tb-2tb-1ra-1RiehlMeyersonSchlickTrebitschErdmannvon Aster     
 
ALOIS RIEHL
Transzendentale Deduktion
der Kategorien

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"Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand, und das Erste, was er dazu tut, ist nicht: daß er die Vorstellung der Gegenstände deutlich macht, sondern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht. Dies geschieht nun dadurch, daß er die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein überträgt, indem er jeder derselben als Folge eine, in Anbetracht der vorhergehenden Erscheinungen a priori bestimmte Stelle in der Zeit zuerkennt, ohne welche sie nicht mit der Zeit selbst, die allen ihren Teile a priori ihre Stelle bestimmt, übereinkommen würden."


Lehre und Beweis der
Grundsätze der Erfahrung

Grundsätze der Erfahrung sind Sätze, die der möglichen Erfahrung die Regeln geben. Sie bestimmen den Begriff der Erfahrung, erklären und bewirken zugleich, was in allen Erfahrungen Erfahrung ist.

Erfahrung, um es zusammenfassend zu sagen, wird von KANT in einem allgemeinen Sinn genommen, wonach ebenso Aussagen des gewöhnlichen Lebens als die methodisch gewonnenen Sätze der Erfahrungswissenschaft unter ihren Begriff fallen. Es ist ein Erfahrungsurteil, wenn ich sage: ich sehe einen Baum, oder: diese Mauer ist fest, wie es eine Erkenntnis aus Erfahrung ist, die mit dem Satz: die Luft ist schwer, ausgedrückt wird. Was in solchen Sätzen, ihr Inhalt mag noch so verschieden sein: singulär oder allgemein, ein Ding oder ein Vorgang sein, übereinstimmend angetroffen wird, macht, daß sie alle eine Erfahrung aussagen wollen. Zunächst die Allgemeingültigkeit einer jeden solchen Aussage.
    "Was Erfahrung unter gewissen Umständen mich lehrt, muß sie (unter den gleichen Umständen) mich jederzeit und jedermann lehren, und ihre Gültigkeit schränkt sich nicht auf das Subjekt und seinen jeweiligen Zustand ein."
Diese Unabhängigkeit dessen, was als Erfahrung ausgesagt wird, vom Zustand des wahrnehmenden Subjekts setzt die Abhängigkeit des Inhalts der Aussage von etwas voraus, das von mir und den anderen Subjekten verschieden ist: die Abhängigkeit vom Objekt. Wesentlich ist der Erfahrung ihre objektive Gültigkeit, von der die allgemeine und notwendige Gültigkeit die Folge und der Ausddruck ist. "Erfahrung ist eine Erkenntnis, die durch Wahrnehmungen ein Objekt bestimmt." Schon die bloße Analyse eines Erfahrungsurteils zeigt aber, daß die Bestimmung eines Objekts durch gewisse, den Wahrnehmungsinhalt beurteilende Begriffe (Kategorien) erfolgt, welche Begriffe die Bedingungen einer allgemeingültigen und notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen ausdrücken, folglich die Vorstellung eines Objekts der Wahrnehmung begründen. Die Erfahrung als solche also bedarf zu ihrem Zustandekommen dieser Begriffe und der Grundsätze ihrer Anwendung auf gegebene Wahrnehmungen. Soweit die Analyse ihres Begriffes, die durch jedes beliebige Erfahrungsurteil bestätigt werden kann. Nun ist es die Entdeckung KANTs, daß die Grundsätze einer Erfahrung überhaupt zusammenfallen mit den Prinzipien, welche die Naturwissenschaft bei allen ihren Untersuchungen voraussetzt und mit denen sie die durchgängige Gesetzlichkeit des Daseins und der Veränderung ihrer Gegenstände postuliert. Es kommt also auf den Beweis der objektiven Gültigkeit dieser Prinzipien, bzw. Forschungsmaximen an, und darauf, wie weit dieser Beweis zu führen ist. Daß die Erfahrungswissenschaft ohne die Voraussetzung ihrer Gültigkeit nicht möglich wäre, braucht nicht erst gezeigt zu werden, denn dies versteht sich von selbst. Und doch
    "konnte man niemals weiter kommen (beim Beweis eines solchen Satzes wie desjenigen der Kausalität) als zu beweisen, daß ohne diese Beziehung (der Veränderung auf eine Ursache) wir die Existenz des Zufälligen (eben das Eintreten der Veränderung) nicht begreifen könnten, woraus aber nicht folgt, daß eben dieselbe Beziehung auch die Bedingung der Möglichkeit der Sachen selbst ist."
Und gleiches gilt vom Satz der Substanz. "Man ersetzte daher diesen Mangel durch ein Postulat." KANT erst versuchte, und fand, was den Grundgedanken betrifft, diesen Beweis. Er zeigte, daß die Postulate der Naturwissenschaft deshalb die allgemeinsten Gesetze der Natur sind, weil sie die Grundsätze der Erfahrung der Natur sind. Sie gelten also von der Natur der Dinge, nicht deshalb, weil es ohne ihre Gültigkeit keine wahre Wissenschaft der Natur geben könnte, denn ob es eine solche geben kann, steht eben in Frage; sie gelten von ihr, weil ohne sie der Gegenstand der Naturwissenschaft, der Inbegriff ihrer Gegenstände: die Erfahrung nicht gegeben wäre. Diese Grundsätze machen eine Natur möglich, weil sie die Erfahrung möglich machen, und nur darum sind sie die obersten Naturgesetze, weil sie die Gesetze der Erfahrung sind.
    "Nur daran, daß diese Begriffe (der Substanz, Kausalität, Gemeinschaft und die Grundsätze ihrer Anwendung) die Verhältnisse der Wahrnehmungen in jeder Erfahrung a priori ausdrücken, erkennt man ihre objektive Realität, d. h. ihre transzendentale Wahrheit, und zwar freilich unabhängig von der Erfahrung, aber doch nicht unabhängig von aller Beziehung auf die Form einer Erfahrung überhaupt und die synthetische Einheit, in der allein Gegenstände empirisch erkannt werden können." (25)

    "Alle Erscheinungen liegen in einer Natur und müssen darin liegen, weil ohne diese Einheit a priori keine Einheit der Erfahrung, folglich auch keine Bestimmung der Gegenstände in derselben möglich wäre." (26)
Die Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung sind zugleich Prinzipien der in der Erfahrung möglichen Gegenstände. Denn
    "alles dasjenige ist in Anbetracht der Gegenstände der Erfahrung notwendig, ohne welches die Erfahrung von diesen Gegenständen nicht möglich wäre." (27)
Überall in diesen Sätzen handelt es sich nicht unmittelbar um Erfahrungswissenschaft, denn diese sollte begründet werden, sondern um den Gegenstand der Erfahrungswissenschaft, eben die Erfahrung also solche.

Die Gleichsetzung von "Natur überhaupt", so wie ihr Begriff durch die obersten oder allgemeinsten Naturgesetze bestimmt wird, und möglicher Erfahrung ist nicht, wie man angenommen hat, der Ausgangspunkt des kantischen Beweises, der sich in diesem Fall im Kreis drehen würde, sie schließt den Beweis ab. Erst zeigt KANT, daß die Sätze der Beharrlichkeit der Substanz, der Kausalität der Veränderung, der Gemeinschaft oder Wechselwirkung (er nennt diese Sätze Analogien der Erfahrung) "nichts anderes sind als Grundsätze der Bestimmung des Daseins der Erscheinungen" und als solche eine Erfahrung dieses Daseins möglich machen; dann führt er die Unterscheidung ein zwischen empirischen Naturgesetzen und den Gesetzen der reinen oder formalen Naturwissenschaft, die Unterscheidung zwischen empirischen Gesetzen und den Gesetzen des Empirischen, und weist nach, daß diese letzteren Gesetze identisch sind mit jenen Grundsätzen, "nach welchen selbst Erfahrung allererst möglich ist".
    "Wir müssen", schreibt er in den Prolegomena, "empirische Gesetze der Natur, die jederzeit besondere Wahrnehmungen voraussetzen, von den reinen oder allgemeinen Naturgesetzen, welche, ohne daß besondere Wahrnehmungen zugrunde liegen, bloß die Bedingungen ihrer notwendigen Vereinigung in einer Erfahrung enthalten, unterscheiden, und in Anbetracht der letzteren ist Natur und mögliche Erfahrung ganz und gar einerlei". -
So auch schon in der ersten Auflage der "Kritik", die übrigens, wie bemerkt, den Ausdruck: reine Naturwissenschaft gar nicht enthält. - Wie KANT die objektive Gültigkeit der reinen Mathematik nicht von der Mathematik ableitet, sondern für sie beweist, so beweist er auch die Realität der reinen Naturwissenschaft nicht aus der Voraussetzung dieser Wissenschaft, er begründet sie durch den Begriff der Erfahrung. Dieser Begriff ist das Gegebene, jene Realität dagegen das Gesuchte, das, was zu beweisen war. Zur Probe der Richtigkeit dieser Auffassung lese man in der Erklärung der Prolegomena:
    "die Grundsätze möglicher Erfahrung sind nun zugleich allgemeine Gesetze der Natur, welche a priori erkannt werden können; - und so ist die Aufgabe: wie ist reine Naturwissenschaft möglich? gelöst" -
statt Erfahrung: reine Naturwissenschaft, und man sieht sogleich, daß, wenn der Satz so zu verstehen wäre, die Aufgabe, die er lösen sollte, durch ihn nicht aufgelöst ist, sondern einfach wiederholt wird. Daß die Grundsätze der reinen Naturwissenschaft zugleich allgemeine Gesetze der Natur sind: eben dies war zu beweisen; und dieser Beweis verläuft in den "Prolegomena" völlig parallel dem Beweis der Realität der reinen Mathematik. Wie die reine Mathematik deshalb objektive Gültigkeit besitzt, wel die "reinen Anschauungen", die sie zugrunde legt, die Formen der empirischen Anschauung sind, so gelten die Prinzipien der reinen Naturwissenschaft deshalb von den Dingen, weil sie die Grundsätze der Erfahrung der Dinge sind.

Auch in seinen Vorlesungen ging KANT (wie er 1792 an SIGISMUND BECK schreibt) vom Begriff der Erfahrung aus und nicht von der reinen Naturwissenschaft. Er erklärt die Erfahrung für Erkenntnis, nämlich für die Vorstellung eines gegebenen Objekts als solchen durch Begriffe, und empirisch nennt er diese Erkenntnis, weil das Objekt für sie in der Vorstellung der Sinne gegeben ist.

Solche "intellektuelle und zugleich synthetische Sätze a priori", wie der allgemeine Kausalsatz, lassen sich niemals aus bloßen Begriffen beweisen, dies hatte schon HUME unwidersprechlich gezeigt, und ebensowenig ist ihr Beweis empirisch zu führen. Es bedarf, um sie zu beweisen, der Vermittlung durch ein Drittes -, und
    "dieses Dritte ist die Möglichkeit (oder der Begriff) der Erfahrung, als einer Erkenntnis, darin uns alle Gegenstände zuletzt müssen gegeben werden können".
Der Nachdruck des Beweises, den KANT führte, liegt, was wohl zu beachten ist, nicht darauf, daß wir solcher Sätze bedürfen, um nach ihrer Anleitung eine Erfahrung zu machen; er liegt darauf, daß die Dinge selbst, soweit sie irgendwie zu unserer Erfahrung gelangen können, a priori notwendig den Verhältnissen, die durch diese Sätze ausgedrückt werden, konform sein müssen: er liegt auf der objektiven, nicht auf der subjektiven Seite des Begriffs der Erfahrung. Die Voraussetzung für die Lehre und den Beweis der Grundsätze der Erfahrung ist die transzendentale Deduktion ihrer Grundbegriffe. Diese aber hatte gezeigt, daß schon die Erscheinungen der Dinge in einer den Begriffen des reinen Verstandes, zuoberst also der Einheit des Denkens entsprechenden Form gegeben werden. Grundsätze der Erfahrung aber, wir denken dabei an die wesentlichen unter ihnen, die Analogien, sind nur die Regeln der "Exposition" der Erscheinungen, der Bestimmung ihres Daseins in der Erfahrung. Und zu zeigen, daß sie diese Regeln sind, ist der Beweis ihrer objektiven Gültigkeit.

KANT unterscheidet die Grundsätze der Erfahrung als mathematische und dynamische. Der letztere Ausdruck will nicht auf Grundsätze zur physischen Dynamik hindeuten, sondern nur anzeigen, daß die unter ihm verstandenen Sätze sich auf notwendige Verhältnisse der Wahrnehmungen und mittels dieser auf Verhältnisse des Daseins der Erscheinungen beziehen. Sie könnten besser logische Grundsätze heißen, daß sie in der Anwendung der Begriffe der Identität und des Grundes auf die Zeitverhältnisse der Erscheinungen bestehen.

Unter den mathematischen Grundsätzen sind nicht Grundsätze der Mathematik zu verstehen, sondern die Prinzipien der Anwendung der Mathematik auf Erfahrung. Die gegen KANT gerichtete Bemerkung, seine Lehre von den mathematischen Grundsätzen habe nichts zu den großen Prinzipienfragen der Mathematik beigetragen, ist keine Einwendung, sondern ein Mißverständnis. Die Form der Erscheinung kann a priori konstruiert werden; ich kann apriori wissen, daß sämtliche Erscheinungen eine Größe und einen Grad besitzen, d. h. Raum und Zeit erfüllen. Daher sind die Grundsätze der Anwendung der Mathematik auf Erfahrung konstruktiv und haben die Bedeutung von Axiomen. Mit intuitiver Gewißheit erkennen wir, daß alle Erscheinungen der Außenwelt extensive Größen sind, und sollen wir nach KANT erkennen, daß alle Empfindungen Grade oder intensive Größen haben. KANT folgert daraus, daß weder das Einfache noch das Leere Gegenstand der Erfahrung sein können. Zur Erfahrung gehört nicht bloß Denken, sondern auch Anschauung; dies wollen KANT Axiome und Antizipationen der Größenbestimmung der Erscheinungen besagen. So richtig diese Lehre ist, so künstlich erscheint ihre Herleitung aus den Kategorien der Quantität und Qualität. Wir haben es hier abermals weniger mit der Methode, als mit einer Manier KANTs zu tun, seiner Sucht, alles unter "Titel zu bringen" und auf das "Prokrustesbett" der Kategorien zu spannen. Während sich in Wahrheit die Axiome der Anschauung als die einfachen und direkten Folgerungen der in der Ästhetik erkannten Beschaffenheit von Raum und Zeit, als den Formen des Auffassens, mithin der Erscheinung der Dinge herausstellen, werden sie von KANT erst auf dem Umweg durch die Kategorie der Quantität gewonnen. Ohne der inneren Schwierigkeit zu gedenken, die sich gegen die Vorstellung eines reinen, der Anschauung baren Größenbegriffs erhebt, ist die Ableitung KANTs auch aus methodischen Gründen zu bemängeln. Logische Allgemeinheit oder Partikularität der Urteile haben nämlich mit dem mathematischen Größenbegriff nichts gemein, als den in diesem Fall metaphorisch gebrauchten Namen Quantität. Der umgekehrte Versuch: statt die logische Quantität zum Prinzip der mathematischen Größe zu machen, vielmehr diese zum Prinzip der Quantifizierung der Begriffe und Urteile, hätte eher eine Berechtigung. Übrigens ist die Gültigkeit eines Urteils in vielen oder in allen Fällen mit der Synthesis des Gleichartigen in der Erzeugung des Größenbegriffs so wenig einerlei, daß sie höchstens eine entfernte Analogie mit ihr zeigt. Es bedarf zur formalen Erzeugung der Größe außer der Form des Anschauens nur der Einheitsfunktion des Bewußtseins; aber keines besonderen Denkbegriffs. Das: "Ich denke" ist selber jene gleichartige in aller Synthesis sich erhaltende und betätigende Vorstellung, welche in die Form der Anschauung Kontinuität und Einheit bringt.

Noch künstlicher ist der Gedankengang beim zweiten mathematischen Grundsatz, der die Notwendigkeit behauptet, daß das Reale, welches der Empfindung korrespondiert, einen Grad haben muß, mit dem es die Zeit erfüllt. Nachdem in der Kategorienlehre der Erkenntnisbegriff der Realität der Behauptung in einem bejahenden Urteil gleich gesetzt worden war, eine Gleichung, deren Gültigkeit hier ununtersucht bleiben mag, wird die Kategorie der Realität als Prinzip einer Antizipation in Betreff der Beschaffenheit der Erscheinungen oder des Gehaltes der Erfahrung gebraucht und zwar augenscheinlich nur aus dem Grund, weil die Bejahung und Verneinung herkömmlicherweise die Qualität eines Urteils heißt. Es ist ganz unerfindlich, was die sogenannte Qualität eines Urteils mit der Empfindung und ihrem Grad zu schaffen hat. (28)

Unter den Grundsätzen der Erfahrung ragen die Sätze der Erhaltung der Substanz, der Kausalität der Veränderung und des gegenseitigen Zusammenhangs der Erscheinungen nicht nur an Wichtigkeit vor den übrigen bei weitem hervor und sind auch nicht bloß in der geschichtlichen Entwicklung des kantischen Kritizismus die bedeutendsten, was namentlich vom Prinzip der Kausalität gilt; sie sind zugleich am Besten geeignet, die Beweisart synthetischer Sätze a priori ersichtlich zu machen, weshalb wir auf diese Sätze besonderen Nachdruck zu legen haben.

Zunächst ist ihres Unterschiedes von den mathematischen Prinzipien der Erfahrung zu gedenken. Die Form der Erscheinung der Dinge kann nicht bloß im Allgemeinen a priori erkannt, sie kann auch konstruiert, d. h. in einer von uns selbst hervorgerufenen, ideellen Anschauung dargestellt werden, wie es durch die Geometrie geschieht. Die Verhältnisse des Daseins der Dinge in der Erfahrung dagegen können nicht konstruiert, sie können nur gedacht werden. In der Synthese zu einer Raumanschauung ist es das vorstellende Subjekt selber, das die gegebenen Eindrücke nach Gesetzen des Raumes zusammenstellt. Die Anwendung der mathematischen Gesetze in der Erfahrung ist intuitiv. Die bestimmte Gestalt ist zwar bedingt durch den Gegenstand der Erscheinung selbst; aber das Gesetz ihrer Konstruktion zu einer räumlichen Anschauung überhaupt ist in der sinnlichen Vorstellungsart unseres Subjekts gegeben. Aus einer gegebenen Wahrnehmung dagegen läßt sich nicht a priori schließen, welche andere Wahrnehmung ihr folgen wird, welche ihr vorausgegangen ist. Denn das Verhältnis der Wahrnehmungen weist jederzeit auf das Verhältnis der Dinge selbst zurück, welche der Wahrnehmung zugrunde liegen. Es mag sein, daß das allgemeine Verhältnis, das die Relationen der Wahrnehmungen zum Bewußtsein überhaupt haben, a priori erkennbar und in allgemeinen Grundsätzen auszudrücken ist. Aber die Anwendung dieser Grundsätze ist immer empirisch bestimmt. Es hängt daher nach der Lehre KANTs von empirischen Kriterien ab, welche Wahrnehmung zu welcher anderen sich verhält wie die Ursache zu ihrer Wirkung, welche in der Erscheinung die Substanz ausdrückt, welche Wahrnehmungen endlich zur Gemeinschaft koexistierender Dinge gehören. Die Regeln der empirischen Assoziation geben die Fälle der Anwendung der nur im Allgemeinen a priori erkennbaren dynamischen Grundsätze her. So ist die Beständigkeit in der Folge zweier Erscheinungen das empirische Kennzeichen ihrer kausalen Verbindung, - so sind Undurchdringlichkeit, Beweglichkeit, Gewicht, empirische Gründe, die Materie als das beharrliche Substrat der Erscheinungen zu erkennen (29). Die Bestimmungen nach dem Gesetz der Kausalität sind jederzeit zufällig, d. h. empirisch bedingt. Wir sehen a priori nur ein, daß einer Veränderung eine Ursache vorangegangen sein muß, aber nicht welche es war (30). Nur der Grund der Gesetzmäßigkeit überhaupt kann a priori eingesehen werden, nicht der Grund des bestimmten Gesetzes, heißt es in einer Aufzeichnung, in Übereinstimmung mit der Unterscheidung in der "Kritik" zwischen der "Zufälligkeit" (Tatsächlichkeit) der besonderen Kausalitätsschlüsse und der Notwendigkeit des allgemeinen Kausalitätsprinzips. Die Gesetze der Kausalitätk, der Substanz und der Gemeinschaft der Substanzen und Vorgänge sind nicht intuitiv, sondern nur "diskursiv" erkennbar, sie sind nicht von anschaulicher Gewißheit, sie haben keine eigentliche Evidenz, wie die mathematischen Prinzipien, sondern die Gewißheit einer begrifflichen Regel. Noch mehr - da diese Gesetze Verhältnisse des Daseins der Dinge und der Veränderungen befassen, nicht die Formen ihrer Erscheinung; so gelten sie nur als Analogien, nicht als konstitutive Prinzipien oder Axiome. Dadurch, daß ich die Materie, aufgrund ihrer empirischen Eigenschaften als die Substanz der äußeren Erfahrungen erkenne, habe ich nicht das Wesen der Materie, sondern nur ihr Verhältnis zu meinem Denken erkannt. Ich gebrauche in allen Urteilen über äußere Dinge die Materie als das Subjekt; also ist jene Erkenntnis nichts weiter als eine Analogie zum Begriffsverhältnis des Subjekts in Bezug auf seine Prädikate. Die Materie verhält sich zu ihren Eigenschaften und Wirkungen in der Erscheinung, wie sich das Subjekt eines kategorischen Urteils zu seinen Prädikaten verhält. Dadurch, daß ein Vorgang als Ursache eines zweiten bezeichnet wird, ist nicht sein Wesen erkannt, sondern die Analogie des Verhältnisses der Ursache zur Wirkung mit der Konsequenz in einem hypothetischen Satz. Der Zusammenhang der Veränderungen ist dem Begriffsverhältnis von Grund und Folge analog, der Satz des zureichenden Grundes der Veränderungen eine Analogie der Erfahrung.

KANT will also nicht das Wesen der Substanz oder der Kausalität erklären, noch das wirkliche Verhältnis der Dinge selbst ermitteln, er will nur die Analogie des Verhältnisses ihrer Erscheinungen zum begrifflichen Verhältnis des Grundes und der Folge, und was den Satz der Substantialität betrifft, zum Verhältnis von Subjekt und Prädikat zeigen, und den Beweis führen, daß diese Analogien a priori erkennbar sind, als Gründe des Denkens von Gegenständen der Erscheinung. Und selbst diese Analogien will er nur im Allgemeinen beweisen, nicht aber bezweckt er, die besonderen Kriterien ihrer Anwendung anzugeben, denn diese sind jederzeit rein empirisch. Diese Einschränkung seines Beweises muß man im Auge behalten, um den Beweis selbst, ich sage nicht, zu kritisieren, sondern nur richtig zu verstehen.

Der Beweis der Analogie stützt sich auf der Ergebnis des Schematismus.

Die Grundsätze der Beharrlichkeit, der Kausalität und Gemeinschaft enthalten die a priori notwendigen Zeitbestimmungen in der Erfahrung überhaupt. Nun enthält die Zeit sowohl die Möglichkeit des Beharrens als der Veränderung und des Zugleichseins. Die Bestimmung dieser formalen Momente zu einheitlichen Vorstellungen ergibt die Zeitbegriffe der Beharrlichkeit, der Zeitordnung und des Zugleichseins in Anbetracht aller möglichen Gegenstände der Erfahrung. Durch die Unterordnung der Zeitform unter die logische Einheit des Bewußtseins ist diese Bestimmung der Zeitmomente notwendig. Als formale Vorstellung und nicht bloß als subjektive Form des Vorstellens betrachtet, ist die Zeit notwendig in ihren drei Modis der Beharrlichkeit, Sukzession und Koexistenz bestimmt. Was aber notwendig von der Vorstellung der Zeit überhaupt gilt, das gilt eben daher auch notwendig von allem in der Zeit Vorgestellten. Das Dasein der Erscheinungen in der Zeit ist folglich notwendig nach den Zeitbegriffen bestimmt. Nun drücken die Grundsätze der Analogien der Erfahrung nichts weiter aus als die Anwendung der Zeitbegriffe auf die Erscheinungen; also gelten diese Grundsätze notwendig von den Erscheinungen und durch diese von den Gegenständen der Erfahrung. Aber sie gelten von ihnen nur im Allgemeinen; welche besonderen Zeitbestimmungen dieser oder jener Relation der Erscheinungen zukommen, folgt nicht a priori aus den Grundsätzen der Zeitbestimmung, sondern nur a posteriore aus dem empirisch gegebenen Verhältnis der Erscheinungen selbst.

Die Zeit selbst ist nicht wahrnehmbar. Sie ist nichts, was für sich selbst bestünde, sie ist eine subjektive Form, ein Gesetz des Vorstellens und nur auf Anlaß von Wahrnehmungen wird dieses Gesetz wirksam. Also haben die Wahrnehmungen selbst, folglich auch ihre Gegenstände, die Bestimmungen der Zeit an sich; die Erscheinungen enthalten notwendig das Beharrliche im Wechsel, die Zeitordnung in der Folge und das Zugleichsein. Die Notwendigkeit, daß die Zeitbegriffe und Grundsätze der Zeitverhältnisse gültig sind von den Erscheinungen, folgt daraus, daß die Zeit überhaupt eine Form der Erscheinung ist. Die Notwendigkeit, daß diese Begriffe gültig sind von den Objekten der Erscheinungen, ergibt sich aus der Definition des Objekts:
    "dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung einer denknotwendigen Regel (einer begrifflichen Vereinigung der Momente der Erscheinung) enthält, ist das Objekt".
Der Gegenstand, abgesehen von seiner Erscheinung, ist der Grund einer begrifflichen Regel der Reproduktion seiner Erscheinung. Die Zeitbegriffe sind Bestandteile objektiver Erkenntnis a priori, weil der Begriff überhaupt das Korrelat des Gegenstandes ist.

Man kann sich von der Notwendigkeit und allgemeinen Gültigkeit der Zeitbestimmungen a priori durch die folgende Erwägung überzeugen: Gesetzt, alles sei ansich in einem dauerlosen Wechsel begriffen, so bliebe dennoch die Voraussetzung eines Beharrlichen im Wechsel eine notwendige, schlechthin unvermeidliche Vorstellung, weil die Beharrlichkeit zur Bestimmung der Zeit überhaupt, folglich der Erscheinungen in der Zeit notwendig gehört und es unmöglich ist, sich eine Veränderung vorzustellen außer im Gegenverhältnis zu einem Beharrlichen, zu etwas, das sich nicht verändert. Dadurch allein schon, daß Erscheinungen in die Zeit aufgenommen sind, ist ein beharrliches Substrat der Erscheinungen notwendig, auch wenn es uns an allen empirischen Kriterien der Beharrlichkeit fehlen würde. Denken wir uns ferner die Folge der Dinge ohne jeglichen Zusammenhang, jedes Ereignis also als einen absoluten, grundlosen Anfang, ohne Ursache und ohne Erfolg, so könnte doch von einem solchen Anfang ohne etwas, was notwendig vorhergeht, keine Erscheinung, also auch keine Erfahrung, d. h. auf ein Objekt bezogene Erscheinung, möglich sein. Den Gesetzen der Bestimmung der allgemeinen Zeit sind die Gegenstände als Erscheinungen in der Zeit notwendig unterworfen.

Daß durch diese Reflexion wirklich der Nerv des Beweises der Erfahrungsanalogien bloßgelegt wird, geht aus KANTs eigener Erklärung hervor:
    "Die synthetische Einheit in den Zeitverhältnissen aller Wahrnehmungen, welche a priori bestimmt ist, ist also das Gesetz: daß alle empirischen Zeitbestimmungen unter Regeln der allgemeinen Zeitbestimmung stehen müssen."

    "Unsere Analogien stellen die Natureinheit im Zusammenhang aller Erscheinungen unter gewissen Exponenten dar, welche nichts anderes ausdrücken, als das Verhältnis der Zeit zur Einheit der Apperzeption." (31)
Die Richtigkeit meiner Auffassung wird außerdem durch eine nähere Betrachtung des Beweisganges für die Analogien bestätigt.


Die Argumentation für die Gültigkeit des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz ist im Wesentlichen die folgende: Alle Erscheinungen sind in der Zeit, der Form unseres Anschauens. Nun enthält die Zeit sowohl das Zugleichsein als auch die Folge. Die Zeit selbst wechselt nicht, nur die Erscheinungen kommen und gehen in ihr. Allein die Zeit selbst kann nicht wahrgenommen werden. Sie ist eine Form der Wahrnehmungen. Folglich muß in den Erscheinungen selbst das Substrat anzutreffen sein, welches die Zeit überhaupt, die Form des Beharrens, vorstellt, und an welchem der Wechsel oder das Zugleichsein durch die Verhältnisse der Erscheinungen zu ihm wahrgenommen werden kann, - d. h. die Substanz. Da diese also im Dasein nicht wechseln kann, so ist ihr Quantum unvermehrbar und unverminderbar. Nur im Beharrlichen sind Zeitverhältnisse möglich; ohne das Beharrliche käme es zu keiner Zeitvorstellung. So wirklich mithin die empirische Zeitvorstellung selbst ist, so notwendig findet ihre notwendige Bedingung statt; die Vorstellung der Zeit macht die Vorstellung eines Substrates der Zeit notwendig. Weil das Beharrliche in der Erscheinung die Bedingung ihrer Vorstellung, als eines zeitlichen Gegenstandes ist, so hat der Grundsatz der Beharrlichkeit Gültigkeit für den gesamten Umkreis der Gegenstände der Erfahrung. - Der dogmatische Philosoph beweist den Grundsatz der Beharrlichkeit aus dem Begriff der Substanz. Diesen Beweis kann man ihm schenken, denn daß die Substanz beharrt, liegt schon in ihrem Namen. Der kritische Beweis dagegen zeigt, daß es eine Substanz geben muß, ein beharrliches Substrat, das notwendig den Erscheinungen zugrunde gelegt werden muß. als Bedingung der Zeitvorstellung überhaupt. Übrigens beachte man wohl, daß hier nur der "transzendentale" Beweis der Beharrlichkeit angetreten wurde, - nicht der naturwissenschaftliche für die Beharrlichkeit der Materie. Es sollte nicht gezeigt werden, daß die Materie jenes beharrliche Substrat der empirischen Zeitvorstellung ist; sondern nur, daß Etwas überhaupt in den Erscheinungen ihr bleibendes Substrat darstellt. Daß die Materie der bestimmte Gegenstand des Zeitbegriffs der Beharrlichkeit ist, folgt aus empirischen Kriterien. Durch ihre Raumerfüllung, durch die Konstanz der Masse ist sie als das Substrat der äußeren Erscheinungen gekennzeichnet; auch ist sie das einzige Wirkliche, dessen Beharrlichkeit beobachtet werden kann, natürlich in den Grenzen, die jeder Beobachtung gesetzt sind. Der transzendentale Beweis der Beharrlichkeit gibt den allgemeinen Erkenntnisgrund, die obere Prämisse des naturwissenschaftlichen Beweises der Erhaltung der Materie. Was beharrt, kann nur die Erfahrung durch Wahrnehmung lehren, "die Beobachtung und Beurteilung muß zeigen, welches (Objekt) die Substanz ist", daß etwas in der Sinnenwelt notwendig beharrt, ist eine Voraussetzung, unter welcher überhaupt erst Erfahrung von der objektiven Welt möglich ist. Und darauf allein, daß "in allen Erscheinungen etwas Beharrliches ist", daß es in der Natur und in all ihren Objekten eine unveränderliche Erscheinung, und weil Erscheinungen Größen sind, eine quantitativ unveränderliche Erscheinung geben muß, es sei nun die Masse, oder irgendeine andere Invariante, zielt der Beweis KANTs. "Die (a priori einzusehende) Einheit der Erfahrung wäre niemals möglich, wollten wir neue Dinge der Substanz nach entstehen lassen." Der Satz: "nichts entsteht aus nichts, nichts vergeht in nichts", das Korrelat des Substanzsatzes, gehört zu den ältesten Überzeugungen der menschlichen Wissenschaft; er ist aus der Reflexion des Verstandes über das den Sinnen Gegebene entsprungen. Ein empirischer Beweis des Satzes bleibt immer unvollständig; wir können
    "die Materien bei allen ihren Verwandlungen und Auflösungen nicht so weit verfolgen, um den Stoff immer unvermindert anzutreffen";
auch wäre ein solcher Beweis nicht gesucht worden, ohne die alles Nachfragen nach ihm leitende Voraussetzung und Überzeugung von der notwendigen Gültigkeit des Prinzipes. Eines also von beiden: entweder KANTs Beweis der notwendigen objektiven Gültigkeit des Substanzsatzes ist richtig, oder es ist überhaupt noch kein Beweis seiner Notwendigkeit geführt worden. Daß die Naturwissenschaft die "notwendige Inkorruptibilität der Substanz" bewiesen hat, ist eine Behauptung, welche die Grenzen eines jeden naturwissenschaftlichen Beweises völlig verkennt.

Der Begriff der Schöpfung und ihres Gegenstücks, der Vernichtung, ist transzendental und leer. Er überschreitet nicht bloß den Bereich der denkbaren Erfahrung, er zerstört ihn auch und hebt die Möglichkeit der Erfahrung auf. Denn er widerspricht der Einheit des Denkens und der Zeit, der obersten Bedingung der Gegenstände der Erfahrung. Er widerspricht derjenigen Verbindung im Zeitverhältnis der Erfahrungsobjekte, welche zur Möglichkeit der Erfahrung notwendig ist.
    "Es ist nur eine Zeit, in welcher alle verschiedenen Zeiten nicht zugleich, sondern nacheinander gesetzt werden müssen."
Und darum
    "ist die Beharrlichkeit eine notwendige Bedingung, unter welcher allein Erscheinungen als Gegenstände in einer möglichen Erfahrung bestimmbar sind."

    "Durch das Beharrliche allein bekommt das Dasein in verschiedenen Teilen der Zeit eine Größe, die man Dauer nennt." Dasjenige aber

    "woran alles Dasein in der vergangenen wie auch der künftigen Zeit einzig und allein bestimmt werden kann", muß alle Zeit da sein."
Der Grundsatz der Substanz ist, so nennt KANT ihn selber, der "prinzipale", der oberste Grundsatz, daher im Grundsatz der Kausalität enthalten.
    "Veränderung ist eine Art zu existieren, die auf eine andere Art zu existieren eben desselben Gegenstandes folgt".

    "Eine jede Veränderung in der Welt ist nur eine Fortsetzung einer schon vorhandenen Reihe, und es hört ebensoviel auf, als anfängt zu sein." (32)
Den Grundsatz der Kausalität hat KANT in der zweiten Auflage der "Kritik" etwas anders formuliert als in der ersten. In dieser spricht er ihn in der Formel aus: alles was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt; in der späteren Bearbeitung durch den Satz: alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetz der Verknüpfung der Ursache und Wirkung. Beide Sätze sagen zwar dasselbe, doch hat die zweite Formulierung in einem Hauptpunkt den Vorzug größerer Deutlichkeit. Das Prinzip der Kausalität ist das Prinzip eines Grundes für jede Veränderung, es sagt die Abhängigkeit einer jeden Veränderung von einer ihr vorausgegangenen aus. Nun meint wohl auch der erste Ausdruck des Satzes bei KANT beim Geschehen, wie der erklärende Zusatz beweist: anhebt zu sein, eine Veränderung des Geschehens; er verleitet aber doch an Geschehen überhaupt zu denken, und es scheint, KANT selbst habe bei seinem Beweis des Satzes nicht überall den Unterschied zwischen Geschehen im allgemeinen und Veränderung des Geschehens festgehalten und statt von der Veränderung der Folge von der zeitlichen Folge überhaupt gehandelt.

Sein Beweisgang selbst ist dieser: Ich nehme wahr, daß Erscheinungen aufeinander folgen. Ich verknüpfe also zwei Wahrnehmungen in der Zeitreihe. Nun ist eine Verknüpfung nicht von selbst gegeben, sondern wird hervorgebracht; sie beruth auf der synthetischen Fähigkeit des Bewußtseins. Die Verknüpfung kann nun in der bloßen Einbildung vollzogen werden, wobei sie aber willkürlich und unbestimmt ist. Es bleibt unbestimmt, ob in derselben Weise, wie ich sie verbinde, die Zustände im Objekt selbst verbunden sind. Es ist nicht dasselbe zu sagen: etwas folgt in der bloßen Wahrnehmung, und zu urteilen, es folgt im Gegenstand selbst. Damit die Sukzession der wahrgenommenen Vorgänge als durch Objekte bestimmt erkannt wird, muß das Verhältnis zwischen ihnen so gedacht werden, daß dadurch als notwendig bestimmt wird, welcher von beiden Vorgängen vorher und welcher nachher gesetzt werden muß. Eine notwendige Verknüpfung setzt eine objektive Regel voraus, folglich eine begriffliche Vereinigung, also eine Beziehung auf die objektive Einheit des Bewußtseins. Nun ist der Begriff, der die Zeitfolge der Veränderungen überhaupt bestimmt, der Begriff von Ursache und Wirkung. Der vorhergehende Teil der Zeit, oder der Inbegriff der Erscheinungen in ihm, wird als Grund des folgenden gedacht. Durch die Verknüpfung der Zeitfolge der Veränderungen nach Ursache und Wirkung wird also ihre Sukzession als objektiv bestimmt erkannt, mit anderen Worten: das Begriffsverhältnis von Ursache und Wirkung ist die Bedingung des a priori des Erkennens irgendeiner bestimmten und objektiven Folge von Veränderungen. Dadurch allein, daß diese in der Zeit analog wie Grund und Folge verknüpft sind, erkenne ich, daß sie objektiv verknüpft sind.

Das Gesetz der Kausalität begründet Erfahrung und kann daher nicht aus der Erfahrung stammen. Damit ist aber erst der begriffliche Grund einer Erfahrung von objektiver Sukzession angegeben. Wie kommt es zur Anwendung des Begriffs von Ursache und Wirkung auf eine Folge der Erscheinungen? Der Grund der Anwendung liegt nach KANTs ausdrücklicher Lehre in den gegebenen Erscheinungen selbst, nicht in der bloßen Vorstellung, dem subjektiven Zustand des Bewußtseins. Im Gehalt der Erscheinungen ist die Veranlassung oder das Motiv gegeben zur Hervorbringung der Begriffssynthese von Ursache und Wirkung. Wie es überhaupt das Objekt selbst ist, welches die Einheit des Bewußtseins in bestimmten Fällen notwendig macht, so ist es auch hier ein objektiver Grund, der diese begriffliche Vereinigung des Denkens hervorruft. Die empirische Wahrnehmung: es geschieht etwas, setzt voraus, daß eine Erscheinung dieser Wahrnehmung vorhergeganen ist; und zwar setzt sie dies notwendig voraus, weil eine leere Zeit gar nicht erscheinen kann. Der Wahrnehmung des Geschehens kann keine leere Zeit vorangegangen sein. Jede Apprehension ist eine Wahrnehmung, die auf eine andere folgt. Dies ist eine allgemeine Bedingung jeder Zeitvorstellung. Nun bemerke ich in besonderen Fällen einen Unterschied des Verhältnisses der Erscheinungen, wonach ihre Reihenfolge bald umkehrbar, bald unveränderlich ist; nämlich so, daß B nur auf A folgt, nicht umgekehrt. In der Betrachtung eines ruhenden Objekts im Raum ist die Regel der Auffassung unbestimmt, oder besser: die Auffassung hat keine bestimmte Regel. Ich kann ein Haus von oben nach unten und von unten nach oben, von rechts nach linkt und umgekehrt betrachten. Hier ist die Folge der Vorstellungen subjektiv. Dagegen ist die sukzessive Lage eines Schiffes im Strom nicht umkehbar, ihre Auffassung ist dem Belieben des Betrachters entzogen. Die Ordnung der Wahrnehmungen ist hier durch die Erscheinung selbst bestimmt, und diese Regel der Sukzession macht die Reihe der Vorstellungen notwendig. Sie erweckt den Gedanken der Ursächlichkeit. Nur der Form nach also entspringt dieser Gedanke dem Subjekt, seinen Inhalt und den Anlaß seiner Entwicklung empfängt er von demjenigen, was in der Erscheinung nicht subjektiv, sondern durch den Gegenstand selber gegeben ist. Durch diesen Gedanken wird das objektive Verhältnis nicht etwa geschaffen, sondern erkannt. Der Gedanke kausaler Verknüpfung ist nicht die Bedingung der Existenz des bestimmten Verhältnisses, sondern die Bedingung seiner Erkenntnis. Nicht die Folge der Erscheinungen wird erst durch den Kausalsatz hervorgebracht, sie ist vielmehr in der empirischen Anschauung, also durch die Dinge selbst gegeben; die Objektivität der Folge wird durch jenen Satz erkannt, und auch von dieser nur die allgemeine Form; der Fall der Anwendung des Satzes muß gegeben werden. In allen Fällen bestimmter Kausalität ist es nach der ausdrücklichen Lehre KANTs die Überlegung über das gegebene Verhältnis der Erscheinungen, die Reflexion auf das Datum der Erfahrung, welche die Anwendung des Kausalitätsbegriffs vermitteln muß. Wie überall in der Lehre KANTs, so bezieht sich auch hier die Apriorität nur auf die allgemeine Form des Denkens und Anschauens.

Da diese Erklärung der gebräuchlichen, subjektivistischen Auffassung der kritischen Philosophie zuwiderläuft, so ist eine nähere Ausführung derselben am Platz.

Wir haben nach KANT zu unterscheiden zwischen dem allgemeinen Kausalitätsbegriff und den empirischen Begriffen der Kausalität und ebenso zwischen der allgemeinen Bedingung der Anwendung des Begriffs, der Bedingung a priori, und der empirischen. Jener Begriff allein ist unabhängig von der Erfahrung einzusehen. Daß eine Regelmäßigkeit in der Folge der Erscheinungen notwendig ist, ist ein Gedanke, der den Begriff der Erfahrung als solcher begründet; aber welche Regelmäßigkeit die Erscheinungen befolgen und wie weit ihre Regelmäßigkeit reicht, kann nur aus der Erfahrung erkannt werden. Die besonderen Gesetze der Natur sind von Seiten des Verstandes unbestimmt gelassen (33). Noch mehr; selbst jener Gedanke einer Regelmäßigkeit überhaupt würde unentwickelt bleiben, zeigten nicht die gegebenen Erscheinungen eine Regelmäßigkeit, die zur Anwendung der Denkform auffordert. Wie kommen wir aber zu jenem allgemeinen Begriff der Kausalität, welcher allein a priori ist? Wir wissen bereits: durch eine Anknüpfung der Zeit, in ihrer Form der Sukzession, an die Einheitsfunktion des Denkens nach Grund und Folge. Und hier bewährt es sich abermals, daß der Schlüssel des Kausalitätsbeweises in einem Schematismus liegt. Die Zeit überhaupt ist in ihrer Folge bestimmt und dadurch sind die in die Zeit tretenden Erscheinungen notwendig - aber zunächst nur im Allgemeinen - bestimmt.
    "Wenn es ein notwendiges Gesetz unserer Sinnlichkeit, folglich eine formale Bedingungen aller Wahrnehmehmung ist: daß die vorige Zeit die folgende notwendig bestimmt, so ist es auch ein unentbehrliches Gesetz der empirischen Vorstellung der Zeitreihe, daß die Erscheinungen der vergangenen Zeit jedes Dasein in der folgenden bestimmen und daß diese als Begebenheiten nicht stattfinden, als sofern jene ihnen ihr Dasein in der Zeit bestimmen, d. h. nach einer Regel festsetzen. Denn nur an den Erscheinungen können wir diese Kontinuität im Zusammenhang der Zeiten empirisch erkennen."

    "So oft wir also erfahren, daß etwas geschieht, setzen wir dabei jederzeit voraus, daß irgendetwas vorausgeht, worauf es nach einer Regel folgt."

    "Vor einer Begebenheit kann allerlei vorhergehen, aber Eines ist unter diesem, worauf sie jederzeit folgt",
heißt es in einer Aufzeichnung, und nur darauf allein bezieht sich unser Wissen a priori. Die notwendige Bestimmung der Zeit in der Einheit des Denkens ist zugleich die allgemeine Bestimmung der zeitlichen Erscheinungen. Diese können nur in einem bestimmten Nacheinander in die Zeit eintreten, weil die Zeitreihe selbst a priori bestimmt ist.
    "Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand, und das Erste, was er dazu tut, ist nicht: daß er die Vorstellung der Gegenstände deutlich macht, sondern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht. Dies geschieht nun dadurch, daß er die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein überträgt, indem er jeder derselben als Folge eine, in Anbetracht der vorhergehenden Erscheinungen a priori bestimmte Stelle in der Zeit zuerkennt, ohne welche sie nicht mit der Zeit selbst, die allen ihren Teile a priori ihre Stelle bestimmt, übereinkommen würden." (34)
Die Vorstellung der Zeit überhaupt in Anbetracht der Ordnung ihrer aufeinanderfolgenden Teile ist apriori durch den Begriff von Grund und Folge verknüpft, deshalb ist jeder gegenständliche Vorgang in der Zeit im Allgemeinen kausal bestimmt. Eine gegenständliche, nicht bloß eingebildete Folge von Veränderungen ist nach KANT jederzeit kausal verbunden. Indem Objekte in die Zeit eintreten, sind sie durch die notwendige Einheit der Zeitreihe überhaupt in ein ursächliches Verhältnis getreten. Wir wissen a priori, daß das unmittelbar in der Zeit Vorangehende Ursache des unmittelbar Folgenden ist. Wir erkennen dies durch das Bewußtsein der notwendigen Einheit in der Zeitfolge selbst. So weit reicht nach KANT die Apriorität des Kausalitätsgesetzes. Wir wissen dagegen durch Erfahrung allein, welche Erscheinung unmittelbar vor einer andern vorhergeht. Durch die Bestimmtheit in der Wahrnehmung, welche Bestimmtheit gegeben ist, unterscheidet sich die objektive Folge der Erscheinungen selbst von der subjektiven bloßer Vorstellungen. (35) Der Übergang von einer subjektiven zu einer objektiven Zeitbestimmung erfolgt also nach Regeln der empirischen, nicht nach Gesetzen der apriorischen Synthese. Das empirische Kriterium dafür, welcher Vorgang mit einem zweiten kausal zu verknüpfen ist, liegt im Zeitinhalt, nicht in der Zeitform. Ich kann in diesen Sätzen nicht den "offenbaren Zirkel" finden, den SCHOPENHAUER der kantischen Beweisführung vorwirft. Nur wer, wie SCHOPENHAUER, die Erscheinungen zu bloßen Vorstellungen, ja eigentlich Vorspiegelungen des Subjekts macht und in ihnen den gegenständlichen Faktor tilgt, wird diese Sätze miteinander unvereinbar finden.
    "Wie läßt sich Kants Behauptung", fragt Schopenhauer, "daß Objektivität der Sukzession allein erkannt wird, aus der Notwendigkeit der Folge von Wirkung auf Ursache, vereinigen mit jener, daß das empirische Kriterium, welcher von zwei Zuständen Ursache und welcher Wirkung ist, bloß die Sukzession ist?"
Richtig müßte es heißen: die beständige Sukzession. - Die Objektivität überhaupt folgt gemäß der Bestimmung a priori der Zeitform durch die Einheit des Denkens; alles, was in der Zeit erscheint, ist mit etwas, was vorhergegangen ist, notwendig verbunden. Aber was erscheint, ist dadurch noch keineswegs bestimmt. Was vorhergeht und was folgt, wird nur durch eine wirkliche Wahrnehmung erkannt; also ist das empirische Kriterium der Anwendung des Kausalverhältnisses allerdings, wie KANT lehrt, die Beständigkeit in einer bestimmten wahrgenommenen Folge.
    "Das Sonnenlicht, welches das Wachs beleuchtet, es zugleich schmilzt, indessen es den Ton härtet, kann kein Verstand aus Begriffen, die wir vorher von diesen Dingen hatten, erraten, viel weniger gesetzmäßig schließen, und nur Erfahrung kann uns ein solches Gesetz lehren. Wenn also vorher festgewesenes Wachs schmilzt, so kann ich a priori (nur) erkennen, daß etwas vorausgegangen sein muß (z. B. Sonnenwärme), worauf dieses nach einem beständigen Gesetz gefolgt ist; obwohl ich, ohne Erfahrung weder aus der Wirkung die Ursache, noch aus der Ursache die Wirkung bestimmt erkennen kann."
Gegen die Auffassung des Kausalitätsgesetzes durch KANT scheint sich jedoch ein sachliches Bedenken zu erheben, dem bereits SCHOPENHAUER, dessen Einwendung gegen die Form des Beweises ich nicht stichhaltig gefunden habe, Ausdruck gegeben hat. "Erscheinungen können sehr wohl aufeinander folgen, ohne aus einander zu erfolgen." (36) Auch die Sukzession der Töne einer Musik ist objektiv bestimmt, wer aber wird sagen, daß die Töne einer Musik nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung aufeinander folgen? Nicht die Folge überhaupt, sondern die Veränderung der Folge ist kausal zu begründen. Wir mögen immerhin die objektive Folge der Erscheinungen im Allgemeinen in der notwendigen Kontinuität der Zeitreihe begründet erkennen, aber sind Kontinuität der Folge und kausale Verknüpfung ein und dasselbe? Wer die Bewegung als ursprüngliche Eigenschaft der Elemente der Materie anerkennt, wird nach keiner Ursache der Bewegung forschen. Eine gleichförmige Folge von Erscheinungen verlangt keine Begründung; sie ist ein Gegenstand des Wissens, kein Problem des Erklärens.

KANT ist diesem Bedenken gegen seine Kausalitätslehre selbst mit der Erklärung zuvorgekommen:
    "man merke wohl, daß ich nicht von der Veränderung gewisser Relationen überhaupt, sondern von einer Veränderung des Zustands rede. Daher, wenn ein Körper sich gleichförmig bewegt, so verändert er seinen Zustand der Bewegung gar nicht, aber wohl, wenn seine Bewegung zu- oder abnimmt."
(Nur das nicht glücklich gewählte Beispiel von dem mit dem Strom treibenden Schiff handelt von einer bloßen Veränderung von Relationen.) Die Frage, wie die Objektivität auch einer bloßen Folge von Relationen zu erkennen ist, enthält keine ernsthafte Schwierigkeit, auch wenn wir davon absehen, daß eine vollkommen gleichförmige Bewegung nur in unserer Theorie vorkommt, nicht in der Wirklichkeit selbst. Das Beispiel der Folge der Töne einer Musik aber bildet keine Gegeninstanz zu KANT. Gewiß gehört jeder einzelne Ton der Reihe nur deshalb zur objektiven Welt, weil er in gleicher Weise für jedes gleichartige Gehör erzeugt wird, also aus äußeren Ursachen erfolgt, die vom bloßen Zustand des wahrnehmenden Subjekts verschieden und unabhängig sind; und ebenso ist auch die Reihe als Ganzes verursacht, erst durch den Schöpfer des Musikstückes, dann jedesmal von Neuem durch den ausübenden Künstler. Doch, es ist nicht nötig, uns bei Beispielen aufzuhalten. Was KANT wirklich mit seinem Beweis des allgemeinen Kausalsatzes zeigte und ebenso, worin seine Lehre noch der Ergänzung bedarf, läßt sich aus seinem Verhältnis zu HUME ersichtlich machen.
LITERATUR - Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus - Geschichte und System, Bd. 1, Leipzig 1908
    Anmerkungen
    25) Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe B, Seite 269.
    26) B 263
    27) B 260
    28) Die Kategorie der Realität ist nicht gleichbedeutend mit der Realität im Sinne von Existenz oder Wirklichkeit. Sie, oder richtiger der Grundsatz ihrer Anwendung in der Erfahrung, drückt nach Kant das aus, was vom Realen, das einer Wahrnehmung entspricht, a priori zu erkennen ist. Von der Realität dagegen im Sinne wirklicher Existenz heißt es ausdrücklich: "was Realität betrifft, so verbietet es sich wohl von selbst, sich eine solche in concreto zu denken, ohne die Erfahrung zu Hilfe zu nehmen". Die Widerlegung des ontologischen Arguments erfolgt in der transzendentalen Dialektik aus dem Satz: Sein ist kein Prädikat von irgendeinem Ding; Kategorien aber sind Prädikate der in der Erfahrung gegebenen, oder in ihr möglichen Dinge; folglich bedeutet die Kategorie der Realität nicht dasselbe wie Sein oder Existenz. Ich kann nach Kant von dem in der Erfahrung gegebenen oder möglichen Realen "antizipieren", d. h. a priori urteilen, daß es mit irgendeinem Grad seines Daseins die Zeit erfüllen wird; aber ich weiß a priori nicht, mit welchem Grad; und mag ich auch in Gedanken den Grad seines Daseins von Null bis zu einer beliebigen Größe konstruieren, so kommt dadurch niemals ein wirklicher Grad heraus. Begriffe bringen ihre Gegenstände nicht dem Dasein nach hervor, eben daher bedürfen Begriffe a priori einer Rechtfertigung ihres Gebrauchs von Dingen. Es ist daher ein seltsames Mißverständnis, zu sagen, Kant widersprehe sich selbst, oder, er meine das Gegenteil von dem, was er mit doch so klaren Worten behauptet, wenn er an der Realität von Dingen außerhalb unseres Denkens (und sinnlichen Vorstellen) festhält, ja sie nachweist, und zugleich die Realität für einen bloßen Begriff des reinen Denkens erklärt. - Es gibt immer Ausleger, die, so oft sich ihre Begriffe verwirren, dem Autor einen Widerspruch anrechnen.
    29) III. Seite 75 § 30; II. 161, 173, 293.
    30) II. 591
    31) II. 153, 181.
    32) Nr. 1054 in den "Reflexionen" bei Benno Erdmann.
    33) IV. Einleitung und § 69 der Anfang
    34) II. 169
    35) Auch im obigen Beispiel der Apprehension des Hauses ist die Wahrnehmung objektiv bestimmt, aber nicht kausal, d. h. durch ihre Folge, sondern nach dem Gesetz der Gemeinschaft der Teile, d. h. ihrer Koexistenz.
    36) Schopenhauer, Die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde, Seite 87