert des Denkens. Der Eigenwert des Denkens ist bereits bezeichnet: er besteht in der Erkenntnis. Die Erkenntnis ist die Grundlage, das Prinzip der Wissenschaft. Was aber bedeutet die Eigenart des Denkens? Bei dieser Frage eben scheint die Kollision mit der Psychologie unvermeidlich. Gibt es ein Mittel und einen Weg, die Eigenart des Denkens, als die des Denkens der Erkenntnis zu bestimmen, ohne mit den Interessen und Aufgaben der Psychologie in Berührung, geschweige in Konflikt zu geraten? Freilich ist der Schein der Berührung nur schwer zu zerstreuen, denn das Denken ist, als Vorgang des Erkennens, ein Vorgang des Bewußtseins. Und die Beschreibung und Beleuchtung der Vorgänge des Bewußtseins ist unweigerlich Sache der Psychologie. Aber es kommt auf die Schärfe des Gesichtspunktes an, um die Selbständigkeit beider Wege rein und sicher zu behaupten. Freilich gilt es dabei, von den hergebrachten Auffassungen des Denkens auch weiter noch sich loszusagen. Es genügt nicht, die Einerleiheit von Denken und Vorstellung fallen zu lassen; das Bild der Vorstellung wirkt noch in anderen Ansichten vom Denken verführerisch, in denen man es nicht vermuten würde. Am ungefährlichsten erscheint die Ansicht, daß das Denken Verbindung sei; denn Verbindung scheint diejenige Leistung des Denkens zu sein, von welcher das Erkennen und somit die Erkenntnis schlechterdings abhängt. Wäre selbst bei dieser Bestimmung die Berührung mit der Psychologie unausweichlich, so dürfte dies dennoch gegen die Aufnahme dieses Versuches zur logischen Charakteristikk nicht den Ausschlag geben. Vielmehr müßte das logische Ergebnis der Verbindung einen eigenen Weg vorzeichnen, der sich vom Weg der Verbindung im Plan der Psychologie scharf und genau unterscheiden müßte. So unbedenklich könnte demnach das Denken in Verbindung erscheinen. Indessen hat die Geschichte der Logik wie die der Psychologie diese Zuversicht Lügen gestraft; denn die Verbindung hat als Assoziation die gesamte englische Psychologie gefangen genommen und mit ihr geglaubt, das ganze Festungswerk der Logik erobert zu haben. Die fundamentalen Prinzipien, wie das der Kausalität, sie sollten nichts sein, als Assoziationen, nicht aber notwendige Konnexionen. So hat die Assoziation als customary combination die connexion nécessaire DESCARTES', die HUME in sein Englisch übersetzte, aus dem Feld geschlagen. Und das Ansehen, in dem innerhalb der Psychologie die Assoziation noch immer steht, sollte daher eine Mahnung sein, allen den Beschreibungen des Denkens aus dem Weg zu gehen, welche, wie entfernt immer, mit ihr zusammenhängen. Der Weg des Denkens muß sich zur Erkenntnis hinführen lassen, ohne daß er durch die hauptsächlichste Leistung der Verbingung vorgezeichnet würde. Ist es denn überhaupt die vorzügliche Leistung des Denkens, Verbindung zu stiften? Ist nicht die Unterscheidung ebenso wichtig und ebenso bedeutsam? Das Denken betätigt sich doch nicht allein im Anhäufen und Zusammenschichten; sondern doch wohl ebenso eigentümlich im Sondern und Auseinanderhalten. Daher ist ein anderer Weg in der neueren Psychologie eingeschlagen worden, nämlich mit der Unterscheidung zu beginnen und in ihr den Leitfaden festzuhalten für den gesamten Aufbau des Bewußtseins. Nun könnte man zwar meinen, daß auch die Unterscheidung eine Art von Verbindung sei, denn wer heißt uns bei der Verbindung nur an die positive Richtung derselben zu denken und nicht ebenso bestimmt an die negative? Diese Bevorzugung der positiven Seite verrät nur das Vorurteil und den Aberglauben, in den die Psychologie die Logik verstrickt hat. Als ob die Verbindung mit Fäden erfolgte, die doch Fäden blieben, wie fein sie auch gesponnen würden. Wenn dagegen die Verbindung nur die Gegeneinanderhaltung bedeuten darf, so würde diese sich ebenso wirksam in der Unterscheidung bewähren. Das kann man alles zugunsten der Verbindung anerkennen und dennoch die Charakteristik des Denkens durch sie ablehnen zu müssen glauben. Schon der eine Punkt sollte zur Vorsicht mahnen: daß das Ziel des Denkens, die Erkenntnis dadurch in den Hintergrund rückt; nicht als das eigentliche Ergebnis in der Tätigkeit des Denkens deutlich dabei hervortritt. Es ist, als ob es sich um die Tätigkeit, um den Vorgang selbst handelte und nicht vielmehr um das, was dabei herauskommt und erzielt wird. So bestechend ist eben das Bild der Verbindung, daß sie selbst als ein abschließender Inhalt und als ein letztes Zielt des Denkens sich darzustellen vermag. Wir müssen daher dieser Illusion noch weiter nachgehen. Wir müssen ein ehrwürdiges Glied im Inventar der Kantischen Terminologie in Anspruch nehmen; das Vorurteil könnte es für das ehrwürdigste halten. KANT hat das Denken als Synthesis bestimmt. Und durch die Synthesis hat er alle seine systematischen Begriffe definiert und formuliert. Hierin aber liegt schon wieder die Abschwächung des Arguments der Synthesis für das Denken selbst. Nicht sowohl das Denken, als vielmehr eigentlicherweise das Erkennen wird durch Synthesis bestimmt. Also ist die Synthesis letztlich und eigentlich die des Denkens mit der Anschauung. Indessen hat doch KANT das Denken selbst auch als Synthesis charakterisiert. Und er hat Arten der Synthesis unterschieden. Es hat daher der Vorwurf gegen ihn sich erheben können, daß er das Denken auf das Niveau einer mechanischen Zusammensetzung erniedrigt habe. Der Vorwurf in seiner Ungeheuerlichkeit wäre doch nicht möglich geworden, wenn man nicht über dem Vorgang die Sache, über der Tätigkeit das Ziel derselben übersehen hätte. Das Zusammensetzen macht nicht die Synthesis aus, sondern das Ergebnis desselben soll vielmehr erst Synthesis bedeuten. Dieses aber schließt jeden entferntesten Schein der Zusammensetzung aus, denn es ist die Einheit. Synthesis ist Synthesis der Einheit. Und daß die Einheit den Gegensatz zu aller Art von Zusammensetzung bildet, das brauchte man nicht erst von KANT zu lernen; das hätte man von LEIBNIZ lernen können. Von dieser Seite aus ist also die Bestimmung des Denkens, als Synthesis, einwandfrei. Das Denken ist die Synthesis der Einheit. Einen schweren Anstoß müssen wir aber gerade angesichts der Einheit an der Synthesis nehmen. Schon in den alten Zeiten der griechischen Mathematik und demzufolge der griechischen Philosophie hat man für die Einheit zwei Ausdrücke angenommen: die Monade und die Einheit. Die eine Einheit ist der Anfang der Zahlreihe; die andere liegt außerhalb derselben. Was kann sie in diesem Jenseits leisten sollen? Wir werden diese Frage später gründlicher zu erörtern haben. Hier genüge es, darauf hinzuweisen, daß die erste Art der Einheit zur Mehrheit weitergeht. Aber auch jede Art von Mehrheit und jedes Individuum derselben muß eine Einheit sein. Hierfür schon hat die andere Art der Einheit einzutreten. Wie ist dieses Eintreten zu verstehen? Wird sich der Begriff der Einheit auch auf die Mehrheit zu erstrecken haben? Oder soll die Mehrheit schlechterdings als Voraussetzung der Einheit hinzunehmen sein? Ist aber das Letztere der Fall, so entsteht das schwere Bedenken, welches sich gegen die Synthesis erhebt: Sie geht zwar auf die Einheit aus, aber sie hat für dieselbe Mehrheit zu ihrer Voraussetzung . Diesem Bedenken gegen das vorausgesetzte Material der Synthesis entzieht sich auch die Kantische Terminologie der Synthesis nicht und sie kann sich derselben nach dem ganzen innerlichsten Gefüge derselben nicht entziehen: die Einheit der Synthesis des Denkens hat das Mannigfaltige der Anschauung zu ihrer Voraussetzung. Auf diese Relatioin muß die Synthesis gespannt sein gemäß der Relation, welchen zwischen Denken und Anschauung festgelegt ist. Wir wissen es schon, diese Anschauung ist reine Anschauung; ist nicht etwa Wahrnehmung oder Empfindungen. Die Sinnlichkeit ist reine Sinnlichkeit. Wenn aber gleich alle diese Unterscheidungen, welche die Anschauung dem Denken näher bringen sollen, nach Gebühr beachtet sind, so bleibt dennoch unverkürzt der Einwand stehen: daß dadurch die ureigene Selbständigkeit des Denkens beeinträchtigt sei. Das Denken ist Synthesis. Die Synthesis ist Synthesis der Einheit. Aber die Einheit setzt die Mehrheit voraus. Und diese Mehrheit hat das Denken nicht zu schaffen, also auch nicht zu verantworten. Sie ist ihm "gegeben", das ist der verhängnisvolle Ausdruck. Er bezeichnet die Schwäche, durch welche KANT mit seinem englischen Jahrhundert zusammenhängt. Ein Zeichen derselben dürfte sich auch bei NEWTON erkennen lassen. Es fehlt wahrlich nicht an klaren und scharfen Ausdrücken, durch welche sich KANT von dieser Voraussetzung des sensualistischen und wissenschaftlichen Empirismus frei zu machen den Schwung gibt. So sagt er, Gegebensein heiße auf Erfahrung bezogen werden. Und die Erfahrung ist hier der Teil derselben, den die Mathematik vertritt. Aber die Mathematik vermag nur durch ihre reine Anschauung das Geben zu leisten; als ob ihr das Denken versagt wäre. Auch die Synthesis im Ziehen einer Linie ist nicht sowohl Denken, als vielmehr Anschauung. Und so bleibt es dabei, daß auch unter dieser Bedeutun des Gegebenseins kraft der Synthesis dasselbe nicht vom Denken herkommt. Das ist der Grundfehler der Sache in der Anlage der Synthesis. Dieser Fehler ist mit den Mitteln der Kantischen Terminologie nicht zu korrigieren. Und es ist nicht allein die Terminologie, in welcher die Wurzel des Übels läge, so daß man sie zu verbessern suchen müßte; sondern es ist ein Mangel in der Disposition. Wir wissen, die Kritik besteht in der Messung der Erkenntnis an den Prinzipien der mathematischen Naturwissenschaft. Diese Messung aber, so tief sie in die Prinzipien eindrang, stand doch hierin einseitig unter dem Einfluß NEWTONs. So wurden die Grundbegriffe der Mathematik zwar als eine Art von Principia mathematica ausgezeichnet und von denen der reinen Naturwissenschaft unterschieden, aber der Unterschied wurde nicht an den einzelnen Prinzipien selbst durchgeführt. Zahl und Größe erschienen auf jener Seite und sie blieben auf jener stehen. Das Wichtigste aber ist; der Begriff der Zahl erschien in einerlei Gestalt: als ob ihn LEIBNIZ und NEWTON nicht verwandelt hätten. Es ist also ein Mangel im Zurückgehen auf die einzelnen Prinzipien der neueren Mathematikk, also ein schlichter Mangel in der klaren Durchführung der Methode der Kritik, auch welchen zurückzuführen sind: das Festhalten am Vorurteil des Gegebensein; die Lücke in der Bestimmung der Synthesis - denn die Ausfüllung derselben durch das Zurückgreifen auf die Kompetenzen der Anschauung macht die Lücke für das Denken nur noch klaffender - und endlich die Beeinträchtigung der Ursprünglichkeit und voraussetzungslosen Selbständigkeit des Denkens, also die nicht erschöpfende Bestimmung des Denkens. Es ist für das Denken in der Literatur, in der mathematischen, wie in der philosophischen noch ein anderer Ausdruck bemerkbar und zwar ebenso bereits im Altertum, wie in der neueren Zeit und freilich auch nicht allein in der wissenschaftlichen Sprache. Er hat zwar nicht die zentrale Bedeutung erlangt, wie die Verbindung und die Synthesis, aber er läßt sich doch an entscheidenden Stellen aufspüren: der Ausdruck des Erzeugens. Das Erzeugen bringt die schöpferische Souveränität des Denkens zum bildlichen Ausdruck. Das Bild freilich ist das Schlimme daran, denn es lockt wieden den Nebensinn jener latenten Voraussetzung herbei, die wir beseitigen müssen. Aber genauer betrachtet kann das Bild doch nicht schaden, denn wir wissen bereits, daß es sich beim Denken, also beim Erzeugen, um die Einheit handelt. Daraus folgt aber, daß auch die Mehrheit, die etwa für die Einheit als Voraussetzung dient, wenn anders sie als solche Voraussetzung brauchbar ist, selbst erzeugt, also auch selbst als Einheit gedacht werden muß. Die Ansicht, daß die Mehrheit von anderswoher dem Denken gegeben werden könnte, ist vorerst wenigstens bereits erledigt. Ferner aber kann der bildliche Ausdruck des Erzeugens die Charakteristik des Denkens schon deshalb nicht schädigen, weil es beim Erzeugen nicht sowohl auf das Erzeugnis ankommt, als vor allem auf die Tätigkeit des Erzeugens selbst. Die Erzeugung selbst ist das Erzeugnis. Es gilt beim Denken nicht sowohl den Gedanken zu schaffen, sofern derselbe als ein fertiges, aus dem Denken herausgesetztes Ding betrachtet wird, sondern das Denken selbst ist das Ziel und der Gegenstand seiner Tätigkeit. Diese Tätigkeit geht nicht in ein Ding über, sie kommt nicht außerhalb ihrer selbst. Sofern sie zu Ende kommt, ist sie fertig und hört auf, Problem zu sein. Sie selbst ist der Gedanke und der Gedanke ist nichts außer dem Denken. Durch diese beiden Momente also, daß das Erzeugen ein Erzeugen der Einheit sei, welche Grundbestimmung nicht minder auch für die Mehrheit gelten müsse und daß das Erzeugen zugleich das Erzeugnis sei, begründet sich die Tendenz, das Denken als Erzeugung zu bestimmen. Indessen fehlt doch noch viel, um diese Tendenz zu scharfer und klarer Durchführung zu bringen. Es erhält sich der Schein, daß die Kraft des Gedankens im Gleichnis wurzele und daß nur die Richtung auf tunlichste Selbständigkeit und reinliche Abscheidung der Nebenmotive dadurch vorgeschrieben werden soll. Wir jedoch suchen hier streng und buchstäblich die Unabhängigkeit des Denkens von allen Gaben, auf die es für seinen eigenen Anfang angewiesen wäre, festzustellen. Wir müssen daher für die Erzeugung eine genauere Bedeutung ausfindig machen. Die wissenschaftliche Philosophie beginnt, so kann man wohl sagen, mit PARMENIDES. Er hat nicht nur das Denken eingeführt, sondern es auf das Sein und zwar durch Identität fixiert. PLATO geht über ihn hinaus indem er zunächst auf PYTHAGORAS zurückgeht und auf SOKRATES. Die bei PYTHAGORAS mathematisch formulierte Substanz zwar durch SOKRATES zum Begriff geworden. Und dieser Begriff sollte nun von sich selbst Rechenschaft geben. So entstand die Idee als Hypothesis. Die Grundlegung des Denkens ward also zur Grundlage des Seins. Das "wahrhafte Sein", das "seiende Sein" nannte PLATO im Anklang an DEMOKRIT dieses sein Sein im Denken. ARISTOTELES dagegen verläßt freilich diese mathematische Richtung des Denkens. Aber der Empirismus ist doch nur die eine der beiden Seelen in ihm. Die Logik ist ihm nicht nur Technik, die Metaphysik läßt ihn auch in der Logik nicht in Ruhe. SOKRATES besonders kann er nicht genug mit geschichtlichen Ehren auszeichnen. Er macht ihn zum Entdecker des Begriffs. Da mag die Frageform, in welcher SOKRATES den Begriff formulierte, ihn vorzüglich angeregt und angesprochen haben. "Was ist?"; Diese Frage sollte zugleich die Antwort sein. In der Tat ist das Wesen und der Wert des Begriffs dadurch getroffen. In den höchsten und kompliziertesten Gestaltungen selbst muß der Begriff immer doch Frage sein und Frage bleiben. Bei SOKRATES aber bleibt das Interesse am Begriff selbst stehen. Auf das Sein in seinen vielfachen Bedeutungen geht sein Blick wohl hin, vielleicht auch mehr als dilettantisch schweifend; aber mit der schöpferischen Energie des Genius haftet sein Blick ausschließlich auf der einen Art des sittlichen Seins. Worin dieses seinen Grund und Quell habe, das sucht, das weiß er zu ergründen. Aber den Grund der Natur zu erforschen, stellt er resigniert dem ANAXAGORAS anheim. Vielleicht läßt sich von hier aus das Rätselwort einigermaßen erklären, mit dem ARISTOTELES den Grund des Seins bezeichnet. Das unübersetzbare Wort το τι ην ειναι bezieht sich vielleicht auf das Fragewort des Sokratischen Begriffs; nur wird aus dem "Was ist" bei ihm "Was war"; und auf dieses Fragewort "Was war?" wird das Sein nunmehr begründet. Wahrlich, die Frage hat hier nicht den Sinn, wie in den Theogonieen und Kosmogonieen. Die Metaphysik des ARISTOTELES wird durch den Terminus des absoluten Prius beherrscht, im Unterschied von jeder psychologischen Relativität. Und dieser Grundbegriff seiner Metaphysik erstreckt sich auch auf seine Logik. Wäre es nur durch diesen Begriff, so würde der Zusammenhang seiner Logik mit seiner Metaphysik unzweifelhaft begründet und befestigt sein. Was war? Die Frage bedeutet: der Grund des Seins muß jenseits seiner Gegenwart gelegt werden. Es genügt nicht, durch das Sein, das wahrhafte Sein, das seiend Seiende zu bestimmen: ein Vor-Sein wird gesucht und in ihm das Sein gegründet und gesichert. Dieser Gedanke erklärt vielleicht nicht zum mindesten die lebendige Verehrung, welche auch bei tiefen Denkern des Mittelalters ARISTOTELES genoß, bei denen PLATO selbst sie mit ihm teilen mußte. Die andere Seele des ARISTOTELES hat sich unvertilgbar in diesem mystischen Wort ausgedrückt. Die Selbständigkeit und Ursprünglichkeit des Denkens war allem subjektiven, psychologischen Prius gegenüber durch dieses absolute Prius hoch- und festgehalten und proklamiert. Das Sein ruht nicht in sich selbst; sondern das Denken erst läßt es entstehen. Nicht was ist, ist das Sein, sondern was war, macht das Sein aus. Nicht auf die Vergangenheit etwa wird dadurch das Sein zurückversetzt, sondern auf einen Ursprung seiner selbst soll es verwiesen werden. Und wo könnte dieser Ursprung, der jenseits des Seins liegen soll, anders liegen als im Denken? So ist diese Frage und dieses Interesse trotz aller Schöpfungs-Theologie im Mittealter wach geblieben. Und vielleicht hat sich der Glaube an die Ewigkeit vornehmlich dadurch erhalten. Es spricht sich in diesem Glauben die freie Zuversicht auf die Ewigkeit des Denkens oder, was sie hier bedeutet, auf die Souveränität des Denkens aus. Das Denken kann, das Denken soll das Sein entdecken. Das war die Aufgabe, durch deren wissenschaftliche Formulierung die Renaissance das Mittelalter ablöste. Und die Frührenaissance bewährt auch hierin ihren evangelistischen Charakter. Ein deutscher Mann, in dessen römischem Bischofssitze alle Fäden der wissenschaftlichen und künstlerischen Renaissance sich knüpfen, findet den Ariadnefaden der wissenschaftlichen Philosophie wieder auf und wird nicht nur zum ersten deutschen großen Philosophen, sondern zum Begründer der deutschen Philosophie. NIKOLAUS von KUES umfaßt in seinem modernen Geist alle Interessen der systematischen Philosophie, nicht zum mindesten auch die der Religion und der Ethik. So gibt er auch dem Freiheitszug der Mystik die Richtung des Pantheismus, der ja doch ohnehin in der Parmenideischen Identität von Denken und Sein seinen antiken Grund hat. Aber diese religionsphilosophischen Fiorituren [Schnörkel - wp] sind nur das Ornament in seinem Bau. Das konstruktive Element, das Fundament desselben ist die legitime wissenschaftliche Anwendung, die er von der Identität zwischen Denken und Sein macht. Er geht und führt wieder den platonischen Weg zur Mathematik. Er spricht es aus: "Wir haben nicht Gewisses als unsere Mathematik" ( nihil certi habemus nisi nostram mathematicam ). Er sucht Gewißheit der Erkenntnis und er findet das Prinzip der Gewißheit in der Mathematik, deren Erneuerung er herbeiführte. Der mathematische Begriff des Unendlichen wird ihm der Angelpunkt wissenschaftlicher Erkenntnis. So geht von ihm der zwar in seinen Kanälen verschüttete, nichtsdestoweniger aber sicherlich gerade Weg zu GALILEI und LEIBNIZ. Das Endliche wird am Unendlichen gemessen. "Die Unendlichkeit selbst nenne ich das Maß von Allem." CUSA spricht in Kernsätzen. Das Maß bedeutet ihm nicht nur, daß das Endliche durch das Unendliche gemessen wird; sondern er erkennt es als das Mittel und das Instrument seiner Entdeckung. Zwei große Richtungen lassen sich in der Geschichte der wissenschaftlichen Vernunft für dieses ihr tiefstes Problem unterscheiden. Beide kämpfen noch heute miteinander. Die eine Richtung ist die der antiken Atomistik, welche die neue Zeit erneuert hat. Sie war aus der Identität des PARMENIDES hervorgegangen. Den Grund des Seins legt DEMOKRIT in die Atome. Sie sind unteilbar, sie stellen Ganzheiten dar, aber die Teile und alles, was teilbar ist, soll aus ihnen erklärbar werden. Sie liegen also zwar noch innerhalb des Seins, aber an der Grenze desselben und sie sollen den Grund und den Ursprung des Seins darstellen und vertreten. Die Hypothesis ist die Voraussetzung der Chemie geworden. Aber sie wollte von Anfang an in dieser Einschränkung auf die Chemie nicht verstanden sein. Die andere Art des "wahrhaft Seienden", welche DEMOKRIT neben den Atomen annahm, war die Leere. Diese Hypothesis galt offenbar der Bewegung, also der Physik. Sie hat sich bei der Erneuerung der Physik durch FARADAY als eine fruchtbare Macht bewährt. Aber die Physik ist den Weg der Mathematik gegangen, der zur Hypothesis des Unendlichen führte. Aus der Bewegung sollte das Seiende, Masse und Kraft zur Bestimmung gelangen. So fiel dem Begriff des Unendlichen die Aufgabe zu, das Seiende zu entdecken. Diese Entdeckung ist die wahrhafte, die wissenschaftliche Erzeugung. Die Infinitesimal-Analysis ist das legitime Instrument der mathematischen Naturwissenschaft. Auf ihr beruhen alle ihre Methoden. In ihrer Gewißheit ruht die Gewißheit der Wissenschaft. Das Problematische auch, das ihr noch anhaftet, enthält den Grund und den Grad des Problematischen, der noch für die mathematische Naturwissenschaft obwaltet. Diese mathematische Erzeugung der Bewegung und durch sie der Natur ist der Triumph des reinen Denkens. Aber der Sieg, so sonderbar es klingen mag, ist doch noch nicht gesichert. Wir haben ja eben auch einen Anteil am Problematischen für das Prinzip des Unendlichen eingestanden. Man spottet zwar nicht mehr, wie BERKELEY charakteristischerweise es tat, über die infinitesmalen Elemente, als über die "Geister abgeschiedenere Größen". Aber was schlimmer ist, man sucht sie zu umgehen und zu entwerten. Welcher Nutzen daraus immer der Arithmetik enstehen mag, ihr Zusammenhang mit der Mechanik wird dadurch zerrissen. Das Beispiel ist in entscheidender Weise instruktiv für die Logik: daß sie nicht ausschließlich eine Logik der Mathematik sein dürfe, sondern einheitlich der mathematischen Naturwissenschaft. Ist die Logik sich aber überhaupt dieser ihrer eigentlichen Aufgabe bewußt geworden? Zur Entscheidung dieser Frage bietet das Prinzip des Unendlichen die sichere Auskunft. Hat das Prinzip der Infinitesimal-Methode die ihm gebührende zentrale Stelle in der Logik gefunden? Wenn diese Frage nicht bejaht werden kann, so muß die voraufgehende Frage verneint werden und so wäre es festgestellt, daß die Logik ihre eigentliche Aufgabe verfehlt, das eigentliche Problem, das die neue Wissenschaft ihr gestellt hat, in diesen zweihundert Jahren, die seitdem verflossen sind, noch immer nicht erfaßt hätte. In einem anderen Sinne, als es von KANT gemeint war, ließe sich dann das Wort und mit einem anderen Recht aussprechen, daß die Logik seit ARISTOTELES keinen Schritt vorwärts getan habe, wenn sie verabsäumt hätte, an dem gewaltigen Muster der Analysis des Unendlichen die einwandfreie Fruchtbarkeit des reinen Denkens zu kritisieren. Wenn die Logik Logik der Wissenschaft, der mathematischen Naturwissenschaft ist, so muß sie vorzugsweise die Logik des Prinzips der Infinitesimal-Rechnung sein. Kommt dagegen das entscheidende Prinzip der mathematischen Naturwissenschaft nicht in ihr zur Lösung und steth es in ihr nicht in ihrem Mittelpunkt, so hat sie selbst ihren Mittelpunkt noch nicht gewonnen; so steht sie noch im Schwerpunkt der alten Zeit. Das neue Denken ist dasjenige, welches seit GALILEI, LEIBNIZ und NEWTON in systematischer Wirksamkeit ist. Ein Blick auf die Literatur der Logik, nicht nur wie sie in den Lehrbüchern der Logik, auch in den besten, sondern auch wie sie in den Systemen der metaphysischen Logik vorliegt, läßt erkennen, daß die Logik die entscheidende logische Bedeutung des infinitesimalen Prinzips nicht erkannt hat. Und wenn es noch einer Erklärung dafür bedarf, daß auch die Kritik der reinen Vernunft nicht nur zur Zeit ihrer Entstehung, sondern auch in unserer Zeit bei dem Versuch ihrer Erneuerung und Verjüngung nicht zu einmütiger Aufnahme durchzudringen vermochtef, so dürfte sie letztlich darin gesucht werden, daß KANT an diesem Wendepunkt die orientierende Fährte verlor. Es fehlt wahrlich nicht an kräftigen Anzeichen, daß der Grundbegriff der neuen Größenlehre nach seiner Bedeutung für die Realität von ihm erkannt worden sei, aber er ist nicht der Hebel der Kritik geworden. Und keine geringere Bedeutung kommt ihm zu. Und keine andere Beleuchtung kann diesem fundamentalen Problem genügen. Hätte das infinitesimale Prinzip die ihm zukommende Stellung in der Kritik gefunden, so würde dem Denken die Sinnlichkeit nicht haben zuvorkommen können; so würde das reine Denken in seiner Selbständigkeit nicht geschwächt worden sein. Das ist die Frage, das ist die Angelegenheit, um die es sich beim Infinitesimalen für die Logik handelt: die ungeschmälerte Sicherung, die uneingeschränkte, schöpferische Selbständigkeit des reinen Denkens. Nicht darauf also etwa beschränkt sich die Bedeutung der neuen Rechnung für die Logik, daß an diesem Musterbeispiel der Infinitesimal-Rechnung der Triumph des reinen Denkens zu demonstrieren wäre, sondern die präzise Frage und die erlösende Antwort auf eine unerläßlich und unersetzliche Bedeutung des Denkens, als Erzeugung, ist aus der Analyse des Unendlichen zu gewinnen. Es ist das Problem des Ursprungs, welches die neue Rechnung aufgerichtet und welches zugleich das Denken, als Erzeugung, zur Klarheit und zur Genauigkeit bringt. Der Ursprung bildet eine alte Frage. Die Wissenschaft der Griechen beginnt mit ihr und nach alter Weisung auch ihre Philosophie. Im Anfang zwar steht das Wasser für den Ursprung der Dinge. Und doch ersteht in diesem Ursprung schon die Abstraktion des Stoffes. Bald aber tritt das Unendliche auf den Plan, als neue, als echte Art des Ursprungs. Und so kommt der Ausdruck des Anfangs, des Prinzips niemals von der Tagesordnung und wie sehr sich die Richtungen vertiefen, der Ursprung bleibt doch immer das Problem. Wir wissen es, das Prinzip ist die Erkenntnis. Das Prinzip aber bedeutet uns jetzt den Ursprung. Ohne den Ursprung kann das Prinzp nicht prägnant werden. Die allgemeine Bedeutung des Prinzips, als Grundlegung, sie muß sie zur Grundlegung des Ursprungs vertiefen. In dieser Hinausführung wird das Prinzip das Selbstbewußtsein der neuen Zeit. Wenn also die Erkenntnis gleich dem Prinzip ist, so ist sie nunmehr durch den Ursprung bedingt. Und wenn das Denken das Denken der Erkenntnis ist, so hat es seinen Ausgang und Grund im Denken des Ursprungs. So lange das Erzeugen nicht in dieser Prägnanz als das Erzeugen des Ursprungs gefaßt wurde, so lange konnte das Denken durch das Erzeugen nicht zu klarer methodischer Bestimmung gelangen. Der Schein des Gleichnisses blieb auf ihm sitzen. Man kann jetzt den bildlichen Ausdruck fallen lassen. Denken ist Denken des Ursprungs. Dem Ursprung darf nichts gegeben sein. Das Prinzip ist Grundlegung in buchstäblicher Genauigkeit. Der Grund muß Ursprung werden. Wenn anders das Denken im Ursprung das Sein zu entdecken hat, so darf dieses Sein keinen, keinerlei anderen Grund haben, als den das Denken ihm zu legen vermag. Als Denken des Ursprungs erst wird das reine Denken wahrhaft. Die Logik muß demnach Logik des Ursprungs werden. Denn der Ursprung ist nicht nur der notwendige Anfang des Denkens, sondern in allem Fortgang muß er sich als das treibende Prinzip betätigen. Alle reinen Erkenntnisse müssen Abwandlungen des Prinzips des Ursprungs sein. Andernfalls hätten sie keinen selbständigen, sondern nur einen abgeleiteten Wert. Die Logik des Ursprungs muß sich daher in ihrem ganzen Aufbau als solche vollziehen. In allen reinen Erkenntnissen, die sie als Prinzipien beglaubigt, muß das Prinzip des Ursprungs durchwalten. So wird die Logik des Ursprungs zur Logik der reinen Erkenntnis. Das ist die neue Gestalt, die wir hier versuchen wollen, der Logik zu geben. Und nicht allein eine neue Gestalt soll ihr damit werden, sondern ein neues Fundament soll ihr gelegt werden: ein Fundament, welches in der neuen Wissenschaft in anerkanntem Gebrauch ist, welches jedoch in der bisherigen Logik als Fundament nicht erkannt ist. Gelänge es uns nicht, dieses Fundament als Fundament der Logik festzulegen, so wäre darum über das Schicksal des Problems nicht entschieden. Es müßte nur neuer Bearbeitung harren; aber das Problem des Ursprungs bliebe unerschüttert. Wir können das Verhältnis des hier entstehenden Werkes zu dem hier proklamierten Problem der Logik genauer bezeichnen. Die Lösung, die hier versucht wird, ist nur ein Beitrag und kann nur ein Beitrag sein. So gewiß die Logik eine ewige Geschichte hat, so gewiß ist das Prinzip des Ursprungs das ewige Prinzip der Logik. Aber so lange die Logik noch nicht in der reinen Erkenntnis des Ursprungs ihren Mittelpunkt befestigt hat, so lange hat sie sich der Ewigkeit ihrer Aufgabe noch nicht versichert. Daher ist der Beitrag eine neue Grundlegung. Kraft des Ursprungs, als der reinen Erkenntnis, ist die Logik die Logik der reinen Erkenntnis. Demgemäß ist dieses unmittelbare Verhältnis zwischen Logik und Erkenntnis genau zu formulieren. Es darf nicht eine andere Disziplin, eine andere Untersuchungsart der Logik zur Seite gegeben werden. Sie kann keine Meisterin brauchen und auch keine Gehilfin. Eine sogenannte Erkenntnistheorie ist ein unklarer Titel. Die Erkenntnis wird da in der dritten Bedeutung des Erkennens verstanden oder nicht verstanden, aber behandelt. Aber auch die Kritik kann nicht stichhalten. KANT konnte, mußte sie herbeiziehen, weil er der Logik eine Lehre von der reinen Sinnlichkeit voraufschickte. Wir dürfen, wir müssen die Logik selbst als Kritik zur Geltung bringen. Denn sie bedeutet uns die Logik des Ursprungs. Und den Ursprung fordern wir in allen reinen Erkenntnissen. Das Denken ist das Denken des Ursprungs. Dadurch ist das Denken das Denken der Erkenntnis. Und wenn anders die Logik die Logik des Denkens ist, so ist sie und nur sie und sie an sich selbst die Logik der reinen Erkenntnis. Das Denken des Ursprungs hat dem reinen Denken diese durchschlagende Kompetenz erteilt. Und die Durchführung dieser Gerechtsame ist die Aufgabe der Logik der reinen Erkenntnis. ![]() |