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Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft [2/7] IV. NATUR UND KULTUR Eine streng systematische Untersuchung, welche die logischen Probleme voranstellt, müßte von einer Reflexion auf die formalen Unterschiede der Methoden ausgehen, also vom Begriff einer historischen Wissenschaft her den der Kulturwissenschaft verstehen. (1) Weil jedoch die Einzelwissenschaften zuerst an sachliche Unterschiede anknüpfen und die Arbeits-teilung auch in ihrem weiteren Verlauf vor allem durch den materialen Unterschied von Natur und Kultur bestimmt wird, so beginne ich, um mich nicht noch weiter, als es ohne hin schon nötig ist, von den Interessen der Einzelforschung zu entfernen, mit dem sachlichen Gegensatz und schließe hieran eine Erörterung der formalen methodischen Unterschiede an, um dann erst die Beziehungen zwischen dem formalen und dem materialen Einteilungsprinzip aufzuzeigen. ![]() Die Worte Natur und Kultur sind nicht eindeutig und insbesondere wird der Begriff der Natur immer erst durch den Begriff näher bestimmt, zu dem man ihn in einen Gegensatz bringt. ![]() ![]() Mögen wir nun diesen Gegensatz so weit ausdehnen, wie wir nur wollen, immer hängt damit notwendig zusammen, daß in allen Kulturvorgängen irgendein vom Menschen anerkannter Wert verkörpert ist, um dessentwillen sie entweder hervorgebracht oder, wenn sie schon entstanden sind, gepflegt werden, ![]() ![]() An Kulturobjekten haften also stets Werte und wir wollen sie deshalb Güter nennen, um sie damit zugleich als wertvolle Wirklichkeiten von den Werten selbst zu unterscheiden, die, für sich betrachtet, keine Wirklichkeiten sind und von denen man auch absehen kann. ![]() ![]() ![]() Allerdings läßt sich der materiale Unterschied ![]() Gewiß kann dieser Begriff in der Methodenlehre eine große Wichtigkeit erhalten. Aber das Wort "Verstehen" ist sehr vieldeutig. Sein Begriff bedarf daher der genauen Bestimmung und vor allem kommt es bei der Trennung von Kultur- und Naturwissenschaften darauf an, wozu man das Verstehen in einen Gegensatz bringt. Wir müssen es hier vom Wahrnehmen trennen und dabei diesen Begriff so weit fassen, daß die gesamte Sinnenwelt, d. h. alle unmittelbar gegebenen physischen und psychischen Vorgänge, als Gegenstände der Wahrnehmung gelten. ![]() ![]() Mit dieser Unterscheidung von wahrnehmbaren und verstehbaren Objekten ![]() ![]() Trotzdem empfiehlt es sich, daß wir bei der Beschränkung auf die Spezialdisziplinen und bei dem Versuch, die empirischen Kulturwissenschaften gegen die Naturforschung abzugrenzen, den Wert gedanken in den Vordergrund rücken und uns zugleich darüber klar werden, daß eine Wertbeziehung vorliegen muß, falls empirisch reale Objekte für uns einen Sinn oder eine Bedeutung bekommen sollen, wie umgekehrt ohne irgendeine Beziehung der Objekte auf Werte nichts vorhanden wäre, was wir im prägnanten Sinne des Wortes als bedeutungs- und sinnvoll "verstehen" könnten. Wir dürfen sogar sagen, daß Sinn und Bedeutung erst durch einen Wert in ihrer Eigenart konstituiert werden und daß daher das Verstehen von Sinn und Bedeutung ohne Rücksicht auf Werte wissenschaftlich unbestimmt bleibt. ![]() Jedenfalls haben wir schon in der Unterscheidung von wertfreier Natur ![]() Wir bleiben also in dieser einführenden Darstellung bei der Trennung von wertfreier Natur und wertbehafteter Kultur stehen, ohne auf die Trennung von sinnfreien, nur wahrnehmbaren, unverständlichen und sinnvollen, verstehbaren Objekten weiter zu reflektieren und lediglich über die Art des Wertes, der Wirklichkeiten zu Kulturgütern macht ![]() Bei Werten, die man für sich betrachtet, kann man nicht fragen, ob sie wirklich sind, sondern nur, ob sie gelten. Ein Kulturwert ist nun entweder faktisch von allen Menschen als gültig anerkannt oder es wird seine Geltung und damit die mehr als rein individuelle Bedeutung der Objekte, an denen er haftet, wenigstens von einem Kulturmenschen postuliert und ferner darf es sich bei Kultur im höchsten Sinne nicht um Gegenstände eines bloßen Begehrens, sondern es muß sich um Güter handeln, zu deren Wertung und Pflege wir uns mit Rücksicht auf die Gesellschaft, in der wir leben oder aus einem anderen Grund zugleich mehr oder weniger "verpflichtet" fühlen, falls wir überhaupt auf die Geltung der Werte reflektieren. Doch ist dabei nicht nur an eine "moralische Notwendigkeit" zu denken, sondern es genügt, daß sich mit dem Wert der Gedanke einer Norm oder einer gesollten Verwirklichung in einem Gut überhaupt verknüpft. So grenzen wir die Kulturobjekte sowohl gegen das ab, was zwar von allen, aber nur triebartig gewertet und erstrebt wird, als auch gegen das, was zwar nicht einem bloßen Trieb, aber doch nur den Anwandlungen einer individuellen Laune seine Wertung als Gut verdankt. ![]() Daß dieser Gegensatz von Natur und Kultur, soweit es sich um einen Unterschied der beiden Gruppen von realen Objekten handelt, wirklich der Teilung der Einzelwissenschaften zugrunde liegt, ergibt sich leicht. Die Religion, die Kirche, das Recht, der Staat, die Sitten, die Wissenschaft, die Sprache, die Literatur, die Kunst, die Wirtschaft und auch die zu ihrem Betrieb notwendigen technischen Mittel sind, jedenfalls auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung, Kulturobjekte oder Güter genau in dem Sinne, daß der an ihnen haftende Wert entweder von allen Gliedern einer Gemeinschaft als gültig anerkannt oder seine Anerkennung ihnen zugemutet wird. Wir brauchen daher unseren Begriff der Kultur nur noch dahin zu erweitern, daß wir auch die Vorstufen und die Verfallsstadien der Kultur, sowie die kulturfördernden oder -hemmenden Vorgänge mit in Betracht ziehen, dann sehen wir, daß er alle Objekte der Religionswissenschaft, der Jurisprudenz, der Geschichte, der Philologie, der Nationalökonomie usw., also die Gegenstände aller "Geisteswissenschaften" mit Ausnahme der Psychologie umfaßt und daß daher der Ausdruck Kulturwissenschaft eine durchaus geeignete Bezeichnung für die nichtnaturwissenschaftlichen Spezialdisziplinen ist. ![]() Der Umstand, daß man auch die Betriebsmittel der Landwirtschaft, die Maschinen und die chemischen Hilfsmittel zur Kultur rechnet, ist gewiß kein Einwand gegen die Verwendung des Terminus Kulturwissenschaft, wie WUNDT gemeint hat (5), sondern zeigt im Gegenteil, daß er auf die nichtnaturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen viel besser paßt als das Wort Geisteswissenschaft, für das WUNDT eintritt. Die technischen Erfindungen werden zwar meist mit Hilfe der Naturwissenschaft gemacht, aber sie selbst gehören doch nicht zu den Objekten einer naturwissenschaftlichen Untersuchung und in den "Geisteswissenschaften" sind sie ebenfalls nicht unterzubringen. Nur in einer Kulturwissenschaft findet die Darstellung ihrer Entwicklung einen Platz und welche Bedeutung sie auch für die "geistige", d. h. sinnvolle seelische Kultur haben können, bedarf keines Nachweises. Von einigen Disziplinen, wie Geographie (6) und Ethnographie, kann es allerdings zweifelhaft sein, wohin sie gehören. Aber die Entscheidung darüber hängt bei ihnen nur davon ab, unter welchem Gesichtspunkt sie ihre Gegenstände bringen, d. h. ob sie sie als bloße Natur ansehen oder sie zum Kulturleben in Beziehung setzen. Die Erdoberfläche, ansich ein bloßes Naturprodukt, gewinnt als Schauplatz aller Kulturentwicklung noch ein anderes als bloß naturwissenschaftliches Interesse und die primitiven Völker können einerseits als "Naturvölker" angesehen, andererseits aber auch daraufhin erforscht werden, wie weit sich bei ihnen schon "Anfänge" von Kultur vorfinden. ![]() Bisweilen wird jedoch dieses Wort auch in einem anderen Sinn gebraucht und daher ist es vielleicht gut, wenn wir unseren Begriff noch ausdrücklich gegen verwandte Begriffe abgrenzen, in denen der Ausdruck Kultur zum Teil ein zu weites, zum Teil aber auch ein zu enges Gebiet umfaßt. Doch will ich mich dabei auf einige Beispiele beschränken. Als Typus für eine zu weite Fassung wähle ich den Begriff der Kulturwissenschaft, wie er von HERMANN PAUL (7) aufgestellt worden ist. Eine kurze Auseinandersetzung mit seinen Ansichten liegt umso näher, als er durch seine überzeugenden Ausführungen nicht nur dazu beigetragen hat, den Ausdruck Kulturwissenschaften statt Geisteswissenschaften gebräuchlich zu machen, sondern auch in neuerer Zeit zu den ersten gehört, die auf den fundamentalen Unterschied zwischen Gesetzes wissenschaft und Geschichts wissenschaft hingewiesen haben, der uns später beschäftigen wird. ![]() Trotzdem will auch PAUL noch "als das charakteristische Kennzeichen der Kultur ... die Betätigung psychischer Faktoren bezeichnen", ja dies scheint ihm "die einzig mögliche exakte Abgrenzung des Gebietes gegen die Objekte der reinen Naturwissenschaften zu sein", und weil ihm "das psychische Element ... der wesentlichste Faktor in aller Kulturbewegung" ist, "um den sich alles dreht", so wird auch ihm "die Psychologie ... die vornehmste Basis aller in einem höheren Sinne gefaßten Kulturwissenschaft". Den Ausdruck Geisteswissenschaften meidet er nur deshalb, weil, "sowie wir das Gebiet der historischen Entwicklung betreten, ... wir es neben den psychischen mit physischen Kräften zu tun" haben. PAULs Begriffsbestimmung kommt also darauf hinaus, daß das Psychische, wo es allein auftritt, Objekt der reinen Geisteswissenschaft ist, daß alle Wirklichkeit aber, die sich aus physischem und psychischem Sein zusammensetzt, den Kulturwissenschaften gehört. ![]() In diesen Gedanken ist das zweifellos richtig, daß man die Kulturwissenschaften nicht auf die Erforschung seelischer Vorgänge einschränken darf und daß der Ausdruck Geisteswissenschaften, wenn man darunter nur die Erforschung von Seelenleben versteht, auch aus diesem Grund wenig bezeichnend ist. Aber man wird doch weitergehen und fragen müssen, ob die empirischen Kulturwissenschaften überhaupt einen Grund haben, physisches und psychisches Sein so zu trennen, ![]() ![]() PAUL gibt das implizit zu, wenn er als Beispiel einer Kulturwissenschaft vom tierischen Leben die Entwicklungsgeschichte der Kunsttriebe und gesellschaftlichen Organisation anführt, denn von Kunsttrieben und gesellschaftlicher Organisation bei den Tieren zu reden, hat nur dann einen Sinn, wenn es sich dabei um solche Vorgänge handelt, die nach Analogie mit der menschlichen Kultur betrachtet werden können, die dann jedoch Kulturvorgänge auch in meinem Sinne sein würden. Diese Betrachtung aber darf doch dem tierischen Leben gegenüber nicht als die einzig berechtigte angesehen werden, ja, es ließe sich wohl zeigen, daß die Übertragung menschlicher Kulturbegriffe auf tierische Gemeinschaften in den meisten Fällen eine spielerische und verwirrende Analogie ist. Was soll man unter dem Wort "Staat" verstehen, wenn es sowohl das Deutsche Reich als auch einen Bienenstock bezeichnet, was unter "Kunstwerk", ![]() Doch gehe ich hierauf nicht weiter ein. Ich wollte nur an einem Beispiel noch einmal klarlegen, wie ohne einen Wert gesichtspunkt, der Güter von wertfreien Wirklichkeiten trennt, keine scharfe Scheidung von sinnvoller Kultur und sinnfreier Natur zu finden ist ![]() Die Kulturvorgänge werden wirklich nicht nur mit Rücksicht auf einen Wert, sondern zugleich auch immer mit Rücksicht auf ein psychisches Wesen, das sie wertet, betrachtet werden müssen, weil Werte nur von psychischen Wesen gewertet werden, ein Umstand, der es mit sich bringt, daß das Psychische überhaupt als das Wertvollere und Sinnbehaftete im Vergleich zum Körperlichen angesehen wird. Es besteht also in der Tat ein Zusammenhang ![]() So richtig das jedoch ist, so wenig läßt sich von hier aus eine Einteilung der Wissenschaften durch den Gegensatz von Natur und Geist oder Seele rechtfertigen, denn das bloße Vorhandensein von Psychischem macht, weil seelisches Leben als solches auch als Natur zu betrachten ist, eben noch nicht das Kulturobjekt aus und daher ist es zur Definition des Kulturbegriffs nicht zu verwenden. Das ginge vielmehr nur dann, wenn im Psychischen, als der notwendigen Vorbedingung einer Wertung, immer auch der Wert selbst und zwar als ein allgemeingültiger Wert mitzudenken wäre. Dies mag in der Tat häufig geschehen, besonders wenn man das Wort "Geist" braucht und das erklärt die von uns abzulehnenden Versuche. Zu einer solchen Identifizierung von Geist und Wertung eines allgemeingültigen Wertes aber besteht kein Recht, solange man unter Geist das Psychische versteht. Man sollte vielmehr das "geistige" Sein, d. h. die psychischen Akte der Wertung von den Werten selbst und ihrer Geltung ebenso begrifflich trennen, wie man die realen Güter von den an ihnen haftenden Werten trennen muß ![]() ![]() Ganz kurz kann ich endlich die Bestimmungen behandeln, die den Begriff der Kultur auf eine zu eng begrenzte Gruppe allgemein gewerteter Objekte beschränken. Sie seien hauptsächlich deshalb erwähnt, weil durch einige von ihnen das Wort "Kultur" für viele wohl einen geradezu fatalen Nebensinn bekommen hat, aus dem sich die Abneigung gegen den Terminus Kulturwissenschaften erklären mag. Damit meine ich weniger Zusammensetzungen wie "Kulturkampf" und "ethische Kultur", die mit Wissenschaft nichts zu tun haben und ich denke auch nicht, daß man sich durch den von gewisser Seite getriebenen Mißbrauch der Sprache, der unter "Kultur" nur die Massenbewegungen verstehen oder die Kriege vergangener Zeiten als "unsittlich" nicht zur Kultur rechnen will, den Gebrauch dieses Wortes verleiden zu lassen braucht. Ich habe vielmehr die Gedanken im Auge, die sich insbesondere mit dem Begriff der beim großen Publikum ![]() Wir halten also an dem mit dem Sprachgebrauch durchaus übereinstimmenden Begriff der Kultur fest, d. h. wir verstehen darunter die Gesamtheit der realen Objekte, an denen allgemein anerkannte Werte oder durch sie konstituierte Sinngebilde haften ![]() BEGRIFF UND WIRKLICHKEIT Wäre der Unterschied zwischen Natur- und Kulturwissenschaften bereits damit erschöpft, daß immer nach derselben Methode hier Naturobjekte, dort Kulturvorgänge untersucht werden, so hätte diese Feststellung logisch wenig zu bedeuten. Um zu zeigen, welche anderen tiefgehenden Unterschiede zwischen den beiden Gruppen von Einzelwissenschaften bestehen, wende ich mich jetzt vom materialen zum formalen Einteilungsprinzip. Um dieses klarzulegen, sind aber zunächst einige Bemerkungen über das spezialwissenschaftliche Erkennen im allgemeinen unentbehrlich und zwar will ich dabei ausgehen von dem weitverbreiteten Begriff des Erkennens als eines Abbildens der Wirklichkeit. Bevor dieser Begriff nämlich nicht, wenigstens soweit es sich um eine wissenschaftliche Erkenntnis handelt, als unhaltbar erkannt ist, darf man nicht hoffen, das Wesen irgendeiner wissenschaftlichen Methode zu verstehen, ja, der Begriff der wissenschaftlichen "Form" überhaupt kann vorher nicht klar werden. ![]() Solange man sich unter der zu erkennenden Wirklichkeit eine andere Welt als die unmittelbar bekannte und zu erfahrende, also eine "transzendente" Welt denkt, die "hinter" der wahrgenommenen liegt, scheint die Abbildtheorie einen guten Sinn zu haben. Die Aufgabe der Erkenntnis besteht dann darin, aus dem unmittelbar gegebenen Material Vorstellungen oder Begriffe zu bilden, ![]() ![]() ![]() Aber selbst wenn diese kühnen Voraussetzungen richtig sein sollten, wissen wir doch unmittelbar wenigstens von einer Welt "hinter" der gegebenen Wirklichkeit nichts und die Übereinstimmung der Vorstellungen oder Begriffe mit ihr, d. h. die Ähnlichkeit des Abbildes mit dem Urbild ist also auch niemals direkt zu konstatieren. Wir können daher, um das Wesen der Erkenntnis zu verstehen, nur damit beginnen, den Prozeß der Umformung zu untersuchen, durch den die mit der transzendenten Welt übereinstimmenden Vorstellungen oder Begriffe zustandekommen. Es wird also jedenfalls auch beim transzendenten Wahrheitsbegriff das Erkennen von der Logik zunächst nicht als ein Abbilden, sondern nur als ein Umbilden des unmittelbare gegebenen Materials durch den Begriff betrachtet werden müssen, denn dies allein ist der uns direkt zugängliche Vorgang, durch den das gesuchte Abbild der transzendenten Wirklichkeit entstehen soll. ![]() Vielleicht jedoch ist der transzendente Wahrheitsbegriff ganz unhaltbar, d. h. unsere einzelwissenschaftliche Erkenntnis ist auf die unmittelbar gegebene, immanente Sinnenwelt beschränkt und allein diese abzubilden, wäre dann ihre Aufgabe. Das scheint in der Tat weniger Voraussetzungen zu enthalten, insofern sich ja in diesem Falle die Übereinstimmung von Abbild und Original direkt konstatieren ließe. ![]() Aber wenn wir näher zusehen, so wird gerade hier die Abbildtheorie erst recht bedenklich. Der Fortschritt in der Erkenntnis wäre unter dieser Voraussetzung nur davon abhängig, in welchem Grad es gelingt, eine Wiederholung der Wirklichkeit zu geben. Der Spiegel würde also am besten "erkennen" oder ein farbiges Modell in höchster Vollendung käme wenigstens mit Rücksicht auf die Sichtbarkeit der Dinge der "Wahrheit" am nächsten. Ist aber dem erkennenden Menschen wirklich mit einer solchen im Sinne des Abbildes möglichst genauen Wiederholung oder Verdoppelung der Wirklichkeit gedient? Ein vollkommenes Abbild besitzt wissenschaftlichen Wert für uns doch wohl nur dann, wenn das abgebildete Erfahrungsobjekt selbst uns nicht direkt zugänglich ist. Erkenntnis aber enthielte auch eine absolut vollständige Verdoppelung als solche noch lange nicht. ![]() Freilich, es könnte jemand sagen, daß er mit dem Erkennen nichts anderes als ein Abbild der Dinge erreichen wolle: die Wissenschaft habe die Welt zu "beschreiben", so wie sie wirklich ist und was nicht eine mit der Wirklichkeit genau übereinstimmende Beschreibung sei, das habe überhaupt keinen wissenschaftlichen Wert, sondern bestehe lediglich aus "Konstruktionen". ![]() Gegen die Kundgebung solchen Wollens läßt sich natürlich nicht viel sagen. ![]() ![]() Hätten wir also die Wirklichkeit mit Begriffen abzubilden, so ständen wir als Erkennende vor einer prinzipiell unlösbaren Aufgabe und so wird es denn, wenn irgendetwas, das bisher geleistet ist, überhaupt den Anspruch machen darf, Erkenntnis zu sein, auch für den immanenten Wahrheitsbegriff wohl dabei bleiben müssen, daß Erkennen nicht Abbilden durch Beschreibung der "Phänomene", sondern Umbilden und zwar, wie wir hinzufügen können, im Vergleich zum Wirklichen selbst, immer Vereinfachen ist. ![]() Für unseren Zusammenhang könnte es vielleicht bei dieser ebenso schlichten wie unwiderleglichen Zurückweisung der Ansicht, daß die Wissenschaft ein Abbild der Wirklichkeit selbst zu geben hat, sein Bewenden haben. Aber da die Unmöglichkeit, die Wirklichkeit, "so wie sie ist", in Begriffe aufzunehmen, zur Behauptung der "Irrationalität" der empirischen Wirklichkeit führt und weil dieser Gedanke auf entschiedenen Widerspruch gestoßen ist, so will ich hierüber noch einiges hinzufügen und besonders sagen, in welchem Sinne die Wirklichkeit irrational, also unerkennbar und in welchem Sinne sie rational, also erkennbar, genannt werden darf. ![]() Achten wir auf irgendein beliebiges, uns unmittelbar gegebenes Sein oder Geschehen, so können wir uns leicht zum Bewußtsein bringen, daß wir darin nirgends scharfe und absolute Grenzen, sondern durchweg allmähliche Übergänge finden. Es hängt dies mit der Anschaulichkeit jeder gegebenen Wirklichkeit zusammen. Die Natur macht keine Sprünge. Alles fließt. Das sind alte Sätze und sie gelten in der Tat vom physischen Sein und seinen Eigenschaften ebenso wie vom psychischen, also von allem realen Sein, das wir unmittelbar kennen. Jedes räumlich ausgebreitete oder eine Zeitstrecke erfüllende Gebilde trägt diesen Charakter der Stetigkeit. Das können wir kurz als Satz der Kontinuität alles Wirklichen bezeichnen. ![]() Dazu aber kommt noch etwas anderes. Kein Ding und kein Vorgang in der Welt gleicht dem anderen vollkommen, sondern ist ihm nur mehr oder weniger ähnlich und innerhalb jedes Dings und jedes Vorgangs unterscheidet sich wiederum jeder noch so kleine Teil von jedem beliebigen räumlich und zeitlich noch so nahen oder noch so fernen. Jede Realität zeigt also, wie man auch sagen kann, ein besonderes, eigenartiges, individuelles Gepräge. ![]() Selbstverständlich gilt nun dieser Satz auch von den allmählichen kontinuierlichen Übergängen, die jede Wirklichkeit zeigt und gerade das ist wichtig für die Frage nach der Begreiflichkeit der Realität. Wohin wir den Blick richten, finden wir eine stetige Andersartigkeit und eine solche Vereinigung von Heterogenität und Kontinuität ist es, die der Wirklichkeit jenes eigentümliche Gepräge der "Irrationalität" aufdrückt, d. h. weil sie in jedem ihrer Teile ein heterogenes Kontinuum ist, kann sie so, wie sie ist, nicht in Begriffe aufgenommen werden. Stellt man daher der Wissenschaft die Aufgabe einer genauen Reproduktion des Wirklichen, so tritt nur die Ohnmacht des Begriffes zutage und ein absoluter Skeptizismus ist das einzige konsequente Ergebnis, wo die Abbildtheorie oder das Ideal der reinen Beschreibung die Wissenschaftslehre beherrscht. ![]() Man darf also dem wissenschaftlichen Begriff eine solche Aufgabe nicht stellen, sondern muß fragen, wie er Macht über das Wirkliche bekommt ![]() ![]() Den ersten Weg, der mit einer Beseitigung der Heterogenität beginnt, geht die Mathematik. Zum Teil kommt sie sogar zu einem homogenen Diskretum, wie es z. B. in der Reihe der einfachen Zahlen vorliegt, aber sie kann auch das Kontinuum begrifflich beherrschen, sobald sie es homogen denkt und sie feiert dadurch ihre höchsten Triumphe. Ihre "Apriorität" dürfte an die Homogenität ihrer Gebilde gebunden sein. Ein "Vorurteil" über noch nicht Beobachtetes oder Erfahrenes ist möglich, wo man sicher sein kann, nie auf etwas prinzipiell Neues zu stoßen. (13) Vom Standpunkt der Wissenschaft jedoch, die die Wirklichkeit erkennen will, sind diese Triumphe teuer erkauft. Die homogenen Gebilde, von denen die Mathematik redet, haben überhaupt kein "reales" Sein mehr, sondern gehören in eine Sphäre, die man nur als die eines "idealen" Seins bezeichnen kann, wenn man von ihnen sagen will, daß sie sind. Die Welt der homogenen Kontinua ist für die Mathematik die Welt der reinen Quantitäten, ![]() Will man also die Qualitäten und mit ihnen die Wirklichkeit festhalten, so muß man bei ihrer Heterogenität bleiben, dann aber in ihrem Kontinuum Einschnitte machen. Auch hierbei geht vom Inhalt der Wirklichkeit alles verloren, was zwischen den durch die Begriffe gezogenen Grenzen liegt und das ist nicht wenig. Denn auch wenn wir die Grenzen noch so nah aneinanderlegen, so fließt doch immer die Wirklichkeit selbst mit ihrer kontinuierlichen und daher unerschöpflichen Andersartigkeit zwischen ihnen unbegriffen hindurch. Wir können also mit den Begriffen nur Brücken über den Strom der Realität schlagen, mögen die einzelnen Brückenbogen auch noch so klein sein. Daran wird keine Wissenschaft vom realen Sein etwas ändern. ![]() Trotzdem liegt der Gehalt der so entstehenden Begriffe der Wirklichkeit selbst prinzipiell näher als das Homogene und rein Quantitative, wie hier nicht weiter verfolgt zu werden braucht, da wir uns auf die Wissenschaften beschränken, die Begriffe von realen Objekten bilden wollen. Nur auf diese ist der Unterschied von Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft überhaupt anwendbar. Die Wissenschaften vom idealen Sein, ![]() Für unseren Zweck einer Gliederung der empirischen Wissenschaften vom realen Sein der Objekte wird der Nachweis, daß die Wirklichkeit, "so wie sie ist", in keinen Begriff eingeht, ![]() ![]() ![]() ![]() Hieraus ergibt sich dann eine für die Methodenlehre entscheidende Einsicht. Die Wissenschaften bedürfen, falls ihr umbildendes Verfahren nicht willkürlich sein soll, eines "a priori" oder eines Vor-Urteils, dessen sie sich bei der Abgrenzung der Wirklichkeit gegeneinander oder bei der Verwandlung des heterogenen Kontinuums in ein Diskretum bedienen können, d. h. sie brauchen ein Prinzip der Auswahl, mit Rücksicht auf das sie im gegebenen Stoff, wie man sich ausdrückt, das Wesentliche vom Unwesentlichen scheiden. Dieses Prinzip trägt dem Inhalt der Wirklichkeit gegenüber einen formalen Charakter und so wird der Begriff der wissenschaftlichen "Form" klar. Nur im Inbegriff des Wesentlichen, nicht in einem Abbild des Inhalts der Wirklichkeit haben wir die Erkenntnis nach der formalen Seite hin. Diesen Inbegriff, den wir mit Hilfe des formalen Prinzips aus der Wirklichkeit herauslösen, können wir auch das "Wesen" der Dinge nennen, ![]() ![]() Verhält sich dies aber so, dann wird die Methodenlehre die Aufgabe haben, die bei der begrifflichen Wesensbildung maßgebenden Gesichtspunkte, von denen der Mann der Einzelwissenschaft, oft ohne es zu wissen, bei einer Darstellung abhängt, ihrem formalen Charakter nach zu ausdrücklichem Bewußtsein zu bringen und auf das Ergebnis dieser Untersuchung kommt für uns hier alles an. Denn von der Art, wie Einschnitte in den Fluß der Wirklichkeit gemacht und die wesentlichen Bestandteil ausgewählt werden, ist offenbar der Charakter der wissenschaftlichen Methode abhängig und die Entscheidung der Frage, ob zwischen zwei Gruppen von Einzelwissenschaften, die das Wirkliche darstellen, auch mit Rücksicht auf ihre Methode prinzipielle Unterschiede bestehen, fällt dann mit der Entscheidung darüber zusammen, ob es zwei auch in ihrem allgemeinsten formalen Charakter voneinander prinzipiell verschiedene Gesichtspunkte gibt, nach denen die Einzelwissenschaften in der Wirklichkeit das Wesentliche vom Unwesentlichen absondern und so den anschaulichen Inhalt der Wirklichkeit in die Form des Begriffs bringen. ![]() Nur ein Wort sei noch, ehe wir diese Frage zu beantworten suchen, über die Verwendung des Ausdrucks "Begriff" hinzugefügt. Wir verstehen hier, unserer Problemstellung entsprechend, darunter Produkte der Wissenschaft und dagegen werden sich keine Bedenken erheben lassen. Zugleich nennen wir jedoch auch den Inbegriff all dessen, was die Wissenschaft von einer Wirklichkeit in sich aufnimmt, um sie zu begreifen, den "Begriff" dieser Wirklichkeit, so daß wir also zwischen dem Inhalt einer wissenschaftlichen Darstellung überhaupt und dem Inhalt des Begriffs keinen Unterschied machen und das kann man als Willkür bezeichnen. ![]() Diese Willkür wäre aber nur dann ungerechtfertigt, wenn es hier eine feste Tradition in der Terminologie gäbe. Sie fehlt bekanntlich gerade mi Rücksicht auf das Wort Begriff vollkommen. Man verwendet den Ausdruck sowohl für die "letzten", d. h. nicht weiter auflösbaren "Elemente" der wissenschaftlichen Urteile als auch für höchst komplizierte Gebilde, in denen viele solche Elemente zusammengestellt sind. Das undefinierbare "Blau" oder "Süß", das Inhalte der unmittelbaren Wahrnehmung bedeutet, wird als Begriff bezeichnet und ebenso spricht man vom Begriff der Gravitation, der mit dem Gravitations gesetz identisch ist. Wir wollen hier, weil dieser Unterschied für die Methodenlehre wichtig ist, die "einfachen" Begriffe, die man nicht definieren kann, ![]() ![]() Wissenschaftliche Begriffe können also entweder Komplexe von nicht definierbaren Begriffselementen oder auch Komplexe von definierten wissenschaftlichen Begriffen sein, die im Vergleich zu den komplizierten Begriff, den sie bilden, dann als dessen Elemente zu gelten haben. Das formale Prinzip der Begriffsbildung für ein Objekt, das erkannt werden soll, kommt unter dieser Voraussetzung nur in der Art der Zusammenstellung der Begriffselemente zu dem Begriff des betreffenden Objekts zum Ausdruck, nicht schon in den Begriffselementen selbst und dieses Prinzip muß mit dem der wissenschaftlichen Darstellung dieses Objektes zusammenfallen. So allein gewinnen wir eine Problemstellung, welche eine Vergleichung der verschiedenen Methoden mit Rücksicht auf ihre formale Struktur ermöglicht. In der Begriffsbildung, durch welche die Wirklichkeit in die Wissenschaft aufgenommen wird, muß der für die Methode der Wissenschaft maßgebende formale Charakter stecken und daher haben wir, um die Methode einer Wissenschaft zu verstehen, die Prinzipien ihrer Begriffsbildung kennen zu lernen. So ist unsere Terminologie verständlich und zugleich auch gerechtfertigt. Wenn Erkennen soviel wie Begreifen ist, dann steckt das Ergebnis der Erkenntnis im Begriff. ![]() Hiermit sind wohl die Bedenken erledigt, die man gegen meine Verwendung des Ausdrucks "Begriff" erhoben hat. (16) Daß es sich um mehr als eine terminologische Frage handelt, ist nicht zutreffend. Unter Begriffs bildung ist stets die Zusammenfügung von Elementen zu verstehen, gleichviel, ob diese Elemente selbst schon Begriffe sind oder nicht. Nur die Prinzipien dieser Begriffsbildung gilt es, aufzuzeigen, denn darin allein, nicht in den als "Elementen" verwendeten Begriffen können die wesentlichen logischen Unterschiede der empirischen Wissenschaften von der realen Welt zutage treten. Will man die Verwendung von Begriffen zur Bildung neuer Begriffe "Darstellung" nennen und daher nur Unterschiede in der "Methode", aber nicht in der "Begriffsbildung" zugeben, dann darf man vom "Begriff" der Gravitation ebensowenig reden wie vom "Begriff" der italienischen Renaissance. Hier jedenfalls kommt es nur darauf an, welches Prinzip ![]() ![]() ![]() Anmerkungen 1) Diesen Weg habe ich eingeschlagen in meinem Buch: Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften, 1896 - 1902, 3. und 4. Auflage 1921. Vgl. ferner meine Abhandlung: Geschichtsphilosophie in: Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer, 1905, 3. Auflage als besonders gedrucktes Buch unter dem Titel: Die Probleme der Geschichtsphilosophie. Eine Einführung, 1924. Ich möchte betonen, daß auch diese Schriften nicht beabsichtigen, ein vollständiges System der Wissenschaften zu entwickeln und daß daher alle Einwände gegenstandslos sind, die darauf hinauskommen, daß diese oder jene Disziplin bei mir keinen Platz fände. Ein System der Wissenschaftslehre habe ich bisher nicht publiziert. 2) Vgl. hierzu meine Abhandlung: Die Methode der Philosophie und das Unmittelbare. Eine Problemstellung. Logos Bd. 12, Seite 235f. Besonders Abschnitt IV: Wahrnehmbare und verstehbare Zustände. 3) Vgl. dazu in der 3. und 4. Auflage meiner "Grenzen" den neu hinzugefügten Abschnitt: Die irrealen Sinngebilde und das geschichtliche Verstehen, Seite 404 - 464. 4) Auf die verschiedenen Arten der Wertgeltung, deren Trennung vielfach Schwierigkeiten macht, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Vgl. auch den letzten Abschnitt dieser Schrift über die Objektivität der Kulturgeschichte. Dort wird der Begriff der Geltung des Kulturwertes so weit entwickelt, wie es für das Verständnis der empirischen Objektivität der historischen Kulturwissenschaften notwendig ist. 5) WILHELM WUNDT, Einleitung in die Philosophie, 1901 6) Vgl. OTTO GRAF, Vom Begriff der Geographie im Verhältnis zu Geschichte und Naturwissenschaft, 1925. 7) HERMANN PAUL, Prinzipien der Sprachgeschichte, 3. Auflage, Seite 6f 8) In neuerer Zeit ist man immer mehr geneigt, das Geistige streng vom Seelischen zu trennen. Solange man jedoch dabei nicht den Unterschied von wertbezogener und wertfreier Wirklichkeit als entscheidend verstanden hat, kommt man damit in der Methodenlehre nicht zu prinzipieller Klarheit. 9) DIETER SCHÄFER, Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte, 1888 und: Geschichte und Kulturgeschichte, 1891 10) GOTHEIN, Die Aufgaben der Kulturgeschichte, 1889 11) In meinem Buch über: Die Grenzen usw. 3. und 4. Auflage, Seite 24f, habe ich diesen zuerst vielleicht etwas paradox erscheinenden Gedanken ausführlich zu begründen versucht. 12) Ich bemerke ausdrücklich, daß ich nicht von einer "Unendlichkeit" des Wirklichen rede, denn man könnte sagen, daß damit schon eine begriffliche Umformung des Unmittelbaren vollzogen werde. Es kommt nur darauf an, die faktische Unübersehbarkeit der unmittelbar gegebenen Realität ![]() 13) Vgl. hierzu meine Abhandlung: Das Eine, die Einheit und die Eins. Bemerkungen zur Logik des Zahlbegriffs, 1911, Logos, Bd. 2, Seite 26f. In zweiter, umgearbeiteter Auflage ist diese Schrift als erstes Heft der "Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte" 1924 erschienen. 14) Daß auch das eine Täuschung ist, werden wir später sehen. 15) Die Unentbehrlichkeit der Anschauung bei der Gewinnung des Materials der Erkenntnis wird damit selbstverständlich in keiner Weise in Frage gestellt. 16) Vgl. MAX FRISCHEISEN-KÖHLER, Einige Bemerkungen zu Rickerts Geschichtslogik, Philosophische Wochenschrift und Literaturzeitung, 1907, Bd. 8 |