cr-2tb-3cr-1von AsterK. GroosP. SternG. PatzigL. CohnL. Veryckendow     
 
FRANZ von KUTSCHERA
Die falsche Objektivität
[3/4]

"Empfindungen und sinnliche Eindrücke sind passiv. Ich kann sie nicht selbst hervorrufen oder zum Verschwinden bringen - zumindest nicht direkt, durch mentale Aktionen, sondern nur mittelbar, durch äußere Handlungen. Unser Denken verstehen wir demgegenüber als Aktivität. Wir tun etwas, wenn wir uns etwas überlegen. Wir wollen nun mentale Vorgänge nicht in aktive und passive einteilen. Das wäre problematisch, denn selbst bei Eindrücken tun wir etwas, indem wir ihren Inhalt begrifflich auffassen, und bei Überlegungen spielen Einfälle eine wichtige Rolle; die stehen aber nicht in unserer Kontrolle, sind nichts, was wir absichtlich produzieren können."

"Eine Annahme im Sinn einer Überzeugung - im Gegensatz zu einer Arbeitshypothese oder einer Vermutung - verbindet sich mit dem Urteil  So ist es.  Schon die Stoiker haben die Differenz zwischen Eindruck und Urteil betont. Auch für sie sind Eindrücke passiv. Um von einem Eindruck, als sei es so, zum Urteil  So ist es  zu gelangen, ist nach ihnen ein Akt der Zustimmung erforderlich, mit dem wir den Anschein als korrekt akzeptieren, und dabei sind wir frei."


3 Der Geist als Maschine

3.1 Abstrakter Funktionalismus

Die Physiker glauben heute, daß sie bald über eine umfassende Theorie verfügen werden, mit der sich alle physikalischen Phänomene beschreiben und erklären lassen. Für den Materialisten, für den alles Reale in letzter Analyse physikalischer Natur ist, wäre das zugleich eine Theorie, mit der sich prinzipiell auch alle anderen Phänomene, insbesondere unser eigenes mentales Leben, unser Erfahren und Denken beschreiben und erklären ließe. Wir haben nun zwar im ersten Kapitel zu zeigen versucht, daß der Materialismus nicht haltbar ist, so daß auch eine vollständie physikalische Theorie das nicht leisten könnte, es bleibt aber die Frage, ob es grundsätzlich möglich ist, überhaupt eine umfassende Theorie unserer kognitiven Prozesse zu entwickeln. Mit ihr wollen wir uns in diesem Kapitel befassen.

Die Behauptung, es gebe eine vollständige Theorie menschlichen Verhaltens, Denkens und Erlebens, ist uns schon im Abschnitt 1.1 im Zusammenhang mit dem psychologischen Funktionalismus begegnet. Dort hatten wir die Annahme von DAVID LEWIS kritisiert, eine solche Theorie lege den Sinn der psychologischen Terme eindeutig fest. Geben wir sie auf, so lassen sich zwar diese Terme nicht mehr durch physikalische definieren, aber darauf kommt es nicht an, wenn es nicht mehr um den Materialismus geht. Es kann dann unterschiedliche Interpretationen dieser Terme geben, bei denen die Theorie wahr wird, verschiedene Modelle der Theorie. Die Theorie selbst charakterisiert also die Zustände, für welche die psychologischen Terme stehen, nicht mehr als spezifisch psychologische, sondern nur mehr in abstrakter Weise als irgendwelche Zustände, die in einem bestimmten Zusammenhang untereinander sowie mit physikalischen Zuständen stehen. Sie ist daher nicht vollständig in dem Sinn, daß sie die Bedeutungen psychologischer Terme fixiert, insbesondere deren phänomenalen Sinn, sondern nur insofern, als sie die Rolle aller psychologischen Zustände im Zusammenhang des physikalischen Geschehens eindeutig festlegt. Damit kann es auch Modelle der Theorie geben, in denen die psychologischen Terme für Gehirnzustände stehen. In diesem Fall würde die Vollständigkeit der Theorie besagen: Alles, was sich bezüglich der äußeren Reaktionen auf äußere Reize mit psychologischen Zuständen und Vorgängen erklären läßt, läßt sich auch durch neurologische Prozesse erklären.

Der  abstrakte Funktionalismus,  wie er vor allem von HILARY PUTNAM entwickelt wurde, führt diesen Gedanken noch einen Schritt weiter. Er zielt nicht auf eine physikalische, sondern eine mathematische Charakterisierung der Funktionen mentaler Zustände und Vorgänge ab. Unser "kognitiver Apparat" soll als Computer beschrieben werden. Die Arbeitsweise eines Computers wird durch ein Programm festgelegt und das läßt sich in einer rein mathematischen Sprache beschreiben. Der durch dieses Programm bestimmte Automat läßt sich durch verschiedene konkrete Apparaturen realisieren, in denen den Arbeitsvorgängen unterschiedliche z. B. mechanische oder elektronische Prozesse entsprechen. Das Ziel des abstrakten Funktionalismus ist also eine umfassende Beschreibung der kognitiven Prozesse mit dem Mitteln der Computertheorie. Auch die Forschungen zur künstlichen Intelligenz befassen sich mit der Darstellung kognitiver Leistungen durch Computermodelle. Von ihnen unterscheidet sich der abstrakte Funktionalismus durch die explizite Annahme, die kognitiven Prozesse ließen sich vollständig durch einen einzigen Automaten darstellen. Der Funktionalismus behauptet hingegen nicht, ein solcher Automat habe nur physikalische Realisierungen. Man sieht das menschliche Gehirn zwar meist als eine solche Realisierung an, daraus ergibt sich aber keine Identität der psychischen Zustände und Vorgänge mit neurologischen. Die psychischen Zustände werden vielmehr mit den abstrakten Maschinenzuständen identifiziert und die psychischen Vorgänge mit den Übergängen von solchen abstrakten Zuständen zu anderen. Der Slogan ist also: Geist verhält sich zu Gehirn wie ein abstrakter Automat zu einer Realisierung. Die Ansicht, menschliches Verhalten lasse sich durch eine Maschine darstellen, bezeichnet man auch als  Mechanismus.  Diese Bezeichnung soll nicht implizieren, daß an einen rein mechanisch realisierbaren Automaten gedacht wird.

Abstrakte  Automaten  werden oft als Turingmaschinen oder als probabilistische Automaten definiert. Wir wollen uns hier mit der folgenden einfachen Charakterisierung begnügen: Ein Automat  M  wird bestimmt durch eine Menge von Zuständen, eine Menge von Eingaben, eine Menge von Ausgaben und von einer Maschinenfunktion, die jedem Zustand  z  und jeder Eingabe  e  ein Paar zuordnet, das aus der Ausgabe der Maschine im Zustand  z  bei der Eingabe  e  besteht, und aus dem Zustand, in den die Maschine danach übergeht. Ein Beispiel ist eine Cola-Maschine mit den Zuständen  z1  und  z2 den Eingaben DM 1.- und DM 0.50 und den Ausgaben DM .-50 und 1 Flasche Cola. Befindet sich die Maschine im Grundzustand  z1 so liefert sie beim Einwurf von 50 Pfennigen nichts, sondern geht in  z2 - dahin kommt sie nur, wenn bereits 50 Pfennige eingeworfen wurden -, so liefert sie beim Einwurf von (weiteren) 50 Pfennigen eine Flasche Cola und geht in den Grundzustand  z1  über; wirft man hingegen eine Mark ein, so liefert sie eine Flasche Cola, gibt 50 Pfennige heraus und geht anschließend wieder in  z1  über. In diesem Beispiel sind die Ein- und Ausgaben konkrete Dinge, bei der abstrakten Charakterisierung von Automaten wären aber auch sie, wie die Zustände, abstrakt zu bestimmen, d. h. einfach als unterscheidbare Objekte.

Die These von PUTNAM ist nun: Jeder Organismus, dem wir psychische Zustände zuschreiben, läßt sich als Automat beschreiben, wobei ein Teil von dessen Zuständen psychische Zustände repräsentieren, die Eingaben Sinnesreize und die Ausgaben Verhaltensformen darstellen. Er nimmt dabei weder an, alle Organismen, die bestimmter psychischer Zustände fähig sind, die z. B. Schmerzen haben können, seien Realisierungen desselben Automaten, noch setzt er voraus, alle Exemplare derselben Spezies, also z. B. alle Menschen seien Realisierungen desselben Automaten. Er läßt zu, daß unterschiedlichen genetischen Anlagen Unterschiede der Automaten entsprechen. PUTNAMs Aussagen leiden darunter, daß er nicht immer streng zwischen abstrakten Automaten und ihren Realisierungen unterscheidet. Organismen sind sicher keine abstrakten Automaten, psychologische Zustände keine abstrakten Maschinenzustände, und Sinnesreize keine abstrakt charakterisierten Eingaben.

Gegen den abstrakten Funktionalismus haben NED BLOCK und JERRY FODOR in "What psychological states are not"(Philosophical Review 81, Seite 159-182, 1972) u. a. folgende Einwände erhoben:
    1. Eine Person kann sich gleichzeitig in verschiedenen mentalen Zuständen befinden, ein Automat befindet sich aber zu jedem Zeitpunkt nur in einem einzigen Zustand. Seine Zustände müßten also entweder Konjunktionen von mentalen Zuständen entsprechen (den psychologische Zuständen entsprächen dann Disjunktionen von Maschinenzuständen), oder man müßte den Begriff des Automaten so erweitern, so daß er aus mehreren Untersystemen besteht, die sich jeweils in verschiedenen Zuständen befinden können.

    2. Es gibt nur endlich viele Maschinenzustände, aber potentiell unendlich viele mentale Zustände, wie z. B. "glauben daß  A",  wo  A  irgendein Behauptungssatz ist. Man müßte also fordern, daß Menschen nur endlich vieler inhaltlich verschiedener Überzeugungen fähig sind, aber die müßte man angeben, und dann ließe sich auch leicht eine Überzeugung angeben, die jenseits dieser Grenze liegt.

    3. Strukturelle Relationen zwischen mentalen Zuständen wie  Glauben, daß A und B  und  Glauben, daß A  lassen sich im Automaten-Modell nicht wiedergeben, da für Maschinenzustände keine Relation  "z  ist Konstituent von  z'"  definiert ist. Solche Relationen gelten allgemein, lassen sich also nicht durch Listen von Zuständen erfassen, und sie spielen in psychologischen Theorien eine wichtige Rolle.

    4. Es ergeben sich zu feine Unterschiede zwischen mentalen Zuständen. Unterscheiden sich zwei Personen  X  und  Y  nur dadurch, daß  X,  wenn er gegen einen Stein stößt, "verdammt" sagt, während  Y  "verflucht" sagt, so wäre ihr Schmerz verschieden. Maschinenzustände werden ja nur durch eine Maschinenfunktion charakterisiert, sie sind also verschieden, wenn sie bei gleichen Eingaben Übergänge zu verschiedenen Zuständen oder verschiedenen Ausgabe ergeben.
BLOCK hat in "Troubles with functionalism" (in W. Savage, hg. "Perception and Cognition, Minnesota Studies in the Philosophy of Science, Bd. 9, Seite 261-325, 1978) auch eingewendet:
    5. Der Funktionalismus charakterisiert mentale Zustände nur in ihrer internen Rolle für die Vermittlung von Reizen und Reaktionen. Es gibt aber mentale Zustände wie  Den Mond sehen  oder  Beobachten wie die Katze die Maus fängt,  die nicht nur durch Reiz-Reaktions-Zusammenhänge mit äußeren Gegebenheiten zusammenhängen, und es ist völlig offen, ob sich solche Zustände oder Vorgänge als Konjunktionen von intern-psychologischen und externen deuten lassen.
Weitere Punkte der Kritik sind:
    6. Der abstrakte Funktionalismus identifiziert meist mentale Zustände mit Maschinenzuständen. Schmerzen haben ist aber, wie schon oben betont wurde, kein Maschinenzustand in einem abstrakt mathematischen Sinn, die Identitätsbehauptung ist also nicht haltbar. Man kann nur sagen, daß sich die funktionale Rolle mentaler Zustände bei der Vermittlung von Reizen und Reaktionen als Zustände von Automaten darstellen lassen. Geist verhält sich also nicht zu Gehirn wie ein abstrakter Automat zu seiner Realisierung, sondern allenfalls wie eine Realisierung zu einer anderen.

    7. Der Ansatz ist insofern viel zu einfach, als er nur mit endlich vielen Ein- und Ausgaben rechnet, also z. B. nicht in der Lage ist, die funktionale Abhängigkeit der Intensität einer Empfindung von der Reizstärke nach dem Weber-Fechnerschen Gesetz wiederzugeben oder die zeitlichen Veränderungen von Reizen und Empfindungen. Man müßte also eher an analoge als an digitale Rechner denken.

    8. Putnam  weist in "Reductionism and the nature of psychology" (Cognition 2, Seite 131-146, 1973) auch darauf hin, daß es erworbene mentale Zustände gibt, wie z. B. neue Annahmen, während eine Maschine keine neuen Zustände erwerben kann. Neue Informationen entsprechen vielmehr neuen Speicherinhalten. Man müßte daher psychologische Zustände als sehr lange Disjunktionen von Paaren von Maschinenzuständen und Speicherinhalten auffassen, und damit den ursprünglichen Ansatz verlassen.
Wir wollen uns nun nicht auf eine nähere Diskussion dieser und ähnlicher Bedenken einlassen. Sie ließen sich zum Teil durch eine Bezugnahme auf komplexere Automaten entkräften. Für uns ist der wesentliche Punkt, ob es eine vollständige Theorie mentaler Phänomene gibt. Wenn es gelänge, einen Automaten anzugeben, der alle kognitiven Leistungen beschreibt, wäre das nur ein Spezialfall, denn die Beschreibung des Automaten wäre ja eine solche Theorie. Selbst wenn es nicht gelingt, den Geist als Maschine anzugreifen, wäre damit unsere Frage also noch nicht entschieden.


3.2 Logische Einwände

Der bekannteste Einwand gegen die Möglichkeit einer umfassenden Theorie mentaler Leistungen stützt sich auf den Beweis, den KURT GÖDEL für die Unentscheidbarkeit der Arithmetik angegeben hat. Man spricht daher vom  Gödel-Argument - wir werden allerdings sehen, daß es mehrere Versionen davon gibt. GÖDEL hat bewiesen, daß sich zu jeder formalen Theorie  T, (1) die die Arithmetik enthält, ein Satz  G  angeben läßt, der in  T  unentscheidbar, d. h. weder beweisbar noch widerlegbar ist, falls  T  konsistent ist.  G  ist ein rein arithmetischer Satz, der aber so konstruiert ist, daß er genau dann wahr ist, wenn er in  T  unbeweisbar ist. Sind in  T  nur wahre Sätze beweisbar, so gilt also: Wäre  G  beweisbar, so wäre  G  falsch, also unbeweisbar; also ist  G  unbeweisbar und damit wahr.

Das anti-mechanistische Argument lautet nun so: Zu jeder Maschine M, die genau die Sätze beweisen kann, die ein Mensch beweisen kann, läßt sich eine Theorie  T  angeben, in der genau diese Sätze beweisbar sind. Zu  T  kann man einen Satz  G  angeben, der in  T  nicht beweisbar ist, dessen Wahrheit man aber beweisen kann. Damit ist gezeigt:  T,  und damit  M,  erfaßt die menschlichen Beweisfähigkeiten nicht vollständig. Dieses Argument soll keine Widerlegung des Mechanismus sein, der These "Es gibt eine Maschine, die genau dasselbe beweisen kann wie wir", sondern ein Argument gegen die Beweisbarkeit einer solchen These. Denn zu ihrem Beweis müßte man eine Maschine  M  angeben, die unter anderem dieselben arithmetischen Sätze liefert, die ich beweisen kann. Zu jeder angegebenen Maschine  M  kann ich aber einen Satz konstruieren, den ich beweisen kann, nicht aber  M - das zumindest ist die Behauptung bei LUCAS in "Minds, machines and Gödel"(Philosophy 36, Seite 112-127,1961).

Dagegen hat man eingewendet: Was ich beweisen kann, ist nur der Satz (*): "Wenn  T  widerspruchsfrei ist, so ist  G  wahr". Daraus erhalte ich nur dann einen Beweis von  G,  wenn ich auch die Konsistenz von  T  beweisen kann. Daß mir das aber gelingt, ist nicht gesagt und für sehr komplexe Theorien  T  auch nicht wahrscheinlich. Der Satz (*) ist aber auch in  T  beweisbar, wie GÖDEL gezeigt hat. Daraus ergibt sich sein zweites Theorem: Ist  T  konsisten, so läßt sich die Konsistenz von  T  nicht in  T  beweisen. (Die Konsistenz von  T  läßt sich ebenfalls durch eine arithmetische Aussage wiedergeben.)

Auf diesen Einwand hat LUCAS erwidert: Damit  T  überhaupt ein Kandidat für eine adäquate Theorie menschlicher Beweisfähigkeiten ist, muß der mechanistische Proponent die Konsistenz von  T  voraussetzen. Diese Annahme darf der Opponent übernehmen. Aus ihr folgt aber die Wahrheit von  G.  Demgegenüber hat man wiederum betont, daß diese Voraussetzung noch keinen Beweis von  G  ergibt. Daß der Proponent uns aber zunächst die Widerspruchsfreiheit der von ihm vorgeschlagenen Theorie nachweist, ist zuviel verlangt - wir akzeptieren ja auch sonst nicht nur Theorien, deren Widerspruchsfreiheit bewiesen ist. (2)

Man kann das Argument aber durch folgende Modifikation retten: Es kommt nicht darauf an, daß in  T  genau jene Sätze beweisbar sind, die ich  beweisen  kann, sondern jene Sätze, die ich  als wahr erkennen kann.  Aus dieser Annahme folgt, daß  T  konsistent ist. Wegen der Beweisbarkeit der Implikation "Ist  T  konsistent, so ist  G  wahr" ist also der Satz  G  wahr, in  T  ist aber nicht beweisbar. Kann ich also die Annahme als wahr erkennen, so auch den Satz  G;  es gibt dann einen Satz, den ich als wahr erkennen kann, der aber in  T  nicht beweisbar ist. Kann ich also die Annahme als richtig erkennen, so ist sie falsch; also kann ich sie nicht als richtig erkennen.

Dieser Gedanke ist von PAUL BENACERRAF in "God, the devil and Gödel (The Monist 51, Seite 9-32, 1967) ausführlicher entwickelt worden. Wir geben ihm hier eine etwas andere Wendung. Das GÖDELsche Argument lautet: Es gibt keine formale Theore  T,  in der genau die wahren Sätze der Arithmetik (einer passenden Sprache  S)  beweisbar sind - ihre Menge sei  A.  Denn gäbe es eine solche Theorie  T,  so daß also für alle Sätze  B  gelten würde:  B  ist in  T  beweisbar genau dann, wenn  B  in  A  ist, so gäbe es zu  T  einen Satz  G,  der in  A  ist, aber nicht in  T  beweisbar ist; denn  T  ist nach Voraussetzung konsistent.  T  ist also keine solche Theorie. Diesen Gedanken kann man so umformen:  B  sei die Menge der arithmetischen Sätze, die ich als wahr erkennen kann. Könnte ich erkennen, daß in der formalen Theorie  T  genau die Sätze aus  B  beweisbar sind, so könnte ich zu  T  einen Satz  G  angeben, der in  B  ist, aber nicht in  T  beweisbar ist. Die Behauptung,  G  sei in  B,  ergibt sich so: Kenne ich  T,  so kann ich den Satz  G  effektiv angeben und beweisen, daß bei Konsistenz von  T  G nicht in  T  beweisbar ist. Kann ich erkennen, daß in  T  genau die Sätze aus  B  beweisbar sind, so kann ich die Konsistenz von  T  erkennen, da  B  nur wahre Sätze enthält. Also kann ich  G  als wahr erkennen. Es gilt also: Wenn ich erkennen kann, daß in  T  genau die Sätze aus  B  beweisbar sind, so ist das falsch; ich kann also nicht erkennen, daß in einer Theorie genau das beweisbar ist, was ich als wahr erkennen kann.

Wir erhalten freilich auf dem angegebenen Weg keinen Widerspruch aus der Annahme, eine andere Person könne erkennen, daß in einer Theorie  T  genau jene Sätze beweisbar sind, die ich als wahr erkennen kann. Aus der Tatsache, daß der andere erkennen kann, daß der GÖDEL-Satz  G  zu  T  wahr ist, folgt ja nicht, auch ich könne das erkennen. Es ergibt sich dann allerdings die unplausible Konsequenz, daß der andere mir seine Einsicht nicht vermitteln kann, obwohl er nicht über stärkere metamathematische und arithmetische Kompetenzen verfügen muß als ich. Könnte er mir die Theorie  T  mitteilen und die Tatsache, daß in ihr genau die Sätze gelten, die ich als wahr erkennen kann, so würde auch ich den Satz  G  als wahr erkennen, und damit ergäbe sich ein Widerspruch. Wenn es um eine Theorie dessen geht, was wir Menschen erkennen können, kann man ohnehin nicht behaupten, das Argument zeige nur eine unwesentliche Beschränkung in der theoretischen Beschreibbarkeit unserer kognitiven Leistungen auf: Niemand könne zwar seine eigenen Kapazitäten vollständig beschreiben, aber jeder andere könne das für ihn tun.

Die Kritik von CHARLES CHIHARA in On a alleged refutations of mechanism using Gödels incompleteness results" (The Journal of Philosophy 69, Seite 507-526, 1972) am Argument von BENACERRAF läuft darauf hinaus, daß "als wahr erkennbar" zeitabhängig sei. Was ich aufgrund der Information, daß in der Theorie  T  genau die Sätze aus  B  beweisbar sind, als wahr erkennen kann, ist nicht dasselbe, was ich ohne diese Information erkennen kann. Erst wenn mir  T  mitgeteilt wird, kann ich den GÖDEL-Satz  G  zu  T  angeben und beweisen, daß bei Konsistenz von  T  erkennen, daß  G  wahr ist. Der Einwand ist also: Wenn ich erkenne, daß in  T  genau die Sätze aus  B  beweisbar sind, so ist die Menge der Sätze, die ich nunmehr als wahr erkennen kann, nicht  B,  sondern eine größere Menge  B',  und  G  ist dann nicht in  B,  sondern in  B'  enthalten. Damit entfällt aber der Widerspruch. Ein analoger Einwand gegen GÖDELs Argument ist nicht möglich, weil Wahrheit nicht zeit- oder informationsabhängig ist.

Dieser Kritik kann man erstens entgegenhalten, daß ich danach zwar erkennen kann, daß eine formale Theorie  T  meine früheren Erkenntnismöglichkeiten vollständig wiedergibt, aber diese Einsicht bringt mich in einen Zustand, in dem nun  T  meine gegenwärtigen Erkenntnismöglichkeiten nur unvollständig wiedergibt. Das Ergebnis bleibt so das gleiche: Ich kann nicht erkennen, daß eine Theorie meine gegenwärtigen Erkenntnismöglichkeiten vollständig erfaßt. Zweitens handelt es sich bei dem Argument nach BENACERRAF um einen indirekten Beweis. Der Anti-Mechanist nimmt die Behauptung des Mechanisten, die Theorie  T  beschreibe genau das, was er erkennen kann, nicht für bare Münze, sondern widerlegt sie. Die Behauptung vermittelt ihm so keine neuen Einsichten.

Das Fazit unserer Überlegungen ist also: Aus GÖDELs Satz folgt nicht, daß es keine vollständige Theorie menschlicher Beweis- oder Erkenntnisfähigkeiten gibt. Was sich zeigen läßt ist nur: Wir können von keiner Theorie erkennen, daß sie unsere Erkenntnisfähigkeiten vollständig beschreibt.

Einfacher als das GÖDEL-Argument ist das folgende, das ich als  Tarski-Argument  bezeichnen will: Was eine Theorie  T  beinhaltet, ergibt sich nicht allein aus ihren Axiomen als Sätzen einer bestimmten syntaktischen Form, sondern aus der Interpretation der Sprache - nennen wir sie  S -, in der die Theorie formuliert ist. Man kann nur dann sagen, jemand verfüge über die Theorie  T,  wenn er auch die Interpretation von  S  kennt. Wäre nun  T  eine vollständige Theorie menschlichen Denkens, Verhaltens und Sprechens, über die wir verfügen, so müßte sie auch beschreiben, wie sie selbst von uns verstanden wird. Sie müßte also insbesondere ihre eigene Interpretation beschreiben. Das heißt nicht, jemand, der  T  nicht versteht, müßte aus  T  erfahren können, wie er  T  zu verstehen hat - das wäre offenbar unsinnig. Aber jemand, der über  T  verfügt, müßte in  T  all jene Sätze beweisen können, die sein Verfügen über  T,  insbesondere sein Verständnis von  S  beschreiben. Dazu müßte aber die Theorie  T  ihre eigene Semantik enthalten, also auch ein Wahrheitsprädikat, mit dem die Wahrheitsbedingungen formuliert werden, die der Interpretation von  S  zugrunde liegen.

Nun hat aber ALFRED TARSKI gezeigt, daß es nicht möglich ist, in der Sprache  S  ein Wahrheitsprädikat  W  einzuführen, das der Wahrheitskonvention entspricht, nach der der Satz  A  wahr ist genau dann, wenn  A.  Der Satz "Schnee ist weiß" ist also genau dann wahr, wenn Schnee weiß ist. Die Sprache  S  müßte Namen  a, b, ...  für die wohlgeformten Ausdrücke  A, B, ...  von  S  enthalten, sowie einen Funktionsterm  e,  so daß  e (a, b)  ein Name für das Resultat der Einsetzung von  a  für die (feste) Variable  x  in  B  ist. Nicht-W (e (x, x)) ist also ein Ausdruck von  S. r  sei ein Name in  S  für diesen Ausdruck. Dann ist  e (r, r)  ein Name für nicht-W (e (r, r)). Nach der Wahrheitskonvention müßte also gelten  W (e (r, r))  genau denn, wenn nicht  W (e (r, r))  und das ist ein Widerspruch.

Dieses, GÖDELs und ähnliche Resultate besagen: Die Metatheorie einer Theorie  T - also jene Theorie, in der wir die Theorie  T  und ihre Interpretation bestimmen, in der wir über die Wahrheit ihrer  Sätze  und Beweisbarkeit in  T  reden - ist immer reicher als  T  selbst; es gibt also keine konsistente Theorie  T,  die ihre eigene Metatheorie enthält. Es kann daher zwar eine vollständige Theorie menschlichen Denkens, Sprechens und Argumentierens geben, aber das wäre dann keine Theorie, über die wir verfügen könnten. Über sie könnten nur Wesen verfügen, die eine reichere Sprache und eine reichere Logik haben als wir. Enthält  T  eine vollständige Charakterisierung all unserer intellektuellen Fähigkeiten, so bleibt die reichere Metatheorie zu  T  außerhalb unseres Horizonts. Wir können also für keine Theorie erkennen, daß sie unsere intellektuellen Prozesse und Fähigkeiten vollständig und korrekt beschreibt. Ebenso könnte es sein, daß der Mensch sich als Maschine darstellen läßt, die leistungsfähiger ist als z. B. eine Turingmaschine - es wäre allerdings zu fragen, wie der Begriff einer Maschine dann zu bestimmen wäre - aber wir könnten nicht erkennen, daß sie unser seelisches und äußeres Verhalten vollständig beschreibt. Es gibt also handfeste metamathematische Gründe gegen die Möglichkeit, den Mechanismus und darüber hinaus die Annahme einer vollständigen Theorie menschlichen Denkens und Verhaltens als richtig zu erkennen. Diese Gründe sprechen aber insofern auch gegen die Annahme selbst, als eine Theorie für uns etwas ist, über das wir verfügen können.


3.3 Können Computer denken?

Ließe sich menschliches Verhalten durch einen Computer simulieren, so läge es nach einem Argument von ALAN TURING nahe, auch Computern mentale Zustände, Bewußtsein, Denken und Erkenntnis zuzuschreiben. TURING hat in "Computing machinery and intelligence (Mind 59, Seite 433-460, 1950) ein "Imitationsspiel" beschrieben. Darin geht es nur um sprachliches Verhalten, da das Aussehen von Maschinen oder die Art der Fortbewegung von Robotern für die Zuschreibung mentaler Zustände letztlich irrelevant ist. Das Imitationsspiel sieht so aus: Ein Beobachter  X  sitzt in einem Raum, während sich in einem zweiten ein Computer  C  und ein Mensch  Y  befinden.  X  kann mit  C  und  Y  nur schriftlich über zwei getrennte Leitungen kommunizieren; er weiß aber nicht, mit wem er über die Leitung  1  und mit wem er über die Leitung  2  verbunden ist. Er soll das vielmehr aus den Antworten auf Fragen erschließen, die er seinen Korrespondenten über die Leitungen stellt.  X  weiß, daß  C  ihn zu täuschen sucht, während  Y  aufrichtig antwortet. Das nützt  X  aber wenig, denn die aufrichtige Auskunft von  Y  "Ich bin ein Mensch" ist ja für ihn möglicherweise eine Lüge von  C.  Kann  X  nun aufgrund der Antworten, die er erhält, nicht feststellen, über welche Leitung ihm der Computer antwortet, reicht also das sprachliche Verhalten von  Y  und  C  nicht für eine Unterscheidung von Mensch und Maschine aus, so hat er keinen Grund, dem einen Korrespondenten Intelligenz und Bewußtsein zuzusprechen, dem anderen hingegen nicht. Die Idee ist also: Das äußere, insbesondere das sprachliche Verhalten ist die einzige Grundlage für die Zuschreibung von Psychischem. Gibt es Computer, die das menschliche Sprachverhalten perfekt simulieren, so besteht daher kein Grund, ihnen nicht auch all jene mentalen Zustände und Fähigkeiten zuzusprechen, die wir Menschen zuschreiben.

Dagegen hat PAUL ZIFF in "The simplicity of other minds" (The Journal of Philosophy 62, Seite 575-584, 1965) eingewendet, wir schrieben einem Menschen mentale Zustände nicht aufgrund seines Verhaltens allein zu, sondern aufgrund unserer gesamten Informationen über ihn. Das zeige der Fall eines Schauspielers: Wissen wir, daß er eine Rolle nur spielt, so sind seine Äußerungen und Handlungen für uns kein Grund zu sagen, er habe die ihnen entsprechenden Gefühle, Überzeugungen und Absichten. Dieser Einwand ist jedoch nicht schlüssig. Es kommt natürlich auf das Gesamtverhalten an. Aus ihm erschließen wir, wann jemand nur eine Rolle spielt und wann er das nicht tut. Das Imitationsspiel soll aber, - wenn auch nur in Beschränkung auf sprachliches Verhalten - nicht nur Ausschnitte des Verhaltens des Computers erfassen. Man könnte sich im übrigen auch vorstellen, daß ein Roboter gebaut wird, der wie ein Mensch aussieht und sich so bewegt.

Gegen das Argument von TURING ließe sich ferner einwenden: Das Prinzip "Gleiches Verhalten rechtfertigt gleiche Zuschreibungen mentaler Zustände" ist nur dann plausibel, wenn der darin verwendete Verhaltensbegriff nicht auf rein äußeres Verhalten wie körperliche Bewegungen und das Produzieren von Lauten bzw. Symbolfolgen beschränkt wird. Menschliches Verhalten wird vielfach mit Verben beschrieben, die bestimmte Absichten des Agenten implizieren. Das gilt insbesondere für sprachliches Verhalten. "Mitteilen", "Fragen", "Antworten", "Auffordern", "Bitten" sind intentionale Verben. Abgesehen von unwillkürlichen Ausrufen ist alles sprachliche Verhalten intentional. Man kann daher nicht behaupten, im Imitationsspiel könne der Beobachter  X  das sprachliche Verhalten seiner Korrespondenten  Y  und  C  beobachten. Was er beobachten kann, sind nur Symbolfolgen, die als Reaktionen auf seine Fragen über die beiden Leitungen kommen.  X  ist also gar nicht in der Lage, das sprachliche Verhalten von  Y  und  C  im normalen Sinn des Wortes zu vergleichen. Darauf würde freilich ein Mechanist erwidern: Die Absichten, die wir anderen zusprechen, wenn wir ihr äußeres Verhalten mit intentionalen Verben beschreiben, sind ja nicht direkt beobachtbar, sondern werden von uns angenommen. Solche Annahmen lassen sich aber letztlich nur wieder durch eine Bezugnahme auf das beobachtbare, äußere Verhalten legitimieren. Wir verwenden zwar normalerweise den Beobachtungsbegriff in einem weiten Sinn, in dem man oft auch beobachten kann, daß jemad etwas mit einer bestimmten Absicht tut, und dagegen ist angesichts der Tatsache, daß alle empirischen Aussagen interpretative, hypothetische Elemente enthalten, auch nichts einzuwenden. Es wäre aber doch zu begründen, warum wir diese Annahmen bei Maschinen nicht machen. Wir sehen jedes Wesen, das so aussieht und sich so bewegt wie wir, und Laute produziert, die wir in gleichen Situationen produzieren würden, ohne weiteres als Menschen an, schreiben ihm also Denken, Empfinden, Bewußtsein und Erkenntnisfähigkeit zu. Warum also sollten wir das nicht bei Robotern tun, wenn sie all diese Bedingungen erfüllen?

JOHN SEARLE vertritt in "Minds, Brains and Science (1984) zwar einen Physikalismus - mentale Zustände und Vorgänge sind für ihn neurologische Zustände und Prozesse -, er wendet sich aber gegen das Argument von TURING mit dem Hinweis, Maschinen hätten keine intentionalen Zustände. Sie operierten nur mit syntaktischen Symbolen, verbänden damit jedoch keine Bedeutungen; sie verstünden also weder die Fragen, die wir an sie richten, noch die Antworten, die sie geben. Dazu hat er in Analogie zu TURINGs Imitationsspiel das Gedankenexperiment des "Chinesischen Raums" entworfen: In einem Raum sitzt der Beobachter  X,  ein Chinese, der über eine Leitung schriftlich mit einem Deutschen,  Y,  kommunizieren kann, der sich in einem anderen Raum befindet.  Y  versteht kein Wort Chinesisch, aber er hat ein in deutscher Sprache abgefaßtes Buch zur Hand, das ihm genaue Anweisungen gibt, auf welchen Folgen chinesischer Schriftzeichen er mit welchen Folgen solcher Schriftzeichen zu antworten hat. Enthät das Buch genügend Informationen, so wird  X  nicht feststellen können, ob  Y  tatsächlich Chinesisch versteht oder nicht. Die Pointe ist: Ersetzt man  Y  durch einen Computer, so kann man von ihm ebensowenig sagen wie von  Y,  er verstehe Chinesisch, da er im Prinzip ebenso verfährt wie  Y,  d. h. sich auf Manipulationen mit Symbolen nach festen Regeln beschränkt. Demgegenüber hat man eingewendet, zum Computer gehöre auch das Buch mit den Anweisungen, in denen sich ja ein umfassendes Verständnis des Chinesischen niederschlägt. Dieser Einwand ist jedoch nicht relevant, denn das Buch ist zwar von jemandem verfaßt, der Chinesisch kann, aber es selbst versteht diese Sprache nicht. Zurecht betont SEARLE, daß  Y  ja auch die Anweisungen des Buches auswendig lernen kann - auch dann versteht er noch nicht Chinesisch.

Das Argument von SEARLE läßt jedoch offen, warum wir Maschinen keine Intentionen zuschreiben können. Auch sie haben ja interne Zustände, und die könnten doch die gleiche funktionale Rolle für sprachliches Verhalten spielen wie Absichten. Im Sinn des Funktionalismus besteht dann kein Grund, sie nicht als Gedanken und Intentionen anzusehen. SEARLEs Argument war: Maschinen bearbeiten Symbolfolgen, mit denen nur wir selbst einen Sinn verbinden. Ohne unsere Deutung der Zeichen könnte man nur sagen, die Maschine produziere Zeichenfolgen, nicht aber, sie liefere Informationen, sie mache Aussagen. Dieser Gedanke überzeugt aber nicht, denn so etwas wie Bedeutungen könnten wie gesagt interne Zustände der Maschine sein, und es wäre auch denkbar, daß eine Maschine auf unsere Frage zu antworten vermag, ob sie mit einer Symbolfolge, die sie ausdrückt, dieses oder jenes meint. SEARLE würde in diesem Fall zwar wieder sagen: Sie antwortet nicht, sondern wir interpretieren auch die Zeichenfolgen, die sie auf unsere Frage hin ausdruckt. Welchen Grund haben wir aber, einer Maschine, die nach unserem Verständnis sinnvolle Antworten gibt, ein eigenes Verständnis unserer Fragen und Antworten abzusprechen? Müssen wir nicht auch die Laute oder Zeichenfolgen, die ein anderer Mensch von sich gibt, selbst interpretieren?

SEARLE bringt in (a. a. O.) jedoch noch ein zusätzliches Argument, das nun den Kern des Problems trifft: Wir schreiben Menschen Handlungen zu (3). Das Verhalten einer Maschine ist aber nicht frei. Es ist zumindest statistisch determiniert, und daher können wir nicht sagen, sie handle so und so. Nach SEARLE können wir von Absichten nur bei Handlungen reden. Absichten leiten Handlungen, sonst kann man nur von Wünschen oder Interessen reden. Wenn  Hans  zu  Fritz  sagt, dessen Zug fahre erst um 12 Uhr, während er tatsächlich schon um 11 Uhr abfährt, und wenn  Hans  will, daß  Fritz  den Zug verpaßt, so folgt daraus nicht, daß  Hans Fritz  belügt. Das kann man nur dann sagen, wenn er seine Aussage in der Absicht macht, daß  Fritz  seinen Zug verpassen soll, d. h. wenn sein Interesse sein Handeln bestimmt. Wir können danach Computern keine Intentionen zusprechen, und damit - nach den Hinweisen in Abschnitt 2.2 zur Theorie sprachlicher Handlungen von GRICE - auch nicht sagen, sie hätten die Fähigkeit zu sprachlicher Kommunikation. Selbst wenn wir aufgrund des äußeren Verhaltens eines Wesens nicht erkennen können, ob es ein Roboter oder ein Mensch ist, so setzt doch die Zuschreibung von Intentionen und Sprachfähigkeit voraus, daß wir es als freien Agenten ansehen.

Der Mechanist leugnet nun freilich gerade, daß Menschen frei handeln können, daß man ihnen also Intentionen im Sinn von SEARLE zuschreiben kann. Er wird sagen, man müsse die Rede von Freiheit, Absichten und Handlungen anders deuten, wenn ihr Anwendungsbereich nicht leer sein soll, in dieser Deutung könne man dann aber auch Maschinen Absichten und sprachliche Aktivitäten zusprechen. Daß man Maschinen etwas zuschreiben kann, was man dann "Intention" oder "Aktivität" nennt, ist aber ebenso unbestritten wie uninformativ. Die Frage ist, ob man ihnen das zuschreiben kann, was wir gewöhnlich so nennen. Zudem haben wir schon im letzten Kapitel gesehen, was für die Annahme von Freiheit spricht, und wir werden im folgenden Abschnitt darlegen, warum Freiheit insbesondere im mentalen Bereich anzunehmen ist. Wenn SEARLEs Argument allein, wie ihm selbst bewußt ist, auch noch keine Widerlegung des Mechanismus ergibt, weist es doch das Kriterium auf, auf das sich unsere Unterscheidung von Menschen und Maschinen und deren Verhalten stützt, sowie unsere Weigerung, Maschinen mentale Zustände zuzusprechen. Dieses Kriterium wird dann durch die Argumente für menschliche Freiheit legitimiert.

In diesem Abschnitt war vom Mechanismus die Rede. Die Überlegungen lassen sich aber verallgemeinern: Gäbe es eine Theorie menschlichen Verhaltens, die in dem Sinn vollständig ist, daß sich mit ihr alle Tatsachen des Verhaltens erklären lassen, so wäre unser Verhalten nicht frei, wir wären im normalen Sinn des Wortes keiner intentionalen Handlung, keiner sprachlichen Kommunikaton fähig. Freie Akte lassen sich nur rational erklären, aber dabei wird nicht das Stattfinden der Akte, sondern nur ihre Rationalität erklärt. Die Annahme von Freiheit ist also unverträglich mit der Existenz einer vollständigen Theorie menschlichen Verhaltens, egal ob es sich danach durch Computer simulieren läßt oder nicht.


3.4 Gründe und Ursachen
von Annahmen

Die Vorstellung einer kausalen Determiniertheit all unseres Denkens, Fürwahrhaltens und Urteilens erscheint uns als noch abwegiger als die einer Determiniertheit unseres äußeren Verhaltens. Wir wollen im folgenden begründen, warum diese Vorstellung tatsächlich unhaltbar ist.

Es gibt zweifellos mentale Zustände und Vorgänge, die Ursachen haben. Das gilt insbesondere für Empfindungen und Eindrücke. Die Ursache meiner Schmerzempfindung ist z. B., daß mir ein Stein auf den Fuß gefallen ist. Die Ursache dafür, daß ich den Eindruck habe, daß sich die Katze, die ich beobachte, bewegt, ist die Bewegung der Katze. Empfindungen und sinnliche Eindrücke sind passiv. Ich kann sie nicht selbst hervorrufen oder zum Verschwinden bringen - zumindest nicht direkt, durch mentale Aktionen, sondern nur mittelbar, durch äußere Handlungen. Unser Denken verstehen wir demgegenüber als Aktivität. Wir tun etwas, wenn wir uns etwas überlegen. Wir wollen nun mentale Vorgänge nicht in aktive und passive einteilen. Das wäre problematisch, denn selbst bei Eindrücken tun wir etwas, indem wir ihren Inhalt begrifflich auffassen, und bei Überlegungen spielen Einfälle eine wichtige Rolle; die stehen aber nicht in unserer Kontrolle, sind nichts, was wir absichtlich produzieren können. Wir wollen vielmehr deutlich machen, daß es auch im mentalen Bereich so etwas wie Handlungen gibt, d. h. ein Verhalten, bei dem wir eine Wahl haben, das wir also auch unterlassen könnten. Solche Verhaltensformen bezeichnen wir nicht als Handlungen, sondern als Akte. Ebenso wie Handlungen haben sie keine Ursachen, sondern nur Gründe. Darüber hinaus soll gezeigt werden, daß Aktivitäten in unserem mentalen Leben eine entscheidende Rolle spielen. Wir wollen uns das am Beispiel von Annahmen überlegen.

Überzeugungen werden oft als passiv angesehen. Es stehe nicht in unserem Belieben, sagt man, etwas zu glauben oder es nicht zu glauben. Wir könnten nicht glauben, was wir wollen, Überzeugungen drängten sich uns auf. Dabei übersieht man oft die Differenz zwischen Eindrücken und Überzeugungen. Betrachte ich ein Ruder, so habe ich den deutlichen Eindruck, daß es dort einen Knick hat, wo es ins Wasser taucht. Trotzdem glaube ich nicht, daß es sich so verhält; ein Knick ist ja nicht spürbar und der Eindruck verschwindet, wenn ich das Ruder aus dem Wasser ziehe. Einzelne Eindrücke bestimmen also nicht, was wir glauben. Wir richten uns bei unseren Annahmen auch nach anderen Eindrücken und nach bereits gewonnenen Überzeugungen. Unser Ziel ist es, zu einem kohärenten Bild von der Beschaffenheit unserer Umwelt zu kommen, und das ist nur möglich, wenn wir nicht alle Eindrücke als korrekt gelten lassen, sondern manche als unzuverlässig ansehen. Kohärenz ergibt sich nicht automatisch, sondern wir müssen sie herstellen, und das ist auf verschiedene Weise möglich. Daher sind Überzeugungen nicht passiv wie Eindrücke, sondern wir bilden sie uns, wir überlegen uns, was wir glauben wollen. Wir folgen natürlich vielfach in unseren Annahmen unseren Eindrücken, weil wir keinen Grund haben, deren Zuverlässigkeit zu bezweifeln; prinzipiell können wir aber in jedem Fall die Zuverlässigkeit in Frage stellen, und uns damit in unseren Annahmen von den Eindrücken distanzieren.

Eine Annahme im Sinn einer Überzeugung - im Gegensatz zu einer Arbeitshypothese oder einer Vermutung - verbindet sich mit dem Urteil "So ist es". Schon die Stoiker haben die Differenz zwischen Eindruck und Urteil betont. Auch für sie sind Eindrücke passiv. Um von einem Eindruck, als sei es so, zum Urteil "So ist es" zu gelangen, ist nach ihnen ein Akt der Zustimmung, der  Synkatathesis (adsensio)  [Zustimmung, Anerkennung, Fürwahrhalten - wp] erforderlich, mit dem wir den Anschein als korrekt akzeptieren, und dabei sind wir frei. Anders als Eindrücke sind Urteile Akte. Urteile haben keine Ursachen, sondern nur Gründe. Beruth ein Urteil auf einem Eindruck, so ist der keine Ursache des Urteilens, da er dafür keine hinreichende Bedingung ist, sondern nur ein Grund für das Urteil. Ein Grund für eine Annahme ist ein epistemischer Grund, eine andere Annahme. Diese Bestimmung umfaßt Eindrücke, die wir als richtig akzeptieren. Anders als bei Handlungen brauchen wir bei Urteilsakten Interessen insofern nicht als zusätzliche Beweggründe anzusehen, als wir generell an wahren Urteilen interessiert sind. Besonders deutlich wird die Aktivität der Bildung von Urteilen, wenn es sich um komplexe Sachverhalte handelt, für deren Annahme es Gründe und Gegengründe gibt, wie z. B. Indizienurteile oder Deutungen historischer Vorgänge. Nach DESCARTES sind nicht Eindrücke wahr oder falsch, sondern Urteile. Erkenntnis und Irrtum entstehen für ihn erst, wenn wir von Eindrücken zu Urteilen übergehen. Da wir im Urteilen frei sind, können wir darin auch über die gegebenen sinnlichen Evidenzen hinausgehen, und damit entsteht die Möglichkeit des Irrtums. Klare und distinkte Eindrücke sind für DESCARTES immer zuverlässig. Angesichts unseres Beispiels mit dem Ruder ist das freilich fragwürdig. Man kann zudem korrekte und unkorrekte Eindrücke unterscheiden, aber der entscheidende Punkt ist, daß auch DESCARTES annimmt, daß Urteile freie Akte sind, und nicht Wirkungen von Eindrücken. Was für Urteile gilt, mit denen wir Überzeugungen formulieren, gilt auch für diese: Auch sie kommen durch einen Akt der  Synkatathesis  zustande. Es ist also zwar richtig, daß sich uns Überzeugungen oft aufdrängen. Davon kann man z. B. sprechen, wenn wir einen deutlichen Eindruck von etwas haben, und keinen Grund, ihn als Täuschung anzusehen. Das heißt aber nur: Da ich gute Gründe habe, den Eindruck als zuverlässig anzusehen, sehe ich mich durch die Forderung der Rationalität gedrängt, ihn als richtig zu akzeptieren. Es ist auch richtig, daß wir nicht Beliebiges glauben können, z. B. daß  2 + 2 = 5  ist. Aber diese Unmöglichkeit ergibt sich aus der Forderung nach Konsistenz meiner Annahmen und der Inkonsistenz dieser Annahmen mit meinen übrigen arithmetischen Überzeugungen.

Diese Konzeption des Annehmens als Aktivität wird durch folgende Überlegungen gestützt:
    1. Annahmen, für deren Richtigkeit wir keine guten Gründe haben, sind Vorurteile. Um ein Vorurteil handelt es sich auch dann, wenn ich zwar gute Gründe hätte, die aber für meine Annahme nicht ausschlaggebend sind. Kennt ein Schüler z. B. die Gesetze der Addition, so hätte er gute Gründe für seine Überzeugung, daß  2 + 2 = 4  ist. Nimmt er das aber nur an, weil er es mal gehört hat, so bleibt es ein Vorurteil. Die Ansicht, all unsere Überzeugungen seien kausal determiniert, hätte zur Folge, daß Gründe für sie keine Rolle spielen - wir haben schon in 2.4 gesehen, daß Gründe keine Ursachen sind -, daß sie also sämtlich Vorurteile wären. Vorurteile haben aber für andere keine kognitive Relevanz. Relevant sind für mich nur solche Überzeugungen anderer, von denen ich annehme, daß sie gute Gründe haben, also z. B. Informationen, die auch für mich gute Gründe wären, wenn ich sie hätte. Gründe sprechen für die Richtigkeit einer Überzeugung, Ursachen tun das nicht. Erfahren wir z. B., daß jemand unter dem Einfluß der politischen Ansichten einer Partei steht und seine politischen Ansichten nur Wirkungen dieser Indoktrination sind, so sind sie für uns sachlich unerheblich. Ähnliches gilt, wenn sie durch seine Erziehung geprägt sind oder sich aus traumatischen Erfahrungen erklären lassen. Wir sagen, jemand wisse, daß etwas der Fall ist, wenn er davon überzeugt ist, damit recht hat und wenn er gute Gründe für seine Überzeugung hat, d. h. wenn er zu der Überzeugung durch gute Gründe gelangt ist. Bei einer kausalen Determination aller Überzeugungen könnte man daher nicht mehr von Wissen sprechen. Ein Computer, der auf unsere Fragen richtige "Antworten" gibt - d. h. Symbolfolgen ausdruckt, die nach unserer Interpretation wahre Aussagen sind -, weiß nicht, daß sie richtig sind; er hat keine guten Gründe, so zu antworten, sondern diese Antworten sind einprogrammiert. Wir vertrauen seinen Antworten daher nur insoweit als wir dem Konstrukteur vertrauen.
Das Vertrauen auf unsere Erkenntnisfähigkeit beruth darauf, daß wir uns in unseren Urteilen von Gründen leiten lassen können, die für ihre Wahrheit sprechen. Wären unsere Annahmen kausal determiniert, so hätten wir keinen Anlaß, ihnen zu vertrauen. Ein Determinist wird zwar einwenden, es könne ja auch Ursachen dafür geben, daß wir unsere Annahmen überprüfen, und Ursachen dafür, gewisse Argumente zu akzeptieren und die Annahmen entsprechend zu modifizieren. Das würde aber nichts daran ändern, daß wir uns nicht von Gründen leiten, sondern von Ideen beeinflussen lassen. So etwas liegt z. B. bei Hypnose der Gehirnwäsche vor, und die sehen wir nicht als erkenntnisfördernd an. Ursachen sprechen eben in der Regel nicht für die Wahrheit der von ihnen bewirkten Überzeugung. Das bestreitet ein zweiter Einwand, nach dem es Erkenntnis umgekehrt nur dann geben kann, wenn unsere Überzeugungen bezüglich der Umwelt von dieser - zumindest weitgehend - determiniert sind. Andernfalls, sagt man, wäre es unverständlich, daß unsere Beobachtungsurteile in der Regel richtig sind. Eine Entsprechung zwischen der Realität und unseren Annahmen ist nur dann gesichert, wenn jene diese bestimmt. Daß wir unsere Umwelt erkennen, läßt sich aber auch so erklären, daß unsere Eindrücke durch die Vorgänge in der Umwelt hervorgerufen werden, und daß wir unsere Annahmen aufgrund dieser Eindrücke bilden. Wir kommen also auch nach unserer Darstellung der Sachlage nicht völlig unabhängig von dem, was in der Außenwelt vorgeht, zu unseren Urteilen. Eindrücke sind aber auch nicht nur Wirkungen objektiver Gegebenheiten, sondern Produkte der Wechselwirkungen von objektiven und subjektiven Faktoren. Daher können wir uns aufgrund der Eindrücke nur dann ein kohärentes Bild von der Wirklichkeit machen, wenn wir nicht einfach glauben, was sie uns zeigen, sondern sie auch kritisch durchmustern, d. h. in unserem Urteil nicht allein von ihnen abhängen. Der Einwand setzt so eine primitive Theorie der Widerspiegelung der Außenwelt im Bewußtsein voraus.
    2. Es gibt Normen der Rationalität, die wir bei der Bildung unserer Annahmen berücksichtigen, Normen für logisches oder induktives Argumentieren, für sorgfältige Beobachtungen. Normen sind aber nur sinnvoll, wenn der Adressat in ihrem Sinn handeln und gegen sie verstoßen kann. Wie schon in 2.2 für den Fall von Handlungen betont wurde, wäre es sinnlos, jemanden zu etwas aufzufordern, der ohnehin gar nichts anderes tun kann oder der es nicht tun kann. Ebenso unsinnig ist es, sich Richtlinien für das eigene Tun zu geben, wenn dasselbe kausal determiniert ist. Zu den Forderungen intellektueller Rationalität gehört es z. B., eine Ansicht sorgfältig zu prüfen, bevor man sie sich zu eigen macht. Das Prüfen wie das Sichzueigenmachen sind aber Aktivitäten. Normen der Rationalität wären also gegenstandslos, wenn unsere Überzeugungen kausal determiniert wären.
Wendet man ein, Normen könnten Faktoren bei der kausalen Determination von Handlungen sein, so verwechselt man Normen mit Verhaltensdispositionen. Eine Verhaltensdisposition der Person  X  besteht darin, daß sie in Situationen der Art  S  immer  F  tut. Hat  X  diese Disposition, so ist das Eintreten einer S-Situation die Ursache für das F-Tun von  X.  Akzeptiert  X  hingegen die Norm in Situationen der  S F  zu tun, so ist sie ein Grund für  X,  in einer S-Situation  F  zu tun. Daraus ergibt sich aber nicht, daß  X  tatsächlich  F  tut. Normen sind zudem richtig oder falsch. Die Norm, mit einem Satz auch jene anzunehmen, die logisch aus ihm folgen, ist z. B. richtig, weil logische Folgen wahrer Sätze wieder wahr sind. Dispositionen hingegen bestehen oder sie bestehen nicht, von Richtig und Falsch kann hier nicht die Rede sein.
    3. Ich selbst kann ein Ereignis  E  nur dann als Ursache dafür ansehen, daß ich jetzt glaube, daß  A  der Fall ist, wenn ich  E  als hinreichenden Grund für  A  ansehe. Glaube ich, daß  E  meinen Glauben bewirkt,  A  sei der Fall, so glaube ich ja auch, daß ich  A  glaube, wenn  E  eintritt. Nun ist es ein Theorem der epistemischen Logik, daß ich meine gegenwärtigen Überzeugungen für wahr halte. Daher glaube ich auch, daß  A  wahr ist, wenn  E  eintritt.  E  ist somit für mich ein epistemischer Grund für  A.  Ich kann daher eine gegenwärtige eigene Überzeugung nicht als verursacht, aber unbegründet ansehen. Hat nun meine Überzeugung einen Grund, so ist sie nicht verursacht. Das heißt: Die Annahme, ich könnte eine gegenwärtige Überzeugung als kausal determiniert ansehen, erweist sich als inkonsisten. Bezüglich eigener früherer Überzeugungen und Überzeugungen anderer Personen kann man nicht so argumentieren. Ich kann durchaus einsehen, daß eine frühere Überzeugung eine psychologische Ursache hatte, daß  Gründe  dafür nicht ausschlaggebend waren.
Nehmen wir an,  T  sei eine vollständige Theorie menschlichen Denkens, die es erlaubt, all unsere Annahmen und ihren Wandel mit psychologischen oder biologischen Gesetzen zu erklären. Damit  T  für mich akzeptable Erklärungen liefert, warum ich glaube, was ich glaube, muß ich  T  für richtig halten. Dann liefert  T  aber für mich jedenfalls keine Erklärung der Tatsache, daß ich glaube, daß  T  richtig ist. Denn dieser Glaube ist Voraussetzung für eine solche Erklärung, Kann also nicht ihr Gegenstand sein. Anders ausgedrückt: Nehme ich an, daß  T  richtig ist, so muß mir  T  das erklären können. Das ist aber nicht möglich, denn  T  kann mir meine Annahme nur erklären, wenn ich  T  annehme, und damit wäre eine Erklärung dieser Tatsache mit  T  zirkulär. Ebenso kann mir  T  nicht erklären, daß ich Zweifel an  T  habe, falls ich die habe, oder warum ich die Schlüsse für richtig halte, die ich verwende, um aus  T  etwas abzuleiten.
    4. Aufgrund des engen Zusammenhangs von Denken und Sprache sprechen endlich die Gründe, die wir in 2.2 für die Freiheit von Sprechakten angeführt haben, auch für eine Freiheit im Denken. Man bezeichnet oft Denken als "stilles Sprechen", da es sich mit den Begriffen vollzieht, die uns die Sprache zur Verfügung stellt. Sprechen ist aber eine Aktivität, wie wir in 2.2 betont haben. Bei der Annahme des Determinismus würde unsere normale Konzeption von Sprache und sprachlicher Kommunikation ihre Grundlage verlieren. Entsprechendes gilt dann auch für das Denken. Unsere mentalen Akte sind ferner vielfach mit Handlungen verbunden. Wir entwickeln unsere Gedanken auf dem Papier, und Beobachten ist mit körperlicher Aktivität verbunden. Man kann daher nicht Freiheit im Bereich des körperlichen Verhaltens annehmen, aber nicht im Bereich des mentalen, oder umgekehrt.
Nicht alle Überzeugungen gehen aus freien Akten hervor. Beispiele für Annahmen, bei denen wir Ursachen angeben können, sind aber Randphänomene wie z. B. die beiden folgenden: Ein Kind hat Angst vor Hunden. Diese Angst verbindet sich mit der Überzeugung, Hunde seien bissig und unberechenbar. Diese Überzeugung sei unbegründet: Das Kind ist nie von einem Hund gebissen worden und hat auch nie gesehen, daß jemand von einem Hund gebissen wurde. Die Eltern versichern ihm, Hunde seien harmlos. Es gibt eine psychologische Erklärung dieses Phänomens als Projektion der Angst vor dem Vater auf Tiere. Sie ist zwar fragwürdig, aber man würde in einem solchen Fall doch sagen, die Überzeugung des Kindes müsse angesichts des Fehlens jeglicher Gründe psychologische Ursachen haben. Im zweiten Fall glaubt ein Schizophrener, daß er verfolgt wird. Er kann dafür keine bestimmten Gründe angeben. Wir würden seine Ansicht als Wirkung seiner Krankheit auffassen. Fälle wie diese sind offenbar nicht jene, an die wir normalerweise denken, wenn wir von "Überzeugungen" reden. Wir neigen eher dazu, sie als Zwangs- oder Wahnvorstellungen zu bezeichnen, da der Betreffende keine Kontrolle über sie hat. Der Determinismus würde all unsere Annahmen in die Nähe solcher Wahnvorstellungen rücken.

Ein Determinist wird all dem natürlich widersprechen. Er wird zunächst sagen, wenn wir kaum irgendwelche Überzeugungen kausal erklären könnten, so liege das lediglich daran, daß ihre wahren Ursachen Vorgänge im Gehirn sind, die Neurologie aber noch nicht so weit ist, sie im einzelnen benennen zu können. Das ist aber nicht viel seriöser, als wenn ein Dämonologe behaupten würde, unsere Überzeugungen würden durch Aktivitäten von Dämonen bewirkt, die Dämonologie sei aber noch nicht ganz so weit, daß sie das auch nachweisen kann. Unbeeindruckt wird der Determinist fortfahren, unsere Argumente beruhten im übrigen lediglich auf der üblichen Vorstellung von Freiheit, freien Akten, Denken, Sprechen und Überzeugungen. Dies sei zwar indeterministisch, aber das besage wenig. Wir müßten natürlich neue Begriffe von Aktivität, von Gründen, rationalen Handlungen etc. einführen, um den Determinismus konsistent formulieren zu können. In dieser Formulierung wäre er dann unseren Einwänden nicht mehr ausgesetzt. Es ist nun zwar richtig, daß der Determinismus unsere normalen begrifflichen Unterscheidungen durch andere ersetzen müßte, aber damit wäre er noch nicht gerettet. Ein Wechsel der Sprache, nach dem man Einwände nicht mehr formulieren kann, bringt noch keine Entscheidung in der Sache. Darüber hinaus wäre eine konsequent deterministische Sprache, deren Gebrauch keine Freiheit voraussetzt, nach unseren Überlegungen keine Sprache im normalen Sinn mehr. Der Determinist müßte auch die Normen vernünftigen Redens durch etwas anderes ersetzen, aber es bleibt dann völlig offen, warum wir uns für un-vernünftige Verlautbarungen in einer Un-Sprache interessieren sollten.

Das entscheidende Problem mit den Deterministen ist, daß sie sich selbst nicht beim Wort nehmen, die Implikationen ihrer These für ihr Selbstverständnis nicht bedenken. Nimmt man an, ein Determinist hätte jedenfalls im eigenen Fall recht, so muß man davon ausgehen, daß er denkt, wie er aufgrund vorgängiger Ursachen denken muß. Auch seine deterministische Überzeugung ist also ein Produkt seiner Erbanlagen, seiner Erziehung, der Sinneseindrücke, denen er ausgesetzt war, nicht aber Resultat vernünftiger Überlegungen und Einsichten. Seine These ist dann aber für uns kognitiv nicht relevanter als sein Husten. Sie besteht aus Lauten, die er von sich gibt, die zwar für uns eine bestimmte Bedeutung haben, von denen man aber nicht sagen kann, er selbst verstehe sie, oder drücke mit ihnen etwas aus. Auch der Determinist selbst kann sich daher nicht als rationalen Agenten begreifen, der die Fähigkeit hat, sachlichen Gründen zu folgen. Welchen Wert hat dann aber seine These für ihn?

J. R. LUCAS sagt in diesem Sinn von den Deterministen:
    "Sie fühlen sich zu der Ansicht verpflichtet, daß, egal ob der Determinismus nun wahr ist oder nicht, sie glauben wollen, daß er wahr ist, und zwar als Ergebnis bestimmter physikalischer Variablen, die während einer vorausgegangenen Zeitraums ganz bestimmte Werte zur Erscheinung brachten. Auch wenn dieser Determinismus falsch ist, werden sie, so ihre eigene Aussage, weiter sagen, daß er wahr ist und deshalb erfordert ihre Aussage, daß er wahr ist, keine echten Gründe für das, was auch immer als Endprodukt eines physikalischen Prozesses ausgelegt wird. Doch das sind sie nicht bereit zu akzeptieren. Sie wollen als rational Handelnde verstanden werden mit denen man wie mit anderen rational Handelnden auch vernünftig argumentieren kann; sie wollen ihren Glauben als Glauben ausgelegt haben aber einer rationalen Bewertung unterworfen werden und nicht als gehirngewaschene Opfer einer chinesischen Tropfenfolter gelten. Für überzeugte Deterministen sollte es keinen Unterschied geben, ob sie die herbeigeführte Konformität akustischen Reizen oder einer Injektion von Halluzinogenen verdanken: aber tatsächlich zeigen sie eine ausgesprochene Abneigung gegen Spritzen, was gleichermaß für ihre Humanität aber gegen ihre Ansichten spricht." (4)
Abschließend ist noch einmal zu betonen, daß unsere Überlegungen keinen Beweis dafür darstellen, daß unser mentales Verhalten nicht determiniert ist, sondern nur belegen, daß wir selbst es konsistenterweise nicht als determiniert ansehen können. Dieser Unterschied wird freilich dadurch relativiert, daß es ja ohnehin nur darum gehen kann, was wir annehmen sollten. Lassen wir uns in unserem Denken von Gründen leiten - jedenfalls manchmal -, so kann es keine Theorie mentalen Verhaltens geben, mit der sich in jedem Fall erklären ließe, daß wir so denken, argumentieren und urteilen, wie wir das tun. Denn wo Gründe ausschlaggebend sind, gibt es keine Ursachen, und damit auch keine kausalen Erklärungen, daß wir so denken, sondern nur rationale Erklärungen, die zeigen, daß einzelne Gedankengänge vernünftig sind. Das unterstreicht noch einmal die Grundthese dieses wie des vorausgehenden Kapitels: Es kann für uns keine vollständige Theorie menschlichen Verhaltens geben.
LITERATUR - Franz von Kutschera, Die falsche Objektivität, Berlin - New York 1993
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    Anmerkungen

    1) "Formal" heißt eine Theorie, für die es entscheidbar ist, ob ein Argument ein Beweis in ihr ist.
    2) Von Mechanisten wird auch gelegentlich eingewendet, zu jedem Satz, den wir beweisen können, gebe es eine Maschine, die ihn ebenfalls beweisen kann. So argumentiert z. B. ALAN TURING in (a. a. O.) Seite 16. Damit wird aber die These des Mechanismus nicht legitimiert, denn die besagt: Es gibt eine Maschine, die alle Sätze beweisen kann, die wir beweisen können. Der Anti-Mechanist braucht also nur zu zeigen, daß es für jede Maschine einen Satz gibt, den er, nicht aber diese Maschine beweisen kann. Aufgrund des angegebenen Einwands ist diese Behauptung freilich problematisch.
    3) Zum Begriff der Handlung vgl. 2.2
    4) LUCAS (a. a. O., Seite 115.