| FRANCIS BACON
(1561-1626)
Aphorismen von der Auslegung der Natur und der Herrschaft des Menschen
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"Der menschliche Geist führt, vermöge seiner eigentümlichen Natur gern auf abstrakte Sätze; ja, alles Unbeständige denkt er sich beständig." |
- Der menschliche Geist setzt gern eigentümlich bei den Dingen
eine größere Ordnung und Gleichheit
voraus, als darin wirklich zu finden ist; und obgleich in
der Natur manches einzeln dasteht und unter einander verschieden
ist, dichtet er gern Parallelen und correspondierende Verhältnisse,
die nicht vorhanden sind. Daher jene Voraussetzung, daß
alle Himmelskörper sind in vollkommenen Zirkeln bewegen,
wogegen man die Spirallinie, die schlangenförmige, bis
auf die Benennung verwirft. Daher hat man das Element des
Feuers mit seinem Kreise den drei übrigen Elementen beigesellt,
damit die Vierzahl voll werde. Ferner legt man diesen sogenannten
Elementen ein zehnfach steigendes Verhältnis, hinsichtlich
ihrer Freiheit, ganz willkürlich bei - und dergleichen
Träume mehr. Und diese Grundlosigkeit wird nicht bloß
bei den Lehrsätzen, sondern auch bei den einfachen Begriffen
angewandt.
- Hat der menschliche Verstand einmal an etwas Gefallen gefunden (es sei
nun, weil er es einmal so glaubt und angenommen hat, oder weil es ihm Vergnügen
macht), so zieht er alles Übrige mit Gewalt hinein, damit zusammenzustimmen.
Und wenn auch für das Gegentheil weit bessere Beweise sich anbieten,
so übersieht er sie oder verkennt ihren Wert, oder schafft sie durch
Spitzfindigkeiten bei Seite, nicht ohne die größten, schädlichsten
Vorurteile; Alles, um nur die Autorität seiner ersten Annahme ungeschmälert
zu erhalten. Man zeigte jemandem eine Votivtafel, welche die vom Schiffbruche
Geretteten im Tempel aufgehängt hatten, und fragte ihn, ob er nicht
jetzt die schützenden Götter anerkennen wolle.
Wo sind aber, erwiderte er treffend, die Namen derer, die trotz aller
Gelübde dennoch zugrunde gegangen sind? - Fast ebenso steht es nun
mit allem Aberglauben, mit der Sterndeuterei, mit Träumen, Vorgeschichten,
Strafzeichen und dgl. Treffen sie ein, so machen die Gläubigen ein
Geschrei davon; schlagen sie, wie gewöhnlich, fehl, so übergehn
sie die Sache mit Stillschweigen. In der Philosophie und den Wissenschaften,
worin, was einmal angenommen ist, alles Übrige, selbst das besser
Begründete unterjocht, schleicht nun dieses Übel weit versteckter
umher. Aber auch da, wo die bezeichnete törichte Vorliebe nicht stattfindet,
hat doch der menschliche Geist immerhin jene sonderbare Eigenheit, daß
er lieber positiven als negativen Sätzen beistimmt; da er doch nach
Recht und Billigkeit beiden gleiche Stelle gewähren sollte, ja gegenteils,
da bei Aufstellung eines jeden Axioms die Vermuthung für die Negative
stärker ist.
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Vorzugsweise wird der menschliche Geist von dem, was plötzlich das Gemüth ergreift und erschüttert, wovon die Phantasie erfüllt wird, angesprochen; alles Übrige dichtet und fabelt er auf eine, freilicunbegreifliche Weise hinzu, sowie es zu seinen wenigen Begriffen am besten
paßt. Allein zu jener Reise nach fernliegenden und fremden Instanzen,
welche eine Feuerprobe für die Axiome sind, hat er nicht Lust und Geschick, wofern sie ihm nicht durch strenge Gesetze und harte Zucht auferlegt wird.
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Mit Ungestüm strebt der Geist vorwärts und kann nicht ruhen und rasten; allein vergebens. So ist es undenkbar, daß irgendwo der Welt
Ende sei, sondern es muß immer noch etwas Weiteres geben. Ebenso
ist es undenkbar, wie die Ewigkeit bis auf diesen Tag verflossen sei, da
der gewöhnliche Unterschied einer Ewigkeit a parte ante et a parte
post keineswegs bestehen kann; daraus würde ja folgen, eine Unendlichkei
sei größer als die andere, und diese nehme ab, sich zur Endlichkeit
neigend. Ähnlich ist jene Spitzfindigkeit von der unendlichen Theilbarkeit
der Linie, wobei sich wiederum das Unvermögen unsrer Vorstellungskraft
zeigt.
Aber einen wesentlichen Nachteil hat dieses Verstandesunvermögen
auf die Bestimmung der Ursachen gehabt. Denn obgleich das Allgemeinste
in der Natur als in sich selbst begründet angenommen werden muß,
sowie wir es vorfinden, und nicht weiter ein Grund davon angegeben werden
kann, so sucht doch noch immer der vorwärtsstrebende Verstand eine
nähere Ursache. Indem er so nach dem Entfernteren ringt, fällt
er auf das Nächste wieder zurück, auf die Endursachen
nämlich, welche mehr aus der Natur
des Menschen denn des Weltalls geschöpft sind; aus dieser Quelle
fließt der Philosophie das größte Verderben. Er verrät
dieselbe Oberflächlichkeit und Unerfahrenheit im Philosophieren,
bei dem höchst Allgemeinen
eine Ursache auffinden zu wollen, wie bei dem Untergeordneten nach keiner
zu fragen.
- Der menschliche Verstand ist kein reines Licht, sondern Eigensinn
und Affecte
trüben ihn; dadurch mach er denn aus den Wissenschaften alles,
was er will. So übergeht er das Schwierige, weil er beim Untersuchen
die Geduld verliert; das Nüchterne, weil es seine Hoffnungen beengt;
die tiefere Naturforschung, wegen seines Aberglaubens;
das Licht der Erfahrung
aus Hochmuth und Anmaßung, damit es nicht scheine, daß er
seinen Geist mit gewöhnlichen, geringfügigen Dingen beschäftige;
ungewöhnliche Ansichten endlich wegen der herrschenden
Meinung; kurz, auf unendliche und of unmerkliche Weise überwältigen
und vergiften unsere Neigungen die klare Absicht.
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Aber bei weitem am meisten wird der menschliche Verstand durch die Stumpfheit,
Unzulänglichkeit und den Trug der Sinne irre geführt, vermöge
welcher alles, was vorzugsweise in die Sinne fällt, alles Übrige,
was nicht von der Art ist, und sei es noch so wichtig, überstrahlt.
Auf diese Weise geht die Betrachtung fast nicht über die Anschauung
hinaus, und alle Tätigkeit der, in den greifbaren Körpern befindlichen
Kräfte entgeht der Erkenntnis. Ebenfalls bleibt jede seiner Umwandlung
der Theile iin den gröberen Stoffen (die man gewöhnlich Umänderung
nennt, obgleich sie nichts als ein höchst feine Versetzung der kleinsten
Theile ist) verborgen.
Dennoch müssen besagte Gegenstände erst in Licht gestellt
sein, ehe große Empfindungen in der Natur zu Stande kommen können.
Ferner ist die Natur der gewöhnlichen Luft und so mancher andrer Naturkörper,
die noch weit feiner als diese sind, so gut wie unbekannt. Die Sinne nun
sind an sich schon schwach und wankend, und alle Instrumente, sie zu schärfen,
richten nicht viel aus; die wahre Naturforschung muß durch Instanzen
und zweckmäßig angestellte Versuche betrieben werden, wobei
die Sinne nur über den Versuch, der Versuch aber über die Natur
und die Sache selbst entscheidet.
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Der menschliche Geist führt, vermöge seiner eigentümlichen
Natur gern auf abstracte Sätze; ja, alls Unbeständige denkt er
sich beständig. - Es ist besser, die Natur durch Zerlegung als durch
Abstraktion erforschen zu wollen, wie es die Schule des Demokrit tat, daher
sie tiefer in die Natur eindrang als alle übrigen. Die Materie soll
beachtet werden in ihren Bildungen und Umbildungen - der reine Lebensact,
und sein Gesetz welches in der Bewegung besteht; alle anderen
Lebensformen sind Erdichtungen des menschlichen Geistes, wenn man nicht
dieses Gesetz Lebensform nennen will.
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Das waren also die Vorurteile, die wir Vorurteile der Gattung nennen,
welche entweder aus der wesentlichen Gleichheit des menschlichen Geistes
entspringen, oder aus vorgefaßter Meinung, oder aus Kleinmuth, oder
aus ewiger Hast, oder aus leidenschaftlicher Verblendung, oder aus Unzulänglichkeit
der Sinne, oder endlich aus der Beschaffenheit des Eindrucks.
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Die Vorurteile des Standpunkts haben ihren Ursprung aus der besonderen
körperlichen und geistigen Natur eines jeden, auch aus der Erziehung,
Gewohnheit und zufälligen Umständen. So verschieden und vielfältig
sie auch sind, so wollen wir doch diejenigen angeben, welche ganz besondere
Vorsicht erfordern und welche die Verstandeskräfte am meisten umnebeln.
- Manche Menschen bekommen eine Fürliebe für gewisse Wissenschaften
und Forschungen, entweder weil sie sich für deren Urheber
und Erfinder ansehen, oder weil sie viel Mühe darauf
verwendet und sich daran gewöhnt haben. Wenden sich nun
solche Leute zur Philosophie und zu allgemeinen Betrachtungen,
so modeln sie und verdrehen dieselben ihren früheren
Träumereien gemäß. Dieses zeigt sich ganz
augenfällig an ARISTOTELES,
welcher seine Naturlehre gänzlich seiner
Logik unterwarf, sodaß sie dadurch an Nützlichkeit
bedeutend verloren hat und zu polemisch geworden ist. Die
Alchymisten haben auf wenige Versuche ihrer Schmelzöfen
ein phantastisches und einseitiges Lehrgebäude
erbauet. So Gilbert, der sehr viele Untersuchungen über
den Magnet angestellt hatte, verfertigte gleich ein dieser
Lieblingsidee entsprechendes System.
- Der größte und tiefste Unterschied der sich mit
den philosophischen Wissenschaften befassenen Köpfe liegt darin,
daß einige mehr die Gabe besitzen, die Unterscheidungsmerkmale
der Dinge aufzufassen, andere dagegen die Ähnlichkeiten.
Beharrliche und scharfsinnige Köpfe wissen nämlich ihre Betrachtungen
festzuhalten, dabei zu verweilen und die feinsten Verschiedenheiten
aufzudecken; wogegen hohe und feurige Geister auch die entferntesten
Ähnlichkeiten erfassen und combinieren.
Doch beide fallen leicht ins Extrem und haschen nach gehaltlosen Schattenbildern.
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Einige verlieren sich in Bewunderung des Altertums, andere sind erklärte
Liebhaber alles Neuen; Wenigen ist es gegeben, die Mittelstraße zu
halten und weder die wahren Angaben der Alten zu verwerfen, noch die richtigen
Entdeckungen der Neuern zu verschmähen. Dieses gereicht der Philosophie
und den Wissenschaften zum großen Nachteil, weil man in diesem Falle
die Meinungen der Alten und Neuen nur verficht, nicht untersucht. Die Wahrheit
aber soll nicht aus der zufälligen Anerkennung irgend eines Zeitalters,
sondern aus dem Lichte der Natur und Erfahrung, welches ewig ist, hervorgehen.
Derartige Einseitigkeit muß man also fern halten und sich hüten,
daß der Geist nicht davon angesteckt werde.
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Die zerstückelte Betrachtung der Naturkörper macht den Geist
kleinlich und beschränkt; die allgemeine und combinierende Übersicht
dagegen zerstreut und betäubt ihn leicht. Dieses zeigt sich am deutlichsten,
wenn man die Schule des LEUKIPP und DEMOKRIT mit den übrigen Philosophien vergleicht. Jene nämlich befaßt sich so sehr mit den Theilen
der Dinge, daß sie dabei den Zusammenhang des Ganzen fast außer
Acht läßt; diese dagegen verlieren sich so sehr im Anstaunen
des Zusammenhanges, daß sie zur Einfachheit der Stoffe nimmer gelangen.
Man muß somit beide Methoden abwechselnd vereinen, um den Geist zugleich
scharf und vielumfassend zu erhalten, wodurch jenen Übeln
und Vorurteilen vorgebeugt wird.
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Durch eine solche kluge Vorsicht können wir nun den Vorurteilen
des Standpunkts zuvorkommen, welche vorzüglich entspringen aus
übertriebener Zusammenstellung und Trennung, oder aus herrschenden
Lieblingsideen, oder aus Fürliebe für gewisse Zeitalter, oder
aus zersplitternder oder zu allgemeiner Ansicht der Dinge. Im Allgemeinen
aber muß jedem Naturforscher alles verdächtig sein, was sein
Gemüth vorzugsweise ergötzt und ergreift; bei dergleichen Lieblingsideen
ist die größte Sorgfalt nötig, den Verstand ruhig und klar
zu erhalten!
- Die beschwerlichsten von allen sind die Vorurteile der Gesellschaft,
welche sich vermöge der Worte und Benennungen in die Seele
geschlichen haben. Die Menschen glauben nämlich, ihre Vernunft
führe die Herrschaft über die Worte; allein nicht selten beherrschen
gegentheils die Worte den Sinn so, daß dadurch die Philosophie
und die Wissenschaften zu unnützer Sophisterei herabgesunken sind.
Denn die Worte werden im Sinne des
Haufens geprägt und begrenzen die Dinge der gemeinen Fassungskraft
gemäß; will nun ein geschärfter Verstand, eine tiefere
Beobachtung jene Grenzen versetzen, um sie der Natur anpassender zu
machen: so empören sich die Worte dagegen. Das ist die Ursache,
warum große und feierliche Disputationen der Gelehrten oft auf
einen Streit über Worte und Namen hinauslaufen; da es doch rathsamer
wäre, nach der verständigen Sitte der Mathematiker, damit
anzufangen und sie durch Definitionen zu ordnen. Aber auch Definitionen können bei materiellen Naturgegenständen nichts fruchten,
weil sie selbst aus Worten bestehen und Worte nur Worte erzeugen. Daher
hier nichts anderes übrig bleibt, als zu den einzelnen Instanzen
und ihren Reihen und Ordnungen zurückzukehren,
worüber wir unten handeln werden, wenn wir unsere Methode angeben,
Begriffe und Axiome festzustellen.
- Vorurteile, womit die Worte den Verstand erfüllen, sind zwiefacher
Art: entweder es sind Bezeichnungen von
Dingen, die gar nicht existieren (denn ebenso, wie unbemerkte Gegenstände
keinen Namen haben, so gibt es auch Namen für Phantasiegebilde,
denen keine Realität zum Grunde liegt), oder es sind Bezeichnungen
wirklicher Dinge, aber verworren und unbestimmt, flüchtig und unregelmäßig
von den Dingen abstrahirt. Von der ersten Art sind z.B. Zufall,
primum mobile, die Planetenreise, das Element des Feuers
und dergleichen Erdichtungen, welche aus leeren und falschen Theorien
entstanden sind. Diese Art Vorurteile löst sich jedoch noch am
leichtesten auf, nämlich durch feste Ablehnung und Veraltung jener
Theorien.
Hartnäckiger aber und tiefer eingewurzelt ist die zweite Art derjenigen,
welche aus irriger, unverständiger Abstraction
entstanden sind. Nehmen wir z.B. das Wort feucht
und sehen nun, was damit bezeichnet werden soll: so finden wir, daß
es nichts anderes als einen verworrenen Begriff verschiedener Tätigkeiten
darstellt, denen nichts Festes und Gemeinschaftliches zum Grunde liegt.
Denn es bezeichnet:
- was sich leicht um einen anderen Körper herumbegibt;
- was an sich gestaltlos ist und allenthalben leicht weicht;
- was sich leicht theilt und zerstreut;
- was sich leicht vereinigt und sammelt;
- was leicht fließt und in Bewegung gesetzt wird;
- was leicht einem anderen Körper anhängt und ihn naßmacht;
- was leicht wieder flüssig wird, wenn es vorher fest war.
Wenn man nun zur Bedeutung dieses Wortes gekommen ist, so kann man von einer Seite auch die Flamme feucht nennen, von der andern Seite kann man
die Luft dafür gelten lassen, in einer Hinsicht erscheint dann auch
der Staub feucht, in anderer sogar das Glas, sodaß sich hieraus ergibt,
die Benennung feucht
sei nur vom Wasser und anderen gewöhnlichen Flüssigkeiten ohne
gehörige Bewahrheitung oberflächlich entlehnt.
Es finden jedoch bei den Worten Stufen von Verschrobenheit und
Irrthum statt. Am wenigsten verfehlt sind noch die Benennungen wirklicher Dinge, besonders sind die alltäglichen besser bezeichnet (so haben
wir von Kreide, Thon
einen klaren, von Erde
einen unbestimmten Begriff); übler steht es um die Begriffe von Thätigkeiten,
z.B. von Zeugung, Verderben,
Zersetzung; am wenigsten taugen die Begriffe von Eigenschaften,
z.B. schwer, leicht, dünn,
dicht etc., ausgenommen die, welche unmittelbar in die Sinne
fallen; dennoch müssen auch hier wieder einige besser als andere bestimmt
sein, je nachdem sie mehr oder weniger in die Sinne fallen.
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Die Vorurteile der Bühne sind weder angeboren, noch unmerklich
dem Verstande eingeflößt; sondern durch theoretische Fabeleien
und verdrehte Beweismethoden ihm beigebracht. Nach dem, was wir bereits
hierüber gesagt, können wir uns auf Widerlegung ferner nicht
einlassen; fällt doch auch von selbst alles Disputiren schon weg,
da wir weder über die Grundsätze nach Beweisarten einig mit einander
sind. Auf jeden Fall bleibt die Ehre der Alten ungekränkt, da von
nichts Anderem als vom Wege die Rede ist. Auch der Lahme, sagt das
Sprichwort, kommt auf einem guten Wege schneller vorwärts als der
Läufer außerhalb. Das weiß übrigens jeder, daß,
wer einmal von der rechten Straße abgewichen, desto weiter sich verirrt,
je schneller er geht.
Bei unserer Methode der wissenschaftlichen Untersuchung verhält
es sich nun so, daß es eben nicht so sehr auf Scharfsinn und kühne
Genialtät ankommt, sondern diese steht dem gemeinen Verstande fast
gleich. Wie es nämlich, wenn man eine gerade Linie oder einen vollkommenen
Kreis aus freier Hand ziehen will, vorzüglich auf eine geübte,
feste Hand ankommt, wenig aber oder gar nicht, wenn man ein Lineal oder
einen Zirkel zu Hülfe nimmt: so ist es auch mit unserer Methode. -
Wenn auch specielle Widerlegungen nicht angebracht wären: so können
wir doch nicht umhin, etwas über jene Secten und Theorien zu sagen,
wie auch über die Merkmale, woran man ihren schlechten Zustand erkennt,
und endlich über die allgemeine Verbreitung dieses unglücklichen,
hartnäckigen Irrthums; wir thun es, um der Wahrheit leichtern Zutritt
zur Ausrottung dieses Vorurteils zu verschaffen.
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Die Vorurteile der Bühne oder der Theorien sind sehr zahlreich
und werden dies vielleicht künftig noch mehr. Wären nämlich
nicht schon seit vielen Jahrhunderten die denkenden Köpfe mit Religion
und Theologie beschäftigt gewesen, und wäre nicht die bürgerliche
Verfassung - besonders die monarchische - allen Neuerungen, selbst den
bloß speculativen, so sehr entgegen, daß die Urheber derselben
nicht allein unbelohnt bleiben, sondern auch, dem Hohne und der Verachtung
bloßgestellt, ihre Glücksgüter in Gefahr setzen, so würden
wir auch gewiß bei uns eine Menge philosophischer Secten, wie ehemals
in Griechenland, sehen. Denn wie man nach den Erscheinungen des Äthers
mancherlei Erklärungsweisen des Himmels ersinnen kann, so auch, und
noch leichter, kann man auf den Erscheinungen, womit sich die Speculation
befasst, mancherlei Lehrgebäude errichten. Derartige Spielereien der
philosophischen Bühne haben auch das mit der poetischen Bühne
gemein, daß solche ersonnene Bühnengeschichten einnehmender
und allgemein beliebter sind als die wahre Geschichte.
LITERATUR, Francis Bacon, Neues Organ der Wissenschaften, Darmstadt 1981
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