von JheringF. DahnEmil Laskvon Kirchmannvon RümelinR. Stammler | ||||
Das objektiv Richtige Eine transzendentalphilosophische Untersuchung der Aufgabe und Grenzen der Rechtsphilosophie
So löst sich der scheinbare Widerspruch zu STAMMLERschen Anspruch an einen Maßstab des Richtigen beilegt. Denn Leben ist keine Erkenntnis. Die Kulturnormen sagen nichts über ihre Richtigkeit. Sie richtig zu nennen, weil sie herrschen, wäre eine Ableitung des Richtigen aus der bloßen Existenz, des Sollens aus dem Sein. Wahrheit würde durch Nützlichkeit für die Gruppe, durch die Ansicht der Gattung ersetzt. Desgleichen der Rechtswert durch einen außerrechtlichen, wenn nicht umgedeutet, so verdrängt. Statt einer Begründung, die Berufung auf das bloße Sein, auf die Massengeltung. Da mit der Findung des Zieles durch Abstimmung kaum Ernst gemacht werden wird, zumal sich keiner verhehlen wird, daß tatsächlich das Wahre und Richtige leider nicht bei den meisten ist, fehlt es an strenger Methode und Bestimmtheit des Zieles. Will man dessen Objektivität erfassen; so bleibt kein anderer Weg, als der philosophische zu Vernunft. Dem Kritizismus, als einer Kulturphilosophie, ist die Welt nicht gegeben, sondern ein Werk der Vernunft. "Nur darauf beruht unser Erkenntnisrecht auf die Dinge, daß wir sie für uns erst erschaffen." (WINDELBAND) Das Individuum ist jedoch nicht die schöpferische Kraft in der Erzeugung der Gegenstände, sondern "Wohnstätte ... übergreifender und deshalb sachlich im Wesen der Dinge selbst begründeter Vernunftaktionen" (WINDELBAND). Ist die Kultur die Gesamtheit dessen, was das menschliche Bewußtsein vermöge seiner vernünftigen Bestimmtheit aus dem Gegebenen herausarbeitet, so ist die Wissenschaft eine Neuschöpfung der Welt aus dem Gesetz des Intellekts, strukturell nicht von dem praktischen und ästhetischen Verhalten des Kulturmenschen verschieden (WINDELBAND). Wir erblickten schon in der hingenommenen Wirklichkeit das Ergebnis übergreifender, sachlich gültiger Vernunftformen. Mit dieser Hinnahme begnügen wir uns aber nicht, wir wollen die Wirklichkeit begreifen. Dies ist die Aufgabe der Einzelwissenschaft, die jedoch ihre Voraussetzung, ihre Begriffsbildung, die sich in grundsätzlich verschiedenen methodologischen Formen äußert, der Philosophie als Untersuchungsgebiet überläßt. Orientieren wir uns, den Spuren RICKERTs dabei folgend, über natur- und kulturwissenschaftliche Begriffsbildung. Die Einzelwissenschaft will über das Erleben der Wirklichkeit hinaus zu einem Wissen um die Welt kommen, sieht sich jedoch hier einer zeitlich und räumlich unübersehbaren Mannigfaltigkeit des Wirklichen gegenüber. Nur der kleinste Teil der Objekte überhaupt und jedes einzelnen Exemplares ist bei der Unübersehbarkeit der Exemplare und der Verschiedenheiten jedes einzelnen angeschaut. Um diese extensive und intensive Unübersehbarkeit zu meistern, verwendet die Wissenschaft einmal den naturwissenschaftlichen Begriff, der in der rudimentären Form des Wortes schon eine Mehrheit anschaulicher Wirklichkeit zusammenfaßt und die unendliche Verschiedenheit der Inhalte jeden Objektes durch Fortlassung aller nicht zwecknotwendigen Elemente überwindet. In Hinsicht auf den von der jeweiligen Einzelwissenschaft verfolgten Sonderzweck wird durch Definition ein bestimmter Begriffsinhalt herausgebildet. Die Naturwissenschaft interessiert sich für andere Eigenschaften der Tiere, als die Rechtswissenschaft, beide ordnen sie deshalb verschiedenen Zusammenhängen ein, heben andere EIgenschaften als wesentlich heraus, lassen andere als unwesentlich fallen und bilden so verschiedene Begriffe desselben Gegenstande. Die Unterschiede der Wirbeltiere und Fische sind der Jurisprudenz verhältnismäßig so unerheblich wie die Trennung der Tiere als bewegliche Sachen von den unbeweglichen der Naturwissenschaft. Die naturwissenschaftlich gebildeten Begriffe werden durch ihre Allgemeingültigkeit gekennzeichnet. Sie wollen ja auf jedes Exemplar passen und gerade damit die Bewältigung der extensiven und intensiven Unendlichkeit des Wirklichen ermöglichen. Die Naturgesetze, zu denen die allgemeinen Urteile über Naturvorgänge gerinnen, machen uns so von unserer Wahrnehmung, von der sie ausgegangen sind, relativ unabhängig. Nicht nur der Wissenschaft von den Körpern, sondern auch der von dem seelischen Leben sind ihre Objekte, die Wahrnehmungsakte, die Erinnerungsbilder, die Neigungen, die Schmerzen und Freuden Exemplare allgemeiner Begriffe. Der Gewinn der Überwindung der anschaulichen Mannigfaltigkeit wird aber mit der immer größeren Entfernung von ihr in gesteigerter Begriffsentwicklung bezahlt. Die stets individuelle Wirklichkeit wird naturwissenschaftlich gemeistert, aber nicht erfaßt. Kein Ding als solches in seiner Besonderheit des einzelnen Falles interessiert die Naturwissenschaft, nicht ob etwas geschieht, sondern nur daß es bei dem und dem vorangegangenen Geschehen so geschehen muß. Unser Interesse für die Besonderheit und Einmaligkeit wird durch die in ihrer Begriffsbildung individualisierenden Kulturwissenschaften befriedigt, die die Auswahl in dem unendlichen Material nach der Bedeutung für den wollenden und handelnden Menschen, nach den aus der Natur gebannten Wertgesichtspunkten trifft, ohne deswegen aus dem der Wissenschaft allein wesentlichen Erkennen zum Wollen überzugehen, ohne von der theoretischen Beziehung des Materiales auf Werte und seine Scheidung in Wichtiges und Unwichtiges deshalb zum praktischen Werten selber, von der Tatsache der wirklichen Wertungen und Güter zur Geltung der Werte fortzuschreiten. Die historische Individualität wird insoweit nur der Indifferenz enthoben, wird wesentlich, jedoch weder gut noch übel. Die Summe der anerkannten Werte und hervorgebrachten Güter, die Kultur einer Gemeinschaft leitet die wissenschaftliche Auslese, die selektive Synthesis, die hier nicht zu Exemplaren allgemeiner Begriffe, sondern zu Individualitäten, an denen ein Sinn haftet, nicht zur Natur, sondern zu einem Gebilde der Kultur führt. Die Frage der Objektivität dieser wissenschaftlichen Begriffsbildung hängt mit der der dabei anerkannten Werte zusammen, wie ja auch die Formen der Naturwissenschaft, wenn auch ihre Objekte von Wertbeziehung gelöst sind, von einem Subjekte als wertvolle Auslesegrundsätze anerkannt werden müssen. Die Objektivität von einem Sein herzuleiten, zu dem die Wissenschaft vorzudringen habe, wäre Metaphysik, da auch unser wissenschaftliches Erkenntnisrecht nicht auf einer reproduzierten, sondern erschaffenen Welt beruht. Die Transzendentalphilosophie ordnet das Wissen nicht anderen Herrschermächten des Lebens unter. Sie begeht bewußt den Zirkel, erst Erfahrung zu wollen, um dann die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit der konstituiven Kategorien daraus herzuleiten, daß sie Erfahrung erst zustande bringen. Der Sinn der Kategorien für die gewollte Erfahrung begründet ihre Objektivität. So muß auch, wer wissenschaftliche Erfahrung will, ihre konstituierenden, die methodologischen Formen wollen. Nicht die Objektivität des einzelnen Naturgesetzes, dessen Richtigkeit die Naturwissenschaft am Experiment nachprüft, sondern der wissenschaftlichen Begriffsbildung überhaupt steht hier in Frage. "Wer Naturgesetze sucht, setzt voraus, daß irgend welche allgemeinen Urteile gelten und diese Form der unbedingten Allgemeinheit ist daher für ihn notwendig ein gültiger theoretischer Wert" (RICKERT). Soweit dieser Wert Gültigkeit hat, haben auch die mit Rücksicht auf ihn gebildeten Begriffe die höchsterreichbare wissenschaftliche Objektivität (RICKERT). Die Leugnung der wissenschaftlichen Werte steht aber so außerhalb der Sphäre jedes Urteiles; die Leugnung hebt sich ihrem Geltungsanspruch gemäß deshalb auf. "Dies Teilhaben an einer überragenden Welt von Vernunftwerten, die doch den Sinn aller Ordnungen ausmachen, auf denen sich unsere kleinen Welten des Wissens, Wollens und Gestaltens aufbauen, diese Einfügung unseres bewußten Kulturlebens in Vernunftzusammenhänge, die über uns und unser ganzes empirisches Dasein weit hinausreichen, - das ist das unbegreifliche Geheimnis aller geistigen Tätigkeit ... dies Emporwachsen unseres Lebens in Vernunftzusammenhänge, die mehr bedeuten, als wir selbst (WINDELBAND). "Wer Wissenschaft treibt, kann zwar die Geltung anderer Werte bezweifeln, niemals aber die Geltung des Wertes der Wissenschaft. Die Welt der Wissenschaft wird daher zu einer wissenschaftlichen Welt" (RICKERT). Gehen wir von diesem Unterschiede in den methodologischen Formen aus, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß STAMMLER nicht nur mit der philosophischen, konstitutiven Kategorie des Richtigen die einzelwissenschaftliche Aufgabe nach dem Richtigen im einzelnen Falle vergeblich lösen, sondern, daß er erfolglos das Individuelle mit einem naturwissenschaftlich allgemein gebildeten Begriff erfassen wollte. STAMMLER will allerdings "eine Wissenschaft von dem sozialen Leben ... in Selbständigkeit und grundlegende Eigenart neben der Wissenschaft von der Natur" ausführen, lehnt auch die naturwissenschaftliche Methode insbesondere in der Form der Wechselwirkung, in der SIMMEL das gesellschaftbildende Moment sieht, als einen nur besonders gearteten Unterbegriff der Kausalität, die STAMMLER nicht ganz korrekt statt als konstitutive Kategorie der objektiven Wirklichkeit als methodologisches Naturgesetz behandelt, für die Besonderheit der Sozialwissenschaft ab, um dann doch in den äußerlich geregelten Menschen ganz ebenbürtig in der logischen Struktur der naturwissenschaftlichen Begriffe Exemplare eines allgemeinen Begriffes, aber keine Individualitäten zu ergreifen. Alle Einmaligkeit und Besonderheit der wirklichen Menschen ist hier ausgelöscht. Das Recht, als logisch-konstituierende Bedingung des Gesellschaftsbegriffes, dann wieder als Form einer nichtempirischen idealen Gemeinschaft, in der kein wirklicher individueller Mensch tatsächlich vertreten ist, bildet den Ausgangspunkt zum richtigen Rechte. Dies aber soll verwirklichkt werden. Die Jurisprudenz, Rechtswissenschaft und Rechtspflege arbeiten für wirkliche, deshalb individuelle, einmalige Menschen und Handlungen. Eine generalisierende Behandlung der Menschen und Rechtsfälle führt meist zu Unrichtigkeiten. Der Richter, der dem Begriffe der fraudulös vorgenommenen Sicherungsübereignung jeden ihm unterbreiteten Fall der Sicherungsübereignung opfern würde, der den wirklichen, verwandten Zeugen nur als Exemplar des vorgefaßten Begriffes des unglaubwürdigen, mit den beteiligten verwandten Zeugen nur als Exemplar des vorgefaßten Begriffes des unglaubwürdigen, mit den beteiligten verwandten Zeugen behandeln würde, machte sich einer wirklichkeitsfremden, wenn auch zur Weltfremdheit im gewöhnlichen Sinne entgegengesetzten, unzulässigen Generalisierung des Individuellen schuldig, das als solches sein individuelles Recht verlangen darf, soll nicht zugunsten des falsch verstandenen Satzes fiat justitia, pereat mundus, das summum jus zur summa injuria werden, sodaß nur die Form des Rechtes gewahrt wäre. Der Bürokratismus ähnelt insoweit der Metaphysik den wirklichen Menschen weniger schaden können, als ihre zugunsten eines Allgemeinbegriffes gegenüber ihre Individualität rücksichtslose Behandlung von seiten der zur Wahrung ihres Rechtes berufenen Behörden. Diese Wendung der Rechtswissenschaft zur einmaligen, individuellen Wirklichkeit läßt sich trotz der nicht kasuistisch die Rechtspflege vorwegnehmenden allgemeinen Rechtssätze und Regeln erkennen, da der Rechtssatz, wenn vielleicht auch tatsächlich ein imperativischer Lehrsatz für den Richter (BINDER), als Form des rechtlichen Ausdruckes ein Urteil ist, das unvermeidlich auf künftig mögliche Einzelfälle bezug nimmt und deshalb inhaltlich trotz der allgemeinen Form von kasuistischer Beschaffenheit ist. Das Recht ist dazu da, sagt JHERING, daß es sich verwirkliche. "Die Rechtssätze, welche den Willen des Gesetzgebers enthalten, müssen ... aus Begriffen bestehen, welche eindeutig auf die Erscheinungen der Wirklichkeit bezogen werden können" (RICKERT). Der wirkliche Mensch bleibt das Objekt des Rechtes, auch wenn es sich im Staats-, Kirchen- und Verwaltungsrecht mehr für die Individualität der Gruppe, als ihres Gliedes interessiert, sich, wie auch möglicherweise in einer geschichtlichen Darstellung, an die Soldaten im letzten Kriege wendet, die an ihrer Wirklichkeitseigenschaft dadurch nichts einbüßen, daß insoweit gewisse Elemente ihrer Wirklichkeit in der ihnen gewordenen Behandlung eine wesentliche Berücksichtigung erfahren. Diese Soldaten sind stets von bloßer Standesbezeichnung in der sozialen Betrachtung einer bestimmten Bevölkerungsklasse, wo sie Exemplare einer Gattung sind, verschieden. Der wirkliche Soldat steht zu mir als Mensch in Beziehung, erregt mein Mitgefühl, meine Dankbarkeit, meine Begeisterung, auch wenn ich mich für ihn nur als Soldaten interessiere, während das Begriffsexemplar des Soldaten nur zu meinem Denken Beziehungen unterhält, wie die reflexive Kategorie im Gegensatz zu der, gegenständliche Bedeutung habenden konstitutiven Kategorie nur vorgestellte Geltung hat (WINDELBAND), die unbekümmert um den spezifischen Inhalt für jeden beliebigen gilt, nur das caput mortuum [wertloses Überbleibsel - wp] des verblaßten Inhaltes, achtlos durch die lebendige Sinnlichkeit nur das Gerippe der Inhaltlichkeit überhaupt ergreift (LASK). Der auf die Wirklichkeit gerichtete Zweck der Rechtswissenschaft gibt die Gesichtspunkte zu ihrer Begriffsbildung. Die Unterschiede der zu erkennenden Sachen sind unbeschreiblich mannigfaltig, die der zu beherrschenden verhältnismäßig geringfügig, weshalb der juristischen Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen die endlose Reihe der Sachendefinitionen der Naturwissenschaften gegenüberstehen, die sich wieder nur für ganz generell, durchgängige, von Kulturnuancen recht entblößte einfache Beziehungen zwischen Mann und Frau interessieren werden, wo das Recht den Mikrokosmus einer Ehe ausschöpfen muß. Der in den Rechtssätzen geschaffene Extrakt an psychischen Beziehungen der Ehegatten zueinander, der Vertragschließenden ist berufen, in der Rechtsprechung wieder in Wirklichkeit, in individuelle Lebendigkeit aufgelöst zu werden, um sie rechtlich zu formen und zu durchtränken. Die Bedeutung des Unterschieds zwischen Erkennen und Normieren für die Bestimmung des objektiv Richtigen Der Gegensatz des nomothetischen und ideographischen Erkennens läßt die Inadäquatheit der mit generalisierenden Begriffen arbeitenden Rechtsphilosophie für die juristische Wirklichkeitsaufgabe noch nicht erschöpfen, da auch die historische Begriffsbildung der Jurisprudenz nicht fremd ist, soweit sie sich selbst zu ihrem Gegenstande macht und, wenn auch ihrem eigentlichen Zwecke untergeordnet, Geschichtswissenschaft betreibt. Die Rechtswissenschaft wendet sich im wesentlichen keinem bereits bestehenden Objekte zu, das es zu erkennen gilt, sondern einer Wirklichkeitsgestaltung, die durch Normierung herbeigeführt werden soll. Gewiß will das der Wissenschaftler auch. Erfahrung und Wissenschaft mußte man wollen, wenn man ihre konstituierenden Faktoren, ihre Objektivität begreifen wollte. Der Wille, daß unser Erlebnisinhalt, nicht nur Erlebnis, die Welt kein Traum, sondern eine in sich bestehende, unabhängige, mit sich identisch bleibende Wirklichkeit, beruht auf einer Willensaktion, einer Tathandlung, die nichts voraussetzt, alles zur Folge hat, durch keinen Inhalt, keine Formbeziehung, keine Kategorie bedingt ist (MÜNSTERBERG, FICHTE). Das Gesetz der Reproduktion, des einheitlichen Bewußtseins, als der Möglichkeit objektiven Erkennens ist hier anschaulich bezeichnet, weil die etwas psychologistisch angehauchte Fassung dem laienhaften Verständnis entgegenkommt. Dieser Wille des Philosophen und Einzelwissenschaftlers ist aber ein Wille zur Erfahrung und Wissenschaft, also selbst vorwissenschaftlich, die Wissenschaft ermöglichend, in der selber nur erkannt, nicht praktisch gewollt wird. Die spezifisch juristische Tätigkeit dagegen ist nicht theoretisch, sondern praktisch. Die im Tatbestande dem Richter gebotenen Handlungen werden in der Beurteilung gewertet. Auf dies Urteil zielt auch letzten Endes die Rechtswissenschaft. Erkennende Tätigkeit ist zwar hiermit verbunden, wenn der Richter dem zu beurteilenden Stoffe nachzugehen hat, soweit er unter der Verhandlungsmaxime vorgetragen wird, oder unter der Inquisitionsmaxime erforscht werden muß, doch ist diese Vorarbeit ersichtlich der praktischen Beurteilung im Urteil untergeordnet. Die theoretisch erkennende Vorarbeit muß die intensive Mannigfaltigkeit des zu beurteilenden Stoffes vereinfachen. Das überreiche Lebensverhältnis einer Ehe wird unter dem Gesichtspunkte der Ehescheidungsgründe auf einen Extrakt zurückgeführt, der alle die Umstände etwa enthält, die die Prüfung der Frage, ob sich ein Ehegatte einer schweren Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten schuldig gemacht hat, ermöglichen. Wir so nach allgemein rechtlichen Gesichtspunkten, die als allgemeine Rechtssätze strukturell der generalisierenden Begriffsbildung nahestehen, eine Einschrumpfung des wirklichen Sachverhaltes zum juristischen Tatbestande in erkennender Vorarbeit herbeigeführt, so führt die Beurteilung in den Entscheidungsgründen von dem Extrakte aus wieder zur ungeschiedenen Wirklichkeit zurück. Letzteres darf der Richter nicht vergessen, nicht übersehen, daß die Strafe etwa nicht den zum juristischen Tatbestande verdichteten, sondern den wirklichen, unendlich mannigfaltigen, individuellen Menschen trifft, der nicht etwa nur Dieb, Hehler pp. ist, sondern ein Mikrokosmus, aus dem die juristisch relevanten Seiten für die Beurteilung einer Handlung gelöst worden sind. So läßt auch die geschichtliche Erkenntnis die Wirklichkeit zusammenschrumpfen, den größten Teil der Lebensereignisse HINDENBURGs etwa als historisch belanglos fortfallen, um dann von einem bestimmten Beurteilungsstandpunkte aus, der nicht rein geschichtswissenschaftlich ist, noch weitere Teile der Wirklichkeit auszuscheiden. Trotz allgemeiner historischer Relevanz wird der, der in NIETZSCHE den großen Philosophen sieht, andere Seiten seiner Persönlichkeit und Wirksamkeit für erheblich halten und festhalten, als der der in ihm nur den großen Dichter des Gedankens verehren zu dürfen glaubt. Wie aber die Heranziehung solcher Beurteilungsmaßstäbe die historische Objektivität, so würde die Bildung des juristischen Tatbestandes in Hinblick auf die rechtlichen Entscheidungsgründe die richterliche Objektivität trüben. Deshalb ist die Annahme der erkennenden Vorarbeit durch den Anwaltszwang für den Richter von erheblicher Bedeutung. Denn hier wird unter allgemein juristischen Gesichtspunkten von Juristen der zu beurteilende Stoff dargeboten. Die oft unwillkürliche Beeinflussung durch einseitige Beurteilung wird durch die entgegenstehende des Vertreters der anderen Partei ausgeglichen, hierdurch auch einer antizipierten Einwirkung der richterlichen Beurteilung auf die Tatbestandsbildung vorgebeugt. Wie die Verwendung allgemeiner Begriffe der Individualität des jeweiligen Zieles der Jurisprudenz, so kann auch die erkennende Tätigkeit, die diese Begriffe nicht entbehren kann, der wertenden, die auf die Einmaligkeit des Wirklichen gerichtet ist, keinen Abbruch tun. |