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Über die Form und die Prinzipien der sinnlichen und der Verstandeswelt [1/2]
Erster Abschnitt Über den Begriff der Welt überhaupt § 1. Bei dieser Erklärung des vorliegenden Begriffs habe ich neben den Merkmalen, die zur genauen Erkenntnis des Gegenstandes gehören, auch die doppelte Erzeugung desselben aus der Natur der Seele ein wenig berücksichtigt, welche mir sehr empfehlenswert scheint, weil sie als ein Beispiel zur genauen Erkenntnis der Verfahrensweise innerhalb der Metaphysik dienen kann. Denn sich aus gegebenen Teilen eine Zusammensetzung des Ganzen mittels des abstrakten Verstandesbegriffes vorzustellen, ist etwas Anderes, als diesen allgemeinen Begriff wie eine Aufgabe der Vernunft durch das sinnliche Erkenntnisvermögen zu vollführen, d. h. im Konkreten in einer bestimmten Anschauung ihn sich vorzustellen. Das Erstere geschieht durch den Begriff der Zusammensetzung überhaupt, insofern Mehreres unter ihm (bzw. gegeneinander) befaßt ist, also durch Verstandes- und allgemeine Begriffe; das Letztere beruth auf den Bedingungen der Zeit, insofern der Begriff des Zusammengesetzten durch eine fortgehende Hinzufügung eines Teils zu dem anderen auf erzeugende Weise, d. h. durch Zusammensetzung möglich ist, und gehört zu den Gesetzen der Anschauung. In gleicher Weise gelangt man, wenn ein substantielles Zusammengesetztes gegeben ist, leicht zur Vorstellung der einfachen Teile, indem man den Verstandesbegriff der Zusammensetzung überhaupt beseitigt; denn das nach der Entfernung aller Verbindung Übrigbleibende ist das Einfache. Aber nach den Gesetzen der anschaulichen Erkenntnis geschieht dies nur, d. h. die Zusammensetzung wird nur ganz aufgehoben durch ein Zurückschreiten vom gegebenen Ganzen zu irgendwie möglichen Teilen, d. h. durch Auflösung (1), welche sich wieder auf die Zeit stützt. Da aber zu dem Zusammengesetzten eine Mehrheit von Teilen und zu dem Ganzen eine Allheit erforderlich ist, so ist weder die Auflösung nocht die Verbindung vollendet, folglich auch durch erstere der Begriff des Einfachen und durch letztere der Begriff des Ganzen nicht erreicht, wenn Beides nicht in einer endlichen und angebbaren Zeit beendet werden kann. Weil aber in einer stetigen Größe der Rückgang vom Ganzen zu den angebbaren Teilen und bei der unendlichen Größe der Fortgang von den Teilen zum gegebenen Ganzen keine Grenze hat, so sind hier sowohl die vollendete Auflösung wie die vollendete Verbindung unmöglich, und im ersten Fall kann das Ganze, der Zusammensetzung nach, und im letzteren das Zusammengesetzte, der Totalität nach, nach den Gesetzen der Anschauung nicht als vollendet vorgestellt werden. Daraus erklärt es sich, daß, da man das Nicht-Vorstellbare und das Unmögliche meist für gleichbedeutend nimmt, die Begriff des Stetigen und des Unendlichen von so Vielen verworfen werden, weil nämlich ihre Vorstellung nach den Gesetzen der anschaulichen Erkenntnis unmöglich ist. Ich will nun zwar hier nicht als Verfechter dieser aus gar manchen Schulen vertriebenen Begriffe auftreten (2), allein dennoch ist es von der größten Bedeutung, daran zu erinnern, daß man in einem so großen Irrtum befangen ist, wenn man sich einer so verkehrten Beweisart bedient. Denn Alles, was den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft widerstreitet, ist durchaus unmöglich; aber nicht so das, was, als ein Gegenstand der reinen Vernunft, nur den Gesetzen der anschaulichen Erkenntnis nicht unterliegt. Denn dieser Wirklichkeit zwischen dem wahrnehmenden und denkenden Vermögen (deren Natur ich bald darlegen werden) zeigt nur an, daß die Seele die vom Verstand empfangenen abstrakten Vorstellungen oft nicht vermag im Besonderen auszuführen und in Anschauungen zu verwandeln. Dieser in der Person liegende Widerstreit bietet sich lügnerisch, wie gar oft, als ein Widerstreit in der Sache und täuscht den Unaufmerksamen leicht, indem er die Grenzen des menschlichen Geistes für die Grenzen des Wesens der Dinge selbst nimmt. Wenn übrigens durch das Zeugnis der Sinne oder sonst wie die substantiell Zusammengesetzten gegeben sind, so gibt es auch Einfaches und eine Welt, wie aus einem den Verstandesbegriffen entnommenen Grund leicht dargelegt werden kann; ich habe in meiner Definition auch die in der Natur der Person enthaltenen Ursachen deutlich aufgezeigt, damit der Begriff der Welt nicht als ein bloß willkürlicher erscheint, der, wie es in der Mathematik geschieht, nur gebildet ist, um Folgesätze daraus abzuleiten. Denn wenn die Seele sich um die Auflösung oder Zusammensetzung des Begriffs des Zusammengesetzten müht, so verlangt sie Grenzen und setzt solche voraus, bei denen sie sowohl in der vorderen wie in der rückwärtigen Richtung abschließen kann. Die bei der Definition der Welt zu beachtenden Bestimmungen sind folgende: I. Der Stoff (in dem die Erfahrung überschreitenden Sinne), d. h. Teile, von denen hier angenommen wird, sie seien Substanzen. Ich könnte unbesorgt sein, ob diese meine Definition mit der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes stimmt, da sie gleichsam nur die Frage einer nach den Gesetzen der Vernunft zum Vorschein gekommene Aufgabe ist, nämlich, ob mehrere Substanzen in eine zusammenschmelzen können, und auf welchen Bedingungen es beruth, daß dieses Eine nicht der Teil eines Anderen ist. Aber die Kraft des Wortes "Welt" in einem gewöhnlichen Sinn kommt mir von selbst entgegen. Denn Niemand wird die Akzidenzen [Merkmale - wp] der Welt als ihre Teile zuschreiben, sondern als Bestimmungen ihres Zustandes. Deshalb wird diese sogenannte egoistische Welt, die mit einer einfachen Substanz abschließt, mit ihren Akzidenzien nur unpassend Welt genannt, sie ist es höchstens in der Einbildung. Aus demselben Grund darf man zum Ganzen der Welt die Reihe der einander Folgenden (nämlich Zustände) nicht als Teile beziehen; denn die Maßgaben eines Subjekts sind nicht Teile, sondern Begründete desselben. Endlich lasse ich hier unerörtert, ob die die Welt ausmachenden Substanzen zufällig oder notwendig sind, und ich verstecke auch eine solche Bestimmung nicht nebenbei in meine Definition um sie später, wie man pflegt, in scheinbar gründlicher Weise wieder daraus hervorzuholen; vielmehr werde ich später darlegen, daß aus den hier gesetzten Bedingungen die Zufälligkeit genügend abgeleitet werden kann. II. Die Form, welche in der Nebenordnung, nicht in der Unterordnung der Substanzen besteht. Denn das Nebengeordnete schaut aufeinander, als die Erfüllenden zum Ganzen; das Untergeordnete aber als das Bewirkte zur Ursache oder allgemein wie das Prinzip zu dem davon Bestimmten. Das erste Verhältnis ist gegenseitig und gleichlautend, so daß jedes Bezogene auf das andere als zugleich bestimmend und bestimmt sich bezieht; das letztere ist verschieden lautend; von der einen Seite ist nur Abhängigkeit, von der anderen Ursächlichkeit. Die Nebenordnung wird hier als wirkliche und gegenständliche genommen, und nicht als eine bloß vorgestellte, die bloß auf das Belieben der Person sich stützt, wodurch man mittels Zusammenzählens einer beliebigen Menge ein Ganzes in Gedanken bildet. Denn indem man Mehrere zusammenfaßt, erreicht man in keiner Weise ein Ganzes der Vorstellung, und deshalb auch nicht die Vorstellung des Ganzen. Wenn es also etwa Ganze der Substanzen gibt, die durch keine Verknüpfung miteinander verbunden sind, so würde die Zusammenfassung desselben, wodurch der Verstand die Menge in eine gedachte Einheit preßt, nichts weiter sagen als eine Mehrheit der Welten, die in einem Gedanken zusammengefaßt sind. Dagegen wird die Verknüpfung, welche die wesentliche Form der Welt bildet, betrachtet als das Prinzip der möglichen Einflüsse der die Welt bildenden Substanzen. Denn der wirkliche Einfluß gehört nicht zum Wesen, sondern zu dem Zustand, und die vorübergehenden Kräfte selbst, die Ursachen der Einflüsse, setzen ein Prinzip voraus, durch welches es möglich wird, daß der Zustand Mehrerer, deren Substanz im Übrigen voneinander unabhängig ist, sich aufeinander als Begründete beziehen. Geht man von diesem Prinzip ab, so kann man die vorübergehende Kraft in der Welt nicht als möglich annehmen. Deshalb ist diese der Welt wesentliche Form unveränderlich und keinem Wechsel unterworfen, und zwar erstens aus einem logischen Grund, weil jede Veränderung die Identität eines Subjekts voraussetzt, an dem die Bestimmungen einander folgen. Deshalb bewahrt die Welt, welche durch alle ihre einander folgenden Zustände die Welt bleibt, dieselbe fundamentale Form; denn zur Identität des Ganzen genügt nicht die Identität der Teile, sondern ist die Identität der charakteristishen Zusammensetzung erforderlich. Hauptsächlich folgt dies aber aus dem Realgrund. Denn die Natur der Welt, welche das erste innere Prinzip aller wechselnden, zu ihrem Zustand gehörigen Bestimmungen ist, kann nicht selbst ihr Gegenteil sein und ist deshalb ansich unveränderlich; deshalb gibt es in jeder Welt eine zu ihrer Natur gehörige bestimmte Form, die beharrlich, unveränderlich das dauernde Prinzip jeder zufälligen und vorübergehenden Form ist, welche zum Zustand der Welt gehört. Wer diese Unterscheidung nicht beachtet, wird durch die Begriffe des Raumes und Zeit getäuscht, als wären sie schon ansich gegebene, ursprüngliche Bedingungen, mit deren Hilfe, ohne alles weitere Prinzip, es nicht bloß möglich, sondern notwendig ist, daß mehrere wirkliche Dinge als Teile sich aufeinander beziehen und ein Ganzes bilden. Allein ich werde bald zeigen, daß diese Begriffe keine gegenständlichen Ideen der Vernunft und ihrer Verbindungen, sondern nur Erscheinungen sind, welche zwar ein gemeinsames Prinzip der allgemeinen Verbindung bezeugen, aber nicht erklären. III. Die Umfassung (Universitas), welche die unbedingte Allheit der Teile ist. Denn ein gegebenes Zusammengesetztes enthält, wenn es auch Teil eines Anderen ist, beziehungsweise immer eine vergleichsweise Allheit, nämlich der zu diesem Gegenstand gehörenden Teile. Hier aber wird Alles, was unter sich gegenseitig als Teile auf irgendein Ganzes sich bezieht, als verbunden gesetzt angenommen. Diese unbedingte Ganzheit (Totalitas) hat zwar den Schein eines alltäglichen und leicht zu fassenden Begriffs an sich, namentlich wenn sie verneinend ausgedrückt wird; allein wenn man sie genauer erwägt, so bildet sie das Kreuz für den Philosophen. Denn es kann schwer gefaßt werden, wie die niemals endende Reihe der einander in Ewigkeit folgenden Zustände des Weltalls in ein Ganzes gebracht werden können, was überhaupt allen Wechsel in sich befaßt. Denn in der Unendlichkeit selbst liegt es, daß sie kein Ende hat; es gibt deshalb nur eine solche Reihe von einander folgenden Zuständen, die ein Teil von anderen ist, so daß deshalb die Vollständigkeit oder unbedingte Ganzheit davon ausgeschlossen erscheint. Denn wenn auch der Begriff des Teils allgemein genommen werden kann, und alles darunter Begriffene, als in eine Reihe gestellt aufgefaßt, Eines bildet, so scheint doch der Begriff des Ganzen zu fordern, daß jene sämtlich zugleich genommen werden sollen, was im gegebenen Fall unmöglich ist. Denn der ganzen Reihe folgt nichts nach, und wenn man eine Reihe von einander Folgenden setzt, ist nur das Letzte das, dem nichts folgt; deshalb wird es das Letzte in Ewigkeit bleiben, was unsinnig ist. Diese Schwierigkeit, welche dem Ganzen einer unendlichen Folge anhaftet, hält vielleicht Mancher bei einem gleichzeitigen Unendlichen für nicht vorhanden, weil die Gleichzeitigkeit die Umfassung alles in derselben Zeit ausdrücklich auszusprechen scheint. Allein wenn man ein gleichzeitiges Unendliches zuläßt, so muß man auch ein Ganzes der unendlichen, sich Folgenden zugestehen; leugnet man aber Letzteres, so wird auch das Erstere aufgehoben. Denn das gleichzeitige Unendliche bietet der Ewigkeit einen unerschöpflichen Stoff, um durch ihre unzähligen Teile der Folge nach ohne Ende vorzuschreiten, und diese Reihe wäre dabei doch, in allen ihren Zahlen beschlossen, in einem gleichzeitigen Unendlichen gegeben, und so könnte die Reihe, welche durch ein Nach- und Nach-Zusetzen nicht beendet werden kann, doch als eine ganze gegeben werden. Will man sich aus dieser dornigen Frage herauswinden, so halte man fest, daß sowohl die gleichzeitige wie die nachfolgende Zusammenordnung Mehrerer (da sie sich auf den Begriff der Zeit stützt) nicht zu einem Verstandesbegriff des Ganzen gehört, sondern nur zu den Bedingungen der sinnlichen Anschauung; wenn sie deshalb auch sinnlich vorstellbar sind, so hören sie doch deshalb nicht auf, Verstandesbegriffe zu sein. Dazu gehört nur, daß überhaupt ein Nebengeordnetes gegeben ist und dieses als zu Einem gehörig vorgestellt wird. Über den Unterschied des Sinnlichen und Verstandesbegrifflichen (intelligibilis) im Allgemeinen. § 3. Die Sinnlichkeit ist die Empfänglichkeit der Person, durch die ihr Vorstellen von der Gegenwart eines Gegenstandes in gewisser Weise erregt wird. Das Denken (die Vernünftigkeit) ist das Vermögen der Person, durch das sie das, was wegen seiner Beschaffenheit nicht von ihren Sinnen erfaßt werden kann, sich vorzustellen vermag. Der Gegenstand der Sinnlichkeit ist sinnlich; aber was nichts Anderes enthält, als was durch das Denken erfaßt werden kann, gehört zum Begrifflichen des Verstandes. Ersteres hieß in den Schulen der Alten das Erscheinende (Phaenomenon), Letzteres das Gedachte (Noumenon). Soweit die Erkenntnis den Gesetzen der Sinnlichkeit unterliegt, ist sie sinnlich, und soweit sie den Gesetzen des Verstandes unterliegt, ist sie verstandesmäßig oder vernünftig. Da sonach das, was an der Erkenntnis sinnlich ist, von der besonderen Beschaffenheit der Person abhängt, inwiefern sie dieser oder jener Veränderung durch die Gegenwart von Gegenständen fähig ist, welche nach der Verschiedenheit der Person bei Verschiedenen verschieden sein kann, und alle Erkenntnis, welche von diesen persönlichen Bedingungen befreit ist, nur den Gegenstand betrifft, so erhellt sich, daß die sinnlichen Vorstellungen die Dinge geben, wie sie erscheinen, die Verstandesbegriffe aber, wie sie sind. Der sinnlichen Vorstellung wohnt aber zunächst etwas inne, was man den Stoff nennen könnte, nämlich die Empfindung; dann aber auch etwas, was man die Form nennen kann, nämlich die Besonderheit des Sinnlichen, welche angibt, inwiefern das Mannigfache, was den Sinn erregt, durch ein gewisses Naturgesetz der Seele zusammengestellt wird. Sowie ferner die Empfindung, welche den Stoff der sinnlichen Vorstellung abgibt, zwar die Gegenwart von etwas Sinnlichem anzeigt, ihrer Beschaffenheit nach aber von der Natur der Person abhängt, je nachdem diese von einem Gegenstand bestimmbar ist, so beweist auch die Form dieser Vorstellung jedenfalls eine Beziehung oder ein Verhältnis des mehreren Empfundenen, aber sie ist nicht eigentlich eine Abschattung oder eine Art Gestalt des Gegenstandes, sondern nur ein der Seele eingefügtes Gesetz, um die von der Gegenwart des Gegenstandes entstandenen Empfindungen nebeneinander zu ordnen. Denn durch die Form oder Gestalt erregen die Gegenstände die Sinne nicht; damit daher das Vielerlei des Gegenstandes, welches den Sinn erregt, in das Ganze einer Vorstellung zusammenschmilzt, bedarf es eines inneren Prinzips der Seele, wodurch jenes Vielerlei nach festen und eingeborenen Gesetzen eine gewisse Gestalt annimmt. Zur sinnlichen Erkenntnis gehört daher sowohl ein Stoff, was die Empfindung ist, und wodurch die Erkenntnisse sinnliche (sensibiles) heißen, wie auch eine Form, durch welche, wenn sie auch ohne alle Empfindung ist, die Vorstellungen dem Sinn angehörige (sensitivae) heißen. Was auf der anderen Seite die Verstandeserkenntnis anlangt, so ist vor allem zu merken, daß der Gebrauch des Verstandes oder des oberen Seelenvermögens ein doppelter ist; durch den einen werden die Begriffe selbst von den Dingen oder Beziehungen gegeben; dies ist der reale Gebrauch; durch den anderen werden die von irgendwo empfangenen nur einander untergeordnet, nämlich die unteren den oberen (durch die gemeinsamen Merkmale) und unter sich nach dem Satz des Widerspruchs verglichen; dieser Gebraucht heißt der logische. Der logische Gebrauch des Verstandes ist allen Wissenschaften gemeinsam; der reale nicht so. Denn jede irgendwie gegeben Erkenntnis betrachtet entweder den Inhalt unter einem Mehreren gemeinsamen oder einem ihm entgegengesetzten Merkmal, und zwar unmittelbar und zunächst, wie es bei den Urteilen zwecks bestimmter Erkenntnis geschieht; oder mittelbar, wie bei den Begründungen, zwecks einer wahren (adaequaten) Erkenntnis. Wenn also sinnliche Erkenntnisse gegeben sind, so werden durch den logischen Gebrauch des Verstandes sinnliche Erkenntnisse anderen sinnlichen, als den gemeinsamen Begriffen, und Erscheinungen den allgemeinen Gesetzen der Erscheinungen untergeordnet. Von der höchsten Wirklichkeit ist aber hier die Bemerkung, daß die Erkenntnisse dabei immer als sinnliche gelten müssen, so viel auch dabei ein logischer Gebrauch vom Verstand gemacht worden ist. Denn sie heißen sinnlich wegen ihrer Entstehung, nicht wegen ihrer Vergleichung nach Identität oder Gegensatz. Deshalb sind selbst die allgemeinsten Erfahrungsgesetze dennoch sinnlich, und die Prinzipien der sinnlichen Form (der bestimmten Beziehungen im Raum), welche die Geometrie enthält, überschreiten, soviel auch der Verstand dabei in einem aus sinnlich Gegebenem (durch die reine Anschauung) nach den logischen Regeln geschehenden Begründen tätig ist, nicht die Klasse der sinnlichen Erkenntnisse. In diesem Sinnlichen und Erscheinenden heißt das, was dem logischen Gebrauch des Verstandes vorhergeht, die Erscheinung, dagegen die Erkenntnis, welche aus der durch das Denken geschehenen Vergleichung mehrerer Erscheinungen hervorgeht, heißt als reflektiert die Erfahrung. Der Weg von der Erscheinung zur Erfahrung führt daher nur durch die Überlegung in Gemäßheit des logischen Gebrauchs des Verstandes. Die Begriffe der Erfahrung werden gewöhnlich +empirisch genannt und die Gegenstände derselben Erscheinungen, und die Gesetze der Erfahrung sowie überhaupt aller sinnlichen Erkenntnis heißen die Gesetze der Erscheinungen. Deshalb werden Erfahrungsbegriffe durch eine Zurückführung auf eine höhere Allgemeinheit nicht zu Verstandesbegriffen im wirklichen Sinne und überschreiten die Klasse der sinnlichen Erkenntnis nicht, sondern bleiben, soweit sie auch durch ein Abtrennen sich erheben mögen, doch ohne Ende sinnliche. Was aber die Verstandesbegriffe im strengen Sinn anlangt, in denen der Gebrauch des Verstandes real ist, so werden solche Begriffe teils von Gegenständen, teils von Beziehungen durch die Natur des Verstandes selbst gegeben; sie sind nicht von einem Gebrauch der Sinne entlehnt und enthalten keine Form der sinnlichen Erkenntnis als solcher. Ich muß jedoch hier die große Zweideutigkeit des Wortes "Abstrakt" hervorheben und sie vorher beseitigen, damit sie nicht meine Erörterung der Verstandesbegriffe verdirbt. Eigentlich müßte es nämlich heißen: Von etwas abtrennen (abstrahieren), nicht etwas abtrennen. Ersteres bezeichnet, daß man bei einem Begriff auf anderes mit ihm gleichsam Verbundenes nicht acht gibt; letzteres, daß etwas nur im Einzelnen und so gegeben ist, daß es von dem mit ihm Verbundenen abgetrennt wird. Deshalb sieht der Verstandesbegriff von allem Sinnlichen ab (abstrahiert), aber wird nicht vom Sinnlichen abgetrennt (abstrahiert), und er könnte vielleicht richtiger ein abziehender als ein abgezogener genannt werden. Es ist deshalb ratsamer, die Verstandesbegriffe reine Begriffe, und die nur erfahrungsmäßig gegebenen Begriff abgezogene (abstrakte) zu nennen. Hieraus erhellt sich, daß mit Unrecht die sinnliche Erkenntnis als eine verworrene, und die Verstandeserkenntnis als eine deutliche erklärt wird. Denn dies sind nur logische Unterschiede, welche das Gegebene, was aller logischen Vergleichung unterliegt, gar nicht berühren. Die sinnlichen Begriffe können sehr deutlich und die des Verstandes sehr verworren sein. Jenes zeigt sich im Urbild der sinnlichen Erkenntnis, in der Geometrie; dieses im Werkzeug aller Verstandesbegriffe, der Metaphysik, von der es allbekannt ist, daß sie trotz aller angewandten Mühe die Nebel der Verwirrung, welche den gewöhnlichen Verstand verdunkeln, nicht immer mit so glücklichem Erfolg, wie jene, vertreiben kann. Trotzdem trägt jede dieser Erkenntnisse das Zeichen ihrer Herkunft, so daß erstere, wenn sie auch noch so deutlich sind, von ihrem Ursprung her sinnliche heißen, und letztere trotz ihrer Verworrenheit Verstandesbegriffe, wie z. B. die moralischen Begriffe, welche nicht aus der Erfahrung, sondern durch die reine Vernunft erkannt sind. Ich fürchte deshalb, daß WOLFF durch diesen Unterschied zwischen sinnlicher und gedachter Erkenntnis, der ihm selbst nur als ein logischer gilt, jene wertvolle alte Einrichtung, die Natur des Erscheinenden und des durch den Verstand Begriffenen zu sondern, zum großen Schaden der Philosophie, vielleicht völlig zerstört und die Geister von deren Erforschung zu logischen Spielereien in den meisten Fällen abgelenkt hat. Die erste Philosophie, welche die Grundlagen des Gebrauchs des reinen Verstandes enthält, ist die Metaphysik; dagegen ist die Wissenschaft, welche den Unterschied der sinnlichen Erkenntnis von der des Verstandes darlegt, nur eine Vorläuferin derselben, und von dieser wird hier in dieser Abhandlung eine Probe gegeben. Da es also in der Metaphysik keine Erfahrungsgrundsätze gibt, so dürfen die in ihr enthaltenen Begriffe nicht in den Sinnen gesucht werden, sondern in der Natur des reinen Verstandes selbst; nicht als angeborene Begriffe, sondern als solche, welche nach den der Seele innewohnenden Gesetzen abgezogen (indem bei Gelegenheit der Erfahrung auf ihre Tätigkeit geachtet wird), folglich erworben sind. Derart sind die Möglichkeit, das Dasein, die Notwendigkeit, die Substanz, die Ursache usw. mit ihren gegenteiligen oder zugehörigen Begriffen; sie treten niemals als Teile in eine sinnliche Vorstellung ein und können deshalb auch in keiner Weise aus ihr abgetrennt werden. Das Ziel der gedachten Begriffe ist ein doppeltes; erstens dienen sie der Aufdeckung von Scheinbeweisen; sie nützen dadurch in verneinender Weise, insofern sie die sinnlichen Begriffe von denen des Verstandes abhalten, und wenn sie damit auch die Wissenschaft nicht weiter bringen, so schützen sie sie doch dadurch von der Ansteckung mit Irrtümern. Zweitens führen sie auf inhaltliche Lehrsätze. Dadurch gehen die allgemeinen Grundsätze des reinen Verstandes, wie sie die Ontologie und die rationale Seelenlehre bieten, in ein Einzelnes aus, was nur mit dem reinen Verstand zu erfassen ist, und in ein für alles Andere gemeinsam dienendes Maß der Realitäten, was die verstandesmäßige Vollkommenheit ist. Diese Vollkommenheit ist eine solche entweder im theoretischen oder im praktischen Sinn; im ersteren ist sie das höchste Wesen, Gott, im letzteren Sinne die moralische Vollkommenheit. Die Moralphilosophie kann also, soweit sie die ersten Grundsätze zur Beurteilung bietet, nur durch den reinen Verstand erkannt werden und gehört selbst zur reinen Philosophie. EPIKUR, der ihre Kennzeichen auf das Gefühl der Lust oder des Schmerzes herabzog, verdient deshalb samt einigen Neueren, die ihm aus der Ferne gefolgt sind, wie SHAFTESBURY und seine Anhänger, großen Tadel. In jeder Gattung, wo die Größe wechselt, ist das Größte das gemeinsame Maß und das Prinzip der Erkenntnis. Das Größte an Vollkommenheit heißt gegenwärtig das Ideal; bei PLATO die Idee (wie seine Idee des Staates). Es ist von allem, was unter dem allgemeinen Begriff einer Vollkommenheit enthalten ist, das Prinzip; denn die niederen Grade können nur durch eine Beschränkung des Größten bestimmt werden. Gott aber ist als Ideal der Vollkommenheit das Prinzip der Erkenntnis, und als wirklich daseiend zugleich das Prinzip des Werdens für jede Vollkommenheit überhaupt. Von den Verstandeskategorien gibt es (für den Menschen) keine Anschauung, sondern nur eine symbolische Erkenntnis, und die Verstandeserkenntnis ist uns durch allgemeine Begriffe im Abstrakten, aber nicht durch den einzelnen Fall im Konkreten gestattet. Alle unsere Anschauung ist nämlich an ein Prinzip der Form gebunden, unter der allein etwas unmittelbar, oder als Einzelnes von der Seele geschaut und nicht bloß diskursiv durch allgemeine Begriffe erfaßt werden kann. Dieses formale Prinzip unserer Anschauung (der Raum und die Zeit) ist die Bedingung, unter der etwas Gegenstand für unsere Sinne werden kann, und als eine Bedingung der sinnlichen Erkenntnis ist es deshalb kein Mittel für die Verstandeserkenntnis. Darüber hinaus wird aller Stoff unserer Erkenntnis nur von den Sinnen geliefert; aber das durch den Verstand Erkannte als solches kann nicht durch Vorstellungen, die den Sinnen entlehnt sind, erfaßt werden; deshalb ist der Verstandesbegriff als solcher leer an allem Inhalt der menschlichen Anschauung. Die Anschauung unserer Seele ist nämlich immer leidend und deshalb nur soweit möglich, als etwas unsere Sinne erregen kann. Dagegen ist die göttliche Einsicht, welche das Prinzip der Gegenstände und nicht das Bewirkte ist, da sie unabhängig ist, das Original und deshalb nur eine lediglich durch Verstandesbegriffe geschehende. Obgleich die Erscheinungen eigentlich keine Ideen, sondern einzelne Dinge sind und nicht die innere und unbedingte Beschaffenheit der Gegenstände ausdrücken, so ist dennoch ihre Erkenntnis die wahrste. Denn erstens bezeugen sie, als sinnliche Begriffe oder Wahrnehmungen, wie das Bewirkte, die Gegenwart des Verstandes und dienen so gegen den Idealismus; was aber die Urteile über das sinnlich Erkannte anlangt, so besteht die Wahrheit des Urteils in der Übereinstimmung des Prädikakts mit dem gegebenen Subjekt; der Begriff des Subjekts, soweit es Erscheinung ist, ist mir nur in Beziehung auf das Vermögen der sinnlichen Erkenntnis gegeben, und eben danach werden auch die sinnlich wahrnehmbaren Prädikate gegeben; also erfolgen die Vorstellungen des Subjekts und des Prädikats nach gemeinsamen Gesetzen und bieten deshalb die Handhabe für die wahrhafteste Erkenntnis. Alles, was unseren Sinne als Gegenstände geboten wird, sind Erscheinungen; was aber, ohne den Sinn zu erregen, nur die besondere Form der Sinnlichkeit enthält, gehört zur reinen Anschauung (d. h. einer von Empfindungen freien, aber nicht verstandesmäßigen). Die Erscheinungen werden aufgeführt und erklärt, und zwar erstens die des äußeren Sinnes in der Physik; dann die des inneren Sinnes in der empirischen Psychologie. Die reine Anschauung (die menschliche) ist aber keine allgemeine oder logische Vorstellung unter die, sondern eine einzelne Vorstellung, in der alles Sinnliche aufgefaßt wird; deshalb enthält sie die Vorstellungen des Raumes und der Zeit. Da beide über die Beschaffenheit des Sinnlichen nichts bestimmen, so sind sie nur der Größe nach ein Gegenstand der Wissenschaft. Deshalb betrachtet die reine Mathematik den Raum in der Geometrie, und die reine Mechanik die Zeit. Zu diesen kommt ein Begriff, der ansich zu den Verstandesbegriffen gehört, dessen Verwirklichung im Besonderen aber der Hilfe von den Begriffen der Zeit und des Raumes bedarf (indem Mehrere nacheinander und gleichzeitig nebeneinander gestellt werden); dies ist der Begriff der Zahl, welchen die Arithmetik behandelt. Indem so die reine Mathematik die Form unserer ganzen sinnlichen Erkenntnis behandelt, ist sie das Werkzeug jeder sinnlichen und deutlichen Erkenntnis, und da ihre Gegenstände nicht bloß die formalen Prinzipien aller Anschauung, sondern selbst ursprüngliche Anschauungen sind, so gewährt sie die wahrste Erkenntnis und zugleich für alle das Muster der höchsten Gewißheit. Es gibt also eine Wissenschaft des Sinnlichen, obgleich, da es Erscheinungen sind, keine reale verstandesmäßige Erkenntnis desselben, sondern nur eine logische. Hieraus erhellt sich, in welchem Sinn die Anhänger der eleatischen Schule die Wissenschaft der Erscheinungen geleugnet haben. Über die Prinzipien der Form der sinnlichen Welt § 13. Das Prinzip der Form des Weltalls ist das, welches den Grund der allgemeinen Verknüpfung enthält, vermöge deren alle Substanzen und deren Zustände zu demselben Ganzen, das die Welt heißt, gehören. Das Prinzip der Form der sinnlichen Welt ist das, welches den Grund der allgemeinen Verknüpfung von allem enthält, soweit es Erscheinung ist. Die Form der Verstandeswelt enthält kein gegenständliches Prinzip, d. h. eine Ursache, weshalb eine Verknüpfung der Dinge ansich besteht. Dagegen hat die Welt, als Erscheinung aufgefaßt, d. h. in Beziehung auf die Empfindung der menschlichen Seele nur ein persönliches Prinzip der Form, d. h. ein bestimmtes geistiges Gesetz, vermöge dessen alles, was Gegenstand der Sinne (durch deren Beschaffenheit) sein kann, notwendig zu demselben Ganzen zu gehören scheint. Welcher Art also auch das Prinzip der Form der sinnlichen Welt sein mag, so umfaßt es doch nur das Wirkliche, das als in die Sinne fallend erachtet wird, also weder die unkörperlichen Substanzen, welche schon als solche durch ihre Definition von den äußeren Sinnen ganz ausgeschlossen sind, noch die Ursache der Welt, welche kein Gegenstand der Sinne sein kann, da durch sie die Seele erst besteht und durch ihre Sinne wirksam ist. Diese formalen Prinzipien des Weltalls als Erscheinung, mithin die unbedingt ersten umfassenden Formen oder Bedingungen alles Sinnlichen in der menschlichen Erkenntnis sind zweifach: die Zeit und der Raum, wie ich zeigen werde. Über die Zeit 1. Die Vorstellung der Zeit entspringt nicht aus den Sinnen, sondern wird von ihnen vorausgesetzt. Denn ob das in die Sinne Fallende zugleich oder nacheinander ist, kann nur mittelst der Vorstellung der Zeit vorgestellt werden und die Folge erzeugt nicht die Vorstellung der Zeit, sondern fordert nur dazu auf. Deshalb wird der Begriff der Zeit, als wäre er durch Erfahrung erworben, sehr schlecht als die Reihe von wirklichem nacheinander Daseiendem definiert. Denn ich verstehe die Bedeutung dieses Nach nicht, wenn ich nicht schon vorher die Vorstellung der Zeit habe. Denn etwas ist nacheinander, was in verschiedener Zeit besteht, und das zugleich ist, was in derselben Zeit besteht. 2. Die Vorstellung der Zeit ist eine einzelne und keine allgemeine. Denn jede Zeit wird nur vorgestellt als ein Teil derselben unermeßlichen Zeit. Man kann sich nicht zwei Jahre vorstellen, und wenn man nicht ihre Stellung zueinander bestimtt, und folgen sie nicht unmittelbar einander, nur dadurch, daß eine gewisse Zwischenzeit mit ihnen verbunden wird. Welche von den verschiedenen Zeiten aber die frühere, und welche die spätere ist, kann in keiner Weise durch Merkmale der Verstandeserkenntnis bestimmt werden, wenn man nicht in einen fehlerhaften Zirkel geraten will; die Seele kann sie nur durch die einzelne Anschauung unterscheiden. Außerdem stellt man sich alles Wirkliche in der Zeit befindlich vor, aber nicht unter ihrem allgemeinen Begriff, als gemeinsamem Merkmal enthalten. 3. Die Vorstellung der Zeit ist also eine Anschauung, und da sie vor aller Empfindung gefaßt wird, gleichsam die Bedingung der vorkommenden Beziehungen im Sinnlichen, so ist sie keine empfindbare, sondern reine Anschauung. 4. Die Zeit ist eine stetige Größe und das Prinzip der Gesetze des Stetigen in den Veränderungen des Weltalls. Denn das Stetige ist ein Großes, was nicht aus Einfachem besteht. Da aber unter der Zeit nur Beziehungen vorgestellt werden, aber ohne die in diesen Beztiehungen stehenden gegebenen Dinge, so ist in der Zeit, als einer Größe, eine Zusammensetzung enthalten, welche, wenn sie ganz weggedacht wird, nichts übrig läßt. Wo aber bei einem Zusammengesetzten, nach Aufhebung aller Zusammensetzung, gar nichts übrig bleibt, da besteht es nicht aus einfachen Teilen. Also usw. Deshalb ist jeder Teil der Zeit eine Zeit. Das Einfache in der Zeit, also die Augenblicke, sind keine Teile derselben, sondern Grenzen zwischen der Zeit. Denn wenn zwei Augenblicke gegeben werden, so ist damit noch keine Zeit gegeben, als soweit innerhalb ihrer Wirkliches einander folgt; deshalb muß neben dem Augenblick auch eine Zeit gegeben sein, an deren letztem Teil ein anderer Augenblick ist. Das metaphysische Gesetz der Stetigkeit lautet dagegen: Alle Veränderungen sind stetig und fließend, d. h. entgegengesetzte Zustände folgen einander nur durch eine Reihe verschiedener Zustände zwischen ihnen. Denn da die beiden entgegengesetzten Zustände in verschiedenen Zeitpunkten sind, zwischen zweien solchen aber immer eine Zeit in der Mitte sein muß, in deren unendlicher Reihe von Zeitpunkten die Substanz weder in dem einen noch in dem anderen gegebenen Zustand sich befindet und doch auch in keinem nicht sein kann, so muß sie in verschiedenen Zuständen es sein und so fort ohne Ende. Der berühmte KÄSTNER fordert bei der Prüfung dieses Gesetzes von LEIBNIZ dessen Verteidiger auf (3), sie sollen beweisen, daß die stetige Bewegung eines Punktes durch alle Seiten eines Dreiecks unmöglich ist, was allerdings nötig ist, wenn man das Gesetz der Stetigkeit einräumt. Hier ist nun der verlangte Beweis. Die Buchstaben a, b, c mögen die drei Winkelpunkte eines geradlinigen Dreiecks bezeichnen. Wenn das sich Bewegende in stetiger Bewegung durch die Linien ab, bc, ca, d. h. durch die ganze Umschließung der Figur fortschreitet, so muß es sich durch den Punkt b in der Richtung ab, und ebenso durch diesen Punkt b in der Richtung bc bewegen. Da aber diese Bewegungen verschieden sind, so können sie nicht zugleich stattfinden. Deshalb ist der Zeitpunkt der Gegenwart des sich Bewegenden, wo es in der Spitze b ist, soweit er sich in der Richtung ab bewegt, verschieden vom Zeitpunkt seiner Gegenwart in derselben Spitze b, soweit er sich nach der Richtung bc bewegt. Aber zwischen zwei Zeitpunkten befindet sich eine Zeit, folglich ist das sich Bewegende in demselben Raumpunkt eine Zeit lang gegenwärtig, d. h. es ruht und geht deshalb nicht stetig vor, was gegen die Annahme streitet. Dieser Beweis gilt für jede Bewegung durch mehrere gerade Linien, welche einen angebbaren Winkel einschließen. Deshalb verändert ein Körper bei stetiger Bewegung seine Richtung nur bei einer Linie, deren kein Teil ein gerader ist, d. h. bei einer krummen nach der Ansicht von LEIBNIZ. 5. Die Zeit ist nichts Gegenständliches und Wirkliches, weder eine Substanz, noch ein Akzidenz, noch ein Verhältnis, sondern die durch die menschliche Natur notwendige persönliche Bedingung, wonach gewisses Sinnliches nach einem festen Gesetz geordnet wird. Sie ist die reine Anschauung. Denn man stellt die Substanzen und deren Akzidenzen sowohl nach ihrer Gleichzeitigkeit wie ihrer Folge nur mittels der Vorstellung der Zeit zusammen, und daher ist deren Vorstellung als das Prinzip der Form älter als jene Begriffe. Was aber die Verhältnisse der Beziehungen jeder Art anlangt, soweit sie bei den Sinnen vorkommen, ob sie nämlich zugleich oder nacheinander sind, so enthalten sie nur die Stellungen in der Zeit, je nachdem sie durch denselben Zeitpunkt oder durch verschiedene zu bestimmen sind. Wer die gegenständliche Realität der Zeit behauptet, faßt sie entweder als einen stetigen Fluß im Dasein, aber doch ohne ein daseindes Ding (ein toller Gedanke); hauptsächlich sind dies die englischen Philosophen; oder wie ein von der Folge innerer Zustände abgezogenes Wirkliches, wie LEIBNIZ und seine Anhänger. Das Falsche der letzteren Annahme verrät sich schon deutlich durch den fehlerhaften Zirkel in der der Definition der Zeit und außerdem vernachlässigt sie die Gleichzeitigkeit (4), eine höchst wichtige Besonderung der Zeit, gänzlich. Deshalb stört sie allen Gebrauch der gesunden Vernunft, weil sie verlangt, daß die Gesetze der Bewegung nicht nach dem Maß der Zeit, sondern die Zeit selbst, nach ihrer Natur, durch die in der Bewegung beobachtete Reihe oder durch sonst eine Reihe innerer Veränderungen bestimmt wird, womit alle Gewißheit der Regeln völlig aufgehoben wird. Wenn man aber die Größe einer Zeit für den einzelnen Fall nur abschätzen kann, entweder nach der Bewegung oder nach der Folge der Gedanken, so kommt dies davon, daß der Begriff der Zeit sich nur auf ein inneres Gesetz der Seele stützt und nicht einmal der Versuch einer Anschauung ist; deshalb wird nur mit Hilfe der Sinne dieser Akt der Seele, welcher seine Empfindungen ordnet, hervorgerufen. Jeder Versuch, den Begriff der Zeit mit Hilfe der Vernunft wo anders herzuleiten oder zu erklären, ist so vergeblich, daß sogar der Satz des Widerspruchs sie vorausschickt und sich als Bedingung unterlegt. Denn A und Nicht-A widersprechen sich nur, wenn sie zugleich (d. h. in derselben Zeit) an Demselben vorgestellt werden; nacheinander (zu verschiedenen Zeiten) können sie ihm zukommen. Deshalb ist die Möglichkeit der Veränderungen nur in der Zeit vorstellbar, und die Zeit wird nicht durch die Veränderungen vorstellbar, sondern umgekehrt. 6. Obgleich die Zeit, ansich und ohne Beziehung gesetzt, ein Gedankending ist, so ist sie doch, insofern sie zum unveränderlichen Gesetz des Sinnlichen als solchem gehört, ein höchst wahrer Begriff, der sich über alle möglichen Gegenstände der Sinne ohne Ende erstreckt, und die Bedingung der anschaulichen Vorstellungen. Denn da das Gleichzeitige als solches den Sinnen nicht anders geboten werden kann, als mit Hilfe der Zeit, und da die Veränderungen nur durch die Zeit denkbar sind, so erhellt sich, daß dieser Begriff die allgemeine Form der Erscheinungen enthält, und daß deshalb alle an der Welt wahrnehmbaren Ereignisse, alle Bewegungen und aller innerer Wechsel notwendig mit den von der Zeit geltenden ersten Grundsätzen, die ich zum Teil schon dargelegt habe, übereinstimmen müssen; denn nur unter diesen Bedingungen können sie Gegenstände der Sinne und zusammengeordnet werden. Es ist deshalb verkehrt, wenn man gegen die ersten Grundsätze der reinen Zeit, z. B. gegen die Stetigkeit, den Verstand bewaffnet, da sie aus Gesetzen hervorgehen, über die hinaus es nichts Früheres und Älteres gibt, und da die Vernunft selbst beim Gebrauch ihres Satzes des Widerspruchs der Hilfe dieses Begriffs nicht entbehren kann; so sehr ist er ursprünglich und eigenartig. 7. Die Zeit ist also das unbedingt erste formale Prinzip der sinnlichen Welt. Denn alles Wahrnehmbare kann nur vorgestellt werden als zugleich oder nacheinander gesetzt, also im Zuge einer einzigen Zeit gleichsam eingewickelt und in der bestimmten Stellung sich aufeinander beziehend, so daß durch diesen ersten Begriff alles Sinnlichen notwendig das formale Ganze entsteht, was kein Teil eines Anderen ist, d. h. die erscheinende Welt. ![]()
1) Die Worte "Auflösung" und "Verbindung" werden meist in einem doppelten Sinn gebraucht. Die Verbindung ist nämlich entweder eine der Art nach, ein Fortgang in der Reihe der Untergeordneten, vom Grund zum Begründeten, oder eine der Größe nach, ein Fortgang in der Reihe der Nebengeordneten von einem gegebenen Teil mittels der übrigen erfüllenden zum Ganzen. - - - Ebenso ist die Auflösung im ersteren Sinn ein Rückgang vom Begründeten zum Grund, um im letzteren Sinn ein Rückgang vom Ganzen zu seinen möglichen oder vermittelten Teilen, d. h. zu den Teilen der Teile; sie ist deshalb keine Teilung, sondern eine Weiterteilung des gegebenen Zusammengesetzten. Hier nehme ich sowohl die Verbindung wie die Auflösung im letzteren Sinn. 2) Die, welche das wirkliche mathematische Unendliche verwerfen, machen sich die Aufgabe nicht sehr schwer. Sie machen sich eine solche Definition des Unendlichen zurecht, daß sie daraus einen Widerspruch herausschlagen können. Das Unendliche ist einen eine Größe, über die ein Größeres unmöglich ist; und das mathematische Unendliche eine Menge (eine zu gebende Einheit), über die eine größere unmöglich ist. Indem sie hier statt des Unendlichen das Größte setzen, und eine größte Menge unmöglich ist, so erlangen sie leicht einen Schluß gegen das von ihnen gemachte Unendliche. Oder sie nennen die unendliche Menge eine unendliche Zahl und zeigen, daß das widersinnig ist, was allerdings klar ist, aber wobei man nur gegen Schatten des Denkens kämpft. Wenn sie dagegen das mathematische Unendliche als eine Größe faßten, welche, auf die Einheit des Maßes bezogen, eine Menge größer als jede Zahl ist; wenn sie ferner beachteten, daß hier die Meßbarkeit nur das Verhältnis zum Messen des menschlichen Geistes bezeichnet, durch das man nur allmähliche, mittels Hinzufügen des Einen zum Anderen zum bestimmten Begriff der Menge und durch die Beendigung dieses Tuns innerhalb einer endlichen Zeit zur vollendeten Menge, welche Zahl heißt, gelangen kann, so würden sie erkannt haben, daß "das, was mit einem Gesetz einer bestimmten Persönlichkeit nicht stimmt, deshalb nicht alles denkende Erfassen übersteigt; denn es kann auch einen Verstand geben, der ohne wiederholte Anlegung des Maßes die Menge mit einem Blick genau erfaßt, obgleich dies kein menschlicher sein würde." 3) ABRAHAM GOTTHELF KÄSTNER, Höhere Mechanik, Seite 254 4) Was sich einander nicht folgt, ist deshalb noch nicht gleichzeitig. Denn mit der Entfernung der Folge wird zwar die in der Reihe der Zeit enthaltene Verbindung aufgehoben, aber daraus entsteht nicht sofort eine andere wirkliche Beziehung, wie es die Verbindung von Allem in demselben Zeitpunkt ist. Denn das Gleichzeitige wird durch denselben Zeitpunkt ebenso verbunden, wie das sich Folgende durch verschiedene. Obgleich daher die Zeit nur eine Richtung hat, so gibt es doch die Überallheit der Zeit (ubiquitas) (um mit NEWTON zu reden) vermöge deren alles Sinnliche einmal ist, der Menge des Wirklichen, noch eine andere Ausdehnung, insofern sie alle von demselben Zeitpunkt abhängen. Denn wenn man die Zeit als eine ohne Ende fortgezogene Linie darstellt und das Gleichzeitige durch Querlinien, welche durch jeden Zeitpunkt hindurchgehen, so wird die daraus hervorgehende Oberfläche die erscheinende Welt darstellen, sowohl nach der Substanz, wie nach den Akzidenzien. |