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Beiträge zum Verständnis Kants
V O R W O R T Doch sollte diese ihnen selbst verbleiben, was würde es auch schaden, wenn sie nur dieser ihrer Bestimmung wirklichen genügen? Denn es dürfte durch die spekulativen Forschungen neuester Zeit, weil sie oftmals in der Form von Kommentaren erschienen sind, die Philosophie mit Unrecht in Mißkredit geraten sein. In dergleichen Arbeiten - ich verweise in Sonderheit auf BONA-MEYERs "Kants Psychologie" (1) und COHENs "Kants Theorie der Erfahrung" (2) - finden sich mehr als in den meisten Werken neuer Forscher, welche sogar mit dem Anspruch auftreten, neue Systeme zu enthalten, fleißige und dem Fortschritt der Wissenschaft wirklich dienende Untersuchungen. Die Ursache davon ist aber gerade in der Bescheidenheit der Aufgabe zu suchen, welche durch die Verfasser jener Schriften freilich schon dem Titel nach gewissermaßen als die von Kommentatoren bezeichnet wird. Denn in der Wissenschaft soll man nicht eher Neues geben wollen, als bis man sich sorgfältig mit den anerkannt tüchtigen Vorgängern auseinandergesetzt hat. Der umgekehrte Weg ist der Grund, weshalb so manche Systeme neuerer Philosophen, die erst nachträglich dieser Forderung sich erinnert haben, spurlos vorübergegangen sind. Wenigstens darf es uns nicht Wunder nehmen, wenn deren Verkündiger das, was sie an den Werken der Altmeister ihrer Wissenschaft in reiferen Jahren dann doch als bleibend erkannt hatten, hinterher nach ihren Lehren umzudeuten sich vergeblich abmühten. Denn sie wollten nun bloß ihre Ansicht in die alten Systeme hineinlegen, anstatt daß sie auf deren bleibende Momente ihre Lehren gründen gesollt hätten. Wer also, wie es wohl in literarischen Zeitschriften geschehen ist, die Philosophie der Gegenwart wegen ihrer kommentarartigen Literatur, besonders den Naturwissenschaften gegenüber, in Verfall begriffen glaubt, dem entgeht, daß gerade das Gegenteil der Fall ist. Denn eben diese Art von Werken bezeugt es, daß endlich auch die Philosophie in wirklich exakter Weise fortzuschreiten strebt. Man fühlt eben auch hier jetzt das Bedürfnis, nicht immer von vorn anzufangen und in fast naiver Weise irgendwelche, vielleicht recht geniale Spekulationen, als Wissenschaft hinzustellen. Man will vielmehr, an das wirklich Erwiesene und Haltbare anknüpfend, Bleibendes geben und den Weg betreten, auf dem allein die Naturwissenschaften so bedeutsam fortgeschritten sind und so gewaltige Ergebnisse errungen haben. KANT aber hatte mit seinem Kritizismus zuerst diesen Weg in der Philosophie beschritten, sich zugleich als ein BACON und NEWTON dieser Wissenschaft bewährend. Daß man ihn nicht eindringlicher studiert hatte, war Schuld, daß, zumal seit HEGEL, die Philosophie wenig vom Fleck gekommen ist. Denn seit dem Hinscheiden dieses immerhin sehr bedeutsamen Philosophen ist auch der in ihm zuletzt mit hinreißender Gewalt hervorgetretene schöpferische Geist der Spekulation fast ganz erloschen, nachdem die von KANT begonnene exakte Forschung in dieser Wissenschaft schon längst erstorben, ja eigentlich kaum jemals aufgenommen war. Sogar REINHOLD und FRIES, die den Ruf der treuesten Anhänger KANTs haben, wußten dessen Lehre auch nur so darzustellen, daß des Meisters exakte Ergebnisse weder vollständig noch unzweideutig und ungetrübt hervortraten. Ihre auf KANT bezüglichen Schriften sind, im besten Sinne betrachtet, ein objektiver Spiegel des unmittelbaren Eindrucks, den auf die bedeutenderen und für KANTs Richtung empfänglichen Geister des Kritizismus gemäß dem damaligen Standpunkt der Philosophie hervorbringen mußte; sie sind also historisch unendlich wertvoll und daher mit Recht fleißig in den neuesten philosophischen Schriften über KANT benutzt worden. Wie sehr aber darauf bereits von FICHTE KANT mißverstanden worden ist, dies in wesentlichen Punkten darzutun, werden wir noch in diesen Beiträgen selbst Gelegenheit finden; und wie weit sind gar erst die neben Fichte auftretenden und ihm folgenden bedeutenderen Systeme aus dem von KANT bezeichneten Gleis gewichen! Unter dem Eindruck anderer Philosopheme also, sei es der Neuzeit, wie von Anhängern FICHTEs, HERBARTs, SCHOPENHAUERs, SCHELLINGs und HEGELs, oder antiker Systeme, wie von TRENDELENBURG und ÜBERWEG, und daher von diesen in etwas ruhigerer und objektiverer Weise, ist KANT vielfach erklärt, aber zugleich fast ebenso häufig mißdeutet worden; denn in der Tat waren alle diese Kommentare in wichtigen Punkten mehr Trübungen als Läuterungen KANTs. - Wenn ich dies auch zum Teil von TRENDELENBURG behaupte, und dessen Ansichten an verschiedenen Stellen in diesen Beiträgen mit Nachdruck bekämpfen werde, so vereinigt sich dies für eine unbefangene Gesinnung wohl doch mit der aufrichtigsten Hochachtung, die ich für diesen meinen trefflichen Lehrer stets gehegt habe und ferner hegen werde. Denn die Bedeutung desselben - der Pietät eines dankbaren Schülers mag dieser Exkurs zugute gehalten werden - liegt auf anderem Gebiet. Sind doch TRENDELENBURGs Verdienste um die Logik, ferner desselben vorzügliche Vorlesungen und Darstellungen, die dem Gebiet der Geschichte der Philosophie angehören, vor Allem die gründlichen Forschungen über ARISTOTELES von so unzweifelhaftem Wert, daß auch denen seiner Schüler, die des Meisters metaphysischen Standpunkt und die von diesem notwendig berührten Kritikn von Lehren Anderer nicht anzuerkennen vermögen, desselben Leistungen in der Philosophie ebenso unschätzbar wie das Andenken an seine liebenswürdige Persönlichkeit und segensreiche Lehrtätigkeit unvergeßlich sein werden. Überdies ist es TRENDELENBURG gewesen, der zur Blütezeit von HEGELs Philosophie durch einen mutvollen Hinweis auf ARISTOTELES und des letzteren bleibende Leistungen den Blick der Zeitgenossen von der unbedingten Bewunderung jenes epochemachenden Geistes ablenkte und dessen System, indem er es an der wundesten Stelle, von Seiten der Logik angegriffen, erfolgreich bekämpft hat. - Vor allem aber verdanken gewiß Tausende von Schülern mit mir diesem, unseren besonnenen und lauteren, Lehrer die schlichte, von jedem phantastischen und überschwänglichen Charakter sich mit größter Absichtlichkeit frei haltende Überlegung, Erörterung und, wie ich hoffe, auch Darstellung philosophischer Gegenstände. Auch die kritische Methode, die ich in diesen Beiträgen zu befolgen suche, habe ich in der Weise, wie ich sie hier anwende, von TRENDELENBURG erlernt. Erst JÜRGEN BONA-MEYER also - um meine literaturhistorische Übersicht zu vollenden - und nach ihm HERMANN COHEN haben in den oben angeführten Werken, beide mit aufrichtigster Hingabe an KANT und ersterer, da er nicht auf dem Standpunkt einer anderen Schule steht, sich auch ganz objektiv der Erforschung der Kritiken hingegeben. Auch COHEN hat sich mit außerordentlichem Fleiß und Scharfsinn in KANT versenkt und, obgleich er Herbartianer ist, dies objektiver zu tun versucht. Eben deshalb ist es ihm aber doch nicht gelungen. Denn ihn, der KANT gegen viele neue Forscher, wie besonders gegen KUNO FISCHER, TRENDELENBURG und ÜBERWEG mit Erfolg in Schutz nimmt, hat andererseits doch der Standpunkt HERBARTs zu vielen und erheblichen Mißdeutungen KANTs veranlaßt. Bei der Wichtigkeit von COHENs Schrift habe ich daher einen Exkurs über dieselbe dem I. Beitrag beigefügt. Das Material auch bereits zusammengestellt; es bedarf jedoch noch der Sichtung und geeigneten Auffassung, um an anderer Stelle später auch noch verwertet zu werden. Bei dieser Sachlage der kantischen Studien ist immer noch eine weitere und durchaus objektive Erforschung des Kritizismus und der aus oben angeführten Gründen so wichtigen exakten Methode und der Ergebnisse desselben durchaus notwendig, zumal die deutsche Nation sonst leicht das hundertjähige Jubiläum des Erscheinens von jenen epochemachenden Kritiken vorübergehen lassen möchte, ohne das System ihres größten Philosophen vollständig ausgebeutet und ergründet zu haben. Daß diese Befürchtung nicht zur Wahrheit wird, dazu an seinem Teil beigetragen zu haben, dies würde dem Verfasser nachfolgender Untersuchungen die höchste Befriedigung gewähren und dies umso mehr, als er damit zugleich eine Pflicht der Pietät zu teilweiser Erfüllung gelangt sähe. Mein seliger Vater nämlich, dessen Andenken ich diese Beiträge dargebracht habe, ist es gewesen, welcher vor Allem micht auf den bleibenden Gehalt der kantischen Philosophie hingewiesen hat. So oft ich des lauteren Geistes der Wahrheit gedenke, mit welchem ich schon während der letzten Jahre meiner Gymnasialzeit und dann während der ersten vier Universitätssemester von ihm über KANT und FICHTE die wichtigsten Aufschlüsse erhalten habe, so erfüllt mich eine tiefe Wehmut, daß ich ihm, dem widrige Umstände nie die Muße und Ruhe zu einer stilistischen Ausarbeitung seiner tiefen und gelehrten philosophischen Kenntnisse vergönnten, diese Ergebnisse meiner durch ihn vor Allen angeregten Studien nicht bei Lebzeiten darbringen sollte, - daß nicht mehr sein leuchtendes Auge die Schicksale dieser Schrift mit segnendem Blick begleiten kann. - Während von den neuesten Forschern der kantischen Lehre BONA-MEYER, indem er vor Allem die psychologische Grundlage in dessen Kritiken feststellt und rechtfertigt, die Kritik der praktischen Vernunft fast gleichmäßig berücksichtigt hat, COHEN jedoch, der besonders das Wesen des Transzendentalen ergründen will, sich hauptsächlich auf die Kritik der reinen Vernunft beschränkt, habe ich mir vorzugsweise die Darstellung der ethischen Prinzipien KANTs zur Aufgabe gemacht und zwar mit dem besonderen der oben über die Aufgabe der gegenwärtigen Philosophie dargelegten Ansicht entsprechenden Ziele, den bleibenden Gewinn von KANTs ethischen Prinzipien festzustellen. Der erste der nachfolgenden Beiträge hat daher wesentlich nur die Aufgabe, die Untersuchungen des zweiten gegenüber den Ergebnissen der Kr. d. r. V. zu sichern. ![]() Einleitung Die Aufgabe, den bleibenden Gewinn der Ergebnisse von KANTs Kritik der praktischen Vernunft für die Ethik festzustellen, welche das Ziel dieser Untersuchungen und im Besonderen Gegenstand des zweiten Beitrages [hier nicht aufgeführt - wp] ist, erscheint wesentlich als eine kritische. Darin liegt zugleich ihr Interesse und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Unter allen philosophischen Disziplinen werden nämlich stets die Systeme der praktischen Philosophie als die für die Anwendung im Leben wichtigsten von größter Bedeutung sein; und zumal in einer Zeit, wie die gegenwärtige, wo das handelnde Leben in den glanzvollsten patriotischen Taten die herrlichsten Triumphe gefeiert hat, werden sie die allgemeinste Teilnahme erregen. Es hat daher seinen guten Grund, wenn auch in der Philosophie die höhere Kritik, wo ihr verschiedene, gleich wichtige Fragen zu lösen übrig sind, aus ihnen zunächst solche wählt und erörtert, die geeignet sind, die Beziehung der Lehren unserer großen Philosophen zu den willensstarken Handlungen unseres Volkes in das rechte Licht zu setzen. Wird doch dadurch nicht nur unseres Volkes Eigenart sowie die Innerlichkeit und Begeisterung seiner Vaterlandsliebe in ihren letzten und tiefsten Beweggründen aufgedeckt, sondern zugleich der Philosophie der ihr höchst wichtige Dienst geleistet, daß in einer Zeit, wo bei den großen öffentlichen Tagesfragen das Interesse für jegliche Wissenschaft fast erstirbt, gerade für sie, die abstrakteste Disziplin, dennoch ein unmittelbarer Anteil der Gebildeten im Volk erregt und wach gehalten wird. So viel über die volkstümliche Bedeutung der beregten Frage. Worin aber liegt ihr kritisches Interesse? Es liegt darin, daß einerseits, wie im Allgemeinen schon aus dem in der Vorrede Ausgeführten hervorgeht, noch bis heute über den Wert der kantischen Lehre das Urteil nicht endgültig gesprochen ist, daß aber, zumal über dessen Ethik, die aus eben angeführten Gründen auch sonst immer ein besonderes Interesse gefunden hat, die Meinungen vorzugsweise geteilt sind; - während andererseits doch fast allgemein anerkannt wird, daß Niemand sich so gründlich wie KANT mit der Ethik beschäftigt hat. Zwar heban sich über die Bedeutung KANTs die verschiedenen Ansichten in neuerer Zeit mehr vereinigt, und man ist, wohl besonders in der Folge des teilweisen Scheiterns von HEGELs Lehre, der Ansicht, daß mit KANT jeder nach diesem auftretende Philosoph sich auseinandersetzen muß. KUNO FISCHER urteilt in der Schrift "Kants Leben und die Grundlage seiner Lehre", 3 Vorträge, Mannheim 1860, Seite 2 über KANT:
2) Was ist das Wahre am letzteren und welches sind die Irrtümer? philosophischen Ansicht Kants Das Bleibende und Wichtigste der gesamten kantischen Lehre gipfelt in der Tatsache, daß KANT der Entdecker des schöpferischen Apriori ist. Wir werden im Besonderen zur richtigen Beurteilung der systematischen Grundlage der Ethik nach ihrem Zusammenhang mit dem übrigen kantischen System nur dieses Moment des letzteren eingehend zu beleuchten nötig haben, und dadurch zugleich einsehen, wie KANTs "praktische" Vernunft im Wesentlichen mit der "reinen" Vernunft übereinstimmt, und wie wenig sein ganzes System durch irgendwo ausgesprochenen Tadel leidet, daß KANT sich eine Hintertür offengehalten, durch die er in die praktische Vernunft eingelassen, was er in der theoretischen verloren hat. In der zunächst folgenden historischen Entwicklung des Apriori sowie in der Darstellung ist zwar vorzugsweise die "Kritik der reinen Vernunft" benutzt, jedoch unter steter Rücksicht auf die entsprechenden Abschnitte in den "Prolegomenen zu jeder künftigen Metaphysik" (3) Historische Entwicklung des Apriori Bei jener handelt es sich aber erstens um die Umstände, durch welche veranlaßt KANT das Apriori entdeckt hat, d. h. um den ihm bewußten Zusammenhang und Gegensatz seiner Entdeckung zu anderen Lehren, sodann um den Zusammenhang dieser Lehre und um die tieferen Gründe im Gang der philosophischen Entwicklung überhaupt. Ersteres erforrdert die Darlegung der realen Genesis [Entstehungsgeschichte - wp] der kantischen Lehre in pragmatisch-historischer Weise, letztere gewinnen wir durch einen Nachweis des höheren Zusammenhangs des kantischen Systems mit anderen philosophischen Gedankenbewegungen auf kultur-historischem Weg. Jene ist bereits bei BONA-MEYER gegeben; und indem ich auch ihn(a. a. O., Seite 123-140) im Übrigen hier verweise, begnüge ich mich mit der Aufführung der Hauptpunkte. Dort heißt es im Besonderen (Seite 130), um zunächst über die äußere Veranlassung der Entdeckung des Apriori zu reden:
Für diese Tendenz hat aber BONA-MEYER in den angeführten Worten nach meiner Ansicht einen sehr präzisen und treffenden Ausdruck gefunden, und ich will nur noch durch den Hinweis auf einige andere Stellen bei KANT diese Behauptung bestätigen und zugleich den Sinn dieser Tendenz erläutern. Letztere geht bei KANT nach den obigen Worten erstens auf eine Übereinstimmung mit HUME und dann auf eine selbständige Entwicklung dessen, worin diese Übereinstimmung liegt. Daß dadurch zugleich aber auch ein Gegensatz zu HUME herausgebildet wird, ist aus den Worten BONA-MEYERs nicht deutlich. Demselben kam es ja auch an jener Stelle nicht sowohl auf diesen historischen Anlaß als auf den induktiven Weg der Entdeckung des Apriori an (a. a. 0., Seite 129), den zu erweisen jener Anlaß ein Mittel war. Dieser, der mir Hauptsache ist, war für BONA-MEYER Nebensache. Trotzdem liegt der Gegensatz in obigen Worten schon klar ausgesprochen, wenn er auch nicht gerade als Gegensatz zu HUME bezeichnet ist. Nachdem nämlich die Übereinstimmung mit diesem in den Worten bezeichnet ist, daß "der Kausalbegriff nicht aus der Erfahrung genommen werden kann", so wird nachher ein Dilemma gefolgert in den Worten: "Der Kausalbegriff mußte entweder gar nicht in der Erfahrung vorkommen oder aus unserem eigenen Kopf stammen." Das Letztere folgerte KANT, und so entstand, wie nachher bei BONA-MEYER auch wesentlich richtig entwickelt wird, KANTs Apriori. Das Erstere aber schloß HUME, und so entstand dessen Skeptizismus was bei BONA-MEYER nicht ausdrücklich erwähnt wird. Weniger klar ist die Darstellung des Verhältnisses von KANT zu HUME bei COHEN (a. a. O., Seite 3) Es könnte danach seinen, als sei der Umstand, daß HUME "die Kausalität als apriorische Form widerlegt hat", Anlaß zu seinem Zweifel an der Objektivität derselben geworden. Es war aber vielmehr das Unvermögen, die Notwendigkeit apriorischer Begriffe anzuerkennen, und die Einsicht, daß wenn der Begriff der Kausalität andernfalls empirisch sein muß, er sich vollends in den einer bloß zufälligen Gewöhnung auflöst, welche HUMEs Skeptizismus hervorgerufen hat. Nur scheinbar also hatte derselbe die Apriorität des Kausalbegriffs widerlegt; nur dadurch, daß er die Notwendigkeit apriorischer Formen nicht begriffen hat und sich darüber zu keiner richtigen Vorstellung vom Wesen des wahrhaften Apriori zu erheben vermochte, ging letzteres ihm gänzlich verloren. KANT gibt diesen Zusammenhang und Gegensatz zu HUME an verschiedenen Stellen an, von denen ich die wichtigsten erwähnen will. Es sind folgende: "Prolegomena zu jeder künftigen Metaphysik", Werke III, Seite 169-173; ebenda Seite 229-33 und Seite 285-88. Die erst gedachte Stelle weist zurück auf die Kr. d. r. V., Werke II. Man vergleiche besonders Seite 49, 125, 126. Am ausführlichsten aber geht das Verhältnis KANTs zu HUME aus der an diesen geknüpften Kritik des Skeptizismus überhaupt hervor, die KANT in der Kr. d. r. V. im Abschnitt "Von der Unmöglichkeit einer skeptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft" in der "Methodenlehre", 1. Hauptstück, Abschnitt II, Seite 569-77 gibt. Auch aus anderen Schriften KANTs würde dasselbe zu ersehen sein, z. B. aus der Schrift "Über die Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz etc." nach KANTs Werken III, Seite 421. Dieses Ergebnis ist aber somit Folgendes: Der Apriorismus hat sogar schon seinem Anlaß nach, d. h. seiner Tendenz nach, zwei wesentliche Seiten: die eine, die ihm mit dem Skeptizismus gemein ist, können wir als die antidogmatische, die andere, die ihn über den letzten zu einem positiven Resultat erhebt, als die idealistische bezeichnen. Durch diese beiden Seiten hängt der Apriorismus KANTs mit der Vergangenheit zusammen, durch jene, wie gezeigt, mit HUME, durch diese mit dem Platonismus. Die Verbindung beider ist der nächste Unterschied der Lehre KANTs von den früheren. Die idealistische Seite aber führt uns zugleich in die tiefer liegenen Keime der kantischen Philosophie. Denn man kann sagen: Wenn der Skeptizismus Humes Kant den dogmatischen Schlummer unterbrach und ihn aufweckte, so hat der Platonismus ihn wach gehalten und zu seiner große philosophischen Tat befähigt. Doch bevor ich dieses ausführe und auf den kultur-historischen Zusammenhang der kantischen Lehre eingehe, muß ich noch bemerken, daß das Wesen des Apriorismus nicht erschöpft ist durch die genannten beiden Seiten des Antidogmatismus und des Idealismus, durch welche KANT mit der Vergangenheit zusammenhängt, sondern daß der Apriorismus über jede dieser Seiten noch hinausführt, durch zwei neue Merkmale, die des Kritizismus und des Transzendentalismus. Nur wer die Bedeutung und das Verhältnis dieser vier Seiten der kantischen Philosophie zueinander sowie ihren Zusammenhang und Gegensatz hinsichtlich der Vergangenheit und Zukunft richtig begriffen oder zu begreifen sich bemüht hat, darf behaupten, KANT verstanden zu haben oder seinem Verständnis nahe getreten zu sein. Liegt doch in der kritischen und transzendentalen Seite das Eigentümliche und Positive, wodurch der Antidogmatismus und Idealismus KANTs ihren neuen Inhalt empfangen, liegt doch in ihnen die eigentümliche und bleibende Bedeutung des Apriorismus, durch welche dessen Wesen sich vollendet. Vorläufig begnügen wir uns mit diesen Bemerkungen, da wir hier, wo sich die Charakteristik der kantischen Philosophie im Gegensatz zur Vergangenheit von selbst ergeben hat, zugleich deren Eigenart und Tendenz auch im Übrigen wenigstens vollständig andeuten wollten. Der ausreichende Beweis für die beiden letzten Momente wird sich eben wegen ihres positiven Charakters erst aus der Darstellung des Inhalts des Apriori selbst ergeben. Apriori mit früheren Lehren oder "Kants Platonismus" Als nächste Aufgabe bleibt mir hier zu zeigen, daß die idealistische Seite, durch welche KANT in einen Gegensatz zu HUME tritt, nicht nur in jenem selbst lag, sondern schon im Gang der gesamten vorangegangenen historischen Entwicklung und speziell im Platonismus vielfache Anregung gehabt hatte. Ich sage: im Gang der gesamten historischen Entwicklung. Der Platonismus hatte nicht die direkte Gewalt, KANTs Schlummer zu unterbrechen. Dies tat, wie gezeigt, HUMEs Skeptizismus. Aber er hatte doch die Macht, KANT nicht schlechthin den Skeptizismus annehmen zu lassen. Der Grund dieser verschiedenen Macht der Einwirkung beider Richtungen auf KANT, d. h. der äußere Grund dieser verschiedenen Einwirkung, liegt auf der Hand und ist sehr einfach, denn er ist eben nur einer der Zeit. Der Platonismus war eine längst überkommene, der Skeptizismus eine sich eben aufs Neue Bahn brechende Lehre. Was nun aber die innere Bedeutung des Platonismus für KANT betrifft, so geht schon aus dem bisher Dargestellten hervor, daß auch der Platonismus, selbst im Gegensatz zum Skeptizismus, nicht schlechthin KANT befriedigen konnte, sondern nur insofern, als er eben der skeptischen Richtung, nicht insofern, als er der dieser zugrunde liegenden, auch von KANT anerkannten antidogmatischen Seite der Lehre HUMEs entgegengesetzt ist. Hier wäre nun der Beweis zu führen, daß PLATON in KANTs Sinn Dogmatiker war. Nun ist nach KANT Dogmatismus
Daß dies wirklich der Fall ist, bedarf freilich einer besonderen Untersuchung und umso mehr, als diese Aufgabe von Anderen, so viel mir bekannt ist, bisher in keiner Weise befriedigend gelöst ist. Eben deshalb müßte dieselbe aber auch eine solche Ausdehnung haben, daß ich sie hier nicht anstellen kann. Doch zweifeln wir nicht, daß eine eingehende Beleuchtung des Verhältnisses der Ideenlehre PLATONs zu KANT, besonders aufgrund der "transzendentalen Dialektik" in der Kr. d. r. V. zu meiner Ansicht hinführen muß. Für die Verwandtschaft PLATONs mit KANT ist in Sonderheit auf Seite 289 und 294 an jener Stelle zu verweisen und zu betonen, daß selbst ARISTOTELES nicht zu derselben Höhe der metaphysischen Anschauung gelangt war wie PLATON und daher nicht in gleicher Weise wie dieser KANT zu seinem Idealismus anregen und in demselben befestigen konnte. Andererseits aber wird sich aus der Einschränkung der Anwendung der Ideen "auf einen regulativen Gebrauch" bei KANT Folgendes für des letzteren Verhältnis zu PLATON ergeben. Gemeinsam ist den Ideen beider, daß sie sich nicht auf die Erfahrung beziehen, gemeinsam auch, daß sie reale Bedeutung für etwas, das gänzlich (nach Ursprung und Anwendung) außerhalb der Erfahrung liegt, in Anspruch nehmen. Der Unterschied aber besteht darin, daß PLATON spekulative Erkenntnis jenseits der Erfahrung für möglich hält, KANT solche leugnet, und nur einen regulativen Gebrauch von inhaltlich logischer Art, die Vollständigkeit der Erfahrungserkenntnis nach drei Richtungen zu sichern, anerkennt. Also ist KANT in der Tat nur so weit Platoniker, als er nicht Skeptiker ist, folglich nicht in der Art, daß er in den Dogmatismus zurückfallen würde. - Im Allgemeinen wird der Einfluß PLATONs auf KANT auch wohl von Anderen anerkannt, jedoch das Bleibende dieses Einflusses durch die Überschätzung des ARISTOTELES verkleinert. Die Lehre des letzteren ist nicht in dem Maße, wie oft die Gegenwart glaubt, eine Verbesserung von PLATONs Ideen, sondern vielmehr eine Ergänzung derselben, eine Anwendung, Erweiterung und Füllung der Ideen durch methodisch beobachtete empirische Tatsachen. Trotzdem äußerte selbst TRENDELENBURG, der ARISTOTELES über Alle erhebt, in den "Vorlesungen über die philosophischen Systeme seit Kant": "Das Apriorische hat bei Kant stets eine Verwandtschaft mit dem Platonismus", und er konnte in den "Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie" nicht umhin, als er auf SPINOZAs Lehre zu sprechen kam, von den vor diesem herrschend gewsenen Hauptrichtungen die ideale auch in ihrer bleibenden Bedeutung nicht nach ARISTOTELES, sondern nach PLATON zu bezeichnen und eben "Platonismus" zu nennen. Warum aber war gerade PLATON am meisten imstande, das Gegengewicht gegen HUMEs Skeptizismus zu halten? Hier sind zwei Fälle möglich. Entweder war die platonische Richtung der Philosophie gerade zu KANTs Zeiten zu neuem Ansehen gelangt, und es begreift sich dann die Gewalt ihrer Einwirkung auf KANT aus der Unmittelbarkeit des zeitlichen Einflusses, wie dies vom Verhältnis von HUMEs Skeptizismus zu KANT gegolten hat; oder es lag im Wesen der platonischen Philosophie selbst, daß garde sie trotz mancher wesentlicher Mängel doch eben die Momente enthalten hat, die zu der unbefriedigenden skeptischen Seite der Lehre HUMEs den kräftigsten Gegensatz gebildet und begründet hat. - Schon ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der Philosophie der damaligen Zeit genügt zum Beweis, daß das Erstere nicht der Fall war. Denn neben der Richtung HUMEs herrschte zu KANTs Jugendzeiten in Frankreich die Aufklärungsphilosophie eines VOLTAIRE, ROUSSEAU und der Enzyklopädisten, welche nur eine Anwendung jener skeptischen oder der ihr in gewissem Sinn - nämlich in der Theorie der Erkenntnis durch den Gegensatz zum idealen Dogmatismus - verwandten empirischen Richtung LOCKEs auf dem Gebiet der Religion und Politik war. Hier also war schon wegen der Beziehung zu HUME keine Aufnahme platonischer Ansichten möglich. Andererseits reagierte zu gleicher Zeit in Deutschland gegen jene Richtungen die Philosophie von LEIBNIZ und WOLFF. Auch diese hat aber geringe Berührung mit PLATON, ja sie steht diesem, trotz ihrer intellektuellen Seite, durch den in ihr herrschenden Monismus, durch die positive Annahme eines erkennbaren gemeinsamen Quells des Seelischen und Physischen in der Monade und durch die damit verbundene Vergeistigung der Materie schroff gegenüber. Hiermit stimmt auch das Ergebnis einer schlichten, aber sehr fleißigen und verständigen Inaugural-Dissertation von ARTHUR REINHARDT, Jena 1873. Dieselbe schließt Seite 25 mit folgenden Worten:
Wenn also PLATON in den der kantischen Philosophie unmittelbar vorangehenden Richtungen keine Aufnahme und Anerkennung gefunden hat, so kann diese ihm durch KANT nur wegen innerer Verwandtschaft, die seine Lehre mit dem hatte, was dem Skeptizismus gegenüber Not tut, gefunden werden. Daß eine solche Verwandtschaft vorhanden ist, geht schon aus dem oben erörterten Verhältnis KANTs zu PLATON hervor; dennoch könnte man sagen, daß es vielleicht viel mehr an KANT liegt, gerade diese Momente bei PLATON hervorgehoben zu haben, als daß sie in des letzteren Philosphie von selbst hervortreten. Dem ist aber nicht so. Vielmehr halte ich es für wichtig, darauf aufmerksam zu machen, daß in KANT aufs Neue der Platonismus dem Skeptizismus des HUME so gegenüber getreten ist, wie er einst derselben Richtung der Sophisten gegenüber eine gleiche Mission erfüllt und sich als siegreicher Widersacher des Skeptizismus bewährt hatte. Es ist also nicht Zufälliges noch etwas nur in KANTs Eigentümlichkeit Begründetes, daß er gerade durch den Platonismus gegen HUME reagierte, sondern es zeigt sich darin ein notwendiges Gesetz historischer Entwicklung auf dem Gebiet der Philosophie. Die Begründung dieser, hier zum Teil nur a priori hingestellten Behauptung, beruth auf der Tatsache, daß besonders in der griechischen Philosophie der Idealismus, erst als er in PLATON seinen Gipfel erreicht hatte, den Skeptizismus vollkommen zu besiegen vermochte. Wie er aber damals in PLATON selbst den Sophisten gegenüber getreten ist, so griff man auch später in ähnlichen Fällen zu dessen Lehre zurück. Denn als es bei Juden und bei Heiden galt, dem im Paulinismus immer mehr an Boden gewinnenden Christentum gegenüber Stellung zu nehmen, so suchte bei jenen PHILO die alten mosaischen Anschauungen zu vertiefen, während PLOTIN bei diesen in einer eigentümlichen Umgestaltung der platonischen Philosophie eine neue Lehre geboten hat, die den Mangel der antiken religiösen Anschauung ersetzen und dadurch das Heidentum verinnerlichen sollte. Wie aber die Christen durch die Lehre ihres Meisters, der zugleich der Meister der ganzen Menschheit ist, so suchte auch sowohl die jüdisch-alexandrinische als auch die griechisch-römische Welt auf solche Weise der damaligen Zersetzung und Revolution der Ansichten entgegen zu treten. Bei diesen kurzen Bemerkungen bin ich den Darstellungen ZELLERs in seinem berühmten Werk "Die Philosophie der Griechen" sowie ÜBERWEGs erwähnten Grundriß, Teil 1 gefolgt, hinsichtlich der Hervorhebung PLATONs aber in dem angegebenen Sinn der Auffassung BÖCKHs. Dieselbe hat ERNST BRATUSCHECK in seinem Aufsatz "August Böckh als Platoniker" in den Philosophischen Monatsheften, Bd. 1, Heft 4 und 5, Seite 257-349 mitgeteilt. (Vgl. auch BRATUSCHECK "Die Bedeutung der platonischen Philosophie für die religiösen Fragen der Gegenwart" im Michaelis-Programm der Berliner Louisenschule 1873. Auf diese Art ließe sich im Altertum und auf ähnliche im Mittelalter, besonders aber in der Neuzeit zeigen, daß der Platonismus stets vornehmlich geeignet war, gegen auflösende Ansichten ein Heilmittel zu bieten und daß überhaupt, zumal aber in der Neuzeit, eine analoge Gedankenbewegung stattfindet wie im Altertum, nur immer in höherer Potenz wiederkehrend. Hier jedoch erlaubt weder Zeit noch Raum, dieses Untersuchung durchzuführen. Nachdem wir auf solche Weise die Tendenz des Apriorismus unserem Zweck gemäß entwickelt haben, kommen wir zur Darstellung seines Inhalts. Doch ehe ich zu dieser übergehe, muß ich noch auf einen Punkt zurückkommen, den ich in diesem Abschnitt über KANTs Platonismus berührt habe. Ich mußte nämlich oben vom Verhältnis KANTs zu LEIBNIZ sprechen. Dies nötigt mich aber auch dessen zu gedenken, was über dasselbe HERMANN COHEN des Weiteren ausgeführt hat. Denn ich kann die Meinung desselben nur zum Teil billigen. Da dieselbe aber auf Voraussetzungen beruth, die in verschiedenen wesentlichen Punkten mir entgegengesetzte Auffassungen KANTs hervorgerufen haben, so scheint es nicht ungeeignet, den gedachten prinzipiellen Irrtum COHENs an dieser Stelle in einem besonderen Exkurs zu beleuchten. Ich erhalte dadurch Gelegenheit, meine in vielen Beziehungen von COHEN abweichende Darstellung KANTs wenigstens von einer Seite her durch eine Kritik des jenem anderen Ausleger selbst eigentümlichen Standpunktes zu begründen und zu schützen, während eine ausführliche Beurteilung von "Kants Theorie der Erfahrung" und selbst nur des Verhältnisses, in welchem dieselbe zu meinen hier unternommenen Untersuchungen steht, einer besonderen Abhandlung vorbehalten bleiben muß. "Kants Theorie der Erfahrung" von Hermann Cohen 1. HERMANN COHEN behauptet in der vorgedachten Schrift über das Verhältnis von KANT zu Leibniz hinsichtlich des Problems von den angeborenen Ideen, daß jener dies überwunden hat (a. a. O., Seite 3). Dies ist aber nicht richtig oder wenigstens nicht in dem von COHEN behaupteten Sinn. KANT hat nicht das Problem von den angeborenen Ideen überwunden, sondern nur den Gegensatz von "angeboren" und "erworben" in Bezug auf das Apriori und also auch in Bezug auf das an dasselbe geknüpfte metaphysische Problem. COHEN jedoch will die apriorischen Formen als "erworben" angesehen wissen. Vor KANT "war die Philosophie seit mehr als einem Jahrhundert mit der Frage beschäftigt, ob unsere Vorstellungen angeboren oder erworben sind." Mit dieser Erzählung beginnt COHEN seine in Rede stehende Schrift (Seite 1). "Diese Frage scheint nur den Ursprung unseres Wissens zu betreffen; aber sie zielt auch auf die Geltung desselben." Letztere Worte COHENs, die KANTs Ansicht geben sollen, entsprechen dieser aber nicht. Oder ist nicht, wie wir sehen werden, das Apriori von aller Erfahrung unabhängig, also auch von jeder endlichen Entstehungsweise, gleichviel, ob letztere das Angeboren- oder Erworben-Werden betrifft? Somit ist in dem zuletzt angeführten Satz COHENs zwar wohl das richtig, daß der "Ursprung" des Wissens eine notwendige Beziehung zu dessen Geltung hat, aber falsch ist, daß dieser Ursprung mit der Frage, ob angeboren oder erworben in Zusammenhang gebracht wird. Nach KANT ist der Ursprung, als der absolute, von jeder endlichen Entstehungsweise unabhängige Quelle unseres Erkennens, vermöge seiner apriorischen Natur über jenen Gegensatz erhaben und vom zeitlichen "Anfang", der in der Erfahrung liegt, vollständig verschieden. Hätte KANT den letzteren ergründen wollen, so ist nach einer Stelle, die ich alsbald anführen werde, wohl wahrscheinlich, daß er sich für die Entstehung jedes individuellen seelischen Besitzes durch Erwerbung entschieden haben würde. Hinsichtlich des metaphysischen Ursprungs aber ist für die Erkenntnis nicht das Dilemma, ob "angeboren" oder "erworben", sondern ob "apriori" oder "erworben" vorhanden und für das Erstere entscheidet sich KANT in der Weise, daß er es mit dem anderen für unverträglich hält. Denn es heißt "Kritik der reinen Vernunft", Werke II, Seite 151:
Also ist kein "Schwanken" bei KANT vorhanden, wie COHEN Seite 103 annimmt. Obgleich nämlich die oben angeführte Schrift von EBERHARD später ist als sogar die zweite Ausgabe der Kr. d. r. V., soll sich doch in der transzendentalen Logik der letzteren erst das Apriori nach COHEN (Seite 104) so "vertieft" haben, daß so ein Schwanken, wie in jener späteren Schrift an EBERHARD, nicht mehr möglich war. Es ist aber auch in letzterer, wie oben gezeigt, durchaus kein Schwanken, sondern KANT hat in ihr gerade wie in der Kr. d. r. V. das Apriori über die Disjunktion [Unterscheidung - wp]: ob angeboren (nämlich im gewöhnlichen Sinn) oder erworben, hinweggehoben. 2. COHEN aber kommt über die Disjunktion: "angeboren oder erworben?" (siehe a. a. O., Seite 87) nicht hinweg und da ihm die: ob apriori oder erwerben? entgeht, so bleibt nur letztere Entstehungsweise für sein Apriori übrig. So geschieht es, daß dieser erste Grundirrtum noch diesen zweiten erzeugt, die apriorischen Formen als psychologische Prozesse zu fassen. Denn ist das Apriori erworben, so muß auch die Art des Erwerbes sich bestimmen lassen und so entsteht bei dieser Ansicht ganz folgerecht die Aufgabe: "die kantischen Kategorien im psychologischen Prozeß, wie es Seite 39 bei COHEN heißt, oder "die apriorischen Formen in psychologischen Prozessen aufzulösen", wie er sich Seite 162 ausdrückt. Wie aber eine derartige Absicht mit KANTs Apriori vereinbar sein soll, ist freilich schon nach dem oben ad 1 Gesagten unerfindlich. Und doch macht COHEN mit seiner Absicht vollkommen Ernst; denn nachdem er Seite 40f zeigt, daß KANTs Formen (nämlich Raum und Zeit) nicht fertige Organe sind, behauptet er Seite 46, sie seien "Akte", d. h. er will dargetan haben, daß dieselben für psychologische Prozesse gelten müssen, KANTs Lehre sich also mit der HERBARTs in Übereinstimmung bringen läßt. Ich habe aber bereits angedeutet - und meine Darstellung von KANTs Lehre wird es im Einzelnen bestätigen -, weshalb das Apriori als solches über den Gegensatz von angeboren und erworben erhaben ist; dasselbe muß demgemäß auch von jeder individuellen Entstehungsart, welche an die Endlichkeit und deren Bedingungen, wie es auch vom zeitlichen und seelischen Akt gilt, sich knüpft, durchaus unabhängig sein und spottet somit auch jeder Auflösung in psychologische Vorgänge. Bei diesem irrigen Standpunkt COHENs erscheint die Mühe, die er sichSeite 88 gibt, HERBART der Verwechslung des psychologisch Anfänglichen mit dem metaphysisch Ursprünglichen zu bezichtigen, fast überflüssig. Denn so gelungen dieser Nachweis auch ist, hat er für seinen Verfasser doch nur den Wert, HERBART einen historischen, nicht einen absoluten Irrtum nachgewiesen zu haben. Hält ja mit HERBART auch COHEN es für die Aufgabe der Gegenwart, die Kategorien im psychologischen Prozeß aufzulösen, nur KANTs Aufgabe soll das nicht gewesen sein. Ich habe aber angedeutet, ja der Hauptsache nach soeben dargelegt, - und aus meiner Darstellung des Apriori wird es noch genauer einleuchten -, daß KANTs Apriori überhaupt mit psychologischen Prozessen nichts zu schaffen hat und da das Apriori Fundament der Metaphysik ist, so sind auch von dieser jene psychologischen Vorgänge bei ihm ausgeschlossen. Wer daher Kant anerkennt, für den ist zugleich Herbart widerlegt und jeder Versuch, der es unternimmt, metaphysische Probleme auf psychologischem Weg zu erledigen. An diesem Irrtum krankt bei COHEN der ganze Abschnitt III "der Raum als Form des äußeren Sinnes" und die folgenden, sofern sie dessen konsequenzen sind. 3. In eben diesem war auch derselbe Irrtum COHENs, wie schon erwähnt, Anlaß geworden, den Begriff apriorischer Form unrichtig zu fassen. Dieselbe ist keine bloße Abstraktion, wie COHEN will, wenn er Seite 83-84 sagt: "Die apriorische Form wird sich ganz und gar als wissenschaftliche Abstraktion bekennen." Vielmehr ist das Apriori, wie wir noch genugsam sehen werden, ein Reales im Geist ein stets vorhandenes, von allem endlichen Wechsel unberührtes, Reales; nicht bloß ein abstrakter, sondern ein, wenngleich seinem Ursprung nach subjektiver, d. h. ganz innerlicher, doch ein Besitz eines Wirklichen im Geiste. Raum und Zeit sowie die Kategorien waren aber als apriorische Formen der Anschauung, bzw. des Verstandes auch nicht bloße Akte und sie sind nach dem eben Gezeigten subjektiv real, ebe sie in Erkenntnisakten hervortreten. Freilich sind sie keine "Organe" oder "leere Gefäße", aber ebensowenig erst mit dem Erkennen, erst auf individuelle Weise entstehende Akte, sondern absolute apriorische Grundformen, von welchen jene Akte selber notwendig bestimmt werden. - Der Ausdruck "Form" trifft für diese apriorischen Momente nur wegen ihrer Inhaltslosigkeit zu und ist deswegen sogar unersetzlich, sonst aber hat er mit keiner Form im endlichen Sinn, mit keiner Gestalt irgendetwas gemein. - Daher leistet formal bei KANT das Apriori allerdings das, was COHEN Seite 2 dem Apriori des LEIBNIZ ganz abspricht. Denn es macht klar, daß wir mit unserem Denken die Realität der Dinge zum Teil, sofern sie als Erscheinungen notwendig formal bestimmt sind, erfassen können. Diese Bestimmung erzeugt eben das Apriori und erschließt sie uns wieder. Nicht bloß "was wir in die Dinge legen", wie COHEN oft äußert, sondern was wir durch das auch in uns offenbarte Apriori in sie gelegt finden, das erkennen wir. Nur muß unser Auge erst sonnenhaft geworden sein und das Licht in seinem lauteren Glanz ertragen gelernt haben. Wenn COHEN die ad 2 und 3 dieses Exkurses gerügten Irrtümer nicht aufgibt, so verfällt er demnach selber in den an BONA-MEYER von ihm Seite 123 getadelten Fehler, denn auch von ihm "wäre die Disziplin der Metaphysik überhaupt in die der Psychologie aufgelöst." Auch geht es schon nach meinen bisherigen Auseinandersetzungen nicht an, mit COHEN (Seite 125) die Ansicht BONA-MEYERs abzulehnen, daß die transzendentale Logik als die metaphysische Vorarbeit von der allgemeinen reinen Logik von KANT ausgeschieden ist. 4. Daß COHEN das Apriori, obgleich es allem Empirischen seinem Ursprung und Wesen nach entgegengesetzt sein soll, durch die Auflösung der Anschauungsformen und Kategorien in psychologische Prozesse, denn doch empirisch, nur auf eine zum Teil neue Weise, verflachen will, ist aber eine Folge des Mißverstehens der von KANT durchgeführten Gesamtleistung. Aus dieser, sofort darzulegenden Täuschung, hat sich dann weiter eine falsche Auffassung der transzendentalen und zum Teil auch der übrigen von uns bezeichneten Seiten des Apriori ergeben sowie des Verhältnisses, in welchem die beiden Hauptteile, in die die Elementarlehre der Kr. d. r. V. zerfällt, die transzendentale Ästhetik und Logik stehen. Jene Mißdeutung der gesamten Aufgabe und des Zieles von KANTs Philosophie tritt aber sogleich in er Einleitung von COHENs Werk hervor und ist in folgenden Worten auf Seite 3 daselbst enthalten: "Die Kritik der reinen Vernunft ist Kritik der Erfahrung." Wer den Zusammenhang, in welchen diese Worte stehen, nicht kennt, dürfte schier erschrecken, das Ziel des epochemachendsten von KANTs Werken derartig beschränkt zu finden. Doch sehen wir COHENs Begründung an! Die Sätze, die auf eben jener Seite dem angeführten vorgehen, lauten:
"In diesem Satz wird die Erfahrung [sic!] als ein Rätsel aufgegeben." Sollte letzteres wirklich der Fall sein? Wenigstens in jener ersten kantischen Prämisse: "daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel", - in der also, meine ich, ist die Erfahrung durchaus nichts Rätselhaftes, sondern ein bekannter, ja zweifelloser Anfang. Vielleicht aber liegt das Rätselhafte derselben im anderen der zitierten kantischen Sätze.
So unrichtig COHENs Deutung des Anfangs der Kr. d. r. V. nach dem grammatischen und logischen Zusammenhang ist, ebenso unrichtig ist sie aber auch sachlich. Nicht nur, weil fast nirgendwo die Untersuchung auf das Wesen oder gar auf eine Analyse der Erfahrung gerichtet ist, sondern weil auch nicht einmal die Erforschung unseres Erkenntnisvermögens auf die Beziehung zu derselben beschränkt ist; denn abgesehen von anderen, später hervorzuhebenden Gründen, beschäftigt selbst in der Kr. d. r. V. die ganze transzendentale Dialektik sich mit Objekten, die außerhalb aller Erfahrung liegen und gar erst die Kritik der praktischen Vernunft will nicht einmal eine Beziehung zur Erfahrung dulden, was freilich ein Mangel KANTs ist, der aber von anderen übertrieben und zuerst von BONA-MEYER auf sein richtiges Maß zurückgeführt ist. Man sieht, es ist in jeder Beziehung unmöglich, den Inhalt und das Verdienst der kantischen Philosophie mit COHEN dahin einzuschränken, daß man sagt: "Kant hat einen neuen Begriff der Erfahrung entdeckt" oder auch nur von der Kr. d. r. V. zu behaupten, daß sie eine "Kritik der Erfahrung" ist. Am Fehler dieses Satzes kranken aber auch die Folgerungen. Wenn daher COHEN den kantischen Satz: "Der Raum ist kein empirischer Begriff, welcher von äußeren Erfahrungen abgezogen" (Seite 7) dahin erläutert:
Bei seiner Stellung wird nicht der subjektive Anfang, sondern der objektive Ursprung an Erfahrung gebunden im Widerspruch mit dem von KANT aus jenem Satz Gefolgerten und "alle unsere Erkenntnis" zu "jeder Erkenntnis" gemacht, so daß auch der Fortgang derselben an Erfahrung geknüpft wäre, statt daß sie nur "die gesamte Erkenntnis jedes Menschen", das Ganze derselben, die "Erkenntnis überhaupt" bedeutet. Indem COHEN aber "alle" auf den Inhalt bezieht, folgert er "In den Relationen der Zeit geht alle Erkenntnis vor sich", während nach KANT dies nur von aller empirischen Erkenntnis gelten kann und, wenn das "alle" objektiv zu nehmen wäre, in KANTs Sinn gesagt sein müßte: "jede endliche Erkenntnis fängt mit der Erfahrung an." Dies ist aber erst Ergebnis und konnte nicht Anfang der Kr. d. r. V. sein. Bei COHEN aber ist die Erfahrung nicht bloß das A sondern auch das O aller Erkenntnis. Nur jenes ist sie, wenigstens hinsichtlich der theoretischen Erkenntnis, und bleibt daher als das Bekannte fast gänzlich außerhalb der Untersuchung stehen, sodaß KANT fast mit Mühe zu ihr zurückkehrt. Wenn daher COHEN Seite 8 sogar so weit geht, nur in der Erfahrung das Apriorische, statt jene zum Teil in diesem, enthalten sein zu lassen, so wird KANTs Lehre in ihr gerades Gegenteil verkehrt, und man sieht, daß selbst dieser Verehrer KANTs, auch wenn er wie HERBART KANT berichtigen will, doch in der größeren Anhänglichkeit an des ersteren System, den letzteren nach jenem auslegt. Was heißt es denn anderes, als KANT mit seiner ganzen Philosophie zum "Bearbeiter eines Begriffs" machen, wenn COHEN nach Obigem soweit vom Sinn der kantischen Philosophie abirrt, daß er deren ganzes Ziel und Verdienst in den Worten zusammenfaßt: "Kant hat einen neuen Begriff der Erfahrung entdeckt", d. h., um mit HERBART zu reden: "Kant hat den Begriff der Erfahrung neu bearbeitet." - - 5. Weil aber bei COHEN das Apriori wesentlich als transzendentales Apriori gefaßt wird, so hat zunächst für diese Seite desselben sein Irrtum hinsichtlich des Zieles und der Aufgabe der Kritiken weitere Folgen gehabt. Dies zeigt sich besonders in fünf Beziehungen. a) Nach COHEN soll das Apriori als transzendentales die Erfahrung nicht bestimmen, sondern "konstruieren" (Seite 28). Wir werden aber sehen, daß nur Ersteres nach KANT der Fall ist, höchstens die notwendige und allgemeine Erkenntnis der Erfahrung wird durch das Apriori konstruiert. Daher bleibt das Apriori auch im Transzendentalen nur formal, und es ist b) ein weiterer Fehler hinsichtlich der Auffassung des Transzendentalen, wenn dies nach Seite 35-36 bei COHEN das "Komplement" sein soll, durch welches der Begriff des Apriori erst seinen Inhalt empfängt. Das Transzendentale betrifft nur die Anwendung des Apriori, nämlich dessen Beziehung zur Erfahrung. Es geht freilich "auf die Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese apriori möglich sein soll", wie COHEN mit KANTs Worten sagt. Was aber ist denn nach diesen Worten das apriori? Doch wohl die Erkenntnisart, nicht die Gegenstände. Also gibt das Transzendentale nur einen neuen Begriff der Erkenntnis, nicht des Apriori, nur eine Seite des letzteren enthält es, einen Gesichtspunkt, unter dem es sich häufig und notwendig geltend macht. Der Inhalt des Apriori ist schon durch die Kriterien des Notwendigen und zugleich streng Allgemeinen in seinem spezifischen Wesen erkannt und bestimmt, da jene Kriterien nicht bloß "äußere Wertzeichen" sind, wie COHEN Seite 10 annimmt, indem er zugleich die ideale Seite des Apriori verkennt. Nicht das Apriori, sondern die objektive Erkenntnis des Endlichen gewinnt also erst seinen Inhalt durch die transzendentale Beziehung auf Erfahrung. Diese, als solche, kann gar nicht apriori sein, wenn sich ihre objektive Erkenntnis auch nur durch apriorische Bestimmung ermöglichen läßt. c) Somit ist es ein dritter Irrtum in transzendentaler Beziehung, wenn COHEN gemäß den Ausführungen im Abschnitt IV, "Transzendentale Erörterung von Raum und Zeit", besonders Seite 62-63, der Ansicht ist, daß das "Transzendentale" in der transzendentalen Ästhetik und Logik verschiedene Bedeutung hat, weil in jener "immer noch der methodische formale Begriff genügt." Denn der Begriff des Transzendentalen ist stets bloß formal, da er die Beziehung des Apriori auf Erfahrung und der letzteren Bestimmung durch jenes bedeutet. Nun hat aber nach KANT die Erfahrung ihren eigenen empirischen, nicht apriorischen Inhalt, also kann nicht dieses inhaltliche Moment der Erfahrung, sondern nur deren Form, sofern diese notwendig und allgemein ist, in transzendentaler Erkenntnis apriori bestimmt sein. So unrichtig daher COHEN Seite 91 behauptet: "Das Apriori ist nur in der Form begreiflich", so richtig hätte er sagen können: das "transzendentale Apriori ist nur in der Form begreiflich". Also kann auch nicht erst in der transzendentalen Logik das Apriori Inhalt gewinnen, sondern dies könnte nach dem oben Gesagten in gewissem Sinn höchstens die Erkenntnis. Aber auch diese empfängt schon durch die Anschauung, d. h. nach Regeln der transzendentalen Ästhetik, ihren Inhalt, nur auf andere Weise als durch den Verstand. Der Unterschied zwischen transzendentaler Ästhetik und Logik liegt also weder im Transzendentalen selber noch im Inhalt der Erkenntnis - dies beides scheint nämlich die Ansicht COHENs zu sein -, sondern er beruth auf dem Unterschied von Anschauung und Verstand und ist nur eine Anwendung dieses Gegensatzes auf den Begriff des Transzendentalen. Die transzendentale Ästhetik lehrt, wie die apriorischen Formen der Anschauung oder Rezeptivität, die transzendentale Logik, wie die des Verstandes oder der Spontaneität auf Erfahrung bezogen werden und diese notwendig bestimmen. d) Indem ich mich hiermit zum Nachweis eines vierten Irrtums, der das Transzendentale angeht, wende, bemerke ich zunächst, daß nach COHEN (Seite 104) sich erst in der Logik das Apriori "vertieft". Nun waren aber nach KANT die reinen Anschauungen vom Empirischen gerade so unabhängig wie die Kategorien, sodaß es keiner Vertiefung durch diese für das Apriori mehr bedarf. Un in der Tat wird in der Logik mittels der Vervollständigung der transzendentalen Beziehung nicht die Vertiefung, sondern höchstens die Einschränkung des formalen Apriori, nämlich auf empirischen Inhalt, gesteigert und immer klarer. Also sollte es nicht (Seite 104) heißen: "In dieser vertieften Bedeutung des Apriori wird dasselbe zugleich erweitert", sondern: "In dieser erweiterten transzendentalen Deduktion wird das Apriori zugleich eingeschränkt." Worauf? Auf Erfahrung. COHEN hingegen ließ es sich vertiefen und zwar "zur formalen Bedingung der Erfahrung" (ebd.) Wir haben aber gesehen, durch das Apriori wird die Erfahrung nicht bedingt, nicht konstruiert, sondern nur die notwendige Erkenntnis derselben. Nur Bestimmung, nicht Quell der Erfahrung ist das Apriori. - Auch jener bereits gerügte gerügte Irrtum, nach welchem der Begriff des Transzendentalen das inhaltliche Komplement des Apriori sein sollte, steigert sich bei COHEN in der Auffassung der "transzendentalen Deduktion der Kategorien", Abschnitt IX noch bedeutend. Denn es heißt dort Seite 132: "Der Begriff ist es, welcher der Vorstellung ihren Gegenstand gibt" statt "welcher der Vorstellung die notwendige apriorische Beziehung zu ihrem Inhalt gibt" und deshalb sollen sogar die Kategorien oder doch wenigstens deren letzter formaler Grund, die transzendentale Apperzeption den Gegenstand erzeugen. "Der Begriff", sagt COHEN Seite 134, "in der transzendentalen Apperzeption geboren, drückt die Beziehung aus auf Etwas, das wir Gegenstand nennen." "Also", folgert er, "hat auch der Gegenstand seinen letzten Grund in ihr" statt "also hat auch die notwendige formale Vorstellung des Gegenstandes ihren letzten Grund in ihr" oder "also hat auch der Gegenstand seinen letzten formalen Bestimmungsgrund in ihr". Immer redet ja KANT nur von "Beziehung" des Apriori zum endlichen Dasein in der transzendentalen Deduktion, nie von der Erzeugung dieses Daseins. Wie soll auch das formale Apriori einen Inhalt erzeugen? wie soll dies das Apriori können, das die Objektivität seiner Wirklichkeit erst durch diese notwendige Beziehung zur Erfahrung, an welcher es gleichsam die Probe seiner Realität hat, erweist? Hat doch die "transzendentale Deduktion" eben immer diesen Sinn des indirekten Erweises der Wirklichkeit des Apriori, nicht bloß der Möglichkeit innerhalb der Erfahrung, wie COHEN Seite 80 und an anderen Stellen glaubt. Dies hat freilich auch den Sinn, die "Möglichkeit der Erfahrung" dargetan zu haben, wie sich KANT öfter ausdrückt, womit er aber immer nur die der Erfahrungs-Erkenntnis nach dem betreffenden Zusammenhang meint und nach dem unter 4 dieses Exkurses Gesagten meinen kann. COHEN aber hebt diese sekundäre Bedeutung der transzendentalen Deduktion als die eigentliche hervor und noch dazu mit dem eben gedachten Fehler, Erfahrung nicht als Erfahrungs-Erkenntnis anzusehen, sodaß nicht der Ursprung der Erkenntnis, sondern die Erfahrung ihm das Unbekannte der kantischen Kritik ist (nach Abschnitt VI "Zusammenhang der transzendentalen Ästhetik und der transzendentalen Logik"), entsprechend dem Grundirrtum auf Seite 3. - So wird dann infolge dieses Mißverstehens der transzendentalen Deduktion der Kategorien und dessen, was als die kritische Seite des Apriori in dieser gelten muß, nämlich die Einschränkung der objektiven Beziehung des formalen Apriori auf Erfahrungs-Erkenntnis, bei COHEN, indem er diese kritische Begrenzung mit einer apriorischen Vertiefung verwechselt, die Erfahrung gänzlich in das Apriori verschlungen.
e) Es ist endlich infolge dieser Irrtümer das Verhältnis der empirischen Realität zur transzendentalen Idealität bei COHEN falsch gefaßt, da beide nicht, wie transzendentaler und empirischer Gebrauch (nach Kr. d. r. V. Seite 278) im Gegensatz stehen, sondern sich ergänzen. Er führt Seite 59 folgende Worte KANTs an:
Durch diesen, doch über das beabsichtigte Ziel hinausgegangenen Exkurses, hoffe ich wenigstens die Tendenz und den Ursprung der übrigen abweichenden Ansichten COHENs, auf die ich nur hinweisen werde, klar gelegt und zugleich widerlegt zu haben, andererseits aber auch die Anerkennung begründet zu haben, die ich oftmals ihm zollen mußte. Überdies dürfte durch diese Kritik manches Irrtümliche beleuchtet sein, das von verwandten und selbst von COHEN entgegen gesetzten Standpunkten, wie von dem TRENDELENBURGs, in kleineren Abhandlungen in neuerer Zeit über KANT geschrieben ist. ![]()
1) "Kants Psychologie". Dargestellt und erörtert von Jürgen Bona-Meyer, Berlin 1870 2) "Kants Theorie der Erfahrung" von Dr. Hermann Cohen, Berlin 1871 3) Kants Werke zitiere ich jedesmal nach folgender, in meinem Besitz befindlichen Ausgabe von Hartenstein: Immanuel Kants Werke, sorgfältig revidierte Ausgabe in 10 Bänden, Leipzig 1839. |