ra-2H. HöffdingH. CohnA. DöringJ.-C. Kreibig    
 
HANS SCHMIDKUNZ
Psychologisches und pädagogisches
zur Werttheorie

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"Die Griechen waren ersichtlich ausgesprochen untechnisch, speziell nicht utilitarisch, und zwar in der Theorie wohl noch mehr als in der Tat. Für ihre  großen und freien Seelen  und für ihre sowie für die späteren noch in unsere Gymnasialbildung hereinreichenden "freien Künste" war das  Nützliche  minderwertig."

"Alles Disponieren des Lehrstoffs ist  logische  Arbeit, ebenso alles Herausfinden innerer Zusammenhänge des Stoffes, also das Eindringen in das  rationale Element  desselben. Wer rationell unterrichten will, muß sich vom Rationalen in seinem Lehrstoff Rechenschaft geben. Und dies umso mehr, als er nicht bloß selbst zu denken angewiesen ist, sondern auch  denken lehren  soll."

"Zum innersten Bestand der Pädagogik gehört es, Stellung zu nehmen für die  höheren  Werte gegen die  niederen  und speziell - gerade bei ihrer technischen Eigenart - den pädagogischen  Utilitarismus  bei sich sowie bei der Jugend zu bekämpfen und diese von früh auf an dasjenige zu gewöhnen, was kurz als  Selbstzwecke  selbstverständlich wird."


IV. Realisierung der Werte
in psychischen Typen

Nach dieser Ausführung über  Besonderungen  der Werte fragt es sich für uns nach ihrer  Realisierung.  Daß für diese das Psychische in- und außerhalb der Pädagogik in Betracht kommt, wissen wir ebenfalls bereits. Eine nähere Behandlung der dadurch entstehenden Probleme muß begreiflicherwesei den speziellen Bemühungen der Psychologie als solcher überlassen bleiben. Einen gewichtigen Beitrag dazu geben THEODOR HÄRINGs "*Untersuchungen zur Psychologie der Wertung (auf experimenteller Grundlage) mit besonderer Berücksichtigung der methodologischen Fragen" im  Archiv für die gesamte Psychologie,  Bd. 26 und 27, 1913. Das jedoch, worauf es uns besonders ankommt, ist Folgendes.

Wenn die verschiedenen Klassen von Werten für sich bestehen oder gelten, und wenn sie realisiert werden können, so folgt daraus deduktiv mit Wahrscheinlichkeit, daß der psychische Boden, auf dem diese Realisierung geschieht, sich an diese Werte in verschiedener Weise anpassen und folglich typische Verschiedenheiten aufweisen wird, die sich eben nach jenen Wertverschiedenheiten gruppieren. Die Anlagen und Ausbildungen des individuellen Seelenlebens, also seine Dispositionen, werden sich gemäß dieser Wahrscheinlichkeit in den durch unsere Wertklassen gegebenen fünf Richtungen differenzieren. Psychologische Alltagserfahrung und psychologische Wissenschaft mögen dies im Näheren bestätigen, berichtigen und vervollständigen, während hier nur die Grundzüge anzudeuten sind. Zu diesen gehört jedenfalls, daß sich von dem, was damit gemeint ist, beim Kind keimhafte Anfangsstadien und beim Erwachsenen mehr oder weniger vollendete Reifestadien vorfinden werden.

Wir versuchen also die Aufstellung von fünf psychischen Typen. Es sind dies: der  Hedoniker  (oder Eudämoniker), der  Techniker  (oder Praktiker), der  Ästhetiker,  der  Logiker,  der  Ethiker. 

Bei jedem dieser Typen haben wir zunächst zu tun mit einer noch in normalen Grenzen bleibenden besonderen Anpassung an eine von den fünf Wertklassen - wobei diese Anpassung natürlich bis zu dem Grenzfall herabsinken kann, daß überhaupt keine solche typische Verschiedenheit hervortritt, daß also alle fünf Klassen gleichmäßig psychisch verwirklicht sind. Daran aber schließt sich eine doppelte Abweichung bis zu dem einen oder anderen Extrem: einerseits Übertreibungen bis zu gefährlichen oder lächerlichen oder sonstwie abnormen Graden ("Zerrbildern"), andererseits die Gegensätze, Minderwertigkeiten, Ausfallserscheinungen, Defekte in verschiedenen Maßen. Auf beiden Seiten finden Übergänge ins eigentlich Pathologische statt. Von dem nach abwärts gehenden Extrem läßt sich etwa noch der Fall der mehr oder minder vollständigen Gleichgültigkeit oder Indifferenz gegen die Forderungen der betreffenden Wertklasse unterscheiden.

So ergeben sich für jede der fünf Wertklassen vier Fälle von psychischen Werttypen: das  Normale  (aber Gesteigerte), das  Zuviel,  das  Zuwenig,  die  Indifferenz;  im ganzen also 20 Fälle, von denen 5 normal, 5 übernormal, 5 unternormal, 5 indifferent sind. Alles natürlich mit bekannter Künstlichkeit der Abgrenzung sowie mit reichlichen Nuancen und Übergängen.

Nach dem, was wir vorhin über die Bedeutung des Widerspruchslosen in der Wertwelt gesagt haben, wird und muß sich jeder Normaltypus durch Widerspruchslosigkeit kennzeichnen, während die Fälle des Übernormalen und des Unternormalen Widerspruchsvolles zwar nicht enthalten müssen, aber wahrscheinlich mehr oder weniger reichlich enthalten werden. Das Erfreuliche einer widerspruchslosen psychischen Erscheinung, das Unerfreuliche einer widerspruchsvollen ist längt allgemein bekannt. Eine andere Frage ist freilich die nach der widerspruchslosen Zusammenfügung der in einem seelischen Ganzen verwirklichten verschiedenen Werte. Auch sie, und sie erst recht, hat ihr Erfreuliches; und je nach überragenden Wertanforderungen wird sie es haben müssen.

Man kann sich dabei den Mikrokosmos einerseit und den Makrokosmos mit seinen idealen und realen Bestandteilen andererseits so eingerichtet denken, daß beide, soweit sie normal sind, miteinander übereinstimmen. Dann verhält sich der normale Mikrokosmos als eine Art Spiegelbild des Makrokosmus, während der nicht normale diesem in mannigfacher Weise widerspricht, ihn verzerrt und dgl. mehr. Nur daß der normale Typus eine "Normbreite" haben muß, innerhalb deren er sich bewegen, Individuelles entfalten und Neues schaffen kann.

Sodann läßt sich jegliches Problem und jegliches "Ding" von jeder der fünf Wertklassen aus in verschiedener Weise betrachten und behandeln, die also im Grundzug fünffach und dann wieder jedesmal mannigfach variiert sein wird. Diese timologische Möglichkeit wird auch in den 5 verschiedenen psychischen Typen so zu verwirklichen sein, daß diese das Objekt je nach ihrer Art verschieden betrachten und behandeln werden. Hier wie immer ist natürlich mit allen erdenklichen Kombinationen zwischen den Werttypen selbst zu rechnen, aber auch mit Kombinationen zwischen diesen Typen und sonstigen Faktoren, zumal den "Standpunkten", wie namentlich den beruflichen.

Man mag dies erproben an Beispielen für die Betrachtung und Behandlung, wie etwa dem Krieg oder der künstlerischen Produktion oder der Geschlechtsliebe. Der Typus - gemeint ist hier natürlich: der gesteigerte Typus - der I., der hedonischen Wertklasse hat daran seine Freude oder seine Trauer, sein Lust- oder Schmerzgefühl, seinen Genuß oder Ekel, sein Glück oder Unglück, und was eben die Verschiedenheiten innerhalb dieser Klasse sind. Typus II, also der "Techniker", sieht in jenen Objekten Mittel zu irgendwelchen Zwecken und interessiert sich für Geschick und Ungeschick, Klugheiten und Unklugheiten, die da aufgeboten werden können, für die möglichen Erfolge und Mißerfolge, für den zu erzielenden Nutzen und Schaden. Typus III, der "Ästhetiker", sieht darin Gelegenheiten zum Walten eigener und fremder Phantasie, zum Bewundern des Schönen und zum Herausfinden und eventuell Verwerfen des Häßlichen, zum Erschaffen von Kunstwerken; er befriedigt sein ästhetisches und speziell "artistisches" Interesse. Typus IV, der "Logiker", wir in einen primitiven Zustand getrieben von der Neugierde am Geschehen, Verhalten und Handeln, in einem höher entwickelten Zustand vom Drang nach mehr oder minder wissenschaftlicher Erkenntnis, speziell nach einem Herausfinden von Denkfehlern der Handelnden. Typus V, der "Ethiker", fragt nach Tugend und Untugend, nach Pflicht und Recht und Unrecht, nach dem, was nicht bloß aus "praktischen" Gründen erlaubt und verboten ist, nach Erfüllung und Verfehlung irgendwelcher sittlichen Ideale, mit größerer oder geringerer und mit mehr oder weniger berechtigter Moralisierung.

Für die Pädagogik wohl am meisten, aber auch außerhalb ihres Bereichs von Belang ist die Unterscheidung eines verschiedenen  Interesses,  das an jeder der 5 Wertklassen genommen werden kann und dementsprechend auch die psychischen Werttypen kennzeichnet. An irgendeinem Wert oder einer Werklasse Interesse um ihrer selbst willen nehmen, also Technisches um des Technischen willen, Ethisches um des Ethischen willen billigen usw., ist  direktes  Interesse. An einem Wert oder einer Wertklasse hingegen um eines anderen Wertes oder einer anderen Wertklasse willen Interesse finden, also z. B. die Kunst oder die Wissenschaft oder das Lernen um des Nutzens willen treiben, ist  indirektes  Interesse.

Dadurch aber läßt sich auch noch eine besondere Unterscheidung an den psychischen Werttypen, also schließlich an den Menschen überhaupt machen: die Menschen des direkten Interesses unterscheiden sich in einer wohl nicht schwer merklichen, jedenfalls für die Pädagogik belangvollen Weise von denen des indirekten Interesses. Interesse aber ist, mag es von der Psychologie wie auch immer bestimmt werden, ansich jedenfalls zum Teil eine hedonische Sache; und demnach wird die soeben gemachte Unterscheidung besonders charakteristisch innerhalb des hedonischen Typus sein. Allein sie ist von ihm nicht abhängig und kann selbst wieder fünffach orientiert sein, als das Interesse am Wohlgefälligen, am Zweckmäßigen, am Schönen, am Wahren, am Sittlichen - und zwar einerseits und hauptsächlich direkt, sodann und in minderwertiger Weise mit einer vierfachen Variation des indirekten Interesses an jeder von den fünf Wertklassen - also z. B. an der ethischen mit hedonischen oder technischem oder ästhetischem oder logischem Interesse.

Wieviel aus all diesen Ausführungen die Pädagogik angeht, kann deren Vertreter bereits auch über unsere Andeutungen hinaus gemerkt haben. Der Erzieher und der Lehrer bekommen mit den fünf Werttypen bei ihren Zöglingen oder Schülern zu tun, und zwar hauptsächlich in den Anfangsformen, wie sie sich "vorfinden" und allmählich "entfalten", wie sie aber auch beeinflußt werden können und sollen.

So kennt wohl jeder Pädagoge längst, wenigstens in unsystematischer Weise, die sich hier ergebenden Schülertypen. Typus I betrachtet den Erziehungs- und den Lehrinhalt aufs Wohlgefallen, speziell auf Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, Interessantheit oder Langweiligkeit hin und ist gerne - faul. Der Schülertypus II hält stand, um Prüfungen und Karriere zu machen, wird geschickt und klug sein und wird unter Umständen - schwindeln. Der Schülertypus III, wohl ein ziemlich seltener, sucht aus der dargebotenen Materie das "Schöne" heraus und hält sich vor vielem Phantasieren nicht leicht in genügender Weise an das Objekt. Der Schülertypus IV, wohl der dem Lehrer liebste, sucht und findet die unmittelbare Fühlung mit dem Gehalt des Lehrstoffes. Der Schülertypus V, der wiederumg nicht der häufigste sein mag, denkt vor allem an die Pflicht, vielleicht selbst auf Kosten eines intimeren Verhältnisses zur "Sache", und ist gerne fleißig, wohl nicht immer in zutreffender Weise.

Ebenso aber wie die Schüler können sich auch die Lehrer (und Erzieher) selbst auf fünffache Weise unterscheiden. Das ist mehr oder weniger schon längst den Lehrern selbst und wohl noch mehr den Schülern und den Schulbehörden bekannt. Der "moralische" Lehrer - Typus V - mag häufiger sein als der "moralische" Schüler, vielleicht selbst häufiger als ein anderer Lehrertypus, wenigstens auf unteren Stufen, während nach oben hin wahrscheinlich der "logische" Lehrer - Typus IV - vorherrschen dürfte. Welcher von allen Lehrertypen als der beste gelten, und ob etwa der für alle Werte gleichmäßig interessierte Lehrer am besten dastehen soll: das mag allerdings fraglich sein. "Die Beanlagung für phantasiemäßiges Denken ist günstiger als die des Logikers", sagt ein Pädagoge ("Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik", 45. Jhg, 1913, Seite 140). - Daß überdies auch Schulinspektoren nach ihren derartigen typischen Verschiedenheiten mehr oder weniger wohlbekannt sind, bedarf hier wohl nur eine vorübergehenden Erwähnung.

Schließlich spielen in der Pädagogik überhaupt und in ihrer Geschichte die Wertklassen eine analoge Rolle, wie wir sie auch in der Systematik und Geschichte der Philosophie kennen lernen können. Längst unterscheidet man die hedonische Pädagogik der Philanthropisten, die wohl am ehesten der technischen Wertklasse zugehörige Ehrgeizpädagogik der Jesuiten, die ästhetische alter Zeiten und neuester Anläufe, die logische aller, zumal älterer Zeiten und nun wieder der neuesten, und nicht zuletzt die ebenfalls sehr beständige ethische, mit Steigerungen von kirchlicher, speziell "frommer", gelegentlich noch eigens von "pietistischer" Seite her. Derartige Verschiedenheiten werden nicht schwer zu finden, wenn auch nicht überall leicht nach allen Abgrenzungen zu unterscheiden sein.

Die hier unterschiedenen Werttypen sind psychische Typen, aber nicht nach psychischen, sondern nach außerpsychischen Prinzipien unterschiedene Typenreihen, die nach psychischen Prinzipien selbst unterschieden sind, kennt man bereits seit längerem. So die des "visuellen", des "auditiven", des "motorischen" Typus usw., wie auch ferner die der Temperamente, nach alter Überlieferung oder auch nach neueren Versuchen einer begründeteren Unterscheidung der Temperamentstypen.

Mit all diese psychologisch fundierten Typen haben unsere timologisch fundierten höchstens akzidentiell etwas gemein. Die Temperamente können das Gefallen, also den hedonischen Typus nuancieren; sie können vielleicht, was ja besonders von jenen neueren Versuchen über einen Sinn der Temperamentsunterscheidungen abhängt, zu einem verschiedenen Verhalten gegenüber den verschiedenen Werten beitragen. Vielleicht stellt sich dann der "Phlegmatiker" als ein besonderer Hedoniker heraus, der "Melancholiker" wiederum nicht; und vielleicht neigt der "Sanguiniker" mehr zur ästhetischen, der "Choleriker" mehr zur technischen, zur logischen, zur ethischen Wertklasse. Jedenfalls sollen unsererseits derartige Andeutungen nur eben Andeutungen sein.

Während nun sich die bisherigen nicht seltenen Versuche in der Psychologie und Pädagogik zur Unterscheidung von Typen unseres Wissens kaum jemals in der von uns angegebenen Richtung bewegen, kommt an diese am ehesten das heran, was CLEMENS BAEUMKER an Anschauungstypen unterscheidet ("Anschauung und Denken", Paderborn 1913, Seite 29 -32). Er geht aus von einem Betrag an Aktivität, die er im "Anschauen" findet, und nimmt demnach die Typen des Anschauens im Sinne von "Auffassungstypen". Dabei unterscheidet er ein vierfaches Interesse:
    1) für das Tatsächliche,
    2) für das theoretische Wissen,
    3) für das phantasievolle Weiterspinnen,
    4) für das gemütvolle Sicheinleben.
Daraus würden also vier Typen zu gewinnen sein. Der 1. Typus könnte wohl als eine Kombinationi unseres hedonischen und logischen Typus gelten, der 2. als unser logischer Typus, der 3. als unser ästhetischer und der 4. vielleicht als unser ethischer, mit einer Beteiligung von ästhetischer und hedonischer Seite. BAEUMKER verfolgt aber keineswegs diese Konsequenz des von ihm angeführten vierfachen Interesses, reproduziert vielmehr weiterhin die Einteilung von ALFRED BINET, die folgende vier Typen ergibt:
    1) den beschreibenden,
    2) den beobachtenden,
    3) den gefühlvollen und phantasiemäßigen (subjektiven),
    4) den gelehrten.
Von diesen BINET'schen Typen entsprechen der 1. und der 2. einigermaßen unserem logischen, der 3. unserem ästhetischen mit einem Anteil des hedonischen, der 3. unserem ästhetischen mit einem Anteil des hedonischen und auch des ethischen, der 4. fast ganz unserem logischen.

Es bleibt nun noch übrig, die bisherige allgemeine Darlegung der fünf psychischen Werttypen durch ein kurzes Eingehen auf die einzelnen zu ergänzen.


V. Die psychischen Werttypen im Einzelnen

Es wurde schon angedeutet, daß jeden Typus, abgesehen vom niemals wirklichen Fall eines völligen Ausgleiches der fünf Typen, eine "noch in normalen Grenzen bleibende besondere Anpassung an eine von den fünf Wertklassen" ausmacht. Diese Anpassung also meinen wir, wenn wir vom Hedoniker, vom Techniker oder Praktiker, dem Ästhetiker, dem Logiker, dem Ethiker sprechen. Meinen wir dagegen das Extrem nach oben oder das Extrem nach unten oder die Indifferenz, so müssen wir nach anderen Bezeichnungen greifen; allerdings liegen diese nicht so bequem bereit wie die für den Normalfall. Sowohl dieser aber wie besonders die Abweichungen vom Normalen sollen der Gegenstand der nächstfolgenden Betrachtungen sein.

1) Wenn wir also vom  hedonische  Typus, vom Hedoniker oder auch Eudämoniker sprechen, so meinen wir eine immer noch normale besondere Anpassung an die Wertklasse des Gefallens. Steigert sich dieser Typus in extremer Weise nach oben, so mögen wir etwa vom "Hyperhedoniker" sprechen, bei einer ebensolchen Abweicung nach unten vielleicht vom "Dysdämoniker", bei Indifferenz vom "Adämoniker" oder dgl.

Für den Hedoniker schlechthin stehen Gefallen oder Mißfallen in der Mitte seines psychischen Bestandes, handle es sich um was auch immer auf der Reihe von sinnlichster "Lust" bis zum höchsten "Glück". Dieses Gefallen und Mißfallen kann sich, wie gesagt, auf was auch immer beziehen, kann sich aber speziell auf alle oberen Werte, d. h. vom Technischen bis zum Ethischen beziehen. Der Hedoniker kann also Hedoniker überhaupt, und er kann speziell ein technischer, ästhetischer und sonstiger Hedoniker sein. Dabei ist aber zu unterscheiden, ob sich das Gefallen und Mißfallen auf diese oberen Werte direkt um ihrer selbst willen bezieht, in welchem Fall bereits vom technischen, ästhetischen usw. Typus gesprochen werden muß, oder ob es sich auf diese Werte bezieht nicht um ihrer selbst, sondern um des Eindrucks auf den Betrachter willen; dann läßt sich nur mittelbar vom technischen usw. Typus, unmittelbar aber einzig vom hedonischen Typus sprechen.

Diese, zwar subtil erscheinende, aber doch sehr elementar bedeutungsvolle Unterscheidung tut besonders not gegenüber dem wohl am leichtesten mißzuverstehenden Werttypus, dem dritten: dem ästhetischen. Diesem kommt es auf die ästhetischen Werte als solche selbst an, dem hedonischen Typus dagegen auf das Gefallen, das ihm durch sie bereitet wird. So schwer nun auch diese Unterscheidung jeweils durchzuführen sein mag, und so sicher die ästhetischen Werte nicht ohne eine Teilnahme von hedonischen Werten zu verwirklichen sind, so wenig schwer wird doch am einzelnen Vertreter des hedonischen Typus sein eigentümliches Verhalten zum Ästhetischen herauszufinden sind. Er verrät viel Freude an  dem,  was nur scheinbar ästhetisch ist: an Virtuositäten, Kunststücken, Kuriositäten und dgl. mehr.

Vielleicht noch deutlicher wird die Unterscheidung zwischen dem hedonischen und einem anderen Werttypus beim Sammler: er sammelt entweder um irgendwelcher höheren Werte willen, also Objekte technischer, ästhetischer (zumal künstlerische), logischer (zumal wissenschaftlicher) Art, etwa auch Objekte von ethischer Bedeutung. Oder aber er sammelt um seines Gefallens willen; und dieses Interesse kann sich, gemäß der bekannten Erscheinung von der "Metamorphose" oder "Heterogonie" der Zwecke, auch bei demjenigen Sammeln einstellen, das um jener höheren Werte willen begonnen wurde. Nur werden allerdings scharfe Grenzen dabei, wie überhaupt auf diesen Typengebieten, kaum jemals festzustellen sein.

An dem zuletzt verwendeten Beispiel mag nun auch das Extrem nach oben deutlich werden, also durch die Erscheinungen einer "Leidenschaft" oder gar "Wut" des Sammelns, etwa durch die über eine "Bibliophilie" hinausgehende "Bibliomanie". Ein solches Extrem kann das eines jeden der fünf Werttypen sein, wird aber in unserem Beispiel doch hauptsächlich wohl nur eines des hedonischen Typus sein. Sonstige Übertreibungen der "Hedonie" sind wohl allgemein geläufig. Hierher gehören der Lustmensch, der Genußmensch, der Sinnenmensch, dann der Glücksjäger und dgl. mehr. Es folgen die pathologischen Steigerungen, wie z. B. krankhafte Euphorie, Perversionen des Genusses usw. Dies sind die Übertreibungen nach der oberen Seite.

Nach der unteren Seite stehen die Dyshedonien oder Dysdämonien; und zwar erst noch ohne Krankhaftes, wie etwa bei "spartanischen" Naturen, dann mehr oder weniger pathologisch als Melancholie, Selbstquälerei, oder in irgendeiner Form von "Dysästhesie" [Empfindungsstörung - wp] und dgl. mehr.

Neben den Übertreibungen nach oben und denen nach unten steht aber auch die Gleichgültigkeit gegen all das, der Mangel an einer positiven und negativen Reagierung des Gefallens. An diesem Mangelsfall mag am ehesten zu ersehen sein, welche Folgerungen aus all dem für die Behandlungsweise eines Zöglings oder Schülers von einem kundigen Erzieher und Lehrer zu ziehen sein werden, namentlich in Bezug auf Tadel und Strafen, Belobigungen und Belohnungen.

Es kann sogar für jeglichen unserer Typen an den Versuch gedacht werden, Nationen oder eventuell Völker auf irhe besondere Zugehörigkeit zu einem solchen Typus hin zu betrachten. Möglicherweise lassen sich von da aus auch sprachwissenschaftliche Erklärungen wagen, zumal in dem Sinne, wie es FRANZ NIKOLAUS FINCK in seinem "Deutschen Sprachbau als Ausdruck deutscher Weltanschauung" (Marburg im Harz 1899) versucht hat. Versucht kann wohl auch werden, aus der Philosophiegeschichte eines Volkes auf seine psychische Eigenart in dieser Beziehung zu schließen. Danach würden die Engländer vielleicht dem hedonischen oder eudämonischen Typus einzufügen sein, auch wenn man nicht schon an das Witzwort von FRIEDRICH NIETZSCHE denkt: "Der Mensch strebt nicht nach Glück, nur der Engländer tut es":

2) Es folgt der  technische  Typus, also der Techniker, der Praktiker, der Berechner, der Erfolgsmensch und dgl. Spezialfälle und Extreme sind hier der des Egoisten, des Strebers usw.; allerdings Fälle, bei denen wohl immer auch etwas Hedonisches mitwirkt.

Selbst innerhalb des theoretischen Lebens der Menschen gilt dieser Typus; und er hat hier Steigerungen, die von den gerade vorher bezeichneten Extremen genau unterschieden werden müssen. So ist es z. B., wenn eine Auffassung der Sprachen in ihnen lediglich ein Verständigungsmittel sieht; dies in bekannter Weise bei WILHELM OSTWALD. Selbstverständlich steht das, was wir die technischen Werte und den technischen Typus nennen, in einer besonderen Beziehung zu zahlreichen Berufen und speziell zu den im engeren Sinne technischen Berufen. Der Beruf und sein Typus werden einander günstig sein; insbesondere wird der im engeren Sinne des Wortes technische Beruf auch die im weiteren Sinne des Wortes technisches Handelns- und Denkart fördern und ausbilden, während ihr andere Berufe entsprechend ungünstiger sind. Analoges wird sich dann ohne weiteres bei den nächsten Typen feststellen lassen.

Es wird auch dem Lehrer wohl nicht schwer fallen, den "untechnischen" Menschen - der vielleicht kein so häufiges Glied der menschlichen Gesellschaft sein würde, wenn er zeitiger seine Kritik fände - schon früh zu erkennen. Für uns ist an dieser Stelle nur noch  das  zu betonen wichtig, daß es sich dabei um "Ungeschicklichkeiten" nicht bloß der Hand, also um technische im engsten Sinne, sondern auch um solche des Denkens usw., also um technische im gewöhnlichen und dann auch im weitesten Sinne handeln wird, und zwar selbst bei sonstigen Vorzügen des Denkens usw.

Gegenüber dem geringen Interesse, das unsere herrschenden Schulen an allem Technischen nehmen, darf jedenfalls als Tatsache hervorgehoben werden, daß die Jugend einen besonderen Zug zum "Tun", und zwar auch direkt zum zweckmäßigen und schaffenden Tun besitzt. Das weiß ja ihr Kenner längst; die gegenwärtige Errungenschaft des Arbeitsunterrichts hat es wirkungskräftig verwertet. Nur müssen wir auch dabei unsere Unterscheidung zwischen Technischem im engsten Sinn und Technischem im übrigen Sinn wiederholen: der Arbeitsunterricht ist keineswegs identisch mit dem Handfertigkeitsunterricht, schließt ihn jedoch als einen wichtigen Teil von sich ein. Damit wird dem Interesse der Jugend am "technischen" Tun im engsten Sinn, also dem "Basteln", "Zimmern" usw., entgegengekommen, nachdem es oft genug schon zur Verwertung empfohlen und auch tatsächlich benützt worden ist.

Aber noch eine Seite des "Handelns", deren Begriff mit zur Begriffswelt des technischen Wertgebietes gehört, kommt hier in Betracht: der  Erfolg.  Eine experimentelle Untersuchung von WILLIBALD KAMMEL, Wien, über "Beliebtheit und Unbeliebtheit der Unterrichtsfächer" erwies als die in der Versuchsperson liegenden Ursachen für die Vorzugs- und Ablehnungsurteile zwei Gruppen: einerseits psychische Vorgänge, andererseits das, was der Autor in einer nicht ganz zutreffenden Weise "Utilitarismus" nennt, nämlich die Abhängigkeit dieser Urteile von Erfolg oder Mißerfolg. Nun zeigte sich tatsächlich eine solche Abhängigkeit in nicht wenigen Fällen. "Diese utilitaristische Bewertung entspringt einer menschlichen Schwäche, dem Ehrgeiz [allein?], mit welher der Jugenderzieher zu rechnen hat" - sagt der Autor, fügt aber hinzu, daß nur bei einem Sechstel der Versuchspersonen "neben anderen Gründen der Erfolg oder Mißerfolg bestimmenden Einfluß auf die Wahl der Unterrichtsgegenständehatten"; daß vielmehr in nicht wenigen Fällen der Lieblingsgegenstand eine ungünstige, der unbeliebteste Gegenstand hingegen eine günstige "Note" brachte. Um die Folgerungen des Autors in unsere Auffassung zu übertragen: es zeigt sich, daß neben dem "hedonischen" und dem "technischen" Moment auch das der drei oberen Werte eine ausgedehnte Rolle spielt. (Siehe Monatsschrift "Pharus" IV/5, Mai 1913)

Aus der "Geschichte" der Verwirklichung technischer Werte sowie des technischen Werttypus mögen folgende pädagogisch belangvolle Hinweise am Platz sein. Die Griechen waren ersichtlich ausgesprochen untechnisch, speziell nicht utilitarisch, und zwar in der Theorie wohl noch mehr als in der Tat. Für ihre "großen und freien Seelen" und für ihre sowie für die späteren noch in unsere Gymnasialbildung hereinreichenden "freien Künste" war das "Nützliche" minderwertig. Auch deshalb bedeuteten ja die Sophisten eine so scharfe Episode im griechischen Geistesleben. Sie waren neben anderem ausgesprochene Praktiker oder im weiteren Sinne Techniker, speziell Utilitarier, wenn auch nicht ohne weiteres Egoisten; ihr Gegner SOKRATES dagegen war trotz mancher sonstiger Verwandtschaft mit ihnen der ausgesprochene Anti-Utilitarier, speziell der Logiker - mit weit geringerer Übertreibung als jene - und auch der Ethiker.

Wir kennen sodann das Technische im "philanthropischen" Wohlfahrtsstreben des 18. Jahrhunderts (kombiniert mit Hedonischem); weiterhin kennen wir wiederum das Gegenteil beim politischen Aufschwung Deutschlands und beim Gegensatz der Denkweise eines FICHTE oder eines WILHELM von HUMBOLDT gegen die Napoleonische Welt, die sowohl im weiteren wie im engeren Sinn wieder ausgesprochen technisch war, und nicht weniger bei der anti-utilitarischen Ethik (und Ästhetik) KANTs. Daß wir seither in ein "Zeitalter der Technik", vielleicht nur eines im engeren Sinn des Wortes, eingerückt sind, bedarf keiner näheren Auseinandersetzung. Dagegen darf wohl wiederholt werden, daß die Eingriffe WILHELM OSTWALDs in die gegenwärtige Kultur durch seine "energetischen Werte" (zuletzt in seinem Buch "Die Philosophie der Werte", Leipzig 1913) wohl gänzlich als eine ins Höchste gesteigerte "technische" Einseitigkeit zu verstehen sind.

3) Der  ästhetische  Typus, der Ästhet, ist mit seiner Phantasiekraft sowie mit seinem Interesse für die "ästhetische Darstellung der Welt" wohlbekannt, und zwar nicht nur in unserer neuesten Welt. Auch seine Rühmungen und Tadelungen sind wohlbekannt. Im Gegensatz zu den Fach- und Berufsschulen, d. h. den gewerblichen, technischen, künstlerischen usw., sind unsere "allgemeinen", "lebensbildenden" Schulen von heute weder diesem noch dem vorigen Typus günstig. Der phantasievolle Schüler "fliegt" in doppeltem Wortsinn.

Daß dem Ästhetentypus die Extreme einer Verweichlichung in Schönheit einerseits, eine "Böotiertums" [Banausentum - wp] oder dgl. andererseits naheliegen, und daß gegen den hedonischen Typus zu die Grenzen besonders fließend sind, bedarf wohl keines Akzentes.

Eine geschichtliche Verfolgung des ästhetischen Werttypus würde vielleicht mit den "romantischen" Erscheinungen in Kunst und Kultur beginnen können.

4) Wohl seltener als die bisher besprochenen Werttypen dürfte der  logische  Typus sein, der "Logiker". Er ist längst nicht mehr unbekannt, samt seinen Übertreibungen zum Rationalisten, Sophisten und Rabulisten, zum Spintisierer, Haarspalter und Wortklauber, einschließlich des "logischen Beamten", Überjuristen und Hegelianers, sowie mit den Ausfallserscheinungen des Einfältigen, Dummen, Schwachbegabten bis zum Schwachsinnigen oder gar Idioten, und schließlich mit seiner Besonderung zum "Theoretiker" als dem Gegensatz zum "Praktiker".

Daß dieser Typus in seiner Normalität und auch besonders in seiner Steigerung gerade für die "gelehrten" Schulen und Hochschulen paßt und hier nicht von andersartigen Typen zurückgedrängt werden sollte, bedarf wohl ebenfalls keiner Betonung.

Ebensowenig bedarf es einer Betonung, daß die "logical habits of thinking", von denen JAMES WELTON in "The logical bases of education" (London 1911, Seite 246) spricht, besonders geeignet zum Lehren machen, und daß hin und wieder besonders das Lehren geeignet ist, "logischer" zu machen.

Eine hier nicht näher zu verfolgende Typeneinteilung wurde aus Probeäufsätzen von Schulkindern mittels des Experimentell-pädagogischen Seminars in Graz gewonnen. Sie unterscheidet auch einen "logischen" Typus, der sich besonders vom "Gefühlstypus" abhebt, und der wieder drei - aufsteigende - Formen hat: die begründende, die in logischer Gliederung und Anordnung darstellende und die kritisch Stellung nehmende. (So nach "Österreichische Zeitschrift für Lehrerbildung", VI/1-2, Wien 1914, Beilage, Seite 7f)

Für historische Interessen wird es wohl nicht schwer sein, den logischen Werttypus am ehesten in den mittelalterlichen Zeiten der europäischen Geschichte zu finden.

Auf einen einzelnen Zug sei noch im Rückblick auf die vier bisherigen Werttypen aufmerksam gemacht. Es dürften nämlich weniger entwickelte Naturen dem hedonischen, dem ästhetischen und dem ethischen Typus zugänglicher sein als dem technischen und dem logischen (diesem besonders in seiner wissenschatlichen Ausprägung). Die beiden letzteren wiederum sind auf eine fortgeschrittenere Entwicklung angelegt. Menschliche Naturen, welche innerhalb einer anspruchsvollen Kulturschicht größere Defekte an technischem und logischem Vermögen haben, erscheinen in vergrößertem Maß als "Kinder", und zwar als "unbewußte", mit steter naiver Verwunderung darüber, daß ihre Dinge nicht glatt gehen; und sie sind unter Umständen noch gefährlicher als fortgeschrittene "Techniker" und "Logiker" mit ethischen Defekten.

5) An letzter, höchster Stelle bringen wir den  ethischen  Typus, also den im praktischen, nicht theoretischen Sinn sogenannten "Ethiker", den "Guten" und "Gütigen", mit seinen Übertreibungen zum Selbstverlierer, zum Moralisten, Puristen, Sittenfanatiker usw., etwa auch zum "Idealismusknüppel" oder dgl. Auch seine Defekte sind bekannt - mögen sie nun als "moral insanity", als "gefühlstot" und dgl. mehr richtig oder unrichtig bezeichnet sein. In Verbindung mit technischen oder untechnischen Besonderheiten treten Erscheinungen wie die des "betrogenen Betrügers" und dgl. auf.

Eine beachtenswerte Unterscheidung zwischen einer positiven und einer negativen Spielart des ethischen Wertes bringt MAX SCHELER in seiner angeführten "Jahrbuch"-Abhandlung von 1913, Seite 490f.
    "Es gibt spezifisch  kritische  sittliche Charaktere - sie werden im äußersten Ausmaß  asketisch  -, die das Höhersein der Werte prinzipiell durch den Akt des  Nachsetzens  realisieren; ihnen stehen die positiven Charaktere entgegen, die prinzipiell  vorziehen  und denen auch der jeweilig  niedrigere  Wert erst von der  Warte,  die sie im Vorziehen gleichsam erstiegen haben, sichtbar wird."
Historische Interessen mögen sich hier etwa an die Anfangsstadien religionsgeschichtlicher Entwicklungen sowie an analoge Episoden, wie z. B. die des Puritanismus, halten.

Soweit unser Überblick über Einzelheiten zu den psychischen Werttypen. Daß nun sie alle immer nur mehr oder weniger gemischt vorkommen, liegt auf der Hand.

Die Kombination 1 und 3 kennen wir als den Genußästheten; die von 3 und 5 ist theoretisch durch FRIEDRICH SCHILLER bekannt; die von 2 und 4 mit dem Überwiegen von 4 mag für wissenschaftliche Produktivität, die von 2 und 5 für "große Persönlichkeiten" wichtig sein. Die von 2 und 4 mit dem Überwiegen von 2 dürfte für den Politiker und Staatsmann nötig sein. Daß sie für diesen letzteren auch den 5. Typus, also den "Ethiker", einschließen müsse, ist mindestens die Ansicht Vieler; und daß sie hier hin und wieder auf die ethische Wertklasse verzichten muß, mag die Ansicht Einiger sein.

Wie weit bei den Typen und ihren Varianten Angeborenes (speziell Talent sowie Belastung) und Erworbenes ineinanderspielen, bleibt näheren psychologischen Betrachtungen überlassen. Jedenfalls aber finden Erzieher und Lehrer nun eine Handhabe, die neben der Unterscheidung von Sinnestypen ihre Bedeutung namentlich darin besitzt, daß hier die zwei Welten der Werte und der Tatsachen besonders greifbar aneinandert treten, und daß da des Pädagogen Eingreifen in diese Welt der Tatsachen zugunsten jener Welt der Werte wohl leichter als sonst bestimmbar ist.


VI. Pädagogische und
psychologische Verständigungen

Hiermit haben wir psychologische Betrachtungen mit pädagogischen Vordeutungen angestellt, also bereits auch zum Psychologischen in der Pädagogik beigetragen. Es scheint nur daraus, wenn wir jetzt an die eigentlichen Folgerungen des Bisherigen für die Pädagogik herangehen, daß für uns die Psychologie die entscheidende Rolle in der Pädagogik spielt. Indessen dürfte dem schon die ganze Anlage unserer vorliegenden Ausführungen widersprechen.

Das pädagogische Tun und hiermit auch das Erforschen dieses Tuns geht keineswegs in der Hauptsache auf seelische Tatsachen und auf ihre "Entwicklung" aus und ist unseres Erachtens nicht "pädozentrisch" zu orientieren. Vielmehr liegt der Sinn alles pädagogischen Tuns in einem mehr oder weniger absichtlichen, planvollen, möglichst wissenschaftlich gestützten  Eingreifen  in die Tatsachen. Auch hier soll von der Physis zum Nomos, vom Chaos zum Kosmos gegangen werden; ein Fortgang, der verwandt ist dem von LUDWIG BOLTZMANN gemeinten Fortschritt vom Unwahrscheinlicheren zum Wahrscheinlicheren sowie dem von FELIX KLEIN gemeinten Fortschritt von der Approximationsmathematik zur Präzisionsmathematik. Nicht "pädozentrisch", sondern "timozentrisch" oder "axiozentrisch" oder "agathozentrisch" ist die Pädagogik zu orientieren.

Es gehört auch das hierher, was ein Vertreter der jetzigen philosophischen Werttheorie, HEINRICH RICKERT, mit seiner Bekämpfung der "biologistischen Modephilosophie" meint. Die Biologie könne nicht aus sich heraus Werte erzeugen, auch trotz aller "energetischen Kulturphilosophie" sowie des Ökonomieprinzips mit dem Pragmatismus als Höhepunkt. Auch ethische Werte sind nur durch Eingriffe in das wertindifferente Leben zu verwirklichen. (Zitiert im Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 25, 1912, Seite 5f des Literaturberichtes)

So ergibt sich die Aufgabe, dasjenige, wa au der pädagogisch behandelten Psyche kommt, als ein zu Überwindendes zu betrachten; ebenso aber auch die weitere Aufgabe, es zugleich als die Basis für das zu Schaffende zu betrachten. Das rein Subjektive und zumal Individuelle kann allermeistens nicht verbleiben, wie es ist; deshalb bedarf es - allerdings nicht der Ausschaltung, wohl aber der Vervollkommnung. Immerhin wird, je niedriger die Schulstufe ist, desto geringwertiger auch jenes Subjektive und zumal Individuelle sein und wird deshalb einer umso stärkeren Beherrschung bedürfen; je höher dagegen die Schulstufe oder Bildungsstufe überhaupt ist, desto höherwertiger wird es sein, und desto geringerer Beherrschung wird es bedürfen - all das natürlich immer als Durchschnitt genommen.

Unter allen Umständen bedarf der Erzieher und Lehrer eines Einblickes in die jeweilige  Situation  der Psyche seines Schutzbefohlenen; er muß sich über sie "auf dem Laufenden halten". Ist ihre Kritik und Behandlung eine Angelegenheit der Werte, so ist ihre Kenntnis und Erklärung eine Frage der Tatsachen. Jene Situation setzt sich zusammen aus Früherem und Jetzigem. Das Erstere wiederum besteht aus Angeborenem (also differenten Anlagen, etwa Talenten) und aus bisher Erworbenem (Vorbildung usw.). Das Letztere sind die augenblicklichen Zustände und die Prozeduren, die mit der "Kinderseele" vorgenommen werden.

Der Einblick in die "Situation" kommt größtenteils auf eine Frage nach dem Sinn und der Naturgeschichte dessen hinaus, was "Intelligenz" genannt zu werden pflegt; wir können hier nicht näher auf sie eingehen, dürfen aber wohl der anspruchslosen, jedoch inhaltsreichen Abhandlung von EDUARD MARTINAK gedenken: "Begriffliches zum Problem der Intelligenzprüfung" (Sonderabdruck aus dem 1. Jahresbericht des Vereins Lehrerakademie in Granz 1912/13).

Ebenso wie die Notwendigkeit einer Orientierung der Pädagogik auf die Werte oder die Güter hin, wird auch leicht die Notwendigkeit übersehen, daß im pädagogischen Tun eine  Liebe  walten soll, eine Liebe nicht nur zu Personen (von seiten der Gebenden wie von seiten der Nehmenden), sondern auch eine Liebe zu den Werten oder Gütern. Ein Hinweis auf den sokratischen und platonischen Eros könnte hier genügen, wenn sich nicht immer mehr und mehr herausstellen würde, wie eingehend dieses scheinbar recht unsachliche Problem in die tiefsten Ansprüche und höchsten Aufgaben der Pädagogik hineinführt.

Wir sind in der Pädagogik bisher einseitig psychologistisch und im Zusammenhang damit nicht nur "pädozentrisch", sondern auch so "methodozentrisch" geworden, daß wir schließlich vor lauter Mitteln zum Zweck sowie der Zubereitung des Bodens mehr und mehr das vergessen, dem die Mittel dienen sollen, und das in den Boden aufgenommen werden soll. Der Verfasser hat seine Kennzeichnung der angedeuteten Gefahren zusammenzufassen gesucht in einer Abhandlung "Stoff und Zögling", die anderswo erschienen ist ("Pädagogisches Archiv", Leipzig, November 1914). Sie beginnt nicht ohne Absicht damit, daß man von jedem Pädagogen in erster Linie ein  Erglühen  für den Lehr- und Erziehungsstoff verlangen kann.

Es handelt sich aber auch nicht einzig um die Bekämpfung eines Psychologismus in der Pädagogik durch andersartige Standpunkte, mit oder ohne eine "logizistische" oder sonstige Übertreibung. Es handelt sich auch um eine Besinnung über Psychologisches selbst, mit und ohne Anwendung auf Pädagogisches. Der Verfasser glaubt, die allerdings sehr prinzipielle Auseinandersetzung darüber hier vorbringen zu müssen, weil es ihm kaum möglich ist, ohne eine Klärung darüber auf ein Verständnis dessen, was die Werte für die Pädagogik bedeuten, und auch dessen, was das Psychologische für die Pädagogik bedeutet, auskommen zu können.

Wir stehen seit langem in dem Bestreben, unsere Seele so "naturwissenschaftlich" wie möglich zu betrachten, mit einer Neigung zum "Mechanismus", "Assoziationismus" usw. Es darf allerdings keineswegs vergessen werden, daß diese Tendenz nicht nur als heuristisches Prinzip segensreich ist, sondern daß sie auch unter allen Umständen etwas tatsächlich Richtiges trifft.

Versuchen wir es einmal, unsere Seele - zunächst abgesehen von der Wechselwirkung mit dem Leib - möglichst genau in jenem Sinn als ein "geschlossenes System" zu betrachten, wie eben die Naturwissenschaft mit dem Begriff eines solchen zu operieren gewohnt ist! Nun darf hier etwas als Hypothese vorweggenommen werden, die Behauptung nämlich, daß diese Geschlossenheit in einem bestimmten Fall tatsächlich vorhanden ist: im Traum. Hier laufen die Vorgänge der seelischen Welt der Hauptsache nach - und wieder umgerechnet die Wechselwirkung mit dem Leib - ganz autonom ab; es herrscht im Traum, so paradox dies zu sagen klingt, die größte Regelmäßigkeit, d. h. naturgesetzlichkeit, die das psychischen Leben jemals erreicht. In diese Geschlossenheit beim Traumzustand greifen nun gelegentlich Einwirkungen von "außen" ein, die sich deutlich als Typus eines Eingriffs in ein geschlossenes System erkennen lassen, und die, sobald wir sie nicht mehr mit den Traumerlebnissen verwechseln, sondern gemäß ihrer Herkunft spüren, uns einen ganz eigenartigen Eindruck einer "anderen Welt" machen. Es sind dies die Sinnesreize, die einen Schlafenden treffen, und über deren traumhafte Umdeutung längst Allbekanntes gesagt worden ist. Eine Umdeutung, die eine partielle Abwehr von Fremdartigem aus dem geschlossenen System heraus bedeutet. - Ob außerdem noch andere Einwirkungen auf die Geschlossenheit eines Traumzustandes angenommen werden sollen, mag je nach verschiedenen Standpunkten auch im Sinne des Folgenden so oder so entschieden werden.

Gehen wir nun vom Traumzustand zum Wachzustand über, so wird bald und nicht schwer die anfängliche Paradoxie einzusehen sein, daß hier die Geschlossenheit sofort brüchig, die natürliche Eigengesetzlichkeit angegriffen, die Regelmäßigkeit gestört wird. Die Seele des wachenden Menschen muß allerdings immer noch im Grund als ein geschlossenes Natursystem betrachtet werden, jedoch außerdem noch als ein Angriffsgebiet für drei Klassen von Einflüssen, die nun wieder neue Regelmäßigkeiten herstellen können. Es sind folgende:

Erstens  die Einflüße der Außenwelt, der unbelebten und der belebten, einschließlich der Mitmenschen. Es sind dies  die  Einflüsse, von denen einzelne Beispiele jedenfalls auch den Traumzustand stören, während Einflüsse aus den beiden im weiteren genannten Sphären auf den Traum fraglich sein dürften.

Zweitens  greifen Einflüsse aus einer Sphäre ein, die man - uns selbst eingeschlossen - gewöhnlich nicht als "real", "wirklich" bezeichnet, die aber diese Bezeichnung  dann  verdient, wenn sie des  Wirkens  fähig ist. Es ist dies die Welt der Werte (wobei allerdings über die Einrechnung der hedonischen noch Zweifel bestehen mögen). Rein naturgesetzlich kommen wir im geschlossenen System unserer Seele keineswegs regelmäßig darauf, daß aus der Addition von  2  und  2  notwendig die Summe  4  folgt - notwendig im naturgesetzlichen Sinn. Notwendig ist diese Folge vielmehr in einem logischen, speziell in einem mathematischen Sinn. Und daß unsere Seele auf diesen geistigen Zusammenhang Rücksicht nimmt, daß wir also das Denken der Summe von  2  plus  2  nicht dem Zufall, soll heißen: der Notwendigkeit unserer Assoziationen, überlassen, das ist ein Beweis dafür, daß unsere Seele kein vollständig geschlossenes, sondern ein auch von außen beeinflußtes, hier also dem Geistigen in einem weiten Maß unterworfenes System ist.

Drittens  schließt sich an die bisherigen Einwirkungen, von denen dem Verfasser die erste sicher und die zweite wahrscheinlich von jeder Seite zugestanden wird, noch eine an, um die auf diesem Gebiet wohl der meiste Kampf tobt, und die sich schwerlich wird vollauf beweisen lassen, ohne die aber nach meiner Überzeugung eben nicht auszukommen ist: des Menschen Schaffenskraft und freier Wille.

Und nun haben wir von vornherein die psychische Fähigkeit, Ordnungen zu folgen, die nicht selber psychisch sind, und die sich am wenigsten mit den Reproduktionen und Assoziationen, wie sie für das naturgesetzliche System der Seele charakteristisch sind, machen lassen.

Von diesen Ordnungen bedeuten die zwei ersten für die Seele eine Rezeption; die dritte bedeutet nicht bloß Freiheit und überhaupt Spontaneität, sondern auch Produktion, also ein Plus, das nicht in der naturgesetzlichen Kausalität mit ihrem Prinzip vom "causa aequat effectum" [Ursache gleich Wirkung - wp] liegen kann, aber wegen des offenkundigen Fortschritts im Seelenleben vorhanden sein muß, allerdings auch in diesem Seelenleben seine Mittel findet, einschließlich des seelischen Vermögens der Liebe zu Personen und zu Gütern.

Es muß also eine Produktivkraft als Bestandteil des freien Willens oder auch neben ihm angenommen werden, wenn wir dem gesamten Seelenleben gerecht werden wollen. Dies gilt auch vom pädagogischen Tund und Betrachten. Dieses ist unter allen Umständen ein Eingriff in ein sonst geschlossenes naturgesetzliches System, nämlich in das der Seele des Zöglings oder Schülers. Dieser Eingriff benützt, abgesehen von der übrigen Außenwelt, die schon ansich des Einwirkens fähigen Werte und benützt überdies die Produktivkraft und Freiheit der zu bildenden Seele - am direktesten wohl im Arbeitsunterricht.

Das alles geschieht ja längst; nur wird es gut sein, daß man sich darüber Klarheit verschafft; und man wird in dem Maße dieser Klarheit wohl auch über die beliebten Gedanken von einer Pädagogik der Selbstentwicklung der Kinderseele und dgl. hinauskommen.


VII. Bedeutung der Werte
für die Pädagogik

Nach allen diesen Vordeutungen also frage ich mich, wieweit die Pädagogik praktisch und theoretisch mit den Werten zu tun hat. Die Antwort auf diese Frage scheint am besten dadurch zustande zu kommen, daß man auf das achtet, was ich als "Bestandstücke" der Pädagogik unterscheide. (Vgl. meine Abhandlung "Die Bestandstücke des Unterrichtes", die im Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik kommen soll, abgekürzt vorweggenommen in dem Aufsatz "Paedagogia perennis", der im "Pharus" V/4, April 1914, erschienen ist.)

Die Reihe der Bestandstücke der Pädagogik beginnt mit dem "Zweck", setzt sich fort zum "Ziel", zeigt dann die "Bildungsideale", weiterhin den "Stoff" sowie seine Verarbeitung, und so fort bis zum letzten Stück, dem "Erfolg". Von diesen Bestandstücken weist das erste darauf hin, daß die Pädagogik etwas "Technisches" ist. Dem an der Spitze stehenden Zweck müssen Mittel angepaßt werden. Als solche sind fast alle dem ersten folgenden Bestandsstücke zu verstehen, keineswegs aber nur als solche; andererseits jedoch treten im Gesamten des pädagogischen Tuns Teilzwecke und Teilmittel auf. All das hat die Pädagogik wohl mit jedem Gebiet des praktischen Lebens (und als Theorie mit der Theorie eines jeden solchen) gemein, beispielsweise also mit der Kriegskunst (und Kriegswissenschaft). Um eines Zweckes willen ist die Pädagogik jedenfalls da; und folglich kommen für sie zuerst die von uns so bezeichneten "technischen" Werte in Betracht. So hatten wir es schon oben in III. angedeutet; und ältere Autoren deuten es manchmal nach ihrer Weise bestimmt genug an.

So HERBART, speziell in den "Diktaten zur Pädagogik", die jetzt die neue Ausgabe von WILLMANN und FRITZSCH veröffentlich. Dort wird in der Einleitung III auch "Über den Gang der pädagogischen Untersuchung" gehandelt und darin der 1. Abschnitt benannt "Rezension der pädagogischen Zwecke". Zitiert sei daraus der hübsche echt "technische" oder "praktische" Satz (Seite 138): "Was die Pädagogik unbebaut läßt, dahin säet der Zufall". Der zweite Abschnitt bringt dann die "Rezension der pädagogischen Mittel". - Auch in dem der HERBART-ZILLER'schen Schule angehörenden "Jahrbuch des Vereins für wisenschaftliche Pädagogik", Bd. 46, 1914, zeigt die Abhandlung von THEODOR FRANKE, "Zur Lehre vom Erziehungsziel" usw., die spezifisch technische Grundlage der Pädagogik (besonders Seite 89 und 91). - RICHARD HÖNIGSWALD in den "Studien zur Theorie pädagogischer Grundbegriffe" (Stuttgart 1913) nimmt ebenfalls die Pädagogik ersichtlich als etwas Technisches und geht darin so weit, das Pädagogische danach geradezu vom Logischen zu unterscheiden.

Zahlreiche Darstellungen der Pädagogik gliedern sich in einen ersten Teil, der als "Teleologie" ungefähr das meint, was wir unter dem "Technischen" oder dem "Praktischen" verstehen, insofern dort von den pädagogischen Zwecken gehandelt wird, und in einen selbstverständlich daran anzuschließenden zweiten Teil, die Lehre von den Mitteln, speziell die "Methodologie".

Dadurch und auch durch sonstige Darlegungen von Pädagogikern wird der Anschein erweckt, als sei in der pädagogischen Theorie  alles  einerseits Zweck und andererseits Mittel. Allerdings muß um irgendeines Zweckes willen jegliches pädagogisches Tun, jede Art des Bildens, jede Erziehungs- oder Schuleinrichtung da sein. Als ein solcher letzter Zweck kann sehr vieles auftreten: Allgemeinbildung, Charakterbildung, Einfügung in ein religiöses oder weltliches System, und was eben von sehr verschiedenen Seiten sehr verschiedentlich gefordert wird. Nun müssen sich aber finden und finden sich auch so gut wie immer beim pädagogischen Tun irgendwelche Werte oder Güter aus allen oder wenigstens aus einigen unserer Wertklassen. Sie liegen hauptsächlich in dem, was in der Reihe unserer Bestandsstücke als "Bildungsideal" und als "Stoff" bezeichnet ist. Sie müssen aber keineswegs identisch sein mit jenem letzten Zweck, können auch nicht bloß als Mittel desselben betrachtet werden. Wenigstens müßte, wenn dies doch geschähe, zu einem ganz heftigen Kampf der Meinungen herausgefordert werden. Weder die Kunst noch irgendeine andere Wertsphäre kann in der Pädagogik bloß Mittel sein.

Folglich dürfen wir die Pädagogik nur in ihrem Grundzug als "technisch" oder "teleologisch" betrachten. Der letzte Zweck des pädagogischen Tuns muß nicht konstitutiv, sondern nur ordnunggebend sein. Teleologie und Methodologie erschöpfen den Umfang der Pädagogik nicht; vielmehr müssen in diesem jedenfalls mehrere Wertgebiete oder vielleicht alle ihren Platz als solche finden. Ja die Pädagogik ist sogar die vielleicht günstigste Gelegenheit, Werte zu verwirklichen; und zwar sind im gesamten Umfang der Pädagogik schließlich auch sämtliche Werte der Verwirklichung bedürftig und fähig.

Mindestens andeutungsweise wird man dem Gesagten nahekommen bei der Lektüre mancher enzyklopädischen Werke zur Pädagogik, bei denen man mehr oder weniger deutlich spürt, wie da Technisches und Ethisches in einer nicht recht geschiedenen Weise mit- und durcheinander gehen. Man sehe z. B. in KARL VOLKMAR STOYs "Enzyklopädie ... der Pädagogik" die entsprechenden Partien (Leipzig 1878, bes. Seite 30f).

Es müssen also die Werte, wie sie zu den gesamten Darbietungen der Pädagogik beitragen, zwar in jenen Rahmen eingeordnet werden, den wir als die technische Grundlage der Pädagogik bezeichnet haben; denn es mach auch für die Verwirklichung der Werte einen Unterschied aus, um welches Zweckes willen die Jugend auf diesen oder jenen Bildungsweg gewiesen wird. Allein diese Werte sind und bleiben auch dann noch Werte oder Güter für sich, die nur indirekt als Zwecke oder Mittel auftreten können. Und die praktische Anwendung dieser Einsicht in die Pädagogik ist die wohlbekannte Unterscheidung von direktem und indirektem Interesse. Solange der Zögling und der Schüler sich für die ästhetischen oder sonstigen Werte, die auf seinem Bildungsweg erscheinen, nur indirekt interessiert, ist eine Unvollkommenheit bereits gegeben; nur ein direktes Interesse für sie führt zu pädagogischen Vollkommenheiten.

Wir wissen, daß dafür HERBART ganz besonders viel Verständnis und Geschicklichkeit der Weisung besaß. Man sehe doch einmal, wie er in seinen pädagogischen Hauptwerken zuerst und umfangreich das  Interesse  behandelt, dagegen erst  nachher  und dürftiger die Aufmerksamkeit. Es ist ihm annähernd klar geworden, daß ein pädagogisches Bemühen um die Aufmerksamkeit sekundär ist gegenüber dem Bemühen um das Interesse. Mit voller Bestimmtheit und spezifisch werttheoretisch wurde dies allerdings erst neuestens ausgesprochen in der angeführten Abhandlung von MAX SCHELER (Seite 551), wo der Aufmerksamkeit jeglicher Wertgehalt abgesprochen und ein solcher an ihrer Stelle dem Interesse zugesprochen wird.

Timologisch wird längst auch zwischen Fremdwerten und Eigenwerten (oder Selbstwerten nach VOLKELT) unterschieden nach der Terminologie von EHRENFELS. Die pädagogische Übertragung der darin liegenden Erkenntnis sowie die Unterscheidung, daß in der Pädagogik Fremdwerte nur anzustreben sind, sowet nötig, Eigenwerte aber soweit möglich, mag noch Gelegenheit zu näheren pädagogisch-werttheoretischen Erörterungen geben.

Die Unterscheidung der verschiedenen Seiten des Interesses durch HERBART erweist sich auch als eine wenn auch nur ungefähre Antizipation der jetzigen Werttheorie. Die Grundunterscheidung bei HERBART in das Interesse der  Erkenntnis auf Erfahrung beruhend, und in das Interesse der  Teilnahme,  auf Umgang beruhend, ergibt dort wie hier je ein dreifaches Interesse. Dort: das empirische, spekulative und ästhetische; hier das sympathetische, soziale und religiöse. Fragen wir nun, wie weit diese sechs Interessenkreise mit unseren fünf Wertklassen verwandt erscheinen, so finden wir Folgendes: Dem empirischen Interesse entspricht keine oder höchstens die hedonische und vielleicht noch die technische und logische Wertklasse. Dem spekulativen Interesse entspricht die logische. Dem ästhetischen die ästhetische. Dem sympathetischen und ebenso dem Sozialeinteresse entspricht die ethische und einigermaßen auch die hedonische Wertklasse. Dem religiösen entspricht die auch bei uns nicht fehlende religiöse Zusammenfassung  aller  Wertklassen. Danach fehlen nun von unseren fünf Wertklassen zwei fast ganz; d. h.: die von HERBART als pädagogisch gemeinten Interessen sehen von einigen Wert- oder Güterkreisen ab. Es sind dies der hedonische und - unbeschadet dessen, daß die Pädagogik selbst etwas Technisches ist - der technische. Den letzteren Mangel merkt auch ein, dem Technischen sonst nicht speziell nahestehender Autor: WILLMANN in "Aus Hörsaal und Schulstube" (2. Auflage 1912, Freiburg i. B., Seite 36).

Indem nun aber die beim pädagogischen Tun vorkommenden Werte, die ja sämtlichen Wertklassen angehören können, nur eben eine Einfügung in den technischen oder teleologischen Gesamtrahmen der Pädagogik, sonst aber nicht etwa eine Unterordnung als Mittel vertragen, muß auch anerkannt werden, daß die Pädagogik  nicht völlig autonom  ist. Sie hat nicht darüber zu entscheiden, was für den Menschen überhaupt gut und schlecht, schön und häßlich ist. Sie hat nur zu unterscheiden, was innerhalb ihres spezifischen Vorgehens gut und schlecht ist. Daher ist es unmöglich, daß die Pädagogik "nur nach pädagogisch-wissenschaftlichen Grundsätzen" eingerichtet werden darf. Vielmehr verlangen von der Pädagogik andere als pädagogische Faktoren, und zwar insbesondere mittels des Bestandstückes der "Bildungsideale", ganz bestimmte Erfüllungen. Die Eltern der Jugend oder deren Stellvertreter, je nach Lage der Dinge etwa die Kirche oder der Staat oder ein sonstiger verantwortlicher Faktor will seine Tradition, seine Kultur, seine Weltanschauung der Jugend eingepflanzt wissen. Darüber zu befinden, ist nicht mehr Sache der fachmännischen Erzieher und Lehrer, ausgenommen freilich deren Recht zu einem Protest gegen das, was spezifisch pädagogisch-technisch unmöglich sein würde. Sonst aber muß hier mindestens zum Kampf der Meinungen das Feld frei sein. Als ein Beispiel sehe man das, was in der Broschüre von FRANZ KRUS "Zum Verständnis der pädagogischen Strömungen unserer Tage" (Innsbruck 1913) unter dem Titel "Ziel und Mittel" auseinandergesetzt ist.

Nochmal: die Pädagogik hat es auch mit unabhängigen Werten oder Gütern zu tun. Daß diese als solche nicht leicht zu veranschaulichen sind, das wurde von Pädagogen längst mehr oder weniger bestimmt gefühlt und wurde jetzt deutlich ausgesprochen von CLEMENS BAEUMKER in "Anschauung und Denken" (Paderborn 1913, Seite 129f). Folglich erhebt sich das pädagogische Problem, wie der Zögling und der Schüler an die Werte selbst heranzuführen ist.

Es scheint die am ehesten geklärt werden zu können in einer künftigen Übertragung der neuen philosophischen Richtung der "Phänomenologie" auf die Pädagogik. Mit Recht sagt BAEUMKER, die Werte sollen ihren vollen  sachlichen  Gehalt bekommen. Vorläufig, und abgesehen von dem, was den Erzieher und Lehrer ohnehin schon die Praxis lehrt, ist zweierlei zu sagen: etwas Negatives und etwas Positives. Die Werte erhalten ihren vollen sachlichen Gehalt am ehesten dann, wenn ihr Eindruck durch keine fremdartigen Rücksichten, also speziell nicht durch das indirekte Interesse gestört wird; und sie werden ihren Gehalt auch dann noch am besten bekommen, wenn die Zöglinge und Schüler sehen, daß ihre Erzieher und Lehrer den Werten selbst eine Liebe entgegenbringen, so daß dann Gleiches bei der Jugend schon durch Nachahmung entsteht.

Wir fassen also zusammen: die Pädagogik hat insofern Werte anzuwenden und eine Wertlehre zu sein, als sie selbst in ihren Grundzügen etwas Technisches, Teleologisches ist, und indem sie innerhalb dessen weiterhin Werte aus allen fünf Klassen einschließt, zwar in Zusammenordnung zu ihren Zwecken, aber ohne eine Verletzung des Eigenwertes jener. Es bleibt dabei: das spezifisch Pädagogische, das sogenannte "Eigengesetzliche" der Pädagogik ist immer etwas Technisches, und zwar spezialisiert auf Verwirklichung dieser oder jener oder aller Werte in den zu bildenden Seelen hin.

Soweit ist die pädagogischen Praxis Wertpraxis. Nur erschöpft sie sich insofern damit nicht, als sie auch mit Tatsachen zu tun hat. Diese Tatsachen sind die vorhandene Kulturtradition, der gegenwärtige Kulturwille, sofern er für das Bildungswesen maßgebend ist, die gesamte Geschichte und Geographie des Bildungswesens, und schließlich das psychische Material aller am pädagogischen Tun Beteiligten. Mit all dem geht die Pädagogik über eine bloße Behandlung von Werten hinaus; und dies ist ja selbstverständlich, da es sich um die  Verwirklichung  von Werten handelt, zu einer solchen Verwirklichung aber immer Materialien da sein müssen, in denen eben die Verwirklichung stattfinden soll.

All dies gilt von der Pädagogik als Praxis und von der Pädagogik als Wissenschaft, insofern sie gerade  damit  zu tun hat. Daß schließlich Pädagogik als Wissenschaft ebenso Werte, und zwar in erster Linie logische und überdies technische braucht wie jede andere Wissenschaft: das sagt sich wohl deutlich genug von selbst.


VIII. Literatur dazu

Es gehört nun auch in unseren Zusammenhang, die Einführung der Timologie in die Pädagogik wenigstens durch einige literarische Andeutungen aus der letzten Zeit zu verfolgen.

Das Wenige, das von AUGUST DÖRING durch sein "System der Pädagogik im Umriß" vom Jahr 1894 dazu beigetragen hat, gerade als eine philosophisch-systematischere Behandlung der Werte begann, habe ich schon oben erwähnt.

Wohl die älteste, wenn auch noch sehr kurz gedrängte, so doch systematischere Behandlung der Werte in der Pädagogik stammt von JOSEF-CLEMENS KREIBIG, und zwar innerhal seiner "Psychologischen Grundlegung eines Systems der Werttheorie" (Wien 1902). Hier enthält, nachdem bereits mehrere Anwendungen von Philosophischem auf die Pädagogik vorausgegangen waren, der letzte Teil "Einige Bemerkungen zur timologischen Grundlegung der Pädagogik". Dabei wird als Pädagogik "jene Wissenschaft bezeichnet, welche die Regeln angibt, nach welchen ein Subjekt die Eignung des Habitus eines anderen Subjekts zur möglichst weitgehenden Verwirklichung der Werte planmäßig zur Entwicklung bringt." Gemäß dieser Definition stellt der Autor im weiteren nicht etwa das eigentlich Timologische voran, sondern die psychologische und anatomische wie physiologische Erforschung des dort gemeinten Habitus. Dann aber ist auch das Interesse, welches ein Subjekt daran besitzt, den Habitus eines anderen Subjekts überhaupt zu entwickeln, bereits ein werttheoretisches. "Man muß die Menschheit lieben, um sich bestimmt zu finden, ihren Nachwuchs zu lehren und zu erziehen - von der reinen Lohnarbeit der Pädagogen abgesehen." Sodann erscheint zur Bestimmung der Richtung der pädagogischen Tätigkeit ein "höchstes" Gut, und zwar "die möglichst reiche Entfaltung und Betätigung der geistigen und leiblichen Kräfte des Menschen" (wir selber würden hier weniger gern vom höchsten Gut und lieber vom Zweck oder letzten Zweck sprechen). Für KREIBIG determiniert sich sein höchstes Gut nach den von ihm aufgestellten drei Wertgebieten: dem autopathischen mit Einschluß der Hygienik, dem heteropathischen mit Einschluß der Ethik und dem ergopathischen mit Einschluß der Ästhetik. Auf weiteres zur "Entwicklung durch Pädagogik" usw. kann hier nur mehr verwiesen werden.

Ich habe mich (abgesehen von einer Rezension jenes KREIBIG'schen Werkes in der "Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik", Band 124) des Timologischen in der Pädagogik auch innerhalb meiner Abhandlung "Der Unterricht in der Pädagogik" ("Allgemeine deutsche Lehrerzeitung" LIV/41-43, 1902, speziell Seite 498) angenommen.

Später kam von ERNST DÜRR die "Einführung in die Pädagogik" (Leipzig 1908) und "Die Psychologie der Erziehung" der dritte Hauptteil von der "Pädagogischen Wertlehre". Definiert wird die Pädagogik (Seite 81) als "die Wissenschaft von der planmäßigen Beeinflussung fremden Seelenlebens zum Zweck der Erhaltung, Steigerung und Vermehrung aller miteinander verträglichen Werte." Diese selbst werden vom Autor hauptsächlich eingeteilt in unmittelbare und mittelbare, oder in Idealwerte und Realwerte; die ersteren erschöpfen sich in Bewußtseinsvorgängen, die letzteren, das "Nützliche", gehören zur Realität oder entfalten durch diese ihre Gefühlswirkung.

Zunächst unabhängig von allem Bisherigen wurde die Pädagogik auch werttheoretisch gefaßt, und zwar unter dem Motiv der "Eigengesetzlichkeit der Pädagogik", in einer Abhandlung dieses Titels von J. WEBER, welche der von diesem redigierte "Pharus" in IV/12 vom Dezember 1913 veröffentlichte. Vorher war an derselben Stelle der innere Zusammenhang der Pädagogik mit den Normwissenschaften - Ästhetik, Ethik und Logik - betont und das schon anderswo ausgesprochene Verlangen nach einer "Jugendlogik" usw. wiederholt worden von CHR. SCHERER (VI/8, Seite 188). Auch später brachte diese Zeitschrift derartige Beiträge, zum Teil im Anschluß an E. DÜRR (besonders V/1, Seite 2, V/2, Seite 107 und V/3, Seite 265, hier mit besonderer Betonung der Objektivität der Werte); im Jahrgang 1915 wird sie von mir die Abhandlung "Pädagogische Werttheorie" bringen.

Über "Die Lage der Pädagogik in der Gegenwart" schrieb ALOYS FISCHER in der "Zeitschrift für pädagogische Psychologie" (Bd. XII, 1911, Seite 81 - 93). Hier handelt es sich um eine Verbindung der Pädagogik mit den philosophischen Wertwissenschaften sowie mit den übrigen Fächern. Dabei heißt es ausdrücklich: "Der Neubegründung der Pädagogik, die heute im Gange ist, kann eine solche Verbindung nur nützen, denn das Dogma HERBARTs, daß Psychologie und Ethik allein zur Fundierung ausreichen, ist sicher falsch und ein Hindernis des Fortschritts."

Wiederum appellierte A. FISCHER an die Werte und Wertwissenschaften für die Pädagogik in seinem Aufsatz "Die Probleme der akademischen Pädagogik", den die "Münchener akademische Rundschau" vom 22. April 1913 veröffentlichte, der also, was allerdings nicht mehr neu war, die Timologie speziell für das hochschulpädagogische Gebiet verlangte. - Den Beitrag zur Werttheorie schließlich, den J. FISCHER in der Festschrift von 1913 für CLEMENS BAEUMKER veröffentlichte, bedauern wir hier nicht näher vorführen zu können, da uns jene Festschrift vorher nicht zugänglich war.

Vom Standpunkt der Hochschulpädagogik aus dürfte unter den Beziehungen der Wertklassen und philosophischen Wertdisziplinen zur Pädagogik die der Logik einen ganz besonderen Rang einnehmen. Ihrer näheren Bedeutung für die Pädagogik behalte ich mir eine eigene Buchdarstellung über "Logik und Pädagogik" vor, nachdem ich die Grundzüge des Themas bereits unter demselben Titel in den "Pädagogischen Blättern" (München 1912, Bd. XX, Nr. 14, 15, 16, 18) gegeben habe. Es ist also hier umso weniger nötig, Proben aus der dort verarbeiteten Materie zu geben. Erwähnt sei nur, daß auch dieser Zusammenhang nicht von gestern ist, sondern bereits von nicht wenigen Autoren in einer nicht geringen Literatur teils im Ganzen angedeutet, teils in einigen Einzelheiten vorgeführt wurde. Und zwar geht dies größtenteils Hand in Hand mit einer Bekämpfung eines ausschließlichen Einflusses der Psychologie auf die Pädagogik.

Hierfür kommen unter den Autoren ganz besonders OTTO WILLMANN und PAUL NATORP in Betracht. Mehrmals macht der Erstgenannte darauf aufmerksam, daß keineswegs die Psychologie allein die psychischen Vermittlungen bestimmen kann, durch welche der Schüler in die Lehrstoffe einzuführen ist. Denn sie habe wohl vom Denken zu handeln, aber nicht von den Verhältnissen der Denkinhalte. Dazu aber kommt noch eine logische Armut in der Psychologie selbst. Wird sie "nach dem Zeitgeschmack sensualistisch in die Enge gezogen, und kommt darum die Psychologie des Denkens nicht zur Entfaltung, so stößt sie nicht zur Logik vor: ... Dem gegenüber gilt es, die anderen Hilfswissenschaften zu mobilisieren, die  Logik  und die  Philologie Das Erkennen im vollen Sinne ... und das Erkenen des Erkannten ... beide auf das Verständnis gerichtet, bezeichnen erst die höheren Aufgaben des Unterrichts."

So leitet der Umstand, daß "die menschlichen Wesensinhalte zugleich  Denkinhalte  sind und den Denkgesetzen unterliegen", den Lehrer "auf die  Logik.  Alles Disponieren des Lehrstoffs ist logische Arbeit, ebenso alles Herausfinden innerer Zusammenhänge des Stoffes, also das Eindringen in das  rationale Element  desselben ... Wer rationell unterrichten will, muß sich vom Rationalen in seinem Lehrstoff Rechenschaft geben ... Und dies umso mehr, als er nicht bloß selbst zu denken angewiesen ist, sondern auch  denken lehren  soll." WILLMANN setzt die Psychologie "mit Bedacht an die zweite Stelle ... Es gilt in erster Linie einzudringen in die Sache, dann erst Einblick in die Köpfe der Schüler." Daher der Rat, "beim Streben nach rationeller Unterrichtsgestaltung vorerst auf einem sachlich-logischen Fuß zu fassen, auf Denkübung und Studium der Denklehre Bedacht zu nehmen ... Was dem Schüler in der Schuljahre Lauf Bildung, d. h. innere Gestaltung, gegeben wird, das sind ... die großen Gedankenzusammenhänge in den Lehrstoffen, in deren Struktur oder Geflecht der Schüler einzuführen ist" usw. - mit derjenigen unvollkommenen Hilfe der Psychologie, die bereits angedeutet worden ist. ("Aus Hörsaal und Schulstube", 2. Auflage, Freiburg i. Br. 1912, Seite 191 - 193 und 222)

Nich so sehr um die Logik allein als um sämtliche drei älteren Wertdisziplinen der Philosophie ist es PAUL NATORP zu tun, der das Unzugängliche im gewöhnlichen Verhältnis zwischen Philosophie und Pädagogik mehrmals kritisiert. Jene drei Disziplinen sind für ihn die "reinen Gesetzeswissenschaften". Ihnen soll die gleiche Gerechtigkeit, genauer: die Anerkennung ihres einheitlichen Zusammenhanges, werden. "Erziehung heißt Wollenmachen ... aber der Wille allein und als solcher begründet nicht die Richtigkeit der Einsicht und der ästhetischen Gestaltung" usw. ("Allgemeine Pädagogik", Marburg im Harz 1905, § 5 und 6) Wie dies NATORP im Näheren durchführt, mit Zeugenvorführung bis zurück auf SOKRATES, vielleicht mit Unrecht gegen ARISTOTELES, sodann mit einer Unterscheidung des den "Normwissenschaften" gehörenden  Bildungsinhaltes  von der  bildenden Tätigkeit,  die jenen gegenüber sekundär ist und die Hilfe der Psychologie braucht, weiterhin mit einer pädagogischen Würdigung der Technik, also der Arbeit, der Tat, der Handlung, einschließlich des künstlerischen Schaffens, alles freilich mit einer nicht für jedermann gültigen Philosophie: darüber muß auf seine näheren Darlegungen selbst verwiesen werden. (Siehe "Philosophie und Pädagogik", Marburg 1909, besonders Seite 5f, 67 und 77)


IX. Die pädagogische Bedeutung
der fünf Wertklassen

Schließlich würde noch übrig bleiben, die Bedeutung aller fünf Wertklassen und Wertdisziplinen für die Pädagogik durchzunehmen. Dazu ist in unserem Rahmen kein Raum. Einiges Derartiges existiert längst, wie namentlich die Verarbeitung des Ethischen für die Pädagogik; anderes, wie namentlich die des Logischen, muß in einem abgesonderten Zusammenhang geschehen. Lediglich folgende Verständigungen und besonders Zusätze zu dem bisher Gesagten können und sollen im folgenden vorgebracht werden.

1)  Die Hedonik  mag immerhin, wenn auch von allen Wertklassen und Wertdisziplinen am wenigsten, eine gewisse pädagogische Bedeutung beibehalten. Dies folgt schon aus der Teilnahme des Hedonischen mindestens am Technischen und Ästhetischen. Soll man sodann dem Zögling und Schüler die Erziehung und den Unterricht  angenehm  machen, soll man überhaupt auf sein Wohlgefallen und Mißfallen Gewicht legen? In gewissen Perioden der Geschichte der Pädagogik wurde diese Frgae jedenfalls bejaht. Heute mag davon nur noch so viel übrig bleiben, daß man jedenfalls gut tut, nicht gerade das  Mißfallen  der Jugend herauszufordern. Auch hier soll die Pädagogik des sachlichen Interesses gelten; ob jedoch Interesse ohne etwas Hedonisches bestehen kann, verbleibt der Psychologie zur Erwägung. Offen bleibt auch die Frage, wie weit mit einer Erziehung zur Genußfähigkeit, mindestens mit einer Ablenkung von verkehrten Genüssen gerechnet werden muß. Das klingt für uns heute, anderthalb Jahrhunderte nach der Zeit des Rokoko, nahezu unerhört, ist es aber nicht - man denke nur an die große Rolle des "Glücks" in der Soziologie, ferner an Bestrebungen wie die für "Volksunterhaltung" und dgl. mehr. Kurz: es sind das Dinge, die nicht überschätzt und nicht unterschätzt werden dürfen, aber jedenfalls noch einer näheren Betrachtung bedürfen.

Dagegen interessiert heute den Pädagogikhistoriker ein kritischer Rückblick auf jene Perioden in der Geschichte der Pädagogik, die dem Wohlgefallen des Kindes, speziell seiner Lust und zumal der am Spiel, ein gewichtiges pädagogisches Moment einräumen. So namentlich die der Philanthropisten. Wie weit schließlich die historischen Erscheinungen der Ehrgeizpädagogik hedonisch oder technisch oder sonstwie zu werten sind, mag wiederum einer eigenen Betrachtung verbleiben (vgl. oben IV und V)

Eine Zusammenfassung des hier systematisch und historisch Gesagten mag besonders negativ Wichtiges ergeben. Unmotivierte Verletzungen des Hedonischen haben einen pädagogischen Minuswert, angefangen von so krassen Einwirkungen wie jene durch Schreck und dgl., bis hin zu der oftgenannten größten Sünde des Unterrichts, der Langeweile.

2) Daß die  Technik  oder  Praktik,  auch abgesehen von ihrer Rolle innerhalb der drei oberen Wertklassen, für die Pädagogik als die wichtigste in Betracht kommt, so daß Pädagogisches in erster Linie eine Spezialität des Technischen ist, wissen wir. Die Pädagogik muß Mittel an Zwecke anpassen, muß Wege zu Zielen suchen, muß kurz gesagt zweckmäßig vorgehen. Deshalb hat sich auch mit einem rein praktischen Besser und Schlechter zu tun. Jedes ordentlichen Lehrers Ehrgeiz ist es, seine Sache lieber besser als schlechter zu machen. Diese triviale Einsicht ist allerdings von nicht geringem Gewicht und wird allzu häufig übersehen, namentlich dort, wo eine über den bloßen Naturalismus hinausgehende Behandlung der Pädagogik, inbesondere der Hochschulpädagogik, angefochten wird.

An diesem Punkt, an dem wir ja die Erörterung des Technischen im Pädagogischen abbrechen können, läßt sich wohl auch am passendsten die der bisherigen Fragestellung entgegengesetzte Frage aufwerfen: die nämlich, ob die "Grundwissenschaften" der Pädagogik, also die philosophischen Disziplinen, nicht nur etwas der Pädagogik bringen, sondern auch etwas von ihr gewinnen können. Es wird nicht schwer sein, diese Frage zu bejahen und einen solchen Gewinn am ehesten für die zweite, die technische Wertdisziplin zu vermuten, zumal da diese überhaupt erst noch einer Konstruktion bedarf. Die allgemeine, philosophische Technik und Praktik hat alles zu überblicken, bei dem für Zwecke und Ziele die bestmöglichen Mittel und Wege gesucht und benützt werden sollen und teils sehr gute, teils sehr schlechte Mittel und Wege tatsächlich gefunden und benützt werden - und zwar benützt werden sowohl in bequemer Vorbereitung wie auch in der nötigen Geistesgegenwart des Augenblicks. All das aber ist bei der Pädagogik in einem hohen und weitem Maß ausgeprägt - analog z. B. der Kriegsführung und Kriegswissenschaft. (So schon in "Pädagogische Blätter", München 1912, Bd. XX, Nr. 14, Seite 144f)

3) Für die pädagogische Verwertung der  Ästhetik  ist neuerdings namentlich E. WEBER in "Ästhetik als pädagogische Grundwissenschaft" (Leipzig 1907 eingetreten. Darüber und über eine spätere Selbstrechtfertigung WEBERs habe ich mich in meiner "Evidenz in Logik und Pädagogik" ausgesprochen ("Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik", 45. Jhg. 1913, Seite 277f). Hier nur soviel:

In jenem Buch ist die landesübliche Zweizahl der pädagogischen Grundwissenschaften nur (doch in schwankender Weise) auf drei erweitert: Ethik, Psychologie, Ästhetik (so die Anreihung auf Seite 266 des Buches). Eine genügende Scheidung von Psyche und Wert, von Psychologischem und Timologischem fehlt; ebenso die Logik, trotz des Wortes von "stoffgetreuer Gestaltung" (Seite 234). Und trotzdem ist gerade hier deutlich zu sehen, daß das, was der Ästhetik recht sein soll, der Logik billig sein muß.

ERNST WEBER denkt bei seiner ästhetisch-pädagogischen Untersuchung ersichtlich nur an das allgemeine Bildungswesen, nicht direkt auch an die Spezialbildung, hier also an die künstlerische. Es darf aber bei unserer Betrachtung des ästhetisch-timologischen Einschlags in die Pädagogik erst recht nicht das doch auch im Umfang nicht geringe Kunstschulwesen vergessen werden, das ja fast immer ignoriert wird, wenn man irgendwo dem gesamten Umfang des Pädagogischen und des Schulwesens gerecht werden will.

4) Daß die Bedeutung der  Logik  für die Pädagogik, weit über den Spott hinaus, den bei manchen Menschen schon diese Zusammenstellung erweckt, einer eigenen und eingehenden Behandlung bedarf, wissen wir nun. Aus all dem, was dabei zu sagen sein wird, können hier natürlich nur einige besonders drängende Vordeutungen vorweggenommen werden. Es sind dies folgende:

Nach einem einigenden Band wird, wie anderswo, so auch im Nebeneinanderstehen der Wissenschaften gerufen. Daß dafür dieses einigende Band in erster Linie die Philosophie sein kann und soll (ganz abgesehen von ihrem Zusammenhalten der eigenen Sonderfächer einschließlich der Psychologie), braucht hier nicht neu begründet zu werden. Sie wirkt als jenes Band nicht nur durch ihre metaphysische Seite, durch ihre Prinzipienlehre oder dgl., sondern auch durch ihre logische Seite. Mit dieser liegt sie namentlich allem Methodischen der Wissenschaften zugrunde, sie macht deren logischen Gehalt oder Kern aus - und dies natürlich auch für die als Schulfächer bekannten Ausschnitte aus den Wissenschaften. Dazu kommt nun noch die Mitwirkung der Logik bei den übrigen Wertdisziplinen, zumal bei der Ethik; und namentlich die Widerspruchslosigkeit, wie sie allem Timologischen eigen ist, erhält in der Logik eine besondere Stütze.

Das alles kommt nun wieder der Pädagogik zugute. Droht sich in ihr der Zusammenhang zwischen ihren Teilen zu lockern, zumal der zwischen den verschiedenen Schulstufen, so wird die Philosophie und gerade auch die Logik zu einer guten Hilfe für die Wiederherstellung des Zusammenhangs. Sie kommt ja in der Pädagogik überall "vor", nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, nicht nur im Akademischen, sondern auch im Elementaren, und in mehreren von den "Bestandstücken" der Pädagogik, von denen wir oben (VII) gesprochen haben.

Zugunsten des notwendigen Zusammenhangs unter den pädagogischen Ideen fiel schon vor längerer Zeit das Wort: " Nach notwendigem Zusammenhang ist zu ringen, ist ja schon ein Gebot der Logik." Der dies sprach, war nicht etwa ein Gegner, sondern sehr schroffer Anhänger des pädagogischen Psychologismus: TH. VOGT ("Zur Geschichte der Pädagogik" im XI. Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik, 1879, Seite 243, zitiert von E. von SALLWÜRK, "Handel und Wandel der pädagogischen Schule Herbarts", Langensalza 1885, Seite 54).

Dazu tritt aber auch noch der  Neutralwert  der Logik. Über den Inhalt der Logik sind sich die nicht abnormen Köpfe einiger als über den anderer Disziplinen. Es ist trotz aller auch hier zu überwindenden Widerstände verhältnismäßig aussichtsvoll, eine logische Übereinstimmung zu erreichen; und gegen die Logik zu kämpfen, ist auf die Dauer ebenso aussichtslos, wie es vorübergehend aussichtslos ist, gegen ihr Gegenteil zu kämpfen.

So wird die Logik eine beste Zuflucht auch für pädagogische Interessen und dadurch geradezu eine "dankbare" Beschäftigung, was sie ja sonst für gewöhnlichen und äußerlichen "Dank" eben  nicht  ist. Mit ihrer Allgemeingültigkeit und Konstanz tritt sie in einen erfreulichen und wertvollen Gegensatz zur Breite des typisch und individuell Variablen auf psychischem Gebiet, so daß sie auch den Lehrer häufig und dringlich nach ihr als einem festeren Halt rufen läßt. (So schon in "Pädagogische Blätter", München 1912, Bd. XX, Nr. 15, Seite 142)

In einem ähnlichen Sinn hat sich ganz besonders W. KOPPELMANN ausgesprochen in seinen "Untersuchungen zur Logik der Gegenwart", Bd. 1, Berlin 1913, Seite 18f). "Auch ist die Beschäftigung mit der Logik  didaktisch  wichtig, wobei ich dieses Wort im weitesten Sinne nehme ... Der Lehrer oder Forscher mag mit sicherem Takt die logischen Entgleisungen vermeiden; trotzdem wird es ihm manchmal nicht gelingen, in anderen eine wirkliches Verständnis für seine Wissenschaft zu erwecken, weil es ihm selbst an einem vollen logisch-erkentnistheoretischen Verständnis ihrer Prinzipien fehlt ... Das Bewußtsein der Einheit der Wissenschaft ist oft nur mangelhaft entwickelt ... Hier hat, wenn irgendetwas, so die Logik die Aufgabe und die Fähigkeit, einigend zu wirken ... Die Logik ist berufen, den  gemeinsamen Unterbau  für die Wissenschaften zu schaffen und das Bewußtsein der Arbeitsgemeinschaft und der gemeinsamen Ziele zu stärken." (Auch über den Begriff der Zweckmäßigkeit, also über das, was unseren technischen Werten zugrunde liegt, zeigt dieser Autor ein besseres Verständnis, als sonst üblich ist und zwar Seite 204 - 207)

Die Verteidigung des Logischen im Pädagogischen durch O. WILLMANN haben wir bereits markiert. Es handelt sich dabei hauptsächlich um sein oft variiertes Wort: "Maß und Norm des Unterrichts ist in erster Linie der Lehrstoff und erst in zweiter der Lernende" (so besonders "Aus der Werkstatt der Philosophie perennis", Freiburg i. Br. 1912, Seite 235 und 252).

Allerdings werden der Logik immer mehr Sympathien entzogen infolge des Durcheinanders von allgemeiner Abneigung gegen Begriffe, gegen Abstraktes und gegen Formales, sodann von Stolz auf "induktives" Denken sowie auf Erfolge der "Einzelwissenschaften" und dgl. mehr. Bestenfalls kommt dies der Erkenntnistheorie zugute.

Mehr im Sinne dieser als der Logik als solcher setzt sich besonders WILHELM WINDELBAND für manche Einsichten ein, die wenigstens indirekt auch der Pädagogik willkommen sind. Er hat seit langem (1882) die Bedeutung der Werte für die Philosophie erkannt und vertreten, allerdings unseres Wissens nirgends mit einer systematischen Behandlung, und überdies noch mit einem Festhalten am Begriff der "Normen", die bei ihm sogar  über  den Wert gesetzt sind. So in seiner Abhandlung "Normen und Naturgesetze" von 1882 (enthalten in seinen "Präludien", 4. Auflage 1911, Bd. 2). Hier spricht der Autor u. a. davon, daß es für den reifen Kulturmenschen nicht nur ein sittliches, sondern auch ein logisches und ein ästhetisches Gewissen gebe. Man dürfe sogar sagen, daß erst in dieser Form das Verantwortlichkeitsgefühl rein hervortritt. Kein direkt nachfühlbarer Nachteil folge auf die Verletzung der logischen oder ästhetischen Pflicht. "Gerade deshalb ist auch für die Veredelung des ethischen Gewissens und für dessen Erziehung zu einem reinen, aller eudämonistischen Rücksichten entkleideten Pflichtgefühl kein pädagogisches Mittel so wirksam, wie die Erweckung des logischen und pädagogischen Gewissens."

5) Das pädagogische Verhältnis der  Ethik  ist nahezu bis zum Überdruß verhandelt worden, bedarf aber einer neuen Untersuchung, da das Ethische jetzt als ein "primum inter paria" [Erstes unter Gleichem - wp] in eine mit ihm zusammen fünfgliedrige Gesellschaft eintritt. Namentlich die Dienste, die ihm von anderen Wertklassen geleistet werden können und sollen, vor allem also von der logischen, dann auch - und gerade wegen des pädagogischen Zusammenhangs - von der technischen Wertklasse, werden das Ethische im Pädagogischen mit neuer Beleuchtung erscheinen lassen. Jedenfalls ist all das zu gewichtig, als daß es hier mit den uns überhaupt noch möglichen Benützungen der jetzigen Gelegenheit angeschnitten werden könnte.

Alle fünf Wertklassen zusammen, im obigen Sinn angewendet auf das Bildungs- oder Erziehungsproblem im umfassendsten Sinn, ergeben den gesamten pädagogischen Wert und machen es der Pädagogik möglich und nötig, eine eigentümliche Wertlehre und Wertsetzung und Wertgebung zu sein. Die Frage, ob dann die Pädagogik nur fremdgesetzlich oder vielmehr eigengesetzlich sei, ist keineswegs müßig und kann sogar zum Verdienst einer reinlichen Sceidung zwischen dem, was Eigenlehren, und dem, was Lehnlehren heißen mag, führen. Je schärfer man in unserem Sinne das Timologische im Pädagogischen faßt, desto eigengesetzlicher zeigt dieses, desto enger aber werden auch wieder ihre Verwurzelungen in der Philosophie. Gewiß haben die für die Eigengesetzlichkeit der Pädagogik sprechenden Autoren ein besonderes Verdienst; so namentlich C. ANDRAE und I. WEBER (der letztere besonders im "Pharus", zumal seit Heft IV/8, August 1913). Eine Unabhängigkeit der Pädagogik von der Philosophie jedoch erweist sich immer mehr und mehr als unmöglich.

Indem nun aber die Pädagogik die philosophischen Werte übernimmt, kann ihr auch die  Reihe  dieser Werte so wenig gleichgültig sein wie die Eignung dieser Wertreihe für ihre eigenen Zwecke. Zum innersten Bestand der Pädagogik gehört es, Stellung zu nehmen für die "höheren" Werte gegen die "niederen" und speziell - gerade bei ihrer technischen Eigenart - den pädagogischen "Utilitarismus" bei sich sowie bei der Jugend zu bekämpfen und diese von früh auf an dasjenige zu gewöhnen, was kurz als "Selbstzwecke" selbstverständlich wird.

Nach all dem bleibt noch übrig, auf für die didaktische Übertragung der Wertklassen und Wertdisziplinen selbst zu sorgen. Kurz also: Unterricht in Hedonik, Technik oder Praktik, Ästhetik, Logik, Ethik; wozu dann schließlich auch noch eine ganz eigene Timologie überhaupt, etwa schon als Bestandteil der "philosophischen Propädeutik", kommen kann. All das einerseits gelegentlich beim sonstigen Unterricht, andererseits in ganz eigenen Unterrichtsfächern. Wie wenig es angehen wird, solche Unterrichtsfächer auf den allgemeinen Schulen mit einer Vermehrung der ohnehin schon großen Fächerzahl zu verlangen, liegt auf der Hand; und Hedonik wie Technik sind kaum selbst erst im Werden.

Vorläufig ist schon viel erreicht, wenn neben dem Ethischen auch das Ästhetische und das Logische im Unterricht als eine gerechtfertigte Forderung anerkannt und betätigt werden. Dazu aber gehört auch eine endliche Besinnung darüber, daß wir mit dem pädagogischen Psychologismus zwar in manchen, doch keineswegs in allen und gerade nicht in den wichtigsten Richtungen vorwärts kommen. Auf ihn scheinen auch hauptsächlich Mißgunst und Anfeindungen zurückzugehen, die der Logik überhaupt und speziell in ihrer Bedeutung einerseits als Hilfe der Pädagogik und andererseits als Bildungsfach zuteil werden. Als ein vielleicht zur Erheiterung am Schluß unserer langen Rede passendes burleskes Beispiel dafür sowie für den Grad dessen, was der Logik gegenüber möglich ist, sei das Buch des - vom "Pragmatismus" her bekannten - Engländers F. C. S. SCHILLER: "Formal Logic. A scientific and social problem" (London 1912).

Der Autor bestreitet (Chap XXIV, § 8) die Bedeutung eines geistigen "Trainings" durch die formale Logik und verweist mit steigender Schärfe auf negative Erfahrungen. Die formale Logik sei (Chap. XXV § 7) nur mehr ein soziales Problem, und damit mögen die Politiker usw. zurechtkommen. Die Logiker haben genug getan mit der Klärung des Bodens für eine neue Logik des realen Denkens statt einer der Einbildungen und Fälschungen. Noch immer wird (ebd. § 2) die Logik den Berufs- und wissenschaftlichen Ständen beigebracht, ohne daß diese ihre Unzufriedenheit zur Geltung bringen können, da die formale Logik nicht durch Liebe, sondern durch Furcht herrscht, da in der ganzen akademischen Welt das Autoritätsprinzip regiert, und da die gemeinwissenschaftliche Lebensart das Fragen nach den Früchten der formalen Logik verbietet. Doch schon sei es wissenschaftlicher Bildung möglich gemacht, dem Übergewicht jener auszuweichen, weniger aus Absicht als aus Apathie der Logiker; und die Psychologie - hier wohl als Erforschung der wissenschaftlichen Erkenntnistatsachen gemeint - werde der Logik den Rang ablaufen. Trotzdem wird die formale Logik noch immer weitergelehrt, falls auf die Logiker nicht ein sozialer Druck ausgeübt wird. Und die Geschichte der Logik beweist (nach dem Vorwort), daß nichts den menschlichen Geist besser niederhält als ein kunstgerecht befestigter Unsinn. -

So wird in England, ein paar Jahrzehnte nach dem Anaologen in Deutschland, gegen die Logik um die Psychologie geworben, trotz des gut logischen Zuges pädagogischer Literatur Englands. Es wird wohl nicht zu viel behauptet sein, wenn wir darauf Gewicht legen, daß gerade solche Wirrungen die Notwendigkeit einer timologischen Haltung der Pädagogik erst recht beweisen.
LITERATUR Hans Schmidkunz, Psychologisches und pädagogisches zur Werttheorie, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 33, Leipzig 1915