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Zur "Psychologie" und "Philosophie"
Die Psychologie nannte ich gelegentlich die philosphische Grundwissenschaft oder die Grundwissenschaft der Philosophie. Dieser Ausdruck ist mißverstanden worden. Man meinte allen Ernstes, ich wolle die Einsichten der anderen philosophischen Disziplinen, ich meine die Einsicht, in deren Gewinnung sie bestehen, begründen durch die Einsichten der Psychologie oder einer irgendwie verstandenen Psychologie, wolle daraus sie ableiten, wolle sie für gültig erklären, weil gewisse psychologische Einsichten gelten, sie durch diese beweisen. In Wahrheit wollte ich damit etwas völlig anderes, oder wenn man will, ich wollte damit noch mehr sagen, nämlich daß die Psychologie, die ihre Aufgabe ganz erfüllt, eben damit auch die Aufgaben anderer philosophischer Disziplinen schon erfüllt hat, so daß diesen nun nichts mehr zu tun übrig bleibt und umgekehrt, daß die Aufgabe der anderen philosophischen Disziplinen gar nicht erfüllt werden kann, ohne daß damit eo ipso [schlechthin - wp] ein Teil der Gesamtaufgabe der Psychologie bereits erfüllt ist. Hierbei beachte man wohl, daß es sich um die Erfüllung der Aufgaben der Psychologie und anderer philosophischer Disziplinen handelt. Damit ist nicht die Eigenart der Aufgaben der fraglichen philosophischen Disziplinen in Frage gestellt. Nur von ihrer Lösung ist die Rede. Es soll also mit jener Rede, die Psychologie sei die philosophische Grundwissenschaft, nicht den anderen Disziplinen etwas genommen werden, sondern der Psychologie soll ihr ganzes Recht gegeben werden. Es soll insbesondere der Umfang dessen, was die Psychologie zu leisten hat, dadurch gewahrt werden. Sie soll dadurch vor einer nicht in ihrem Wesen begründeten und darum unberechtigten Verengung ihres Umfangs geschützt werden. Es soll damit etwa betont werden, daß die Psychologie nicht bloß Empfindungspsychologie ist. Es soll damit gesagt sein, daß auch hinter den Bergen noch Menschen wohnen, daß es allerlei Psychisches gibt, von dem die Psychologie gut tut, gelegentlich sich auch etwas träumen zu lassen, und daneben anderes, und Außerpsychisches, von dem sie gut tut, solange nicht zu reden, als sie nicht weiß, ob sie das Psychische erschöpft, also ein Recht hat, über ihr Gebiet hinauszuschielen. Was ist denn der Gegenstand der Psychologie? Natürlich das Psychische. Und darunter haben wir ohne Zweifel zunächst das Bewußtseinsleben zu verstehen. Seine Eigenart zu erkennen, die Eigenart dieses besonderen Wirklichkeitsgebietes, die Eigenart des Bewußtseinswirklichen, und aus ihm herauszunehmen nicht dieses oder jenes, sondern alles, was in ihm ist, jedes in ihm unterscheidbare Element oder Moment und jede Weise, wie in ihm diese Elemente oder Momente zur Einheit des Bewußtseinslebens verwoben sind, dies ist dann wohl die erste Aufgabe der Psychologie. Vielleicht meint jemand, diese Aufgabe sei leicht zu erfüllen und dürfe darum leicht genommen werden. Leider widerspricht dieser Meinung meine Erfahrung. Mir scheint die Kunst einer solchen Feststellung der Natur des Bewußtseinslebens eine schwerere und vielleicht die schwerste Kunst. Sie ist in jedem Fall eine Kunst, deren Erlernung Jahrzehnte und die Aufbietung der ganzen Kraft erfordert. Ich weiß darum keinen, der sie nebenbei erlernt, so viele auch meinen, sie nebenbei üben zu können. Gewiß hängt dies damit zusammen, daß ja das Bewußtseinsleben so etwas ganz anderes ist als das, womit andere Wissenschaften sich befassen, insbesondere so etwas ganz anderes als die sinnliche Erscheinung des Wirklichen, die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, als das Gesehene und das Gehörte usw., und was daraus durch die Kraft des Geistes vom Menschen gemacht wird. Es ist nicht nur etwas anderes als dies, sondern es ist damit gar nicht einmal vergleichbar. Es ist nun einmal so, daß man etwa Lust und Hoffnung oder mein zählendes Zusammennehmen, wodurch für mich die Anzahlen entstehen oder mein Wollen nicht sinnlich wahrnehmen kann. Und so kann nichts von dem, was zum Bewußtseinsleben gehört oder es konstitutiert, sinnlich wahrgenommen werden, sondern all das kann nur innerlich gefunden, verspürt oder, wie ich sage, erlebt werden. Die Psychologie ist die Wissenschaft dessen, von em wir nur wissen, weil wir es erleben. Sie ist die Wissenschaft vom inneren, von der Innenwelt, von den Personen, vom Subjekt, d. h. eben die Wissenschaft vom nur Erlebbaren, vom Bewußtseinsleben. Sie ist nicht eine Wissenschaft von Erscheinungen des Wirklichen, sondern von einer Seite, oder besser gesagt, von Punkten des Wirklichen selbst. Und die Erkenntnis von dem, was in ihm liegt, ist ihre erste Aufgabe. Daneben geht dann freilich die zweite Aufgabe her. Das ist die Aufgabe der "Substruktion". Das Bewußtseinsleben ist in sich selbst ein Zusammenhang. Es wird als ein solcher erlebt. Aber dieser erlebte Zusammenhang ist kein Kausalzusammenhang. Den müssen wir, wie überall, erst herstellen. Wir müssen das Erlebte durch nichts Erlebtes und nicht Erlebbares ergänzen. Wir müssen dies oder jenes hinzudenken. Das Gedächtnis, die Anlagen, das unbewußt psychische Geschehen ist ein derart Hinzugedachtes. Indem wir den Bewußtseinserlebnissen in diesem kausalen Zusammenhang ihre Stelle geben, sind sie selbst einander kausal zugeordnet. Und endlich tritt zu diesen Aufgaben die nicht mehr rein psychologische der kausalen Zuordnung der Bewußtseinserlebnisse und schließlich des gesamten Bewußtseins zu den Erscheinungen des Wirklichen. So entsteht die Psychophysiologie und die speziell sogenannte Psychophysik. Es leuchtet aber ein, daß das Unternehmen der Lösung all dieser Aufgaben die Lösung der ersten, die volle Einsicht also in das Wesen und die Struktur des Bewußtseinslebens, die volle Erkenntnis dessen, was in ihm sich findet, und das volle Verständnis für die Art, wie in ihm alles mit allem zusammenhängt, zur Voraussetzung hat. Man kann nicht erklären, noch mit anderem in eine kausale Beziehung setzen, was man nicht durchaus kennt, und man kennt nicht den einzelnen Inhalt des Bewußtseinslebens, wenn man nicht das Ganze kennt, dem es entnommen ist und ohne das es gar nicht existiert. Nur von der Erfüllung jener ersten Aufgabe der Psychologie nun, von ihrer Grundaufgabe freilich, rede ich, wenn ich sage, daß die Psychologie die philosophische Grundwissenschaft ist. Als Beispiel sei hier etwa die Logik genommen. Freilich scheinen hinsichtlich dessen, was man unter Logik zu verstehen hat, Meinungsverschiedenheiten zu bestehen. Aber ich sehe nicht, wie dadurch an der Wahrheit der Behauptung, daß alle logischen Einsichten in solchen einer vollständigen Psychologie enthalten sind, etwas geändert werden sollte. In jedem Fall will ich hier unter dem Namen der Logik all das, was man so nennen mag, zusammenfassen. Allgemein darf die Logik, so scheint mir, als Urteilslehre bezeichnet werden. Und hier nun ist die Eigenart der Aufgabe der Logik völlig deutlich. Das Urteilen ist ein psychologisches Vorkommnis. Und es wäre übel bestellt um eine Psychologie, welche dieses eigenartige Bewußtseinserlebnis unterschlagen würde. Sie würde uns ein Bewußtseinsleben vorspiegeln, dergleichen es nicht gibt. Aber das Urteilen ist nicht das Urteil. Um den Schein der Identifizierung zu vermeiden, bezeichne ich das, was ich Urteilen nenne, d. h. das Vorkommnis in einem Bewußtseinsleben, auch als Beurteilung. Doch ist nicht zu vermeiden, daß beide in einer engen Beziehung zueinander stehen. Natürlich meine ich in diesem Zusammenhang, wie auch sonst mit dem Urteilen, nicht das Sprechen. Ich rede, wenn ich vom Urteil rede, nicht vom Satz, diesem Ganzen aus Vokalen und Konsonanten, ich rede auch nicht von der "Aussage", obgleich ich gerne zugestehe, daß auch die selbständige wissenschaftliche Beschäftigung mit den psychischen Vorkommnissen, die machen, daß es für uns das gibt, was wir Sprache nennen, eine nicht uninteressante Sache ist. Sondern das Urteilen, das ich hier im Auge habe und das ich auch Beurteilung nenne, ist das Fürwahrhalten, das Geltungsbewußtsein, das Glauben an etwas, das Meinen, daß etwas stattfindet, das Überzeugtsein, daß ein Tatbestand vorliegt. Halten wir ein Glauben für sachlich berechtigt, so beehren wie es wohl mit dem Namen Wissen. Doch wollen wir hier diesen besonderen Namen nicht verwenden, sondern uns mit dem Wort Glauben begnügen. Auch das Wissen ist ja ein Glauben, nur eben ein sachlich berechtigtes. Das Glauben nun ist zunächst, nicht gelegentlich einmal, sondern notwendig, ein Glauben an etwas, das Meinen oder Überzeugtsein, ein Meinen, daß es so oder anders ist bzw. ein Überzeugtsein von etwas. Und dieses etwas, das etwas also, woran ich glaube, wenn ich glaube, das was für mich, den Glaubenden, ein Geltendes oder Tatsächliches ist, dürfen wir dem Urteilen oder Glauben selbst, diesem in mir oder anderen stattfindenden Akt, gegenüberstellen und es mit einem besonderen Namen bezeichnen. Wir müssen dies vielmehr. Sei etwas das, woran ich glaube, ein physikalisches Ereignis, z. B. das Fallen eines Ziegels vom Dach, so ist doch dieses wirkliche oder vermeintliche Ereignis nicht das Glauben daran. Es ist auch nicht umgekehrt das Glauben ein physikalisches Ereignis. Wir müssen also beides unterscheiden. Und von einer solchen Unterscheidung nun ist die Bezeichnung mit verschiedenen Namen nur die Konsequenz. Demgemäß nennen wir dann auch das Urteilen, und nur dieses, ein Urteilen, oder bezeichnen es als Urteilsakt oder als Beurteilung. Dagegen nenne ich dasjenige, woran ich glaube, den Urteilsgegenstand. Urteilsakt und Urteilsgegenstand setzen wir also einander gegenüber. Mitunter erweist sich ja auch die Unterscheidung der beiden als sehr nützlich. Ich glaube etwa, daß es mit dieser oder jener Sache so oder so bestellt ist. Und ich freue mich oder fühle Lust. Nicht weil das, woran ich glaube, also mein Urteilsgegenstand, dieser oder jener ist oder weil er so oder so beschaffen ist, sondern weil mein Glauben ein bestimmt geartetes ist, ein zuversichtliches etwa, weit entfernt von der inneren Zuständlichkeit, die wir als Zweifel bezeichnen. Mit anderen Worten: ich freue mich meiner Gewißheit. Dagegen fühle ich angesichts des Urteilsgegenstandes Unlust. Ich freue mich nicht, sondern bin betrübt, daß das, woran ich glaube, dies ist und nicht jenes, so beschaffen und nicht anders geartet. Und doch ist in beiden Fällen das Glauben dasselbe, es ist insbesondere gleich zuversichtlich. Es ist ebensowohl ein wirkliches oder vermeintliches Wissen. Und beide Male ist dies eine wesentliche Bedingung des Gefühls. Auch für den Fall, daß die Beschaffenheit des Urteilsgegenstandes der Grund meines Gefühls ist, entsteht dieses doch nicht, weil das, woran ich glaube, ansich so ist wie es ist, sondern weil ich daran glaube und weil das Glauben ein solches ist, so geartet, so zuversichtlich, so sehr vom Zweifel nicht angekränkelt. Aber in diesem Fall ist mein Gefühl nicht dadurch bestimmt, daß ich überhaupt Gewißheit habe, sondern dadurch, daß meine Gewißheit diesen bestimmten Gegenstand hat. Offenbar nun hat man hier allen Grund, zwar nicht, wie einige wollen Urteilsaktgefühle und Urteilsgefühle, wohl aber Urteilsaktgefühle und Urteilsgegenstandsgefühle scharf voneinander zu trennen. Und ebenso wichtig ist die Unterscheidung von Urteilsakt und Urteilsgegenstand, wenn es sich darum handelt, in die Mannigfaltigkeit des Strebens Ordnung zu bringen und die Grundmöglichkeiten des Strebens einander gegenüberzustellen, wenn man also das versucht, was ich in meinem "Leitfaden der Psychologie" und ausgeführter in der Willenstheorie, die sich als zweite Auflage der Schrift "vom Fühlen, Wollen und Denken" gibt, versucht habe. Ich strebe etwa danach, über ein physikalisches Ereignis ein Urteil zu haben oder darüber urteilen zu können, Gewißheit oder Erkenntnis zu gewinnen, wie es darum bestellt ist. Mag es aber darum so oder so bestellt sein, nicht dies, daß mein Urteil diesen Urteilsgegenstand hat, sondern einzig dies, daß es einen solchen Charakter der Gewißheit, der Sicherheit, der Zuverlässigkeit hat, erstrebe ich. Ein anderes Mal dagegen ist mein Streben nicht ein solches Gewißheits- oder Erkenntnisstreben. Sondern es ist ein Wirklichkeitsstreben. Ich strebe danach, daß es mit einer Sache so oder so bestellt ist. Ich strebe etwa danach, daß ein Besuch kommt. Ich strebe nicht danach, zu wissen oder Gewißheit zu haben, ob er kommt, sondern ich strebe danach, daß es so ist. Dennoch hat auch in diesem Fall mein Streben sein natürliches Ende erreicht oder ist der psychische Tatbestand, der Das Ziel des psychologischen Vorgangs des Strebens ausmacht, da, nicht wenn der Tatbestand, den ich erstrebe, ansich verwirklicht ist, sondern wenn ich auch davon weiß oder darüber, daß er eingetreten ist, Gewißheit habe. So sehr ist dieser psychische Zustand der Gewißheit auch hier das Entscheidende, daß ja das Erstrebte in Wahrheit nicht eingetreten zu sein braucht, damit mein Streben befriedigt ist. Es genügt dazu, daß ich, gleichgültig aus welchem Grund, sicher bin oder Gewißheit habe, daß der Tatbestand eingetreten ist und daß diese Sicherheit oder Gewißheit in mir bestehen bleibt. In beiden Fällen also ist meine Sicherheit oder Gewißheit das Erstrebte. In beiden Fällen kann demnach mein Streben als ein Urteilsstreben bezeichnet werden. Aber bei all dem bleibt doch ein wesentlicher Unterschied beider Fälle bestehen. Was mich in oder zu meinem Streben treibt, die Triebfeder also oder das Motiv, ist beim Gewißheitsstreben ein anderes als beim Wirklichkeitsstreben. Es ist dort wiederum die Gewißheit als solche, ein Charakter des Urteils, eine Beschaffenheit des Aktes in mir, eines psychischen Vorkommnisses also. Eine solche Beschaffenheit nun eines psychischen Vorkommnisses ist jederzeit ein spezifischer Gegenstand der Psychologie. Nicht weil die Psychologie, wie man gesagt hat, sozusagen die innere Geschichte eines Individuums zu erzählen hätte und in Individuen solche Akte gefunden werden. In Wahrheit ist ja die Aufgabe der Psychologie so wenig wie die irgendeiner Wissenschaft diese rein chronistische. Nicht was in Individuen tatsächlich vorkommt, sondern was seiner Natur nach in ihnen vorkommen kann, das seiner Art nach Psychische, will sie aufzeigen und sein Wesen und seine Gesetzmäßigkeit darlegen, ist ihre spezifische Aufgabe. Und so ist auch die mögliche Beschaffenheit von Urteilsakten, gleichgültig wie es mit dem tatsächlichen Vorkommen solcher Akte in diesem oder jenem Individuum zu irgendeiner Zeit bestellt sein mag, ein notwendiger Gegenstand ihres Interesses. Dagegen ist die Triebfeder im anderen Fall nicht die bloße Beschaffenheit eines psychischen Aktes, sondern das Stattfinden oder die Beschaffenheit eines Vorkommnisses irgendwo in der Welt, wenn auch eines solchen, von dessen Stattfinden ich weiß oder Gewißheit habe. Dieses Vorkommnis als solches aber fällt naturgemäß unter die Jurisdiktion bald dieser bald jener Wissenschaft. Es fällt unter die Jurisdiktion der Naturwissenschaft, wenn, wie wir oben angenommen haben, die wirkliche oder vermeintliche Tatsache, an die ein Mensch glaubt, eine naturwissenschaftliche Tatsache ist, wenn sie also der Welt der wirklichen oder vermeintlichen sinnlichen Erscheinung des Wirklichen angehört. In der Mitte aber zwischen dem Urteilsakt, diesem möglichen Vorkommnis in einem individuellen Bewußtsein, und spezifischen Gegnstand der Psychologie, und dem Urteilsgegenstand, der wirklichen oder vermeintlichen Tatsache also, diesem Gegenstand bald dieser bald jener Wissenschaft, steht ein Drittes oder Mittleres. Und dies ist das Urteil, das man weder mit dem Urteilsakt noch mit dem Urteilsgegenstand verwechseln soll. Ich meine das Urteil, das zweifellos und jederzeit wahr oder falsch ist, wie immer es mit der Wahrscheinlichkeit, daß jemand das Urteil fällt, und demnach der dem Urteil entsprechende Urteilsakt in einem individuellen Bewußtsein vorkommt, bestellt sein mag. Ich meine das Urteil, das besteht, auch wenn der zugehörige Urteilsakt nirgends besteht. Und ich meine das Urteil, das auch dann, und dann nicht minder besteht, wenn es falsch ist, während es falsche Tatsachen bekanntlich nicht gibt und vermeintliche Tatsachen zwar nach der Meinung des Urteilenden, in Wahrheit aber nicht bestehen. Dieses Urteil ist nun weder ein spezifischer Gegenstand des psychologischen Interesses, noch wird es bald von dieser, bald von jener Wissenschaft diskutiert, sondern einzig die Logik hat es zum spezifischen Gegenstand. Es ist aber auch die besondere Art dieses "Urteils" leicht zu verstehen. Vor allem ist es vom Fällen des Urteils oder dem Urteilsakt leicht zu unterscheiden. Von vornherein leuchtet ja ein, daß das Urteil nicht sein Fällen ist. Im Übrigen weiß jeder: Wenn von vielen oder wenn von mir zu verschiedenen Zeiten ein und dasselbe Urteil gefällt wird, so sind die Akte des Urteilens zwar viele, das Urteil aber, wie ich ja schon gesagt habe, ein und dasselbe. Und immer gehören die Akte des Urteilens einer bestimmten Person an, sind zu einer bestimmten Zeit wirklich und sind es zu einer anderen Zeit nicht, und immer haben sie diese oder jene Beschaffenheit. Ein Urteilen etwa ist ein leidenschaftliches, vielleicht ein fanatisches, oder es ist ein selbstbewußtes; ein anderes dagegen ist ein ruhiges oder bescheidenes. Dagegen ist das Urteil immer ort- und zeitlos und unpersönlich. Es ist nicht wirklich noch auch unwirklich, sondern ist einfach da. Es hat nichts von jenen Beschaffenheiten der Urteilsakte sowie es nicht hat von ihrer Vielheit. Nichts überhaupt kann ihm nachgerühmt werden, als daß es ein Urteil und daß es einen bestimmten Urteilsgegenstand hat und daß es gültig oder ungültig ist. Es ist also das Urteil allerdings ein sehr wesenloser und blutleerer Gegenstand. Es gibt aber eben viele Gegenstände von völlig gleicher Art wie das Urteil, und es ist bei ihnen alle nich zu verwundern, daß sie so blutleer und so wesenlos sind. Sie sind künstliche und künstlich "herausgenommene" Gegenstände, solche, denen durch die Herausnahme künstlich ein selbständiges Dasein gegeben ist. Und bei diesem Herausnehmen haben sie nun alles abgestreift und zurücklassen müssen, was ihnen Blut und Wesen gegeben hätte. Es gibt kein Tun, das nicht ein Vollbringen einer Tat wäre, kein Schließen, in dem nicht ein Schluß gezogen wird, kein Wertschätzen einer Sache, in welchem nicht der Sache ein Wert geliehen wird, ja nicht einmal spazierengehen kann ich, ohne einen Spaziergang zu machen. Kurz: in jedem Geschehen geschieht immer etwas. So kann ich auch nicht urteilen, ohne ein Urteil zu fällen. Und daraus kann ich nun das Urteil herausnehmen. Ich kann, nachdem ich einmal das Urteilen gedanklich in das Fällen eines Urteils verwandelt habe, gewissermaßen dieses Fällen eines Urteils entzweischneiden. Dann habe ich das Urteil für sich; ebenso wie ich in den anderen Fällen durch eine analoge Verwandlung und ein ähnliches Entzweischneiden die Tat, den Wert, nämlich den geliehenen, nicht den der Sache zukommenden, nicht ihren tatsächlichen oder den von ihr geltenden Wert, den Spaziergang usw., gewinne. Natürlich ist hier im Ausdruck nicht alles in Ordnung. Das Fällen, von dem ich hier rede, ist kein Fällen überhaupt, etwa das Fällen von Bäumen, sondern es ist das Fällen eines Urteils, d. h. das Urteil steckt gedanklich darin. Es ist darin eingeschlossen, davon umfaßt. Es ist danach das "Herausnehmen" sachgemäßer als das "Entzweischneiden". Und die "Herausnahme" macht uns die Sprache, indem sie das Urteilen dem Fällen eines Urteils gleichsetzt, gewissermaßen vor. Wir brauchen, indem wir es üben, nur der Anweisung Folge zu leisten, die schon durch den gemeinen Sprachgebrauch und die in ihm liegende Psychologie uns übermittelt ist. Wie aber im Urteilen das Urteil, so "steckt" in der Lösung der Aufgabe der Psychologie, uns zu sagen, worin denn das psychische Vorkommnis des Urteilens besteht, die Aufgabe der Logik, uns darüber aufzuklären, was denn unter einem Urteil zu verstehen ist und umgekehrt, eingeschlossen. Ich kann nicht sagen, was ein Urteilen ist, ohne eben damit zu sagen, was ein Urteil ist, da nun einmal das Urteilen das Charakteristische hat, ein Fällen oder die Hervorbringung eines Urteils zu sein. Und ebenso kann ich umgekehrt niemand deutlich machen, was ein Urteil ist, ohne den Versuch, ihm deutlich zu machen, was es um das Urteilen für eine Sache ist. Oder, um noch ein anderes Moment hervorzukehren: jede Aussage, was ein Urteil ist, wäre nur eine willkürliche Behauptung, wenn sie sich nicht auf Erfahrung stützt. Aber nicht das Urteil, sondern nur das Urteilen ist ein Gegenstand der Erfahrung. An das Urteilen also muß ich mich wenden, mit anderen Worten, ich muß psychologisch vorgehen, wenn es mir darauf ankommt, in der Logik nicht blind darauf loszureden, sondern etwas Sachliches zu sagen. Ohne Zweifel kann ja jeder mit dem beliebigen Wort jedes beliebige meinen oder jedes beliebige Wort in jedem beliebigen Sinn gebrauchen, obgleich eine solche Begriffseigenbrödlerei nicht eben zweckmäßig ist. Aber dem Logiker kommt es, wenn er das Urteil definiert, nicht darauf an, uns mitzuteilen, in welchem Sinn er das Wort Urteil gebraucht, sondern wie das, was er und alle Welt Urteil zu nennen gewohnt ist, beschaffen ist. Nicht die Frage nach der Bedeutung eines Wortes, sondern eine Tatsachenfrage will er beantworten. Aber aus welcher Erfahrung weiß er davon? Dies schließt nicht aus, daß es ja neben der Erfahrungserkenntnis die intuitive gibt. Ein Beispiel wäre die Einsicht, daß ein Ton immer eine Tonhöhe hat. Aber eine derartige Einsicht ist die in die Natur des Urteils nicht. Sie ist keine Denknotwendigkeit, wie es die intuitiven Einsichten sind. Sie muß vielmehr als eine empirische oder erfahrungsgemäße gemeint sein. Ist sie dies aber, so ist sie notwendig eine psychologische. Und so müssen alle logischen Einsichten, wenn sie nicht blinde Behauptungen sein sollen, oder aber etwa Denknotwendigkeiten zu verkünden beanspruchen, schließlich die Erfahrung als Quelle haben. Logische Aussagen aber enthalten niemals bloße Denknotwendigkeiten, und es gibt keine Erfahrung außer der naturwissenschaftlichen und der psychologischen, der sinnlichen Wahrnehmung und dem Erleben. Und nur das Erleben kann der Quell sein, aus welchem der Logiker schöpft. Mit anderen Worten: Logik ist nichts oder sie ist Psychologie. So wenig gründet sie sich darauf. Demgemäß hat dann auch niemand das Urteil, diesen Gegenstand der Logik, auch nur definiert, ohne daß seine Definition in Wahrheit eine Angabe darüber gewesen wäre, was das Urteilen, dieses psychische Vorkommnis, für eine Sache ist. Auch die Erklärung, das Urteil sei das Erleben und die Anerkennung einer Gegenstandsforderung, ist nicht sowohl eine Definition des Urteils als des Urteilens oder des Urteilsaktes, der Beurteilung. Nennen wir, wie wir das oben getan haben, das Urteilen im Gegensatz zum Sprechen oder zum Ausdrücken des Urteilens ein Meinen, Glauben, Überzeugtsein, dann ist das Urteil die Meinung, der Glaube, die Überzeugung. Ich meine damit den Glauben, den viele haben können und der trotz der Vielheit der Akte des Glaubens ein und derselbe sein kann und vielleicht bei Millionen ist, der nicht leidenschaftlich oder ruhig, sondern nur wahr oder falsch ist, so gewiß das Glauben oder das Haben des Glaubens diesen oder jenen Aktcharakter besitzen mag. Und ich nehme die Meinung, die Überzeugung in demselben Sinn. Und wie aus dem Haben eines Glaubens der Glaube, so kann von mir aus dem Denken oder dem Haben eines Gedankens der Gedanke, aus dem Fühlen oder Haben eines Gefühls das Gefühl, aus dem Vollziehen eines Begriffs, das wir nicht Begreifen nennen, aber Fassen und genauer "begriffliches Fassen" nennen können, den Begriff herausnehmen. Niemals meine ich hier mit dem Herausgenommenen seinen Gegenstand. Lust und Unlust usw. etwa sind Gefühlsgegenstände oder sind ein Gefühltes. Aber sie sind weder Gefühle noch ein Fühlen. Und so ist der Begriffsgegenstand, etwa das Atom, weder das Vollziehen eines Begriffs noch ein Begriff. Doch je weiter wir hier gehen, umso gerechtfertigter erscheint der Gedanke, daß wir hier ziemlich leeres Stroh dreschen. Das Urteil und die übrigen "herausgenommenen" Gegenstände, von denen wir gesprochen haben, sind eben doch nur Seiten psychischer Vorkommnisse oder sie sind mit ihnen dieselbe Sache, nur von einer bestimmten Seite aus betrachtet und diese für sich herausgehoben. Nun so wird es wohl sein. Aber eben, daß es so ist, und daß insbesondere demnach die Logik nur psychische Vorkommnisse von ihrer Seite her betrachtet und die Seiten gedanklich verselbständigt, daß sie also, wenn auch mit etwas anderen Worten, ungefähr dasselbe sagt, was die Psychologie auch zu sagen verpflichtet wäre, scheint mir eine beherzigenswerte Wahrheit. Die Logik sagt aber nicht nur was das Urteil ist, sondern sie unterscheidet auch Arten von Urteilen. Doch tut sie auch dies, sofern sie nicht etwa die Geschäfte anderer Wissenschaften besorgt, nur von einem psychologischen Gesichtspunkt aus. Nicht welche voneinander verschiedenen Urteilsgegenstände, welche wirkliche oder vermeintliche chemische, physikalische, botanische, zoologische usw. Tatsachen es gibt, und mit welchen Hilfsmitteln man ihnen um ihrer Eigenart willen zweckmäßigerweise zuleibe geht, oder welche "Methoden" diese Urteilsgegenstände um ihrer Eigenart willen erfordern, interessiert sie, sondern einzig dies ist hierbei ihre Frage, welche charakteristisch verschiedenen Weisen des Urteilens möglich sind und aus der Natur des urteilenden Subjekts sich ergeben. Nur Beispiele sind für sie die Urteile und Verfahrensweisen, die in der Physik, Chemie usw. vorkommen, nicht Gegenstand ihrer Untersuchung. Und ebenso verhält es sich, wenn nun die Logik nach der Struktur des Urteils fragt, das allgemeine Wesen des Begriffs bezeichnet und die Arten und Verhältnisse der Begriffe unterscheidet. Auch hier ist ihr Gesichtspunkt der psychologische, der jenes "begrifflichen Fassens". Dieses Fassen ist nicht das Gefaßte oder der Begriffsgegenstand. Wie aber das Urteilen, d. h. das Glauben, nicht ohne den Urteilsgegenstand oder das, woran geglaubt wird, so kann auch das begriffliche Fassen nicht ohne einen Gegenstand gedacht werden. Und darum ist es unmöglich, von Begriffen zu reden, ohne von ihren Gegenständen zu reden. Doch redet die Logik nur von den Gegenständen für mich, und sofern sie von mir, d. h. vom Subjekt, begrifflich gefaßt sind. Sie ist also, indem sie eine Begriffslehre ist, psychologische Gegenstandslehre und hat auch in diesem Punkt eine Aufgabe zu erfüllen, welche auch die Psychologie nicht unerfüllt lassen darf. Jenes Fassen schließt aber ein Dreifaches in sich. Es ist das Denken, das Fassen im engeren Sinn, ich meine, das Fürsichfassen und Zusammenfassen, und es ist endlich das Fixieren durch das Begriffszeichen. Lassen wir hier das letzte zur Seite, so bleibt das Denken und das "Fassen". Dies tun wir gut, vom bloßen Denken zu scheiden. Was nun ist das Denken? Das Denken ist das Machen, daß ein Gegenstand für mich da ist. Es ist das Hervorbringen dieses "Für mich". Und der "Gegenstand für mich" ist das von mir Gedachte, sofern es dies ist. Es gibt keine andere Definition des "Gegenstandes für mich". Der Gegenstand ist das Denkbare, das also, was Gegenstand für mich werden kann. Es wird aber zum Gegenstand für mich, indem ich es denke. Das Dasein eines Gegenstandes für mich besteht in seinem Gedachtsein. Das Denken aber ist ein Bewußtseinserlebnis, ein Bestandstück des gesamten Bewußtseinslebens, ein Geschehen in ihm und ein sehr merkwürdiges Geschehen. Das Denken ist das Hinausgreifen zu vielleicht von mir sehr verschiedenen Gegenständen, ein Hinausgehen, nämlich ein geistiges Hinausgehen über mich; es ist die Schaffung des Gegensatz zwischen dem Denkenden und dem, das nicht er ist, zwischen Dem Subjekt und seinem Gegenstand, und das Schaffen einer Beziehung zwischen beiden. Es ist dies, daß ich etwas in unsagbarer Weise mir gegenüberstelle, oder daß ich mich ihm gegenüberstelle. Und dieses mir Gegenüberstehende, oder das, dem ich mich gegenüberstelle, das ist eben der Gegenstand, nämlich der Gegenstand für mich. Es gibt also keine Möglichkeit, auch nur zu sagen, was ein "Gegenstand für mich" ist, ohne daß ich sage, was das Denken ist, und ich kann ebenso umgekehrt nicht wissen, was das Denken ist, ohne daß man mir deutlich macht, was denn unter einem "Gegenstand für mich" verstanden werden soll. Ja es ist nicht möglich, von Gegenständen überhaupt zu reden, ohne vom Denken mitzureden, da doch eben Gegenstände das Denkbar sind und in dieser Beziehung zum Ich, sofern es denkt, für uns das einzige allgemeine, allem anderen zugrunde liegende Charakteristikum der Gegenstände enthalten ist. Derjenige aber würde das Bewußtseinsleben fälschen und von etwas reden, das es gar nicht gibt, der von Bewußtseinsleben spräche und dabei das Denken unterschlägt, dieses Hinausgehen des Subjekts zu etwas, das es nicht selbst zu sein braucht, dieses Setzen eines Gegensatzes und einer Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Gegenstand. Das Denken nun für sich allein betrachtet ist nur eben das Setzen dieses Gegensatzes und dieser Beziehung. Aber wir kennen doch nicht nur "den" Gegenstand, sondern auch "die" Gegenstände. Mit anderen Worten: Das mir Gegenüberstehende oder mir Gegenständlich ist zunächst, solange es nur mir gegenübersteht und dadurch von mir geschieden ist, solange es also nur "gedacht" ist, eine Masse. es ist "das" Gegenständliche überhaupt oder schlechthin [ansich - wp] und es ist sonst weiter nichts. Soll es mehr sein, soll dieses Gegenständliche in voneinander verschiedene Gegenstände für mich zerfallen, so muß ich auch innerhalb dieses Gegenständlichen scheiden. Nur durch mein "Für-sich-Auffassen" entstehen für mich die einzelnen Gegenstände. Nur durch mein Unterscheiden entstehen für mich die unterschiedenen Gegenstände. Und nur indem ich die voneinander geschiedenen Gegenstände zusammenfasse und aufeinander beziehe, sind sie nicht bloß auf mich, sondern auch aufeinander bezogen. Aber es findet eben in mir nicht bloß jenes Denken, sondern auch dieses Fassen, dieses Fürsichfassen und Zusammenfassen statt. In ihm trete ich an jene ansich ungeschiedene Masse des Gegenständlichen oder an den Gegenstand heran und belebe so erst die Masse. Mein "Fassen für sich" aber und mein Zusammenfassen, die Art also, wie ich die Masse belebe, ist, wie jeder weiß, von großer Mannigfaltigkeit. Man denke etwa das Herausnehmen der Tat aus dem Tun, wovon oben die Rede war, oder an das abstrahierende Herauslösen oder an die geistigen Operationen, durch welche die Zahlen die spezifischen Gegenstände der Arithmetik zustande kommen. Von dieser Mannigfaltigkeit nun soll hier nicht im Einzelnen geredet werden. Nur darauf kommt es mir an, daß natürlich alle diese Weisen des Auffassens, als Vorkommnisse in mir, Gegenstände sind der Psychologie, und daß sie, sofern dadurch diese oder jene Gegenstände für mich zustand kommen, in die psychologische Gegenstandslehre gehören, daß ihre Erörterung einen unerläßlichen Teil dieses Zweiges der Psychologie ausmacht. Und nicht diese psychischen Vorkommnisse als solche zwar sind zugleich ein Gegenstand der Logik, wohl aber die Gegenstände und Begriffe, die uns daraus entstehen, und sofern sie daraus entstehen oder in ihnen ihr Dasein haben, zugleich in der Eigenart derselben ihre Eigenart besitzen. Indem der Gegenstand mir gegenübertritt, entsteht für mich etwas, das mir mit eigenem Rechtsanspruch oder fordernd sich entgegenstellt. Ich finde in mir oder erlebe nicht nur das "ich will", sondern auch das "ich soll", ich finde in mir oder erlebe nicht nur mein Belieben, sondern auch die Schranke, den kategorischen Imperativ, die Stimme der Sache oder der Vernunft. Nur das absolute "ich soll" meine ich natürlich hier, das Gebot derjenigen Autorität, von der es unmöglich ist, an eine höhere Instanz zu appellieren, weil es eine höhere Instanz nicht gibt. Man nennt diese Stimme auch wohl die des Gewissens, wovon das logische, ethische und das ästhetische Gewissen Teile sind. Damit nun sind wir wieder in der Sphäre der psychischen Tatsache des Urteilens, welche die Psychologie anerkennen und in ihrer Eigenart zu erkennen versuchen muß. Aber auch schon die bloße Tatsache, daß es im Bewußtseinsleben dem "ich will" gegenüber das "ich soll" gibt, daß das individuelle Bewußtsein dieses Doppelwesen ist, muß von ihr erkannt werden. Es kommt dazu, daß ja die Stimme der Vernunft in dem Maße, als sie gehört wird, im individuellen Bewußtsein zur wirkenden Kraft wird. Ich bin nicht die Vernunft, aber jeder ist in seinem Urteilen wie in seinem ästhetischen Werten, wie auch in seinem Wollen relativ vernünftig. Das individuelle Bewußtseinsleben ist immer ein Produkt aus den beiden Faktoren, seinem individuellen Wesen und den Forderungen der Gegenstände, von denen es weiß. Demgemäß ist es unmöglich, daß ich das individuelle Bewußtseinsleben, den tatsächlichen Ablauf des psychischen Geschehens im Individuum, verstehe, ohne dieser merkwürdigsten aller Bewußtseinstatsachen, der, daß die Gegenstände fordernd an mich herantreten oder daß "ich soll" zu gedenken. Die Gegenstandsforderungen, die ich urteilend erlebe und anerkenne, brauchen aber freilich nicht gültige, d. h. reine Gegenstandsforderungen oder Forderungen der reinen Gegenstände zu sein. Sie können auch und werden zunächst verunreinigte oder subjektiv gefärbte Forderungen sein. Dann sind sie ungültig. Und auch das entsprechende Urteil ist kein gültiges, sondern ein ungültiges, und der Akt meines Urteilens kein sachlich berechtigter, sondern ein sachlich unberechtigter. Damit beginnt die Aufgabe des Erkennens. Sie ist eben die, aus den Urteilen die gültigen Urteile und damit die Wahrheit zu gewinnen. Zwei Standpunkt nun sind für die Logik oder Erkenntnislehre dieser Gültigkeit von Urteilen, oder wie wir auch kürzer sagen können, der Wahrheit gegenüber, möglich. Einmal: sie stellt sich auf einen bloßen formalen Standpunkt, d. h. sie betrachtet nur die gesetzmäßige Beziehung, in welcher gültigere Urteile untereinander stehen. Dagegen fragt sie nicht, ob es denn eine solche Gültigkeit von Urteilen gibt, sondern setzt dies voraus. Sie fragt demgemäß auch nicht, was denn die gültigeren Urteile auszeichnet und woher sie stammen. Sie fragt nur, wie sie, wenn es solche gibt, sich zueinander verhalten. Zum Ende konstatiert sie zunächst, daß die Forderungen der Gegenstände, die wir in unseren Urteilsakten erleben und anerkennen, doppelter Art sind, positive und negative Forderungen, Forderungen im engeren Sinne und Verbote. Und sie nennt das Urteil, in welchem die Forderung eines Subjektsgegenstandes, daß ein bestimmter Denkakt stattfindet, anerkannt ist, ein positives Urteil, das Urteil, demzufolge derselbe Subjektsgegenstand den gleichen Denkakt verbietet, das entsprechende negative Urteil. Und sie stellt nun fest, daß ein positives Urteil ungültig ist, wenn das ihm entsprechende negative Urteil Gültigkeit hat, und gültig, wenn dies keine Gültigkeit besitzt, und daß ebenso das Umgekehrte zutrifft. Und sie stellt weiter fest, daß es für diesen Tatbestand nichts verschlägt, ob der Subjektsgegenstand derselbe oder ob er nur ein gleicher ist. Denn wenn ein Urteil irgendeiner Art gültig ist, so sei auch jedes Urteil, demzufolge ein gleicher Subjektsgegenstand den gleichen Denkakt fordert bzw. verbietet, gültig, und wenn es ungültig ist, so sind auch alle diese Urteile ungültig, und umgekehrt, oder kürzer gesagt, was von einem Gegenstand gilt, gilt auch von jedem gleichen Gegenstand, und was von ihm nicht gilt, das gilt auch von keinem der ihm gleichen Gegenstände. Aber wie soll ich nun wissen, daß es in Wahrheit sich so verhält, wenn nicht daraus, daß ich es in mir erfahre, d. h. erlebe. Seinem darauf bezüglichen Erlebnis nur gibt der Logiker Ausdruck, und er vertraut darauf, daß es jeder in sich selbst nicht anders erlebt. Das Bewußtsein der Gültigkeit aber ist eine Bewußtseins-, also eine psychische Tatsache. und die gehört als solche wiederum zunächst der Psychologie an. Ohne weiteres ist ja freilich zuzugeben, daß das Bewußtsein der Gültigkeit nicht die Gültigkeit selbst ist. Aber alle dergleichen selbstverständliche Wahrheiten, und die Melodie ist ja ins Endlose variabel, können doch diese Tatsache nicht aufheben, daß nur die Gültigkeit für mich besteht, von der ich ein Bewußtsein habe, und demgemäß nur eine Möglichkeit vorliegt, die Frage zu beantworten, was denn Gültigkeit sein soll, nämlich die Möglichkeit, deren Realisierung darin besteht, daß ich sage und möglichst verständlich zu sagen versuche, von was ich ein Bewußtsein habe, wenn ich ein Bewußtsein der Gültigkeit zu haben behaupte. Damit aber scheinen wir in eine neue Schwierigkeit hineinzukommen. Jedes Urteil ist ein Geltungsbewußtsein, d. h. immer wenn wir urteilen, meinen oder glauben wir, es gelte etwas von dem Gegenstand, über den wir urteilen. Aber wann ein Urteil gültig ist, das ist ja eben die Frage, um die es sich hier handelt. Es handelt sich, so können wir sagen, um die Gültigkeit des Gültigkeitsbewußtseins. Das Gültigkeitsbewußtsein also kann gültig und auch nicht gültig sein. Danach, so scheint es, können wir auf die Frage, was Gültigkeit ist, doch nicht einfach antworten, indem wir auf das Gültigkeitsbewußtsein verweisen. Sondern wir müssen zwei Möglichkeiten des Gültigkeitsbewußtseins unterscheiden. Immer, so gab ich soeben zu verstehen, wenn ich ein Urteil fälle, so ist dieses Urteil nach meiner Meinung, es ist also vermeintlich, gültig. Dieser vermeintlichen Gültigkeit nun steht die tatsächliche Gültigkeit entgegen. Zwischen vermeintlicher und tatsächlicher Gültigkeit müssen wir also unterscheiden. Jene eignet jedem Urteil für den Urteilenden. Ob ihm aber auch tatsächliche Gültigkeit, oder ob ihm in Wahrheit Gültigkeit zukommt, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Die tatsächliche Gültigkeit aber ist es, die der Logiker im Auge hat, wenn er von der Gültigkeit von Urteilen redet. Was ist nun diese tatsächliche Gültigkeit? Ich bezeichnete anderswo, wie man sich erinnert, den Urteilsakt auch als das Erleben und die Anerkennung einer Gegenstandsforderung. dann meinte ich, die Forderung könnte eine gültige, aber auch eine ungültige sein. Sie ist gültig, wenn sie eine reine Gegenstandsforderung oder die Forderung eines reinen Gegenstandes ist. Dagegen ist sie nicht gültig, wenn und soweit der fordernde Gegenstand, also auch die Forderung verunreinigt ist, wenn Zutaten, die nicht dem Gegenstand angehören, ihn verhüllen und ihn und seine Forderung fälschen, wenn oder soweit der Gegenstand und seine Forderung durch die Eigenart des individuellen Bewußtseins und der Sinne gefärbt sind. Ist aber eine Forderung gültig, so ist auch das Urteil gültig, das ich fälle, indem ich die Forderung erlebe und anerkenne. Das Urteilen nun ist ein Bestimmtsein durch den Gegenstand. Dies macht sein spezifisches Wesen aus. Anderes aber, das dem urteilenden Subjekt angehört und dem Gegenstand selbst fremd ist, Außergegenständliches mit einem Wort, kann den Urteilenden und sein Urteil mitbestimmen. Gesetzt jedoch, ich sei im Fällen eines Urteils rein durch den Gegenstand bestimmt, so ist dies ein reiner oder Idealfall meines gegenständlichen Bestimmtseins oder meines Urteilens. Und dann ist mein Urteil gültig. Dieser reine oder Idealfall nun ist vergleichbar dem reinen oder Idealfall des Fallens, dem reinen Fallen, d. h. dem Fallen nach dem Fallgesetz. Das Fallen ist ein Bestimmtsein durch die Anziehungskraft der Erde. Ihre Wirkung aber pflegt durch allerlei Momente, die jene Anziehungskraft nicht rein zur Wirkung kommen lassen, modifiziert zu werden. Gesetzt jedeoch, ein fallender Körper sei in seinem Fallen nur durch sie bestimmt, so haben wir den reinen oder Idealfall des Fallens.' Und dasselbe nun in anderer Sphäre ist der reine oder Idealfall des Urteilens. Und das Urteil, dessen Fällen einen solchen reinen oder Idealfall des gegenständlichen Bestimmtseins, also des Urteilens oder des Gültigkeitsbewußtseins darstellt, ist das gültige. Nun könnte man meinen, eben daraus eine Grenzscheidung der Psychologie und der Logik oder der Erkenntnislehre zu gewinnen, die nicht mehr erlaubt von der Psychologie zu sagen, daß sie der Logik oder der Erkenntnislehre nichts mehr zu tun übrig läßt. Die Psychologie, so könnte man sagen, sei nur die Lehre vom tatsächlichen, d. h. in den Individuen tatsächlich vorkommenden Fällen des Urteilens. Unter diesen mögen gültige sein. Aber die ganze Frage der Gültigkeit geht die Psychologie nichts an, sondern sei jener anderen Wissenschaft, möge man sie nun Logik oder Erkenntnislehre nennen, vorbehalten. Indessen hier ist die Gefahr, daß die natürliche Aufgabe der Psychologie verkannt wird. Dies wäre sicher der Fall, wenn man es als Aufgabe und gar als die Aufgabe der Psychologie betrachten würde, festzustellen, wo in Individuen ein Gültigkeitsbewußt vorkommt und diesen einzelnen Fällen zu beschreiben und zu erklären. Aber wir sahen schon eine solche registrierende oder, wie wir ehemals gesagt haben: chronikartige Psychologie gibt es nicht. Wir können hier sagen, es gibt sie sowenig, als es eine Physik gibt, die sich die Aufgabe stellt, alle die Beispiele des Fallens, etwa der Blätter im Herbst, zu registrieren und sie in ihrer Eigenart zu beschreiben und zu erklären. Sondern wie die Physik nur die Aufgabe hat, Arten von Geschehnissen oder allgemeine Möglichkeiten' des Geschehens in der Welt, und damit zugleich allgemeine Möglichkeiten der Hemmung oder Ablenkung eines Geschehens aufzuzeigen, zu beschreiben und ihre Gesetzmäßigkeit darzulegen; so auch die Psychologie. Auch ihr genügt es, daß etwas der Art nach ein Bewußtseinserlebnis ist, daß es also im individuellen Bewußtsein vorkommen kann. Dieses mögliche Bewußtseinserlebnis beschreibt sie und sucht sie, soweit sie es vermag, verständlich zu machen. Dagegen erhebt sie nicht den Anspruch, nach Art eines Chronisten, die Fälle der Verwirklichung dieses Möglichen aufzuzählen und die Besonderheit eines jeden von ihnen verständlich zu machen. Ihre Aufgabe ist nicht diese erzählende. So ist ihr Gegenstand auch nicht das hier oder dort in einem bestimmten Individuum und zu einer bestimmten Zeit tatsächlich vorkommende Bewußtsein der Gültigkeit, sondern nur das Gültigkeitsbewußtsein überhaupt, das seiner Natur nach oder vermöge seiner Eigenart in Individuen und zu dieser oder jener Zeit vorkommen kann. Indem sie aber diese Aufgabe erfüllt, erfüllt sie auch notwendig die Aufgabe mit jenem reinen oder Idealfall des Gültigkeitsbewußtseins sich zu befassen, also das Wesen des gültigen Urteils darzulegen. Sie kann dies gar nicht unterlassen, so gewißt der Physiker nicht umhin kann, indem er es unternimmt, die Natur des Fallens der Körper allgemein zu kennzeichnen, auch das Fallgesetz oder das reine Fallen zu erörtern. So muß überhaupt die Wissenschaft, der daran liegt, nicht bloßer Aufzähler zu sein und chronikartig vom einzelnen in der Wirklichkeit Vorkommenden Kenntnis zu nehmen und darüber Bericht zu erstatten, sondern es zu verstehen, das Wirkliche auflösen und aus dem Einzelnen das Allgemeine, aus dem immer Anderen und Anderen das sich selbst Gleiche gedanklich herausnehmen oder herauslesen. Nur, indem sie das Wirkliche begreift als ein Sich-Durchdringen solcher Faktoren vermag sie es überhaupt zu begreifen. Bei diesem Begreifen aber ist nicht an ein Erklären im Sinne der Angabe dessen gedacht, woraus das Wirkliche entsteht, sondern einzig an das Begreifen oder Verstehen seines Wesens, dessen also, worin es besteht. Die Naturwissenschaft nennt vielleicht diese Faktoren die allgemeinen Naturkräfte, oder die allgemeinen Naturgesetze. Niemals aber kann dies eine Wissenschaft anders, als indem sie jene Faktoren zunächst für sich stellt, also sie rein darstellt. Und oft genug tut sie dies mythologisierend in der Weise, als ständen im Wirklichen selbst die fraglichen Faktoren sich selbständig gegenüber, als komme demnach das Wirkliche erst zustande, indem diese selbständigen Faktoren ineinandergreifen und gegeneinander wirken. Und doch genügen wir damit lediglich einem Bedürfnis unseres Geistes. Wir genügen, wenn man will, mit einem solchen Herauslösen und Konstruieren des Wirklichen einem in der Natur des erkennenden Geistes liegenden "Prinzip der Ökonomie des Denkens", oder einem "Prinzip der möglichst umfassenden allgemeinen oder umfassenden und dadurch vereinfachenden Beschreibung". Aber dieses Bedürfnis des Geistes besteht tatsächlich und es besteht allgemein. Und wir folgen ihm nicht willkürlich, sondern wir müssen ihm folgen, wenn uns das Wirkliche verständlich werden soll. Wir müssen jene Herauslösung und jenen geistigen Aufbau aus dem Herauslösen vollziehen. Nichts aber als reine oder Idealfälle des Daseins und Geschehens in der Welt sind überall jene herausgelösten und für sich gestellten Faktoren. Und ihre Herausnahme ist eine Konstruktion, um uns das Wirkliche in seinem Wesen verständlich oder als das, was es ist, für uns auffaßbar zu machen. Eine Konstruktion und Beschreibung eines solchen reinen oder Idealfalles ist etwa die Rede von einem Fallgesetz, oder von der Schwerkraft oder der Gravitation. So muß nun auch die Psychologie, um verständlich zu machen, worin das volle Wesen des Urteilens besteht, sagen, was das gültige Urteil ist. Das gültige Urteil ist erst das volle Urteil. Es ist dasjenige Bestimmtsein durch den Gegenstand, in dem der Gegenstand rein mich bestimmt. Es ist die Norm des Urteilens. Von solchen Normen aus aber verstehen wir erst das Wirkliche. Sie sind uns der Maßstab. Von der Erkenntnis aus, dem reinen Bestimmtsein durch die Gegenstände, verstehen wir erst das Denken des Individuums, das ein Schwanken ist zwischen den Gegenständen und unserer individuellen Natur. So erweist sich auch hier wiederum die Logik als in der Psychologie eingeschlossen. Noch in anderer Weise als der vorhin bezeichneten scheint aber hier die Logik der Psychologie als etwas durchaus anderes gegenübergestellt werden zu können. Die Logik ist, ebenso wie auch die reine Ästhetik und die Ethik, eine normative Disziplin. Sie hat als solche nicht mit dem zu tun, was ist, sondern mit dem, was sein soll. Die Psychologie dagegen rede von dem, was ist. Es gibt aber schwerlich einen Gegensatz, der deutlicher ist als der zwischen dem, was sein soll und dem, was ist. So ist es nun zweifellos. Aber es scheint mir, als sei die Logik und nicht minder die Ästhetik und die Ethik das Gegenteil einer normativen Wissenschaft in dem hier vorausgesetzten Sinn. Und einen Sinn zu haben beansprucht ja gewiß die fragliche Rede. Die Logik ist in der Tat eine Lehre vom Sollen oder vom Gefordertsein, aber sie ist nicht die Lehre von dem, was sein soll oder was gefordert ist. Sie ist, wenn sie in einem engeren Sinn genommen wird, die Lehre von einem Sollen, das von Gegenständen an mich, den Denkenden, ergeht, oder sie ist die Lehre von der Gegenstandsforderung, daß ich einen bestimmten Denkakt vollbringe. In diesem Fall steht die Ästhetik als die Lehre vom Sollen, das an mein ästhetisches Werten ergeht, ebenso wie die Ethik, die es mit dem Sollen, sofern es meinem Wollen, meinem Handeln, meiner Gesinnung gilt, der Logik zur Seite. Dagegen wird sowohl die Ästhetik als auch die Ethik von der Logik umfaßt, wenn man diese in einem weiteren Sinn nämlich als Lehre von den Forderungen der Gegenstände überhaupt nimmt. Die Ästhetik ist dann die Logik des ästhetischen Wertens, so wie die Ethik als die Logik des Wollens, des Handelns, der Gesinnung bezeichnet werden darf. Mag man nun aber die Logik in diesem weiteren oder in jenem engeren Sinn nehmen, in jedem Fall darf zunächst gefragt werden, ob denn das, was man an ihr normativ zu nennen beliebt, ihr ganzes Wesen ausmacht oder ob sie vielleicht auch Seiten hat, die ansich nicht normativ sind, sondern nur mit ihrem sonstigen "normativen" Charakter in dieser oder jener Beziehung stehen. Schon dann würde vielleicht die ewig wiederholte Behauptung, die Logik sei eine normative Wissenschaft, in einem eigentümlichen Licht erscheinen. Mag es aber auch damit so oder so bestellt sein, in keinem Fall kann mit dem normativen Charakter der Logik dies gemeint sein, daß sie angibt, was sein soll. Jedermann weiß: Was ich auf dem Gebiet der Physik denken, oder richtiger, was ich da für wahr halten soll, kürzer, was auf diesem Gebiet Tatsache ist, dies sagt mir nicht die Logik, sondern darin eben besteht die Wissenschaft der Physik. Und so sagt mir jede Wissenschaft in ihrer Sphäre, was ich denken soll. Und nicht die Ästhetik gibt mir Anweisungen, was ich in bestimmter Weise werten soll, sondern die davon wohl zu unterscheidende Kunstkritik. Und nicht die Ethik schreibt mir vor, wie ich im gegebenen Fall mich verhalten soll, sondern mein Gewissen oder auch der Moralprediger, der vielleicht weit davon entfernt ist, ein Ethiker zu sein. Jede Wissenschaft überhaupt, der Kunstkritiker, das Gewissen, der Moralprediger, sie alle sind also normativ, wenn die Beantwortung der Frage, was sein soll, das Kennzeichen des normativen ist. Freilich ist ja auch die Logik und ebeso die Ästhetik und die Ethik, wenn wir diese Disziplinen neben die Logik stellen wollen, eine Wissenschaft und folglich in eben dem Sinn, wie alle Wissenschaft, normativ. Aber sie ist eine Wissenschaft, weil sie von der Psychologie umfaßt ist, und sie ist normativ, weil die Psychologie es ist, d. h. weil die Psychologie die umfassende Bewußtseinslehre ist und als solche nichts außer Acht läßt, was zum Bewußtseinsleben gehört, und all das zu denken und ins Bewußtseinsleben hineinzuziehen gebietet, was nach Aussage der spezifisch psychologischen Erfahrung, d. h. des Erlebens, darin sich findet. Im Übrigen aber ist, wie schon gesagt, die Logik und sind die Ästhetik und die Ethik Wissenschaften nicht von dem, was sein soll, sondern Wissenschaften vom Sollen, also Wissenschaften von einem Teil dessen, was ist, nämlich in uns ist. Sie sind Wissenschaften, die uns sagen, was das Sollen ist, die unterscheiden, worauf es sich erstreckt und welche die Möglichkeiten und Arten der Gesetzmäßigkeit darlegen, die in ihm liegen und für dasselbe charakteristisch sind. Dagegen scheint noch ein Einwand erhoben werden zu müssen. Hat nicht KANT im Rahmen seiner Ethik ein "oberstes Sittengesetz" aufgestellt und einen obersten Zweck bezeichnet, den alles Handeln haben soll? In der Tat ist es so. Und so wird die Ethik jederzeit dergleichen noramtive Aussagen tun, die ihr spezifisch zufallen und dadurch vor andern den Namen einer normativen Wissenschaft in dem von uns zurückgewiesenen Sinn sich zu verdienen scheinen. Indessen fragt es sich, worauf solche Aussagen beruhen. Sind sie nichts als das natürliche Ergebnis der Tatsache, daß es in unserem Bewußtseinsleben auch das Sollen gibt oder sind sie nichts als das natürliche Ergebnis dieses Sollens und des vollen Verständnisses dessen, was darin liegt, so ist auch hier die normative Wissenschaft, ihrem eigentlichen Wesen nach, ebenso wie andere Wissenschaften, eine Wissenschaft von dem was ist. So ist der Gegensatz der Wissenschaften von dem, was ist und von dem, was sein soll, ein bloß scheinbarer oder die Entgegenstellung beruth auf einem Mißverständnis, auf der Verwechslung des Sollens und des Gesollten. In der Tat dürfen oder können die Gebote und Verbote der Ethik, soweit nämlich sie solche aufstellt und ebenso der anderen Disziplinen, die man speziell als normativ bezeichnet, gar nichts anderes sein als solche natürlichen Ergebnisse der in ihrem vollen Wesen erkannten Tatsachen des Bewußtseins nichts als ein anderer Ausdruck für diese psychischen Tatsachen, oder für das in uns Erlebte. Oder woher sonst als aus dieser Erfahrung sollten sie ihre Sanktion oder Geltung nehmen? Und gesetzt endlich, die Logik begnügt sich nicht mit der Stellung und Beantwortung der Frage nach den gesetzmäßigen Beziehungen zwischen Urteilen, sofern sie gültig oder ungültig sind, sondern sie fragt, welche Urteile gültig sind und aus welcher Quelle die gültigen Urteile genommen sind. Dann erweist sich die Psychologie auch als die Grundwissenschaft derjenigen philosophischen Disziplin, die ich hier an letzter Stelle nenne. Ich will damit nicht sagen, daß sie dem Rang nach die letzte ist. Vielleicht ist sie dem Rang nach die erste, die Wissenschaft unserer Sehnsucht. Ich denke an die Metaphysik. Zwei mögliche Weisen des Verhaltens zum Wirklichen gibt es: das gläubige und das erkennende. Die letztere strebt die philosophische Metaphysik an. Die Gläubigkeit wiederum ist doppelter Art. Die eine ist die grundsätzlich außerwissenschaftliche oder der Wissenschaft feindliche. Sie nennt sich selbst kirchlich und trägt im Einzelnen viele Namen. Die andere nennt sich mit Stolz die wissenschaftliche. Sie scheidet dann aus, was sich nicht mit Wissenschaft verträgt, gehorcht aber sonst im Wetteifer mit dem durchaus naiven Bewußtsein grundlos dem Instinkt und seinem Grundsatz: was mein Auge sieht, das glaubt mein Herz. Sie nimmt die sinnliche Erscheinung des Wirklichen für das Wirkliche selbst und die Beschaffenheit derselben für das Wesen des Wirklichen. So entsteht die Gläubigkeit des Materialismus. In der Tat ist für die menschliche Wirklichkeitserkenntnis der Instinkt des blinden Vertrauens auf die Sinne der notwendige Anfangspunkt. Hier aber wie auch sonst muß das Bewußtsein der Gründe den Instinkt überwinden. Wie kommt unser Bewußtsein der Wirklichkeit zur Wirklichkeit? Oder was dasselbe sagt: Welches Bewußtsein der Wirklichkeit trägt die Gewähr seiner Gültigkeit unmittelbar in sich? Es leuchtet ja ein: Irgendwelche Wirklichkeitsurteile muß es geben, die ansich oder in sich selbst gültig sind, wenn es überhaupt gültige Wirklichkeitsurteile geben soll. Sie können nicht feststehen lediglich dadurch, daß eines an das andere gebunden ist. Es muß zuletzt solche geben, die in sich selbst feststehen. Dies aber ist nur dann möglich, wenn es Urteile über Wirklichkeit gibt, bei denen das Bewußtsein der Wirklichkeit und die Wirklichkeit selbst identisch sind. So aber ist es einzig beim Urteil über die Wirklichkeit des Bewußtseinswirklichen oder über das Erlebte. Die Wirklichkeit des Erlebten besteht in seinem Erlebtsein. Niemand hält die Frage für sinnvoll, ob die Lust, die ich jetzt fühle, in mir wirklich ist. Jeder gibt auf eine solche Frage sich selbst die Antwort, die Wirklichkeit meiner Lust besteht eben darin, daß sie von mir gefühlt wird. Das "Fühlen" aber ist nur ein speziellerer und in diesem Fall üblicherer Name für den allgemeineren "Erleben". Die Wirklichkeit meiner selbst besteht darin, daß ich mich erlebe, und die Wirklichkeit aller meiner Bewußtseinserlebnisse darin, daß ich sie erlebe. Beides ist eines. Denn in ihnen und nur in ihnen erlebe ich mich. Es gibt eine Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit des Wirklichen, die das Wirkliche selbst aber nur kennt in Gestalt oder in der Sprache seiner sinnlichen Erscheinung. Diese Wissenschaft heißt die Naturwissenschaft. Neben ihr nun steht eine zweite von ihr total verschiedene Wissenschaft vom Wirklichen. Sie zielt auf die Erkenntnis vom Wesen des Wirklichen. Und sie trägt den Namen Philosophie. Die Bemühung aber vom Wesen des Wirklichen außerhalb meiner selbst oder außerhalb des individuellen Bewußtseins eine Erkenntnis zu gewinnen, ist die Metaphysik. Es gibt keinen anderen Zugang zu ihr als die Psychologie. Sie ist die Lehre von einem Wirklichen, das allein uns unmittelbar zugänglich ist. Sie ist die Philosophie an dem Punkt, wo wir das Wirkliche sozusagen von innen zu sehen vermögen. Im Übrigen aber ist wirklich, was wir denken müssen, wenn uns das individuelle Bewußtsein oder das Bewußtseinsleben des Individuums oder des individuellen Ich mit allem, was es in sich schließt, verständlich werden soll. In diesem Sinne ist die Psychologie auch die Grundwissenschaft der Metaphysik und somit aller philosophischen Disziplinen überhaupt. Es gibt die beiden großen Einheiten, die im Reich der Wissenschaften vom Wirklichen sich gegenüberstehen, die Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit des Wirklichen, aber nicht so, wie es ansich ist, sondern wie es uns erscheint, die Naturwissenschaft und es gibt die Wissenschaft vom Wesen des Wirklichen, die Philosophie. Diese aber hat die Psychologie zu ihrem Kern. Nun noch etwas, das ich schon im ersten Hefte der "Internationalen Monatsschrift", die am 1. Oktober 1911 zu erscheinen begonnen hat, zu bemerken mir erlaubt habe. Ich zitiere teilweise wörtlich. Grundvoraussetzung für den Betrieb der Philosophie scheint mir die Einsicht in die unvergleichliche Eigenart und die Weite jener ersten Aufgabe jeder Psychologie und zugleich die Erkenntnis, daß auch hier nach dem bekannten Sprichwort die Götter die Arbeit vor den Erfolg gesetzt haben. Man rühmt unserem Zeitalter nach, daß in ihm wieder das Ansehen der Philosophie wächst. So ist es gewiß. Und ich freue mich dessen. Und ich freue mich der neuen Wege, die der Psychologie und damit der Philosophie jetzt erschlossen worden sind, und preise diejenigen, die sie erschlossen haben und sie gegangen und auf ihnen Führer geworden sind. Doch, wie es zu gehen pflegt, wo so viel Licht ist, kann der Schatten nicht durchaus fehlen. Und nur auf diese Selbstverständlichkeit will ich hier aufmerksam machen. Das äußere Ansehen und die innere Gesundheit gehen nicht immer Hand in Hand. Ja, sie widerstreiten sich zuweilen. Gar manche Beispiele sind dafür Zeugnis. Viel höre ich in unseren Tagen reden von Philosophie, noch mehr von Psychologie. Und zahlreich sind die Freunde beider. Aber ein bekanntes Sprichwort sagt, daß die guten Freunde die schlimmsten Feinde sein können. Vor Zeiten geschah es einmal, daß die Philosophie alle Gebiete überflutet hat. Sie meinte sie fruchtbar zu machen, aber sie hat ihnen nur Versandung und Versumpfung gebracht. Später gewannen die anderen Wissenschaften neues und einige erstaunlich reiches Leben aus eigener Kraft. Jetzt, scheint es, sollen wir das Umgekehrte erleben. Aber ich hoffe, auch die Philosophie, und insbesondere die Psychologie, wird wieder erstarken durch sich selbst. Sie wird, so meine ich, außer dem vielen anderen, nicht nur bei einzelnen, sondern allgemein, den Mut gewinnen, auch zu negieren und Grenzen zu setzen, nach Innen und Außen, mit einem "quos ego" [Ich werde es euch zeigen! - wp] oder "hands off", wenn es nötig sein sollte. Sie wird, so vertraue ich, wiederum lernen, dem Schuster von seinem Leisten zu sagen, das "si tacuisses" [wenn du geschwiegen hättest ... - wp] zu zitieren oder das Wort vom "Amt" und "Fürwitz". Sie wird den reichen Schmarotzer verweisen auf den eigenen Reichtum, den Dilettanten auf sein Haus, darinnen er so vortrefflich zu arbeiten und sein Recht zu wahren versteht. Der Gärtner sagt, daß auch er habe lernen müssen, und vielleicht, wenn er griechisch kann, ruft er die Götter zu Zeugen an und sagt einen uns allen vertrauten griechischen Hexameter auf, denjenigen nämlich, auf den ich oben angespielt habe. Aber manche Kunst erfordert ein Leben und die Kraft eines Mannes für sich allein. Daß es so ist, diese Einsicht wird gewiß allen einst aufgehen und dann werden sie erschrecken. Jetzt aber ist es noch nicht so. Einige hätten vor Anderen das Zeug, dem zu wehren, der auf fremdem Boden pflügt, und den Acker verdirbt, den er zu bearbeiten nicht gelernt hat. Einstweilen aber sehen wir ihn stattdessen Jenem seine Künste ablernen. Darum erlaube man mir mit meinem Jubel jetzt noch zu warten. Wer doppelte Kraft hat, kann doppelte Arbeit tun. Aber ich rede von den Andern, den Nebenbeiphilosophen, die doch keine Philosophen sind. Die Bemühung der Psychologie, ihre Weite und damit ihr Recht zu wahren, mag man in Verkennung des wahren Sinnes dieses Wortes als "Psychologismus" bezeichnen. Ich meines Teils würde mich eher einen Anti-Psychologisten nennen. Doch Namen tun auch hier nichts zur Sache. Nur dies bemerke ich noch: Es gibt einen Anti-Psychologismus, der genauer besehen nur eine Abart des Psychologismus im gewöhnlichen Sinn dieses Wortes ist, ein Symptom derselben Krankheit, desselben Unvermögens, Tatsachen zu sehen. |