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Zur Psychologie des Denkens [2/2]
Das willkürliche Denken § 1. Motiv und Ziel des Nachdenkens Das Nachdenken ist also ein Ablauf von Vorstellungen, der durch ein von Anfang an gegebenes und dauernd festgehaltenes Ziel beherrscht wird und dieses zu erreichen sucht. In engster Beziehung zum Ziel steht das Motiv des Nachdenkens, insofern dieses ja nur den Wunsch bedeutet, ein Ziel zu erreichen. Es soll daher zunächst untersucht werden, in welcher Weise ganz allgemein Motiv und Ziele im Bewußtsein vorhanden sind. Ein Motiv, d. h. Veranlassung und Beginn des Nachdenkens treten dann auf, wenn im Verlauf der Vorstellung ein bestimmter Zusammenhang gefordert wird, sich aber assoziativ nicht einstellt. Ich gehe z. B. auf der Straße spazieren, die an mir vorübergehenden Menschen bieten nichts Auffälliges, ihre Gesichter sind mir teils bekannt, teils zwar unbekannt, aber nicht besonders merkwürdig, ihre Kleidung unterscheidet sich von der der übrigen Menschen nicht. Plötzlich erblicke ich einen Menschen in einer mir bis dahin völlig unbekannten Kleidung, ich habe keine Ahnung, woher diese merkwürdige Tracht stammt; aber in diesem Augenblick taucht in mir der Wunsch auf, dies zu erfahren. Ich denke darüber nach, wer dieser Mensch ist. Würde ich auf der Straße intensiv über etwas anderes nachgedacht haben, so würde ich zwar diesen fremden Menschen auch beachtet haben, aber ein Grund über ihn und das Merkwürdige seiner Kleidung nachzudenken läge nicht vor. Aber da meine augenblickliche geistige Tätigkeit im Aufnehmen und Identifizieren der äußeren Eindrücke bestand, so forderte der Anblick des fremden Menschen, ebenfalls ihn zu identifizieren. Jeder auftauchende Sinneseindruck hatte in diesem Fall bei mir die Tendenz, mit Erinnerungsbildern zu einem Ganzen zu verschmelzen. Diese Tendenz übertrug sich auch auf den Sinneseindruck des Fremden, und da in diesem Fall die dazu nötigen Erinnerungsvorstellungen nicht sofort assoziativ auftraten, mußte eine Willenstätigkeit einsetzen, deren Ziel es war, diese fehlenden Vorstellungen herbeizuführen, d. h. ein Nachdenken begann. Ein anderes Beispiel: Ich erwarte einen Freund zu einer bestimmten Stunde, und er kommt nicht. Da ich aber seine Pünktlichkeit kenne, auch annehmen darf, daß er nicht krank ist, so weiß ich im Augenblick keinen Grund für sein Ausbleiben anzugeben und versuche daher durch Nachdenken die Ursache seines Ausbleibens zu erforschen. Diesen Beispielen gemeinsam ist, daß sich im Verlauf des Vorstellens bestimmte Fragen ergeben, z. B. nach der Ursache einer Erscheinung; Fragen, deren Beantwortung nicht ohne weiteres gelingt, die daher ein Nachdenken erfordern. Etwas Ähnliches liegt vor, wenn an mich die Entscheidung herantritt, welche von zwei Handlungen ich tun soll. Für beide kann ich Gründe angeben, die zum Teil einander entgegenwirken. Meine Absicht, die eine der beiden so stark zu motivieren, daß sich die Tat daraus ergibt, wird also durch die Gegengründe gestört. Der Vorstellungsablauf, der darauf hinzielt, die eine, von vornherein stärker motivierte Handlung völlig zu bestimmen, wird gehemmt, Gegengründe tauchen auf, die die Vorstellungen in eine andere Richtung zu drängen suchen, die doch auch wieder nicht dauern innegehalten werden kann. So ist der Vorstellungsablauf stark gehemmt, der Wunsch tritt auf, diese Hemmung zu überwinden, d. h. Gegengründe zu entkräften oder zumindest für die eine Handlung so viele Gründe anzuführen, daß sie über die Gegengründe überwiegen. Überhaupt vermag die Seele Widersprechendes im Bewußtsein nicht zu dulden, und jedesmal, wenn zwei einander widersprechende Tatsachen auftauchen, wird der Vorstellungsablauf gehemmt und damit ein Anstoß zum Nachdenken gegeben, welches den Widerspruch überwinden soll. Es besteht ferner die Tendenz der Seele, Vorstellungen, die gewisse Ähnlichkeiten miteinander haben, aufgrund dieser Ähnlichkeiten zu einem Ganzen zu verschmelzen. Häufig wir diese Absicht durch die starke Verschiedenheit, die diese Vorstellungen außer ihrer Ähnlichkeit noch zeigen, sehr gestört. Wären die Vorstellungen einander sehr ähnlich, so würde ein Zusammenhang, der sie alle in sich begreift, sofort auftauchen. Wären sie völlig voneinander verschieden, so würde ein Verlangen nach einem Zusammenhang überhaupt nicht bestehen. Die teilweise vorhandene Ähnlichkeit deutet einen Zusammenhang an, dem die Unähnlichkeit entgegensteht. Die Tätigkeit des Nachdenkens besteht dann darin, diesen Widerspruch zu beseitigen. So etwas findet sich verwirklicht, wenn es sich um das Verstehen und Begreifen einer Situation, eines Ereignisses, des Produkts einer Geistestätigkeit, eines Buches handelt. Das Nähere hierüber spter. Hier nur so viel, daß in allen diesen Fällen eine Hemmung eintritt, einen Zusammenhang so zu gestalten, daß er alle gegebenen glieder in sich schließt, und daß das Nachdenken sich das Ziel setzt, diese Hemmung zu beseitigen und den Zusammenhang herzustellen. Was wir aus allen diesen Beispielen sehen, ist dies: Ein bestimmter Vorstellungszusammenhang wird gefordert, kann sich aber nicht bilden, da die dazu nötigen Vorstellungen sich nicht assoziativ einstellen. Jede Vorstellung hat die Tendenz, sich zu den Zusammenhängen, in denen sie einmal gestanden hat, wieder zu ergänzen; und da jede Vorstellung in die verschiedensten Zusammenhänge eingegangen ist, so vermag sie auch die verschiedensten Zusammenhänge wachzurufen. Welche dieser Tendenzen sich in einem bestimmten Fall geltend macht, hängt ganz von den begleitenden Umständen ab; wird nun diese Tendenz durch das Fehlen der dazu notwendigen Vorstellungen gehemmt, so verstärkt sie sich durch das dadurch vorhandene Unlustgefühl, sie tritt deutlich ins Bewußtsein und wird zum Ziel für den weiteren Vorstellungsverlauf (11). LIPPS spricht hier von einem Gesetz der Stauung; indem der Vorstellungsablauf gehemmt wird, staut sich die psychische Kraft an dieser Stelle des Hindernisses und verbreitet sich nach rückwärts und seitwärts, wodurch die Hemmung beseitigt werden kann (12). Der Tatbestand ist wie gesagt der: Durch die Hemmung wird die von vornherein bestehende Tendenz deutlich bewußt und bleibt da, solange die Hemmung anhält, ein starkes Unlustgefühl vorhanden ist, deutlich im Bewußtsein. Das Denken hat jetzt durch das Bewußtsein der Tendenz ein Ziel bekommen, das eben in der Überwindung des Hemmnisses und in der Herstellung des Geforderten und zunächst nur unvollständig gegebenen Zusammenhangs besteht. Es ist also eine Eigentümlichkeit der Seele, daß sie isolierte Vorstellungen nicht duldet, sondern sie zu sinnvollen Zusammenhängen zu vereinigen strebt, und diese Eigentümlichkeit äußert sich in der Tendenz jeder einzelnen Vorstellung, den Zusammenhang, in dem sie einmal bestanden hat, von sich aus wieder zu ergänzen. So ist bereits jede Reproduktion einer Vorstellung durch eine andere, mit der sie einmal assoziativ verknüpft war, eine Betätigung dieser Eigenschaft der Seele. Diese wirkt also dauernd unbewußt und unwillkürlich. Sind aber die Vorstellungen, die zu einem sinnvollen Ganzen vereinigt werden sollen, einander widersprechene oder reichen die assoziativ weckbaren dazu nicht aus, so tritt ein Bewußtsein dieser Tendenz ein, ein Ziel ist gegeben, und ein bewußtes Wollen auf dieses Ziel hin setzt ein. Indem hier von einer Tendenz der Seele, Zusammenhänge zu schaffen, gesprochen wird, ist natürlich das voluntaristische und teleologische Moment im seelischen Geschehen ohne weiteres zugegeben. Es ist hier nur versucht worden, den Tatbestand des unmittelbar Erlebten festzustellen. Ziel ist also - um es noch einmal zu wiederholen - die durch eine Hemmung zum Bewußtsein gebrachte Tendenz eines Vorstellungsablaufes, in einer bestimmten Richtung zu verlaufen, um zu einem bestimmten Zusammenhang zu gelangen. Tendenzen sind dauernd vorhanden, durch ihre Hemmung werden sie bewußt und bilden ein Ziel (13). von Aufgaben Es erhebt sich nun das Problem, in welcher Weise solche Tendenzen auf den Ablauf von Vorstellungen wirken. Diese Tendenzen sind in einfachen Fällen Aufgaben, welche entweder durch Fragen von außen an den Fragenden herangebracht werden, oder welche, wie oben gezeigt, der Zusammenhang selbst ergibt. Nehmen wir zunächst ein ganz einfaches Beispiel. Es sei nach der Ursache eines Gewitters gefragt und es wird geantwortet, dieses besteht in elektrischen Spannungszuständen der Atmosphäre und in einem Ausgleich der Elektrizitität zwischen Wolken und Erde. Dabei ist folgender psychischer Prozeß vor sich gegangen: Die Frage nach der Ursache des Gewitters hat eine Reihe von Vorstellungen wachgerufen (elektrische Ladung, Spannungsausgleich), welche die Ursachen des Gewitters darstellen. Es haben sich also an die Vorstellungen des Gewitters diejenigen Vorstellungen angeschlossen, welche durch die Erfahrung als deren Ursachen bekannt sind. Mit der Vorstellung des Gewitters sind aber im Bewußtsein des Gefragten im Laufe seines Lebens noch eine ganze Anzahl von Vorstellungen verknüpft worden, wie Blitz, Donner, Blitzableiter usw. Alle diese Vorstellungen tauchen aber in diesem Augenblick nicht auf, sondern nur die, welche als Ursache des Gewitters gelten können, welche also der Aufgabe genügen. So ist es nun in allen ähnlichen Fällen. Frage ich nach der Ursache einer Erkrankung, so stellen sich Vorstellungen ein, welche die Ursache, nicht deren Symptome darstellen; ebenso wie die Vorstellungen von der Ursache eine Erkrankung zurücktreten, wenn ich nach den Folgen oder nach der Behandlung der Krankheit frage. Kurz: durch eine bestimmte Frage werden aus der Fülle der möglichen Reproduktionen diejenigen ausgewählt und ins Bewußtsein gerufen, welche geneigt sind, eine richtige Antwort auf die Frage zu geben. Diese durch die Frage wachgerufenen Vorstellungen sind im allgemeinen einmal mit der Vorstellung, auf welche sich die Frage bezieht, zusammen erlebt worden. Aber diese assoziative Beziehung ist keine so feste, daß die Ausgangsvorstellung, also die Vorstellung, auf welche sich die Frage bezieht, ohne weiteres die anderen wachrufen müßte. Es sind noch eine Fülle anderer Vorstellungen, also nicht nur die Ursachen, sondern z. B. auch die Wirkungen, Begleiterscheinungen eines Ereignisses, ebenso fest mit der Vorstellung dieses Ereignisses (die wir ein für allemal die Ausgangsvorstellung nennen wollen) verknüpft. Es findet vielmehr tatsächlich durch die Frage eine Auswahl im Sinne der Frage statt. Diese unmittelbar von der Frage ausgehende Auswahl tut sich im Bewußtsein dadurch kund, daß meistens gar nicht erst andere, mit der Ausgangsvorstellung ebenfalls assoziativ verknüpfte Vorstellungen auftauchen, die erst zurückgedrängt werden müßten, sondern daß - im allgemeinen zumindest - sofort die richtigen, d. h. die durch die Aufgabe geforderten Vorstellungen auftauchen. Diese Wirkung von Aufgaben wollen wir mit ACH (14), der gleichzeitig mit WATT (15) zum ersten Mal auf sie hingewiesen hat, als determinierende Tendenzen bezeichnen und verstehen darunter dies, daß
Wenn wir den Begriff der determinierenden Tendenz ganz allgemein so fassen, daß er die Wirkung bedeutet, welche eine Vorstellung auf die Assoziationen der anderen ausübt, indem jene nur bestimmte Vorstellungen auftauchen läßt, die zu ihr selbst in einer gewissen Beziehung stehen, so reicht die Wirkung solcher Tendenzen noch weiter, als bloß beim Vorhandensein von Aufgaben. Wenn es sich um das Verständnis eines Satzes handelt, finden wir die Wirkung solcher Tendenzen. - Wenn ich das Wort "vermeiden" in einem Satz finde, so bewirkt dies, daß bei dem Wort, welches das Zuvermeidende bezeichnet, das reproduziert wird, was hierbei erfahrungsgemäß schädlich ist. Ein Beispiel soll erläutern, was hiermit gemeint ist. Ich höre den Satz: "Der Erkennende soll die Selbsterkenntnis vermeiden!". Beim Nachdenken über das Verständnis dieses Satzes treten bei dem Wort Selbsterkenntnis nur die Vorstellungen ins Bewußtsein, welche etwas Schädliches der Selbsterkenntnis bedeuten. Es determiniert also das Wort vermeiden die Assoziationen, die sich an das Wort "Selbsterkenntnis" knüpfen, in einer bestimmten Richtung. Oder um das vorhin erwähnte Beispiel: "Soll die Frucht vom Baum dir fallen, darf es nicht die Blüte tun", noch einmal anzuführen. Die Versuchspersonen (16) erwähnten, daß ihnen zunächst der Gegensatz von Frucht und Blüte ins Bewußtsein trat, d. h. doch aber, daß beim Wort Blüte nur diejenigen Vorstellungen wirksam waren, welche eine Beziehung zur Vorstellung der Frucht aufweisen. Diese Auswahl aus all den Vorstellungen, die beim Wort "Blüte" wirksam werden können, ist durch die Vorstellung "Frucht" hervorgerufen oder vielmehr es besteht eine wechselseitige Determinierung beider Vorstellungen, denn auch an das Wort Frucht knüpfen sich erst dann die auf die Blüte bezüglichen Vorstellungen, wenn dieses letztere Wort genannt wird, bzw. ins Bewußtsein tritt. So determiniert überhaupt in einem größeren Zusammenhang ein Gedanke den folgenden. So geben ferner die Konjunktionen: aber, trotzdem, dennoch dem folgenden Gedanken von vornherein eine bestimmte Richtung. Es fragt sich nun, wie man sich die Wirkung solcher determinierender Tendenzen zu denken hat. ACH sieht in ihnen ein dem üblichen Assoziationsprinzip gegenüberstehendes neues Prinzp der Vorstellungsverbindung (17). Eines ist nun fraglos, die Wirkung determinierender Tendenzen setzt in vielen Fällen das Vorhandensein assoziativer Verbände voraus, d. h. es müssen sich z. B. mit dem Begriff "Gewitter" eine Reihe von Vorstellungen, wie "elektrische Entladungen", "Blitz", "Donner" mit dem Begriff der Lungenentzündung die Vorstellungen "Erkältung, Fieber, Husten" irgendeinmal auf dem Weg der Erfahrung, also rein assoziativ, verknüpft haben, damit die Aufgabe aus der Fülle der Assoziationen die ihr entsprechenden auswählen kann. Die Wirkung der determinierenden Tendenzen setzt hier also die Wirksamkeit der assoziativen Prinzipien voraus, wobei immer nur an die Festigkeit der Assoziationen als dem entscheidenden Prinzip gedacht wird. Ob aber hier ein von allen assoziativen Prinzipien ganz Verschiedenes vorliegt, ist damit noch nicht entschieden. ACH scheint dies anzunehmen, trotzdem er sich nicht näher über die Art dieses neuen Prinzips ausdrückt. Folgende Überlegungen haben ihn dazu veranlaßt: Er machte Versuche mit Reaktionen ohne Zuordnung der Tätigkeit, d. h. er gab der Versuchsperson folgende Instruktion: Es werden zwei Ziffern erscheinen, die durch einen senkrechten Strich voneinander getrennt sind. Sobald die Versuchsperson diese bemerkt, soll sie mit ihnen eine beliebige der einfachen Rechenoperationen vornehmen und dann die Silbe pe ausrufen. Die Versuche verliefen im Allgemeinen so, daß in der sogenannten Vorperiode sich die Versuchspersonen für eine der einfachen Rechenoperationen entschied, die sie dann in der Hauptperiode ausführte, d. h. es erfolgte dann sofort beim Anblick der beiden Ziffern das Resultat im Sinne der vorgenommenen Rechenoperation. In verschiedenen Formen machte sich nun hierbei nach ACH die Wirkung der determinierenden Tendenzen geltend. Die Zielvorstellung machte sich einmal beim Erscheinen des Reizes dadurch geltend, daß sie mit den beiden Ziffern eine apperzeptive Verschmelzung derart einging, daß visuell ein der gewählten Rechenoperation entsprechendes Zeichen auftrat, und daß die beiden erschiedenen Ziffern in dieses Schema eingefügt wurden. Oder die Absicht realisierte sich so, daß beim Addieren die beiden Ziffern aneinander rückten, beim Subtrahieren sich voneinander entfernten. Hier ging - wie ACH sich ausdrückt - eine durch die Absicht in Bereitschaft gesetzte Vorstellung mit der gegebenen Bezugsvorstellung eine apperzeptive Verschmelzung ein. Aus dieser Verschmelzung ging dann das Resultat assoziativ hervor. In anderen Fällen fand eine apperzeptive Verschmelzung statt zwischen den durch die Zielvorstellung in Bereitschaft gesetzten Vorstellungen und Vorstellungen, welche durch die Wahrnehmung des Reizes assoziativ reproduziert werden. Endlich - und auf diese Form scheint ACH am meisten Wert zu legen - erschien nach Auffassung des Reizes unmittelbar das Resultat, und ACH sieht hiern am ehesten die Wirkung determinierender Tendenzen, indem eben
Wir sehen, es liegt in ACHs Versuchen dasselbe vor wie bei unserem obigen Beispiel. Wie durch die Frage nach der Ursache des Gewitters von den vielen möglichen Vorstellungen nur die reproduziert werden, welche der Frage nach der Ursache entsprechen, so schließen sich bei den Versuchen von ACH an die zwei gegebenen Ziffern nur die an, welche der selbstgewählten Aufgabe entsprechen. Nähers als diese Tatsache sagt ACH nicht, und doch behauptet er ohne weiteres, daß hier etwas vorliegt, was allen assoziativen Prozessen entgegensteht. Inwieweit dies berechtigt ist, soll nun näher untersucht werden. ACH bemerkt selbst am Schluß seines Buches, daß sein Prinzip Ähnlichkeit hat mit dem der Konstellation, und es muß zunächst die Beziehung zwischen Konstellation und determinierender Tendenz klargestellt werden. Unter dieser kann man im allgemeinsten Sinn dies verstehen, daß eine Vorstellung a gerade deshalb eine andere Vorstellung b hervorruft, weil gleichzeitig eine irgendwie wirksame dritte Vorstellung c ebenfalls die Tendenz hat, die Vorstellung b hervorzurufen, daß also eine Vorstellung deshalb auftaucht, weil sie nicht nur mit einer, sondern mit zwei oder mehreren Vorstellungen gleichzeitig assoziativ verknüpft ist und diese dann gemeinsam jene reproduzieren. Wenn ich beim Anblick von Wolken im Sommer an ein Gewitter, im Winter an einen Schneefall denke, so ist das eine solche Wirkung der Konstellation. Der Anblick von Wolken vermag in gleicher Weise die Vorstellung von Gewitter und Schnee zu reproduzieren, aber die gleichzeitig wirksame Vorstellung, daß es jetzt Sommer bzw. Winter ist, läßt das eine Mal nur die Vorstellung Gewitter, das andere Mal nur die Vorstellung Schnee auftauchen. Das Entscheidende ist also, daß das Auftauchen einer Vorstellung durch ihre assoziative Verknüpfung nicht nur mit einer, sondern mit mehreren Vorstellungen bedingt ist (19).
Wenn man den Begriff der Konstellation zuende denkt, kommt man zu dem Ergebnis, daß die allermeisten Reproduktionen der Seele ihr Entstehen nicht rein assoziativen Beziehungen verdanken, wobei unter diesen immer nur die Festigkeit und der Gefühlston einer gestifteten Einzelassoziation verstanden wird, sondern daß immer eine Mehrheit von Reproduktionstendenzen die Reproduktion bestimmt. Die Festigkeit einer Assoziation spielt gegenüber dieser Wirksamkeit der Situation, in der sich die Reproduktion abspielt, eine nur geringe Rolle; in nur wenigen Fällen entscheidet die Festigkeit der Assoziation über das Auftreten einer Vorstellung, z. B. wenn mir bei einem Gegenstand der Name einfällt, mich eine Situation an eine ähnliche erinnert usw. Selbst im sogenannten Assoziationsexperiment, wo der Versuchsperson ein beliebiges Wort zugerufen wird, auf welches sie mit dem antworten soll, was ihr zunächst einfällt - eine Anordnung, in welcher die gegenwärtige Situation gewiß doch nach Möglichkeit ausgeschaltet ist -, ist die Wirkung der Konstellation nicht auszuschalten. Allerdings wirken die Vorstellungsgruppen, die sich im Laufe der Zeit gebildet haben, hier nicht bewußt, sondern unbewußt. Aber immer sind es durch Erfahrung gewonnene Vorstellungskomplexe, die aus der Fülle der möglichen Vorstellungen eine bestimmte auswählen. Die tatbestandsdiagnostischen Untersuchungen und die Experimente der FREUDschen Schule haben ja solche Überlegungen zur Voraussetzung. Damit ist freilich das ursprüngliche Prinzip der Assoziationspsychologie gesprengt, welches nur die Festigkeit der assoziativen Verknüpfung und den Gefühlston als Ursachen der Reproduktion gelten lassen wollte. Denn eine noch so feste Assoziation kann durch die konstellierende Wirkung der Situation ohne weiteres gelöst werden und wird es auch tatsächlich fast immer. Damit ist aber auch gegeben, daß eine Vorstellung und eine Vorstellungsverbindung nichts Festes und Dauerndes mehr ist, wie man vielleicht annehmen könnte. Im Getriebe des Vorstellungslebens hat eine einzelne Vorstellung ja nur Bedeutung durch die assoziativen Beziehungen, in welchen sie steht. Diese sind nun keine ein für allemal feststehenden in dem Sinne, daß auf eine Vorstellung immer oder zumindest meistens eine bestimmte andere Vorstellung folgen müßte, sondern je nach dem Gesamtkomplex von Vorstellungen, in welchem eine einzelne Vorstellung steht, je nach der Umgebung, in der sie sich befindet, wird sie immer ganz andere Vorstellungen produzieren, da eben die jedesmal anderen Situationen in verschiedenen Konstellationen wirken. Die bloße Reproduktion zweier Vorstellungen durch die Festigkeit ihrer Verbindung bedeutet, daß die Seele die Tendenz hat, die Zusammenhänge, die einmal bestanden haben, wieder herzustellen. Indem nun die Konstellation auf diese assoziativen Verbände einwirkt, wird erreicht, daß diese Zusammenhänge nicht beliebig wiederkehren, wenn gerade eine Vorstellung, die einmal in einem solchen Zusammenhang gestanden hat, im Bewußtsein vorhanden ist, sondern daß nur solche Zusammenhänge auftauchen, die mit den sonstigen gleichzeitig auftauchenden Inhalten der Seele in irgendeiner Beziehung stehen. Die Beziehung des neuen Zusammenhangs zu der ganzen gegenwärtigen Situation wird dadurch erreicht, und es wird dadurch ermöglicht, daß diese ganze Situation, in der sich nicht nur augenblickliche Motive befinden, sondern auch der Niederschlagt aller vom Subjekt gemachten Erfahrungen, beim Auftauchen neuer Zusammenhänge immer wirksam ist. Das ist nun aber kein Durchbrechen der Assoziationspsychologie. Denn einmal ist natürlich die ursprünglich assoziative Verknüpfung zweier Vorstellungen die Voraussetzung dafür, daß die Konstellation überhaupt in Tätigkeit treten kann. Dann erfolgt die Bildung aller Vorstellungsgruppen und fester den Ablauf beherrschender Verbände rein assoziativ. Vor allem aber, das Prinzip der "Konstellation" widerspricht nicht dem eigentlichen Assoziationsprinzip, insofern als es sich bei ihm auch nur um rein assoziative Verknüpfungen von Vorstellungen untereinander bzw. um ein Zusammenwirken mehrerer Reproduktionstendenzen handelt. Wenn wir das Prinzip der Assoziationspsychologie nicht so eng fassen, daß es sich bei ihm nur um die Festigkeit der gestifteten Assoziationen handelt, was allerdings unhaltbar ist, so müssen wir es allgemein so fassen, daß die Prinzipien, die beim Auftauchen einer Vorstellung wirksam sind, immer nur in den Beziehungen dieser Vorstellungen zu anderen Vorstellungen liegen. Welcher Art diese Beziehungen sind, ist gleichgültig. Es kann die Festigkeit der gestifteten Assoziation sein, es kann ein Persevieren [ständig wiederholen - wp] von Vorstellungen sein, es kann schließlich, wie bei der Konstellation, das Zusammenwirken vieler Reproduktionstendenzen sein. Das Entscheidende ist, daß wir aus dem Wirkungsbereich der Vorstellung nicht herauskommen, wie die die Apperzeptionslehre tut, welche den Grund für das Auftauchen einer Vorstellung nicht in deren assoziativer Beziehung zu einer anderen, sondern im Willen sieht. Dies widerspricht allerdings der Assoziationspsychologie. Aber der Begriff der Konstellation verträgt sich sehr gut mit ihr. Bei dem Versuch, die Wirkung der determinierenden Tendenzen auf Konstellation zurückzuführen, müssen wir folgende Überlegung anstellen. Geht von einer Vorstellung - der Bezugsvorstellung - eine determinierende Tendenz aus und wird dadurch eine zweite Vorstellung reproduziert, die mit der Bezugsvorstellung in einer geforderten Beziehung steht, so erfolgt die Reproduktion durch eine doppelte assoziative Verknüpfung. Einmal ist die Zielvorstellung mit der Bezugsvorstellung direkt assoziativ verknüpft, und dann besteht noch eine assoziative Beziehung zwischen der Zielvorstellung und der geforderten Beziehung. Frage ich nach der Ursache einer Krankheit und antworte mit Erkältung, so ist diese Vorstellung neben anderen mit dieser Krankheit verknüpft, ferner aber auch mit der Vorstellung von der Ursache dieser Krankheit. Die Vorstellung Erkältung ist also doppelt verknüpft mit der Bezugsvorstellung und wird daher reproduziert. Betrachten wir jetzt jedoch die Entstehung solcher Assoziationen, so ergeben sich einige Schwierigkeiten. Im Allgemeinen nimmt man an, daß eine Vorstellung a, wenn sie häufig genug mit b zusammen erlebt worden ist, imstande ist, b zu reproduzieren. Und sehr häufig ist dies auch der Fall. Wenn ich beim Anblick eines Menschen an die Situation erinnert werde, in der ich ihn gesehen habe, wenn ich beim Gedanken an den Krieg von 1870 auch an Kaiser WILHELM und BISMARCK denke, so besteht diese Form der assoziativen Reproduktion, wobei nur zu bemerken ist, daß die ganze Situation, in welcher die Vorstellungen auftauchen, konstellierend wirken. Anders liegt es jedoch, wenn nicht zwei isolierte Vorstellungen miteinander verknüpft werden, sondern wenn ich sie in meinem Bewußtsein als zwei Vorstellungen miteinander verbinde, die in einer bestimmten Richtung zueinander stehen. Wenn ich die eine Erscheinung als die Ursache einer anderen kennenlerne, so verknüpfe ich nicht einfach zwei Vorstellungen (eben die der beiden Erscheinungen) miteinander, wie etwa die Vorstellungen Koloß und Rhodos oder GOETHE und SCHILLER in meinem Bewußtsein miteinander verknüpft sind. Es ist ein drittes, was hinzukommt, eben die Vorstellung der Beziehung, in welcher diese beiden Erscheinungen stehen, eben die Vorstellung der Ursache. Unter diesem Gesichtspunkt betrachte ich beide Vorstellungen, und unter ihm verknüpfe ich sie auch in meinem Bewußtsein. Es sind also bei der Entstehung der Assoziation bereits drei Glieder vorhanden. Nur könnte man sagen, es seien insofern doch nur zwei Glieder vorhanden, als sich nicht (um beim obigen Beispiel zu bleiben) die Vorstellung der Erkältung mit der der Krankheit verbindet, sondern die erstere mit der als eine Vorstellung geltende Vorstellung der Ursache der Krankheit. Aber dagegen sprechen manche Bedenken. Die Vorstellung der Ursache der Krankheit erlebe ich durchaus nicht als eine einheitliche. Ferner: ich assoziiere nicht nur: die Ursache der Krankheit ist Erkältung, sondern sie ist auch (in anderen Fällen) Ansteckung. Ich hätte dann wieder die eine Vorstellung der Ursache der Krankheit verknüpft mit der Vorstellung der Ansteckung. Ich hätte dann ein und dieselbe Vorstellung (Ursache der Krankheit) mit zwei verschiedenen Vorstellungen verknüpft. Aber damit könnte mir gar nicht zu Bewußtsein kommen, daß in beiden Verknüpfungen dieselbe Beziehung zum Ausdruck kommt; es wäre dann dasselbe, wie wenn ich mit einem Bild gleichzeitig den Namen des Malers und das Museum, in dem es hängt, verbinde. Daß diese eine Vorstellung nicht nur dieselbe ist, sondern auch dieselbe Beziehung zu den beiden assoziierten Vorstellungen enthält, kann mir nur dann zu Bewußtsein kommen, wenn sich in dieser einen Vorstellung die Beziehung selbst loslösen kann von der Vorstellung, an die sie sich knüpft, d. h. die Vorstellung der Ursache ist loslösbar von der der Krankheit. Die Vorstellung der Ursache einer Krankheit ist also keine einheitliche Vorstellung, so wie etwa die eines Gegenstandes, mag dieser noch so kompliziert sein. Damit ich durch die Einzelakte: die Ursache einer Krankheit ist Ansteckung, und die Ursache einer Krankheit ist Erkältung, lernen kann, die Ursache einer Krankheit sind Erkältung und Ansteckung, muß die Vorstellung der Ursache, also der Beziehung selbständig sein gegenüber den Vorstellungen, zwischen denen die Beziehung besteht. Es ist aber auch nicht so, daß etwa die drei Vorstellungen: eine bestimmte Krankheit, Erkältung und Ursache, getrennt voneinander im Bewußtsein wirksam wären, und daß nun, wie bei den oben erwähnten Beispielen der Konstellation, wenn zwei von ihnen auftauchen, dadurch auch die dritte reproduziert wird. Die Vorstellung der Ursache existiert gar nicht getrennt im Bewußtsein - außer wenn ich absichtlich den abstrakten Begriff der Ursache bilde -, und die Vorstellung der Erkältung ist mit dem reinen Begriff der Ursache auch nicht verbunden. Der Begriff der Ursache ist also weder völlig isoliert neben den anderen Vorstellungen im Bewußtsein, noch ist er mit einer von beiden oder beiden zu einer einzigen Vorstellung verschmolzen; vielmehr liegt ein drittes vor; die Beziehung hat eine gewisse Selbständigkeit gegenüber den Vorstellungen, die sich aufeinander beziehen, sonst könnten wir nicht viele Vorstellungen, die untereinander oder zu einer dritten dieselbe Beziehung haben, zusammenfassen und als etwas Ähnliches erleben. Andererseits ist natürlich die Beziehung eng mit diesen Vorstellungen verknüpft, sonst wäre es nicht möglich, daß die Beziehung die Reproduktion der Vorstellungen herbeiführen könnte. Dasselbe sei noch an einem anderen Beispiel erläutert. Wenn ich Vokabeln einer fremden Sprache lerne, z. B. la table = der Tisch, le chien = der Hund, so werden die Assoziationen nicht allein gestiftet zwischen den Vorstellungen table und Tisch, sonst wüßte ich ja gar nicht, daß die eine nur die französische Übersetzung der anderen ist, ich assoziiere auch nicht jedes französische Wort mit der einen Vorstellung "französische Übersetzung von Tisch" usw., sonst wäre ja ein Sprechen in der fremden Sprache nicht möglich (denn beim Sprechen verknüpfe ich unmittelbar das einzelne deutsche Wort mit dem einzelnen französischen Wort), vielmehr läßt sich der eigenartige Prozeß dieses Assoziierens nur so beschreiben, daß hier zwei Vorstellungen unter einem bestimmten Gesichtspunkt miteinander verknüpft werden. Die eigentliche assoziative Verknüpfung wird immer nur zwischen zwei Einzelvorstellungen gestiftet, zu ihnen gesellt sich das Bewußtsein ihrer Beziehung. Dieses Bewußtsein greift in den Reproduktionsmechanismus der beiden Vorstellungen ein, insofern die eine der beiden Vorstellungen dann durch die andere geweckt wird, wenn mit ihr auch die Beziehung ins Bewußtsein tritt. Insofern kann man sagen, daß das Bewußtsein der Beziehung konstellierend wirkt. So werden ganz allgemein zwei Vorstellungen nicht nur einfach miteinander verknüpft, sondern es bilden sich Assoziationen der verschiedensten Vorstellungen zu einer anderen, zu der jene dieselbe Beziehung aufweisen. Dadurch werden diese Vorstellungen untereinander eng verknüpft und gleichzeitig alle mit der gemeinsamen dritten Vorstellung. Solche Beziehungen, die solche eigenartigen Verknüpfungen sein (wie im obigen Fall die der Ursache), aber auch andere Gesichtspunkte, wie tatsächliche Beziehungen. So vereinigen sich alle Vorstellungen, die sich auf meine Zukunft beziehen, nicht nur untereinander, sondern eben auch mit dem Gedanken meiner Zukunft und bilden so ein einheitliches Gebilde, eine Gesamtvorstellung, so reihen sich allmählich die einzelnen Vorgänge eines Ereignisses aneinandert und bilden ein Ganzes, eben dieses Ereignis usw. (22) Weil also in vielen Fällen eine ganze Reihe von Vorstellungen nicht dadurch verknüpft ist, daß jede einzelne nur zu einer anderen assoziative Beziehungen hat, sondern dadurch, daß sie alle mit ein und derselben Vorstellung oder ein und demselben Vorstellungskomplex gemeinsam verbunden sind, bilden sie eine Einheit, und diese Einheit ermöglicht es, daß, wenn die gemeinsame Vorstellung auftaucht, auch alle, die mir ihr verknüpften Vorstellungen geweckt werden; und so tauchen nur diejenigen Vorstellungen auf, welche zu dieser gemeinsamen Vorstellung die gegebene Beziehung haben. Natürlich bestehen auch assoziative Beziehungen zwischen den einzelnen Vorstellungen untereinander, und diese bewirken nun, daß von ihnen bald die eine, bald die andere zuerst auftaucht. Daß aber überhaupt nur diese Vorstellungen, die also alle zu einem gemeinsamen Gesichtspunkt eine Beziehung haben, auftauchen und nicht andere, die doch auch mit diesen assoziativ verknüpft sind, liegt eben an dieser Beziehung zu diesem allgen gemeinsamen Gesichtspunkt, der dauernd im Bewußtsein wirksam ist, so daß jede Vorstellung doppelt assoziative geweckt wird, einmal durch die vorangehende und dann durch diesen gemeinsamen Gesichtspunkt. So erklärt sich auch, daß, wenn erst einmal, entweder auf einmal oder im Lauf einer längeren Zeit sich Vorstellungen mit ein und derselben Aufgabe verknüpft haben, diese reproduziert werden, sobald diese Aufgabe inst Bewußtsein tritt. Damit ist auch die determinierende Wirkung von Aufgaben erklärt, welche einmal die Ursache für die einheitliche Verknüpfung von Vorstellungen abgeben, und dann, indem sie dauernd im Bewußtsein wirksam sind, den geordneten Ablauf dieser Vorstellungen bewirken und andere Vorstellungen an der Reproduktion hindern. Es ist der Versuch gemacht worden, die determinierenden Tendenzen als Wirkung einer Konstellation aufzufassen; und das gelang in all den Fällen, in welchen die Aufgabe solche Vorstellungen auszuwählen hatte, die bereits als dieser Aufgabe entsprechende gelernt worden waren. In einigen Fällen macht eine solche Erklärung jedoch Schwierigkeiten. ACH führt als einen Beweis für die Eigenart der determinierenden Tendenzen das Reimen an; und tatsächlich ist es nicht leicht, auch diese Vorstellungstätigkeit durch eine Konstellation zu erklären. Wenn ich vor die Aufgabe gestellt werde, auf ein mir zugerufenes Wort mit einem Reimwort zu antworten, so brauchen Wort und Reim noch nie zusammen im Bewußtsein erlebt worden zu sein. Die durch den Reim gestiftete Assoziation war also vorher noch gar nicht vorhanden. Ebenso ist es, um ein Beispiel von WATT heranzuziehen, wenn ich zu einem Begriff den übergeordneten finden soll. Auch hier brauchen beide Begriffe in dieser Beziehung noch nie zusammen erlebt worden zu sein. Das sei an einem Beispiel erläutert: In der Zeit, in der ich über dieses Problem nachdachte, fiel mir beim Anblick einer Landkarte das Wort Ecuador ein, und ich hatte gleichzeitig den Wunsch, darauf einen Reim zu finden, worauf das Wort Matador ins Bewußtsein trat. Nun waren vorher "Ecuador" und "Matador" sicherlich in meinem Bewußtsein nicht verknüpft, noch hatten je diese beiden Worte vorher als Reimworte gedient. Diese Assoziation ist tatsächlich erst durch die Aufgabe zu reimen gebildet worden. Noch deutlicher liegt dies auf der Hand bei den Reimversuchen mit sinnlosen Silben, die ACH angestellt hat. Nun könnte man einwenden, das Reime erfolgt mit Hilfe der Ähnlichkeitsassoziationen. Aber das verschiebt nur die Frage. Das Problem ist ja gerade dies, wieso bei der Aufgabe zu reimen, sich eine Ähnlichkeitsassoziation einstellt, warum sich an Ecuador nicht viel näher liegende Assoziationen anschließen wie etwa Südamerika usw. Daß gerade das Reimwort Matador und nicht das Reimwort Polydor auftritt, das mag bedingt sein durch Erfahrungen vorangegangener Tage oder Wochen. Das Entscheidende ist, daß überhaupt ein Reimwort auftritt. Man könnte sagen, das Reimwort tritt auf durch das Wissen und Verständnis der Aufgabe im Sinn des Schemas, Reimen bedeutet eben, ein ähnlich klingendes Wort finden. Aber auch hier ist das Problem nur zurückgeschoben; denn warum tritt infolge des Wunsches, ein ähnlich klingendes Wort zu finden, auch tatsächlich ein solches auf, das mit dem ersten assoziativ noch nie verknüpft war? Daß während des Vorstellungsverlaufes neben Berührungsassoziationen auch Ähnlichkeitsassoziationen zwischen Vorstellungen auftreten, deren Ähnlichkeit schon einmal erlebt ist, ist sehr verständlich. Daß aber nur durch den Wunsch zu reimen eine Vorstellung eine ihr ähnlich klingende weckt, mit der sie noch nie verknüpft war, ist assoziativ nicht zu erklären. So scheint dann tatsächlich in den determinierenden Tendenzen etwas den assoziativen Prinzipien Entgegenstehendes vorzuliegen. Ob es Ähnlichkeit hat mit dem Prinzip der motorischen Einstellung, bleibt dahingestellt. Über eines muß man sich aber klar sein. Erklären kann man das Auftauchen einer Vorstellung immer nur durch ihre assoziativen Beziehungen zu anderen Vorstellungen. Wenn man nun sagt, daß eine Aufgabe, die doch im Bewußtsein als Vorstellung vertreten ist, imstande ist, Vorstellungen hervorzurufen, die keinerlei assoziative Beziehungen aufweisen, so hat man den Tatbestand wohl richtig dargestellt, dem Verständnis aber nicht näher gebracht. Zudem ist es nicht einzusehen, wie von einer Vorstellung determinierende Tendenzen, d. h. doch Willensbetätigungen ausgehen sollen, es müßte denn sein, daß in dieser Vorstellung bereits das Willensmoment enthalten ist. Das Unterscheidende gegenüber einem nicht geordneten Vorstellungsablauf ist also dies, daß hier eine Vorstellung bzw. ein Vorstellungskomplex dauernd mit der Aufmerksamkeit festgehalten wird, dadurch dauernd seine konstellierende Tätigkeit entfalten kann und die konstellierende Wirkung anderer immerfort wechselnder Vorstellungen lahm legt. Dieses Bewußtwerden des konstellierenden Faktors und dessen Festgehaltenwerden durch die Aufmerksamkeit ist es, was das charakteristische Bewußtsein des Geordneten im Denkablauf hervorruft. Ist ein Vorstellungsablauf nicht auf ein Ziel gerichtet, also bei den meisten Einfällen, ferner auch beim nichtgeordneten Denken, beim Träumen usw., so treten die einzelnen konstellierenden Vorstellungen gar nicht ins Bewußtsein, und nur das Resultat dieser konstellierenden Wirkung, eben die schließlich reproduzierte Vorstellung, wird bewußt. So tritt, um bei dem oben erwähnten Beispiel zu bleiben, die Tatsache, daß es jetzt Winter oder Sommer ist, gar nicht ins Bewußtsein. Die Vorstellungen, die in diesen Fällen konstellierend wirken, wechseln auch dauernd, ebenso wie die Gesamtsituation, in der ich mich befinde, und die ja hauptsächlich konstelliert, sich dauernd verändert. Bewegt sich das Denken dagegen auf ein Ziel hin, so ist es dauernd dieselbe Aufgabe (23), die im Bewußtsein bleibt. Dazu kommt, daß alle die durch diese Konstellation hervorgerufenen Vorstellungen Beziehungen zu der Aufgabe haben, und daß diese Beziehungen unmittelbar erlebt werden. Damit wird aber die konstellierende Wirkung der Aufgabe selbst zu Bewußtsein gebracht. Dies sind die Momente, die aufzuweisen sind, wenn wir das Bewußtsein haben, willkürlich einen Vorstellungsablauf zu leiten und welche für diesen charakteristisch sind. Diese sind, um es noch einmal kurz zu wiederholen:
2) das Ergriffenwerden dieser Aufgabe durch die Aufmerksamkeit, welche die Aufgabe während des ganzen Denkprozesses, bis das Ziel erreicht ist, festhält, und 3) das unmittelbare Erleben davon, daß alle auftauchenden Vorstellungen zu der Aufgabe in engster Beziehung stehen, daß Vorstellungen, die keine Beziehungen zur Aufgabe haben, entweder gar nicht auftreten oder bald wieder verschwinden. (24) ![]()
11) In ähnlicher Weise betrachtet LIPPS die Hemmung eines psychischen Geschehens als Anlaß zum Denken, so in seinem Buch vom Fühlen, Wollen und Denken (Kapitel 5 und 6). - - - Auch KARL GROOS (Seelenleben eines Kindes, Seite 207) meint wohl, allerdings in einem etwas anderen Zusammenhang, etwas Ähnliches, wenn er in einem Stutzen der Aufmerksamkeit den Anlaß zu einem Bedürfnis nach intellektueller Betätigung sieht. 12) LIPPS, a. a. O., Seite 90f. 13) Natürlich kann ein Ziel auch direkt von außen gegeben werden. Damit es aber Ausgang des Denkens wird, darf sich die Erreichung des Zieles, die Antwort auf die Frage, nicht sofort assoziativ einstellen. Und so entsteht doch wieder eine Hemmung des durch die Frage angeregten Vorstellungsablaufs. 14) NARZISS ACH, Die Willenstätigkeit und das Denken, § 13, Göttingen 1905. 15) WATT, Beiträge zur Psychologie des Denkens, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. IV. WATT, der unabhängig von ACH zu denselben Resultaten kommt, spricht von einer Aufgabe, welche auswählend auf den Vorstellungsablauf einwirkt. Der Begriff der Aufgabe betont mehr die Instruktion, welche die Versuchsperson bekommt und durch welche der Prozeß eingeleitet wird, also mehr den Anfang. Der Begriff der determinierenden Tendenz bezeichnet mehr die Wirkung, welche eine Aufgabe ausübt. In diesem Sinn sollen hier beide Ausdrücke gebraucht werden. 16) Ich habe einige Versuche im Sinne der BÜHLERschen Versuche und mit dessen Material angestellt. 17) Darin stimmen KÜLPE, GROOS und MESSER mit ihm überein. 18) ACH, a. a. O., Seite 192 19) Zuerst hat wohl WAHLE auf die Konstellation aufmerksam gemacht und im Anschluß daran hat ZIEHEN sie neben die anderen Assoziationsprinzipien gestellt ("Leitfaden für physiologische Psychologie", siebte Auflage, Seite 186). Ferner behandelt sie DÜRR eingehend ("Einführung in die Pädagogik", Seite 193f). Er spricht sehr treffend von reproduktiver Unterstützung. Ebenso OFFNER (Das Gedächtnis, Seite 158f). Am klarsten hat wohl EBBINGHAUS die Bedeutung der "Konstellation2 für die Einheitlichkeit und Stetigkeit unseres Seelenlebens betont ("Grundzüge der Psychologie", Seite 665). 20) EBBINGHAUS, a. a. O., Seite 664. 21) Daß in jeder Situation der Gefühlston der einzelnen Vorstellungen eine wesentliche Rolle bei deren Reproduktion spielt, muß hervorgehoben werden. Es wird jedoch hier davon abgesehen, da man ja beim zielbewußten Nachdenken von Gefühlen möglichst zu abstrahieren sucht. 22) Sehr nahe verwandt mit dem Begriff der Konstellation ist der von GROOS aufgestellte Begriff der Sekundärfunktion. Jedes nervöse Element, dem eine Vorstellung im Bewußtsein entspricht, verharrt in seiner Wirkung auch dann noch, wenn das Bewußtseinskorrelat nicht mehr vorhanden ist. Diese Nachfunktion ist für die weitere Richtungsnahme der Assoziationstätigkeit von größtem Einfluß insofern, daß von anderen Vorstellungen alle diejenigen, bzw. ihre physiologischen Korrelat den Vorzug haben, welche mit dieser Ausgangsvorstellung in einer assoziativen Beziehung stehen, wodurch die Ordnung des eigentlichen Denkens zustande kommt. Nun ist offenbar die Sekundärfunktion der Ausgangsvorstellung nichts anderes als die Wirkung der Konstellation, wie sie oben dargestellt worden ist, diesen Vorgang nur ins Physiologische übertragen. Zu dieser Übertragung liegt aber in einer rein psychologischen Betrachtung keine Veranlassung vor. Meistens ist ja auch die konstellierenden Vorstellung als Aufgabe bewußt, und es wird natürlich ohne weiteres zugegeben, daß Vorstellungen, auch wenn sie zeitweise aus dem Bewußtsein entschwinden, konstellierend wirken können. Der Begriff der Konstellation ist also offenbar der weitere. Er umfaßt den der Sekundärfunktion, die nur das unbewußte Wirken von Vorstellungen darstellt, ebenso wie den der determinierenden Tendenz. Die Sekundärfunktion hebt daher nur den unwillkürlich geordneten Denkablauf, die determinierende Tendenz den willkürlich geordneten hervor; indem sich aber zeigen läßt, daß beide Begriffe unter den der Konstellation fallen, ist auch der prinzipielle Unterschied im Ablauf willkürlicher und unwillkürlicher Denkprozesse aufgehoben, und darum soll in dieser Arbeit immer nur von "Konstellation" geredet werden. 23) Ziel und Aufgabe sind entsprechende Begriffe, insofern die Aufgabe darin besteht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Aber das Ziel ist im Anfang nur aufgegeben, nicht gegeben; was im Anfang bereits gegeben ist und was daher allein wirksam sein kann, ist die Aufgabe. 24) MEUMANN sieht als unerläßlich für eine wirkliche Willenshandlung, wie sie ja auch beim Nachdenken vorliegt, folgende drei Punkte an ("*Intelligenz und Wille", Seite 188): 1) die Zielvorstellung, 2) das zustimmende Urteil zu dieser, 3) die Herbeiführung der ausführenden Handlung durch diese Elemente und damit zugleich die herbeiführende Handlung selbst und unser Bewußtsein dieser Herbeiführung. - - - Wenn wir an dieser Stelle ganz davon absehen, inwieweit nicht in einem zustimmenden Urteil, also in der Billigung, bereits ein Willensmoment enthalten ist, das sich nicht mehr auf Vorstellungen zurückführen läßt, so finden sich die von MEUMANN geforderten drei unerläßlichen Bestandteile auch in der obigen Analyse des willkürlichen Nachdenkens. Einmal das Vorhandensein eines Zieles, ferner die Zustimmung zu ihm; denn was diese Zustimmung auch ist, sie bekundet sich jedenfalls im Akt der Aufmerksamkeit, welche die Aufgabe und damit das Ziel dauernd festhält, denn würden wir dem Ziel nicht zustimmen, so würden wir es nicht mit der Aufmerksamkeit fixieren. Woher diese Zustimmung kommt, ob wir uns frei zu ihr entschließen oder ob sie sich aus der Gesamtsituation mit Notwendigkeit ergibt, ist für unsere Betrachtung gleichgültig. Und drittens erleben wir auch, wie alle Vorstellungen auf die Ausgangsvorstellungen bezogen sind und haben daher das Bewußtsein, daß diese, und da wir sie aufmerksam festhalten, daß auch wir selbst diesen Vorstellungsablauf herbeiführen. - - - Mit obigen Ausführungen läßt sich auch in Übereinstimmung bringen, was MEUMANN über den Unterschied zwischen aktiver und passiver Determinierung sagt ("Ökonomie und Technik des Gedächtnisses", Seite 30, "Intelligenz und Wille", Seite 197). Er spricht von einer passiven Determinierung, wenn es sich um die Reproduktion fester assoziativer Verbände handelt, deren Anfangsglieder mit Notwendigkeit die späteren hervorrufen. Diese passive Determinierung ist natürlich in einer Willenshandlung nicht enthalten. In dieser tritt nur die aktive Determinierung auf, welche durch die auswählende Wirkung von Aufgaben charakterisiert ist. - - - Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Determinierung scheint mir keine prinzipielle zu sein, denn abgesehen davon, daß - wie Seite 329f zu zeigen versucht worden ist - auch die festeste Assoziation durch eine Konstellation gesprengt werden kann, setzt ja, wie Seite 326 betont wurde, die determinierende Wirkung der Aufgabe, das Vorhandensein assoziativer Verbände voraus. Die passive Determinierung ist also die Grundlage für die aktive und diese besteht darin, daß aus der Fülle von möglichen Reproduktionen in einem gegebenen Fall durch die konstellierende Wirkung der Aufgabe eine bestimmte hervorgehoben wird. Die Tendenz besteht für viele Reproduktionen, die Aufgabe beschränkt, d. h. determiniert diese Fülle der Reproduktionen und läßt nur eine einzige ins Bewußtsein treten, welche eben eine Beziehung zu ihr hat. |