ra-1MFKG. K. UphuesG. SimmelH. RuinW. EnochM. D. Vernon     
 
HERBERT CHARLES SANBORN
Über die Identität der Person
bei William James

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"Mache ich die Augen zu, so kann ich verhindern, daß die jetzt von mir empfundenen Farben gesehen werden; ebenso verhält es sich bei den Tönen. Diese beiden existieren für das naive Bewußtsein in eben derselben Gestalt wie die wahrgenommenen Farben und Töne, unabhängig von ihrem Gehabtsein. Unserem Glauben nach zunächst sind sie ansich und für mich in gleicher Weise da, und können ferner demzufolge ansich ebenso da sein, ohne für mich da zu sein."

"Alles Leben des Individuums ist ein Streben, seine Machtsphäre zu vergrößern, bzw. zu behaupten - in verschiedenen Graden ein Wille zur Macht. Das zeitweilige oder endgültige Verschwinden aus meinem Gesichtskreis irgendeines Teils dieser Sphäre - etwa mein Vermögen oder Zylinderhut oder Arm - ist aber keine Änderung oder wie James sagt, keine partielle Vernichtung meiner selbst."

"Das Ich ist freilich nicht näher beschreibbar, weil es allen Begriffen überhaupt vorangeht, und ihnen erst ihren Sinn gibt; jede versuchte Beschreibung würde sich nur im Kreis drehen. Es ist, wie wir früher schon sagten, der Maßstab für alles Erfahrbare, eine jedem Erwachsenen wohlbekannte, jedoch nicht weiter - weil es für uns kein weiter gibt - zurückführbare Bewußtseinstatsache."

III. Eine selbständige sensation, oder wie JAMES auch sagt, ein feeling of q, wo q keine bestimmte Bedeutung und keinen Ort haben soll (1), kommt in der Wirklichkeit ebensowenig vor wie das Bewußtsein; es ist das reinste Nichts, was es geben kann, eine contradiction in adjecto [Widerspruch in sich - wp] wie quadratförmiger Kreis oder alkoholfreier Cognac. Erst in der bestimmten Beziehung, die durch die Worte "ich empfinde etwas", sich ausdrücken läßt, bezeichnet für mein Bewußtsein das Wort sensation etwas Daseiendes. Und diejenigen sensations, die wirklich vorkommen, enthalten nicht, wie JAMES sagt, Raum und die Kategorien, sondern setzen eben, wie die Statue der Bildhauer, oder aber der Eindruck im Siegellack den Stempel, Raum und Kategorientätigkeit schon voraus. Der Raum ist übrigens nicht das Raumbild eines jeden Moments; er besteht auch nicht, wie JAMES in Übereinstimmung mit LOCKE zu meinen scheint, aus der Summe aller möglichen Raumbilder, sondern wird in jedem solchen Bild gedacht, ist ein Begriff.

Und wenn ich nun das Erlebnis habe, das da heißt: "ich empfinde etwas", etwa Blau, so habe ich zugleich das deutlichste Bewußtsein, nicht die von mir empfundene Farbe zu sein, und das Erleben dieser Verschiedenheit ist für mich wiederum eine unmittelbare nicht weiter zurückführbaren Bewußtseinstatsache. Das Blau scheint mir eben keine Eigenschaft meiner, sondern ein Merkmal oder eine Qualität des von mir gegenwärtig betrachteten Himmels zu sein, und es kommt mir auch nich so vor, als ob ich ein Teil des mir gegebenen Himmels bin. Sondern das Blau, Bitter, Weich, Warm und dgl. machen für mein Bewußtsein die physische Erscheinungswelt aus. Andererseits ist ein von mir betrachtetes Stück roten Tuches doch nicht mit Bewußtseinserlebnissen gefärbt und mit einem süßen Kuchen esse ich wohl keine süßen Bewußtseinserlebnisse. Der Inhalt ist ferner nicht mit dem "Empfinden" identisch, denn ich kann neben anderen dieses noch zum Gegenstand haben, wenn jener schon verschwunden ist.

Und ich selbst bin auch nicht "mein Empfinden des Blau", denn, wie ich das Bewußtsein habe,, daß das Blau "selbst" schon früher existierte als mein Empfinden desselben, ebenso glaube ich, daß ich selber früher da war und glaube oder hoffe, noch länger dazusein, als dieses mein vorübergehendes Beziehungsbewußtsein. Ich erlebe das Empfinden nicht auf den Gegenstand bezogen, sondern stets nur als die Beziehung selbst als "mein Haben" des betreffenden Empfundenen, kurz ich erlebe, wie schon mit anderen Worten gesagt wurde, mich auf letzteres und dieses auf mich in der Weise bezogen, die wir mit dem Ausdruck "die Zugehörigkeit zu mir" bezeichnet haben.

a) Mit diesem Begriff der "Zugehörigkeit zu mir" hängt nun die allgemeinste Grundtatsache des Lebens zusammen. In dem durch das Wort "mein" Bezeichneten liegt ja aktuell oder potenziell die "Tätigkeit", deren genaue Bestimmung für die Auseinanderhaltung von "Empfindung" und "Gefühl" von großer Wichtigkeit ist. Insbesondere ist die "Tätigkeit" im eigentlichen Sinn vom bloßen Geschehen der Außenwelt genau zu unterscheiden.

Dieses ist zunächst einfach eine Änderung von räumlichen Beziehungen zwischen als wirklich gedachten Körpern, wobei dem Bewegten selbst innerlich nichts geschieht; von der Bewegung leidet der bewegte Körper nichts. Die Bewegung fängt als ein einfaches Insdaseintreten an, verläuft als eine stetig fortgehende Linie und hört einfach auf. Die wirkliche oder eigentliche Tätigkeit ist aber - wie auch LOCKE trotz seiner Zweideutigkeit zu ahnen scheint - stets nur psychisch; sie unterscheidet sich von der fertig fortgehenden "Bewegung" der Außenwelt zunächst insofern qualitativ, als sie nicht bloß eine "Bewegun", sondern eben eine innerlich strebende Bewegung ist. Dieser Charakter des Bewußtseinslebens verdient, ausdrücklich hervorgehoben zu werden.

Der Bewußtseinsstrom, sagt JAMES, ist dem abwechselnnd aus Fliegen und Sitzen bestehenden Vogelleben vergleichbar. Die Ruhestellen nehmen irgendwelche sinnlichen Bilder ein, deren Eigentümlichkeit darin besteht, daß sie beliebig lange betrachtet werden können, ohne daß sie sich verändern. Die Stellen des Fluges sind ausgefüllt mit "Gedanken" an die statischen oder dynamischen (!) Relationen zwischen den in Zeitpunkten verhältnismäßiger Ruhe betrachteten Tatsachen.

Diese Flugperioden, die bloß dazu dienen, Lücken im "Gedankenstrom" auszufüllen und von einer Ruhestelle zur anderen überzuleiten, lassen sich, nach JAMES, wegen ihrer großen Geschwindigkeit, Unbestimmtheit und Abhängigkeit von den Ruhestellen, durchaus nicht beobachten, in ihrer Eigenart feststellen und dgl. Auf die wirkliche Bedeutung dieser bei ihm sonst als "Fransen", "Ränder" bzw. "Höfe" (fringes) benannten Bewußtseinserlebnisse, kommen wir später zurück, machen aber gleich hier auf die sich widersprechenden Auffassungen aufmerksam, die dem Verfasser erlauben, das ganze psychische Leben bald als bloßes Geschehen, bald als "Tätigkeit" (10) aufzufassen.

In dieser doppelten Beschreibungsweise liegt nicht nur eine Vermengung von Bildern, sondern auch, wie wir meinen, von Begriffen vor. Ein Strom ist doch ein bloßes physisches Geschehen; er fließt stets gleichförmig, insofern sich in ihm selbst keine Ursache zur Beschleunigung bzw. Verlangsamung befindet. Mit dem Bewußtseinsleben meinen wir aber nicht den bloß mechanischen Verlauf von "Vorstellungen", sondern - was wirklich letztenendes im Begriff des Vogellebens im Sinne von JAMES oder in dem des "Lebens" überhaupt zum Ausdruck kommt - auch ein von Färbungen des Interesses, der Lust oder Unlust begleitetes Tun, das die nicht zusammengehörigen "Vorstellungen" trennt, die zusammengehörigen dagegen nicht bloß zusammenfließen, bzw. beisammen sein läßt, sondern bewußt nach allgemeinen Gesetzen vereinigt.

Dieses durchaus charakteristische Moment des gesamten psychischen Geschehens meinen wir besonders dadurch hervorheben zu können, daß wir es als eine nicht stetig fortgehende Zickzacklinie mit Punkten oder AKten des "Einsetzens" und des "Absetzens", des "Anstoßes" oder des "Impulses" und des "Einschnappens" bezeichnen.

Im "Haben" von Inhalten, dem "Aufmerken", "Denken", "Wünschen", "Wollen", in der "Lust", "Unlust" usw. erlebe ich mich tätig. Ich nenne sämtliche mir bekannten Bewußtseinserlebnisse "mein", weil ich mich in denselben selbst tätig oder strebend finde, bzw. finden kann. Während, wie angedeutet, die "Bewegung" bloß eine Beziehungsänderung und niemals einen inneren, sondern stets nur einen äußeren Zustand des Bewegten bezeichnet, ist dagegen die einzige von mir erfahrbare "Tätigkeit" mein stetig wechselnder innerer Zustand.

Das Bewußtsein oder Gefühl derselben ist das sogenannte Selbst- oder Lebensgefühl, von dem wir bei der Darstellung des "Gedankenstromes" lesen werden. Und wenn ich nun doch der Anschaulichkeit halber meine "Tätigkeiten" verselbständige oder hypostasiere [vergegenständliche - wp] und populär oder unkritisch von "hochfliegenden, schnellen, strebenden, einander widerstreitenden Gedanken oder Gefühlen" und dgl. oder auch von "Tätigkeiten" meines Körpers und anderer Dinge der Außenwelt rede, so ist doch und bleibt der eigentliche Sinn des Wortes "Tätigkeit" letztenendes einfach "Ich".

b) Unter Umständen sage ich nun vielleicht: "es" blitzt, regnet, donnert, schneit, taut, tagt, friert Stein und Bein oder mich, "es" hungert oder schmerzt mich, "es" tut mir weh, schmeckt mir, gibt Pflanzen (11) usw. und auf die Frage: was denn dieses "es" eigentlich sein soll, gibt man verschiedene, miteinander insofern übereinstimmende Antworten, als sie sämtlich auf eine allgemeine vermenschlichende Tendenz meiner selbst zurückzuführen sind.

Das "es" steht, sagt man, an der Stelle von "Dämon", "böser Geist oder Genius", "Jupiter", "Donner", "Gott", "Welt- oder Naturgeist" (12) und JAKOB GRIMM (13) faßt diese Erklärungen im Wort "Grund" oder "Ursache" der betreffenden Erscheinungen zusammen. (14) Denn wie auch immer: diese Auffassungen stehen jedenfalls mit unserer psychologischen Ansicht insofern im Einklang, als sie behaupten, das genannte Pronomen bedeute immer ein dieses oder jenes, mir freilich in verschiedenen Graden der Nähe stehendes Etwas der Außenwelt.

Für die Psychologie bezeichnet das betreffende Wörtchen in diesem Gebracuh stets etwas von mir Verschiedenes, was - sei es das einer Lust-, sei es das meinen Körpererscheinungen Zugrundeliegende - objektiv für mich da ist, denn ich erlebe es nicht, daß ich regne, donnere, blitze, schneie, mich selber friere, Pflanzen ins Dasein rufe und dgl. Und wenn ich lange Zeit nicht habe essen können oder körperliche Verletzungen erlitten habe, erlebe ich es auch nicht, daß ich mich selber hungere oder mir selber wehtue.

Sondern der betreffende Gegenstand affiziert mich in der Weise, die ich nur anders ohne Sinnverlust bezeichne, wenn ich sage: ich habe den Donner, Blitz, Regen, Schnee, Hunger, Schmerz usw. als Empfindungs- oder Wahrnehmungsinhalte, ich nehme den Donner, Blitz, Regen, Schnee usw. durch die Augen- oder Ohren-, den Hunger, Schmerz und ähnliche Körperzustände durch andere Nerven wahr. Ich nenne hier bloß verschiedene Beispiele meines Bewußtseins derselben Außenwelt. Ich vermenschliche oder personifiziere diese Gegenstände einfach, weil ich Erlebnisse, die ich nur in mir allein finde, in sie hineintrage oder mit einem geläufigen Ausdruck der heutigen Psychologie, mich in die sogenannte Erscheinungswelt "einfühle".

Allein nicht nur in die vorhin erwähnten Erscheinungen fühle ich mich ein, sondern auch bei Gelegenheiten, wo ich sage: der Fels springt vor, der Nagel sieht vor, der Bach freut sich, lacht, murmelt, hüpft, springt, der Fluß - Vater Rhein oder Vater Tiber - bemüht sich, den Damm oder seine Bande zu zerreißen, der Himmel wölbt sich, der Turm oder die mächtige Eiche strebt zum Himmel empor, der Stein zur Erde, das ermüdete Schiff kämpft mit den Wellen, die Saite, der Hahn oder der Bogen spannt sich schwer, die Tür schließt sich schwer, die Rebe umspannt den Baum, die Wellen verschlingen dens Schiffer und Kahn und unzählige Beispiele mehr. Ich lege hier wieder meine eigenste innerste Verhaltensweise bei der Wahrnehmung gewisser körperlicher Zustände oder die Art, wie mir dabei zumute ist, in die erwähnten Gegenstände.

In der Tat ist eine solche Vermenschlichung eine der gewöhnlichsten, meistenteils aber unbeobachteten Tatsachen unseres täglichen Lebens, ja sie mach den wirklichen Sinn des Wortes "Leben" aus. "Der Mensch", sagt GOETHE, "weiß niemals wie anthropomorphistisch er ist" und irgendein anderer hat denselben Gedanken in den Worten ausgedrückt: "Jedes Wort unserer alltäglichen Umgangssprache war einmal eine lebendige Metapher (15). Ist es aber nun einmal, wie behauptet worden ist und wie wir glauben, "die besondere Aufgabe des Psychologen und Philosophen, vor der Aufstellung seiner Theorien nach dem wirklichen Sinn der ihnen zugrundeliegenden, angebliche Begriffe enthaltenden Ausdrücke genau nachzuforschen", so darf er wohl diese Pflicht nicht gelegentlich versäumen.

Bei bildlichen Ausdrücken, die alltäglichen Sprachgebrauch ungewöhnlich sind oder gar nicht vorkommen, erkennen wir, wie angedeutet, leicht den erwähnten Anthropomorphismus; dagegen liegt für die psychologische Forschung eine tatsächliche Gefahr in den abgenutzten toten Metaphern der Umgangssprache. Die Kühnheit der Übertragung einiger meiner Eigenschaften auf Gegenstände der Außenwelt springt mir meist sofort in die Augen. Ich bin mir auf das Deutlichste bewußt, daß der Bach weder lacht, murmelt, noch hüpft, daß das Schiff nicht ermüdet werden kann usw.

Allein es fällt mir ebensowenig ein, nach dem wirklichen Vorkommen der diesen Gegenständen beigemessenen Eigenschaften wie in der Mathematik nach der Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Dreiecks zu fragen. Sie gehören eben in eine Welt, wo solche Fragen ebensowenig Sinn geben wie die nach der Temperatur, Farbe oder Geschmack eines Kreises, bzw. eines Gedankens. Sobald aber solche Ausdrücke auf ein Gebiet übertragen worden sind, wo die Wirklicheit des dadurch Bezeichneten in erster Linie in Frage kommt, d. h. sowie sie nicht mehr uneigentlich, sondern wörtlich gelten wollen, hat der Psychologe sofort das Recht, nach ihrem eigentlichen Sinn zu fragen. Ein solcher Begriff ist nun z. B. der häufig vorkommende der "Spannung".

Ich bin, sage ich, auf den Ausgang eines hin- und herschwebenden Streites oder auf die Lösung dieses oder jenes schwierigen Problems gespannt, oder ich spanne meinen Geist bei der Lektüre von großen Denkern an, die Gespanntheit meiner Sehnsucht läßt mich keine Ruhe finden, ich lausche mit gespannter Aufmerksamkeit, die Idee spannt mich gewaltig usw. Mit dem Begriff der "Spannung" bezeichne ich das eigentümliche, nicht näher beschreibbare Moment das in aller "Tätigkeit" überhaupt liegt. Die innere Verhaltensweise meiner bei den gedachten Gelegenheiten, das Erlebnis einer gehemmten psychischen Tendenz oder das Strebensgefühl ist die Quelle all dessen, was wir sonst mit dem Namen "Spannung" zu belegen pflegen, und gibt dem Wort in jedem einzelnen Fall erst seinen eigentlichen Sinn.

Bei meiner Bemühung, über einen Zaun zu setzen, in die Höhe zu springen, einen schweren Gegenstand vor mir her zu schieben, einen Hahn oder eine Saite zu spannen und dgl., nehme ich nicht nur die verschiedenen Lagen und Bewegungen meines Körpers und meiner Glieder, sondern auch in denselben, namentlich in den Sehnen, Muskeln und Gelenken gewisse, sogenannte "Körperempfindungen" wahr. Dabei erlebe ich mich im Körper tätig oder strebend. Ich strenge mich an, bemühe oder bestrebe mich, gleichzeitig mit der Wahrnehmung der Bewegung des Hahns oder Bogens, meines Arms usw.

Und nun übertrage ich dieses Bewußtseinserlebnis, mein Gefühl, meine Bemühung oder Spannung beim Bewegen, Schieben, Ziehen oder Festhalten des Gegenstandes auf den Gegenstand selbst, so oft ich sage: der Bogen, die Saite, der Hahn spannt sich schwer, die Tür oder der Arm bewegt sich leicht usw. Dieses Gefühl lege ich dann weiterhin bei der bloßen Betrachtung ähnlicher Bewegungen, Formveränderungen oder Formen der ganzen Außenwelt unter, und sage, angesichts meiner oder eines anderen Glieder, eines Bogens, einer Saite, Feder usw., sie seien gespannt, oder aber ich spreche von einem "Sichbemühen" eines Flusses, vom "Streben" des fallenden Steines oder des gotischen Turms, von der "Macht" der großen Eiche, der "Ermüdung" des Schiffes und dgl. mehr.

Bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten konstatieren wir die gedachte Tatsache der "Einfühlung"; ich erlebe die Tendenz, die erwähnten Gegenstände in meinen Gedanken sich in den bezeichneten tätigen Zuständen befinden zu lassen. Eine ebensolche oder ähnliche Art der Selbstobjektivation offenbart sich uns beim Wilden, der seinen Körper mitunter für einen Fetisch hält, oder bei mir, falls ich meine Tätigkeit oder mich mit den Bewegungen und sonstigen sinnlich wahrgenommenen Zuständen meines Körpers bzw. mit meinem Gehirn verwechsle. In der Tat kommt dies im gewöhnlichen Leben nicht vor, und doch geschieht die gedachte Verwechslung in der Wissenschaft teilweise aufgrund der bereits eingangs besprochenen Ungenauigkeit der auf ein psychologisches Gebiet angewandten Umgangssprache.

Wie wir schon eingangs erwähnt haben, kann man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowohl im Deutschen als auch im Englischen: ich fühle Hunger, Schmerz usw. sagen und dabei tatsächlich zweierlei meinen, nämlich das einemal "fühlen", das anderemal "empfinden". Da man nun aber ferner nicht nur von meiner eigentlichen inneren "Spannung", sondern auch von "Spannungen" in der Außenwelt spricht, obschon so etwas tatsächlich niemals beobachtet wird, so liegt es besonders nahe, daß man gewisse bei Gelegenheit meines Erlebnisses einer wirklichen "Spannung" sich einstellende "Empfindungen" auch "Spannungsempfindungen" nennt und sie dann mit der "Spannung" selbst identifiziert. In der Tat verdienen sie diesen Namen ebensowenig wie die entsprechenden Körperteile nebst anderen Dingen der Außenwelt "Spannungen" sind.

Sage ich nun aber: Ich hungere und mich dürstet nach Gerechtigkeit, Erkenntnis, Ruhm, Ehre, Liebe usw., es schmerzt mich, verkannt zu werden, es tut mir in der Seele weh, die Idee spannt mich gewaltig, ich bin durch diese edle Tat innerlich erwärmt, obschon mein Freund sie nur mit kaltem Verstand betrachtet hat, ich bin kalt, das Schicksal läßt mich ganz kalt, ich erwärme mich nicht für solche Sachen, es stieg mir heiß auf, ich brenne darauf und dgl. mehr, so wird, wer sich recht besinnt, schwerlich behapten wollen, ich rede hier von ähnlichen Tatsachen wie diejenigen, die wir mit den Worten: es friert, dürstet, hungert mich, ich habe Kopfschmerzen, die Muskeln oder die Haupt meines Kopfes sind gespannt usw. bezeichnen, sondern von toto coelo [völlig - wp] verschiedenen. Für gewöhnlich sieht man sie auch wie gesagt als etwas völlig Unvergleichbares und Inkommensurables an, und doch gibt es sonderbarerweise Psychologen, die diese Verwechslung begangen haben, indem sie "Gefühle" und "Empfindungen" als entweder gleichartig oder gleichwertig betrachtet, bzw. "Gefühle" und deren physiologischen Begleiterscheinungen gleichgesetzt haben.

c) HUME kennt, trotz seiner Trennung und sachlichen Unterscheidung der gedachten Erlebnisse, die wirkliche Bedeutung der Gefühle im Bewußtseinsleben nicht (16). Er sieht die Perzeptionen überall als gleichwertig an und versichert uns z. B., daß er bei dem Versuch sich das, was er als "mich" bezeichnet, so unmittelbar als irgendwie möglich zu vergegenwärtigen, nicht umhin kann jedesmal über die eine oder die andere Perzeption der Wärme oder Kälte, des Lichtes oder Schattens, der Liebe oder des Hasses, der Lust oder Unlust zu stolpern, daß er im Übrigen niemals etwas anderes zu beobachten vermag als eine Perzeption.

Und JAMES und andere, für die Körper- und Organempfindungen schon alles sind oder zumindest alles mögliche versprechen, erneuern diese Betrachtungsweise HUMEs, ohne jedoch seine Unterscheidung zu beachten, indem sie ebenfalls in diesem oder jenem bequemen "unbestimmten neutralen Wort" Bewußtseinstatsachen überhaupt zusammenzufassen. Bei gleich benannten Erlebnissen fällt es eben nicht schwer, diese auf jene scheinbar zurückzuführen.

Neben dem bezeichneten terminologischen Fehler besteht aber ein weiterer Anlaß zu dieser Gleichsetzung und Zurückführung in einer gewissen Eigenart der "Körperempfindungen" selbst, die bei unserer nachstehenden nur flüchtigen Betrachtung dieser ganzen Frage gelegentlich zur Sprache kommt. Wir wollen nun zunächst im Folgenden den Versuch machen, hauptsächlich hervorzuheben, inwiefern diese beiden Klassen von Erlebnissen jederzeit qualitativ auseinanderfallen.

Erlebe ich angesichts des mir schönes Wetter ankündigenden blauen Himmels oder bei der Betrachtung einer edlen Tat zugleich meine Freude daran, so hat es für mein Bewußtsein keinen Sinn zu sagen, diese meine Freude an den betreffenden wahrgenommenen Gegenständen ist irgendeine Qualität derselben, denn das hieße selbstverständlich, daß die Freude für mich ein Bestandteil der Gegenstände ist oder sie ebenso ausmacht, wie etwa Süß, Weiß, Hart, Rauh usw. Bestandteil des von mir wahrgenommenen Stücks Zucker ausmachen. Ich war mir aber, soviel ich mich daran erinnere, niemals eines tatsächlich sich freuenden Himmels bewußt, sowie ich mich andererseits niemals blau oder bitter fühle (17) oder erlebe. Angesichts des blauen Himmels kann ich auch ferner ein ganz anderes Gefühl als Freude erleben und es gibt Menschen, die sich wohl niemals an einem blauen Himmel oder einer edlen Tat freuen, sondern sich dabei im Gegenteil ganz anders fühlen. Indessen nennt man die Freude doch mit Recht auch eine Qualität.

Wie einerseits Süß, Weiß, Hart und dgl. von mir empfundene, sinnliche Qualitäten für mein Bewußtsein die physische Erscheinungswelt ausmachen, ebenso konstituieren die Gefühle mich; sie sind eben Qualitäten meiner selbst. Es ist dasselbe, ob ich sage: ich fühle oder ich fühle mich, bzw.: ich fühle Trauer, Freude usw. oder ich fühle mich traurig oder freudig. Dagegen gibt es keinen Sinn zu sagen: ich fühle oder erlebe mich rot, weiß, hart usw.

Und der früher besprochene Tatbestand, daß jedes Erleben eines Inhaltes zugleich das Erleben meiner in sich schließt, entspricht der Tatsache, daß ich mir stets dieses oder jenes Gefühls bewußt bin. Ich fühle immer auf diese oder jene Weise; vor allen Dingen aber erst recht intensiv, wenn ich meiner Empfindungen größtenteils oder gar nicht bewußt bin. Dies ist vorzugsweise der Fall, wenn ich mit den von meinen "Empfindungen" möglichst weit entfernten Gegenständen beschäftige, in welchem Zustand früher dagewesene "Empfindungen" für mich vollständig ausgelöscht sein können.

Daß aber für mein Bewußtsein "Gefühle" in dieser Weise unabhängig von "Empfindungen" bestehen können, scheint mir den genannten Gegensatz beider ganz besonders zu kennzeichnen. Das Recht zu dieser Unterscheidung wird nun aber geleugnet und zwar auf Veranlassung der Eigenart der sogenannten "Körperempfindungen" selbst. Bei Hunger, Schmerz, den kinästhetischen [Bewegungs- | wp] "Empfindungen", sollen insbesondere nachweisbar "Empfindung" und "Gefühl" in eins zusammenfallen, weswegen man neuerdings für diese den widersinnigen Namen "Gefühlsempfindungen" vorgeschlagen hat. Wir treffen hier auf den Kernpunt der gedachten Verwechslung.

Als mein Inhalt, als Gegenstand meiner Betrachtung ist jeder Inhalt im Vergleich mit dem darin implizit liegenden mir gegebenen Gegenstand etwas Subjektives; dieser ist für mein Bewußtsein außer, jener ist in mir. Aber damit ist durchaus nicht gesagt, daß jeder Inhalt meines Bewußtseins mir innerlich gleich nahe steht oder mich in gleicher Weise in Anspruch nimmt, oder aber, das alles im Bewußtsein Vorgefundene, wie JAMES sich ausdrückt, "konsubstantiell" ist. Der Grad der Intensität, mit der das Empfundene, bzw. das Vorgestellte mich affiziert, wechselt bekanntlich je nach dem Empfundenen oder Vorgestellten. Und nicht nur gibt es große Verschiedenheiten in dieser Beziehung innerhalb ein und derselben Klassen von Bewußtseinserlebenissen, sondern ein allgemeiner charakteristischer Unterschied zwischen dem bloß Vorgestellten und dem wirklich Empfundenen besteht normalerweise in der besonderen Intensität mit der letzteres mich in Anspruch nimmt. Insofern ich mich beim Empfinden fühle, reden wir von einer spezifischen Subjektivität oder von einem "Moment der Gefühlsnähe" des in Betracht kommenden Empfundenen. Dieses Moment kommt nun in hohem Grad den sogenannten "Körperempfindungen" zu. Unter allen Empfindungsinhalten stehen mir diese innerlich ganz besonders nahe.

Das Haben eines Inhaltes ist, wie wir sagten, ein rezeptives Erlebnis; der Inhalt befindet sich eben in mir, ohne daß ich bewußt etwas tue. Dies gilt aber in Bezug auf gewisse Empfindungsinhalte, als da sind Farben und Töne, nur unter der Voraussetzung, daß ich mich tatsächlich rezeptiv verhalte, bzw. verhalten kann. Mache ich nun aber die Augen zu, so kann ich verhindern, daß die jetzt von mir empfundenen Farben gesehen werden; ebenso verhält es sich bei den Tönen. Diese beiden existieren für das naive Bewußtsein in eben derselben Gestalt wie die wahrgenommenen Farben und Töne, unabhängig von ihrem Gehabtsein. Unserem Glauben nach zunächst sind sie ansich und für mich in gleicher Weise da, und können ferner demzufolge ansich ebenso da sein, ohne für mich da zu sein.

Dagegen kann ich mich von den Körperempfindungsinhalten nicht in gleicher Weise wie von den Farben und Tönen abschließen. So oft sie überhaupt da sind, sind sie für mich da. Hunger, Schmerz oder "Muskel- und Gelenkempfindungen" die niemand hätte, existieren niemals für das naive Bewußtsein wie Farben, die niemand sieht. Ich glaube unwillkürlich an die objektive Wirklichkeit der Farbe, die Körperempfindungsinhalte scheinen mir dagegen in besonderer Weise "mein" zu sein. In der Tat machen sämtliche Körperempfindungsinhalte diejenige Erscheinung aus, die ich "mein Körper" nenne. Und daraus erklärt sich die Zweideutigkeit der Wörter "empfinden" und "fühlen" im allgemeinen Sprachgebrauch, die sich das eine Mal auf die Zuständlichkeiten meiner, das andere Mal auf die empfundenen Zustände des mir zugehörigen Körpers beziehen.

Ebensosehr wie die Gesichts- und Gehörsempfindungsinhalte sind mir aber die Körperempfindungsinhalte gegeben. Ich nehme die Körpervorgänge oder -zustände geradeso wahr, wie die anderen Vorgänge und Gegenstände der Außenwelt. Der einzige Unterschied zwischen diesen und jenen besteht in der obenerwähnten Gefühlsnähe des Empfundenen, in einem erlebten Gebundensein meines Körpers an mich. Mit gewissen Vorgängen meines Körpers erlebe ich gewöhnlich zugleich eine darauf bezogene "Tätigkeit". Beim Anfang einer sogenannten "willkürlichen Bewegung" z. B. erlebe ich das "Einsetzen" zur Tätigkeit; dem Verlauf der "Bewegung" selbst läuft parallel die innerlich strebende Bewegung meiner, dem Aufhören entspricht in gleicher Weise das erwähnte "Einschnappen" der Tätigkeit. Diese beiden Momente treten aber nicht nur für das naive Bewußtsein als ein Gesamterlebnis auf, sondern sie werden, wie schon angedeutet, von vielen Psychologen nicht unterschieden.

Die "Körperempfindungen" pflegen von besonderen ihnen allein eigentümlichen lust- oder unlustgefärbten Tätigkeitsgefühlen, Hunger und Schmerz in der Regel von unlustgefärbten, begleitet zu sein. Da nun aber im gewöhnlichen Leben diese Gefühle angesichts des Wahrgenommenen das Wichtigste sind, da ferner die betreffenden "Empfindungen" gewöhnlich von gleichen Gefühlen begleitet werden, so faßt sie der allgemeine Sprachgebrauch, in Übereinstimmung mit dem neuerdings so oft angewandten "Prinzip der Ökonomie des Denkens" - ohne die beiden dadurch bezeichneten Tatsachen zu unterscheiden - in einem Namen zusammen. Allein der tatsächliche Gegensatz zwischen "Empfindung" und "Gefühl" leuchtet auch hier ohne weiteres ein, wenn wir ihr voneinander unabhängiges Vorkommen berücksichtigen.

Als ich mich früher einmal auf dem amerikanischen College als Werfer (pitcher) im Baseball so angestrengt hatte, daß mein rechter Arm drei Tage lang unbeweglich gekrümmt und ohne Empfindung blieb, so daß ich nach Aussage eines Arztes fürchten mußte, vielleicht den weiteren Gebrauch desselben zu verlieren, waren mir die bei der endgültig gelungenen Bewegung des Gliedes äußerst schmerzhaften "Empfindungen" von einem solchen "Gefühl" der Lust begleitet, das mir noch auf das Deutlichste in der Erinnerung steht. Die Eigentümlichkeit und Ungewöhnlichkeit dieser Erfahrung fesselte mich damals, als ich noch wenig von Versuchen, "Empfindung" und "Gefühl" gleichzusetzen oder dieses auf jene zurückzuführen, wußte, und es kam mir insbesondere stets äußerst lebhaft in die Erinnerung zurück, so oft ich von solchen Bestrebungen las. Ferner können nun die "Schmerzempfindungen" meiner schwachen Augen bei der Lektüre eines Buches bzw. bei der Betrachtung eines Kunstwerkes oder aber "Empfindungen", die ich dann habe, wenn mein Freund mir billigend auf den Rücken klopft, von "Gefühlen" der Lust, aber auch unter Umständen, z. B. falls das Buch uninteressant, das Kunstwerk ekelhaft ist, oder aber das Klopfen ganz unerwartet geschieht, von unangenehmen "Gefühlen" der Unlust, des Ekels, des Schreckens usw. begleitet zu sein.

Diese und ähnliche persönlichen Erfahrungen werden weiter noch durch die Erlebnisse anderer reichlich bestätigt. Insofern sie bei gewissen Kranken eine wiederkehrende Gesundheit ankündigen, werden die gewöhnlich von Unlust begleiteten "Körperempfindungen" Hunger, Schmerz usw. von Lust begleitet. Durch galvanische Reize können ferner in den Muskeln, Gelenken usw. die Spannungsempfindungen ohne das sie gewöhnlich begleitende Spannungsgefühl hervorgebracht werden, und nach Aussagen der Paralytiker oder Gelähmten und Verwundeten kann das Spannungs- oder Strebungsgefühl ohne die "Spannungsempfindungen" vorhanden sein.

Ist es nun aber auch wahr, daß jederzeit diese oder jene "Empfindungen" in mir sind, so heißt dies, wie wir betont haben, nicht, daß ich mir derselben notwendig bewußt bin; im Gegenteil sind meine auf andere Gegenstände bezogenen Gefühle, je nach deren Stärke, oft imstande, die betreffenden "Empfindungen" - sogar Hunger und Schmerz - teilweise oder ganz zu unterdrücken oder unwirksam zu machen. Wir reden dann von "blindem Eifer", "tauber Wut" und dgl. Während ich ferner in den "Empfindungen" mein unmittelbares Bedingtsein durch die Außenwelt, das bloße Geschehen in mir erlebe, kann ich in Gefühlen sogar ganz unabhängig von äußeren Reizen mich tätig erleben.

In jedem Gefühl finde ich mich in der Weise tätig, die ich mit den Wörtern "aufmerkend", "denkend", "wollend", "überrascht", "erschrocken", "freudig", "traurig" usw. näher bestimme. Und erinnern wir uns nun der Tatsache, daß während unseres ganzen bewußten Lebens ein Tätigkeitsgefühl stets vorhanden ist, so ist es erklärlich, weswegen wir dieses auch als Grund-, Lebens- oder Selbstgefühl und "Gefühle" insbesondere als dessen Schattierungen oder Nuancen bezeichnen. Statt Tätigkeits-, Lebens- oder Selbstgefühl kann ich aber ohne Sinnverlust eben das Bewußtsein meiner oder Selbstbewußtsein setzen. In der Tat ist der besprochene Gegensatz zwischen "Empfindung" und "Gefühl" gleichbedeutend mit dem zwischen Objekt und Subjekt.

In der "Empfindung" habe ich vor allen Dingen das Bewußtsein von etwas von mir Verschiedenem, in ihr liegt implizit als charakteristisches Moment das Empfundene, das Objekt; in den "Gefühlen" dagegen finde ich unmittelbar stets nur das Subjekt - in der von mir erlebten Freude oder Trauer erlebe und denke ich nicht etwas von mir Verschiedenes, sondern mich. Dort finde ich insbesondere die Objektivität, hier, im eigentlichen Sinne, die Subjektivität. Diese Ausdrücke bezeichnen eine qualitätive Verschiedenheit, den absolutesten Unterschied, den es überhaupt für mein Bewußtsein gibt, und demgemäß trennten wir schon die Bewußtseinserlebnisse in objektive und subjektive.

Die Trennung von Subjekt und Objekt leuchtet nun im allgemeinen einem jeden ein; dagegen besteht noch für einige Psychologen eine gewisse Unklarheit über die Bestimmung der beiden Glieder dieses Gegensatzes. Für viele ist das "Ich" nichts weiter als der mir zugehörige, nach unserer Auffassung einen Teil der Außenwelt, d. h. des Objektes, ausmachende Körper. "Gehören wir unseren Körpern oder sind wir sie?" fragt JAMES und beantwortet diese Frage dahin, daß er als "das Selbst der Selbste" hauptsächlich gewisse eigentümliche Bewegungen im Kopf oder zwischen dem Kopf und der Kehle bezeichnet. Dies wird der wirkliche Kern der persönlichen Identität sein. Für JAMES ist die körperliche "Wärme" mit der Wärme meines Gefühls angesichts einer edlen Tat etwas gleichartiges oder identisch und demgemäß führt er "Gefühle" und "Affekte" auf "Empfindungen", "Empfindungskomplexe", "Instinkte" oder "Impulse" zurück.

Auf die Wahrnehmung einer erregenden Tatsache folgen, betont er, unmittelbar die Körperveränderungen und unser feeling derselben während ihres Ablaufs ist der Affekt. Indem nach ihm der gesunde Menschenverstand sagt: wir verlieren unser Vermögen, diese Tatsache tut uns leid und wir weinen, oder wir begegnen einem Bären, erschrecken uns und wir laufen davon, oder aber wir werden von einem Rivalen beleidigt, ärgern uns und schlagen, müßte man eigentlich sagen: es tut uns leid, weil wir weinen, wir sind zornig, weil wir schlagen oder wir fürchten uns, weil wir zittern, d. h. uns wird ein Schreck eingejagt, weil wir davonlaufen.

Die "Wahrnehmung" wäre nach ihm ohne die unmittelbar darauffolgenden Körperzustände der Form nach rein erkennend, blaß, farblos, leer an Gefühlswärme. Wir könnten demnach den Bären sehen und das Fliehen für angebracht, oder die Beleidigung empfangen und das Schlagen für berechtigt halten, würden uns aber doch tatsächlich weder erzürnen noch ärgern. Stellen wir uns ferner irgendeinen starken Affekt vor und versuchen wir nun von allen feelings seiner körperlichen Symptome abzusehen, so finden wir, daß wir nichts übrig haben als einen kalten Zustand intellektueller Wahrnehmung. (18)

Die Verwechslung von Gefühlen mit deren Begleiterscheinungen, die bei dieser Theorie auf der Hand liegt, haben wir bereits emporgehoben. (19)Auf die Zurückführung selbst und das dabei stattfindende Zirkelverfahren wollen wir jedoch hier nicht eingehen, verweisen aber auf THEODOR LIPPS' Schrift über "Das Selbstbewußtsein - Empfindung und Gefühl" (Wiesbaden 1901), wo diese und ähnliche Bestrebungen, "Gefühle" auf "Empfindungen" zurückzuführen, auf das Bestimmteste zurückgewiesen sind. Bei den vorstehenden Ausführungen hielten wir es für zweckmäßig, nur auf einen Hauptunterschied zwischen diesen toto coelo verschiedenen Bewußtseinserlebnissen aufmerksam zu machen. Es liegt uns nun vorläufig daran, den wirklichen Sinn des Wortes "Ich" näher anzudeuten. Wir stimmen zunächst mit der Erklärung von JAMES überein, daß das Selbst im weitesten Sinn der Inbegriff all dessen ist, was der Mensch sein nennen kann.

d) Dieses Selbst meinte etwa HEGEL als er schrieb: "Ich habe Napoleon, diese Weltseele, gesehen" oder EMERSON, als er GOETHE "die Seele seines Jahrhunderts nannte, oder auch VICTOR HUGO, als er prahlte: "Frankreich ist die Welt, Paris ist Frankreich, ich bin Paris." Mit Anwendung des Begriffs in dieser erweiterten ausgedehnteren Bedeutung kann man wohl ferner sagen, daß THEODOR ROOSEVELT in dem Zeitpunkt, wo er im Sommer 1905, trotz der widerstreitenden Diplomatie Japans und Rußlands, den Frieden von Portsmouth durch seinen persönlichen Einfluß erzwang, das Selbst der politischen Welt war. Eben diese selbe allgemeine Tatsache bezeichnen wir nur, wenn wir mit Rücksicht auf ein jedes Individuum sagen: ich bin in gewissem Sinne all das, was ich mein nennen kann. Dieses mein, das JAMES mit dem Mich im Wort self zusammenfaßt, läßt sich nun aber analysieren und näher bestimmen.

Ich grenze an meinen Nachbarn, sage ich etwa, weil mein Landgut an seines angrenzt, oder ich baue ein Haus, weil meine Arbeiter nach den Bestimmungen meines Baumeisters die Steine aufeinanderlegen. Ich, entweder zuhause oder auf dem Rücken eines Pferdes sitzend, gewinne das Rennen, weil mein Pferd das schnellste ist, töte den Hirsch, weil meine Kugel ihn trifft, berühre den Boden eines tiefen Teiches, weil meine Stange diesen erreicht, oder aber ich bin bis auf die Haut durchnäßt, weil meine Kleidung durch und durch naß geworden ist und ich bin hungrig, lahm, hinkend, alt oder jung, weil mein Körper in diesen Zuständen ist.

Das mein bezeichnet, wie wir schon bei der Betrachtung der Bewußtseinserlebnisse als solcher andeuteten, all das, worin ich mich selbst tätig oder auf meine Umgebung wirkend finde, bzw. finden kann, all das, worüber ich Macht habe; das Meinsein ist eben das Bewußtsein des Tätigseins, bzw. des Tätigseinkönnens. Wir nennen demnach dieses Aggregat, dieses "Selbst im weitesten Sinne" die stetig ab- und zunehmende "Machtsphäre" des vom "Selbst im weitesten Sinne" auf das Genaueste zu unterscheidenden und abzugrenzenden Ichselbst. Insofern ich durch die verschiedenen Teile dieser Machtsphäre auf die außerhalb derselben liegende Welt wirke oder wirken kann, belege ich sie alle mit dem Namen meiner oder nenne sie "Ich".

Vorzugsweise ist dies bei meinem Körper der Fall, weil er nebst der schon erwähnten "Gefühlsnähe der Körperempfindungen" zugleich die Grenze zwischen dem gewöhnlich sinnlich Sehbaren und dem Nichtsehbaren meiner Machtsphäre bildet. Übrigens steht er so ziemlich ununterbrochen vor meinem Bewußtsein, daß ich seine Veränderung nicht so leicht merke als die meiner anderen äußeren Gegenstände. Diesen gegenüber bleibt er kontinuierlicher bewußt mein, und es ist deswegen erklärlich, daß diese scheinbare oder relative Permanenz dazu beitragen konnte, den Menschen des vorwissenschaftlichen Bewußtseins leichter auf den Gedanken zu bringen, sein Körper sei wirklich etwas Beständiges, der Eigentümer und Mittelpunkt der gedachten Sphäre (20). Daß viele, nachdem sie die tatsächliche Veränderung des Körpers erkannt haben, sich noch mit diesem Gedanken tragen, ist freilich nicht so leicht zu begreifen.

Alles Leben des Individuums ist ein Streben, seine Machtsphäre zu vergrößern, bzw. zu behaupten - in verschiedenen Graden ein "Wille zur Macht". Das zeitweilige oder endgültige Verschwinden aus meinem Gesichtskreis irgendeines Teils dieser Sphäre - etwa mein Vermögen oder Zylinderhut oder Arm - ist aber in der Tat keine Änderung oder wie JAMES sagt, keine partielle Vernichtung meiner selbst.

Die Verringerung des gedachten Wirkungskreises ist doch wohl nicht die wirkliche Verkleinerung meiner, - ich bin doch nicht, wie JAMES meint, mit meinen Inhalten identisch - sondern eben weiter nichts als die partielle Einschränkung meiner individuellen Tätigkeit, deren zeitweilige oder endgültige völlige Aufhebung die Bewußtlosigkeit bzw. der Tod ist. Mir gehört ja alles unter der Voraussetzung, daß ich mich darin erlebe, oder, was dasselbe ist, mich darin tätig finde; ich bin aber für mein Bewußtsein nicht das, was mir gehört. Das Ich im eigentlichen Sinn ist weder die ganze Sphäre meiner Tätigkeit noch dieser oder jener Teil derselben, sondern eben dasjenige, dem das Ganze zugehört.

Alles was mein ist, insbesondere alle meine bewußten körperlichen und geistigen Zustände, werden im Gegensatz zum bloß Vorgestellten oder Gedachten anderer Individuen, dadurch charakterisiert, daß es von daranknüpfenden und daraufbezogenen Gefühlen unmittelbar begleitet wird, und in diesen finde ich das, was für mich den letzten Sinn des Wortes "Ich" ausmacht. Was ich auch tue oder leide, - denn das Leiden ist letzten Endes auch ein Tun meiner selbst - wird von diesem oder jenem Gefühl des Interesses, der Freude, Trauer, des Schreckens usw. unmittelbar begleitet und dies ist für mein Bewußtsein der ursprüngliche Grund jener von JAMES erwähnten Trennung und absoluten Isoliertheit des eigenen "Gedankenstroms", aber auch des eigenen Körpers usw. von denen anderer Menschen; im Tun und Treiben anderer fühle ich mich zwar auch, aber nicht in gleicher weise unmittelbar in Anspruch genommen.

Meine Gefühle trennen mich durch einen unmittelbar erlebten beispiellosen Unterschied von der ganzen übrigen Welt, und selbst das junge Kind soll sich von seiner nächsten Umgebung und seinem Körper trennen und sich als ein "Ich" schon lange fühlen, ehe es das Pronomen der ersten Person richtig anwenden lernt (21). Insofern das von uns bereits als "Bewußtseins-Ich" bezeichnete Subjekt des Denkens ursprünglich im Gefühl unmittelbar gegeben wird, nennen wir es auch das "Gefühls-Ich"; im Übrigen ist es das Phänomen in dem uns ein reales Ich erscheit oder implizit gegeben ist.

Das Ich ist nun freilich nicht näher beschreibbar, weil es allen Begriffen überhaupt "vorangeht", und ihnen erst ihren Sinn gibt; jede versuchte Beschreibung würde sich nur im Kreis drehen. Es ist, wie wir früher schon sagten, der Maßstab für alles Erfahrbare, eine jedem Erwachsenen wohlbekannte, jedoch nicht weiter - weil es für uns kein "weiter" gibt - zurückführbare Bewußtseinstatsache. Die Frage nach dem "Was" dieses Maßstabes hat für uns Psychologen keinen Sinn, und insofern mag JAMES bei der Behauptung der Unmöglichkeit einer psychologischen Analyse recht behalten. Es geht aber nun einmal nicht an, wie JAMES und andere, die der "objektiven", naturwissenschaftlichen Methode huldigen, zu tun pflegen, "Tatsachen an Begriffen zu messen", obschon man freilich umgekehrt "Begriffe an Tatsachen" messen kann und soll.

Und ebensowenig wie das Ich kann man, ohne sich dabei im Kreis zu drehen Identität, Kausalität usw. beschreiben, weil sie einfach aller Beschreibung "vorangehen". Einem Menschen zu sagen, das Meter ist der zehnmillionste Teil des Erdmeridianquadranten, genügt selbstverständlich nicht, wenn auch gerade diese Art Definition in der Wissenschaft vielfach vorkommt. Sondern der Betreffende muß einmal selbst einen Meterstab, vorzugsweise den Normalstab in der Pariser Sternwarte wahrgenommen haben; genauso verhält es sich mit dem Erlebnis der persönlichen Identität. Wie etwa Farben für den sehenden oder Töne für den hörenden Menschen, ebenso läßt sich dieses Erleben nur für denjenigen wirklich beschreiben, der es selbst erlebt hat.

So oft ich einen im früher bezeichneten Sinn "objektiven" Gegenstand erfasse, nehme ich ihn zwar in der unmittelbaren Gegenwart, aber doch mittelbar durch die Sinne wahr; dagegen ist, wie früher angedeutet, der ungeheure Vorzug der Psychologie, daß sie ihre Gegenstände, wenn auch in rückschauender Betrachtung, dennoch unmittelbar erfaßt. Die rückschauende Betrachtung ist, je nach ihrer Intensität, ein unmittelbares Festhalten und Wiedererleben, insofern eine unmittelbare Beobachtung des Angeschauten; man pflegt sie auch sonst, und bei einem sofort zu besprechenden Bewußtseinserlebnis mit ganz besonderem Recht, Selbstbeobachtung zu nennen. Dies ist vor allem der Fall, wenn ich mein eigener Gegenstand bin.

Das Ich, von dem hier die Rede ist, ist zunächst in jedem Augenblick seines Daseins mit sich selbst identisch - ein einziger unsagbarer Punkt. Ebensowenig wie ich einen mathematischen Punkt als doppelt denke, erlebe ich mich in einem Moment meines Daseins zweimal. Sondern ich fühle mich jederzeit als ein Einziges, eine absolut unteilbare Einheit. Die von mir in einem gegebenen Zeitpunt jedem meiner Gegenstände zugeschriebenen Einheit, Identität und Kausalität ist ja nur die Folge der allgemeinen, instinktiven, vermenschlichenden Tenden meiner selbst. Ich fühle, wie oben gesagt wurde, mich in die Dinge hinein. Der Punkt dehnt sich nun aber während meines Lebens bildlich gesprochen zu einer Linie, in der jeder Punkt nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit dem Endpunkt, dem gegenwärtigen unmittelbar erlebten Ich identisch ist. Diese Identität ist eine unmittelbar erlebte, von allen "gewußten" oder "erkannten" Identität zu unterscheidende Bewußtseinstatsache.

Gewußte oder erkannte Identität ist diejenige "Identität für das Bewußtsein", welche HUME, indem er an seinem Maßstab, der da heißt "wirkliche Identität", die angeblich eingebildete bemißt, nur allein zu finden vermag. Sie setzt, wie früher ausgeführt, das Gedachtsein von Gegenständen voraus. Bei der Vergleichung der in zwei verschiedenen Bewußtseinsinhalten implizit liegenden Gegenstände entsteht für mich die gewußte Identität. Indem ich sage: der Baumeister der Peterskirche ist derselbe wie der Bildhauer des Grabmals der Medici, oder: der Sieger bei Austerlitz ist derselbe wie der Besiegte bei Waterloo, "weiß" ich, daß ich es jedesmal mit einem in zwei Symbolen repräsentierten Gegenstand zu tun habe.

Bei der in Rede stehenden Identität des Ich verhält es sich wesentlich anders. Es handelt sich hier um "bewußte" oder erlebte Identität, kurz: um den vorhin bezeichneten Maßstab, und wenn auch das unmittelbar vergangene Ich gedacht werden kann, so wird doch das unmittelbar gegenwärtige mit dem es in der erwähnten Beziehung steht, immer nur erlebt. Und erinnern wir uns nun zugleich dessen, was oben in Bezug auf die Identität des Ich in jedem Moment seines Daseins konstatiert wurde, und der Tasache, daß zu einem Wissen ein Denkakt erforderlich ist, so verstehen wir, bei der richtigen Zusammenfassung dieses Sachverhalts, inwiefern die fragliche Identität des gegenwärtigen mit dem vergangenen Ich nicht bloß gewußt, sondern erlebt ist.

Ähnlich wie ich mich in meine objektive Welt einfühle, und in ihr nun nur meine Kraft, Tätigkeit, Identität, Einheit, Kausalität, mein Wollen usw. finde, so finde ich, aber doch in ganz eigenartiger Weise, im Ich der Vergangenheit mich. Ich, der ich mich im gegenwärtigen Moment identisch erlebe, versetze mich in meine Vergangenheit, d. h. zunächst in die Erlebnisse des unmittelbar vergangenen Ich, indem ich dieses "nachklingende" Erlebnis festhalte; ich fühle mich dann im Ich des vergangenen Momentes. Das als unmittelbar vergangen gedachte Ich wird jetzt erlebt oder, wie wir gesagt haben, wieder- oder weitererlebt.

Die Freude oder Trauer, welche das Vergangene bei seinem Sichselbsterleben konstituierte - denn es ist ja das gleiche, ob ich sage: "ich fühle" oder "ich fühle mich", bzw.: "ich fühle Freude" oder "ich fühle mich freudig" - und noch fühlte, als ich das vergangene Erlebnis festhielt, fühle ich jetzt wieder, mit vollem Bewußtsein ihrer Wirklichkeit, als mich. Es scheint mir nicht, daß ich mich soeben freute - von Schein kann hier keine Rede sein -, sondern ich bin mir dieser meiner Freude jetzt noch unmittelbar bewußt. Das Erlebnis der Identität des Ich ist schließlich eine Art Einfühlung, die mit der sonstigen, ganz besonders mit der Einfühlung in die sinnliche Erscheinung und Lebensäußerungen eines fremden Bewußtseins nahe verwandt ist.

Nun bin ich aber nicht nur mit dem unmittelbar vergangenen, sondern auch mit jedem Punkt der mein Dasein repräsentierenden Linie identisch. Was aber vom Wiedererleben meiner unmittelbar vergangenen Erlebnisse gilt, besteht ebenso, wenn auch gewöhnlich nicht in demselben Grad, mit Rücksicht auf meine weiter zurückliegenden. Bei der Zurückrufung von Erlebnissen ins Dasein für mich ist nun aber das Wiedererleben nicht mehr, wie im vorhin erwähnten Fall, ein Festhalten und fortgesetztes Erleben, sondern es ist, ja nach dem Maß, in dem es gelingt, ein erneutes Sein des Erlebten. Es ist hier die Rede vom früher konstatierten Unterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erinnerung.

Inwiefern ich mich nun zurück in die entfernteren Punkte meines Daseins wieder hineinzuversetzen vermag, hängt freilich von der Kraft und Lebhaftigkeit meiner Erinnerung unmittelbar ab, und wie wechselnd und veränderlich, sowohl bei demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten seines Daseins als auch von Individuum zu Individuum, dieses "Vermögen" funktionieren kann, darüber berichtet unter anderen vortrefflich LOCKE in seinem oft zitierten Kapital über das Behalten der Ideen. Dazu tritt noch die psychologische Übung in der genauen Beobachtung innerer Vorgänge und die Schulung im "wahren Experiment". Aber insofern dieses Hineinversetzen mir gelingt, spreche ich mit Recht von innerer Wahrnehmung und der vollkommen erlebten Identität meiner mit einem längst vergangenen Ich.

Versteift man sich nun aber darauf, das betreffende Subjekt des Denkens mit einem gewissen Komplex von "Empfindungen", dem Körper, insbesondere mit dem Gehirn zu identifizieren, so machen wir bloß darauf aufmerksam, daß der Körper und das Gehirn, hnlich wie das Ich oder das Bewußtsein, das Denken, der Gedanke usw. lauter Abstraktionen sind. In Wirklichkeit kommen immer nur individuelle, bestimmt geartete Körper und Gehirne vor; und auf die Frage: welche "Empfindungen", welcher Körper, welches Gehirn, ich, der ich mich doch als den Mittelpunkt und das einzige einheitliche Subjekt meines Denkens erlebe, eigentlich bin, finde ich, vom Standpunkt desjenigen aus, der sich mit seinem Körper bzw. seinem Gehirn verwechselt, bloß die eine notwendig konsequente Antwort: "meine Empfindungen" oder "mein Körper", bzw. "mein Gehirn".

Warum ich oder mein Gehirn bei Gelegenheit unseres Denkens uns doch nicht als Gehirne erleben, oder woher man weiß, daß "die sensations oder die höheren geistigen Funktionen das unmittelbare Ergebnis der jedesmaligen Gehirnzustände" sine, wird nicht erklärt. Wenn man aber "meine Empfindungen", "meinen Körper" oder "mein Gehirn" usw. mit "mir", dem doch "mein Körper" bzw. "mein Gehirn" gehören, identifiziert, so liegt natürlich das Zirkelkverfahren dabei klar vor Augen. Ebensowenig wird mit der Ausflucht von JAMES: "es denkt" oder "das Denken findet statt" gewonnen.

Mit diesen und ähnlichen Ausdrücken wird zwar die Tatsache des psychischen Geschehens etwas unbestimmter, aber doch nicht einfacher ausgedrückt, denn im Wörtchen "es" oder - wenn dies auch fehlte wie im Lateinischen - selbst in der flektierten Form des Verbums wird ein näher zu bestimmendes Subjekt des Denkens bereits angegeben; und das Denken findet, wiederholen wir, in Wirklichkeit nicht statt, sondern immer nur ein ganz bestimmtes Denken. Wir fragen dann hier sofort: "wer denkt?" oder "wessen Denken findet statt?" und auf diese Frage kann man nur richtig antworten, indem man das Subjekt des eigenen, einzig sich wirklich bekannten "Denkens" - wie man auch immer dieses Subjekt näher bestimmen mag - zunächst mit dem Wort "Ich" bezeichnet.

Aus dieser allgemeinsten und fundamentalsten psychischen Tatsache: "ich denke" kann man aber gar nichts über das selbständige Dasein von "Gedanken" folgern. Die Erscheinung des sogenannten Doppel-Ich berechtigt keineswegs zu der Annahme von "begrabenen Gedanken", denn die Tatsachen der abnormen Personalitäten lassen sich viel einfacher und überzeugender auf andere Weise erklären. Im Übrigen sind die abnormen psychischen Erscheinungen niemals Ausgangspunkt für die Erklärung des Normalen, sondern vielmehr umgekehrt: das Abnorme läßt sich erst aus dem richtigen Verständnis des Normalen verstehen; alle Wissenschaft des Abnormen setzt selbstverständlich die Wissenschaft des Normalen voraus. Selbst aber, wenn wir das Dasein solcher "Gedanken" annehmen würden, blieben für die fragliche Auffassungsweise nach unserer Meinung immer noch weitere unüberwundene und unüberwindliche Schwierigkeiten.

LITERATUR - Herbert Charles Sanborn, Über die Identität der Person bei William James, [Inauguraldissertation] Leipzig-Eutritzsch 1909
    Anmerkungen
    9) Mind, Januar 1885
    10) Demgemäß faßt JAMES im Wort activity "Tätigkeit" und "Bewegung" zusammen.
    11) Nach Analogie solcher Ausdrücke meint JAMES die Tatsache des psychischen Geschehens durch "es denkt" am einfachsten auszudrücken.
    12) Man wird an den bekannten Ausspruch FICHTEs bei EMERSON "I snow" erinnert.
    13) Wörterbuch, Artikel "es".
    14) Das "es" in den angeführten und ähnlichen Ausdrücken ist natürlich nicht mit dem für das logische Subjekt stehenden grammatischen Subjekt-Pronomen "es" - in solchen Ausdrücken wie "es zogen drei Burschen", "es braust ein Ruf" usw. - zu verwechseln.
    15) Vgl. WALT WHITMANs Erklärung: "Alle Wörter sind poetisch", nebst seinem Bestreben eine "demokratische Poesie" zu schaffen.
    16) Hätte HUME die volle Bedeutung der Gefühle und vor allem des Unbewußten im psychischen Leben erkannt, so hätte er ein reales kausales Band in der phänomenalen Welt nicht gesucht; er hätte wohl eingesehen, daß selbst die Tatsachen der Assoziation - auf die er richtig, wenn auch unvollständig und ohne deren eigentliche Bedeutung verstanden zu haben, die Entstehung der Ursächlichkeit für uns zurückführt - auf reale, den Bewußtseinsinhalten zugrunde liegende, psychische Vorgänge unmittelbar hinweisen, er hätte vielleicht in der Gewohnheit selbst ein weiteres Problem gefunden. "Gewohnheit überhaupt" oder auch die "Gewohnheit der Nerven und des Körpers" bei JAMES gibt es nicht, sondern immer nur die bestimmte Gewohnheit dieses oder jenes Individuums.
    17) Allerdings heißt es im Englischen dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zufolge: I feel blue, "ich bin verstimmt", I feel bitter toward him, "ich bin bitterböse auf ihn" und bei JAMES kommen die ungewöhnlichsten und auffallendsten Anwendungen dieses Wortes, wie z. B.: Somebody must feel blueness, vor.
    18) Je energischer man sich, nach dieser Auffassung, vom Bären entfernt, desto größer müßte der Schreck serden, und um denselben vollständig zu beseitigen, bräuchte man sich eigentlich nur unbeweglich verhalten. Um den traurigen Menschen wieder ganz glücklich zu machen, genügt es wohl auch ihn einfach zu kitzeln oder ihm auf andere Weise die betreffenden Körperempfindungen zu geben.
    19) Die von RICHARD MÜLLER abgegebene Erläuterung der Lehre JAMES' ("Philosophische Wochenschrift", Januar 1908, Seite 18) ändert in keiner Weise den wesentlichen Standpunkt dieser Auffassung. Versteht man unter "Weinen" nicht die Tränensekretion, sondern auch "den ganzen innermotorischen Mechanismus, die Tätigkeit der Blutgefäße, der Zirkulation, der Atmung usw.", so bleibt es wohl dabei, daß JAMES im Wort feeling doch zweierlei zusammenfaßt und grundsätzlich miteinander verwechselt.
    20) vgl. ADOLF LASSON, Der Leib, Berlin 1898.
    21) Die von vielen Psychologen hervorgehobene Tatsache, daß das Kind sich erst nach und nach "Ich" nennt, beweist natürlich gar nichts für die Entstehung seines Selbstbewußtseins.