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Zu Kants Widerlegung des Idealismus [3/3]
II. Zur Widerlegung des Idealismus durch Kant [Fortsetzung] 9. Sachliche Entschuldigung und historische Erklärung des Widerspruchs bei Kant. Es wäre ebenso eine sachliche Unrichtigkeit als eine Pietätlosigkeit [Respektlosigkeit - wp] gegen den großen Mann, dem wir Alle huldigen, weil wir ihm Alle unser Bestes schuldig sind, diesen Widerspruch KANTs, wie die vielen anderen klaffenden Widersprüche seines Systems überhaupt, dazu zu benützen, um den Mann herabzusetzen. Im Gegenteil, diese Widersprüche gereichen KANT meiner Meinung nach sogar zur Ehre. Denn sie sind der Ausdruck der widersprechenden historischen Richtungen, welche er vorfand und deren Einseitigkeiten er zu überwinden strebte; sie sind also der Ausdruck des Ernstes, mit dem KANT die vorhandenen Gegensätze erfaßte und mit dem er den Fehler vermeiden wollte, der in der einseitigen Vertretung einer Richtung gelegen wäre; sie sind, da jene von ihm vereinigten historischen Richtungen Ausprägungen der in der Natur des Gegebenen selbst liegenden Veranlassungen sind, in letzter Linie der Ausdruck der Widersprüche, in welche das menschliche Denken überhaupt, wie es scheint, notwendig gerät. Auch diesen Gedanken weiter zu verfolgen, ist hier nicht der Ort. Er war nur ausgesprochen, um die Schuld jenes klaffenden Widerspruches von der Person weg auf die Sache zu schieben, und das Konto KANTs auf Kosten des ihn beschäftigenden Gegenstandes zu entlasten. Aber es drängt sich mir noch ein näher liegender Erklärungsgrund jener doppelsinnigen Haltung KANTs auf: es drängt sich mir von selbst die Erinnerung an die LEIBNIZ-WOLFFische Philosophie auf. In ihr finden wir im Wesentlichen denselben Widerspruch, wenn derselbse auch auf ganze andere Weise eingeführt wurde. Auch dort fanden wir jenes Doppelverhältnis zu BERKELEY, teils die Leugnung der materiellen Außenwelt, teils die Annahme derselben. Und wir können somit die Sache auch so formulieren, daß KANT über diesen Widerspruch des LEIBNIZ-WOLFFischen System nicht hinausgekommen ist. Wie er die Grundzüge von LEIBNIZ' Idealismus akzeptierte, so nahm er mit denselben auch dessen innere Gegensätze, allerdings in anderer Form, in Kauf. KANTs "transzendentaler Idealismus" entspricht in mehreren wesentlichen Punkten der dritten Form der Entwicklung des modernen erkenntnistheoretischen Idealismus - in dem Wesentlichen, was uns hier beschäftigt. Indem er die der Erscheinungswelt zugrunde liegende Welt der Dinge-ansich für unerkennbar erklärte, machte er allerdings eine Wendung, durch die eine neue, eine vierte Phase des Idealismus gebildet wurde; (von den weiteren charakteristischen Merkmalen dieser vierten Phase ist noch besonders hervorzuheben die idealistische Auffassung auch der Anschauungen des inneren Sinnes). Aber diese und die anderen Differenzpunkte, welche die Ansetzung eben einer neuen Phase notwendig machen, kommen für das uns beschäftigende Problem der Realität der Außenwelt nicht in Betracht, wenn man das Wesentliche der Sache ins Auge faßt. Wie auch das Andere sich unterscheiden mag, in diesem einen Punkt sehen wir KANT auf des LEIBNIZ' Wegen wandeln und können auch den oben aufgewiesenen Widerspruch auf diese Weise historisch erklären - "Kant erklären, heißt ihn historisch ableiten." Nun drängt sich hier aber noch ein Gedankengang auf, den ich nicht ohne Bedenken den Freunden der Kantforschung vorlege, weicht er doch von den bisherigen Auffassungen KANTs vollständig ab; und doch kann ich nicht umhin, diesen neuen Weg einzuschlagen, zumal er auf jenen Widerspruch KANTs von einer ganz anderen Seite her direkt hinführt. Die "realistische" Darstellung erscheint von diesem Gesichtspunkt aus nicht als ein schwächlicher Rückfall in den gewöhnlichen Realismus, sondern als eine notwendige Konsequenz der kantischen Fundamentalopposition. KANTs System stellt folgende Hauptsätze auf: Es gibt eine Welt von Dingen-ansich. Auch unseren inneren Erscheinungen liegt ein Ding-ansich zugrunde, oder wenn man lieber will, ein Ich-ansich. Letzteres stellt sich dar als das transzendentale Bewußtsein, die transzendentale Apperzeption. Die Dinge-ansich affizieren das transzendentale Subjekt und außerdem "affiziert es sich selbst". Durch jene Affektion entstehen Erscheinungen des äußeren Sinnes, durch diese dagegen Erscheinungen des inneren Sinnes. Schon aus diesen grundlegenden Bestimmungen ergibt sich nun bei streng konsequenter Verfolgung des Gedankenganges eine merkwürdige Folgerung: Ist auch die Innenwelt, die ganze Domäne der psychischen Vorgänge, bloße Erscheinung eines unbekannten Dings-ansich, "verschwindet so der Vorzug" der Innenwelt vor der Außenwelt, so stehen beide gleichwertig paritätisch auf derselben Stufe; sie sind beide nur Erscheinungen, Vorstellungen. Daher kann der Träger dieser Vorstellungen nicht wiederum die empirische Innenwelt des empirisch bewußten Individuums sein (denn diese ist ja selbst wiederum eine gleichwertige Erscheinung), sondern der Träger, auch der Vorstellung der Außenwelt, muß jenes transzendentale Ich sein. Dann ist aber auch die Außenwelt als Vorstellung eben nicht im empirischen Ich enthalten, sondern muß von diesem unabhängig da sein. Das empirische Ich nun besteht außer aus Strebungen und Gefühlen aus zeitlich verlaufenden empirischen Vorstellungen. Also gibt es eine von unserer empirischen Vorstellung unabhängige Außenwelt im Raum; unter jenen empirischen Vorstellungen, welche einen Teil des empirischen Ich ausmachen, befinden sich außer allgemeinen Begriffen usw. auch sinnliche Vorstellungen (Wahrnehmungen); also ist auch von diesen qua Teilen des empirischen Ich die Außenwelt im Raum selbst unabhängig, selbst wenn jene sinnlichen Vorstellungen ihrerseits eine räumliche Außenwelt zum Inhalt haben. Solchen sinnlichen Vorstellungen "korrespondiert" also eine Außenwelt im Raum, welche von solchen empirischen Vorstellungen unabhängig sein muß. Diese Außenwelt ist allerdings Erscheinung, aber dasjenige Subjekt, das diese Erscheinung hat, kann nicht das empirische Ich sein, das selbst Erscheinung ist. Sondern diese beiden Erscheinungsgebiete sind nebeneinander bestehende Erscheinungen in jenem transzendentalen Ich; vom Standpunkt dieses transzendentalen Ich aus ist Alles, Innen- und Außenwelt, bloße Erscheinung; dagegen ist für das empirische Ich, das individuelle Subjekt der Innenwelt, die Außenwelt nicht selbst wieder bloße Erscheinung, es besteht für dieses empirische Subjekt die Außenwelt nicht bloß aus den eine Außenwelt repräsentierenden subjektiven Anschauungen, sondern es gibt vom Standpunkt des empirischen Ich aus eine seinen Vorstellungen entsprechende Außenwelt im Raum. Der Vorstellung der Außenwelt, welche im transzendentalen Ich als Erscheinung enthalten ist, kann natürlich eine räumliche Außenwelt nicht "korrespondieren", sondern nur die "korrelate" Welt der Dinge-ansich; aber der Vorstellung der Außenwelt, welche das empirische Subjekt in sich trägt, muß eine räumliche Außenwelt wirklich korrespondieren. An diesen Konsequenzen kann der Umstand nichts ändern, daß das transzendentale und das emprische Ich in uns sozusagen unlösbar verknotet sind. Auch die empirische Innenwelt ist für das transzendentale Ich nur Erscheinung; und wie der Träger dieser Erscheinung eben nicht selbst wieder das empirische Ich sein kann, so kann dasselbe empirische Ich auch nicht der Träger der Außenwelt als Erscheinung sein. Im Gegenteil ist diese Außenwelt für das empirische Ich eine unabhängige Realität neben ihm, außer ihm. Daß aber diese beiden empirischen Erscheingungsgebiete untereinander im Kausalverkehr stehen, und daß die räumliche Außenwelt dem empirischen Ich nicht bloß korrespondieren, sondern dasselbe auch affizieren und dadurch Empfindungen in ihm hervorrufen muß, ergibt sich aus KANTs Prämissen auf folgende Weise: Die äußeren und die inneren Erscheinungen machen zusammen unsere ganze Erfahrungswelt aus. Diese Erfahrungswelt ist, die äußere durch Raum und Zeit, die innere durch die Zeit, beide durch die Kategorien beherrscht. Die Anschauungs- und die Verstandesformen sind die Regeln, nach denen wir das Mannigfaltige der Empfindung zur Einheit einer gesetzmäßigen Erfahrung verknüpfen. Daher gibt uns unsere Erfahrung nichts, was nicht in Raum und Zeit (bzw. das Innere nur in der Zeit) wäre, was nicht den Gesetzen der Substantialität, der Kausalität, der Wechselwirkung usw. unterworfen wäre. Wir greifen daraus das Kausalverhältnis heraus. Es herrscht strengste Kausalität zwischen allen Erscheinungen. Es ist zweckdienlich, dieses Verhältnis zu spezifizieren: 1. Es herrscht unbedingte Kausalität in allen äußeren Erscheinungen. Alles äußere Geschehen (d. h. die Welt der äußeren Anschauungen, der Anschauungen des äußeren Sinnes) gehorcht dem Gesetz der Verursachung. Jede äußere Begebenheit hat eine äquivalente Ursache. Zum Beispiel die Erscheinungen von Ebbe und Flut haben äquivalente Ursachen, auch wenn wir diese noch nicht ausreichend kennen. Alle astronomischen Veränderungen sind durch zureichende physikalische Bedingungen bestimmt usw. 2. Es herrscht unbedingte Kausalität in allen inneren Erscheinungen. Alles innere Geschehen (d. h. die Welt der inneren Anschauungen, der Anschauungen des inneren Sinnes) gehorcht dem Gesetz der Verursachung. Jede innere Begebenheit hat eine äquivalente Ursache. Zum Beispiel der phantastische Gedankengang eines Dichters erfolgt nach den Gesetzen der Ideenassoziation, auch wenn wir dies im Einzelnen nicht nachweisen können. Alle Willensentschlüsse eines Menschen geschehen nicht unmotiviert, sondern sie erfolgen aus bestimmten psychischen Verhältnisse mit Notwendigkeit. Die Kette der Ursachen und Wirkungen verknüpft alles innere Geschehen. Gehen wir nunmehr von der Erfahrung aus, so finden wir noch zwei weitere Kausalverhältnisse, welche zu den bisherigen hinzukommen. Die bisherigen sind:
2. Kausalverknüpfungen zwischen inneren und inneren Vorgängen.
4. Kausalverknüpfungen zwischen äußeren und inneren Vorgängen. 4. Erfahrung lehrt auch die umgekehrte Kausalverknüpfung: physische Ereignisse haben psychische Vorgänge zur Folge. Ein Lichtstrahl trifft mein Auge: ich erhalte die Lichtempfindung. Eine Luftwelle trifft mein Ohr: eine Schallempfindung ist die Folge. Bewegungen haben Empfindungen zur Folge. Auch in der kantischen Erfahrungswelt muß dieses Verhältnis stattfinden und zwar i n n e r h a l b ihrer. Die kantische Erfahrungswelt umfaßt ja den ganzen Bereich des empirisch konstatierbaren Geschehens. Nun ist die kantische Erfahrungswelt durch eine unzerreißbare Kette von Kausalverknüpfungen zusammengehalten und außerdem ist jene Kausalverknüpfung von Bewegungen und Empfindungen empirisch konstatierbar. Also muß auch KANT zugeben: Bewegungen haben Empfindungen zur Folge (72). Es ergibt sich dies einmal a priori aus den Prämissen seines Systems: Einheit der Erfahrungswelt, und lückenloser Kausalzusammenhang in dieser Welt; und es ist a posteriori als eine Eigenschaft an der Erfahrungswelt zu konstatieren, die KANT zwar zur Erscheinung erklärt, deren empirisch-konstatierbare Eigentümlichkeiten KANT aber nicht bloß annimmt, sondern auch auf seine Weise apriorisch beweist. Zu welchem wundersamen Resultat sind wir da aber gelangt, zu einem Resultat, das uns zu folgender Auffassung nötigt: Wir müssen eine doppelte Affektion unterscheiden, die wir als transzendente und empirische Affektion bezeichnen können: einmal affizieren [reizen - wp] uns die Dinge-ansich, sondern affizieren uns die - äußeren Erscheinungen. Aber dasjenige Subjekt, auf das diese beiden Affektionen ausgeübt werden, ist nicht dasselbe: das Subjekt, das durch die Dinge-ansich affiziert wird, ist das transzendentale Ich; das Subjekt, das durch die Erscheinungen affiziert wird, ist das empirische Ich, (73) das ja selbst ein Teil der (durch das Kausalgesetz beherrschten) Erscheinungswelt ist. Durch die Affektion des transzendentalen Ich entsteht die gesamte Erfahrungswelt; das empirische Ich ist eben ein Teil der Erfahrungswelt; es steht seinerseits mit dem anderen Teil dieser Erfahrungswelt in einem Kausalkonnex. Dieser andere Teil affiziert das empirische Ich, durch diese Affektion entstehen im empirischen Ich Empfindungen und Vorstellungen; diese Empfindungen, Anschauungen und Vorstellungen sind durch die empirische Welt der äußeren Erfahrung hervorgerufen (74). Somit hat man allen Grund zu sagen: unseren empirischen Anschauungen "korrespondiert" eine von ihnen unabhängige Außenwelt, mit der das empirische Ich in einer Kausalverbindung steht. Es ist somit aus den Grundsätzen des kantischen Systems selbst heraus deduziert, daß eine Außenwelt im Raum da sein muß, welche aus empirischen Dingen besteht und nicht bloß eine empirische Vorstellung ist. Die räumliche Außenwelt ist daher auch etwas, was, wie es ohne das empirische Bewußtsein da ist, auch vor demselben da ist. Und da die Production der räumlichen Außenwelt durch unser transzendentales Ich (infolge der transzendenten Affektion) nicht in unser Bewußtsein hineinfällt, so findet unser empirisches Bewußtsein die räumliche Außenwelt als eine vom transzendentalen Ich für uns unbewußt geschaffene vor. An dieser empirisch vorhandenen räumlichen Außenwelt entzündet sich unser empirisches Bewußtsein, an sie sind wir sogar gewiesen, um den Fluß des inneren Geschehens zeitlich bestimmen zu können, da sie als etwas Beharrliches uns gegenübersteht. Aber was wir an dieser Außenwelt an formalen Bestimmungen finden, was unser empirisches Bewußtseins aus ihr empirisch "herauszieht", das haben wir qua transzendentales Ich schon in sie "hineingelegt" (Kr. d. r. V., erste Auflage, Seite 196, zweite Auflage, Seite 241). Der Raum, in dem sich diese Außenwelt befindet, den sie erfüllt - er ist unser Geschöpf, das Geschöpf des transzendentalen Ich, wie es auch die Zeit ist, welche der Rahmen des inneren Geschehens ist. Die lückenlose Congatenation [Verkettung - wp] der Kausalität, welche das empirische Geschehen, das äußerliche und innerliche, umspannt und zusammenhält - sie ist eine Funktion des transzendentalen Ich; für unser empirisches Bewußtsein sind daher Raum und Kausalität offenbar aposteriorische Vorstellungen, dagegen sind sie apriorische Funktionen des transzendentalen Ich. So erklärt sich auch, daß KANT BERKELEY gegenüber immer so sehr auf die Apriorität des Raums dringt. Ist der Raum eine apriorische Funktion des transzendentalen Ich in dem angegebenen Sinn, so steht die Außenwelt für das empirische Ich fertig und fest da, so gibt es eine vom empirischen Bewußtsein unabhängige Welt im Raum und BERKELEYs dogmatischer Idealismus ist im Unrecht. In Bezug auf die räumliche Außenwelt ist die Konsequenz des kantischen "transzendentalen Idealismus" der empirische Realismus; die Außenwelt im Raum ist empirisch real, d. h. vom empirischen Standpunkt aus ist sie real, für das empirische Ich ist sie real (75). Dies ist ein viel prägnanterer Sinn des empirischen Realismus, als wie er sich von jener ersten Wendung KANTs aus ergibt, wonach die Außenwelt deshalb empirisch real und unzweifelhaft gewiß ist, weil sie mit unseren Vorstellungen zusammenfällt. Dort waren die Konsequenzen aus der Unterscheidung des transzendentalen und des empirischen Ich noch nicht mit ungebrochener Energie gezogen. Ist aber die empirische Innenwelt auch als bloß subjektiv erkannt, und sind daraus die logischen Konsequenzen wirklich gezogen, so wird, wie ausführlich gezeigt wurde, die Außenwelt im Raum unabhängig vom empirischen Ich, sie wird demselben gegenüber selbständig. Erst indem KANT die Konsequenzen aus jenem fundamentalen Unterschied zieht, kann er BERKELEY mit Recht und mit Nachdruck gegenübertreten. Man kann daher den tiefsten Unterschied zwischen BERKELEY und KANT vom kantischen Standpunkt aus so formulieren: für BERKELEY ist die Außenwelt im Raum vom empirischen Ich abhängig, für KANT aber vom transzendentalen. Daher ist für jenen - Traum, für diesen - Realität für jenen - Einbildung, für diesen - Erfahrung. In der ersten Auflage war sich KANT dieses Unterschieds nicht klar geworden; erst der harte Widerspruch und Vorwurf der Gegner brachte ihm denselben zu Bewußtsein, und er zog nunmehr ausdrücklich aus seinen Grundpositionen jene Konsequenz, die auch in der ersten Auflage schon bei gar vielen Gelegenheiten unwillkürlich sich geltend gemacht hatte. An dem Grundgebrechen seines Systems konnte er dadurch freilich nichts ändern, das eben in der dargelegten Vermischung zweier widersprechender Gedankengänge besteht. Aber es dürfte nunmehr KANT gerechtfertigt sein gegenüber SCHOPENHAUERs Angriffen (76): wenn KANT konsequent war, konnte er sich gegen BERKELEYs Traumidealismus aussprechen; denn die Außenwelt im Raum ist ihm mehr als bloße empirische Vorstellung. Folgt nun aber hieraus nicht, was KUNO FISCHER sagt? Er meint:
Es bleibt nur noch der Nachweis übrig, daß´die oben aus KANTs Grundsätzen logisch gezogenen Konsequenzen von ihm auch wirklich vertreten werden. Dieser Nachweis ist nun aber zu einem Teil faktisch schon geliefert. KANT hat in der Kr. d. r. V., wie nachgewiesen worden ist, in beiden Auflagen deutlich und ausdrücklich erklärt: es korrespondiert unseren äußeren Anschauungen etwas Wirkliches im Raum, was nicht bloß Vorstellung, sondern ein wirkliches Ding außer mir ist. Was noch zu beweisen übrig bleibt, ist, daß KANT auch wirklich jene empirische Affektion angenommen hat, welche die notwendige Ergänzung der eben erwähnten Annahme ist. KANT spricht in dem Abschnitt über den "Grundsatz der Gemeinschaft" (commercium) davon (erste Auflage, Seite 213, zweite Auflage, Seite 260),
So finden wir dies ferner z. B. in dem Abschnitt: "Die Antizipationen der Wahrnehmung". Da ist zunächst wieder nach dem Text der ersten Auflage von dem der Empfindung korrespondierenden Realen (realitas phaenomenon) die Rede, eine Bestimmung, die nachher ausdrücklich wiederholt wird: "Was in der empirischen Anschauung der Empfindung korrespondiert, ist Realität." Von dieser Realität heißt es nachher (erste Auflage, Seite 169, zweite Auflage, Seite 210), jede habe eine intensive Größe, und
Nach all diesen Stellen ist gar kein Zweifel, daß KANT eine empirische Affektion angenommen hat (82), welche mindestens so real ist, wie aller andere empirische Kausalnexus, und welche in uns empirische Vorstellungen zur Folge hat. Es zeigt sich somit, daß diese oben aus der inneren Konsequenz des kantischen Systems als notwendig deduzierte empirische Affektion sich auch faktisch bei KANT vorfindet. Wer nun mit der Entwicklung der kantischen Philosophie bei den Nachfolgern KANTs bekannt ist, weiß, daß gerade die konsequentesten Anhänger und Weiterbildner eine solche empirische Affektion angenommen haben, insbesondere BECK und FICHTE. Diese leugnen bekanntlich (gegen den klaren Wortlaut bei KANT) die Affektion durch die Dinge-ansich und kennen nur die empirische Affektion. Im konsequent ausgedachten kantischen System hat also die empirische Affektion ihre gute Stelle. Auch Ludwig Heinrich Jakob zog jene Konsequenz. So heißt es z. B. in seinen "Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes von einer Gesellschaft gelehrter Männer", Bd. III, Seite 658:
Alle obigen Deduktionen finden nun noch eine neue überraschende Bestätigung: In ausgedehnter Weise macht KANT von der empirischen Affection Gebrauch in seinem gegenwärtig zur Veröffentlichung gelangenden Opus Posthumum: "Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik". Dieses Manuskript ist bis jetzt teilweise zum Abdruck gebracht worden durch RUDOLF REICKE im XIX. und XX. Jahrgang (1882-1883) der um das Kantstudium so verdienten "Altpreußischen Monatsschrift". KANT spricht hier unzählige Male von der Affektion der Sinne durch die Materie; z. B. XIX, Seite 78; 125:
Seite 268; 271: "Physik ist Erfahrungswissenschaft vom Inbegriff der bewegenden Kräfte der Materie. Diese Kräfte affizieren auch das Subjekt, den Menschen und seine Organe, weil dieser auch ein körperliches Wesen ist. Die inneren, dadurch in ihm bewirkten Veränderungen mit Bewußtsein sind Wahrnehmungen; die Reaktion auf die Materie und äußere Veränderung derselben ist Bewegung;" Seite 273, 282: "das Aggregat der Wahrnehmungen aus den das Subjekt affizierenden, bewegenden Kräften der Materie . . . in der Form eines Systems . . . ist der Raum und die Zeit als Gegenstand der Erfahrung. Dieser Inbegriff des Mannigfaltigen der Phänomene aus dem Einfluß der bewegenden Kräfte auf das Subjekt . . . ist Erfahrung . . . Wahrnehmungen (sind) empirische Vorstellungen aus dem Einfluß der bewegenden Kräfte der Materie auf das Subjekt;" Seite 284, 290, 291, 292, 294, 299, 305, 306, 427, 431, 434: "Die Materie (das Bewegbare im Raum) ist die Substanz, welche den Sinn affiziert und so subjektiv ein Gegenstand in der Erscheinung wird;" Seite 441, 442, 446, 448: "alle Wahrnehmungen sind Wirkungen des Einflusses der bewegenden Kräfte der Materie auf das Subjekt und die Sinne desselben"; Seite 449: "die bewegenden Kräfte der Materie sind in Anbetracht des Subjekts Ursachen der Wahrnehmungen"; Seite 452, 454, 455, 456, 458, 459, 469, 476, 479, 580, 581, 606, 624.
Ebenso Seite 291: "Ein System der die Sinne affizierenden, bewegenden Kräfte der Materie in einem Ganzen der Erfahrung". Seite 453: "die Affektibilität des Subjekts als Erscheinung ist mit der Incitabilität [Reizbarkeit - wp] der korrespondierenden bewegenden Kräfte als Korrelat in der Wahrnehmung verbunden." Seite 594: "das Universum als Sinnengegenstand ist ein System von Kräften einer Materie, die einander äußerlich objektiv im Raum durch Bewegung, und innerlich subjektiv durch Empfindung der Substanzen mit Bewußtsein, d. h. als Gegenstände der Wahrnehmung affizieren".
In der Physik, welche aber, wie wir nun wissen, die empirische Affektion des Subjekts durch die Materie einschließt, "sind die Erscheinungen als Sachen ansich zu betrachten"; Seite 285: "Die Objekte der Sinne, metaphysisch betrachtet, sind Erscheinungen; für die Physik aber sind es die Sachen ansich, die den Sinn affizieren." Aber, wird man vielleicht einwenden, damit kommen wir ja zu jener absurden Konsequenz, daß unsere Empfindungen "Erscheinungen von Erscheinungen" sind! Das ist bloß paradoxe "Konsequenzmacherei"; das kann doch nicht sein; in der obigen Schlußkette, wie sie entwickelt worden ist, muß also ein logischer Fehler stecken. Auch hier ist das neue "Opus Posthumum" so gütig, alle unsere Deduktionen vollständig zu bestätigen: denn KANT selbst führt jenen absurden Ausdruck ein; Seite 285: "die Physik hat es mit Erscheinungen von Erscheinungen zu tun". Ebenso Seite 286, 289, 290, 291, 292, 294, 296:
Seite 297: "In dieser Bedeutung kann man sich die Stoffe komparativ, nicht absolut als Dinge ansich vorstellig machen, als Erscheinung der Erscheinung der Gegenstände". Daraus folgt nun aber ferner: Sind die uns affizierenden materiellen Dinge im Raum selbst wieder nur Erscheinungen, so sind dieselben Vorstellungen des transzendentalen Ich, und jene sogenannte empirische Affektion wäre also streng genommen eine Affektion des empirischen Ich durch Vorstellungen des transzendentalen Ich, somit würde in jenen empirischen Affektionen das Subjekt sich selbst affizieren. Auch diese Konsequenz zieht KANT in seinem Opus Posthumum, das hierin, wie in vielen anderen Stücken (z. B. der häufigen Verwertung der Terminus "Setzen") sich dem System FICHTEs annähert. So findet sich in einem fragmentarischen Satz auf Seite 286 die Bemerkung:
Seite 289: Erscheinung in physischer Bedeutung, wie das Subjekt selbst den Sinn durch bewegende Kräfte affiziert", ähnlich Seite 288 und 294. Seite 290: "Erscheinung einer Erscheinung, d. h. Vorstellung des Formalen, wie das Subjekt sich selbst nach einem Prinzip affiziert und sich als selbsttätig Objekt ist", ähnlich Seite 308, 447: "Der Akt durch welchen das Subjekt sich selbst in der Wahrnehmung affiziert, enthält das Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung."
Im "Opus Posthumum" zieht KANT, wohl nicht ohne Beeinflussung durch FICHTE, die Konsequenz ausdrücklich und zusammenhängend, welche schon früher gelegentlich und unwillkürlich sich hervordrängte: es gibt eine empirische Affektion durch das, was die Kr. d. r. V. Erscheinung genannte hatte. Aber weit entfernt, diese Konsequenz als einen Widerspruch mit den Grundlagen des Kritizismus zu empfinden, sucht KANT gerade durch sie der Transzendentalphilosophie ein neues Gebiet zu erobern: Das System der synthetischen Sätze a priori, welche sich aus dem formalen Apriori des empirischen Subjekts gegenüber den empirischen Affektionen ergeben. und Emil Arnoldt. Von diesen Resultaten aus wollen wir nun auf die Streitfrage einen Blick werfen, welche sich über die "Widerlegung des Idealismus" neuerdings wieder erhoben hat. Ich wiederhole zunächst, daß KUNO FISCHER Recht hat, wenn er einen absoluten Widerspruch zwischen jenen beiden Darstellungen über das Dasein der Materie konstatiert. Dagegen ist es unrichtig, daß die Behauptung der von der Vorstellung unabhängigen Existenz der Dinge im Raum sich nicht in der ersten Auflage findet. Sie findet sich daselbst, wie durch die angeführten Stellen bewiesen ist und noch durch andere durch andere bewiesen werden könnte. Ferner ist seine Ansicht unrichtig, daß diese Lehre "dem transzendentalen Idealismus und der gesamten Erkenntnislehre Kants auf das Äußerste widerstreitet". Es ist im Gegenteil nachgewiesen worden, daß diese Lehre eine ganz unumgängliche Konsequenz aus den ersten Grundlagen des transzendentalen Idealismus ist. Allerdings führt diese Konsequenz zu Folgerungen, welche jene Grundlagen selbst zerstören. Der Widerspruch ist da, aber er ist nicht äußerlich an das System herangebracht, sondern er ist ein innerer Widerspruch des Systems. Von den weiteren Diskussionen, welche sich an die neue Darstellung FISCHERs angeschlossen haben, sehe ich ab, mit Ausnahme der Einwände ARNOLDTs gegen FISCHER. ARNOLDT nämlich als konsequenter Kantianer nimmt in der am Anfang angeführten Abhandlung genau den Standpunkt ein (86), den ich vertrete; und das Wunderbare ist nur, daß KUNO FISCHER und EMIL ARNOLDT bei ihrem ganzen Streit gar nicht bemerkt haben, daß sie über die fundamentalen Lehren KANTs absolut heterogener Ansicht sind; deshalb haben beide in ihrer freundschaftlichen Polemik sozusagen aneinander vorbeigeschossen. Hier folgt der Beweis dieser seltsamsten aller Konfusionen, welche die Kant-Literatur aufweist. Die deutlichsten Stellen hierüber bei ARNOLDT sind: Seite 38:
Der Schlüssel zu der vorliegenden Konfusion liegt nun im Unterschied zwischen dem transzendentalen und dem empirischen Bewußtsein. Diesen Unterschied, welcher oben gemacht worden ist, trifft ARNOLDT im Wesentlichen richtig. Es ist das in der Tat ein außerordentlich wichtiger Unterschied: die ganze Erfahrungswelt inklusive des unendlichen Raums und des ganzen Sternenheers darin sind innerhalb des transzendentalen Bewußtseins, aber die einzelnen Dinge im Raum sind außerhalb des empirischen Bewußtsein (nicht bloß außerhalb meines Leibes, sondern auch unabhängig von meinen empirischen Vorstellungen). Es nun freilich sehr schwer, die Konsequenzen dieses Unterschiedes im Detail auszudenken, weil eben der Unterschied logisch unhaltbar ist und auf Widersprüche führt. Die wichtigste Konsequenz ist offenbar, daß zwischen unseren Vorstellungen eine Scheidelinie gezogen werden muß: die eine Art von Vorstellungen sind Teile der Erfahrungswelt selbst, dies sind unsere empirischen Vorstellungen; diese gehören zum inneren Geschehen, zum empirischen Ich, das die eine Hälfte der Erfahrungswelt ausmacht. Die andere Hälfte der Erfahrungswelt sind die äußeren Dinge im Raum. Diese sind neben und außer jenen empirischen Vorstellungen vorhanden, beide "korrespondieren" einander. Die äußeren Dinge im Raum sind wirklich außerhalb unseres empirischen Bewußtseins vorhanden. Aber unser transzendentales Bewußtsein umfaßt beides, Innenwelt und die ihr "korrespondierende" Außenwelt zusammen; für jenes transzendentale Ich ist Alles nur Vorstellung und außer dieser transzendentalen Vorstellung ist nur die unräumliche Welt der Dinge ansich vorhanden. In KANTs Darstellung fließen nun beide Arten von Vorstellungen durchaus unklar ineinander und daher hat die gewöhnliche traditionelle Darstellung der kantischen Lehre (besonders unter dem Einfluß von SCHOPENHAUERs Auslegung) die Sache vereinfacht. Die traditionelle Auslegung ist diejenige, nach welcher die Außenwelt nur bloße Vorstellung ist; es ist diejenige, welche FISCHER vertritt, und von der aus die "Widerlegung des Idealismus", wie sie in der zweiten Auflage (scheinbar total abweichend von der ersten Auflage) dargestellt ist, eine Inkonsequenz KANTs ist; denn nach dieser Auslegung kann es keine Materie außerhalb der Vorstellung geben. Die konsequente Auffassung, welche in diesem Fall von ARNOLDT vertreten ist, ist diejenige, nach welcher allerdings die materielle Außenwelt außerhalb unserer Vorstellung existiert, aber nur außerhalb unserer gemeinen, empirischen Vorstellungen; für diese Auffassung ist die "Widerlegung des Idealismus" durchaus im Geist des echten Kantianismus gehalten. Als richtig kann keine der beiden Auffassungen für sich gelten, denn bei KANT sind beide zu gleicher Zeit und nebeneinander vorhanden. Dadurch entsteht eben die endlose Unklarheit der Kr. d. r. V. KANT hat sich aus diesem Labyrinth selbst nicht mehr herausgefunden. Es ist notwendig, bei der Auslegung der Kr. d. r. V. diese bis jetzt ganz vernachlässigte "realistische" Auffassung der Außenwelt zu berücksichtigen, und zwar nicht bloß als eine Inkonsequenz KANTs, sondern als die eigentliche konsequente Ausgestaltung seiner Grundpositionen, aber nun freilich auch nicht als die "einzig mögliche" Auslegung KANTs, sondern eben als einen der Fäden, welche das genial verwickelte Gewebe der Kr. d. r. V. ausmachen. Diese Auffassung wird auf eine ganze Reihe von Einzeldoktrinen KANTs ein neues Licht zu werfen geeignet sein, insbesondere auf die transzendentale Ästhetik, aber auch auf die Analytik und Dialektik. Ferner wird das Hervorgehen von FICHTEs Philosophie aus der kantischen Lehre dadurch aufgehellt: FICHTE erkennt, daß es unmöglich ist, auf KANTs widerspruchsvollem Standpunkt stehen zu bleiben, er zieht die Konsequenz aus dem Unterschied des empirischen und transzendentalen Bewußtseins, faßt ersteres als individuelles, letzteres als "überindividuelles", schiebt die Schaffung der für das empirische Ich empirisch vorhandenen Außen- und Innenwelt diesem überindividuellen Ich als vorbewußte "Tat" zu, und leitet so, indem er dieses Ich mit dem Absoluten SPINOZAs identifiziert, die metaphysische Weiterführung der kantischen erkenntnistheoretischen Reform ein. Ich fasse zum Schluß die Hauptergebnisse dieses zweiten Teils in folgenden Thesen zusammen:
b) ist nicht gegen Berkeley, sondern direkt gegen Cartesius gerichtet; sie trifft aber indirekt Berkeleys Idealismus mit; c) steht nicht mit der ersten Auflage als solcher in Widerspruch, sondern in Übereinstimmung, kehrt aber die realistische Seite der kantischen Lehre viel stärker hervor, als die erste Auflage. II. In jeder der beiden Auflagen der Kr. d. r. V. sind zwei widersprechende Auffassungen über das Verhältnis der materiellen Außenwelt zu unseren Vorstellungen enthalten: nach der einen ist die Körperwelt bloße Vorstellung, nach der anderen ist sie etwas von der empirischen Vorstellung Unabhängiges. Nach der ersteren Aufassung steht Kant in Beziehung auf die Körperwelt auf dem Standpunkt des dogmatischen Idealismus von Berkeley, nach der anderen muß er denselben als irrig widerlegen. III. Die Anerkennung einer von unseren empirischen Vorstellungen unabhängigen Körperwelt im Raum ist eine notwendige und unabweisliche logische Konsequenz aus den fundamentalen Positionen Kants. Diese Konsequenz hat Kant auch gezogen. Durch die mit dieser Konsequenz logisch verbundene und von Kant faktisch gemachte Annahme einer Affektion der Sinne durch die Gegenstände im Raum entsteht ein Selbstwiderspruch im kantischen System, der dasselbe von innen heraus zerstört. ![]()
72) Innerhalb des erfahrungsmäßigen Naturganzen hängen nach Kant alle Erscheinungen gesetzmäßig miteinander zusammen; auch die menschlichen Handlungen, sofern sie durch Vorstellungen und diese wieder durch äußere Dinge bedingt sind, gehören in die Kausalkette. Vgl. Kr. d. r. V. erste Auflage, Seite 539, zweite Auflage, Seite 567: "Und da würden wir an einem Subjekt der Sinnenwelt erstens einen empirischen Charakter haben, wodurch seine Handlungen, als Erscheinungen, durch und durch mit anderen Erscheinungen nach beständigen Naturgesetzen im Zusammenhang ständen, und von ihnen, als ihren Bedingungen, abgeleitet werden könnten, und also mit diesen in Verbindung Glieder einer einzigen Reihe der Naturordnung ausmachten". Man bemerke wohl, daß Kant hier Außen- und Innenwelt als "eine einzige Reihe der Naturordnung" zusammenfaßt. Ferner ebendaselbst: "Nach seinem empirischen Charakter würde also diese Subjekt, als Erscheinung, allen Gesetzen der Bestimmung nach, der Kausalverbindung unterworfen sein, und es wäre sonst nichts als ein Teil der Sinnenwelt, dessen Wirkungen, sowie jede andere Erscheinung aus der Natur unausbleiblich ablössen. So wie äußere Erscheinungen in dasselbe einfließen würden (d. h. nach Kants Sprachgebrauch: auf dasselbe, das Subjekt, einen kausalen Einfluß ausüben) . . . müßten sich alle seine Handlungen nach Naturgesetzen erklären lassen." Auch nachher wird davon gesprochen, daß im empirischen Subjekt eine "Verknüpfung mit Erscheinungen als Ursachen angetroffen wird", und daß die Wirkungen des empirischen Subjekts "nur als eine Fortsetzung der Reihe der Naturursachen möglich sind". Kurz nachher (erste Auflage, Seite 548, zweite Auflage, Seite 576) heißt es: "alle Handlungen des Menschen in der Erscheinung sind aus seinem empirischen Charakter und den mitwirkenden anderen Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimmt". Mehrfach spricht Kant in diesem Abschnitt von "dem durchgängigen Zusammenhang aller Erscheinungen in einem Kontext der Natur". Nach diesen Stellen stehen die psychischen Vorgänge mit den physischen offenbar in einer Kausalverbindung - beide bilden nur eine "einzige Reihe der Naturordnung" usw. 73) Dieser Unterschied wird u. a. von Kant in der "Widerlegung des problematischen Idealismus" in den "Sieben kleinen Aufsätzen" (Werke Rosenkranz, Bd. XI, Seite 265f; Hartenstein, Bd. IV, Seite 502f, Kirchmann, Bd. 8, Kants Vermischte Schriften usw., Seite 197f. Dieser Aufsatz ist eine unbeachtete Redaktion der "Widerlegung des Idealismus" in der zweiten Auflage. Kant spricht daselbst auch von einem "Commercium" [Gemeinschaft - wp] zwischen emprischem Ich und den Gegenständen im Raum. - Auch Staudinger in der Schrift "Noumena", Seite 12f, 27f, 62f, 80, 93f betont den Unterschied zwischen dem Ich der Apperzeption und dem Ich des inneren Sinnes und spricht im Anschluß daran vom Gegensatz einer transzendentalen und "empirisch-interobjektiven" Betrachtung. Seine weiteren Ausführungen gehen jedoch einen ganz anderen Weg. 74) Man könnte sagen: die Dinge im Raum affizieren unsere Sinne, wie sie empirisch vorhanden sind; die Dinge-ansich affizieren unsere Sinnlichkeit, sofern sie ein Moment am transzendentalen Ich ist. Durch letztere Affektion erhalten wir Erscheinungen, durch erstere - Erscheinungen von Erscheinungen. 75) Das "realistische Element" in Kants Kritik in diesem Sinne ist nicht zu verwechseln mit dem "realistischen Element" derselben, das in der Anerkennung der Dinge-ansich besteht. Über die Frage der von den Vorstellungen unabhängigen Existenz der Außenwelt finden sich bei Kant, wie gezeigt, zwei heterogene Standpunkte; dagegen war die Existenz der Dinge-ansich für Kant immer so gut wie unzweifelhaft, trotzdem ihm dieselben in der Analytik gelegentlich zu verschwinden drohen. 76) Die Angriffe Schopenhauers gegen Kant in dieser Beziehung beruhen übrigens auf einer unklaren Vermischung der räumlichen Außenwelt mit den Dingen ansich. In den ganzen obigen Erörterungen ist nur von der Außenwelt im Raum die Rede; die Frage nach den Dingen ansich ist eine ganz andere. Diese Vermischung, an welcher Kant teilweise selbst die Schuld trägt, ist ein Grundfehler aller älteren Behandlung unseres Themas von Jacobi bis Fischer. Er neuerdings hat man die Fragen zu scheiden begonnen. 77) Vgl. dazu den Schluß des in Anmerkung 73 zitierten Aufsatzes von Kant: "Wir erkennen unser Dasein in der Zeit immer nur im commercio." Es bedarf also der Wechselwirkung unseres empirischen Ich mit empirischen Gegenständen. 78) Dieser "Einfluß auf den Sinn" ist hier empirische Affektion: jenen Ausdruck verwendet Kant auch für die (damit unvereinbare) Affektion durch die Dinge ansich: "Die Dinge, obgleich nach dem, was sie ansich sein mögen, uns gänzlich unbekannt, kennen wir durch die Vorstellungen, welche ihr Einfluß auf die Sinnlichkeit uns verschafft." (Prolegomena, Original-Ausgabe, Seite 63) 79) Über die beiden letzten Stellen Kants vgl. Stadler, Kants Theorie der Materie, Seite 59f. 80) Vgl. über diese Stelle die Bemerkungen Überwegs, Geschichte der Philosophie, Bd. III, § 18 (sechste Auflage, Seite 250) und dazu Stadler, Kants Theorie der Materie, Seite 8f (auch Spicker, "Kant, Hume und Berkely", Seite 136). Stadler teilt im Wesentlichen die im Text entwickelte Auffassung und konstatiert ebenfalls ein Kausalverhältnis zwischen Bewegung und Empfindung. Vgl. ebd. Seite 58f (dagegen Seite 154-158!) 81) Das gerade Gegenteil von dem, was Kant in der obigen Stelle sagt, stand in der ersten Auflage, in der "Betrachtung über die Summe der reinen Seelenlehre", wo sich Kant gegen das System des physischen Einflusses ausspricht. Aber diese Stelle hat Kant in der zweiten Auflage weggelassen; statt ihrer findet sich in dem ihr entsprechenden Abschnitt der zweiten Auflage wiederum das gerade Gegenteil jener Stelle; da löst Kant jene "berüchtigte Frage wegen der Gemeinschaft des Denkenden und Ausgedehnten" nicht so leicht wie in der ersten Auflage durch den bloßen Hinweis auf das Zusammensein des inneren und äußeren Sinnes in ein und demselben denkenden Subjekt, sondern er nimmt jetzt diese Gemeinschaft der Seele mit dem Körper als ein empirisch reales Verhältnis an zwischen dem Gegenstand des inneren Sinnes und den Gegenständen äußerer Sinne. (Kant spricht nachher von der "Gemeinschaft der Substanzen"; enweder sind damit die empirischen Substanzen, Körper und Seele, gemeint und das würde die obige Aufassung bestätigen; oder es sind damit die Dinge-ansich gemeint und dann sind gegen Kants sonstige bekannte Lehrsätze die Dinge-ansich "Substanzen" genannt. Zweite Auflage, Seite 427f) 82) Wenn man jetzt die bekannte Anmerkung zur Vorrede der zweiten Auflage durchliest, kommt man auf den Gedanken, daß auch in ihr unter "den Dingen außer uns, von denen wir doch den ganzen Stoff zu Erkenntnisse . . . haben", nicht die Dinge ansich, sondern die Gegenstände im Raum außer uns gemeint sind und die empirische Affektion durch dieselben. Man wird in dieser Auffassung bestärkt durch die versteckte Beziehung auf Jacobi, bzw. Wizenmann, welche das Dasein der körperlichen Außenwelt im Raum "auf Glauben" basiert haben. Da bei Jacobi selbst aber Körper und Dinge-ansich verwechselt werden, so kann auch bei Kant diese (oben Anmerkung 71 angenommene) Verwechslung vorliegen. Eine Verwirrung herrscht jedenfalls, denn: ist in jener Stelle der Anmerkung von den Dingen-ansich die Rede, so steht sie mit dem Text der "Widerlegung" und mit den übrigen Sätzen jener Anmerkung im Widerspruch. Ist aber in jenem Satz von den "Gegenständen im Raum" die Rede, so steht die ihnen zugeschriebene Affektion mit der Lehre von den Dingen-ansich und der Affektion durch sie im Widerspruch. - Es sind zwei Hauptamphibolien [Widersprüche - wp] Kants bei dieser ganzen Angelegenheiten zu unterscheiden: erstens ist die Außenwelt im Raum bald bloße Wahrnehmung, bald etwas außer der Wahrnehmung; zweitens sind die "äußeren" Gegenstände, mit denen das Ich "in Relation steht" und die unseren Vorstellungen "korrespondieren", bald die Gegenstände im Raum außer der Wahrnehmung, bald die unräumliche Dinge-ansich außer unseren Gedanken. Auf die letztere Amphibolie gehe ich nicht näher ein, da sie in dem Abschnitt des Textes, den ich behandle, sich noch nicht findet, sondern erst in der Vorrede der zweiten Auflage. 83) Anspielung auf Tiedemann, "Theätet oder über das menschliche Wissen", - ein Beitrag zur Vernunftkritik, 1794. 84) Im Text auf Seite 300 ist beides in verwirrender Weise umgestellt. 85) Kant äußert sogar den Gedanken, das System der bewegenden Kräfte aus der Materie aus den fünf Sinnen a priori zu deduzieren, Seite 290. 86) Dasselbe gilt von Classen, der im Anschluß an Krause (a. a. O.) die vom Vorgestelltsein unabhängige Wirklichkeit der Dinge im Raum behauptet. |