von AsterF. SchumannA. DöringAugustinusP. Kannengiesser | ||||
Über die Idealität von Raum und Zeit
Einleitung Was ich als den Grundgedanken der transzendentalen Ästhetik ansehe, ist bald gesagt. Ich erblicke ihn in der immer aufs Neue mit der größten Energie betonten Behauptung, daß Raum und Zeit bloße Vorstellungsformen sind, die als solche keine selbständige "ansich" reale Existenz besitzen, sondern nur in der Wahrnehmung und nur für diese als gegebene Realitäten erscheinen. Diesen Grundgedanken nun aus der Verbindung mit jenen widerspruchsvollen Elementen, in der er bei KANT auftritt, zu befreien und hierdurch sowie durch eine entschiedene Zurückweisung des extremen Idealismus den Wert und die wissenschaftliche Bedeutung eines gemäßigten Idealismus möglichst nach allen Seiten hin in ein helles Licht zu stellen: das ist die Aufgabe, deren Lösung sich die vorliegende Arbeit gestellt hat. Sie wird zu diesem Zweck
2) den Unterschied, der zwishen der gemäßigt-idealistischen Anschauungsweise und dem Transzendental-Idealisms der Vernunftkritik in diesem Punkt besteht, hervorheben und kritisch beleuchten; und sie wird schließlich 3) die direkte Beweisführung der beiden ersten Abschnitte durch eine indirekte ergänzen, indem sie mit Bezug auf die Antinomienlehre Kants darzutun versuchen wird, daß nicht nur der extreme, sondern auch der gemäßigte Idealismus uns einen Schlüssel zur Lösung gewisser Probleme bietet, die vom Standpunkt des unkritischen Realismus als durchaus unlösbare angesehen werden müssen. Über die Natur des Raumes und der Zeit Die Frage nach der Natur des Raumes und der Zeit zu beantworten erscheint auf den ersten Blick nicht schwer. Denn Jedermann ist sich bewußt, daß er ganz genau weiß, was er meint, wenn er vom Raum spricht, und Niemand scheint im Unklaren über das, was er sich unter Raum und Zeit vorzustellen hat und was er, wie jeder Mensch von gesundem Sinn unter beiden Ausdrücken versteht. Dennoch stellen sich einer genauen Begriffserklärung beider sehr große Schwierigkeiten entgegen, wovon sich Jeder leicht überzeugen kann, der eine solche in klaren, bestimmten Worten zu geben sich bemüht. Auch KANT wußte seinem Problem, wie es scheint, nicht direkt beizukommen; er näherte sich vielmehr, wie die Ausführungen der transzendentalen Ästhetik beweisen, indirekt und auf Umwegen seinem Ziel. So legte er sich zunächst die Frage vor, welcher Klasse unserer Vorstellungen die Raumvorstellung beizuzählen ist? ob den Einzelvorstellungen von wirklichen, uns durch sinnliche Wahrnehmung gegebenen Dingen, oder den eine Vielheit jener zu einer bloß gedachten Einheit zusammenfassenden erst durch Abstraktion aus der Erfahrung gewonnenen allgemeinen Begriffen? Die Antwort auf den zweiten Teil dieser Frage schien nicht zweifelhaft zu sein, denn die Raumvorstellung, die wir uns unwillkürlich bilden, ist, wie Jeder sich beim geringsten Nachdenken leicht überzeugt, sicherlich alles andere eher als ein allgemeiner aus der Erfahrung, d. h. aus der Wahrnehmung einer Vielheit gegebener Einzelräume erst nachträglich abgezogener Begriff. Dies erhellt sich, wie KANT sehr richtig bemerkt, schon daraus, daß wir den Raum als ein objektiv und faktisch außerhalb von uns Gegebenes vorstellen, als eine konkrete reale Einheit, die alle einzelnen begrenzten Räume nicht etwa bloß (wie der Gattungsbegriff die Individuen) unter sich enthält, sondern sie samt allen ausgedehnten Dingen faktisch in sich faßt und umschließt: denn alle einzelnen Räume sind für uns nur umgrenzte Teile des einigen, grenzenlosen Raums, die nur in ihm möglich sind, und wir denken sie alle realiter in ihm enthalten. Dies wird noch einleuchtender, wenn wir uns klar machen, daß die räumliche Anschauung die Vorstellung eines von unserem eigenen Selbst zu unterscheidenden außer uns Befindlichen und damit alle äußere Erfahrung überhaupt erst möglich macht, mithin dieser bereits zugrunde liegt und nicht erst nachträglich durch Abstraktion aus ihr gewonnen sein kann. Es schien also nur übrig zu bleiben, die Raumvorstellung unter die anschaulichen Einzelvorstellungen einzureihen, d. h. unter die Vorstellungen von konkreten "Dingen" oder, was dasselbe ist, von realiter gegebenen Größen. Sobald man dies aber versucht, ergibt sich eine neue Schwierigkeit. Die Raumanschauung ist nämlich von den übrigen anschaulichen Vorstellungen toto genere [völlig - wp] verschieden und läßt sich mit keiner derselben vergleichen. Denn die letzteren sind alle ihrer Totalität nach gegebene und folglich begrenzte Größen, der Raum aber wird als eine unendliche in keiner Wahrnehmung jemals ihrer Totalität nach zu gebende Größe gedacht. Außerdem erscheint er als die conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] aller übrigen, als dasjenige, welches sie für die Wahrnehmung alle begrenzt und umschließt, und dabei doch zugleich als ein Etwas, das im Vergleich zu jenen eine bloß negative Realität besitzt, das nur um ihretwillen da zu sein scheint und, wenn man sie fortdenkt, sogleich alle Bedeutung verliert. Als was soll man nun den Gegenstand dieser widerspruchsvollen Vorstellung denken, als was dieses Etwas, das die realen, ausgedehnten Dinge allererst möglich macht, und das doch, wenn man von ihnen abstrahiert, als bloßes Nichts erscheint, betrachten? Für KANT lösten sich alle diese Schwierigkeiten und Bedenken mit einem Schlag durch die Erkenntnis, daß der Raum eine bloße Vorstellungsform ist, nämlich die Form der sinnlichen Kollektivvorstellungen, die man mit ihm ganz allgemein Anschauungen nennen kann und deren charakteristisches Merkmal es ist, daß wir mit ihrer Hilfe eine Vielheit beharrlicher Realitäten als zugleich existierende und insofern trotz ihrer Beharrlichkeit ihrem Dasein nach begrenzte, d. h. nur beschränkt reale erkennen. Man kann aus diesem Grund den Raum, der die Form dieser Vorstellungen ist, auch als Form der Wahrnehmung des begrenzten beharrlichen Seins oder auch des Zusammenseins (der Koexistenz einer Vielheit beharrlicher Realitäten bezeichnen. Zweierlei ist hierdurch ausgesprochen:
2) daß, wenn ein begrenztes, beharrliches Sein als solches von uns überhaupt vorgestellt werden soll, dies stets nur mit Hilfe der Raumanschauung, d. h. nur dadurch, daß wir den Raum mit vorstellen oder, was dasselbe ist, die einzelnen beharrlichen Realen in den Raum versetzen, geschehen kann. KANT selbst scheint sich diesen Fragen gegenüber bei dem allgemeinen Gedanken beruhigt zu haben, daß beide Tatsachen in der eigentümlichen Natur oder Organisation unseres Vorstellungsvermögens begründet sind und daß deshalb eine genauere Erklärung derselben weder gegeben zu werden braucht noch gegeben werden kann. Infolgedessen gelangte er dann auch nicht dazu, die eigentümliche Zwitternatur des Raumes, das Faktum, daß er in der Anschauung trotz seiner Idealität als ein realiter ohne uns Gegebenes erscheint, sich selbst und Andern begreiflich zu machen; solange dies aber nicht geschieht, wird auch die Lehre von der Idealität des Raumes nie allgemeinen Eingang finden, nie wirklich einleuchtend und plausibel erscheinen, weil man sich so lange nichts Klares bei derselben denken, sich nichts Bestimmtes unter dem "bloß idealen" Raum vorstellen kann. Es ist aber meines Erachtens sehr wohl möglich, sich klar zu machen, daß und warum mit Notwendigkeit das Phänomen der räumlichen Ausdehnung und mit ihm zugleich die Vorstellung eines realiter außerhalb von uns existierenden Raumes entsteht, sobald eine Vielheit zugleich gegebener, beharrlicher Realitäten als solche und deshalb zusammen vorgestellt werden soll. Denn es leuchtet ein, daß, weil jede Vorstellung als solche ein Einheitliches ist, ein gegebenes Mannigfaltiges nur dann als solches erkannt, d. h. als Vielheit in die Einheit einer Vorstellung aufgenommen werden kann, wenn es zugleich einerseits als Vielheit, andererseits als Einheit erscheint wenn alle einzelnen Wahrnehmungen sich zum Bild einer zugleich mannigfaltigen und einheitlichen, d. h. zum Bild einer zusammengesetzten Erscheinung verbinden. Nun ist aber objektiv kein äußerlich Verbundendes gegeben, sondern bloß eine Vielheit von Realitäten, allerdings zugleich und in einer ganz bestimmten Ordnung, die, wenn sie wahrgenommen wird, auf objektiv-reale Beziehungen der betreffenden einzelnen Realitäten schließen läßt und damit indirekt auf eine sie gemeinsam befassende, objektiv-reale, höhere Einheit deutet. Damit aber Zugleichsein und die ganz bestimmte Ordnung der betreffenden einzelnen Realitäten überhaupt wahrgenommen werden kann, müssen letztere auch äußerlich zur Einheit verbunden werden und dieses Geschäft besorgt das Anschauungsvermögen, indem es durch den Akt der Anschauung ein den betreffenden einzelnen Realitäten Gemeinsames schafft, an dem sie alle unbeschadet ihrer individuellen Verschiedenartigkeit partizipieren. Dieses Gemeinsame muß, wie ansich klar ist, ein durchaus Gleichartiges, Homogenes sein, weil es sonst nicht den für die Zwecke der Anschauung notwendigen Eindruck der Einheitlichkeit hervorbringen könnte; es kann aber eben deshalb kein Qualitatives, d. h. kein durch Empfindung Wahrgenommenes, also überhaupt kein in gleicher Weise wie die einzelnen Realitäten oder Dinge positiv Wahrgenommenes sein; denn qualitativ müssen die einzelnen "Teile" dieses Gemeinsamen sich ja verschieden darstellen, wenn sie überhaupt als einzelne erscheinen, d. h. gesondert vorgestellt und voneinander unterschieden werden sollen (1). Was für eine Art von Realität aber bleibt hiernach für das den einzelnen, positiv wahrgenommenen Realitäten Gemeinsame allein noch übrig? Als was muß es sich in der Anschauung darstellen? Offenbar als ein lediglich Formales, das sich als solches nur an den einzelnen Realitäten und nur mit diesen zugleich, nicht aber von ihnen gesondert vorstellen läßt, als ein bloßes Scheinding, das kein positiv reales Dasein hat und das objektiv genommen nichts ist - und als ein solches erscheint es, wie wir sahen, ja auch in der Tat. Die Sache stellt sich demnach wie folgt: Das 'Anschauungsvermögen erzeugt, indem es anschaut, eine Form, in die es alle einzelnen wahrgenommenen Realitäten in entsprechender, d. h. der objektiv realen Ordnung gemäßer Gruppierung einfügt, an der es jeder einzelnen den ihm ihm Verhältnis zu den übrigen gebührenden Anteil gibt und vermöge deren es sie in der einfachsten Weise zu einer gewünschten äußeren Einheit oder, was dasselbe ist, zum Bild eines zusammengesetzten Ganzen verbindet. Die Erfüllung dieser allen gemeinsamen Form nun, sowohl die totale wie die partielle, bezeichnen wir als Ausdehnung, den bestimmten Anteil des Einzelnen aber, wenn wir nur auf das Mehr oder Weniger desselben Rücksicht nehmen, als Größe, wenn wir dagegen auf die Art und Weise, wie es am Ganzen Anteil hat, achten, im Speziellen wieder als Form oder Gestalt; die allen einzelnen beharrlichen Ausgedehnten eine gemeinsame Form als ein objektiv Gegebenes gedacht aber nennen wir Raum. Weil aber jede Anschauung neben den positiven auch negative Wahrnehmungselemente, nämlich scheinbare Lücken neben den positiv wahrgenommenen Lücken in gleicher Weise wie den positiv wahrgenommenen Dingen Anteil an der gemeinsamen Form aller erteilt, so gewinnt vermöge dieser Lücken, die leerer Raum, d. h. die bloße Form zu sein scheinen, diese Form selbst für die Anschauung eine gewisse selbständige, freilich im Vergleich zu den positiv wahrgenommenen Dingen nur negative Realität: sie erscheint als ein auch außerhalb dieser Dinge, also neben und mit ihnen zugleich realiter Existierendes, das sie alle begrenzt und umschließt. So kommt es, daß wir den Raum zugleich als Realität und als Nichts denken: als Realität mit Rücksicht auf die einzelnen ausgedehnten Dinge, die in der Anschauung in ihm enthalten und deshalb nur in ihm möglich erscheinen - als Nichts aber an und für sich, weil diese bloße Form der Wahrnehmung des Zusammenseins einer Vielheit von Realitäten nur an dieser und mit ihnen zugleich vorgestellt werden kann, nicht aber ansich. (2) Die Behauptung, daß die Dinge, die wir als ausgedehnte vorstellen, "ansich", d. h. objektiv genommen, nicht im Raum befindlich und folglich auch nicht ausgedehnt sind, sondern nur durch die Anschauung in den Raum versetzt werden und nur, wenn angeschaut, ausgedehnt erscheinen, hat demnach zunächst den Zweck zu konstatieren, daß die Realität der betreffenden Dinge, wenn sie als die, die sie ist, nämlich als eine bloß bedingte erkannt und nicht lediglich als solche gedacht werden soll, nur in der sinnlichen Wahrnehmung, d. h. nur mit Hilfe der Anschauungsform des Raumes vorgestellt werden kann, daß demnach das Ausgedehntsein kein qualitatives, sondern ein lediglich formales Moment ist, und daß die Ausdehnung einzig und allein als sinnliche Daseinsform, d. h. als die Form, unter der wir das beharrliche Dasein als solches sinnlich vorstellen, angesehen werden kann. Es folgt hieraus, daß die Ausdehnung mit der qualitativen Beschaffenheit (der eigentümlichen Art der Verbindung und Zusammensetzung ihrer Teile) und folglich auch mit dem Wesen der Dinge nichts zu tun hat - außer sofern man die Tatsache der Koexistenz einer Vielheit beharrlicher Realitäten als ein mit zum Wesen einer sie gemeinsam befassenden Einheit gehöriges Moment betrachtet: denn dieses Verhältnis der Koexistenz ist es allein, das, objektiv genommen, dem subjektiven Moment der Ausdehnung entspricht. Auf die Frage: "Wie die ausgedehnten Dingen denn "ansich" beschaffen gedacht werden müssen, bzw. welcher Art man sich die Qualität vorzustellen habe, die ihrer Ausdehnung objektiv genommen entspricht?" ist demnach überhaupt keine Antwort möglich, indem die Frage ansich widersinnig ist, da der Ausdehnung, wie wir sahen, überhaupt keine objektiv reale Qualität entspricht. Fragt man dagegen, was die Dinge objektiv genommen denn sind, wenn nicht ausgedehnte, körperliche Realitäten, so ist darauf zu antworten: objektiv genommen sind sie eben dasselbe als was sie in der Anschauung erscheinen, nämlich bedingte, sich mit andern zugleich seiende in das Dasein teilende Realitäten von ganz bestimmter Beschaffenheit. Als bedingte Realitäten schlechthin aber können sie nicht vorgestellt, d. h. nicht zugleich ihrer qualitativen Beschaffenheit nach erkannt, sondern nur gedacht werden; denn von ihrer qualitativen Beschaffenheit (d. h. von der Art der Verbindung der sie konstituierenden Teile) gibt uns stets nur die Sinnesempfindung eine jederzeit subjektiv gefärbte Kunde (weshalb wie sie "ansich" sind Niemand je ergründen wird noch kann), sobald sie aber sinnlich vorgestellt werden, müssen sie mit Anderen zusammen in der Anschauung vorgestellt werden und dann erscheint ihre bedingte Realität als begrenzte Ausdehnung im Raum. Zur Erläuterung bzw. Ergänzung der hier gegebenen Auseinandersetzung über die Natur des Raumes diene noch ein kurzer Seitenblick auf die Lehre von der Idealität der Zeit. Ein solcher ist umso nützlicher, als hierbei der für gewöhnlich nicht genug beachtete Unterschied zwischen Raum und Zeit zur Sprache kommen und noch wesentlich zur Klarstellung der ganzen Sachlage beitragen muß. Daß ein Parallelismus zwischen Raum und Zeit besteht, ist in die Augen fallend und mußte Jedermann klar werden, seit KANT in der transzendentalen Ästhetik durch eine Nebeneinanderstellung der beiden Lehren von der Idealität des Raumes und der Zeit so nachdrücklich auf diesen Parallelismus hingewiesen hat. In der Tat ist dann auch die Zeit so gut wie der Raum eine bloße Vorstellungsform und zwar gleich jenem die Form einer gewissen Klasse von Kollektivvorstellungen, in denen, wie in den Anschauungen eine Vielheit von Einzelwahrnehmungen zusammen, d. h. zur Einheit einer Vorstellung verbunden vorgestellt wird. Wie in den Anschauungen entsteht daher auch in den Kollektivvorstellungen, deren Form die Zeit ist, und die man vielleicht am treffendsten Veranschaulichungen oder auch Reflexionsanschauungen nennen könnte, (3) das Phänomen der Ausdehnung, d. h. der Erfüllung einer ihnen allen gemeinsamen Form seitens der einzelnen Wahrnehmungsrealitäten und diese Erfüllung der allen gemeinsamen Form (sowohl die totale wie auch die partielle) nennen wir Dauer. Neben diesen auffallenden Analogien zwischen Raum und Zeit bestehen aber auch sehr bemerkenswerte Verschiedenheiten zwischen beiden, die nicht außer Acht gelassen werden können. Die Zeit ist nämlich
2) nur eine Dimension, während die räumliche Ausdehnung in der Anschauung als eine drei-dimensionale erscheint; und sie verbindet schließlich 3) zur Einheit einer Vorstellung ein unmittelbar wahrgenommenes Mannigfaltiges, während uns die Realitäten, die wir uns räumlich ausgedehnt vorstellen, stets nur durch mittelbare Wahrnehmung gegeben werden können. zu 1) muß daran erinnert werden, daß das Mannigfaltige der zeitlichen Kollektivvorstellung nicht wie das Mannigfaltige der räumlichen Anschauung zugleich gegeben ist, mithin auch nicht leich bei der ersten, sinnlichen Wahrnehmung auf einmal, d. h. zusammen wahrgenommen und demzufolge auch überhaupt nicht in irgendeiner sinnlichen Vorstellung zusammen vorgestellt und als zeitlich begrenztes erkannt werden kann. Nur durch eine nachträgliche Zusammenfassung in der Reflexion vermögen wir vielmehr dem objektiv nicht zugleich gegebenen Mannigfaltigen eine gewisse subjektive Simultaneität des Daseins in einer die betreffenden, einzelnen Realitäten zusammen befassenden Vorstellung zu verschaffen (daher Veranschaulichung im Gegensatz zur Anschauung) und erst mit Hilfe dieser reflektiven Kollektivvorstellung, deren Form die Zeit ist, werden wir uns des Wechsels unserer Wahrnehmungen und Empfindungen sowie auch der Aufeinanderfolge äußerer Ereignisse, kurz überhaupt der Sukzession als solcher bewußt. Hierauf beruth es dann auch, daß die Zeit, weil sie erst in der Reflexion als ein mannigfache Einzelerscheinungen gemeinsam Befassendes erscheint, für uns nicht die gleiche sinnliche Realität besitzt wie der Raum, weshalb wir sie dann auch weit leichter als diesen für das erkennen, was sie wirklich ist, nämlich für eine bloße Vorstellungseinheit, der keinerlei "ansich" gegebene äußere Einheit, sondern lediglich ein gewisses, objektiv reales Verhältnis, das wir uns mit ihrer Hilfe zu Bewußtsein bringen, entspricht. Ebenso geraden wir, weil wir die betreffenden Einzelerscheinungen nicht während wir sie sinnlich vorstellen, sondern erst nachher in die Zeit versetzen, auch nicht so leicht in Gefahr, die zeitliche Ausdehnung oder, was dasselbe ist, die Daseinsdauer derselben als eine Qualität, ja wohl gar als objektiv reale Qualität der Dinge zu betrachten, was mit der räumlichen Ausdehnung der Dinge (ihrem Daseins umfang), weil wir diese gleich den Sinnesqualitäten und mit ihnen zugleich sinnlich vorstellen, nur allzu leicht geschieht. - Wir kommen nunmehr auf den zweiten der oben angedeuteten Unterschiede zwischen Raum und Zeit, auf die Tatsache nämlich, daß der Raum drei Dimensionen, die Zeit dagegen nur eine Dimension besitzt, zurück. Bedenkt man, daß Raum und Zeit, den bisherigen Auseinandersetzungen gemäß, zwar als subjektive Formen der Wahrnehmung, aber doch als Formen der Wahrnehmung objektiv realer Verhältnisse gedacht werden müssen, so erscheint es am naturgemäßesten, die betreffenden Unterschiede ebenfalls einfach als objektiv reale zu fassen bzw. sie als realiter in entsprechenden, objektiv gegebenen Verhältnissen begründete zu betrachten. Indessen bleibt noch zu untersuchen, ob nicht vielleich der kausale Anteil, den das vorstellende Subjekt an der Entstehung der betreffenden Vorstellungsformen hat, mit gleichem Recht zur Erklärung dieses Umstandes herangezogen und demzufolge die Dreidimensionalität des Raumes so gut wie die Eindimensionalität der Zeit auf Rechnung der eigentümlichen Organisation des betreffenden Vorstellungsapparates gesetzt werden kann - in welchem Fall wir mit Hilfe jener Vorstellungsformen zwar immer noch objektiv-reale Verhältnisse, aber diese nicht adäquat, sondern in subjektiv-bedingter Weise perzipieren würden. Die Voraussetzung eines derartigen Verhältnisses, auf welche sich die Spekulationen über die Möglichkeit eines vier- oder mehrdimensionalen Raumes stützen, ist aber umso weniger kurzer Hand als eine undenkbare und widersinnige zurückzuweisen - wie der Raum tatsächlich für unser Auge von jedem gegebenen Standpunkt aus nur zwei Dimensionen besitzt, ein Faktum, das auf den ersten Blick stark zugunsten der eben erwähnten Annahme spricht. Denn - so argumentiert man angesichts desselben mit gutem Grund - wenn eben dieselben objektiv-realen Verhältnisse sich uns einerseits durch eine Vermittlung des Gesichtssinnes unter der Form einer zweidimensionalen, andererseits durch die Vermittlung des Tastsinnes aber unter der Form der dreidimensionalen Ausdehnung darstellen, warum sollte es nicht denkbar sein, daß sie ganz anders organisierten Wesen unter noch anderen Formen, etwa unter der einer vier- oder mehrdimensionalen Ausdehnung erscheinen? Diese Argumentation hat sehr viel Bestechendes; sie übersieht aber oder vielmehr sie läßt die Tatsache unbeachtet, daß wir alle der ganz bestimmten und gewissen Überzeugung sind, daß die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes als die allein-richtige, dem objektiven Tatbestand entsprechende, die des zweidimensionalen Raums aber als eine unvollkommene und einseitige Auffassung der betreffenden objektiv-realen Verhältnisse angesehen werden muß. Dieses Faktum ist aber von großer Wichtigkeit, weil eine befriedigende Erklärung desselben auch über die Frage nach der Möglichkeit eines vier- oder mehrdimensionalen Raumes die gewünschte Klarheit zu verbreiten verspricht. Wir fragen deshalb zunächst: Worauf gründet sich unsere Überzeugung, daß, populär gesprochen, der Raum in WIrklichkeit drei Dimensionen hat, daß die Vorstellung eines zweidimensionalen Raumes dagegen lediglich auf einer unvollkommenen Erkenntnis des objektiv gegebenen Tatbestandes beruth? Die Sache erläutert sich am besten, wenn man sich eines Umstandes erinnert, der angesichts der endlosen Streitigkeiten über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines vier- oder mehrdimensionalen Raums gewiß auffallend ist und zum Nachdenken Veranlassung geben muß, des Umstandes nämlich, daß meines Wissens, noch niemand auf den Gedanken an die Möglichkeit einer zwei- oder mehrdimensionalen Zeit verfallen ist bzw. einen derartigen Gedanken ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Die Erklärung dieses Umstandes ist aber nicht schwer. Denn er hat seinen Grund in dem dritten der oben erwähnten Unterschiede zwischen Raum und Zeit, in der Tatsache nämlich, daß wir mittels der Zeitvorstellung jederzeit ein unmittelbar wahrgenommenes Mannigfaltiges (nämlich eine Vielheit auf einander folgender Vorstellungen) zur Einheit einer Kollektivvorstellung verbinden, weshalb wir auch die Aufeinanderfolge der betreffenden Erscheinungen unmittelbar wahrnehmen (4) und aus diesem Grund völlig gewiß sind, daß wir die Verhältnisse der Zeitfolge vollständig und durchaus adäquat erkennen und daß die aus dieser Erkenntnis entspringende Vorstellung einer eindimensionalen Ausdehnung den betreffenden, objektiv-realen Verhältnissen in der denkbar vollkommensten Weise entspricht. Dieser Punkt ist von der höchsten Bedeutung auch für die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines vierdimensionalen Raumes, weil er uns die relative Berechtigung einer derartigen Annahme begreiflich macht und den Grund seiner Entstehung enthält. Denn gerade weil in diesem Punkt ein wesentlicher Unterschied zwischen der räumlichen Anschauung und der zeitlichen Veranschaulichung besteht, gerade weil wir die Zeitfolge unserer Vorstellungen unmittelbar wahrnehmen, während die in der Außenwelt gegebenen Verhältnisse des Zugleichseins, die wir mit Hilfe der Raumanschauung vorstellen, stets nur mittelbar zu unserer Wahrnehmung gelangen, gerade deshalb ist der Zweifel natürlich und auf den ersten Blick wohl berechtigt, ob wir auch letztere gleich ersteren so aufzufassen vermögen, wie sie wirklich sind, oder ob sie nicht etwa beim Übergang ins Subjektive in ähnlicher Weise eine Modifikation erleiden wie etwa die qualitative Beschaffenheit der Dinge (die Art der Verbindung ihrer Teile), die durch die Sinnesqualitäten stets nur in subjektiv gefärbter Weise perzipiert werden kann (5). Indessen spricht gegen eine derartige Anschauungsweise von vornherein schon der Umstand, daß den Verhältnissen der Zeitfolge, die wir durch die Sukzession unserer Vorstellungen unmittelbar wahrnehmen, doch auch unter Umständen in der Außenwelt stattfindende, nur mittelbar wahrnehmbare Sukzessionsverhältnisse, die wir gleichwohl (als solche) erkennen wie sie wirklich sind, entsprechen. Wenn wir aber diese adäquat aufzufassen imstande sind, weshalb sollten wir dann die räumlichen Verhältnisse des Nebeneinander nicht adäquat auffassen können? Dies wird noch einleuchtender, wenn man sich erinnert, daß es sich in beiden Fällen gleicherweise lediglich um formale Verhältnisse (der Folge oder des Zugleichsein) einer Vielheit von Realitäten handelt, und daß also nur die Frage sein kann, ob wir mit Hilfe unserer Raumanschauung die zugleich existierenden Realitäten so geordnet vorstellen, wie sie objektiv realiter geordnet sind, oder ob wir ihrer objektiv-realen Ordnung eine subjektive, objektiv nicht gegebene substituieren? Einer so präzise gestellten Frage gegenüber aber wird das Widersinnige einer derartigen Annahme sogleich klar. Denn es ist offenbar, daß es nur die objektiv-reale Ordnung des Mannigfaltigen sein kann, die die Reihenfolge der Wahrnehmung derselben und damit die subjektive Ordnung der Vorstellungselemente bestimmt. Wie sollte also irgendein Sinnesorgan oder Anschauungsvermögen, welches auch immer, dazu kommen, diese objektiv bedingte Reihenfolge der Wahrnehmung umzustoßen und unter Nichtachtung der objektiv-realen Ordnung eine neue, lediglich subjektiv bedingte zu statuieren? Das könnte nur durch einen Akt der Willkür geschehen, der mit der in der ganzen Welt herrschenden Gesetzmäßigkeit im schroffsten Widerspruch stände. Denn wenn wir auch bei der Anschauung die einzelnen Realitäten an eine andere Stelle versetzen, so müßten doch, wenn diese Versetzung nach ganz bestimmten Gesetzen erfolgen würde, unter gleichen Wahrnehmungsbedingungen sämtliche Realitäten in gleicher Weise versetzt werden, wobei in diesem Fall die Ordnung derselben, ihre Stellung gegeneinander von einer derartigen Manipulation doch nicht betroffen werden könnte, sondern unverändert dieselbe bleiben müßte. (6) Dem scheint nun freilich die schon erwähnte Tatsach zu widersprechen, daß uns eben dieselben Dinge, die wir durch die Vermittlung des Tastsinnes dreidimensional ausgedehnt vorstellen, mittels des Gesichtsinnes zweidimensional ausgedehnt erscheinen. Denn sie liefert den Beweis, daß die objektiv-reale Ordnung eines gegebenen Mannigfaltigen verschieden aufgefaßt, bzw. durch die Art der Auffassung in eigentümlicher Weise modifiziert werden kann. Wie sollen wir uns nun diese eigentümliche Modifikation erklären? Das Rätsel löst sich, wenn man bedenkt, daß alle durch die Vermittlung des Auges von einem gegebenen Standpunkt aus gewonnenen Kollektivvorstellungen einseitig und darum unvollständig sind, und daß der damit in Zusammenhang stehende Umstand, daß das vorstellende Subjekt den verschiedenen, zugleich wahrgenommenen Realitäten gegenüber nicht die gleich Stellung einnimmt, eine Ungleichheit der Wahrnehmungsbedingungen in Bezug auf die einzelnen teils näheren, teils entfernteren Realitäten erzeugt, die so lange sie nicht als solche erkannt wird, über den wahren Tatbestand täuschen und demzufolge eine scheinbare Verschiebung in der Stellung der einzelnen Realitäten gegeneinander für die Anschauung zur Folge haben muß. Denn die Durchsichtigkeit bzw. Nicht-Wahrnehmbarkeit der Luft in Verbindung mit dem Umstand, daß die undurchsichtigen Körper die hinter ihnen in gleicher Gesichtslinie liegenden für uns ganz oder teilweise verdecken und dadurch ebenfalls unserer Wahrnehmung entziehen, bringt naturgemäß das Phänomen des scheinbaren Aneinanderrückens und Nebeneinandertretens oft weit voneinander entfernter Gegenstände hervor, und dieses Phänomen bewirkt, daß für die Anschauung mittels des Auges die Tiefendimension verschwindet und demgemäß die täuschende Jllusion der zweidimensionalen Ausdehnung des in Wahrheit dreidimensional Ausgedehnten oder richtiger dreidimensional Geordneten entsteht (7). Diese der Anschauung im eingeren Sinne eigentümliche Umgestaltung des objektiv-realen Verhältnisses ist aber eben deshalb kein Akt der Willkür, sondern sie erfolgt, wie wir sahen, auf durchaus gesetzmäßigem Weg, ein Umstand, der übrigens auch darin seine Bestätigung findet, daß die Regeln, nach denen sie sich vollzieht, den Inhalt einer besonderen Wissenschaft bilden, nämlich den Inhalt der Wissenschaft der Perspektive. Aus dieser Darlegung des wirklichen Tatbestandes ergibt sich nun eine für die Frage nach der Möglichkeit eines vier- oder mehrdimensionalen Raumes entscheidende Konsequenz. Denn da alle die Umstände, durch die die besprochene, eigentümliche Modifikation der betreffenden, objektiv-realen Verhältnisse bei der Anschauung im engeren Sinne herbeigeführt wird, bei der Anschauung im weiteren Sinne, nämlich bei der durch den Tastsinn vermittelten Kollektivvorstellung fortfallen, indem uns die Bewegung des tastenden Organs eine Wahrnehmung der betreffenden, einzelnen Realitäten von allen Seiten und unter völlig gleichen Wahrnehmungsbedingungen (nämlich überall durch direkte Berührung) gestattet, - so muß hieraus geschlossen werden, daß die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes die betreffenden, objektiv-realen Verhältnisse adäquat widerspiegelt und sie eben so rein und richtig zum Ausdruck bringt wie die Vorstellung der eindimensionalen Ausdehnung die Folge der Erscheinungen "in der Zeit". Über den Unterschied zwischen dem extremen und dem gemäßigten Idealismus in Bezug auf Raum und Zeit. Es kann dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein, daß die von mir im vorigen Abschnitt gegebene Auseinandersetzung über den Sinn der Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit mit der in der transzendentalen Ästhetik niedergelegten Anschauungsweise KANTs keineswegs durchweg in Übereinstimmung steht, sondern daß sie ihr vielmehr in einem wesentlichen Punkt ganz direkt widerspricht. Denn nach meiner Überzeugung sind ja Raum und Zeit zwar allerdings, wie KANTs genialer Scharfblick erkannte, als bloße Vorstellungsformen aber doch als Formen der Vorstellung objektiv-realer Verhältnisse, nämlich als Formen, mit deren Hilfe wir eine Vielheit von Erscheinungen zu äußerer Einheit verbinden, um uns solchergestalt die Koexistenz und das Nacheinandersein derselben zu veranschaulichen, zu betrachten. KANT dagegen gibt zu verstehen, daß die betreffenden Verhältnisse selbst nur in unserer Vorstellung und nur für diese existieren, da sie ja seiner Meinung nach "mit Raum und Zeit verschwinden würden", wenn wir "unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben könnten", (8) ja er versichert geradezu, daß wir mit Hilfe der Raumvorstellung auch nicht einmal objektiv-reale Dinge "in ihrem Verhältnis aufeinander" vorstellen, "noch irgendeine Bestimmung derselben ... die bliebe, wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung abstrahierte." Um aber jedes Mißverständnis in dieser Beziehung unmöglich zu machen, erklärt er bei der Beisprechung der Idealität der Zeit schließlich noch ganz ausdrücklich die Zeitfolge zu einer bloßen, allerdings aus der eigentümlichen Organisation unserer Sinnlichkeit sich mit Notwendigkeit ergebende Fiktion. (9) Schließlich hat dann auch das ganze Kapitel vom "Schematismus der reinen Verstandesbegriffe", demzufolge die räumlichen und zeitlichen Verhältnisse der Einwirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit entspringen, sowie die merkwürdige Annahme eines "von aller Erfahrung unabhängigen" reinen Anschauens und Denkens, sowie die Behauptung KANTs, daß sich die Allgemeingültigkeit und apodiktische Gewißheit der mathematischen Sätze nur durch diesen Umstand erklären läßt, nur unter dieser Voraussetzung einen Sinn hat. Diese ganze Anschauungsweise ist aber meiner Überzeugung nach aus drei Gründen unhaltbar:
2) weil, wenn eine Vielheit von Realitäten objektiv gegeben ist, sie notwendig in irgendeiner Ordnung gegeben sein muß, wobei diese objektiv-reale Ordnung, wie ich oben ausgeführt habe, die Reihenfolge der Wahrnehmung und damit die subjektive Ordnung der Vorstellungselemente in der jene Realitäten zusammen befassenden Kollektivvorstellung bestimmt; 3) Weil mit der objektiven Realität der von uns räumlich und zeitlich vorgestellten Verhältnisse, auch die objektive Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe, die sich alle direkt auf jene Verhältnisse beziehen, steht und fällt. All dies erkannte nun freilich KANT selbst recht gut. Denn er erklärt ja (a. a. O., Seite 695) ausdrücklich: "daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel"; erst ist aber trotzdem der Meinung, "daß sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung entspringt." Forschen wir aber nach einer Erklärung dieses Widerspruchs, so finden wir, daß er in Wahrheit unter seinen "Erkenntnissen a priori" nicht von aller Erfahrung unabhängige, sondern vielmehr bloß solche versteht, die seiner Meinung nach lediglich in der Natur unseres Erkenntnisvermögens, d. h. lediglich subjektiv begründet sind, die dem, was der denkende und vorstellende Geist als solcher zur Erfahrung hinzubringt, entspringen - unter Erkenntnissen a posteriori dagegen solche, die im Wesen des objektiv Realen als solchem zumindest mitbegründet gedacht werden müssen (hierher rechnet er alles, was durch Empfindung zu unserer Wahrnehmung gelangt, d. h. alles Qualitative). Dies hat nun ansich seinen guten und durchaus verständlichen Sinn; es ist aber eine Ungenauigkeit der Ausdrucksweise, dergleichen in diesem Sinne aprioristische Erkenntnisse, wie KANT tut, als von aller Erfahrung unabhängige Erkenntnisse (a. a. O., Seite 696) zu bezeichnen, weil sie doch eben als Erkenntnisse auf alle Fälle erst aus der Erfahrung entspringen. Diesen letzten Punkt ausdrücklich zu betonen, erscheint aber umso notwendiger, weil jene Ungenauigkeit der Ausdrucksweise gar zu leicht zu allerhand bedenklichen Irrtümern und Mißverständnissen Veranlassung gibt, wie sie dann ganz offenbar KANT selbst zu der Idee eines von aller Erfahrung unabhängigen, wirklichen Erkennens, nämlich zur Idee eines angeblich von aller Empfindung gänzlich freien, "reinen" Anschauens und Denkens verführte - eine Idee, die freilich mit der richtigen Erkenntnis, daß alles Erkennen mit der Erfahrung anfängt, in einem unablösbaren Widerspruch steht. Ob die rein formalen mathematischen Wahrheiten nun als aprioristische Erkenntnisse in diesem Sinne, d. h. als solche, die ihren zureichenden Grund lediglich in unserem Erkenntnisvermögen haben, von objektiv realen Verhältnissen aber ganz unabhängig sind, angesehen werden können, das ist freilich eine andere Frage, zu deren Entscheidung die Tatsache, daß die Erkenntnis dieser Wahrheiten nicht von aller Erfahrung unabhängig ist, sondern wie jede andere Erkenntnis nur durch Erfahrung erlangt werden kann, in keiner Weise ausreicht. Zur Erledigung derselben verweise ich daher auf den zweiten und dritten der oben erwähnten Gründe, die meine Überzeugung in dieser Beziehung bestimmen. Zu Punkt 2 muß hier betont werden, daß, wenn man das Vorhandensein einer objektiv-realen Ordnung bzw. Reihenfolge des zugleich oder nacheinander wahrgenommenen Mannigfaltigen leugnen oder bezweifeln will, man notwendig auch das objektiv-reale Dasein einer aus zugleich oder nacheinander existierenden Realitäten sich zusammensetzenden Vielheit bestreiten und in Zweifel ziehen muß, weil jede gegebene Vielheit, wie ansich klar ist, notwendig irgendeine Anordnung der einzelnen sie konstituierenden Realitäten aufweisen muß. Es bleibt somit nur noch zu untersuchen, ob es denkbar ist, daß KANT überhaupt nicht an die objektiv reale Existenz einer Vielheit von Einzeldingen geglaubt hat, sondern vielmehr der Meinung gewesen ist, daß alle Vielheit als solche nur im vorstellenden Geist und nur für diesen existiert. Für diese Annahme scheint zunächst schon der Umstand zu sprechen, daß sich der Begriff der Vielheit auf seiner Tafel der Kategorien findet, wobei letztere ja seiner ausdrücklichen Versicherung zufolge lediglich für die Erscheinungswelt Sinn und Bedeutung besitzen. Indessen läßt sich dieser Umstand auch durch die Annahme erklären, daß er lediglich die zusammenfassende Vorstellung, die das Wort "Vielheit" bezeichnet, und die ja seiner Ansicht nach erst durch einen besonderen Denkakt zustande kommt, als eine nur im denkenden Geist vorhandene betrachtete, an der objektiven Realität eines außer uns existierenden Mannigfaltigen dagegen nicht zweifelte. Hiermit stimmt dann auch die realistische Grundanshauung der transzendentalen Ästhetik, in der fortgesetzt von Gegenständen, die uns affizieren (a. a. O., Seite 37), von Gegenständen ansich (a. a. O., Seite 46, 49-50), von transzendentalen Objekten (a. a. O., Seite 52) die Rede ist, sowie die ausdrückliche Versicherung der unzweifelhaften Realität einer vom Subjekt dem Dasein nach verschiedenen Außenwelt, die KANT in seiner Widerlegung des BERKELEYschen Idealismus gegeben hat, durchaus überein. Dagegen ist nicht zu verkennen, daß andererseits auch ein starker Zug eines extremen, die objektive Realität der Außenwelt bedenklich in Frage stellenden Idealismus die Kr. d. r. V. geht und daß besonders in der Kategorienlehre eine Anschauungsweise zutage tritt, derzufolge konsequenterweise auch die Mannigfaltigkeit der "empirischen" Anschauung als eine lediglich im vorstellenden Geist und nur für diesen vorhandene, d. h. als eine Mannigfaltigkeit, der keinerlei objektiv-reale Vielheit zugrundeliegt, angesehen werden müßte. (11) Indessen, auch vom Standpunkt eines solchen extremen Idealismus muß doch immer zumindest eine Vielheit von denkenden Einzelwesen angenommen werden, die doch auch entweder zugleich oder nacheinander da sein müssen, ein objektiv-reales Verhältnis, das nur mit Hilfe der Raum- und Zeitvorstellung veranschaulicht werden kann. Letzteres scheint KANT ganz übersehen zu haben. Denn welches auch seine wahren Gedanken in Bezug auf eine Realität der Außenwelt gewesen sein mögen - eine Frage, die bei den sich vielfach widersprechenden Ausführungen der Vernunftkritik über diesen Standpunkt schwerlich jemals endgültig entschieden werden kann - das Eine steht auf alle Fälle fest: daß er nämlich das Nacheinander und das Nebeneinander der Erscheinungen und damit zugleich alle räumlichen und zeitlichen Verhältnisse als lediglich der Vorstellungswelt angehörige Phänomene, denen keinerlei objektiv-reale Verhältnisse entsprechen, betrachtete. Will man also nicht annehmen, daß er überhaupt alle objektiv-reale Vielheit geleugnet hat, was doch, wie schon bemerkt, zumindest hinsichtlich der denkenden Einzelwesen nicht der Fall gewesen sein kann, so bleibt nur übrig, ihm die Meinung zuzuschreiben, daß objektiv genommen zwar eine Vielheit vorhanden ist, daß diese Vielheit aber weder als eine zugleich existierende (d. h. für die Anschauung räumliche) noch als eine zeitlich aufeinanderfolgende angesehen werden kann. So wunderlich diese Auffassung auch ist, so scheint es mir doch im höchsten Grad wahrscheinlich, daß wir dieselbe bei ihm vorauszusetzen haben, wobei im Auge zu behalten ist, daß er vermutlich übersah, daß alles Zugleichsein sich nicht bloß in unserer, sondern überhaupt in jeder möglichen Anschauung als ein räumliches Nebeneinander darstellen muß. Er war sich eben offenbar über diesen Punkt sowie überhaupt über die Unvereinbarkeit des extremen Idealismus mit einem vernünftigen Realismus nicht ganz klar. Veranlassung zu der eben erwähnten wunderlichen Auffassung aber mag ihm vielleicht die Tatsache gegeben haben, daß wir auch das räumlich zugleich gegebene Mannigfaltige in der Reflexion nur nacheinander vorstellen können, ein Umstand aus dem er geschlossen zu haben scheint, daß alles Nacheinander als solches nur durch unsere Art, die Dinge vorzustellen, entsteht, und daß demgemäß auch alle von uns vorgestellten zeitlichen Verhältnisse und in analoger Weise auch die des räumlichen Nebeneinander (weil dieses als Zugleichsein einen direkten Bezug auf das Nacheinander verrät) durchaus nur in unserer, die objektiv-realen Verhältnisse nicht so, wie sie wirklich sind, perzipierenden Vorstellung existieren. Daß dies aber nicht der Fall ist, daß die Folge unserer Vorstellungen selbst vielmehr ebenfalls ein objektiv-reales Verhältnis ist und daß nur auf diesem Umstand die Tatsache, daß das objektiv zugleich Gegebene (das wir übrigens sehr gut von einem objektiv einander Folgenden zu unterscheiden wissen) in der Reflexion nacheinander vorgestellt wird; beruth: das alles erhellt sich von selbst. Wie dem aber auch sein mag, Faktum ist, daß KANT selbst sich durch die vorausgesetzte Idealität aller räumlichen und zeitlichen Verhältnisse tatsächlich zu der Konsequenz gedrängt sah, auch die objektive Gültigkeit der Kategorien zu bestreiten und geradezu zu behaupten, daß sie lediglich der Ausdruck subjektiver Bewußtseinseinheiten sind und uns keinerlei Gewähr für das tatsächliche Vorhandensein der in ihnen gedachten Relationen geben bzw. nicht als der Ausdruck objektiv-realer Beziehungen angesehen werden können. Daß aus einer solchen Anschauungsweise aber Widersinnigkeiten und Widersprüche der mannigfachsten Art entstehen, daß beispielsweise mit der objektiven Gültigkeit des Kausalitätsgesetzes auch die Realität der Außenwelt geradezu in Zweifel gezogen oder doch zumindest für unbeweisbar erklärt werden muß, ja daß mit der Realität der zeitlichen Sukzession sogar die Realität unseres eigenen Geisteslebens, dessen wir doch unmittelbar durch eine Reihe aufeinander folgender Empfindungen und Vorstellungen gewiß sind, steht und fällt: das alles ist an anderer Stelle (vgl. meine Abhandlung "Die Substanz als Ding-ansich") bereits ausführlich dargelegt worden, weshalb hier nicht noch einmal des Näheren darauf eingegangen werden soll. Sind doch ohnehin Äußerungen, wie die auf Seite 45 der Vernunftkritik sich findende: daß unter dem Gesichtspunkt der Idealität des Raumes, die objektive Realität "gänzlich wegfalle, außer sofern sie bloß empirisch sei, d. h. den Gegenstand selbst bloß als Erscheinung ansieht", sowie die auf Seite 209 aufgeworfene Frage, ob bei der Abstraktion von der Sinnlichkeit "überhaupt noch ein Objekt übrig bleibt", für sich allein schon charakteristisch genug, um zu beweisen, daß KANT durch den extremen Idealismus, der ihn die objektive Realität aller räumlichen und zeitlichen Verhältnisse leugnen ließ, tatsächlich zum Zweifel an der objektiven Realität der Außenwelt selbst (oder doch zumindest an der Erkennbarkeit und Beweisbarkeit dieser Realität) gedrängt wurde, so sehr er sich auch an anderer Stelle, beispielsweise bei Gelegenheit der Widerlegung des BERKELYschen Idealismus, gegen derartige Konsequenzen seiner Anschauungsweise verwahrte. Alle diese Widersprüche aber verschwinden, wenn man erkennt, daß Raum und Zeit zwar wirklich lediglich gedachte Einheiten, bloße Vorstellungsformen sind, daß sie aber als Formen der Vorstellung objektiv-realer Verhältnisse angesehen werden müssen. (12)
1) Qualitativ gleichartige Dinge können in der Anschauung nur dann als einzelne voneinander gesondert vorgestellt werden, wenn sie durch qualitativ anders geartete getrennt erscheinen; auch die von uns nur negativ (als Lücken zwischen den positiv wahrgenommenen Dingen) vorgestellten luftförmigen Körpern sind als solche "qualitativ anders geartete Realitäten" zu betrachten. Hierbei kommt es, wie ansich klar ist, gar nicht in Betracht, ob man die qualitative Verschiedenartigkeit der einzelnen Anschauungsrealitäten objektiv genommen lediglich als eine Verschiedenartigkeit in der Zusammensetzung ansich gleichartiger Urelemente denken oder ob man auch diese Urelelemente als qualitativ verschiedenartige annehmen und auf ihre wesentliche Verschiedenartigkeit die Verschiedenartigkeit in ihrer Zusammensetzung zurückführen will: denn in der Anschauung, die es lediglich mit schon zusammengesetzten Realitäten zu tun hat, ist die qualitative Verschiedenartigkeit so oder so in jedem Fall vorhanden. 2) KANT irrte, wenn er meinte, daß man alle Dinge aus dem Raum fortdenken kann, niemals aber den Raum selbst; in Wahrheit verschwindet, wenn man alle Dinge fortdenkt, auch der Raum. 3) Der von KANT gebrauchte Ausdruck "innere Anschauung" oder "Anschauung des inneren Sinnes" gibt leicht zu Mißverständnissen Anlaß und ist deshalb wohl besser zu vermeiden. 4) Daß wir uns diese Aufeinanderfolge als solche erst nachträglich zu Bewußtsein bringen, ändert daran nichts. 5) Ein derartiger Gedanke lag für alle diejenigen sehr nahe, die, zu tief durchdrungen von der Überzeugung der objektiven Realität der uns umgebenden räumlichen Welt, sich nicht entschließen konnten, mit KANT alles räumliche Nebeneinander für ein bloß subjektives Phänomen, dem keinerlei objektiv-reale Verhältnisse entsprachen, zu betrachten. Diese rangen nach einer Anschauungsweise, die ihnen gestattete, die Behauptung KANTs: "wir erkennen mit Hilfe der Raumanschauung auch nicht einmal Dinge ansich in ihrem Verhältnis aufeinander" mit ihrer Überzeugung von der Realität der körperlichen Welt und ihrer räumlichen Verhältnisse in Übereinstimmung zu bringen und verfielen zu diesem Zweck auf die erwähnte Idee einer subjektiven Modifikation der betreffenden objektiv-realen Verhältnisse mit Hilfe einer uns eigentümlichen Art der Raumanschauung. Auf die Rechnung dieser subjektiven Modifikation setzten sie dann die Dreidimensionalität unseres Raumes und verbanden damit in allerdings sehr unklarer Weise den Gedanken, daß möglicherweise eben dieselben Dinge, die wir dreidimensional ausgedehnt vorstellen, von anders organisierten Wesen vier- oder mehrdimensional ausgedehnt vorgestellt werden könnten. Hierbei wirkte noch mit, daß man nach dem Voranschreiten DESCARTES' und LOCKEs immer noch bewußt oder unbewußt das Ausgedehntsein als eine Qualität der Dinge nach Art der Sinnesqualitäten dachte, und sich demgemäß einredete, es sei nur konsequent gewesen, wenn KANT, in die Fußstapfen jener tretend, noch einen Schritt weiter gegangen ist und angenommen hat, daß auch die primären Qualitäten LOCKEs nicht den Dingen selbst angehören, sondern allererst durch unsere eigentümliche Art, sie vorzustellen, entstehen. Daß diese Auffassungsweise aber nicht die KANTs war, erhellt sich, abgesehen von allem andern, schon aus dem Faktum, daß er selbst niemals der Möglichkeit eines vier- oder mehrdimensionalen Raumes auch nur andeutungsweise gedachte. Andere gingen noch weiter und verstiegen sich sogar dazu, für die Möglichkeit eines objektiv genommen vier- oder mehrdimensionalen Raumes zu plädieren - eine Anschauungsweise, die aber offenbar erst recht ganz und gar "nicht kantisch" ist, weil sie ja die objektive Realität des Raumes (sei es auch eines vier- oder mehrdimensionalen) zur Voraussetzung hat und mithin der von KANT behaupteten Idealität der Raumanschauung diametral widerspricht. 6) Vgl. JOHANNES MÜLLER, Handbuch der Physiologie: Über das Aufrecht- oder Verkehrtsehen: "Meine Ansicht der Sache ... ist die, daß, wenn wir auch verkehrt sehen, wir niemals anders als durch optische Untersuchungen zu einem Bewußtsein kommen können, daß wir verkehrt sehen, und daß, wenn alles verkehrt gesehen wird, die Ordnung der Gegenstände in ekiener Weise gestört wird. Es ist wie mit der täglichen Umkehrung der Gegenstände mit der ganze Erde, die man nur erkennt, wenn man den Stand der Gestirne beobachtet, und doch ist es gewiß, daß innerhalb von 24 Stunden etwas im Verhältnis zu den Gestirnen oben ist, was früher unten war. Daher findet beim Sehen auch keine Disharmonie zwischen Verkehrtsehen und Geradefühlen statt; denn es wird eben alles, auch die Teile unseres Körpers, verkehrt gesehen und alles behält seine relative Lage. Auch das Bild unserer tastenden Hand kehrt sich um. Wir nennen daher die Gegenstände aufrecht, wie wir sie eben sehen." 7) Wenn sich der unbefangene Beobachter auch nicht in der Weise, wie es hier geschehen ist, Rechenschaft gibt von den Gründen, die seine Überzeugung, daß der Raum in Wirklichkeit nicht zwei, sondern drei Dimensionen hat, bestimmten, so drängt sich ihm die Erkenntnis des objektiven Tatbestandes doch unwillkürlich durch die sich stets wiederholende Erfahrung auf, daß jede Veränderung seiner Stellung zur Außenwelt auch unmittelbar eine Veränderung bzw. eine neue Verschiebung in der Stellung der einzelnen Erscheinungen gegeneinander zur Folge hat, eine Erfahrung, der die Erkenntnis, daß die Gruppierung des Mannigfaltigen, die uns das Auge von einem gegebenen Standpunkt aus liefert, nicht die objektiv-reale sein kann, ganz von selbst entspringt. 8) Vgl. "Kritik der reinen Vernunft", Seite 48, bzw. 36. 9) Vgl. "Kr. d. r. V.", Seite 45: "Wenn aber ich selbst oder ein anderes Wesen mich ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung der Zeit, mithin auch der Veränderung gar nicht vorkäme." 10) Wie unmöglich es ist, das rein Formale der Anschauung und Veranschaulichung (die räumlichen und zeitlichen Verhältnisse) vom Stofflichen, das immer zugleich ein qualitatives Moment bei sich führt, völlig loszulösen und als etwas unabhängig von jenem in einer sogenannten "reinen" Anschauung realiter Gegebenes zu betrachten: das erhellt sich übrigens am augenfälligsten aus dem Umstand, daß KANT selbst die Bewegung, die doch auch nur "im Raum" möglich ist, sowie die Veränderung, ohne welche der Zeitbegriff keinen Sinn hat, nicht unter die "Data a priori" aufnehmen zu können glaubte, weil, wie er sagt, "das Bewegliche etwas ist, was im Raum nur durch Erfahrung gefunden wird" und weil auch zur Vorstellung der Veränderung "die Wahrnehmung von irgendeinem Dasein und der Sukzession seiner Bestimmungen, mithin Erfahrung gefordert" wird. (vgl. Kr. d. r. V., Seite 48) Als ob dieses Argument nicht für alle räumlichen und zeitlichen Verhältnisse Geltung hätte! Als ob Kugeln, Triangel, Kegel, überhaupt alle regelmäßig oder unregelmäßig gestalteten Körper oder Figuren nicht auch lauter Dinge wären, die im Raum "nur durch Erfahrung" gefunden werden, und als ob zur Vorstellung der zeitlichen Sukzession nicht auch in jedem Fall die Wahrnehmung "von irgendeinem Dasein und der Sukzession seiner Bestimmungen," ja die Wahrnehmung wirklicher Veränderungen und mithin Erfahrung gefordert wird! Daß wir uns Kugeln, Dreiecke, ja sogar Körper und Figuren, die uns vielleicht noch nie in der Erfahrung vorgekommen sind, selbst konstruieren und uns mit Hilfe der Zahlenreihe zeitliche Verhältnisse der mannigfachsten Art in der Reflexion veranschaulichen können, ändert an diesem Faktum ebensowenig wie der Umstand, daß wir bei einer solchen Konstruktion vom qualitativen Moment ganz absehen und uns lediglich um die formalen Verhältnisse der betreffenden Realitäten bekümmern, denn auch Bewegungen, die uns vielleicht noch niemals vorgekommen sind, können wir so gut wie Dreiecke entweder in der Phantasie oder auf dem Papier "konstruieren" und das qualitative Moment ist auch in allen oben angeführten Fällen so gut wie in allen überhaupt möglichen, jederzeit vorhanden. (Bei den auf Papier konstruierten Figuren repräsentieren Bleistift oder Tinte das qualitative Moment, jede Zahl aber repräsentiert schon durch ihre Individualität einen von jedem andern verschiedenen, qualitativ bestimmten Vorstellungsakt.) Übrigens mag hier noch darauf aufmerksam gemacht werden, daß KANT mit obiger Behauptung, "daß die Veränderung nicht unter die Data a priori gezählt werden kann", seiner eigenen wenige Seiten vorher gegebenen Versicherung, daß die Veränderung zur Erscheinung gehört und daß mit dem Begriff der Zeit auch der der Veränderung fortfällt (Kr. d. r. V., Seite 45), diametral widerspricht. 11) Bemerkenswert sind in dieser Beziehung ganz besonders verschiedene Wendungen im Abschnitt über die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, sowie die Ausführungen dieses Abschnitts überhaupt, denen zufolge es durchaus notwendig ist, daß uns irgendwie ein Mannigfaltiges in der Vorstellung gegeben wird, wenn wir überhaupt zum Selbstbewußtsein, d. h. zum Bewußtsein eines im Wechsel "empirischer" Zustände beharrenden, wesentlich einigen, denkenden Ich gelangen sollen - Ausführungen, aus denen man schließen könnte, daß nach KANTs Meinung auch das Mannigfaltige als solches für die Zwecke des Selbstbewußtseins vom denkenden Geist allererst geschaffen wird und daß letzterer somit nicht bloß ein ihm von außen gebotenes Mannigfaltiges mit Hilfe der Anschauungsformen und Kategorien zur Einheit des Selbstbewußtseins verbindet. (vgl. den betreffenden Abschnitt a. a. O., Seite 731f. 12) Es erscheint, Mißverständnissen vorzubeugen, notwendig, an dieser Stelle noch besonders zu betonen, daß meine Behauptungen, wir stellen mit Hilfe von Raum und Zeit objektiv-reale Verhältnisse vor, nicht so zu verstehen ist, als sollte damit gesagt sein, daß geometrische Figuren und Zahlen als solche irgendeine objektive Realität besitzen, bzw. daß sie irgendwo anders existieren als in der Anschauung und im reflektierenden Geist des vorstellenden Subjekts. Denn objektiv genommen ist meiner Meinung nach nur eine Vielheit, teils zugleich (in ganz bestimmter Gruppierung), teils nacheinander (in ganz bestimmter Reihenfolge) gegebener, untereinander direkt oder indirekt in einem Kausalzusammenhang stehender, äußerlich aber gesonderter Realitäten vorhanden, wobei lediglich wir diese Vielheit mit Hilfe der räumlichen und zeitlichen Anschauung, zu jenen äußeren Einheiten, die wir in der Zahl oder geometrischen Figur vorstellen, verbinden. Hieraus folgt aber ganz von selbst, daß die mathematischen Lehrsätze, die es nur mit den Verhältnissen der Zahlen und geometrischen Figuren als solchen, d. h. nur mit den kausalen Beziehungen der in der betreffenden Zahl oder Figur verbundenen Formelemente (Einheiten oder Linien, Winkel etc.) als solchen zu tun haben, sich auch jederzeit nur auf Erscheinungen in KANTs Sinne, d. h. nur auf (anschaulich oder durch Veranschaulichung) vorgestellte Realitäten beziehen können, nicht aber auf objektiv reale Dinge, die als solche weder Kugeln, noch Kegel, noch Dreien, noch Zehnen sind, sondern jederzeit nur in unserer, eine Vielheit von Realitäten zu äußerer Einheit verbindenden Vorstellung als solche erscheinen. Hiermit erledigen sich dann auch alle Einwände, die man etwa (nach dem Vorgang KANTs) aufgrund der Apodiktizität der Mathematik gegen meine Auffassung der Idealität von Raum und Zeit geltend machen könnte, von selbst. |