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ALOIS RIEHL
Transzendentale Deduktion
der Kategorien

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"Die Erkenntniskritik Kants ist auf einer Wirklichkeitslehre aufgebaut, und diejenigen, welche die Kritik subjektivistisch verstanden und fortgebildet haben, folgten nicht den Bahnen Kants. Nur die wandeln ihnen wirklich nach, welche den realistischen Grund seiner Philosophie noch mehr zu befestigen und tiefer zu legen suchen."

"Wäre der Raum keine Vorstellungsform der Dinge, so würde es schlechterdings unmöglich sein zu begreifen, wie wir zur Erkenntnis der Wirklichkeit der Dinge gelangen. Nur dann ist diese Wirklichkeit nicht nur zu begreifen, sondern unmittelbar gegeben, wenn räumliche Vorstellungen Erscheinungen der Dinge sind."

"Durch die Doppelseitigkeit des Begriffs der Dinge-ansich kam in diesen Begriff eine theoretisch durch Nichts zu begründende Wertvorstellung hinein. Die Dinge schienen danach etwas Höheres, Vollendeteres zu sein, als das menschliche Bewußtsein, das sie begreift. Sie konnten ja vielleicht Dinge einer höheren Welt sein."


Lehre und Beweis der
Grundsätze der Erfahrung

[Fortsetzung]

HUME hatte das Verhältnis der Kausalität aus der objektiven und regelmäßigen Aufeinanderfolge bestimmter Impressionen oder Wahrnehmungen abgeleitet. KANT zeigte dagegen, daß wir erst im Hinblick auf eine Regel der Kausalität zu erkennen vermögen, ob eine Folge von Wahrnehmungen, sei sie noch so beständig oder gleichförmig, wirklich eine objektive Folge ist. In bestimmten einzelnen Fällen läßt sich der Unterschied der Folge unserer Wahrnehmungen von der Folge in den Objekten selbst leicht unterscheiden. Wir nehmen den Donner nach dem Blitz wahr, mit welchem jener in Wirklichkeit gleichzeitig, oder nahezu gleichzeitig ist. Aber auch im Allgemeinen ist dieser Unterschied zu erweisen. Wahrnehmungen als solche sind an den Zustand des Subjekts gebunden, daher individuell und auch die beständig gleiche Wiederkehr zweier aufeinanderfolgender Wahrnehmungen kann immer erst eine subjektive Regel ergeben, und eine daraus entspringende Erwartung, keine Erkenntnis eines Objekts. Wir müssen aus dem Bereich unserer Wahrnehmungen herausgehen, d. h. den Grund unserer subjektiven Regel in etwas von unserer Wahrnehmung Verschiedenem voraussetzen, um unsere Erlebnisse als objektive Begebenheiten erkennen zu können. Nur dadurch also, daß wir die Folge der Erscheinungen, folglich aller Veränderungen, dem Gesetz der Kausalität unterworfen denken, ist eine empirische Erkenntnis, die Erkenntnis einer Folge im Objekt möglich; "nur dadurch ist darin eine Ordnung der sukzessiven Synthesis, die ein Objekt bestimmt." Die Erfahrung einer Veränderung im Unterschied von ihrer bloßen Wahrnehmung ist daher aus dem Gesetz der Kausalität abzuleiten, nicht, wie HUME wollte, das Gesetz aus der Erfahrung. Aber nicht darum allein, weil wir dieses Gesetz brauchen, um Erfahrung (von Veränderungen) zu machen, gilt es notwendig von den Gegenständen der Erfahrung, den Begebenheiten in ihr; ursachlose Veränderungen sind aus einem objektiven Grund von aller Erfahrung a priori und notwendig ausgeschlossen; so gewiß eine Veränderung nur in der Zeit möglich ist, ein absoluter Anfang aber vom Begriff der Zeit, folglich von allem, was in der Zeit erscheint, schlechthin ausgeschlossen ist. Daraus folgt aber, daß im Kausalsatz nicht aller Nachdruck auf die Regelmäßigkeit in der Folge der Veränderungen zu legen ist (hierin blieb KANT unter dem Einfluß HUMEs) sondern auf die Abhängigkeit einer jeden Veränderung von einer ihr vorangegangenen. Das Eintreten einer Veränderung steht unter dem Gesetz der Kausalität, oder die Veränderung ist notwendig, auch wenn sich ihre Ursache nicht ein zweites Mal in genau derselben Weise wiederholen sollte. Und ebenso bleibt sie auch in diesem Fall allgemein gültig, sie gilt für jedermanns Wahrnehmung, weil sie vom Objekt und nicht vom Zustand des Subjekts abhängig ist. Statt also zu sagen: alles was anhebt zu sein, setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt, haben wir zu sagen: worauf es nach einer Regel folgen müßte, wenn seine Antezedenzien [Merkmale - wp] sich wiederholen. Denn das Wort Regel ist hier nur ein anderer Ausdruck für objektive Notwendigkeit.

Aus der Verbindung des Kausalsatzes mit dem Satz der Erhaltung der Substanz, ergibt sich das Prinzip der Erhaltung der Ursachen. Es kann nichts in der Größe der Wirkung entstehen, was nicht zuvor in der Größe der Ursache vergeht, und nichts von der Größe der Ursache vergehen, was nicht als Größe der Wirkung fortbesteht.

Die dritte "Analogie" der Erfahrung, der Grundsatz der Gemeinschaft wendet, was die rationale Kosmologie vom commercium [Umgang - wp] der Gemeinschaft der Substanzen ansich behauptet hatte, mit kritischer Einschränkung auf die Verbindung der Erscheinungen der Substanzen an, und die von ihrem Zugleichsein mögliche Erfahrung. Eine zweite Quelle des Satzes, neben dieser metaphysischen, ist das Prinzip NEWTONs von der Gleichheit der Aktion und Reaktion in aller Mitteilung von Bewegung. KANT behauptet noch allgemeiner, daß alle äußere Wirkung in der Sinnenwelt eine Wechselwirkung ist. Der Beweis dieses Satzes hat nichts Eigentümliches, er schließt sich genau dem Beweisgang für die beiden ersten "Analogien" an, und wir können uns daher bei seiner Betrachtung kurz fassen. Unsere Wahrnehmungen können derart aufeinanderfolgen, daß so oft die eine für unser Subjekt da ist, die andere nicht da ist, und umgekehrt. Soll daraus das Zugleichsein der Objekte unserer Wahrnehmungen erkannt werden, so müssen die Dinge in einem Verhältnis der Wirkung und Gegenwirkung zueinander stehen, d. h. die Bestimmungen des einen Dings müssen ihren Grund im anderen haben und umgekehrt. Also ist das Zugleichsein der Substanzen im Raum nur unter der Voraussetzung ihrer Wechselwirkung zu erkennen und diese Voraussetzung eine Bedingung der Möglichkeit der Dinge als Gegenstände der Erfahrung. - Wir können in diesem Prinzip der Wechselwirkung ein gleich ursprüngliches Prinzip, wie es die Grundsätze der Substanz und Kausalität sind, nicht erblicken; denn augenscheinlich beruth es nur auf der kombinierten Anwendung dieser beiden Sätze. Doch ist der Gedanke, den es ausdrückt, ebenso tief wie richtig. Die Sinnenwelt ist notwendig eine Einheit von Dingen und Vorgängen, und nichts in ihr kann als völlig isoliert angenommen werden; alles, was in ihr ist und wirkt, steht ursprünglich in der Gemeinschaft der Apperzeption.
    "Alle Erscheinungen liegen in einer Natur und müssen darin liegen, weil ohne diese Einheit a priori keine Einheit der Erfahrung, folglich auch keine Bestimmung der Gegenstände in ihr möglich wäre."
Soweit die Dinge uns erscheinen und als Gegenstände der Erfahrung gedacht werden, stimmen sie notwendig mit den Begriffen unseres reinen Verstandes und den Bedingungen der Anwendung dieser Begriffe, den Grundsätzen der Erfahrung, überein. Was diese Grundsätze ausdrücken, ist der gesetzmäßige Zusammenhang der Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt: ihr Zusammenhang in einer Natur; sie sind darum die obersten Gesetze der Natur, weil sie die Gesetze der Erfahrung der Natur sind. Die Gesetzlichkeit überhaupt der Natur ist kein Resultat, sie ist die Voraussetzung der Erfahrung.
    "Auf mehrere Gesetze aber, als die, auf denen Natur überhaupt beruth, reicht das reine Verstandesvermögen, durch bloße Kategorien den Erscheinungen Gesetze a priori vorzuschreiben nicht zu. Besondere Gesetze, weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, können daraus nicht vollständig abgeleitet werden, obgleich sie insgesamt unter jenen stehen. Es muß Erfahrung dazu kommen, um sie kennen zu lernen; von Erfahrung aber überhaupt und, was als ein Gegenstand derselben erkannt werden kann, geben allein jene Gesetze a priori die Belehrung."
In diesen Worten wird das rein Empirische in unserem Wissen, von dem was a priori erkannt und vorausgesetzt wird, auf das Deutlichste gesondert und zugleich die notwendige Verbindung dieser beiden Faktoren unserer Erkenntnis hervorgehoben.

Wohl hat, was die dogmatische Metaphysik unter dem stolzen Namen einer Ontologie suchte, ohne es je finden zu können, der bescheidenen Wissenschaft einer Analytik des Verstandes, und damit der Bedingungen der Erfahrung, Platz gemacht. Der Verlust ist aber nur ein scheinbarer. Was jene immer nur zu versprechen vermochte, wurde von dieser wirklich geleistet. Die Gesetze des Denkens sind zugleich Gesetze der Dinge selbst, so weit die Dinge Gegenstände unserer Erfahrung sind.

Die "Postulate des empirischen Denkens" zeigen den Unterschied zwischen bloßem Denken und dem Erkennen eines Gegenstandes, sie sind die Definitionen der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in ihrer erkenntnistheoretischen Bedeutung. Es wird ausgeführt, daß die Möglichkeit eines Gedankens noch nicht die Vorstellung eines möglichen Dings ist, weil zu dieser letzteren außer der Übereinstimmung mit den Bedingungen des Denkens noch die mit den Bedingungen des Anschauens gehört.
    "Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, der Anschauung und dem Begriff nach, übereinkommt, ist möglich."
Die Wirklichkeit einer Erkenntnis besteht in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der Empfindung und den empirischen Verhältnissen der Anschauung, also den materialen Bedingungen der Erfahrung. Die Notwendigkeit endlich entsteht durch den Zusammenhang einer Vorstellung mit der Wirklichkeit nach allgemeinen Erfahrungsgesetzen; da aber nicht die Existenz selbst, sondern nur das Dasein ihrer Wirkungen nach allgemeinen Gesetzen erkannt werden kann, so ist die Notwendigkeit auf die Verhältnisse der Erscheinungen nach dem Gesetz der Kausalität eingeschränkt (37). Notwendig sein und Wirkung einer Ursache sein, sind nach KANT Wechselbegriffe.

Das Charakteristische im Beweisverfahren der Grundsätze besteht darin, daß der Beweis nicht direkt aus Begriffen geführt wird. Es wird nicht gezeigt, "daß der gegebene Begriff geradezu auf einen anderen führt", z. B. der Gedanke der Existenz auf den der Beharrlichkeit. Ein derartiger Beweis würde nicht aus dem formallogischen Denken herauskommen, er würde sich beständig im Kreis der Begriffe drehen, ohne ihre reale Bedeutung begründen zu können. Es wird vielmehr gezeigt, daß eine bestimmte Gedankenverbindung aufgrund der Zeitanschauung zur Form der Erfahrung notwendig gehört. Im Nachweis des Zusammenhangs der synthetischen Sätze a priori mit dem Begriff der Erfahrung, in ihrer Darlegung als begrifflicher Bestandteile der allgemeinen Form der Erfahrung, besteht der kritische oder transzendentale Beweis der Gültigkeit des A-priori dieser Sätze.


Erscheinung, Ding-ansich
und Noumenon.

Die Lehre von der Erscheinung und ihrem Korrelat, dem Ding-ansich, gehört merkwürdigerweise zu den am meisten bestrittenen Lehren des kantischen Kritizismus. Seit dem Angriff, den AENESIDEMUS (von Schulze) gegen die Schlüssigkeit dieser Lehre unternommen hat und dem "hyperkritischen" Versuch BECKs, das "Ding-ansich" zu beseitigen, es in ein Produkt des "ursprünglichen", uns selber unbewußten Vorstellens zu verflüchtigen, hat der philosophische Streit um das "Ding-ansich" nicht geruht. Selbst SCHOPENHAUER, der sich selbst zum Thronerben KANTs proklamierte, hielt unter dem Einfluß SCHULZEs, noch mehr aber unter der Einwirkung der geistigen Atmosphäre der Romantik in Deutschland mit ihrer Philosophie der Weltproduzierung aus dem Ich stehend, die Ableitung des "Dings ansich" für gründlich verfehlt. Und einer der neuesten Ausleger KANTs verwandelt die Konzeption des "Dings-ansich", ähnlich wie BECK, in einen Grenzbegriff, den sich das Bewußtsein selbst setzt, er erklärt das "Ding ansich" und nicht bloß seinen Begriff zu einem Erzeugnis der Methode.

Wir haben bereits festgestellt, daß KANT die Existenz der Dinge ansich unumwunden und in der strengsten Bedeutung des Wortes Existenz lehrt. Das Dasein der Dinge, unabhängig vom Bewußtsein, ist gegeben. Der kritische Idealismus, "das Gegenteil des Idealismus in der rezipierten Bedeutung des Wortes" bezweifelt nicht wie der problematische das Dasein von Dingen, noch hebt er es, wie der dogmatische, auf. Er lehrt, daß der "äußere Sinn" wirklich, nicht eingebildet ist, daß er wirkliche Dinge ergreift, wenn schon seine Vorstellungen, die räumlichen Anschauungen, nur Erscheinungen der Dinge sind. Und er widerlegt durch die Wirklichkeit der Wahrnehmung, durch ihre reale, auf Dinge gehende Bedeutung den Idealismus. Er "läßt also den Sachen ihre Wirklichkeit", nur ihre Vorstellung schränkt er auf Erscheinungen der Sachen ein. Die Erscheinung ist Vorstellung "eines zwar unbekannten, aber nichts desto weniger wirklichen Gegenstandes", dessen Existenz folglich "nicht wie beim eigentlichen Idealismus aufgehoben wird". Die Kritik lehrt dasselbe Objekt in zweierlei Bedeutung nehmen, als Erscheinung und als Ding-ansich. Das Ding-ansich ist die Gegenseite des Dings in der Erscheinung. Wir müssen
    "eben dieselben Gegenstände, als Dinge-ansich denken, wenn wir sie auch als solche nicht erkennen können. Denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß die Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint."
Im Begriff der Erscheinung liegt schon der Begriff des Dings selbst. "Der Verstand eben dadurch, daß er Erscheinungen annimmt, gesteht aus das Dasein von Dingen-ansich zu." Ist also der Begriff der Erscheinung gültig, so ist damit die Existenz der Dinge erwiesen. Alles, was in der Vorstellung nicht aus der reinen Erkenntnisform stammt, ist begründet durch die Dinge selbst. Nun setzt selbst die Anwendung der Vorstellungsform die Existenz der Dinge voraus. Eindrücke der Sinne, die nicht durch eine Selbstaffektion erzeugt sind, setzen das Vorstellen in Tätigkeit. Die "Rezeptivität", die sinnliche Empfänglichkeit beweist schon ansich das Dasein der Dinge. Daher ist es
    "die beständige Lehre der Kritik, daß die Gegenstände, als Dinge-ansich, den Stoff zu empirischen Anschauungen geben, daß sie den Grund enthalten, das Vorstellungsvermögen seiner Sinnlichkeit gemäß, zu bestimmen."
Und endlich ist die bloße Anerkennung besonderer, vom Verstand unabhängiger, also für ihn zufälliger Gesetze der Natur, und bestimmter mit dem reinen Vorstellungsschema und seiner ideellen Gestaltung durch die mathematische Phantasie nicht gegebener Gestalten ein genügender Beweis für den Realismus der Dinge. Die Erkenntniskritik KANTs ist auf einer Wirklichkeitslehre aufgebaut, und diejenigen, welche die Kritik subjektivistisch verstanden und fortgebildet haben, folgten nicht den Bahnen KANTs. Nur die wandeln ihnen wirklich nach, welche den realistischen Grund seiner Philosophie noch mehr zu befestigen und tiefer zu legen suchen.

Was bedeutet der methodische Begriff der Erscheinung?

Doch wir haben darauf schon wiederholt geantwortet. Erscheinung bedeutet das Verhältnis des Dinges selbst zum Subjekt. Dasjenige, so hörten wir, was nicht am Objekt, wie es ansich ist, jederzeit aber in seinem Verhältnis zum Subjekt anzutreffen und von der Vorstellung des Objekts unzertrennlich ist, ist Erscheinung (38). Und ebenso:
    "in der Erscheinung werden jederzeit die Objekte, ja selbst die Beschaffenheiten, die wir ihnen beilegen, als etwas wirklich Gegebenes angesehen, nur daß, sofern diese Beschaffenheit nur von der Anschauungsart des Subjekts in der Relation des gegebenen Gegenstandes zu ihm abhängt, dieser Gegenstand als Erscheinung von ihm selbst als Objekt ansich unterschieden wird." (39)
Nur die Vorstellungsart also ist ideell und macht, daß wir die Dinge als Erscheinungen erkennen. Der Begriff der Erscheinung hat zwei Seiten, eine nach dem Subjekt gekehrte: die Vorstellungsform, und eine die dem Objekt selbst zugekehrt ist. Nur der Anteil der Sinnlichkeit des Subjekts an der Erfahrung verwandelt die Dinge durch ihre Auffassung und Erkenntnis in Erscheinungen. Mittels des subjektiv-objektiven Begriffs der Erscheinung schränkt KANT einerseits den Dogmatismus des Denkens ein, dieser wähnte mit puren Begriffen an die Dinge selbst zu kommen; andererseits widerlegt er durch ihn den Idealismus, welcher die Dinge beseitigte und in bloße Vorstellungen auflöste. Die Idealität des allgemeinen Raums und der reinen Zeit begründet und erschöpft zugleich, wie früher ausgeführt wurde, den sogenannten Idealismus, richtiger Phänomenalismus KANTs. Weil Raum und Zeit Vorstellungsformen sind, so sind sie ansich, d. h. ohne Anwendung auf die gegebenen Eindrücke der Dinge, nur Ideen. Weil sie aber sinnliche, nicht schöpferische, oder "intellektuelle" Anschauungsformen, weil sie die Formen der Vereinigung der Empfindungen zu Anschauungen sind, so liegt schon in der Wirklichkeit einer räumlichen und zeitlichen Vorstellung die Wirklichkeit von Dingen-ansich eingeschlossen. Wenn ich also sage: die Vorstellungsart des Raumes überhaupt ist subjektiv, folglich alles im Raum Vorgestellte, so weit es dies ist, selber nur Vorstellung ansich nicht weiter erkennbarer Dinge, so habe ich damit nicht diese Dinge ihrer Existenz nach bezweifelt oder vernichtet, sondern nur ihrer Vorstellung nach für Erscheinungen erklärt. Und wenn ich selbst behaupte, mit der Wegnahme des Subjekts schwindet die ganze Körperwelt, die nichts ist, als ein Inbegriff von Modifikationen des räumlichen Vorstellens, dahin; so habe ich damit das Substrat der Körperwelt und den Grund der bestimmten Besonderungen meines Auffassens desselben nicht mit aufgehoben. Denn
    "dadurch erkenne ich dieses denkende Selbst seinen Eigenschaften nach nicht besser, noch kann ich seine Beharrlichkeit, ja selbst nicht einmal die Unabhängigkeit seiner Existenz von einem etwaigen Substratum äußerer Erscheinungen einsehen."
"Etwaig" bedeutet hier keine Ungewißheit der Existenz dieses Substrates sondern die Unerkennbarkeit seiner Beschaffenheit. Um über die eigentliche Meinung KANTs keinen Zweifel übrig zu lassen, betrachten wir gerade diejenigen Stellen der ersten Auflage der Vernunftkritik, welche von jeher für die Verkündigung eines reinen Idealismus gegolten haben. In den "Paralogismen" lehrt KANT: der eigentliche Gegenstand ist sowohl in Anbetracht der inneren, als auch der äußeren Anschauung unbekannt (40). Das heißt nicht: er existiert nicht, sondern wir erkennen ihn nicht, weil zum Erkennen nicht der bloße Begriff seiner Existenz genügt, sondern eine Anschauung hinzukommen muß, welche bei uns sinnlich ist, folglich ihr (der Anschauung) Gegenstand Erscheinung.
    "Das transzendentale Objekt, welches den äußeren Erscheinungen, wie auch das, was der inneren Anschauung zugrunde liegt, ist weder Materie noch ein denkendes Wesen ansich: sondern ein uns unbekannter Grund der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten wie auch der zweiten Art (Wesen) an die Hand geben." (41)
Daher ist es möglich, daß derselbe Gegenstand, welcher Träger äußerer, räumlicher Erscheinungen ist, auch der Träger der Phänomene des Bewußtseins ist (42) -, ein Gedanke KANTs, der seither immer mehr nach wissenschaftlicher Durchbildung ringt. SCHOPENHAUER hat übersehen, daß der vierte Paralogismus die Widerlegung der Idealität des äußeren Verhältnisses, also die Widerlegung des skeptischen Idealismus, des Zweifels an der Wirklichkeit der Dinge enthält, und daß diese Widerlegung aufgrund der Idealität aller Erscheinungen und mit denselben Argumenten erfolgt, die in der von ihm so bitter getadelten "Widerlegung des Idealismus" (der zweiten Auflage) gebraucht werden. Es wird an beiden Orten gezeigt, daß äußere Wahrnehmungen so gut das Dasein wirklicher Dinge beweisen, wie die Selbsterfassung, die eigene Existenz beweist. Beide Bearbeitungen des Paralogismus lehren die Wirklichkeit der äußeren Wahrnehmung, die unmittelbare Gewißheit der Existenz der Dinge; beide, obgleich die spätere bestimmter, die Zusammengehörigkeit der äußeren und inneren Erfahrung im Gegensatz zur idealistischen Lehre der Abhängigkeit jener von dieser. Weil alle Wahrnehmungen die inneren, wie die äußeren bloß unserer Sinnlichkeit anhängen; so beweist die äußere Wahrnehmung ebenso zweifellos und direkt wie die innere das Dasein der Dinge. Denn daran, daß die innere meine Existenz und nicht bloß den Schein meiner Existenz beweist, ist kein Zweifel. Nur der Bewohner Bedlams [englische Irrenanstalt - wp] hält sich für den "Niemand". Die Idealität aller Erscheinungen hebt die falsche Bedenklichkeit des psychologischen Subjektivismus auf. Der Gedankengang KANTs in der Widerlegung des Idealismus ist dieser: Das Außer uns sein hat eine doppelte Bedeutung. Es bedeutet die von uns unabhängige und unterschiedene Existenz der Dinge-ansih und dasjenige, was zur äußeren Erscheinung der Dinge gehört: ihre Vorstellung im Raum. Die psychologische Frage nach der Realität bezieht sich nicht direkt auf die Existenz, sondern auf die Vorstellung der Existenz. Ist diese Vorstellung wirklich oder eingebildet, hat sie reale oder ausschließlich subjektive Bedeutung? Nun stellt die Wahrnehmung ohne Zweifel etwas Wirkliches im Raum dar. Das Reale der Anschauung, ausgedrückt in der Bestimmtheit unserer Vorstellung, "kann man a priori nicht erdenken, und ohne Wirkliches würde gar nichts, auch keine Erscheinung vorgestellt". Zwar ist der Raum und sind folglich die räumlichen Vorstellungen in uns, als unsere Vorstellungsart und deren Bestimmungen. Aber eben deshalb beweist die äußere Wahrnehmung unmittelbar eine Wirklichkeit im Raum. Wären nämlich äußere Gegenstände (in dieser ihrer Qualität als äußere) nicht Erscheinungen, wäre der Raum keine Vorstellungsform der Dinge, so würde "es schlechterdings unmöglich sein zu begreifen", wie wir zur Erkenntnis der Wirklichkeit der Dinge gelangen. Nur dann ist diese Wirklichkeit nicht nur zu begreifen, sondern unmittelbar gegeben, wenn räumliche Vorstellungen Erscheinungen der Dinge sind, wenn das Außer uns sein im räumlichen Sinn zur Form ihrer Erscheinung in uns gehört, weil wir ja nicht im eigentlichen Sinn außerhalb von uns empfinden können.

Die Idealität der Raumform ist das einzige Mittel, die Realität von uns unterschiedener Dinge zu beweisen.
    "Denn wenn man den Raum und die Zeit als Beschaffenheiten ansieht, die ihrer Möglichkeit nach in den Sachen ansich angetroffen werden müßten und überdenkt die Ungereimtheiten, in die man sich alsdann verwickelt, indem zwei unendliche Dinge, die nicht Substanzen, auch nicht etwas wirklich den Substanzen Inhärierendes, dennoch aber Existierendes, ja die notwendige Bedingung der Existenz aller Dinge sein müssen, auch übrig bleiben, wenngleich alle existierenden Dinge aufgehoben werden, so kann man es dem guten Berkeley wohl nicht verdenken, wenn er die Körper zu einem bloßen Schein herabsetzt, ja es müßte sogar unsere Existenz, die auf solche Art von der für sich bestehenden Realität eines Undings, wie die Zeit, abhängig gemacht wäre, mit dieser in lauter Schein verwandelt werden; eine Ungereimtheit, die sich bisher noch Niemand hat zu Schulden kommen lassen." (43)
Wie hat KANT das "Ding ansich" aus der Erscheinung, deren Begriff wir festgestellt haben, abgeleitet? - Obgleich die bisherige Auseinandersetzung die Beantwortung dieser Frage eingeschlossen enthält, so sei mir erlaubt, noch ihre klare Erörterung durch SCHOPENHAUER aus seiner späteren, der Anerkennng der Wirklichkeit sich zuneigenden Periode herzusetzen, und an dies die eigenen Bemerkungen zu knüpfen.
    "Eine strenge Ableitung des Dings-ansich hat Kant nie gegeben, vielmehr hat er dasselbe von seinen Vorgängern, namentlich Locke, übernommen und als etwas, an dessen Dasein nicht zu zweifeln ist, indem es sich eigentlich von selbst versteht, beibehalten; ja, er durfte dies gewissermaßen. Nach Kants Entdeckungen nämlich enthält unsere empirische Erkenntnis ein Element, welches nachweisbar subjektiven Ursprungs ist und ein anderes, von dem dies nicht gilt; dieses letztere bleibt also objektiv, weil kein Grund ist, es für subjektiv zu halten. Demgemäß leugnet Kants transzendentaler Idealismus das objektive Wesen der Dinge, oder die von unserer Auffassung unabhängige Realität derselben zwar soweit, als das a priori in unserer Erkenntnis sich erstreckt; jedoch nicht weiter; weil eben der Grund zum Ableugnen nicht weiter reicht: was darüber hinaus liegt, läßt er demnach bestehen, also alle solche Eigenschaften der Dinge, welche sich nicht a priori konstruieren lassen. Denn keineswegs ist das ganze Wesen der gegebenen Erscheinungen, d. h. der Körperwelt, von uns a priori bestimmbar, sondern bloß die allgemeine Form ihrer Erscheinung ist es. Das durch alle jene a priori vorhandenen Formen unbestimmt Gelassene, also das hinsichtlich auf sie Zufällige ist eben die Manifestation des Dings ansich. Nun kann der empirische Gehalt der Erscheinungen, d. h. jede nähere Bestimmung derselben nicht anders als a posteriori [im Nachhinein - wp] erkannt werden: diese empirischen Eigenschaften verbleiben sonach dem Ding-ansich, als Äußerungen seines selbsteigenen Wesens durch das Medium all jener apriorischen Formen hindurch. Dieses Aposteriori, welches, bei jeder Erscheinung, in das Apriori gleichsam eingehüllt, auftritt, ... ist demnach der Stoff der Erscheinungswelt im Gegensatz zu ihrer Form. Da nun dieser Stoff keineswegs aus den von Kant so sorgfältig nachgesuchten ... Formen der Erscheinung abzuleiten ist, vielmehr nach Abzug alles aus diesen fließenden noch übrig bleibt ... dabei aber auch andererseits keineswegs von der Willkür des erkennenden Subjekts ausgeht, vielmehr dieser oft entgegensteht; so nahm Kant keinen Anstand, diesen Stoff der Erscheinungen dem Ding-ansich zu lassen. ... Da wir nun aber solche allein a posteriori erkennbare Eigenschaften durchaus nicht isolieren und von den a priori gewissen getrennt ... auffassen können ..., so lehrt Kant, daß wir zwar das Dasein der Dinge-ansich, aber nichts darüber hinaus erkennen. ... Höchstens läßt sich noch sagen: da jene apriorischen Formen allen Dingen, als Erscheinungen ohne Unterschied zukommen, ... die Dinge aber doch bedeutende Unterschiede aufweisen; so ist das, was diese Unterschiede, also die spezifische Verschiedenheit der Dinge bestimmt, das Ding-ansich." (44)
Obiges "höchstens" kennzeichnet den Philosophen der apriorischen Schule; denn was mit diesem Ausdruck der Geringschätzung gemeint ist - stellt sich näher besehen, als der gesamte Stoff der positiven Wissenschaften heraus.

Die Sache so angesehen, fährt SCHOPENHAUER fort, scheint KANTs Annahme und Voraussetzung der Dinge-ansich, ungeachtet der Subjektivität der Erkenntnisformen, ganz wohl befugt und gegründet. Dennoch erklärt sich SCHOPENHAUER sogleich darauf gegen die Voraussetzung KANTs und zwar aus dem Grund, weil eine nähere Prüfung des Gehaltes aller Erscheinungen ergibt, daß derselbe in unserer eigenen Sinnesempfindung besteht, welche durch "die Verstandesfunktion der Kausalität" in Vorstellungen von Dingen umgesetzt wird. Nun sieht aber jeder, der nicht von der vorgefaßten Meinung des Subjektivismus eingenommen ist, sofort, daß genau dieselbe Argumentation auch für die Empfindung gilt. Die Subjektivität der Empfindung betrifft einzig und allein ihre Beschaffenheit, ja genauer zu reden gar nur das Gefühl, das jede Empfindung begleitet. Aus dieser in uns liegenden Möglichkeit in einer gewissen, durch die Natur unserer Sinnlichkeit gegebenen Beschaffenheit erregt zu werden, folgt weder die bestimmte Intensität, der Grad der wirklichen Empfindung, noch das Eintreten gerade dieser bestimmten Modifikation unserer Sinnlichkeit. Es folgt a priori aus der Beschaffenheit der Empfindung nicht, wie stark ich in diesem Augenblick empfinde und daß ich hier rot, dort blau empfinde. Die Bestimmung dieser a priori unbestimmt gelassenen Möglichkeiten weist ebenso zweifellos und noch direkter auf Existenzen hin, die von unserem eigenen subjektiven Dasein unterschieden sind, wie die Bestimmung der Erkenntnisformen. Die Bestimmtheit des Grades und der Qualität sind objektive Elemente in der Empfindung, Bestandteile der Erscheinung, d. h. der Wirkung der Dinge auf uns - und der obige Beweisgang ist folglich richtig, ja unvermeidlich auch von der Empfindung. KANT wußte übrigens wohl und bemerkte es, daß die Empfindung die Materie unserer Anschauung bildet, welche der Materie der Erscheinung bloß korrespondiert.

Es ist von Wichtigkeit, daß SCHOPENHAUER der Meinung, die er selber früher geteilt hatte, entgegentritt, KANT habe die Existenz der Dinge ansich durch einen Kausalitätsschluß abgeleitet. Ich kann übrigens auch bei dieser Meinung den Widerspruch, in den sich die vermeintliche Ableitung mit der Lehre von der ausschließlich phänomenalen Gültigkeit des Grundsatzes der Kausalität verwickelt haben soll, nicht finden. KANT unterscheidet bestimmt den Grundsatz der Kausalität vom Kausalitätsbegriff, und schränkt nur den ersteren auf Erscheinungen ein. Das Gesetz der Kausalität ist die Anwendung des Begriffs der Kausalität auf die Zeitfolge und daher soweit von nur phänomenaler Bedeutung. Der Begriff bleibt auch ohne die Beziehung auf die Zeit gültig, obgleich er dann unbestimmt wird. Er eignet sich dann nur mehr zum Denken, zwar zum gültigen Denken der Dinge, aber nicht mehr zu ihrer Anschauung. Die Erkenntnis also durch den bloßen Begriff ist unvollständig, aber sie ist nicht unrichtig.
    "Der Begriff der Kausalität kann auf Gegenstände angewandt werden, sie mögen sinnlich oder nicht sinnlich gegeben werden, wie wohl er im letzteren Fall keine bestimmte, theoretische Bedeutung hat, sondern bloß ein formaler, aber doch wesentlicher Gedanke von einem Objekt überhaupt ist. - Wenn etwas (zur bestimmten Erkenntnis) noch fehlt, so ist es die Bedingung der Anwendung der Kategorien und namentlich der der Kausalität auf Gegenstände, nämlich die Anschauung, ... indessen doch immer die objektive Realität des Begriffs bleibt und dieser auch von Noumenen gebraucht werden kann ... die reinen Begriffe können auf Dinge, als reine Verstandeswesen allerdings angewandt werden." (45)

    "Es ist sehr wohl möglich, sich der Kategorien nicht bloß in Anbetracht der Gegenstände der Sinne, sondern für Dinge überhaupt zu bedienen, aber nur für etwas, was wir sonst nicht erkennen, als nur, daß es nicht Erscheinung ist." (bei Erdmann, Reflex. 1386)
Durch eine Unterscheidung des Begriffs vom Grundsatz der Kausalität kann der beständig wiederholte Einwurf JACOBIs entkräftet werden.

Indessen hat KANT die Dinge-ansich nicht auf diesem Weg ermittelt. Er hat sie überhaupt nicht erschlossen, wie SCHOPENHAUER richtig gesehen hat. Zwar läßt er das sinnliche Bewußtsein von Gegenständen "affiziert" werden und durch unsere Vernunft, als Wille, kausal sein, er bezeichnet die Dinge als Grund der Erscheinungen und nennt sie auch die "bestimmenden Ursachen der Erscheinungen", wie er überhaupt die Ursachen der Erscheinungen von den Ursachen in der Erscheinung unterscheidet; kurz: er schreibt den Dingen-ansich und der Vernunft Kausalität zu, er lehrt nur, daß nicht diese Kausalität selbst, sndern die Analogie von ihr in der Zeitfolge der Erscheinungen bestimmt erkennbar ist. Aber der Nachweis der Existenz der Dinge liegt in diesen Erklärungen nicht, vielmehr ihre Voraussetzung. Die Anerkennung der Dinge ergab sich für KANT aus der Analyse der Vorstellungen und der Prüfung der Beschaffenheit der Vorstellungselemente. Der kritische Beweisgang trifft zunächst nicht auf die Frage der Existenz der Dinge. Die Aufgabe der Kritik ist nicht der Beweis des Daseins, sondern der Erkennbarkeit der Dinge und zwar ihrer Erkennbarkeit a priori, aus bloßen Begriffen. Dabei bleibt vorerst auch die empirische Erkenntnis aus dem Spiel, - obgleich diese notwendig mit der Begründung der apriorischen, von welcher sie ja umfaßt wird, mit begründet werden mußte. Wir haben demnach nicht zu fragen: hat die Kritik die Existenz von Dingen bewiesen? Vielmehr haben wir zu fragen: wird durch die Ergebnisse der Kritik die Existenz der Dinge zweifelhaft oder gar widerlegt? Und die Entscheidung dieser Frage kann nicht schwer fallen. Dadurch, daß bewiesen wird, die Erkenntnisformen, sowohl die des Anschauens als des Denkens, entspringen im Subjekt, ist nicht bewiesen, daß auch der Erkenntnisinhalt seinen Ursprung vom Subjekt nimmt. Im Gegenteil; wenn bewiesen werden kann, daß das Wissen a priori, das dem Subjekt entstammende Wissen, nur die Form des Erkennens betrifft, so ist damit allein schon bewiesen, daß der Inhalt des Erkennens von einer Existenz herrühren muß, die von derjenigen des Subjekts verschieden und unabhängig ist. Nun führt die Kritik in der Tat diesen Beweis, sie zeigt, daß wir nur formale Erkenntnis a priori aus uns erzeugen; also beweist sie unter einem die unabhängige, von uns unterschiedene Existenz der Dinge. Außer aus diesem allgemeinen Grund, der, wie gesagt, für sich genügte, das Dasein der Dinge nachzuweisen, ergibt sich dasselbe noch aus einer näheren Betrachtung der Beschaffenheit der Erkenntnisformen. Die Anschauungsformen sind rezeptiv, nicht produktiv. Raum und Zeit können von den sinnlichen Eindrücken, deren Vereinigungsform sie sind, nicht getrennt werden; die reine Anschauung ist Form der empirischen. Durch die logische Bestimmung des Raumschemas schaffen wir keinen physischen Körper, so wenig wir aus dem bloßen Schema des Raums die gegebene Gestalt eines Dings begreifen können. Und gleiches gilt von der Zeit und den in ihr erscheinenden bestimmten Perioden der Vorgänge. Die Rezeptivität, die der Empfindung und der formalen Verknüpfung der Empfindungen wesentlich ist, bezeugt das Dasein der Dinge selbst. Die Analyse der sinnlichen Vorstellungen führt folglich zum Ergebnis, daß Dinge sind.

Das "Ding-ansich" bezeichnet KANT als Grund der Erscheinung. Dieser Ausdruck bedeutet zugleich die Bestimmtheit des Daseins und die Unbestimmtheit unserer Erkenntnis der Dinge selbst. Um das der Erscheinung zugrunde Liegende als Ursache zu erkennen, müßte es seiner Erscheinung in der Zeit vorangehen; um es als Substanz vorstellen zu können, müßte es im Raum zu beobachten sein. Aber das Ding selbst geht nicht seiner Erscheinung der Zeit nach voran und im Raum sind seine Wirkungen, nicht es selbst anzutreffen. So erklärt sich die Bezeichnung des Dings als des Grundes der Phänomene. Die Frage, welche KANT zunächst nur in "Absicht auf eine transzendentale Theologie" aufwirft: "ob es etwas von der Welt Unterschiedenes gibt, was den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhangs nach allgemeinen Gesetzen enthält?" ist allgemein zu stellen. Und die Antwort lautet:
    "ohne Zweifel; denn die Welt ist eine Summe von Erscheinungen, es muß also irgendein transzendentaler, d. h. bloß dem reinen Verstand denkbarer Grund derselben sein."
Wenn wir aber nun weiter fragen: ist dieses Wesen Substanz, von der größten Realität, notwendig usw., so ist die Antwort: daß diese Frage deshalb keine bestimmte Bedeutung hat, weil die Kategorien, durch die wir uns einen Begriff von einem solchen Gegenstand zu machen versuchten, von keinem anderen bestimmten Gebrauch sind, als dem empirischen, der auf Erscheinungen, aber nicht auf den Grund der Erscheinungen geht. Was ist die Realität, losgelöst von der Empfindung, der Wirkung des Dinges? Was die Substanz ohne Bezug auf Zeit und Raum, was die Kausalität, getrennt von der Zeitfolge der Veränderung, was bedeutet Notwendigkeit außer der kausalen Abfolge der Erscheinungen? Es sind für uns Formen des Wissens, keine Erkenntnisse, Funktionen zu möglichen Erkenntnissen, noch nicht diese selbst. Über die Erfahrung hinaus gibt es keine positive Erkenntnis, d. h. mit Anschauung verbundene Begriffe. Daher es heißt: darüber hinaus lassen sich die Grundsätze der Erfahrung nicht beweisen, was nicht gleichbedeutend ist mit der ebenfalls unbeweisbaren Behauptung, daß sie nicht darüber hinaus gelten können. Das logische Wissen allein reicht nur zur positiven Grenze der Erscheinungen, ohne darüber hinaus einen Gegenstand bestimmen zu können. Das Ding-ansich ist der diesseits der Anschauung liegende, nicht anschaulich vorstellbare, sondern nur denknotwendige Grund der Erscheinung. Es ist notwendig, Dinge selbst zu denken, - die empirischen Anschauungen sind real begründet; aber es ist unmöglich, das Erkennen über die Anschauung der Dinge hinaus zu erweitern, denn jede synthetische Erkenntnis ist eine Begriffsverbindung durch Anschauung.

Aus unserer Erörterung der methodischen Begriffe der Erscheinung und ihres Korrelates, des Dings-ansich, hat sich ergeben, daß KANT das Dasein der Dinge auf das Unzweideutigste lehrte, und zwar nicht bloß, weil es an einem Grund fehlte, dasselbe aufzuheben, sondern, weil durch die Untersuchung des apriorischen Wissens und seiner Beschaffenheit sich das Dasein der Dinge als gegründet herausgestellt hat. Wir fanden also: daß die Lehre KANTs in Bezug auf die Frage der Existenz der Dinge positiv und entscheidend ist, daß der Subjektivismus von KANT niemals auf das Sein selbst ausgedehnt wurde, oder daß, um die öfters gebrauchte Formel zu wiederholen, die Idealität der Anschauungsformen die Realität der Dinge nicht ausschließt, sondern begründet. Daß vom Standpunkt des kantischen "Idealismus" aus das "Ding-ansich" ein "Unding" ist, ist für JACOBI, MAIMON, AENESIDEMUS SCHULZE nichts weniger als erwiesen, es ist nur aus einem Mißverständnis des Idealismus KANTs behauptet worden. Übrigens sollte man endlich aufhören von einem "Ding ansich" zu reden, das "Ding-ansich" ist bei KANT überall nichts weiteres als der Begriff "der Dinge ansich", der bestimmenden Gründe der Erscheinungen.

Hat aber nicht KANT selbst das Noumenon nur in einem negativen Sinn zugelassen, es als bloßen Grenzbegriff betrachtet, in seiner positiven Bedeutung dagegen - zumindest in der theoretischen Philosophie - für problematisch erklärt? Spricht er nicht selber unumwunden aus:
    "die Einteilung der Gegenstände in Phänomena und Noumena kann gar nicht zugelassen werden, - sondern nur die Einteilung der Begriffe in sinnliche und intellektuelle?"
Es scheint demnach, wir seien hier entweder auf eine Unvereinbarkeit der Vorstellungen KANTs unter sich gestoßen, oder wir haben es mit einer subjektiven Unvereinbarkeit unserer Auffassung mit seiner Lehre zu tun. Ich behaupte jedoch, das Noumenon und das Ding-ansich sind gar nicht gleichbedeutend; jenes ist eine nähere Bestimmung des anderen, eine Bestimmung, welche lediglich im Ausblick auf die praktische Philosophe zum Begriff des Dings-ansich hinzugefügt wurde. KANT nennt nämlich das Noumenon sowohl das, was nicht Gegenstand, sondern Korrelat der sinnlichen Anschauung, also ein "Ding-ansich" ist, als auch das, was Gegenstand einer nichtsinnlichen Anschauung ist; unterscheidet aber die erstere Bedeutung des Wortes als "Noumenon" im negativen" von der zweiten als Noumenon im "positiven Sinn" und definiert das letztere als Gegenstand des Verstandes, der gleichwohl einer anderen Anschauung gegeben werden könnte, als es unsere sinnliche ist, als Gegenstand coram intuitu intellectuali [vor der intellektuellen Intuition - wp]. Diesen Begriff allein erklärt KANT für problematisch, weil ein anschauender Verstand, das subjektive Korrelat desselben, selbst nur ein "Problem" ist. Die Konzeption seiner Vorstellung enthält zwar keinen Widerspruch, weil wir nicht beweisen können, daß unsere Form anzuschauen die einzige Anschauungsart ist. Aber sie ist leer, weil das Gegenteil ebenso unbeweisbar ist. Es scheint, daß der Grund unserer sinnlichen Vorstellungen, eben weil er selbst nicht angeschaut werden kann, möglicherweise den Gegenstand einer anderen, irgendwie beschaffenen Anschauungsart bilden kann. Aber es scheint dies auch nur. Durch die Theorie von Raum und Zeit als subjektiven Vorstellungsformen der Dinge wird diese Annahme keineswegs bewiesen, nicht einmal wahrscheinlich gemacht, sondern bloß ermöglicht. Wenn wir also schließen, daß die Dinge selbst, deren Erscheinungen wir erkennen, und vielleicht noch andere unseren Sinnen entzogene Dinge, die Objekte einer "außerordentlichen Erkenntnis", eines Verstandes, der ohne Sinne anschaut, abgeben mögen; so ist dieser Gedanke ein bloßes Spiel mit Möglichkeiten. Er ist ein leerer Gedanke, ohne alle Bedeutung für das theoretische Erkennen.
    "Wenn wir jedoch unter Noumenon bloß ein Ding verstehen, sofern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer sinnlichen Anschauungsart abstrahieren",
so wird sein Begriff nur negativ bestimmt, es ist ein Noumenon "im negativen Verstand". Und die Gültigkeit dieses Begriffs, die Realität seiner Gegenstände, der "Dinge-ansich", folgt aus der kritischen Raum- und Zeitlehre.
    "Die Lehre von der Sinnlichkeit ist zugleich die Lehre von den Noumenen im negativen Verstand, d. h. von Dingen, die der Verstand sich ohne Beziehung auf unsere Anschauungsart folglich nicht als Erscheinungen denken muß, wenn er sie auch in dieser Absonderung nicht erkennt."
Das heißt: die transzendentale Ästhetik lehrt, das Ding selbst als ansich frei von den Vorstellungsformen der sinnlichen Anschauung zu denken, es in Abstraktion von diesen Formen zu denken. Sie negiert nicht sein Dasein, sie leugnet nur, daß ihm, dem Ding, ansich Raum und Zeit zukommen. Die Negation, die sie notwendig macht, bezieht sich auch die nur subjektive Form der Auffassung, nicht auf die Existenz. Betrachten wir dagegen das Noumenon als das Objekt einer übersinnlichen Anschauung, so wird seine Bedeutung positiv. Und diese Bedeutung ist durch nichts zu beweisen. Wie, wenn die menschliche Anschauungsart die einzige, oder wenn zumindest die sinnliche, auf Empfänglichkeit des Subjekts beruhende Anschauung die allein mögliche wäre - und wir haben keinen Grund, das Gegenteil zu behaupten -, so wäre das Noumenon niemals Gegenstand einer Anschauung, es würde nie eine positive Bedeutung haben, die Bedeutung eines Objekts für eine intellektuelle Anschauung. Also
    "korrespondieren den Sinnenwesen (Erscheinungen) zwar freilich Verstandeswesen (Noumena im negativen Verstand oder Dinge-ansich); auch mag es Verstandeswesen geben, auf welche unser sinnliches Anschauungsvermögen gar keine Beziehung hat (Noumena in positiver Bedeutung), aber unsere Begriffe reichen nicht auf diese hinaus",
(sondern nur auf Dinge als Grund unserer sinnlichen Vorstellungen). Man kann den Gegenstand selbst von seiner sinnlichen Erscheinung nicht "absondern". Die reinen Denkbegriffe mögen also immerhin auf andere Gegenstände, als diejenigen, welche die Erscheinungen der sinnlichen Vorstellung begründen, sich zu beziehen scheinen; so erweitern sie dadurch doch nicht positiv den Umkreis der Dinge, - sie stellen dadurch allein kein "besonderes" Objekt vor. Ihr Gebrauch ist folglich auf Gegenstände, die den Sinnen gegeben werden, auf Dinge der Erfahrung eingeschränkt.

An einer Stelle der "Kritik der Urteilskraft" hat KANT die ganze Konzeption einer anderen, etwa intellektuellen Anschauungsart, als es die unsere ist, als bloßen Hilfsbegriff bezeichnet, um die Abhängigkeit der Vorstellung der Ding von den im Subjekt entspringenden Formen des Anschauens deutlich zu machen (46). So erfaßt, hat dieser Gedanke einen guten Sinn; er dient in der Tat, wie der Durchgang durchs Imaginäre, die Lehre von der Anschauung als Erscheinung der Dinge augenscheinlich zu machen. Nun ist die Möglichkeit einer übersinnlichen Welt von diesem, allein zu methodischen Zwecken brauchbaren Begriffe abhängig. Nur in der praktischen Philosophie hat KANT von dieser Möglichkeit einen positiven Gebrauch gemacht. Im Übersinnlichen sollen nach ihm zwar nicht die Beweggründe, aber doch die Ziele des sittlichen Lebens liegen. Und diese von vornherein wirksame Absicht auf einen transzendenten Abschluß der Moralphilosophie hat den Begriff des "Dings-ansich" zweideutig gemacht, sie hat die Möglichkeit offen gelassen, daß die Dinge ansich Noumena in einem positiven Verstand sein könnten. Dadurch kam in die ganze, theoretisch so zweifellos richtige, und selbst unvermeidliche Konzeption ein dieser selbst fremder Zug hinein. Wird die Sinnlichkeit als die einzige Anschauungsart erklärt, so ist die Einzigkeit der Wirklichkeit die Folge. Theoretisch läßt sich, wie KANT selbst zugibt, das Gegenteil nicht erweisen (47) und nur praktisch soll es postuliert werden müssen. KANT gebrauchte also die Vorstellung des übersinnlichen Dings zur Beschränkung des sinnlichen, empirischen Verstandes. Der Gedanke des Noumenon soll die Anmaßung, mit der die sinnliche Erkenntnis sich über alle Dinge überhaupt auszudehnen strebt, in ihre Schranken weisen. Jener Begriff soll "unentbehrlich" sein, um die empirischen Grundsätze (z. b. den der Beharrlichkeit der Substanz mit seinen Konsequenzen) einzuschränken. Die Absicht KANTs, "das Wissen aufzuheben, um dem Glauben Platz zu machen", die wir übrigens billig, d. h. historisch beurteilen wollen, darf nicht aus den Augen gelassen werden, namentlich, wo es auf das Verständnis der "Dialektik" ankommt. Es handelt sich übrigens dabei nur um das Wissen von übersinnlichen Dingen und um den Glauben an diese Dinge.

Durch die Doppelseitigkeit des Begriffs der Dinge-ansich kam in diesen Begriff eine theoretisch durch Nichts zu begründende Wertvorstellung hinein. Die Dinge schienen danach etwas Höheres, Vollendeteres zu sein, als das menschliche Bewußtsein, das sie begreift. Sie konnten ja vielleicht Dinge einer höheren Welt sein. - Wir machen jedoch auf diesen Punkt nur aufmerksam, um ihn in einem späteren Teil dieser Schrift zu beleuchten.

LITERATUR - Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus - Geschichte und System, Bd. 1, Leipzig 1908
    Anmerkungen
    37) II, 190.
    38) II, 718.
    39) ebenda.
    40) II, 298.
    41) II, 303.
    42) II, 289 ... folglich kann ich annehmen, daß der Substanz, der in Anbetracht unseres äußeren Sinnes eine Ausdehnung zukommt, ansich Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit Bewußtsein vorgestellt werden können. Auf solche Weise würde eben dasselbe, was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer anderen zugleich ein denkendes Wesen sein, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der Erscheinung anschauen können. Dadurch würde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) denken; es würde vielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen denken, d. h. eben dasselbe, was als äußere Erscheinung ausgedehnt ist, innerlich ein Subjekt ist, das denkt.
    43) II, 719.
    44) Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. 1 (zweite Auflage), Seite 99.
    45) VIII, 157. 170-174.
    46) IV, 296
    47) I, 561.