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Über die Möglichkeit, Logik und Erkenntnislehre gesondert darzustellen (1)
Die neueren Logiker verhalten sich im Allgemeinen gegen das Problem einer gesonderten Darstellung der Logik und Erkenntnislehre ablehnend. Wenn nun im Folgenden versucht werden soll, für die Möglichkeit einer bejahenden Beantwortung der vorliegenden Frage, so weit das mir vergönnte Zeitmaß es gestattet, Einiges anzuführen, so bedarf es zunächst einiger vorläufiger Bestimmungen und Restriktionen. Zunächst kann für die Erkenntnislehre nicht der ganz vage und unbestimmte Sinn des Wortes Erkenntnis zugrunde gelegt werden, nach dem etwa auch die intuitiven identischen Akte des Bewußtseins, in denen uns Vorstellunngen und Vorstellungsverhältnisse gegeben werden, oder auch sämtliche Produkte des logischen Denkens zu den Erkenntnissen zu rechnen wären. Als Erkenntnislehre im spezifischen Sinn kann nur die Lehre vom Verhältnis unserer Vorstellungen zum Realen gelten. In Bezug auf die Logik kann, ohne vorzugreifen, eine genauere Begriffsbestimmung noch nicht gegeben werden; es soll daher nur festgestellt werden, daß sie ein System von Regeln des Denkens ist, das sowohl für diese Regeln selbst, als auch für das von denselben geleitete Verfahren den Charakter der Apodikzität, d. h. der strengen Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit in Anspruch nimmt. Notwendig besagt aber nach KANT (3), daß Etwas nicht nur ist, sondern daß es nicht anders sein kann. Die Methode der Untersuchung betreffend, so können selbstverständlich nicht beide Disziplinen als fertig ausgebildet nebeneinander gestellt werden. Es kann aber auch nicht wohl die Erkenntnislehre zum Ausgangspunkt gewählt werden, schon deshalb, weil das Wort Erkenntnislehre in weit höherem Maß als das Wort Logik ein noch nicht hinreichend gelöstes Problem bezeichnet. Es dürfte daher vielleicht als eine genügende Behandlung der Aufgabe gelten können, wenn für die Logik dasjenige angeführt würde, was für die Möglichkeit ihrer gesonderten und selbständigen Darstellung der Erkenntnislehre gegenüber zu sprechen scheint. Diese Möglichkeit wäre nachzuweisen, wenn
2) allein aus diesen Funktionen ohne Zuhilfenahme fremder Prinzipien die Logik als ein System apodiktischer Regeln abgeleitet werden könnte.
b) dieses Prinzip als das apodiktische Prinzip aller logischen Regeln nachgewiesen werden könnte. Das Problem der Sonderung von Logik und Erkenntnislehre findet sich in voller Deutlichkeit bei KANT aufgestellt. Indem er dem Problem des Rationalismus, die Erfahrung als vernünftig zu erweisen, die neue Lösung sieht, daß dies aufgrund der in die Materie der Erfahrung hineingetragenen Verstandesformen geschehen soll, entsteht der Unterschied zwischen denjenigen Vernunftprinzipien, durch deren Anwendung die Erfahrung rationalisiert wird, und denjenigen, nach denen der Verstand nur die Verhältnisse der Vorstellungen rein als solche und ohne Beziehung auf die Gegenstände regelt. Mit letzteren hat die allgemeine reine Logik, mit ersteren die transzendentale zu tun. Im Gegensatz gegen die Beziehung auf die Gegenstände als das materiale Verhältnis der Vorstellungen bilden die Beziehungen der Vorstellungen untereinander rein als solche die formalen Verhältnisse derselben, daher auch die Logik im Sinne KANTs aufgrund seines eigenen Sprachgebrauchs (4) formale genannt wird. KANT hat eine Lösung des Problems in einem ausführlichen System der Logik nicht gegeben, da die von JÄSCHE herausgegebene Logik aus verschiedenen Gründen nicht als diese Lösung gelten kann. Er hat aber in einer Reihe von gelegentlichen Äußerungen, namentlich in der "Kritik der reinen Vernunft", das Verfahren, wie er sich die Darstellung einer selbständigen Logik denkt, ziemlich bestimmt angedeutet, und es ist lehrreich, aus diesen Andeutungen zu erkennen, wie es zugeht, daß trotz der behaupteten Unabhängigkeit der Logik diese bei ihm doch wieder in Abhängigkeit von den Voraussetzungen seiner Erkenntnislehre gerät. Zunächst nun wird die Selbständigkeit der Logik von KANT auf das Entschiedenste behauptet. Anstelle der Vorrede zur zweiten Auflage der Vernunftkritik, aus der schon oben eine Bemerkung angeführt wurde, führt er die Logik unter denjenigen Disziplinen auf, die im Gegensatz zur Metaphysik schon lange den sicheren Gang der Wissenschaft erreicht haben. Das Hauptkennzeichen hierfür, das stetige Fortschreiten auf dem eingeschlagenen Weg ohne Stillstand und Rückgang, treffen bei der Logik in ausgezeichnetem Maße zu, da sie seit ARISTOTELES keinen Schritt rückwärts zu tun brauchten, ja sogar keinen Schritt vorwärts hat tun können, also allem Anschein nach geschlossen und vollendet ist. Diese längst erlangte Sicherheit und Vollständigkeit der Logik beruht aber darauf, daß
2) nur die formalen Regeln des Denkens ausführlich darlegt und daß sie 3) diese Regeln streng beweist. Als Konsequenz dieser vollen Selbständigkeit führt er sodann noch an, daß die Logik als Vorhof und Propädeutik der Wissenschaften eine unabhängige Stellung von denselben einnimmt. Betrachten wir nun im Einzelnen zunächst diejenigen Äußerungen KANTs, die sich auf die Selbständigkeit des Gebietes der Denkfunktionen beziehen, so ist ihm der Nachweis dieser Selbständigkeit fast vollständig gelungen. Seine Gründe sind im Wesentlichen folgende:
2) Positiv ist die Eigenart des Denkens im Allgemeinen dadurch bestimmt, daß in den Denkfunktionen der Verstand die Vorstellungen nach gewissen Gesetzen im Verhältnis gegeneinander gebraucht (6), d. h. das Denken, mit dem es die Logik zu tun hat, besteht nach KANT darin, die Vorstellungen rein als solche in gewisse Verhältnisse zu bringen: eine Bezeichnung, die zwar noch sehr unbestimmt ist, aber als vorläufige positive Bezeichnung der Funktionen des Denkens im Gegensatz gegen die des Erkennens ausreicht. Auch im weiteren Verlauf der Denktätigkeit kommen Grenzstreitigkeiten gegen das Erkenntnisgebiet vor. Sämtliche synthetische Urteile der Inhärenz [Innewohnen - wp] haben, was ja auch KANT hervorhebt, vom Denken nur ganz äußerlich die Form des Urteils, beruhen aber inhaltlich ganz auf der Erkenntnisfunktion. Erst nach einer Feststellung des Wesens und Prinzips der Denkfunktion kann die Grenze mit Sicherheit gezogen werden; was dann als nicht zum Denken gehörig erkannt wird, muß als zu einem ihm durch die Erkenntnisfunktion gegebenen Material gehörig betrachtet werden (8). Ebenso wie hinsichtlich der Grenzen der Denkfunktion gibt KANT auch hinsichtlich des Verfahrens zur Auffindung ihrer Prinzipien durch Analyse sehr beachtenswerte Bestimmungen. Die allgemeine Logik löst nach der Vernunftkritik (9) das ganze formale Geschäft des Verstandes und der Vernunft in seine Elemente auf und stellt sie (nämlich diese Elemente) als Prinzipien aller logischen Beurteilung unserer Erkenntnis dar. Ebenso heißt es in JÄSCHEs Logik (10): die Analytik entdeckt durch Zergliederung alle Handlungen der Vernunft, die wir beim Denken überhaupt ausüben, und kurz darauf: die notwendigen und allgemeinen Regeln des Denkens können zuerst durch eine Beobachtung des natürlichen Verstandes - und Vernunftgebrauchs in concreto gefunden werden (11). Nach diesen Stellen ist KANT der Meinung, daß durch die bloße Analyse der natürlichen Denkfunktion nicht nur die Naturgesetze derselben, sondern gleich die Prinzipien der Logik gefunden werden können. Es könnte somit scheinen, als ob er die Logik für eine rein empirische Disziplin hält. Letzteres ist jedoch nicht seine Meinung, doch kann sich erst später zeigen, in welchem Sinn er die Prinzipien der Logik aus der Analyse hervorgehen lassen will. Zunächst muß konstatiert werden, daß KANT nirgends gezeigt hst, wie er sich diese Analyse zur Entdeckung der Prinzipien gedacht hat. Wir finden bei ihm nur einzelne Andeutungen, die vielleicht als sporadische Ansätze zu einer solchen Analyse betrachtet werden können und die namentlich auf die Unterscheidung einer zergliedernden und einer zusammenfügenden Denkfunktion hinzudeuten scheinen. In ersterer Beziehung sagt er (12): Ein großer Treil und vielleicht der größte vom Geschäft unserer Vernunft besteht in der Zergliederung der Begriffe, die wir schon von Gegenständen haben. Die dadurch entstehenden Erkenntnisse sind nur Aufklärungen oder Erläuterungen desjenigen, was in unseren Begriffen, wiewohl noch auf verworrene Art, schon gedacht worden; sie sind neue Einsichten nur der Form nach. Einen Spezialfall dieser Begriffszergliederung bilden die analytischen oder Erläuterungsurteile, deren Prädikat nur einen solchen im Subjekt verworren enthaltenen Teilbegriff aussondert (13). In anderen Äußerungen wieder weist KANT auf eine dem Denken zukommende Funktion der Zusammenfügung und Vereinigung hin. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist ihm der Begriff, der eben als Objekt der Zergliederung betrachtet wurde, seiner Entstehung nach die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen (14), das Urteil eine Funktion der Einheit unter unseren Vorstellungen (15); und die Tendenz des Vernunftschlusses ist ihm dadurch bestimmt, daß, wie der Verstand das Mannigfaltige der Anschauung unter Begriffe bringt, so die Einheit der Prinzipien (d. h. der obersten Begriffe und Grundsätze) eine Forderung der Vernunft ist (16). Ebensowenig, wie über das Verfahren der Analyse, gibt KANT über die durch dieselbe zu entdeckenden Prinzipien der Logik zusammenhängende und zusammenstimmende Aufschlüsse. In der Vernunftkritik tritt fast nur das Gesetz des Widerspruchs hervor. Während dasselbe jedoch nach der Hauptstelle nur das allgemeine und völlig hinreichende Prinzip aller analytischen, d. h. durch Zergliederung entstehenden Erkenntnisse sein soll, sagt er gleichzeitig (17), daß ihm gar keine Erkenntnis zuwider sein könne, ohne sich selbst zu vernichten, und erklärt an einer anderen Stelle (18), eine Erkenntnis sei der logischen Form völlig gemäß, wenn sie sich selbst nicht widerspricht, so daß also hiernach das Gesetz des Widerspruchs das einzige Prinzip der Logik wäre. In JÄSCHEs Logik dagegen erscheinen als Prinzipien der Logik an einer Stelle (19) der Satz des Widerspruchs und des zureichenden Grundes, und wenige Seiten weiter (20), ohne daß die Abweichung auch nur als solche bemerkbar gemacht wird,
2) der Satz des Grundes, 3) der des ausgeschlossenen Dritten. Ist somit über die Art, wie nach KANT die Prinzipien des Denkens durch Analyse entdeckt werden, ein Aufschluß bei ihm nicht zu finden, so können wir über den dritten Hauptpunkt, der die für die Unabhängigkeit der Logik entscheidende Frage bildet, nämlich woher das normative Ansehen der Prinzipien stammt, zumindest indirekt bei ihm Aufschluß erhalten. Zunächst tritt uns hier ohne Weiteres die Behauptung der Apriorität der Prinzipien entgegen. Die allgemeine reine Logik hat nach der Vernunftkritik (21) keine empirischen Prinzipien, sondern hat es mit lauter Prinzipien a priori zu tun. Noch deutlicher wird es in JÄSCHEs Logik (22) ausgesprochen, daß die empirisch durch Beobachtung des natürlichen Denkens gefundenen Regeln unabhängig von dieser Auffindung als apriorisch erkannt werden können und müssen. Dieses Vorgehen läßt sich nur aus der ganzen Methode des Beweisverfahrens KANTs in der Transzendentalphilosophie erklären. KANT ist der Überzeugung, daß die apodiktischen Elemente der Denk- und Erkenntnisfunktionen schon durch die bloße Analyse als solche, nämlich als apodiktische, hervortreten und kenntlich werden; es ist ferner nach seiner Grundvoraussetzung die Apriorität der einzig mögliche Seinsgrund der Apodiktizität und darum die Apodiktizität der entscheidende Beweisgrund und das untrügliche Kennzeichen der Apriorität (23). Diese obersten Grundsätze auf die Prinzipien des Denkens angewandt, ergibt sich auch für diese als wahrscheinlich, daß sie ihm schon als durch die Analyse ermittelte Elemente des Denkprozesses als apodiktisch und damit zugleich als apriorisch gelten. Bildet nun diese Feststellung der Prinzipien nach den Andeutungen KANTs den ersten Hauptteil der Logik, so hat der zweite Hauptteil die Aufgabe, gemäß dem Charakter der Logik als demonstrierter Doktrin der Verstandesregeln, in der Alles völlig a priori gewiß sein muß (24), nunmehr die einzelnen Regeln des Verfahrens aus den Prinzipien abzuleiten und dadurch als a priori gültig streng zu beweisen (25). - Als Resultat dieser ganzen Untersuchung nun ergibt sich zunächst, daß KANT eine vollständige Logik auch nur den allgemeinsten Grundzügen nach so wenig gegeben hat, daß der Versuch einer Rekonstruktion derselben aus den vorhandenen Andeutungen völlig vergebliche Mühe wäre. Trotz dieser Sachlage aber liefert diese Betrachtung folgende für den Zweck der gegenwärtigen Untersuchung wichtige Ergebnisse:
2. das von ihm angedeutete Verfahren zur Darstellung der Logik würde geeignet sein, sie als völlig selbständige Disziplin zu entwickeln, wenn er, statt aufgrund der Voraussetzungen seines Systems die Apriorität der Prinzipien zu behaupten, für die Apodiktizität derselben einen allgemeingültigen Beweis geliefert hätte.
2. die Konsequenz derselben ist, daß die logischen Prinzipien im Widerspruch mit seinen eigenen bestimmtesten Erklärungen nun doch wieder eine, wenngleich nur negative Erkenntnisform als formale Kriterien der Wahrheit (26) ausüben sollen. Die weitere Konsequenz dieser Lehre, die sogar in der von KANT gegebenen Fassung des Widerspruchsgesetzes (keinem Ding kommt ein Prädikat zu, das ihm widerspricht) durchschimmert, ist, daß sämtliche Urteile der Inhärenz, auch wenn sie nicht analytisch, sondern synthetisch im Sinne KANTs sind, vor jeder weiteren Kontrolle ihrer Richtigkeit der Kontrolle des Widerspruchsgesetzes unterliegen, so daß die logische Form doch wieder ein, wenngleich nur negatives, materiales oder Erkenntniskriterium bildet. Dies stimmt freilich mit der ganzen Tendenz der Transzendentalphilosophie, die Erfahrung durch Prinzipien a priori zu rationalisieren, überein, verwickelt aber die Logik wieder ganz und gar in die Geschäfte der Erkenntnisfunktion. - Ich glaube mir durch diese Betrachtungen den Weg zur richtigen Behandlung der Aufgabe gebahnt zu haben, die ich nunmehr nach den oben aufgestellten drei Kriterien der Selbständigkeit versuchen werde. Hinsichtlich des ersten Kriteriums muß nun in wesentlicher Übereinstimmung mit KANT behauptet werden, daß die natürliche Denkfunktion im Verhältnis zur natürlichen Erkenntnisfunktion ein selbständiges und genau abgegrenztes Gebiet besitzt. Die Erkenntnisfunktion hat zu ihrem Gebiet das Verhältnis der Vorstellungen zu den Gegenständen. Dieses Verhältnis erscheint von außen nach innen angesehen als ein Verursachtwerden der Vorstellungen durch die Gegenstände, von innen nach außen als eine Projektion der Vorstellungen nach außen nach dem Kausalitätsgesetz; die wirkliche Natur der Erkenntnisfunktion aber bildet eben das noch ungelöste Problem der Erkenntnislehre. Im Gegensatz dazu hat es die Denkfunktion mit den Vorstellungen nur als solchen zu tun, ohne irgendeine Beziehung auf die Gegenstände, mit den Vorstellungen, wie sie empirisch im Bewußtsein in intuitiver Weise gegeben sind, aber auch mit allen in einem Bewußtsein möglichen Vorstellungen, sie mögen einfach oder komplex, Vorstellungen von Gegenständen, Eigenschaften, Zuständen oder Verhältnissen sein, seelische oder körperliche Objekte haben, dem ungebildten oder dem wissenschaftlich geschulten Bewußtsein angehören. Für das Denken im Sinne der Logik sind auch Begriffe, wie Raum, Zeit, Kategorien, Ding-ansich oder irgendwelche problematische Konzeptionen eines metaphysischen Systems nur Vorstellungen. Die Hauptregel der Grenzbestimmung ist, daß überall das reine, vom logischen Denken noch unberührte Produkt der Erkenntnisfunktion das Material des logischen Denkens bildet; diese Regel kann jedoch erst dann mit voller Sicherheit in Anwendung gebracht werden, wenn im Prinzip der Denkfunktion ein sicheres Erkennungszeichen auch von dieser Seite, der Seite des Denkens, gefunden worden ist. Das zweite Kriterium für die Möglichkeit einer selbständigen Logik beruthe auf dem Nachweis eines einheitlichen unterscheidenden Prinzips sämtlicher Denkfunktionen durch bloße Analyse. Hierbei tritt nun die schon vorher bemerkte Schwierigkeit in erhöhtem Maß hervor, daß nämlich das gesuchte unterscheidende Prinzip, um mit Sicherheit und Vollständigkeit, ohne welche die Analyse keinen Wert hat, die Gesamtheit der Denkfunktionen feststellen zu können, schon gegeben sein müßte. Zur Beseitigung dieser Schwierigkeit reicht es nicht aus, auf die traditionell gegebenen elementaren Denkfunktionen Begriff, Urteil, Schluß zu rekurrieren, da diese nur ganz äußerliche Rubriken zur Unterbringung einer großen Mannigfaltigkeit von ansich ganz verschiedenartigen Funktionen sind, auch weder ihre Stellung und Bedeutung im Gesamtorganismus der Denkfunktionen von vornherein ausgemacht werden kann, noch auch ihre Zugehörigkeit zu demselben überhaupt ohne Weiteres feststeht. Es tritt hier vielmehr der bei wissenschaftlichen Untersuchungen häufig vorkommende Fall ein, daß zwei Resultate sich gegenseitig stützen müssen und daß namentlich ein erst später zu Begründendes hypothetisch und behauptungsweise gleichsam als Hilfskonstruktion in Erwartung späterer Rechtfertigung vorgenommen werden muß, um den Fortschritt zu ermöglichen. So nehme ich denn als die beiden Hauptarten der natürlichen Denkfunktion die Synthese der Vorstellungselemente nach gewissen, noch nicht zu bestimmenden Prinzipien und als Umkehrung der Synthese die Analyse der durch jene entstandenen Gebilde nach denselben Prinzipien an. Als die Hauptarten der Synthese des natürlichen Denkens betrachte ich ferner erstens die ersten Verschmelzungen der Vorstellungselemente zu Individual-, Art- und Allgemeinvorstellungen in mannigfachen Abstufungen, und sodann die in Urteilsform auftretenden Erweiterungen der ersten Verschmelzungen nach Umfang und Inhalt; als die Hauptarten der Analyse die totale Verdeutlichung (von der die Definition ein Beispiel ist) und die, wie die Erweiterung, in Urteilsform auftretende partiale Verdeutlichung. Es ist nach Lage der Sache unmöglich, über diese wenigen elementaren Andeutungen hinauszugehen (30). Durch eine Untersuchung dieser Arten der Denkfunktion und ihrer Unterarten ergibt sich nun sowohl der Gattungscharakter der Denkfunktion, als auch ihr unterscheidendes Merkmal, d. h. ihr eigentliches Prinzip. Dem Gattungscharakter nach kommt allen diesen Arten das Gemeinsame zu, daß durch sie die Vorstellungen und Vorstellungselemente in gewisse Verhältnisse zueinander gebracht, gleichsam in gewisser Weise gruppiert werden. Dieser Gattungscharakter ist aber der Denkfunktion mit einer Anzahl anderer Funktionen gemeinsam. So hat z. B. die Auffassung im Bewußtsein in zeitlicher Sukzession oder räumlicher Koexistenz die Wirkung, die Vorstellungen in gewisser Weise in Reihen oder Gruppen zu vereinigen; eine ganz andere Art der Gruppierung wieder entsteht z. B. unter dem Einfluß des Gefühlsanteils oder subjektiven Interesses. Wenn es möglich wäre, die überhaupt möglichen Arten der Vorstellungsgruppierung nach einem Prinzip vollständig aufzuführen und sodann aus dieser Zahl diejenigen Arten, die nicht die Denkfunktion sein können, auszuscheiden, so müßte auch auf diesem Weg der besondere Artcharaktter der Denkfunktion aufgefunden werden können. Einfacher und näherliegend ist jedoch das Verfahren, dieses Besondere durch eine Feststellung des den verschiedenen Denkfunktionen als solchen Gemeinsamen zu ermitteln. Als dieses Gemeinsame nun ergibt sich, daß die Vorstellungen im Denkprozeß sich nicht nach dem Zufall ihres zeitlichen oder räumlichen Zusammentreffens oder nach ihrer Beziehung zum Gefühl oder nach irgendeinem sonstigen ihrem sonstigen Wesen fremdartigen Gesichtspunkte gruppieren, sondern ausschließlich nach ihrer eigenen objektiven Beschaffenheit, und zwar nach dem Maß der Verwandtschaft, der Gleichheit oder Ähnlichkeit ihrer Qualität oder ihres Inhaltes. Zu dieser objektiven Qualität der Vorstellungen gehört aber für das Denken der ganze Bestand derselben im empirischen Bewußtsein, soweit er irgendwie geeignet ist, Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit, Unterscheidung oder Zusammenfassung zu begründen, also in erster Linie zwar, aber nicht ausschließlich, die Vorstellungsqualität im engeren Sinne, die das beherrschende Element auch schon in den primitiven Perzeptionen bildet und die z. B. bei der Vorstellung rot eine einfache, bei den Vorstellungen Dreieck, vierseitig eine mehrfache ist; ferner aber auch zeitliche und räumliche Bestimmungen, das Vorher und Nachher, das Hier und Dort, vor allem auch die Gestalt, gelten dem Denken unter Umständen als, wenngleich weniger feste und wichtige, Inhaltsbestandteile der Vorstellungen. Ja selbst die bejahte oder verneinte Beziehung auf ein Reales kann, wie z. B. bei Fabel- oder Phantasiewesen, als Vorstellungsmerkmal beim Denken eine Verwendung finden, und ebenso ist die Nebenvorstellung des Ursprungs mehrerer Vorstellungen von demselben oder von verschiedenen Gegenständen eine Qualitätsbestimmung im weiteren Sinne. Das Denken, mit dem es die Logik zu tun hat und das man wegen seiner durchaus auf objektiven Verhältnissen beruhenden Beschaffenheit wohl das theoretische Denken nennen könnte, hat als ein Ordnen und Gruppieren der Vorstellungen nach dem Maß ihrer Qualitätsverwandtschaft zur Voraussetzung die Fähigkeit, die Vorstellungen in intuitiver Weise nach der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit ihrer Qualität zu vergleichen, die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung ihrer Teilvorstellungen aufzufassen. Das Denken selbst hat seinem Grundcharakter nach eine nahe Verwandtschaft mit dem Fall der Ideenassoziation aufgrund der Ähnlichkeit, doch führt letztere nicht bis zur völligen Verschmelzung, sondern nur bis zur Reproduktionsfähigkeit der einen Vorstellung durch die andere, unbeschadet des selbständigen Fortbestehens beider Vorstellungen. Man könnte das theoretische Denken vielleicht geradezu als denjenigen Spezialfall der Assoziation aufgrund von Ähnlichkeit bezeichnen, bei der die Verknüpfung auf den wesentlichsten und am meisten charakteristischen Momenten der Qualität beruth und daher zu einer völligen Verschmelzung der betreffenden Vorstellungen führt. Die Grundkategorie des theoretischen Denkens ist die Qualitätsverwandtschaft der Vorstellungen; die verschiedenen Abwandlungen dieser Kategorie in der Reihenfolge, wie sie in den Arten des synthetischen Grundprozesses zur Anwendung gekommen sind: die numerische und zeitliche Identität einer Vorstellung mit sich selbst, deren Perzeption noch kein Denken einschließt, die numerische und zeitliche Verschiedenheit der Vorstellungen bei völliger Gleichheit der Qualität in einem weiteren Sinn einschließlich der Nebenvorstellung der Identität des Ursprungs, die die Bildung der Individualvorstellungen begründet, die Gleichheit der Qualität ausschließlich der Identität des Ursprungs, die die Artvorstellungen in einem strengen Sinn begründet. Ebenso entspringen aus unbestimmter Qualitätsähnlichkeit in abnehmender Skala die einfachen Allgemeinvorstellungen (z. B. Farbe, Ton), aus partieller, ebenfalls sukzessiv abnehmender, Qualitätsgleichheit die komplexen Allgemeinvorstellungen. Ähnliche Modifikationen der Grundkategorie lassen sich auch für die Urteilsfunktionen des synthetischen Prozesses aufstellen. Die analytische Funktion, die den umgekehrten Weg geht, ist kein willkürliches Auseinanderreissen, sondern eine fortschreitende Gruppenbildung nach denselben Gesichtspunkten innerer Zusammengehörigkeit, die aber bei ihr in umgekehrter Reihenfolge zur Anwendung kommen (31). Das Prinzip oder Grundgesetz des natürlichen Denkens ist hiernach folgendes: das Denken gruppiert die Vorstellungen nach dem Maß ihrer Qualitätsverwandtschaft. Wenn wir versuchen wollen, das Verhältnis des Gesetzes zu den herkömmlichen sogenannten Denkgesetzen festzustellen, so ergibt sich zunächst durch eine Untersuchung dieser Gesetze selbst in ihrer einfachsten Formulierung, daß sich die drei ersten derselben (A = A, A nicht = Nicht A, X entweder = A oder = Nicht A) auf den einheitlichen Ausdruck des modifizierten Identitätsgesetzes (A ist nur = A) zurückführen lassen, während das Gesetz des Grundes (etwa in der Fassung: jede Veränderung hat ihre Ursache) als Naturgesetz des theoretischen Denkens nur insofern in Betracht kommen kann, als es in rein formaler Weise die Gesetzmäßigkeit sowohl des synthetischen, wie des analytischen Prozesses bezeichnet. Eine materiale Bedeutung für den Denkprozeß können diese Gesetze erst dadurch erhalten, daß das Identitätsgesetz, das in seiner strengen und einseitigen Fassung nur die den Denkprozeß ausschließende totale Identität einer einzelnen Vorstellung mit sich selbst ausdrückt, dahin erweitert wird, daß es auch die verschien abgestufte partielle Qualitätsgleichheit verschiedener Vorstellungen auszudrücken vermag. Wird dann damit das Gesetz des Grundes in seiner eben bezeichneten Bedeutung für das Denken kombiniert, so ergäbe sich die Formel: die verschieden abgestufte Qualitätsverwandtschaft der Vorstellungen ist für das Denken der zureichende Grund für die ihm eigentümlichen Gruppierungen derselben, die nur eine andere Fassung des oben formulierten Gesetzes bildet (32). Nachdem nun so auf analytischen Weg das Prinzip aller natürlichen Denkfunktionen nachgewiesen ist, tritt nun noch als letzte Bedingung für die Möglichkeit einer selbständigen Logik die Forderung auf, ohne Zuhilfenahme erkenntnistheoretischer Sätze den apodiktischen Charakter dieses Gesetzes nachzuweisen und dadurch seine Tauglichkeit zum Prinzip der Regeln einer normativen Logik zu begründen. Der Beweis für die Evidenz des Denkens (denn um diesen handelt es sich hier) wird von den Logikern gewöhnlich auf die unmittelbare Evidenz oder Apodiktizität der sogenannten Denkgesetzt gegründet. Diese ist in der oben gegebenen abstrakten Fassung nicht zu leugnen; die Schwierigkeit liegt nur darin, aus diesen Gesetzen die Regeln der Logik in einer solche Weise abzuleiten, daß deren Anteil an der Evidenz der Grundsätze ebenfalls evident ist. Diese Schwierigkeit beruth teils auf dem abstrakten Charakter dieser Gesetze, teils darauf, daß diese Gesetze als Aussagen über ein Sein theoretische Wahrheit enthalten, während die Logik als ein System von Regeln von ihrem Grundprinzip nicht theoretische Wahrheit, sondern unbedingte praktische Richtigkeit verlangt. Die Untersuchung des etwaigen Erkenntniswertes des Denkens gehört gar nicht in die Logik; die Kategorie der Wahrheit ist keine Kategorie ihres normativen Teils als eines Systems von Regeln, sondern gehört nur ihrem deskriptiv-analytischen Teil in dem Sinne an, daß gefragt werden muß, ob die gegebenen analytischen Bestimmungen über den natürlichen Denkprozeß theoretisch wahr, d. h. psychologisch richtig sind. Nun bildet allerdings gemäß dem eben Bemerkten auch das analytisch ermittelte Grundgesetz des Denkens nur eine theoretische Aussage über das tatsächliche Verhalten desselben; diese Aussage hat aber das voraus, daß sie ohne Weiteres in eine Grundregel für dieses Verhalten umgebildet werden kann: Das Denken soll die Vorstellungen nach dem Maß ihrer Qualitätsverwandtschaft gruppieren. Nur für diese praktische Regel kann die Forderung der Apodiktizität aufgestellt werden. Praktische Apodiktizität ist aber vollkommene Zweckgemäßheit des Mittels, die praktische Akribie [Genauigkeit - wp] im Sinne des ARISTOTELES. Die Apodiktizität im Verhältnis von Mittel und Zweck beruth auf dem Kausalgesetz, da nur dann die Wirksamkeit eines Mittels eine unbedingt sichere ist, wenn das Verhältnis der Ursache zur Wirkung ein unbedingt konstantes ist. Es kann nun einen Augenblick scheinen, als ob hier ein Punkt erreicht wäre, wo die Logik ihre Abhängigkeit von der Erkenntnislehre bekennen muß, da die apodiktische Geltung des Kausalgesetzes ja eben den hauptsächlich umstrittenen Punkt der Erkenntnislehre bildet. Nun ist aber das Kausalgesetz als ein Gesetz des Denkens nicht bestritten und somit muß ihm also auf dem Gebiet des Denkens als seinem eigentümlichen Territorium unbedingte Gültigkeit zukommen. Da nun nach dem Kausalgesetz eine Wirkung zwar mehrere mögliche Ursachen, eine Ursache aber nur eine Wirkung haben kann und somit zwar der Schluß von der Wirkung auf die Ursache nur problematisch, der von der Ursache auf die Wirkung aber apodiktisch ist, so folgt, da das Mittel die Ursache zur Verwirklichung des Zweckes ist, daß zwischen dem vollkommen zweckgemäßen Mittel und dem Zweck ebenfalls ein apodiktisches Verhältnis besteht. Um also die Apodiktizität der Grundregel des Denkens zu beweisen, muß nachgewiesen werden:
2. Ist das in der Grundregel des Denkens demselben vorgeschriebene Verfahren das unbedingt zweckmäßige Mittel zur Erreichung dieses Zweckes? Die menschliche Vernunft ist, abgesehen von anderen außer ihrem eigenen Bereich liegenden und hier außer Acht zu lassenden Hindernissen, in ihrer Funktion einer doppelten Beschränkung unterworfen; sie wird gehemmt durch die zeitliche Sukzession der ihr gegebenen Vorstellungen, vermögen deren diese nur nach und nach ins Bewußtsein treten, und durch die Enge des Bewußtseins, vermöge deren die gegebenen Vorstellungen sehr rasch wieder zeitweilig aus dem selben verdrängt werden. Stellen wir uns daher zunächst ein Bewußtsein vor, das von diesen beiden Einschränkungen frei, nicht nur alle Perzeptionen sich in stetiger Frische gegenwärtig erhält, sondern das auch ohne Sinnlichkeit in der Form der intellektuellen Anschauung alle ihm überhaupt möglichen Vorstellungen in zeitloser Einheit gegenwärtig hätte, so würde für ein solches Bewußtsein, vorausgesetzt, daß es ein vernünftiges wäre, die Nötigung bestehen, die unendliche Zahl der ihm gegebenen Perzeptionen unmittelbar in einem einheitlichen Prinzip objektiv zu ordnen. Diese objektive Ordnung der Vorstellungen ist der letzte und allgemeinste Ausdruck für den Zweck des theoretischen Denkens. Denken wir uns nun ferner ein Bewußtsein, das zwar der zeitlosen intellektuellen Anschauung entbehrt, vielmehr an die zeitliche Sukzession der Vorstellungen gebunden wäre, das dagegen die Fähigkeit besitzt, sich sämtliche sukzessive zuströmenden Perzeptionen in völliger Frische stetig gegenwärtig zu erhalten, so würde in einem solchen, wenn es ein vernünftiges wäre, der Zweck der sachlichen Anordnung dadurch noch umso dringlicher werden, da ja ansich die Perzeptionen in regelloser und zufälliger Aufeinanderfolge auftreten und ohne eine ordnende Tätigkeit also wie ein Haufen Schutt oder Geröll regellos umherliegen würden. Für ein solches Bewußtsein hätte die ansich durch die Vernunft gebotene Ordnung zugleich den Wert eines Inventariums, das die Auffindbarkeit und Benutzbarkeit des Einzelnen sichert. Für das menschliche Bewußtsein schließlich erhält der Zweck dadurch noch ein neues Moment, daß ohne seine Realisierung die Erhaltung der aus dem Bewußtsein verdrängten Perzeptionen selbst oder doch ihre fernere Wirksamkeit als Teil des erworbenen Vorstellungsbestandes in Frage gestellt, weil dem Zufall irgendeiner beliebigen Assoziation anheimgestellt wäre. Denn ohne das Eingehen in eine Verknüpfung oder Verschmelzung ist die Möglichkeit eines Wiederwirksamwerdens auch nur als Moment oder Potenz eines größeren Ganzen für die einzelnen Perzeptionen ausgeschlossen. Für das menschliche Bewußtsein besteht also, wenn es ein vernünftiges sein soll, der Zweick einer geordneten Aufbewahrung der Vorstellungen. Es bleibt auch noch zu erweisen, daß die Vereinigung der Vorstellungen nach der Qualitätsverwandtschaft das einzige wirklich entsprechende Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ist. Ich kann diesen Beweis nur noch kurz andeuten. Ansich ist die Anordnung einer größeren Mannigfaltigkeit von Einzelobjekten nach mancherlei mehr oder weniger zufälligen Prinzipien möglich. Wäre z. B. unter den Vorstellungen, wie KANT einmal von den Erscheinungen hypothetisch annimmt (33), eine so große Verschiedenheit, daß auch nicht die mindeste Ähnlichkeit zwischen ihnen ausfindig gemacht werden könnte, so köntte nur irgendein für ihr eigenes Wesen äußerliches und zufälliges Prinzip der Anordnung, etwa die zeitliche Suzession oder die räumliche Koexistenz, zur Anwendung gebracht werden. Da aber eine Ähnlichkeit der Qualität besteht, so ist das einzige, dem Zweck einer durchgreifenden Anordnung wirklich entsprechende Mittel die Gruppierung nach den Abstufungen der Qualitätsverwandtschaft. Es ist einleuchtend, daß diesem Zweck der sachlichen Anordnung der Vorstellungen in erster Linie die synthetische Grundfunktion des Denkens dient, während die analytische Funktion teil der Nutzbarmachung des geordneten, aber undeutlich gewordenen Bestandes unter Wahrung des Prinzips der Anordnung, teils der Verbesserung der durch den Naturprozeß entstandenen Anordnung nach den Regeln des Denkens gewidmet ist. Es ist ferner einleuchtend, daß das natürliche Denken als unbewußte und nicht kontrollierte Zwecktätigkeit aus einem bloßen Vernunfttrieb nur soviel Akribie und Anteil an der Evidenz des Denkens hat, als seine Zwecktätigkeit dem Prinzip derselben konform ist und daß überhaupt die vollkommene Zweckmäßigkeit nicht sowohl der Begriff, als vielmehr die Idee des Denkens ist. Es bleibt noch als letzte Aufgabe der Logik die Entwicklung des Systems der Regeln für die einzelnen Denkfunktionen aus der Grundregel. Auch dazu bedarf sie keiner Erkenntnisfunktion. Freilich kann auch dieser Punkt ohne Spezialisierung nur unvollkommen erläutert werden. Für die einzelnen Arten der natürlichen Denkprozesse nämlich lassen sich Naturgesetze des Denkens als Modifikationen seines Grundgesetzes aufstellen. Nun ist aber das natürliche Denken als bloß instinktive Zwecktätigkeit nicht nur der Erreichung des Zweckes ungewiß, sondern sein Verfahren ist sporadisch und unvollständig und oft geradezu zweckwidrig, indem es z. B. bei der Synthese sprungweise verfährt und vom Einzelnen gleich zum Allgemeinsten fortschreitet. Diese Unvollkommenheit findet dann auch in jenen Naturgesetzen ihren Ausdruck. Die Logik prüft daher an ihrer apodiktischen Grundregel die Naturgesetze des Denkens auf ihre Zweckgemäßheit, indem sie untersucht, inwieweit das natürliche Denken nach dem Maß der Qualitätsverwandtschaft der Vorstellungen die Verbindung und Trennung vollzieht, und verwandelt so die berichtigten Naturgesetze in apodiktische Regeln. In der Anwendung auf die Gebilde der natürlichen Denkfunktion bilden diese Regeln nur einen Kanon zur Beurteilung der ohne ihre Mitwirkung sich vollziehenden Denktätigkeit; ihrem idealen Sinn nach aber ist die Logik Organon für die korrekte Vollziehung der gesamten Denktätigkeit oder Methodenlehre der Verbindung und Trennung der Vorstellungselemente nach Maßgabe ihrer Qualitätsverwandtschaft. Kanon der Erkenntnisfunktion ist sie unmittelbar nicht, vielmehr hat die Erkenntnislehre selbständig zu ermitteln, ob und inwieweit in dem unseren Vorstellungselementen zugrunde liegenden Realen ein Analogon derjenigen Qualitätsverwandtschaft vorhanden ist, nach der das Denken die Vorstellungselemente gruppiert. Selbstverständlich ist gegenüber der im empiristischen Vorstellungsleben stets mit dem Denken verknüpften Beziehung auf das Reale, von dem ja auch die Impulse zur zweckmäßigen Anordnung der Vorstellungen eben durch eine Suppeditierung [Unterstützung - wp] der Letzteren indirekt ausgehen, die ganze Isolierung des Denkprozesses eine künstliche, aber für die Einsicht in das Wesen derselben notwendige Abstraktion. Eine Gegeninstanz gegen die Möglichkeit der Trennung kann aber auch das Existenzialurteil nicht bilden, da dasselbe zu den Urteilen der Inhärenz gehört. Zum Schluß kann ich nur noch wiederholen, daß diese Erörterungen keineswegs den Anspruch erheben, die Möglichkeit einer gesonderten Darstellen erwiesen zu haben, sondern nur das für eine Prüfung derselben einzuschlagende Verfahren angedeutet haben. ![]()
1) Nachstehende Abhandlung ist ein vor der philosophischen Fakultät der Berliner Universität zwecks Habilitation gehaltener Vortrag. Der Inhalt desselben berührt sich zum Teil, freilich in einer durch die Umstände gebotenen mehr als aphoristischen Kürze, mit dem ersten (und einzig bisher erschienenen) Teil meiner "Grundzüge einer allgemeinen Logik", Dortmund 1880, auf die ich daher auch an den betreffenden Stellen verwiesen habe, teils aber führt er verdeutlichend und ergänzend über diese Schrift hinaus; so namentlich in der Auseinandersetzung mit KANT und dem Nachweis der Apodiktizität [Gewißheit - wp] der logischen Prinzipien. 2) KANT, "Kritik der reinen Vernunft", Ausgabe Rosenkranz II, Seite 665.0 3) KANT, Rosenkranz II, Seite 697. 4) z. B. "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Vorrede, Seite VIII, 3. 5) Rosenkranz II, Seite 665, 59f, 62f, 76, 133f, 248. 6) Rosenkranz II, Seite 59 7) Rosenkranz II, Seite 41. JÄSCHEs Logik, § 1. Rosenkranz III, Seite 269. 8) Vgl. meine "Grundzüge der Logik", Seite 125f, 133f 9) Rosenkranz II, Seite 62 10) Rosenkranz III, Seite 175 11) Rosenkranz III, Seite 177 12) Rosenkranz II, Seite 20 13) Rosenkranz II, Seite 21 14) Rosenkranz II, Seite 69 15) Rosenkranz II, Seite 70 16) Rosenkranz II, Seite 247f 17) Rosenkranz II, Seite 134f 18) Rosenkranz II, Seite 62 19) Rosenkranz III, Seite 220 20) Rosenkranz III, Seite 222 21) Rosenkranz III, Seite 57 22) Rosenkranz III, Seite 177 23) Vgl. z. B. Rosenkranz II, Seite 697. Am deutlichsten tritt diese Beweismethode in den "Fortschritten der Metaphysik" hervor. 24) Rosenkranz II, Seite 665, 56, 58, 62, 66. 25) Rosenkranz II, Seite 665. 26) Rosenkranz III, Seite 220, 222. 27) Rosenkranz II, Seite 62, 133 28) Rosenkranz II, Seite 133f 29) Rosenkranz II, Seite 62, 133f 30) Obige Darlegung mußte sich auf eine unzulängliche und in ihrer Kürze überdies kaum verständliche Andeutung beschränken, in der z. B. der Schluß nicht einmal eine Erwähnung gefunden hat. Im meinen "Grundzügen der Logik" habe ich einesteils (Seite 67 bis 90) durch eine Analyse der Bewußtseinsvorgänge überhaupt und der Verknüpfungsarten insbesondere versucht, dem Denkprozeß seine Stelle anzuweisen, andernteils in der Naturlehre des Denkens sämtliche wesentliche Denkprozesse in ihrem natürlichen Zusammenhang analytisch entwickelt. 31) Auch hier muß wieder auf die betreffenden Abschnitte der Naturlehre des Denkens in meinen "Grundzügen der Logik" verwiesen werden. 32) vgl. "Grundzüge der Logik", Seite 96f. 33) KANT, Kritik der reinen Vernunft, ROSENKRANZ, Seite 507 |