cr-2Die Pathologie der ZeichenZeichen und Ordnung    
 
WALTER POLLACK
Perspektive und Symbol
in Philosophie und Rechtswissenschaft

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"Die Anschauung der alten Griechen geht dahin, daß ihr die Kräfte und Äußerungen der Natur Götter waren. Anschaulichkeit und Bildlichkeit der Schrift und Rede des Denkens und Dichtens erweisen sich nicht als eine willkürliche und figürliche, sondern als eine ansich und schlechthin notwendige Ausdrucksart. Jene Urgriechen, sagt Schopenhauer, waren eben, wie Goethe in seiner Jugend: Sie vermochten ihre Gedanken gar nicht anders als in Bildern oder Gleichnissen auszudrücken. Eine ganz andere Frage ist die, welche Rolle die griechische Mythologie im heutigen Kulturleben spielt. Mag auch die Mythologie der Griechen entstanden sein ohne die symbolische Bedeutung, welche wir heute in sie hineinlegen, so hat sie doch für uns im Laufe der Geschichte einen eigenen Kulturwert gerade dadurch gewonnen, daß sie in ihren Gestalten und Vorgängen für uns eine große Zahl ideeller Dinge verkörpert. Sie hat nach Schopenhauer vor allem Stoff zu symbolischer Interpretation gegeben, sie liefert nach ihm Schemata zur Veranschaulichung fast jedes Grundgedankens und enthält die Urtypen aller Dinge und Verhältnisse."

§ 2.
Neue Aufgaben

Mein Buch über die philosophischen Grundlagen der wissenschaftlichen Forschung beschäftigte sich zunächst mit einem rein methodenpolitischen Problem. (1) Dabei ging es von einer strengen Scheidung aus, die zwischen der Behandlung und Schilderung der bisher verwendeten Methoden und der Erforschung einer für die gelehrte  Weiterarbeit  brauchbaren Methode Platz zu greifen hat. Keineswegs genügt es, einfach die bisher angewendeten Methoden, soweit sie sich als wertvoll herausgestellt haben, zu komplizieren, vielmehr erheben sich für den mitten in der Arbeit stehenden Forscher ganz eigentümliche Fragen, ihm wird nämlich durch die bei seinen Studien einzunehmende Stellung ein charakteristisches Verhalten aufgezwungen. Wir wiesen darauf hin, daß sich unter solchen Umständen eine Reihe von Problemen ergeben, die in dieser besonderen Form nur  hier  auftauchen und deswegen einem Gebiet von eigenem Wesen zugehören. Nach unserer Behauptung treten uns damit Fragen, ihm wird nämlich durch die bei seinen Studien einzunehmende Stellung ein charakteristisches Verhalten aufgezwungen. Wir wiesen darauf hin, daß sich unter solchen Umständen eine Reihe von Problemen ergeben, die in dieser besonderen Form nur  hier  auftauchen und deswegen einem Gebiet von eigenem Wesen zugehören. Nach unserer Behauptung treten uns damit Fragen entgegen, die zweifellos bis zu einem gewissen Grad wissenschaftlicher Erkenntnis zugänglich sind. Der Gelehrte darf nicht, wie man bisher annahm,  beliebig  vorwärtsdringen, sondern er ist auch hier an ganz bestimmte Schranken und Gesetze gebunden. So erblickten wir ein bedeutsames Resultat darin, einen wichtigen Bezirk entdeckt und der wissenschaftlichen Bearbeitung erschlossen zu haben. Zur Erläuterung griffen wir nun eine uns außergewöhnlich interessierende Aufgabe dieses Gebietes heraus: Welcher philosophischen Anschauung soll der Gelehrte im Augenblick des wissenschaftlichen Forschens zugetan sein?

Dieses Eintreten für eine Lehre vom wissenschaftlich zweckmäßigsten, d. h. nicht wirklichen, sondern möglichst geeigneten Vorgehen des Forschers (Methodenpolitik) ist nach zwei Seiten hin Mißverständnissen ausgesetzt. Eine von diesem Gesichtspunkt aus aufgestellte Weltanschauung will nicht schlechthin gelten, oder anders ausgedrückt, wir wollten nicht etwa ein von uns vielleicht neu begründete Weltanschauung verkünden, sondern wir wollen lediglich für den uns vorschwebenden Zweck eine möglichst passende Philosophie aufstellen, die wir auch nur mit Rücksicht auf diesen Zweck anzuerkennen dachten. Gewiß waren da zahlreiche, schon bisher ausgesprochene Ideen verwertbar, aber alles mußte mit Rücksicht auf den Zweck besonders gestaltet und geformt werden. Gewiß gaben wir vielfach kund, was so mancher Forscher selbst bei der Arbeit bereits gedacht und beachtet hatte, aber der eigentliche Wert unseres Werkes sollte ja vorzugsweise in der deutlichen Hervorhebung des theoretisch bedeutsamen Gedankens bestehen; denn erst bewußte Fixierung, klare und einheitliche Zusammenfassung macht einen solchen Gedanken der wissenschaftlichen Kontrolle und Fortbildung zugänglich.

Ein anderes Mißverständnis ergibt sich leicht aus der Beziehung unserer Lehre zur Dogmatik. Obwohl jene nämlich unter keinen Umständen ein neues Dogma philosophischen oder einzelwissenschaftlichen Inhalts darbietet, so will sie doch bei den dogmatischen Ausführungen als eine Art Regulativ beobachtet sein. Man kann ihre Funktion in dieser Hinsicht mit der Logik vergleichen. Wer das richtig versteht, wird uns jetzt sicherlich nicht eines Widerspruches zeihen. Denn infolge der von uns vertretenen methodologischen Anschauung werden die Ausführungen des Einzelforschers zur größtmöglichen Exaktheit gezwungen, Stufe für Stufe entroll sich der Denkprozeß unserem Bewußtsein und verstattet uns die intensivste Kontrolle im Verstand der höchsten sich selbst besinnenden Wissenschaft, soweit sie mit unseren Mitteln heut erreichbar ist. Stärker als bisher werden wir davor behütet, in irgendwelchen Sätzen selbstverständliche Wahrheiten zu erblicken, bekanntlich die größte Gefahr für den wissenschaftlichen Fortschritt. Wer bestimmte Axiome, wie z. B. den Glauben an die Wahrheit zugrunde legen will, wird durch uns obligiert, diese Voraussetzung unzweideutig hervorzuheben.

Die Tragweite unserer Anschauung nach der so bezeichneten Richtung hin wird erst ins rechte Licht treten, sobald man nicht nur das Ineinandergreifen der Gesichtspunkte und Hypothesen eingehender ergründet haben wird, sondern auch an Problemen der Einzeldisziplinen die Konsequenzen unserer Lehre ein Programm mit weiten Ausblicken. Auf den Errungenschaften vergangener Erkenntnis aufgebaut, weist es mit energischer Geist in die Zukunft; denn hierin liegt das Ideal unseres Wirkens, der Wissenschaft die Bahn frei zu machen, ihr neue, sie in ihrem ganzen Umfang erfassende Probleme zu stellen, ihrer Zersplitterung und Zerfahrenheit durch Begründung eines einheitlichen, vor jedem Angriff möglichst geschützten Weges entgegenzuwirken. Naturgemäß hat ein solches Programm nicht die Überzeugungskraft eines abgeschlossenen, auf festen Säulen thronenden Lehrgebäudes. Indessen glücklicherweise; denn hätten wir heute die Zukunft schon in unserer Gewalt, wir brauchten wahrlich nicht erst nach ihr zu fahnden. Ja, mit Fug hat dem echten Forscher stets das Problematische am Herzen gelegen und ihn die Eröffnung neuer Pfade interessiert. Freilich, wenn er so versucht, sich kühn durch das Gestrüpp des Waldes einen Weg zu hauen, hoffend, einen Schatz zu finden, darf er sich nicht in vage Träume verlieren, sondern hat mit sicherer Hand den neuen Pfand anzulegen, damit die später den Spuren folgenden Genossen ihn zu benutzen und weiterzuführen imstande sind. Solche Erfordernisse hat die Arbeit des Forschers getreulich und taktvoll zu erfüllen.

Obwohl es nun sehr verlockend wäre, die allgemeinen methodologischen Untersuchungen weiter fortzusetzen und gerade da, wo noch Unklarheit und Verschwommenheit herrscht, scharfe Linien herauszuarbeiten, so empfiehlt es sich doch, einstweilen von einer unmittelbaren Fortführung der von uns aufgestellten allgemeinen Probleme abzusehen und sie lediglich aufgrund der bisherigen Ergebnisse nach manchen Richtungen hin auszubauen. Daher wollen wir auch nicht weiter in dieser Arbeit der Abgrenzung und der Scheidung der verschiedenen wissenschaftlichen Gebiete Zeit und Mühe opfern; wir wollen einstweilen die interessante Frage zurückstellen, inwieweit im allgemeinen durch unsere Lehre auch der dogmatische Betrieb der Wissenschaft geändert wird.

Damit gewinnen wir den Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung. Sie basiert freilich im allgemeinen auf unserer methodenpolitischen Theorie. Sie rückt indessen vorzüglich zwei diese geradezu beherrschende Gedanken in den Vordergrund. Der eine von ihnen hat mehr theoretischen Charakter. Bei unseren methodenpolitischen Studien hatte sich die Aufstellung des Gesichtspunktes als ein hervorragendes Moment erwiesen. Der Gesichtspunkt war für den Begriff eingetreten, das menschliche Denken vollzog sich nach Maßgabe verschiedener Gesichtspunkte. Dieser Theorie erkennen wir nun in der folgenden Arbeit nicht nur eine methodenpolitische Berechtigung zu, sondern wir verwenden den für eine gewisse Disziplin aufgestellten Hilfsgedanken ganz allgemein auch für die Dogmatik, und zwar auch hier nicht bloß in methodologischer, sondern in materieller Hinsicht. Aber prinzipiell tragen wir  nur diesen Gedanken  in das Gebiet der Dogmatik, ohne die unseren methodenpolitischen Studien zugrunde liegende Auffassung zu einer allgemein gültigen Weltanschauung, zu einer Art Metaphysik der Wissenschaften damit ausgestalten zu wollen. Ein derartiges Verfahren würde uns einstweilen verfrüht dünken. Sollten wir vielleicht diesem Prinzip nicht immer treu bleiben, so soll darin nur eine einstweilige Überschreitung liegen, der nur vorläufige Gültigkeit zukommt, bis eine umfassendere, grundlegende Untersuchung der Wissenschaftsphilosophie reinigend und klärend eine endgültig Absteckung der Grenzen vornimmt.

Aber noch eine andere hiermit in Zusammenhang stehende Aufgabe der Methodenlehre soll in dieser Arbeit einer Behandlung unterzogen werden. Sie liegt freilich zunächst mehr auf technischem Gebiet, führt aber durch die mannigfaltigen Probleme, in welche sie zerfällt, tief in die Bezirke theoretischer Wissenschaft. Wenn sich nämlich die Forschertätigkeit vorzugsweise vollzieht durch intuitives Auftauchen neuer Gesichtspunkte, wenn die Wissenschaft ein gewordenes Ganzes, ein Produkt, eine Kombination von Gesichtspunkt bedeutet, so muß unser Augenmerk darauf gerichtet sein, die wissenschaftliche Inspiration durch technische Mittel zu steigern und die Ergebnisse der Forschung ihrem Inhalt nach durch neues Rüstzeug zu größerer Faßlichkeit und Sicherheit zu erheben. So erwächst in uns der Gedanke, zur bildlichen Ausdrucksweise unsere Zuflucht zu nehmen und die Anschaulichkeit in höherem Grade als bisher auszubeuten. Es tritt in den Vordergrund das Problem einer  Symbolologie, d. h. einer Lehre von den Symbolen für wissenschaftliche Zwecke,  Symbole, welche auf methodologischem Gebiet zunächst für die Methodenpolitik, dann aber auch für die Methodenlehre überhaupt eine große Tragweite besitzen. Indessen soll eine Methodologie dieses neuen Zweiges nur insoweit gepflegt werden, als es unbedingt nötig ist, um zu praktischen Resultaten zu gelangen, und soweit es die wissenschaftliche Stützun der eigenen Ansicht erfordert. Denn nichts wäre gefährlicher, als die verfrühte Aufstellung methodischer Sätze über ein erst neu zu erschließendes Gebiet. Um aber von vornherein auch ein anderes Mißverständnis zu verhüten, so sei an dieser Stelle bemerkt, daß wir nimmermehr hoffen dürfen, durch handwerksmäßige Regeln und routinenhafte Manipulationen die Wissenschaft in ihrer problematischen Natur meistern zu können. Sondern wenn die eine Aufgabe gelöst, so tauchen dafür eine Unmenge neuer Rätsel am wissenschaftlichen Horizont auf. Die Wissenschaft selbst ist unendlich, ein unendlicher Annäherungsprozeß oder, wie wir von unserer Anschauung aus sagen, eine unendliche Fortgestaltung durch menschliche Denkkraft. So kann auch die Aufgabe der Symbolologie nur darin bestehen, alte Fragen zu bewältigen, um in einen üppigen Garten neuer Ziele einzugehen. Wer in der Wissenschaft, insbesondere in der Symbolologie, eine Mnemotechnik sucht, hat den tieferen Inhalt wissenschaftlicher Tätigkeit ebenswenig begriffen, wie den philosophischen Zusammenhang wissenschaftlicher Inhalte.

Indessen nicht bloß im allgemeinen sollen in der folgenden Arbeit Theorien aufgebaut werden, sondern eine Einzeldisziplin, die Rechtswissenschaft, erwählen wir dazu, um an ihr jene beiden Probleme der Methodenlehre zu entwickeln und fortzubilden. Natürlich müssen auf die Durchführung der Aufgabe unsere Ergebnisse der theoretischen Methodenpolitik bestimmend einwirken, ja sie bilden möglich, daß man unsere Versuche, die Konsequenzen der eigenen Lehren zu ziehen, in philosophischer Hinsicht als mißlungen erachtet, dadurch würde aber die Berechtigung dieser rein theoretischen Arbeiten schlechtweg nicht berührt. Für die Heranziehung materieller Fragen einer Einzeldisziplin, der Jurisprudenz, bleibt zu bemerken, daß zur rechten Würdigung es weniger darauf ankommt, inwieweit man mit den von uns gefundenen Ergebnissen übereinstimmt. Nur die Methode, das Wie, ist uns ans Herz gewachsen; im übrigen mag ein jeder schließlich nach eigenem Gutdünken entscheiden. Wir sind gewiß davon überzeugt, wie viel glänzendere Erfolge sich für fähigere Köpfe, als wir, noch ergeben würden. Jedenfalls trenne man somit scharf das, was wir als Methodentheoretiker sagen, und das, was wir als Juristen behaupten. Wenn wir nun jedoch den juristischen Fragen näher treten, so bezwecken wir, sie nur in einem ganz bestimmten Rahmen zu erörtern. Es würde eine ungeheure Arbeit und auch eine unser Können übersteigende Kraft erfordern, wollten wir sofort in jeder Hinsicht die Folgerungen unserer theoretischen Ergebnisse entwickeln. Daher werden wir nur hier und da uns von der bisher anerkannten Arbeitsweise entfernen. Denn allein Stück für Stück kann die neue Theorie des hypothetischen Perspektivismus und der Symbolologie durchgeführt werden, eine vollständige Neubegründung der Jurisprudenz stellte sich als eine irrige Vorwegnahme und voreilige Beantwortung programmatischer Fragen dar.

Dazu kommt aber noch eine zweite Erwägung. Wohl wissen wir, daß der Gesichtspunkt und die symbolische Auffassung eine bedeutsame Rolle im wissenschaftlichen Betrieb spielen, doch ihr Wesen bedarf noch tieferer Ergründung, ehe sie systematisch und einheitlich als Förderungsmittel der Einzeldisziplin Anwendung finden können. Nur sporadisch wird die neue Auffassung eingeführt werden dürfen. Wie wenig hierin ein Fehler liegt, ergibt sich aus dem Gedanken der rückauflösenden Tendenz aller wissenschaftliche Arbeit. Genau genommen, müßte ja jede Neuerung, sobald man ihre Konsequenzen ermißt, die weittragendste Umwälzung hervorrufen. Man darf jedoch in der Wissenschaft in praxi nicht zu weit zu gehen und sich nicht ins Endlose verlieren bei der Frage, wie weit die Folgerungen eines Gedankens reichen. Und überhaupt unterliegt jeder wissenschaftliche Arbeiter gewissen Beschränkungen schon bei der Berücksichtigung der Nebengebiete.


      "Es ist ein alter Erfahrungsgrundsatz der Geschichte der Wissenschaft, wie befruchtend Erkenntnis, Sätze, Methoden, Ideen der einen auf die anderen eingewirkt haben."
      - Adolf Wagner

      "Wer bei der Verfolgung der Wissenschaft nach unmittelbar praktischem Nutzen jagt, kann ziemlich sicher sein, daß er vergebens jagen wird. Vollständige Kenntnis und vollständiges Walten der Natur- und Geisteskräfte ist es allein, was die Wissenschaft erstreben kann." - Hermann von Helmholtz

      "Die ersten Elemente sich anzueignen, ist in allen Wissenschaften unangenehm, aber ohne sie kann man nicht das Ganze übersehen, welches das Einzelne interessant macht. Hat man erst eine allgemeine Übersicht, so klären sich dunkle Stellen oft von selbst auf." - Wilhelm von Scharnhorst
In der Tat wird der Leser, wenn er die in diesen Kernsätzen niedergelegten Gedanken in Erwägung zieht, gerade den in den folgenden Blättern gegebenen Ausführungen eine sicherere Beurteilung zuteil werden lassen. Indessen noch nach manchen anderen als den hier berührten Seiten sind unsere methodologischen Untersuchungen leicht einer gefahrvollen Würdigung ausgesetzt.

Es ist außerordentlich schwierig, die Mitte zu halten zwischen allgemeiner und detaillistischer Betrachtung und zwar beim vorliegenden Thema umso mehr, als philosophische und juristische Probleme, ein jedes in allgemeiner und spezieller Bedeutung in Betracht kommen. Wir beabsichtigen Ansichten durch ihre praktische Anwendung auszubauen, in ihrer Tragweite zu erweisen und ihnen auf diesem Wege eine umso festere Stütze zu verleihen, in der Hoffnung, hierdurch mehr zu gewinnen, als durch eine ausgesponnene philosophische Erörterung, der man heutzutage so gern den Vorzug gibt. In methodologischen Dingen ist die praktische Durchführung von erheblichem Gewicht. Wenn wir eine positive Grundlage in der Rechtswissenschaft zu finden bemüht sind, so leisten wir damit der ganzen Wissenschaft einen Dienst, indem wir die Gefahr der destruktiven Tendenz nach Kräften beschwören, die sich bei der Rechtswissenschaft nur in einer bestimmten Gestalt zeigt und nicht etwa allein bei ihr eine Singularität darstellt. Andererseits sollen auch für die Rechtswissenschaft selbst die sie bewegenden Fragen einer größeren Klärung entgegengeführt werden. So wird vielleicht ein jeder, der philosophische und der juristische Fachmann, teils zu viel, teils zu wenig in unseren Erörterungen vorfinden. Diese verlangen indessen ein gleichmäßiges Eindringen in beide Gebiete nur als organische Einheit sind sie zu erfassen. Daher müssen wir den Leser, wenn wir nicht ihre Eigenart aufgeben wollen, bitten, uns nach Kräften Gefolgschaft zu leisten, eingedenk dessen, daß die bezirksmäßige Abgrenzung der heutigen Disziplinen vom Standpunkt der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt nicht nur nicht bindend, sondern sogar bedenklich genannt werden darf, daß echte Forscherarbeit ihre Ebene in der ihr gemäßen Weise durch den Stoff des Wissens zu lgen hat. Doch wer selber schon wahrhaft wissenschaftlich gearbeitet hat, weiß genau, daß ohne einen mühsamen Weg sich nichts erreichen läßt, daß aber dann umso günstigere Resultate winken. Es ist häufig gerade umgekehrt, als wie der Laie denkt. Das, was ihm gewöhnlich an der Sache imponiert, ist nicht der eigentliche Kern. Deswegen ist der Dilettant, nachdem er die ersten Leckerbissen gekostet hat, häufig enttäuscht und gibt die Arbeit auf. Unter diesem Vorbehalt und dieser Warnung werden wir keine falschen Hoffnungen erwecken.

Wir maßen uns in unserer Arbeit nicht an, die verschiedenen Gebiete zu meistern, aber wir finden die Berechtigung zu unserem Vorgehen darin, daß wir den verschiedenen Gebieten nur den Stoff entnehmen, den wir vom Standpunkt unseres eigentümlichen Problems erfassen. In gewissem Sinne sind wir ebenfalls Detailforscher, nur daß wir, wie bereits bemerkt, einen anderen Durchschnitt durch die Masse menschlichen Wissens legen; wie wir schon berührt haben, können wir auf dem von uns erwählten Felde unmöglich die ganze Fülle des Stoffes erschöpfen. Nur eine erste Grundlegung setzen wir uns zur Aufgabe; wer selbst gearbeitet hat, wird das leicht verstehen und auch zugeben, daß die Tragweite vieler Punkte erst gerade durch das Durcharbeiten und Weiterbilden ins rechte Licht gerückt, in ihrer Bedeutung veranschaulicht wird. Ist nun aber unsere Auffassung, unser Vorgehen ein Fehler? Nein! Denn auch er als Detailforscher vorwärts dringt, kann gewissermaßen nur halbe Arbeit tun, und es wäre ein großes Mißverständnis, wenn man glaubte, daß wissenschaftliches Arbeiten sich aufbauen läßt wie ein Gebäude, Stein auf Stein. Tatsächlich wird infolge der energetischen Wirkung durch die geringste Änderung das ganze wissenschaftliche Gebäude verändert. Aber der Detailforscher kann diese Veränderungen nicht allzuweit, oft sogar nicht im eigenen Fach verfolgen, er muß die Sachlage so handhaben, wie wenn bis auf den Punkt, um den er sich zu schaffen macht, alles unverändert bliebe.

Die theoretisch fachmännischen Fragen werden bisweilen absichtlich weiter gesponnen, als wie dies in sonstigen methodologischen Arbeiten der Fall ist. Natürlich konnte auf die Einzelprobleme nicht alle Kraft geworfen werden und selbstverständlich würden sie viel eingehender behandelt sein, wenn nur sie zur Erörterung ständen. Man weiß, daß, wenn man z. B. das bloße Problem des Anspruchs nach der jetzt schon geübten Methode behandelt, die Literatur und alles, was damit zusammenhängt, die Kraft eines ganzen Menschen verlangt. Diese Arbeit mußten wir uns schon ohne weiteres versagen, obgleich, wie man sehen wird, gerade die Probleme der Rechtswissenschaft auch in ihrer rein juristischen Behandlung des heutigen Fachmanns uns sehr verlockend und anziehend erschienen, so stark, daß wir uns womöglich fast allzu sehr auf diese Fragen eingelassen haben. Denn wer Gelegenheit hatte, auch  in  der Rechtswissenschaft nicht nur zwei oder drei, sondern eine größere Menge von Spezialgebieten kennen zu lernen, als wie es sonst wohl der Fall ist, wir umso bescheidener werden und den Einzelforscher bitten, sich gerade in dem ihm gelegenen Gebiet mit unverhältnismäßig milden Anforderungen zu begnügen.

Allerdings legen wir, wie schon früher erörtert, auf die stoffliche Richtigkeit nicht einen allzu starken Nachdruck, auch dann nicht, wenn wir uns im Einzelfall in spezielle Streitfragen zu vertiefen scheinen. Ein derartiges Eingehen ist immerhin notwendig, um die Technik unserer Methode auszubilden, ein Umstand, der freilich leicht den Anschein erweckt, als wollten wir dem Detailforscher ins Gehege kommen. Unsere Methode ist aber im Verhältis zu der Streitfrage etwas rein Formales. Auf die spezielle Frage als solche, auf sie in ihrer konkreten Gestalt kommt es auch von diesem Standpunkt aus in so hohem Grad nicht an, wie bei der Einzelforschung im üblichen Sinn, (2) es könnte ebensogut häufig eine andere Streitfrage genommen werden oder etwa die gegenteilige Meinung vertreten sein. Dies läßt sich etwa vergleichen mit dem Verhalten der theoretischen Jurisprudenz zu den materiellen, wirklichen Fragen des Lebens. Selbst endlich da, wo wir eine neue Meinung aufstellen, soll dies nur zeigen, inwieweit man durch unsere Art der Betrachtung angeregt werden kann, umso mehr, als wir vielfach der Rechtfertigung durch Erörterung von Unterfragen und Grundfragen entraten und uns so in eine dem Leser gegenüber verteidigungslose Position begeben müssen. Man lasse uns also nicht die Gefahren entgelten, die ein so klippenreiches Thema notwendigerweise mit sich bringt; gefährlich bei der ungeheuren Vielgestaltigkeit der Ansichten gerade deswegen, weil wir dem Einzelnen von unserem Standpunkt aus auf seinem Gebiet Anleitung zu geben bestrebt sind, uns aber wiederum mit Rücksicht auf das Gesamtziel kurz zu fassen hatten. Bei der Schilderung unserer Gedanken mußten wir auf eine einheitliche, gleichmäßige Durchführung neuer Anregungen verzichten und auch die Begriffe vielfach in variabler, nuancierter Bedeutung verwenden; wir haben versucht, uns dem Inhalt der betreffenden Stelle jeweils anzupassen. So erheben die verwendeten Begriffe nicht den Anspruch auf absolute Genauigkeit, man beachte den Zusammenhang. Es ist eine verderbliche Neigung neuerdings eingerissen, stets im ganzen Umfang die Begriffe schon von vornherein feststellen und festlegen zu wollen. Dem entspricht es, wenn man in wissenschaftlichen Arbeiten mit allzu formalistischer Strenge die Begriffsbildung kontrolliert. Eine allzu große Prägnanz hemmt das wissenschaftliche Denken und Kombinieren - eine nicht unerhebliche Schattenseite.

Die literarischen Angaben dienen weniger als Beleg, sondern verfolgen den Zweck, unsere Behauptungen zu illustrieren. Vielfach ist es dem Leser überlassen, eine Reihe von Zwischengliedern zu bilden und zu erkennen, inwieweit unsere Anschauung die des betreffenden Autors weiterbildet, ihr entgegentritt oder sie erläutert. Man vermeide also das Mißverständnis, als wären wir der fremden Meinung nicht gerecht geworden. Indessen war ein derartig freieres Verfahren aus Gründen der Kürze und einer dem Leser zu bietenden Anregung gewiß am Platz.

Da in dieser Arbeit mannigfaltige Fäden gesponnen werden, so bitten wir den Leser, genau, besonders am Anfang jedes Kapitels, darauf zu achten, inwieweit jede der früher aufgeworfenen Aufgaben zu gleicher Zeit fortgeführt wird.

Diese der Orientierung dienende Einleitung hat nicht etwa den Zweck, uns von vornherein vor berechtigten Vorwürfen zu schützen. Das wäre ein verabscheuungswürdiges Verfahren. Wir, die wir durch unsere methodologischen Studien dazu geführt wurden, auf vielen Gebieten Umschau zu halten, Literatur zu studieren, sind uns der eigenen Unvollkommenheit besonders ernst bewußt, hegen aber doch die feste Zuversicht, daß eine wohlwollende Kritik, einmal den Streit im eigenen Lager vergessend, auf einen höheren Gipfel steigt und, von hier ausblickend, unserem Streben wenigstens einigermaßen Anerkennung zollt.


§ 3.
Die Theorie der Symbolik

Symbolologie (3) ist die Wissenschaft von der Anwendung der Symbole für wissenschaftliche Zwecke und als solche ein Zweig der wissenschaftlichen Symbolik. Diese beschäftigt sich mit den Symbolen und ihrer Verwendung überhaupt. Nicht zu verwechseln hiermit ist die Symbolik im Sinne eines tatsächlichen Gebrauchs der Symbole. Die Symbolologie will durch Modelle und Zeichnungen nicht nur auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, sondern auch auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften zu neuen Resultaten verhelfen.

Es ist die Aufgabe dieses Kapitels, in den Gedankenkreis, der durch das Wort Symbol gegeben wird, einzuführen. Es soll gezeigt werden, in welchem Sinn oder mit welchem Recht wir uns dieses Ausdrucks zu bedienen haben. Man führt das Wort Symbol zurück auf das griechische  symballein = etwas zusammenhalten, vergleichen, erschließen; es bedeutet ein Kennzeichen, Wahrzeichen. Bei PLATO (4) tritt das Symbol als Erkennungszeichen auf. Schon hieraus erhellt, daß man etwas lediglich im Hinblick auf ein anderes Symbol zu nennen pflegt. Wert, Inhalt und Umfang des Zeichens hängen ab von dem, was angezeigt wird. Symbol ist also ein Funktionsbegriff.

Die Symbolologie verlangt eine hinreichende Orientierung durch die allgemeine Symbolik. Es kann jedoch nicht die Aufgabe der folgenden Untersuchung sein, eine erschöpfende Behandlung der Symbole zu bieten, es soll nur, sofern unsere Symbolologie zur Lehre von den Symbolen in Beziehung steht, auch von den Symbolen schlechtweg gehandelt werden. Man hat bisher noch nicht die Gesamtheit der verschiedenen Symbole einer tieferen einheitlichen Betrachtung unterzogen. Indessen schon ein oberflächlicher Blick lehrt (5), eine wie bedeutende Rolle der Symbolbegriff in der Philosophie spielt, hat man doch unser ganzes Denken als ein symbolisches aufgefaßt. Es ist hier nicht der Ort, auf diese Dinge näher einzugehen. Es empfiehlt sich, in dieser Arbeit den Symbolbegriff allein in die Sphäre der Anschauung zu verlegen und, von Ausnahmen abgesehen, soweit so etwas durchführbar ist, nach diesem Prinzip zu verfahren - soweit so etwas durchführbar ist, sagen wir ausdrücklich, denn schließlich ist der Symbolbegriff eine Verhältniskategorie und ansich einer weiteren Ausdehnung sehr wohl fähig. Wir behalten uns vor, in besonderen Arbeiten dies zu berühren. Ebenso müssen wir die historische Betrachtung der symbolischen Anschauungsweise und des Symbolbegriffs hier ausschalten. Indessen läßt sich schon von vornherein einsehen, daß sich in dieser Kategorie die Geschichte des menschlichen Geistes in höchst eigenartiger und wissenschaftlich bedeutsamer Weise widerspiegeln wird. Ganz verzichten freilich dürfen wir auf eine allgemeine Betrachtung nicht. Das erfordert schon die bei Einführung eines Spezialfachs stets notwendige methodische Rechtfertigung, Fundierung und Abgrenzung. Beim vorliegenden Gegenstand ist ein derartiges Beginnen unumgänglich geboten, nicht nur weil sonst Inhalt, Zweck und Wesen der Symbolologie der erforderlichen Klarheit entbehren, sondern vor allem weil das fruchtbare Quellgebiet erst erschlossen werden mß und ein bloß technisches Vorgehen leicht zu unübersteigbaren Mauern gelangt. Daher darf auch der Leser diese allgemeine Orientierung mit Rücksicht auf das Verständnis der späteren Ausführungen keineswegs übergehen.

Die Bedeutung des Wortes Symbol schwankt, soweit wir feststellen können, zwischen Kennzeichen und Verkörperung als äußersten Grenzen. 1. Bald bedeutet es nämlich soviel wie ein Anzeichen, aus dem man auf das Vorhandensein gewisser Dinge schließen kann. 2. Bald ist es Ersatzmittel für bestimmte Gegenstände, mögen diese Gegenstände in der Welt der Realität oder in der Welt des Gedankens liegen. 3. Mit dem Smbol kann auch die Empfindung einer Repräsentation verknüpft sein. In diesem mit dem vorigen eng verwandten Fall stellt das Symbol vollständig einen Gegenstand oder genauer zunächst eine Seite desselben dar, ohne daß man die Empfindung hätte, mit dem Symbol den Gegenstand zugleich zu greifen und zu erschöpfen. Das Symbol ist hier nicht bloß ein einfaches Anzeichen, pars pro toto [der Teil für das Ganze - wp], nicht ein bloßes Etwas, von dem ich auf das Vorhandensein der Sache schließen kann, sondern es stellt die Sache in irgendeiner ihrer Beziehung  total  dar, indem es dieselbe unmittelbar zur Ansicht bringt, ohne freilich mit ihr völlig identisch zu sein.

Wie man leicht erkennt, ergibt sich aus der vorstehenden Schilderung der Übergang zu einer weiteren Bedeutung, nämlich 4. zum Symbol als Verkörperung. In diesem Fall erschöpft das Symbol den dargestellten Gegenstand in seinem ganzen Umfang. Wer das Symbol besitzt, besitzt den Gegenstand vollständig. Mannigfaltig sind sonach die Möglichkeiten, und man wird, wenn man auch die Feststellung dem Einzelfall überläßt, häufig zweifelhaft sein und sein müssen, weil das Symbol als psychologisches Erlebnis selbst außerordentlichen Schwankungen unterworfen ist und überhaupt nicht oder nur schwer nachempfunden werden kann.

Keinesfalls eine Verkörperung, sondern das Verhältnis von willkürlichen Ersatzmitteln steht in Frage, wenn man in den englischen Volksbibliotheken anstelle der dort aufbewahrten Bücher kleine Holzklötze, die mit Zahlen versehen sind, verwendet, um durch ihre Lage dem Publikum anzuzeigen, ob ein Buch ausgeliehen ist oder nicht. Eine engere Beziehung zwischen Symbol und symbolisierten Gegenstand, nämlich der Fall der Repräsentation ist wohl gegeben, wenn man die dramatischen Vorgänge auf der Bühne als Symbol wirklicher Begebenheiten auffaßt. Dagegen gravitiert schon nach der Bedeutung der Verkörperung die Darstellung der Gerechtigkeit durch eine Göttin oder die Verwendung von körperlichen Gegenständen, um durch sie eine mystische, nicht ganz erfaßbare Idee zum Ausdruck zu bringen. Wir denken an den geflügelten Löwen der Assyrer als Symbol des schaffenden Geistes und männlichen Prinzips sowie an die Lotosblume als Symbol der weiblichen Kraft bei den Indern oder an das Preisrad in Tibet als Sinnbild der Sonnenbewegung oder an die Swastika (Hakenkreuz) (6). Der Gedanke einer Verkörperlichung macht sich vorwiegend in einer Zeit geltend, welche zwar schon zwischen Abstraktem und Konkretem unterscheidet, indessen abstrakte Vorgänge nur in konkreten Dingen sich abspielen läßt. Wird zwischen der Idee und der Erscheinung überhaupt noch kein Unterschied gezogen, so verbietet sich auch die Anwendung der Kategorien der Verkörperung. Für primitive Menschen sind jedenfalls Quelle und Quellgott vollständig identisch. Aber in späterer Zeit und schon in der Zeit der Griechen ist die Trennung zwischen den Reichen des Gedankens und des Körpers soweit fortgeschritten, daß für diese Epoche offenbar die Kategorie der Verkörperung  zulässig erscheint.  (7)

Wir halten also daran fest, daß durch das Wort Symbol unsere vier Kategorien umfaßt werden: Kennzeichen, Ersatzmittel, Repräsentation sowie Verkörperung. Stellen sich somit diese vier Kategorien des Wortes Symbol als berechtigt heraus, so beschäftigt sich die Symbolologie als Lehre von der anschaulichen Darstellung wissenschaftlicher Gedanken im wesentlichen mit den beiden letzten Kategorien.

Schon aus den bisher berührten Richtungen des Symbolbegriffs geht hervor, daß es sich hier um ein außerordentlich schwieriges wissenschaftliches Thema handelt, daß der psychologische Befund, den wir als Symbol bezeichnen dürfen, nicht leicht zu erfassen ist. Vom rein rationellen Standpunkt aus erhält man natürlich andere Resultate, ist auch der Verkörperungsgegenstand in Wahrheit nichts weiter als ein bloßes Ersatzmittel; verstandesmäßig wird man nie und nimmer sagen können: ein bestimmtes Bild  sei  die Gerechtigkeit oder die Liebe selbst. Wer aber das Symbol erforschen will, muß vor allen Dingen die Symbolerscheinung als eine psychologische zu würdigen verstehen. Er darf nicht einfach eine derartige Auffassungsweise als eine nichtssagende und mystische hinstellen. Es mag zugegeben werden, die Beziehung zwischen Symbol und symbolisiertem Objekt ist dunkel und vielleicht kaum erfaßbar. Indessen steht es hier mit vielen anderen Kategorien, z. B. der Kategorie der Materie oder mit der Relation von Ursache und Wirkung keineswegs besser. (8)

Für die Symbolologie spielt nicht nur die hier nicht näher zu berührende historische Erkenntnis der Symbolbildung eine bedeutende Rolle, (9) sondern ebenso wichtig ist die Untersuchung des psychologischen Befundes. LIPPS hat es unternommen, das Bewußtsein und seine Vorgänge von ihrer eigenen Basis aus in ihrer Struktur zu erforschen und das "Ich" als dogmatischen Ausgangspunkt einer eigenen Wissenschaft vom Seelenleben zu wählen. (10) Schon die Beziehung zwischen Inhalt und dem in diesem Inhalt gedachten Gegenstand ist eine symbolische Relation, wobei unter Relation eben das Bewußtseinserlebnis einer Beziehung verstanden werden soll. (11) Eine weitere symbolische Relation besteht zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten. Eine solche ist nach ihm gegeben, wenn mein Verhalten und eine sinnliche Erscheinung in einem bestimmten Verknüpfungsverhältnis stehen, wenn ich z. B. beim Anblick einer bestimmten Gebärde einen ganz bestimmten Affekt miterlebe. LIPPS spricht gerade hier von Einfühlung. (12) Es ist gar kein Zweifel, daß LIPPS hier unmittelbar psychologische Vorgänge zu erfassen sucht, wie sie sich auch in dem von der Symbolologie getroffenen Gebiet abspielen. Wenn ein Zeichen einen bestimmten Sinn haben soll, so ist es wichtig, daß ich mich ihm einfühlen kann. Natürlich ist die wissenschaftliche Erfassung derartiger Vorgänge von diesen selbst scharf zu unterscheiden. Selbstverständlich vollzieht sich dieser Vorgang auch ohne meine geringste wissenschaftliche Kenntnis von seiner Entstehung. Indessen da, wo es sich um die willkürliche Schaffung von Symbolen handelt, wie bei uns, und wo Symbole möglichst zweckmäßig für die wissenschaftliche Forschung gefunden werden sollen, kann die prinzipielle Durchdringung der psychologischen Erlebnisse ein wichtiges Fundament für den Weiterbau begründen. (13)

Das Denken des Menschen und die Begriffsbildung, wie wir sie in der heutigen Wissenschaft auszuüben pflegen, sind erst das Resultat einer langen historischen Entwicklung im menschlichen Denken. Derjenige nun, welcher vor die Frage gestellt wird, die Begriffsbildung nach der einen oder anderen Seite hin weiter fortzubilden, wird sie nicht als eine einfach faktische, ein für allemal gegebene Größe auffassen dürfen, sondern er wird versuchen müssen, sich, soweit das überhaupt bei unseren beschränkten Mitteln und Erfahrungen zur Zeit möglich ist, über die Entwicklung des menschlichen Denkens Klarheit zu verschaffen. Er wird auch bei der Frage nicht vorübergehen können, welchen praktischen Ausweg das Denken aller Völker gefunden hat, um den ungeheuren Stoff der sie umgebenden Welt, deren Durchdringung für den Einzelnen eine Unmöglichkeit ist, auf einem anderen, einfacheren Weg zugänglich zu machen. Auch hier können wir wiederum nur mehr die Richtung andeuten, in welcher sich die Arbeit der Folgezeit zu bewegen hat. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, abschließende Resultate vorzunehmen. Wir aber, die wir in der folgenden Untersuchung speziell ine neue anschauliche Methode zum Vorschlag bringen wollen, müssen uns wenigstens einigermaßen klar machen, welche Rolle das anschauliche Denken bisher gespielt hat und noch heute in den Wissenschaften spielt. Bevor der Versuch eines wissenschaftlichen Operierens mit Hilfsgrößen gemacht wird, muß die Existenzfähigkeit dieser Größen nachgewiesen werden; bevor eine Symbolik ausgebildet werden kann, müssen wir uns über das tatsächliche Vorliegen und die Notwendigkeit von Symbolen in allen Zweigen der menschlichen Erfahrung klar sein. Hierzu wollen wir - eine strengere wissenschaftliche Behandlung vorbehaltend, manches, was vielleicht schärfer zu trennen wäre, in Verbindung bringend - einmal aus der Vogelperspektive Ausschau halten und unseren Blick bald hierhin, bald dorthin wenden, ohne das ganze Gebiet des menschlichen Geistes erschöpfen zu wollen. Hiernach werden wir nicht nur die symbolische Betrachtungsweise, sondern das anschauliche Denken überhaupt in den Kreis unserer allgemeinen Orientierung über das in Frage stehende Gebiet ziehen müssen.

Auszugehen ist davon, daß der Unterschied von abstrakten und konkreten Größen erst einer verhältnismäßig modernen Entwicklung angehört und daß sich die Grenzlinien zwischen diesen beiden Gebieten nicht mit absoluter Sicherheit ziehen lassen. Die Geschichte wird lehren, eine wie wenig dem Menschen fremde Denkweise wir vorschlagen, wenn wir für das Operieren mit Symbolen eintreten. Die Geschichte wird auch weiter nachweisen, inwiefern einer solchen Betrachtungsart gewisse Vorzüge innewohnen und inwiefern man darangehen soll, vielleicht bereits scheinbar überlebte Auffassungsweisen wieder zu erwecken.

Vielfach ist man zu dem Schluß gelangt, daß unser Denken überhaupt nur ein Symbolismus der Dinge sei; (14) ich müßte alsdann noch einen Schritt weitergehen und vom hypothetischen Charakter derartiger Symbole reden. Die Geschichte des Denkens wird schließlich zur Geschichte der Symbole. Hiervon soll später noch die Rede sein. Für jetzt eine die Tragweite des Gedankens beleuchtend Bemerkung meines Freundes BERGER. Er schreibt mir:
    "Vom Gesichtspunkt einer solchen Betrachtungsart aus wird sich auch die wundersame Erfahrung erklären lassen, daß trotz der ungeheuren Entwicklung und der Kluft zwischen dem primitiven Erfassungsvermögen eines Wilden und der Gedankenwelt eines DESCARTES und HERTZ, zwischen dem Weltaufbau in der Seele eines Kinders und eines GOETHE beide Pole des Erfassens nur quantitativ verschieden sind, während trotz ihrer sonstigen Unvergleichlichkeit die qualitative Art ihres Welterfassens konstant bleibt. Das anschauliche Denken ist der ruhende und einzig unveränderliche Pol in der Menschheitsentwicklung. Ihn zu erfassen und genau zu bestimmen, heißt die Grundformel der menschlichen Erkenntnis finden, mit der die logischen, ästhetischen und sogar auch die ethischen Funktionen gleichermaßen ihre Lösung finden und auf letzte Größen auf einfachste Anschauungen reduziert werden können."
In der Tat besteht eines der wichtigsten Probleme zukünftiger Philosophie in der Untersuchung über die Symbolik des Denkens. (15) Feinere Unterscheidungen, festere Abgrenzungen als bisher gefunden werden, erst dann wird man allzuweit getriebene Verallgemeinerungen auf das richtige Maß zurückführen. In dieser Arbeit soll nur von Symbolen innerhalb des Denkens, nicht von der Symbolqualität des Denkens selbst prinzipiell gesprochen werden, indessen muß an einigen Stellen von dieser scharfen Unterscheidung Abstand genommen werden, insbesondere da, wo der Symbolbetrieb des Menschen und die Tragweite der symbolischen Perspektive dem Leser vor die Augen treten sollen. Für ein ursprüngliches Denken ist die ganze Welt belebt und beseelt. (16) Viele unserer jetzt abstrakten Dinge waren ursprünglich reale Gegenstände in der Welt. Aber weiter zeigt auch eine Betrachtung der Geschichte, wie nahe aneinander sich die reale und symbolische Auffassungsweise befinden, wie die erste allmählich zur zweiten überführt, wie häufig die Grenzlinien gar nicht näher bestimmt werden können. Endlich ist noch eine andere Tendenz des menschlichen Denkens zu konstatieren, nämlich die Sucht des Menschen zur Bildung von Analogien und Übertragungen. (17) Sehr lehrreich in allen diesen Beziehungen ist das Denken der primitiven Völker: Die Sonne ist ein großer Ball aus bunten Vogelfedern; das Abnehmen des Mondes wird durch das Erscheinen eines großen Tieres (18) erklärt, welches ihn nach und nach vollständig verdeckt; nach der Ansicht der Bengalen sind einmal Menschen einen Baum hinaufgeklettert, dessen Stamm alsdann abgehauen wurde; nun sitzen sie oben in den Zweigen als leuchtende Sterne; die Morgenröte ist die Schwester der Nacht; der persische Großkönig ließ den Hellespont mit Ruten züchtigen; dem die Wohnstätten zerstörenden Sturm setzt man Speise und Trank hin, um seinen Zorn zu besänftigen; am Berg Tyrma leisten die ursprünglichen Bewohner der kanarischen Inseln den höchsten Schwur; die Australneger von Neu-Süd-Wales wagen nicht, vor Felsen zu pfeifen, damit diese ihren Frevel nicht bestrafen; schon einmal sind bei einer solchen Gelegenheit Blöcke auf die Ihrigen herabgestürzt; (19) Meteoriten werden verehrt, man denke an den schwarzen Stein in Mekka; ein Volksstamm nimmt an, daß die Seele aus dem Reis entweicht, wenn er verfault; dem Baum bringt man Gaben dar, damit er im kommenden Jahr desto reichlicher Früchte trage; dem Affenbrotbaum werden Opfer gespendet; die Bachstelzen werden verehrt, weil sie den Frühling ins Land bringen; des Menschen Seele ist ein Hauch, der Wind ist eine Menge von Hauchen, also eine Vereinigung von Seelen; der Wind kommt vom Gebirge her, also wohnen die Seelen im Gebirge; der Wind kommt auch vom Meer her, dann heißt es, jenseits des Meeres leben die Toten, zum Teil auf den Inseln der Seligen, "glückliche Inseln"!; das Recht ist die Erde, die Wahrheit ist der Himmel. (20) Und endlich der Totemglaube! Alle Glieder der Gruppe stammen, was freilich nicht unbestritten, vom Blut des Tieres oder aber von der Pflanze ab. Wenn das Totem ein Wolf ist, so ist der Stamm auch ein Wolf, und es ist streng verboten, das Fleisch dieses Tieres zu essen. Man glaubt mindestens an eine mystische Beziehung zwischen Stamm und Wolf. (21)

Im Hinblick auf ein derartiges Tatsachenmaterial erklärt es ACHELIS mit Recht als "geradezu widerspruchsvoll, den primitiven Menschen eine blasse Unterscheidung zwischen Seele und Symbol eine blasse Unterscheidung zwischen Seele und Symbol zuschreiben zu wollen. Vielmehr müßte er in seiner Kindheit unmittelbar in allen Naturvorgängen göttliche Mächte annehmen, an die er ebenso glaubt, wie etwa der orthodoxe Christ an die Wunder der heiligen Schrift. Was ursprüngliche, das heißt im Augenblick der Entstehung leibhaftige Wirklichkeit für das naive Empfinden war, das wurde im Laufe der Zeit, als das Bewußtsein kritischer wurde und das schärfere Nachdenken die frische Phantasie ertötete, Symbol, Dichtung, ja Allegorie" (22). Und in allerneuester Zeit stellt EHRENREICH geradezu den Leitsatz auf, daß die Symbolisierung, d. h. Verbildlichung abstrakter Begriffe oder nicht unmittelbar sichtbarer Vorgänge der Natur und des Innenlebens erst einer späteren Periode angehört, falls sie  bewußt  erfolgt, während sie auf primitiver Stufe sich instinktiv als eine durch die Apperzeption selbst gegebene abspiele und als solche gar nicht empfunden werde. (23)

Es besteht auch kein Zweifel, daß diese Denkweise eine Art logischer Entwicklung gestattete und daß sie ein System zu entwickeln imstande war. Dies geschah vor allem auf dem Weg außerordentlich kühner Analogie. So erscheint zum Beispiel POSEIDON als der Gott der im Galopp daher sprengenden Meereswogen, zugleich aber als Schöpfer des Rosses und Erfinder des Zaumes, endlich als ritterlicher Gott überhaupt. (24) Allerdings gilt solches ohne Einschränkung nur für die primitivsten Stufen der Entwicklung. Ganz ohne symbolische Bedeutung mag der Gott oder die Natur nur auf der untersten Staffel gewesen sein. Wenn wir indessen auch die Gründe und Form der symbolischen Projektion bei höher entwickelten Völkern noch nicht, im einzelnen vielleicht nie werden begreifen können, so erschiene es immerhin angängig, die symbolisierende Kraft und Tendenz jener Völker als etwas Besonderes hervorzuheben. Mögen sie auch zunächst noch an die reale Existenz ihrer Götter geglaubt haben, so muß von dem Augenblick an, wo den überirdischen Mächten eine ihnen eigene Sphäre zugewiesen wird, wo sie die Eigenschaften eines Volkes, die Instinkte und Sehnsuchten der Menschen verkörpern - wenn der Göttervater gerecht erscheint, wenn bei einem kriegerischen Volk der Mars, bei einem friedlichen der Träger einer friedlichen Tugend verehrt wird, wenn der Sonnengott zugleich der Heilgott ist - eine symbolisierende Kraft im Gegensatz zum naiven Realismus des Lebens angenommen werden. Es ist hierbei gleich vorwegzunehmen, daß man das unbewußte, vielleicht tastende Symbolschaffen nicht mit dem Begreifen eines Symbols, der Verständlichmachung eines inneren Vorganges gleichstellen darf. Die unbewußte Symbolerzeugung verhält sich andererseits zur bewußten (soweit Gleichnisse sich überhaupt decken können) wie etwa das Entstehen des Gewohnheitsrechts zur bewußten Rechtsschöpfung. In weiteren Stufen der Entwicklung, aber lange noch vor dem Dämmern geistiger Kulturen hat die Gesellschaftsbildung und -gestaltung sich der Symbole bedient. Die Unverletzlichkeit gewisser Personen (Priester, Herolde, Könige), das Stellen von Geiseln statt der Gefangennahme des ganzen Volkes, das Zahlen von Tribut, die Ehrung gewisser Hoheitszeichen als Ausdruck der Unterwerfung sprechen von der frühen Fähigkeit des Menschengeschlechts, für gewichtige und einschneidende Erscheinungen ihres Lebens vereinfachte Formeln zu finden. Mit Recht sagt SCHMOLLER: "Lange, ehe es einen eigentlichen Staat, ein Gerichtsverfahren, ein ausgebildetes Recht gibt, beherrschen feste Normen, welche vielfach in rhythmischer Rede überliefert, durch Zeremonien und Symbole aller Art in ihrer Ausübung gesichert sind, alles äußere Leben der primitiven Stämme" (25).

"Was also der abstrakte Verstand wirkende Kraft nennt, ist der ursprünglichen, naiven Betrachtungsart Person. Hiermit ist aber sofort das Geschlechtliche gegeben und alle Äußerungen, die daran hängen: Liebe und Haß, Verbindung und Trennung, wovon jene Zeugung und Gebären, diese Tod und Untergang als unmittelbare Folge setzt; sowie hinwieder das Leben aus dem Tod neu hervorgeht. Somit ist also, was wir Bildliches nennen, nichts anderes als das Gepräge der Form unseres Denkens, eine Nötigung, der sich auch der abstrakteste und nüchternste Geist nicht entziehen kann, welcher aber das Altertum williger zugetan blieb." (26) Der Übergang von der Wirklichkeit zum Gleichnis ist außerordentlich subtil und vielfach nicht mit Genauigkeit festzustellen. So gibt es beispielsweise in der indischen Mythologie im Regueda eine ganze Reihe von zweifelhaften Wendungen. Der Inder ist überhaupt dazu geneigt, gerade in dieser Richtung sein Denken zu bewegen und die ganze Welt in einen geheimnisvollen Mystizismus zu verwandeln. So gelangt er oft zu Identifikationen und Symbolisationen, die uns außerordentlich überraschend erscheinen, aber wohl bloß deswegen, weil es uns nur schwer möglich ist, in den tieferen Zusammenhang dieser Gedanken einzudringen. An einer Stelle, an der ein Vers in einem bestimmten, dem starken Gott INDRA geweihten Metrum vorgeschrieben wird, ist z. B. gesagt, daß dieses Metrum Kraft und Stärke darstelle und man durch seine Anwendung in Kraft und Stärke hineinträte. Ein andermal lesen wir: "Viermal ist die Opferbutter geschöpft, das Vieh ist vierfüßig, so verschafft man sich das Vieh" (27). An diese indischen Anschauungen knüpft eine moderne religiös-philosophische Richtung des Okzidents an, bei welcher wir es zweifellos mit bloßer Symbolik zu tun haben. Teils auf indische Vorstellungen zurückgehend, teils direkt an PLATO und seine Ideenlehre anknüpfend, sucht sie die Wahrheit hinter den Dingen und erblickt in den Erscheinungen höchstens Symbole verschiedener Welten des Jenseits. Naturgemäß müssen die Theosophen, denn diese meinen wir, zum Symbol greifen, um die mystischen Anschauungen einer vergangenen Epoche mit unserem heutigen Denken einigermaßen in Einklang zu bringen, wie etwa auch die deutsche Romantik, die Vergangenes lebendig machen wollt - ich erinnere nur an NOVALIS -, in Symbolen redete. (28) Unter solchen Umständen werden wir gerade bei ihnen eine große Entwicklung der Symbolik und des symbolischen Denkens erwarten. Da die Theosophen (29) eine Vereinigung sämtlicher Religionen anstreben, fassen sie diese als mehr oder weniger vollkommene Darstellungen mystischer Zusammenhänge. Im berühmten Gleichnis vom Weinberg wird der Weingärtner mit  atma,  der unenendliche Weltseele, und der Weinstock mit der  buddhi,  der geistigen Weltseele, der Intelligenz symbolisiert. Als Beweis gilt dann die allgemeine Symbolik der verschiedensten heiligen Schriften. Das Titelblatt eines Buches über Magie besteht in einer verwickelten symbolischen Figur und bei ihrer Erklärung weist der Verfasser ausdrücklich darauf hin, daß diese Deutung nicht den Zweck habe, den Sinn dieser Zeichnung zu erschöpfen, sondern daß er durch seine Worte nur anregen wolle, in den tieferen Sinn der Zeichen zu dringen. In der Tat verdient es besonders hervorgehoben zu werden, daß diese Richtung die Bilder nicht etwa als bloße Darstellungsmittel betrachtet, sondern geradezu darauf abzielt, aus den Figuren Schlüsse herzuleiten. Auch die Zahlen finden reichlich Verwendung, eine  1  bedeutet "Alles", die Zahl  2  gilt als Zeichen der Täuschung unter eigentümlicher Begründung, die Zahl  7  gilt als Zahl der Erlösung. Die Ewigkeit wird durch einen Kreis, eine Linie ohne Anfang und ohne Ende, (30) die Materie des Raums durch eine Reihe von Punkten veranschaulicht. Ein heiliges Wort bildet den Schlüssel zu allen Wissenschaften und aus der zeichnerischen Darstellung desselben werden Resultate abgeleitet. Die Zahlensymbolik der Bibel wird erforscht, auch die Symbolik der Hieroglyphen spielt eine große Rolle (31), Methoden, die uns vom Standpunkt der modernen Wissenschaft naturgemäß außerordentlich fremd anmuten.

Für das Gebiet der Religion (32) sind ebenfalls die mit der Symbolik zusammenhängenden Fragen vielfach noch ungeklärt. Denn nicht überall gibt es Deuter, die wie JOSEPH den Traum des Pharao restlos klar zu machen wissen. Die Religion hat überall mächtige mystische Strömungen in sich, die den Erklärungen des Verstandes spotten und nur im Bild begriffen werden können. Man darf, wenn man christliche Symbole erläutern will, nie vergessen, daß in dieser Religion einmal vom Frieden Gottes gesprochen wird, der höher ist als alle menschliche Vernunft. Wenn hier vielleicht der Einwand von einer Seite erhoben werden sollte, derartige theologische Bemerkungen entbehrten, wie die Theologie überhaupt, der Wissenschaftlichkeit, so wird der Standpunkt unserer Ausführungen verkannt. Wir wollen nur erweisen, daß in den mannigfaltigsten Bezirken menschlichen Denkens und Fühlens Symbole uns entgegentreten, ohne auch nur im geringsten der Frage vorgreifen zu wollen, ob alles das, was sich Wissenschaft nennt, auch Wissenschaft ist. Unter solchen Umständen kann es für jeden am gegebenen Ort erforderlich werden, den Standpunkt des christlichen Theologen einzunehmen, wenn er gewisse Erscheinungen verstehen will. Auf die Bedeutung der historischen Betrachtungsweise, insbesondere in der modernen protestantischen Theologie, richten wir kurz das Augenmerk des Lesers, ohne das Problem eingehender zu erörtern. So ist es für die Anfänge der christlichen Religion bestritten, ob die Sakramente reale Gegenstände mit realen magischen Wirkungen sind, oder ob man sie wenigstens für das Urchristentum als reine Symbole mit ethischen Wirkungen aufzufassen hat. Neuerdings hat beispielswese DOBSCHÜTZ (33) den Nachweis zu erbringen versucht, daß wir es in den Sakramenten der Taufe und des Abendmahls mit einer urchristlichen Bildersprache zu tun haben, die einer hochentwickelten geistigen Kultur entspricht. Hier träte uns wohl nach DOBSCHÜTZ im Gegensatz zum sogenannten Animismus eine wirkliche Symbolik, ein eigenartiges christliches Geisteserzeugnis entgegen. Soweit wir sehen, scheint die vorliegende Frage wesentlich davon abzuhängen, welches Kulturniveau man der urchristlichen Zeit zuzuschreiben hat und wie die zur Interpretationsbasis zu erhebende psychologische Vorstellungswelt der damals lebenden Menschheit beschaffen war. Demnach dürfte auch von religionspsychologischer Seite aus noch manche Klärung für das Problem zu erwarten sein. Im allgemeinen hat man wohl mit Recht darauf hingewiesen, daß das anschauliche und insbesondere symbolische Denken in der Entwicklungsgeschichte der christlichen Religion eine bedeutende Rolle spielt, insofern schließlich jeder Gegenstand als Sinnbild erklärt werden kann und es vorzugsweise von der Richtung der Zeit abhängen wird, ob mehr die eine oder die andere Deutungsweise bevorzugt wird. Hieraus erklärt es sich auch, wenn man sich vom Standpunkt der protestantischen Theologie nicht durchaus ablehnend gegenüber der mystagogischen Theologie verhält. Der Mystagogismus ist aber im wesentlichen in der orientalischen Kirche als solcher ausgebildet worden, während sich in der okzidentalen Kirche nicht einmal ein einheitlicher Ausdruck durchzusetzen vermochte; man spricht hier vielfach von Symbolik. Zwischen ihr und der Mystik soll überhaupt ein tiefer Zusammenhang bestehen, die Symbolik gilt sogar als Quelle des Dogmas, als Offenbarung Gottes. (34) Der Fortgang der heiligen Handlung veranschaulicht die allgemeine Erneuerung des Menschen. Der stufenweisen Gruppierung der himmlischen Heerscharen entspricht der Aufbau der klerikalen Hierarchie; das Niedersinken des Klerikers vor dem Altar soll seine Übergabe an Gott, der Kuß die Zugehörigkeit zu einer und derselben in Freundschaft geeinten geistigen Verbindung, das Hinwenden nach dem Osten das Aufschauen zu Gott, zum ewigen Licht anzeigen. Der im Kirchenbau hervortretende Dualismus zwischen Laien und Priestern soll den Unterschied zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt charakterisieren. Ja, die Kirche ist ein Abbild des Menschen und der Altar entspricht dem  nous.  Schließlich hat man sogar in den heiligen Handlungen das Erdenleben des Heilands von seiner Geburt bis zu seinem Tod wiedererkannt. So haben CYRILL und der Pseudo-Aeropagita MAXIMUS CONFESSOR sowie THEODOR von ANTIDA und viele andere oftmals in fesselnder Dramatik alles von den Dogmen bis zur Liturgie in symbolischer Fassung entwickelt. (35) Überhaupt ist gerade das Christentum nicht nur zur Veranschaulichung der biblischen Geschichte und des kirchlichen Lebens, sondern in weitestem Umfang zur Einführung einer Symbolik gelangt (36), um seine sittlichen Ideen und seinen inneren Gehalt dem Gemüt und dem Verstand des Menschen näher zu bringen. Während das philosophische Altertum seine Ideenwelt in die Natur hineintrug, hat das Christentum seine Lehre in eine plastische Form gebracht. Die symbolischen Ausdrucksformen bei den Griechen stehen im ganzen bereits fest, im christlichen Mittelalter werden sie schöpferisch gestaltet. Im Altertum umspannen die Symbolische einen größeren Lebenskreis, im christlichen Mittelalter sind sie sittlich-religiös.

Auch in der äußeren Form des Kirchenbaues, in der künstlerischen Gestaltung der Kirche selbst ist sowohl das Symbol des christlichen Gedankens in der Kreuzform, im Glockenturm, der wie ein Wächter oder Finger zum Himmel ragt, als auch das Symbol der christlichen Macht in den großen überleitenden Bogen, in den machtvollen Krönungen von Kuppeln ausgedrückt. (37)

Die Theologie verwendet den Begriff des Symbols nicht nur für eine plastische Darstellung eines religiösen Gedankens, sondern auch für bestimmte Bekenntnisformeln. In diesem Sinne sind Symbole die Lehren, welche als Erkennungszeichen der christlichen Gemeinschaft dieser eigen sind und welche von allen Anhängern einer bestimmten Glaubensrichtung anerkannt werden.

In der Kunst liegt ja in mannigfaltiger Beziehung so recht eigentlich das Gebiet der Symbolik.

Es ist wohl anzunehmen, daß in alten Zeiten, wo die verschiedenen Auffassungsweisen des Menschen, die reale, die religiöse und die künstlerische, noch nicht voneinander scharf getrennt waren, auch das Symbolisieren durchaus nicht so bewußt betrieben wurde, wie es manchem neuen Kunstforscher erscheinen mag, ja selbst denen erscheinen mag, die schon in Rechnung zu ziehen pflegen, daß der Künstler überhaupt nicht so sehr mit Bewußtsein, als kraft einer inneren Notwendigkeit, eines ihm innewohnenden, instinktmäßigen Gefühls seine Werke zu schaffen pflegt. Andererseits aber bleibt auch zu bemerken, daß gerade in neuerer Zeit, wo der Künstler bewußt seine Werke mindestens nachträglich betrachtet, wo er in sein Schaffen Absichten rein künstlerischer Natur hineinlegt, wo er philosophische Anschaaungen in sich aufnimmt, die für ihn mehr oder weniger zu einem ästhetischen Bekenntnis führen, auch die Ansicht vertreten wird, der Künstler stelle die Wirklichkeit nicht im Symbol, sondern er stelle sie als solche dar. Somit finde sich auch hier, auf dem Gebiet der Kunst, jener grundlegende Gegensatz zwischen Bedeutung und Sein mit allen jenen Übergangsstufen, wie sie uns schon auf anderem Gebiet so außerordentliche Schwierigkeiten verursacht haben.

Mit der Erkenntnis der Kunst, der Erforschung ihrer Bedingungen und den ihr innewohnenden Werte beschäftigt sich die Ästhetik. Diese hat aber den Charakter einer Wissenschaft, und unter allen Umständen müssen wir vor der Verwechslung warnen, als ob die Ästhetik selbst mit Hilfe der symbolischen Methode vorgeht und sich also mit Dingen beschäftigt, die wir erst in unseren späteren Ausführungen näher ins Auge zu fassen gedenken.
LITERATUR Walter Pollack, Perspektive und Symbol in Philosophie und Rechtswissenschaft, Berlin und Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) Die Frage von Grund auf zu behandeln, wird nachträglich besonders gerechtfertigt durch die neuerdings in der Jurisprudenz hervorgetretene Notwendigkeit, sich mit allgemeinen philosophischen Fragen zu beschäftigen, was freilich meist auf ungenügender Basis geschieht. Vgl. z. B. BRODMANN in JHERINGs Jahrbüchern, 1909, Seite 277f, sowie WEYR, Archiv für öffentliches Recht, 1908, Seite 529f und NUSSBAUM, Über Aufgabe und Wesen der Jurisprudenz in Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 1906, Heft 1
    2) Nebenbei macht sich die positive Theorie die Sache außerordentlich leicht, sie findet irgendeinen Rechtssatz, der noch nicht berücksichtigt ist, und glaubt nun, das ganze Gebäude zu stürzen; flugs kommt ein anderer und richtet es unter Vermeidung dieses Fehlers wieder her und so fort. Das ist indessen keine wahre Wissenschaft, das verhält sich zu ihr fast ebenso, wie die Gesetzestechnik oder -kunde zur Wissenschaft.
    3) Das Wort ist bisher wenig okkupiert, es findet sich jedoch schon in der Bedeutung "Lehre von den Symbolen", die man aber bisher fast durchweg als "Symbolik" bezeichnet. Insbesondere kommt das Wort in medizinisch-technischer Bedeutung für Semiotik vor; diese ebenfalls äußerst seltene Verwendungsweise stört nicht, da bei der Beziehung auf ein ganz spezielles Gebiet eine Verwechslung ausgeschlossen ist. Vgl. DANIEL-SANDERS, Fremdwörterbuch, 1871, sub. Symbolologie. Aus sprachlichen Rücksichten empfiehlt sich vielleicht das nicht ganz bedenkenfreie aber kürzere Wort Sym bolo gie
    4) Vgl. PLATO, Symposion, Kap. 16, sowie CREUZER, Symbolik und Mythologie der alten Völker, 1842, Seite 503f und DIETERICH, Eine Mithrasliturgie, 1903, Seite 64, Anm. 3.  Symbolon = Erkennungszeichen, Kultparole, Kultbekenntnis, Unterpfand, Verlobungszeichen, Markierzeichen, Zeichen zur Andeutung verborgener Wahrheiten, Sinnbild.
    5) Vgl. EISLER, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. II, 1904, Seite 467f, sub. Symbol.
    6) Vgl. hierzu insbesondere SIMPSON, The Buddhist Praying - WHEEL, 1896, Seite 37f, auch Seite 38, Anm. 1 und Seite 259, sowie MYER, Scarabs, 1894, Seite 3 und 7, MALVER, Wissenschaft und Religion, 1904, Seite 1f.
    7) Hier mag noch hervorgehoben werden, daß es auch Symbole der Symbole geben kann. Hierunter gehören zweierlei Fälle der religiösen Sinnbilder. So ist wohl manchem das Abendmahl ein symbolischer Vorgang dafür, daß "die irdischen Lippen ein göttliches Wesen verkörpert empfangen und unter der Form irdischer Nahrung einer himmlischen teilhaftig werden" (GOETHE). Für dies ist nun aber der Kelch ein Symbol des Abendmahls, also ein Symbol des Symbols.
    8) Im Hinblick auf diese Ausführungen geht auch die sonst vielfach treffliche Arbeit von RICHARD HAMANN, Das Symbol, Berliner Dissertation 1902, auf falschen Bahnen, indem sie das Problem des Symbols lediglich mit Hilfe der Ersatzvorstellung zu erfassen glaubt. Infolgedessen zieht HAMANN im inneren Widerspruch zu früher Gesagtem sowie ohne genügende Charakterisierung der Verschiedenheiten auch rein konventionelle Verhältnisse ohne mystische Beimischung in den Kreis seiner Betrachtung, wie Signale und Lautsymbole.
    9) Man denke z. B. an die Geschichte des Kreuzsymbols. Das Kreuz war ursprünglich ein Instrument zur Vollziehung der Todesstrafe.
    10) Dies wird in bezeichnender Weise klar durch den von ihm konstruierten Gegensatz zur Physik. Letztere hat es nach LIPPS nicht mit dem mir vorschwebenden Bild eines Throns zu tun, sondern mit dem Thron, sofern er sich mir als etwas darstellt, das da ist, unabhängig davon, ob das sich gehörige Bild in meinem Bewußtsein findet oder nicht. An einer Stelle charakterisiert er den Inhalt des Physisch-Realen dahin, daß man sich bei ihm nontwendig einen für sich existierenden Gegenstand denken muß. So ist die physische Erscheinung die unter den besonderen Bedingungen der Wahrnehmung stattfindende und durch dieselbe inhaltlich mitbedingte Wahrnehmung eines physisch-realen Gegenstandes. Vgl. hierzu LIPPS, Leitfaden der Psychologie, 1903, Seite 4f und Seite 179f.
    11) Vgl. LIPPS a. a. O., Seite 126f
    12) Hierbei ist zu beachten, daß ein Gegenstand, welcher symbolisch aufgefaßt wird, in ganz verschiedener und eventuell sogar entgegengesetzter Weise gedeutet werden kann. So ist z. B. das Salz ein Symbol der Zeugung und der Fruchtbarkeit mit Rücksicht auf seine lebensfördernde Kraft, aber auch ein Symbol der Unfruchtbarkeit mit Rücksicht auf die Sterilität der Salzsteppen und Salzsümpfe. Vgl. M. J. SCHLEIDEN, Das Salz, 1875, Seite 92f
    13) Vgl. hierzu LIPPS a. a. O., Seite 139f.
    14) Vgl. JOACHIMI, Die Weltanschauung der Romantik, 1905, Seite 30: "Es sind Bilder  unbegriffener Wahrheit,  auf die es der Romantik im letzten Grund ankommt."
    15) Die Logik und der Aufbau der Symbolik ist ein vollständiges Feld für sich, das einheitlich alle Wissenschaften durchzieht. Eigentlich hätten wir, wenn wir die Frage von Grund auf behandeln, überhaupt davon absehen müssen, sie in verhältnismäßig so kurzen Erörterungen abzutun. Indessen unter diesem Vorbehalt glauben wir aus der Behandlung der schwebenden Fragen doch einen gewissen Nutzen zu ziehen zu können. Wir stellen daher fest, daß die Beschäftigung mit der Symbolik ein sehr wichtiger Weg ist, um die Gedankenentwicklung und Denklogik des Menschen und der Völker zu studieren. Wir fordern zu dementsprechender Arbeit auf und werden versuchen, selbst ein kleines Stückchen auf diesem Gebiet weiter zu dringen. Andererseits ist uns aber diese Untersuchung als solche mehr Mittel zum Zweck. Wir sind auch gewiß, daß wir vielleicht in Zukunft manche Äußerung nach dieser oder jener Richtung hin restringieren oder erweitern müssen, wie das bei vorläufigen Untersuchungen stets der Fall ist.
    16) Auf den inneren Grund dieses anthropomorphen Denkens ist hier nicht einzugehen. Vor allem sei auf das bedeutsame Werk von WUNDT, Völkerpsychologie II, Teil I, Mythus und Religion, 1905, hingewiesen; vgl. auch Seite 527f. Auf eine ausführlichere Stellungnahme zu den verschiedenen, für die folgenden Erörterungen relevanten Theorien muß an dieser Stelle verzichtet werden.
    17) Vgl. HÖFFELING, Religionsphilosophie, 1901, Seite 63f, sowie POLLACK, a. a. O., Seite 95
    18) Das Tier ist die verhüllende Wolke, nicht bloß bei abnehmendem Mond, sondern auch bei Vollmond, bzw. Neumond.
    19) Wir Modernen erblicken in den Anschauungen der Primitven gewisse von Naturmenschen gesammelte Erfahrungssätze; durch ein Echo, durch Schallwellen, können Lawinen, kann Steinhagel (Steinschlag) erzeugt werden. Auch jetzt noch: im Hochgebirge kein Skandal! Indessen sei bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, daß eine solche Deutung und Betrachtungsweise für die im Thema behandelte Frage völlig indifferenz ist. Zur Behauptung steht lediglich die Tatsache einer Weltauffassung der Naturvölker, die wir beim modernen Menschen als symbolische bezeichnen würden.
    20) Material bei PESCHEL, Völkerkunde, 1875, Seite 275f u. a.
    21) Vgl. auch ROBERTSON-SMITH, Kinship and Marriage in Early Arabia, 1885, Seite 186f. Unbestritten - heutzutage - ist das Totem ein Abzeichen des Klans; die Mitglieder sind Blutsverwandte und fühlen sich untereinander verbunden. Vgl. LEHMANN, Die orientalische Religion in Kultur der Gegenwart, 1906, Seite 20.
    22) Vgl. ACHELIS, Abriß der vergleichenden Religionswissenschaft, Berlin 1904, Seite 26, sowie vor allem LEHMANN, a. a. O., Seite 8f. Im ganzen richtig kennzeichnet schon CREUZER, Symbolik und Mythologie der alten Völker, 1842, Teil IV, 3. Ausgabe, Seite 485, die Anschauung der alten Griechen dahin, daß ihr die Kräfte und Äußerungen der Natur Götter waren. Vergleiche auch ebenda Seite 526, wonach sich Anschaulichkeit und Bildlichkeit der Schrift und Rede des Denkens und Dichtens nicht als eine willkürliche und figürliche, sondern als eine ansich und schlechthin notwendige Ausdrucksart erweisen. Denn jene Urgriechen, sagt SCHOPENHAUER, waren eben, wie GOETHE in seiner Jugend: Sie vermochten gar nicht ihre Gedanken anders als in Bildern oder Gleichnisse auszudrücken. Eine ganz andere Frage ist die, welche Rolle die griechische Mythologie im heutigen Kulturleben spielt. Mag auch die Mythologie der Griechen entstanden sein ohne die symbolische Bedeutung, welche wir heute in sie hineinlegen, so hat sie doch für uns im Laufe der Geschichte einen eigenen Kulturwert gerade dadurch gewonnen, daß sie in ihren Gestalten und Vorgängen für uns eine große Zahl ideeller Dinge verkörpert. Sie hat nach SCHOPENHAUER vor allem Stoff zu symbolischer Interpretation gegeben, sie liefert nach ihm Schemata zur Veranschaulichung fast jedes Grundgedankens und enthält die Urtypen aller Dinge und Verhältnisse. Daher soll sich selbst für jedes kosmologische und metaphysische System eine Allegorie aus der Mythologie entlehnen lassen.
    23) Vgl. EHRENREICH, Die allgemeine Mythologie, 1910, Seite 13, 21, 57f; vgl. auch Seite 183f, 188f, vor allem Seite 227f, 246f (einzelne Symbole); insbesondere auch Seite 246, Anm. 1
    24) Vgl. PRELLER, Griechische Mythologie, Bd. I, 1894, Seite 2f; SCHOEMANN-LIPSIUS, Griechische Altertümer, 1902, Seite 188f
    25) GUSTAV SCHMOLLER, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Auflage 4 - 6, Teil I, Seite 49
    26) Vgl. FRIEDRICH CREUZER, Symbolik und Mythologie der alten Völker, 1842, Seite 526f. Über CREUZERs Bedeutung siehe LEHMANN, a. a. O., Seite 2 und EHRENREICH, a. a. O., Seite 27
    27) Vgl. LEOPOLD von SCHRÖDER, Indiens Literatur und Kultur, Leipzig 1887, Seite 127f
    28) Es mag hier vorweg einer Fähigkeit des Symbols gedacht werden, die es begründet, daß die Seher, Dichter und Weisen eines Volkes so oft versuchen, ihre Gedanken losgelöst von allem Abstrakten nur in Bildern zu erschöpfen, wie von CHRISTUS gesagt wird: "Er redete zu ihnen nur in Gleichnissen." Das macht: Das Letzte und Tiefst, was in uns lebt, höchste Ahnungen und mystische Schauer, Haß und Liebe, Verehrung und Furcht sind Gebiete, denen gegenüber die Sprache als solche und das Denken unzulänglich sind. Solche Erlebnisse können nur annähernd zum Ausdruck gebracht und wiedergegeben werden, wenn man die in der Außenwelt sichtbaren Spannungen, die Geschehnisse des fremden Lebens, die nach einer subintelligierten Wahrscheinlichkeit der andere genauso wie man selbst empfindet, zum Verständnis innerer Erlebnisse heranzieht. Das Wort: "Bilde, Künstler, rede nicht", heißt ja nichts anderes als: Objektiviere dein geheimstes Fühlen, gestalte es im Bild sichtbar, damit wir an ihm, wo die Sprache des Denkens versagt, sehen lernen, was du meinst.
    29) Außerdem sei hier an die Symbolik der Freimaurer erinnert, welche auch zu Erziehungszwecken Verwendung findet. Überhaupt siehe HECKENTHORN, Geheime Gesellschaften, deutsch von KATSCHER, 1900.
    30) Dies finden wir auch im Symbol des Rings und der sich in den Schwanz beißenden Schlange als Sinnbild der Unendlichkeit wieder.
    31) Vgl. HELENA PETROWNA BLAVATSKY, Schlüssel zur Theosophie, übersetzt von HERMANN, Seite 132f; CARL BILLIGHEIM, Was ist Mystik?, Leipzig 1893; HARTMANN, Magie, Leipzig, Seite 85, 192, 205f; ANNIE BEASANT, Studien über das Bewußtsein, Seite 5, 10, 18, 41, 48, 56 mit höchst verwickelten Zeichnungen. Einen interessanten Beleg zum methodischen Verfahren gibt die Neue metaphysische Rundschau, 1907, Heft 6, Seite 258, wo aus dem Wort Katalyse durch Mutation das Wort  Alkyest  hergestellt wird, welches soviel bedeuten soll, wie  Stein der Weisen.  Vgl. auch HECKENTHORN, a. a. O., Seite 511f.
    32) Vgl. SIEBECK, Lehrbuch der Religionsphilosophie, 1893, Seite 64, 280, 282, 308 sowie die verwandten zitierten Werke weiter unten.
    33) Vgl. Theologische Studien und Kritiken, 1905, Seite 30, sowie KATTENBUSCH in "Realenzyklopädie für protestantische Theologie", Bd. XVII, Seite 353 unten; auch HARNACK, Dogmengeschichte, Bd. I, Seite 85f, insbesondere Seite 88, Anmerkung 3 und Seite 111f, auch insbesondere Seite 119; ebenfalls HEINRICI, Ist das Urchristentum eine Mysterienreligion?, in Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst, Technik, 1911, Seite 417f und die dort Zitierten. Endlich auch LEHMANN, Mystik im Heidentum und Christentum, 1908. Über das Abendmahl und Gegenwart Christi vgl. SEEBERG, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 1908, Seite 133f, insbesondere Seite 138 und LIETZMANN, Handbuch zum Neuen Testament, Bd. III, 1906/07, Seite 29f, 124f.
    34) Vgl. MENZEL, Christliche Symbolik, 1854, Vorwort; sowie DETZEL, Christliche Ikonographie, Bd. I, 1894
    35) Vgl. zum Folgenden KATTENBUSCH, "Realenzyklopädie für protestantische Theologie", Bd. XIX, 1907, Seite 197f über Symbole, sowie Bd. XIII, 1908, über mystagogische Theologie und DEUTSCH in Bd. XIX, Seite 631f
    36) Man unterscheidet auch reale Zeichen (Attribute) und ideale (Symbole). Die Attribute sind, wie z. B. das zerbrochene Rad der heiligen KATHARINA, irgendeinem markanten Ereignis im Leben der heiligen Person entnommen: als KATHARINA gerädert werden sollte, zerbrach das Rad. Symbole versinnbildlichen eine Tugend oder Ideen z. B. die Lilie die Unschuld. Die Tiere insbesondere sind entweder Tugenden, z. B. Lamm = Sanftmut, Einhorn = Jungfräulichkeit, oder Laster, welche von den Heiligen überwunden sind, z. B. Schwein = Unlauterkeit (der heilige ANTONIUS). Vgl. WESSELY, Ikonographie Gottes und der Heiligen, 1874.
    37) Vgl. über die Symbolik im katholischen Kirchenrecht auch HERGENROETHER-KAULEN, Kirchenlexikon (Enzyklopädie der katholischen Theologie), Bd. II, 1899, Seite 1043f