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RICHARD HERBERTZ
Prolegomena zu einer
realistischen Logik


"Es gibt nur eine Welt für uns, nur eine Wirklichkeit. Wir ordnen nicht ein ideales Reich der Geltung und Wahrheit der realwirklichen Welt als zweite höhere Form bewußtseinstranszendenter Wirklichkeit über. Nur zu einer einzigen Welt kann sich unser Bewußtsein in Beziehung setzen."

"Sowenig es außer der einen Realität andere Welten des Möglichen, Tatsächlichen, Notwendigen gibt, die ihr über-, neben- oder untergeordnet wären, so wenig gibt es eine andere Welt dessen, was auch immer sein soll, ohne sein zu müssen, die der realen Wirklichkeit über-, neben- oder untergeordnet wäre. Es gibt keine ideale Welt, die wir Menschen in die reale Welt hineinarbeiten könnten und sollten."

"Man kann nicht oft genug betonen: Das Wirkliche läßt nichts in sich hineinarbeiten, sondern arbeitet vielmehr umgekehrt seine eigenen Bestimmtheiten in unser Bewußtsein hinein, seine Gegenständlichkeit in unser Vorstellen, sein Gelten, seine Normen usw. in unser fühlendes und wollendes Bewußtsein." [Kein Gott könnte es besser! - wp]

Die Verwurzelung des Wirklichen in einem Bewußtsein befleckt in jedem Fall den reinen Wirkklichkeitscharakter des Wirklichen, ob sie nun als psychologisches Faktum und im Hinblick auf ein empirisches individuelles Bewußtsein besteht oder als erkenntnistheoretisches Postulat gefordert wird."


Vorwort

"Den Grund, warum ein viereckiger Kreis nicht existiert,
gibt die Natur des Kreises selbst an, weil das nämlich
einen Widerspruch in sich schließen würde."

- Spinoza, Ethik I, 11


Das geflügelte Pferd, "das ich mir einbilde", kann ebensowenig zugleich ungeflügelt sein, wie das jetzt vor mir liegende weiße Stück Papier, das ich wahrnehme, zugleich nicht weiß sein kann. Das "Diese Ansicht, daß dasselbe sein und nicht sein kann, ist unmöglich." des ARISTOTELES gilt selbstverständlich ebensowohl und ganz im selben Sinn für sogenannte Einbildungsgegenstände, wie für Wahrnehmungsgegenstände. Die logischen Gesetzmäßigkeiten, die das Wirkliche beherrschen, sind völlig unabhängig von Ursprung und Beschaffenheit unserer Wirklichkeitserkenntnis. Die Logik Logik ist unabhängig von der Psychologie. Schon ARISTOTELES formulierte den zitierten, für die Logik grundlegenden "Satz des Widerspruchs" mit Beziehung auf das Sein selbst, nicht mit Beziehung auf unser Erkennen oder Denken des Sein.

Ein viereckiger Kreis ist ein "Widerspruch" und kann daher ebensowenig und aus dem gleichen Grund nicht - existieren wie ein hölzernes Eisen. Die logischen Gesetze gelten selbstverständlich ebensowohl und ganz im selben Sinn für sogenante ideale wie für reale Gegenstände. Sie sind völlig unabhängig von der durch die Rede von der "Idealität oder Realität des Gegebenen" bezeichneten Beziehung des Wirklichen auf das Bewußtsein.

Der Grund, weshalb das Widerspruchsvolle nicht sein und nur das Widerspruchslose sein kann, liegt im Wirklichen selbst, nicht im Denken. Widerspruch und Widerspruchslosigkeit bilden die Sprache, in der das Wirkliche zu uns redet, in der es uns mitteilt, was es ist und was es nicht ist. In diesen "Mitteilungen" finden wir die Kriterien des Wirklichen. "Rationem cur circulus quadratus non existat ipsa ejus natura indicat; nimirum qua contradictionem involvit." [Den Grund, warum ein viereckiger Kreis nicht existiert, gibt die Natur des Kreises selbst an, weil das nämlich einen Widerspruch in sich schließen würde.] Wenn auch diese Kriterien des Wirklichen "für unser Denken" bestehen, so sind sie doch nicht "in unserem Denken", sondern im Wirklichen begründet so wie die Worte, die ein Mensch zu uns spricht, zwar zu uns und für uns gesprochen sind, aber doch die Worte des Sprechenden bleiben.

Entsprechendes gilt für die Wahrheit. Nicht in unserem Denken ist die Norm des Wahren begründet, sondern im Wahren selbst, gemäß SPINOZAs klassischem Ausspruch: "sicut lux seipsam et tenebras manifestat, sic veritas norma sui et falsi est." [Wahrlich wie das Licht sich selbst und die Finsternis offenbart, so ist die Wahrheit die Norm ihrer selbst wie des Falschen.]

Daß danach Wahrheit und Wirklichkeit letzten Endes ein und dasselbe sind, kann dem nicht zweifelhaft bleiben, der sich von allen psychologischen Vorurteilen freigemacht hat.

All dies finde ich im Prinzip und in der Theorie von viele Logikern anerkannt, in der Praxis aber nirgends durchgeführt. Auch lehrten mich Erfahrungen als akademischer Lehrer, wie schwer es ist, den Standpunkt der "reinen" logischen Probleme - die reine Wirklichkeitsprobleme sind - aufrecht zu erhalten; wie schwer Verschlingungen mit den psychologischen Problemen der Wirklichkeits- und Wahrheitserkenntnis vermieden werden.

Ich muß gestehen, daß ich bei keinem der logischen und erkenntnistheoretischen Schrifsteller der Vergangenheit und Gegenwart solche Problemverschlingungen völlig vermieden gefunden habe. Auch nicht bei den "Realisten". Schon wer die "Realisierung des unmittelbar Gegebenen" fordert, begeht eine solche Verschlingung.

Mir scheint, daß diese Verschlingungen zuerst gelöst und damit der Boden für eine streng realistische Logik bereitet werden muß, wenn die in unseren Tagen so machtvoll vorwärtsstrebende realistische Weltanschauung Halt und Bestand gewinnen soll. Ohne eine solche feste logische Fundamentierung - die ich noch nirgendwo einwandfrei ausgeführt finde - schwebt der Realismus in der Luft.

Diese "Prolegomena" sollen die geforderte Vorarbeit leisten. Sie wollen nicht mehr als eine solche Vorarbeit sein, die speziell die Bedürfnisse der Studierenden befriedigen soll, welche sich in die realistische Logik einarbeiten und in der realistischen Weltanschauung zurechtfinden wollen. Entsprechend diesem Ziel ist die Darstellung möglichst einfach gehalten, ohne doch - wie ich hoffe - an der Oberfläche zu bleiben. Sie vermeidet das Eingehen auf schwierigere Spezialprobleme, ohne daß darunter - wie ich gleichfalls hoffe - die allgemeinen Grundprobleme leiden.

Die "Prolegomena" können nicht mehr als eine Vorarbeit sein. Die Hauptarbeit kann erst in Angriff genommen, die logischen Fundamente zum Aufbau des Realismus können erst gelegt werden, nachdem der Baugrund erworben und abgesteckt ist. Ich hoffe, in nicht allzu ferner Zeit die Fundamente, d. h. die realistische Logik selbst, den scharfen Kritikern dieser Prolegomena, die ich mit Bestimmtheit nicht nur aus idealistischem, sondern auch realistischem Lager erwarte, vorlegen zu können.



Einleitung

Diese Prolegomena zu einer realistischen Logik werden sich mit den Begriffen Wirklichkeit und Wahrheit sowie mit den hiermit in einem unmittelbaren Zusammenhang stehenden Problemen beschäftigen.

Die Notwendigkeit dieser Voruntersuchung ergibt sich aus meiner Definition der Logik als der Wissenschaft von Gegenständen, Sachverhalten und Beziehungen zwischen Sachverhalten.

Alle Gegenstände, Sachverhalte und Beziehungen zwischen Sachverhalten sind wirklich. Wahrheit ist etwas, was in Beziehung auf das Wirkliche besteht. Wahrheit ist ein Sachverhalt am Wirklichen. Die Logik ist also die "Wissenschaft vom Wirklichen", insofern sie Wissenschaft von Gegenständen, Sachverhalten und Beziehungen zwischen Sachverhalten ist. Sie ist "Wissenschaft vom Wahren", insofern die Wahrheit ein Sachverhalt am Wirklichen ist.

Nur wer diese letzten Sätze anerkennt, kann sich meine realistische Definition der Logik zu eigen machen.

Bevor ich daher - in einem besonderen Buch - an den Aufbau des Systems der Logik gehen darf, muß ich jenen Sätzen Anerkennung verschaffen suchen. Ich bin gewiß, daß die überwiegende Mehrzahl der Leser diese Sätze und jene Definition zunächst energisch bestreiten werden.

Ich will versuchen, die realistische Definition der Logik zu erläutern und zu rechtfertigen.


A. Erläuterung

Ich sage: die Logik ist die Wissenschaft von Gegenständen usw. Ich lasse also die Beschaffenheit der Gegenstände völlig unbestimmt. Das heißt: ich bestimme nicht, um was für Gegenstände es sich handeln soll, weder im Allgemeinen noch im Besonderen. Die allgemeine Unbestimmtheit des Gegenstandes unterscheidet die Logik von der Erkenntnistheorie, die besondere Unbestimmtheit unterscheidet sie von allen Einzelwissenschaften.

Die Erkenntnistheorie untersucht nämlich, welche allgemeinen Beschaffenheiten die Gegenstände haben, insofern alle Einzelwissenschaften in gemeinsamer Weise mit ihnen zu tun haben. Sie findet etwa, daß es alle Wissenschaften von Tatsachen (Natur- und Geisteswissenschaften) zu tun haben mit Dingen, die im Raum vorhanden sind, bei denen sich in der Zeit Vorgänge abspielen, die in einem durchgreifenden Kausalzusammenhang miteinander stehen und dgl. Sie untersucht dann das Ding, den Raum, die Zeit, den Vorgang, den Kausalzusammenhang usw. gemäß den ihr eigentümlichen Fragestellungen, Methoden und Zielen (die zu erläutern nicht dieses Ortes ist). Während also die Logik die Gegenstände usw. untersucht unabhängig von ihrer Beschaffenheit überhaupt, untersucht die Erkenntnistheorie die Gegenstände unabhängig von ihren besonderen Beschaffenheiten.

Gerade auf diese letzteren aber richten die Einzelwissenschaften ihr Augenmerk. Die Physik z. B. erforscht die Dinge, welche die besondere Eigenschaft haben, ein Volumen und eine Masse (d. h. Körperlichkeit) zu besitzen. Sie erforscht die Bewegungen dieser Dinge im Raum, sucht deren Gesetzmäßigkeiten zu ermitteln usw. Die Psychologie z. B. erforscht die Vorgänge, welche die besondere Beschaffenheit haben, seelischer Natur zu sein. Sie sucht die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten dieser besonderen Vorgänge zu ermitteln. So läßt die Definition jeder Einzelwissenschaft die Besonderheit eben der Wirklichkeit erkennen, über die diese Einzelwissenschaft von begründeten Behauptungen aufzustellen sucht.

Ich hätte auch sagen können: die Logik ist die Wissenschaft von den Gegenständen und Sachverhalten ansich, unabhängig von deren allgemeinen oder besonderen Beschaffenheiten. Diese Ausdrucksweise habe ich aber nicht gewählt, um jedes Hineinziehen des Ding-ansich Problems (im Sinne KANTs) zu vermeiden. Dieses Problem kann hier völlig ausgeschaltet werden.

Ebenso habe ich absichtlich den Ausdruck: "Wissenschaft von den Gegenständen im Allgemeinen" vermieden. Denn die Begriffe "allgemein" und "abstrakt" werden von einer traditionellen, bis auf ARISTOTELES zurückgehenden Auffassung als Wechselbegriffe angesehen. So würde es naheliegen, zu glauben, die Logik habe es mit den "abstrakten Gegenständen" und damit mit der Abstraktion zu tun. Das Problem der Abstraktion ist aber nach meiner Überzeugung ein rein psychologisches Problem, mit dem die Logik nicht das Geringste zu tun hat.

Die überlieferte (psychologisierende) Logik spricht von Gegenständen des Denkens statt von wirklichen Gegenstände, von Urteilen statt von Sachverhalten, von Schlüssen statt von Beziehungen zwischen Sachverhalten. Weshalb ich stattdessen die ersteren Ausdrücke in meine Definition aufgenommen habe, soll klar werden aus der


B. Rechtfertigung,

die ich dieser Definition zu geben mich bemühen will.

Die überlieferte Logik spricht, wie gesagt, von Denkgegenständen, Urteilen, Schlüssen und untersucht dann die "formalen Bedingungen gültigen Denkens, Urteilens und Schließens." Sie findet gewisse Normen der Gültigkeit des Denkens. Ich gehe der Reihe nach ein auf die Ausdrücke a) formal, b) Bedingung, c) gültig, d) Norm.


Formal.

JEVONS sagt in seinem Leitfaden der Logik:
    "Wenn wir nun eine neue Definition der Logik einführen und sagen, daß sie die Wissenschaft von den notwendigen Formen des Denkens ist, so wird der Leser, wie ich hoffe, den Sinn des Ausdruckes notwendige Formen des Denken klar aufzufassen imstande sein. Eine Form ist etwas, das gleich und unveränderlich bleibt, während sich die in diese Form gebrachte Materie ändern mag. Münzen, die mit dem gleichen Stempel geschlagen werden, haben genau die gleiche Form, können aber aus verschiedenen Stoffen sein, wie aus Bronze, Kupfer, Gold und Silber. Ein Gebäude von genau derselben Form kann aus Stein oder aus Ziegeln gebaut, Möbel derselben Gestalt aus Eichen-, Mahagoni- oder Nußholz verfertigt sein. Geradeso wie wir ohne weiteres den Unterschied zwischen Form und Substanz an den Gegenständen des täglichen Lebens wahrnehmen, können wir auch in der Logik bemerken, daß die Form eines Gedankens etwas ist, das von den verschiedenen Inhalten oder Materien, die in dieser Form behandelt werden können, sich völlig unterscheidet." (1)
Der englische Logiker beabsichtigt, mit diesem Vergleich den Unterschied der formalen von der formalistischen Logik anschaulich zu machen. Die formalistische Logik bleibt steril, weil sie Formen ohne Inhalt betrachtet. Die formale Logik dagegen erkennt, daß die Form ohne Inhalt völlig "leer" ist und daß es daher niemals eine fruchtbare, unsere Erkenntnis fördernde "Wissenschaft von den reinen Denkformen" geben kann. Wenn der formale Logiker auch von jedem besonderen Inhalt der Denkformen absieht, so betrachtet er darum doch nicht leere, inhaltlose Formen. Er betrachtet vielmehr die Form am Inhalt, so wie wir auch die gleiche Form eines Stuhles am Holz oder am Eisen, eines Hauses am Stein oder am Ziegel, kurz bei allen Sinnendingen gleiche Formen am wechselnden Stoff erkennen können. Formen ohne Rücksicht auf den Inhalt betrachten, heißt nicht Formen ohne Inhalt betrachten.

Wir aber wollen noch weiter gehen, indem wir diesen Vergleich besser zu verstehen suchen, als JEVONS ihn selbst verstanden hat. Der Vergleich soll uns erläutern, in welchem Sinn allein die Logik als formale Wissenschaft bezeichnet werden kann.

Ich unterscheide zu diesem Zweck Inhalt und Beschaffenheit eines Gegenstandes. Der Inbegriff der Merkmale eines Gegenstandes ist sein Inhalt. Der Inbegriff der besonderen Bestimmtheiten dieser Merkmale ist seine Beschaffenheit. Der wirkliche Gegenstand überhaupt, den die Logik untersucht, hat einen Inhalt. Der besondere wirkliche Gegenstand, den die Einzelwissenschaft untersucht, hat eine Beschaffenheit.

Durch die Tatsache, daß ein Gegenstand einen Inhalt hat, der im Begriff seiner Merkmale besteht, sind gewisse Gesetzmäßigkeiten gegeben. So z. B. die Gesetzmäßigkeit, daß ein Merkmal nicht sowohl zum Inhalt eines Gegenstandes gehören als auch nicht gehören kann; oder daß ein Merkmal stets entweder zum Inhalt eines Gegenstandes gehört oder nicht gehört, eine dritte Möglichkeit aber ausgeschlossen ist. Diese Gesetzmäßigkeiten stellt die Logik fest. Sie formuliert die Gesetzmäßigkeit des ersten Beispiels im "Satz vom Widerspruch", die des zweiten im "Satz vom ausgeschlossenen Dritten".

Durch die Tatsachhhe, daß ein Gegenstand eine Beschaffenheit hat, die im Inbegriff der besonderen Bestimmtheiten seiner Merkmale besteht, sind gewisse besondere Gesetzmäßigkeiten gegeben. Besteht z. B. die Beschaffenheit eines Gegenstandes darin, daß er die besonderen Merkmale hat, den Raum zu erfüllen und Maße zu besitzen (wir nennen ihn dann einen "Körper"), so herrscht die besondere Gesetzmäßigkeit, daß dieser Gegenstand einen anderen von gleicher Beschaffenheit (einen anderen Körper) anzieht mit einer einer Kraft, die direkt proportional seiner Masse usw. ist. Diese Beschaffenheit der Gegenstände un die aus ihr sich ergebenden besonderen Gesetzmäßigkeiten stellt eine bestimmte Einzelwissenschaft fest: die Physik. Sie formuliert z. B. das sogenannte Gravitationsgesetz.

Im Gegensatz zu JEVONS meine ich nun, daß es eine Form der Gegenstände, die man zwar nur am Inhalt, aber doch ohne Rücksicht auf diesen Inhalt betrachten kann, nicht gibt. Die Logik kann nicht in diesem Sinne eine formale Wissenschaft genannt werden. Dagegen gibt es freilich Gegenstände ohne Beschaffenheit. Der Ausdruck "es gibt" solche Gegenstände, soll nur bedeuten: Sie sind etwas Wirkliches, etwas genauso Wirkliches, wie die Gegenstände mit besonderen Beschaffenheiten, die die Einzelwissenschaften untersuchen.

Nennt man nun eine Betrachtungsweise "formal", die sich auf diese Gegenstände ohne Beschaffenheit und auf deren Inhalt, dagegen nicht auf die irgendwie beschaffenen Gegenstände richtet, dann freilich ist die Logik eine "formale" Disziplin.

Man wird mir nun einwenden, daß es Gegenstände ohne jede Beschaffenheit nicht wirklich gibt, daß wir nur die Gegenstände unabhängig von ihren Beschaffenheiten betrachten können. Der beschaffenheitslose "Gegenstand überhaupt" aber wird gewonnen, er "entsteht" durch logische Abstraktion, er ist ein Erzeugnis unseres Denkens, nichts Wirkliches.

Dieser Einwand begeht den Fehler, die psychischen Prozesse, durch welche wir zur Erkenntnis des Wirklichen gelangen, als maßgebend für dieses Wirkliche selbst anzusehen. Gewiß, wir können einen Gegenstand ohne Beschaffenheit nicht mit den Händen greifen und nicht mit den Augen sehen. Wir können keine Erkenntnis aufgrund von Sinneswahrnehmungen von ihm gewinnen. Das, was wir an Erkenntnissen von ihm gewinnen, gewinnen wir durch Abstraktion, durch Denken. Aber die Wirklichkeit eines Gegenstandes hängt nicht von den Erkenntnismitteln ab, die uns ihm gegenüber zur Verfügung stehen. Nur durch die Vorurteile der vorwissenschaftlichen, praktischen Weltanschauung, die durch die heute herrschende psychologisierende Betrachtungsweise der meisten Wissenschaften noch erheblich verstärkt werden, werden wir verleitet, unsere Erkenntnismittel zum Maßstab des Wirklichen zu machen. Dabei geben wir der Sinnes- und Selbstwahrnehmung den Vorzug. Dasjenige halten wir für wirklich, woran diese beiden Erkenntnismittel heranreichen. Dasjenige, demgegenüber diese Mittel versagen, existiert nur "als Abstraktion", nur "in unserem Denken". Tatsächlich ist es nicht nur unzulässig, allein die Gegenstände möglicher Sinnes- oder Selbstwahrnehmung als "wirklich" anzuerkennen, sondern es ist überhaupt unstatthaft, das Zureichen oder Versagen unserer Erkenntnismittel zum Kriterium des Wirklichen zu machen.

Eine solche Auffassung begeht den Fehler des prius posterius [das Spätere zuerst - wp]. Sie glaubt, daß nur dasjenige wirklich ist, was wir irgendwie erkennen können, während wir tatsächlich umgekehrt nur dasjenige irgendwie erkennen können, was wirklich ist. Und zwar besteht diese Priorität des Wirklichen im Vergleich zu unserer Erkenntnis in gleicher Weise gegenüber jedem Erkenntnismittel, d. h. ebenso gegenüber dem sinnlichen Erkennen wie gegenüber dem abstrakten Erkennen und dem Denken. Wir können ein schwarzes Sinnending, das weiß ist, ein hartes Sinnending, das weich ist, niemals sehen bzw. tasten, weil es solche Sinnendinge nicht gibt, weil sie nicht wirklich sind. Es ist ein prius posterius, zu meinen, daß es solche Dinge nicht wirklich gibt, weil wir sie nicht sehen oder tasten können. Wir können einen viereckigen Kreis niemals denken, keine abstrakte Vorstellung von ihm gewinnen, weil ein Kreis "in Wirklichkeit" rund und nicht viereckig ist, weil es viereckige Kreise nicht gibt, weil sie nichts Wirkliches sind. es ist ein prius posterius, zu meinen, daß es viereckige Kreise nicht gibt, weil wir sie nicht denken, keine abstrakte Vorstellung von ihnen gewinnen können.

Ich weiß, daß die Argumentation vom "wirklichen Gegenstand ohne Beschaffenheit" energishen Widerspruch von Seiten des sogenannten "gesunden Menschenverstandes" begegnet, weil ihr alle Vorurteile des vorwissenschaftlichen und des wissenschaftlichen Lebens entgegenstehen. Man sagt: Gegenstände ohne Beschaffenheit können wir niemals wahrnehmen, niemals erkennen. Also gibt es sie nicht. Hiergegen sage ich. Wir Menschen sind erkennende Wesen und erliegen dem fast unwiderstehlichen Zwang, das Wirkliche anthropopatisch [menschlich-leidenschaftlich - wp] von unseren Erkenntnismöglichkeiten abhängig zu machen. Es ist die fast bis zur Hoffnungslosigkeit schwierige Aufgabe der realistischen Logik, diesem Zwang und Vorurteil entgegenzuwirken. Ein Hauptanteil dieses Buches wird dem Versuch gewidmet sein, die unter dem Einfluß dieses Zwanges und Vorurteils in der Philosophie üblich gewordene Verschlingung der Probleme des Wirklichen und unserer Erkenntnis dieses Wirklichen zur Lösung zu bringen.

Man pflegt zu sagen: In Wirklichkeit gibt es nur irgendwie beschaffene Dinge, z. B. rote, wohlduftende, langgestielte Rosen und dgl., dagegen keine "Gegenstände überhaupt". Sehe ich bei der Rose von all den besonderen Merkmalen ab, die ihre Beschaffenheit ausmachen, "abstrahiere" ich von einem rot, wohlduftend, langstielig usw., so ist das Ding, das Etwas, der Gegenstand, der dann "übrig bleibt", nichts Wirkliches mehr, sondern eine Abstraktion. Ich werde auf diesen Einwand später ausführlich eingehen, wenn ich die Verschlingung des psychologishen Problems der Abstraktion (des Begriffs, der abstrakten und allgemeinen Vorstellung usw.) mit dem Wirklichkeitsproblem behandeln werde. Für den Augenblick will ich nur die spezielle Behauptung berücksichtigen, daß im Reich dieser sogenannten Abstraktionen nicht mehr die realen Gesetzmäßigkeiten herrschen sollen, die wir im Wirklichen ermitteln, sondern die logischen Gesetzmäßigkeiten, die die "Gültigkeit" unseres Denkens bedingen. Die Logik aber soll eben die Wissenschaft von den (formalen) Bedingungen dieses gültigen Denkens sein. Damit komme ich auf die zweite Frage, die nach den


Bedingungen,

denen unser Denken unterworfen ist.

Unter der Bedingung eines Vorgangs verstehen wir einen Umstand, ohne den dieser Vorgang nicht stattfinden kann. Wenn auf einen Vorgang a regelmäßig unmittelbar ein Vorgang b folgt, so nennen wir a die Ursache, b die Wirkung. Wir haben ferner Anlaß, vorauszusetzen, daß alle Vorgänge in einem durchgreifenden Zusammenhang von Ursache und Wirkung (Kausalzusammenhang) stehen. Wir können daher unsere Definition der Bedingung auch so formulieren: Die Bedingung eines Kausalzusammenhangs ist ein Umstand, ohne den dieser Kausalzusammenhang nicht stattfinden kann.

Fragen wir uns nun: Welches sind die Bedingungen eines kausalen Zusammenhangs unseres Denkens? Welches sind die Bedingungen, ohne die die regelmäßige unmittelbare Aufeinanderfolge zweier Denkvorgänge b und a nicht stattfinden kann? Über die Natur dieser Bedingungen haben Rationalisten und Empiristen miteinander gestritten. Die Rationalisten glaubten hier an einen "denknotwendigen", analytisch-rationalen Zusammenhang, die Empiristen dagegen machten die (speziell kausale) Bedingtheit unserer Denkzusammenhänge von deren Ursprung abhängig und glaubten an ein aus erfahrungserzeugter Gewohnheit stammendes Geltungsbewußtsein (belief bei HUME).

Wie man aber auch über diese Natur der Bedingungen unseres Denken denken mag, eines ist sicher: es sind psychische Bedingungen. Die Umstände, ohne die unsere Denkvorgänge nicht stattfinden können, sind - ob sie nun von rationalem oder nur von empirischem Ursprung und Rechtsgrund sein mögen - jedenfalls in unserem (bewußten oder unbewußten) Seelenleben selbst begründet. Hier gibt es nur eine "intrapsychische Kausalität". Zumindest so weit die formalen Bedingungen unseres Denkens in Frage kommen, mit denen es angeblich die Logik zu tun haben soll. Ich will hier nicht auf die ungeheuer schwierigen Probleme eingehen, ob es eine physische oder physiologische Bedingtheit oder Teilbedingtheit der psychischen Prozesse, ob es eine "psychophysische Wechselwirkung" gibt. Ich kann und will hier dieses "ewige Problem" nicht untersuchen, geschweige denn entscheiden. Nehmen wir aber einmal an, daß es wirklich eine derartige bewußtseinstranszendente Bedingtheit oder Teilbedingtheit unseres Denkens gibt, so kommt diese Bedingtheit nur für den Inhalt, nicht für die Form dieses Denkens in Frage. Unsere Denkinhalte werden vielleicht durch bewußtseinstranszendente Wirklichkeiten bestimmt. Das heißt: wenn ich jetzt denke: "Der Baum in meinem Garten ist grün", so hat der besondere Inhalt dieses meines Denkens (Das: "Grünsein-des-Baumes-in-meinem-Garten"-Denken) nichtpsychische, "bewußtseinstranszendente" Bedingungen. Eine Teilbedingung ist der wirkliche Gegenstand oder Sachverhalt, an den ich denke: die Tatsache, daß ein Baum tatsächlich in meinem Garten steht und daß dieser Baum tatsächlich grün ist; eine andere Teilbedingung liegt - vielleicht! - in gewissen physiologischen Prozessen innerhalb meines Zentralnervensystems, in den Prozessen, die man gewöhnlich die "physiologischen Korrelate" jenes Denkvorganges nennt. Sicher aber ist, daß eine bewußtseinstranszendente Teilbedingung eines Bewußtseinsvorgangs nur eine Bedingung des Inhaltes, nicht aber der Form dieses Bewußtseinsvorganges sein könnte. Der Ausdruck "Form" eines Denkvorgangs kann nur den Sinn von Etwas haben, das - mit JEVONS' Worten zu sprechen - "gleich und unveränderlich bleibt, während sich die in diese Form gebrachte Materie ändern mag." Gerade dieses Etwas aber, das in unserem Denken gleich und unverändert bleibt, gerade diese sogenannte Form, kann nur intrapsychisch bedingt sein und daher nur von der Psychologie ermittelt werden.

Um uns von dieser gleich und unverändert bleibenden Form einen Begriff machen zu können, müssen wir künstlich unterscheiden, was in Wirklichkeit stets untrennbar miteinander verbunden ist: psychischen Inhalt und psychische Funktion. Ich denke "an" den Baum in meinem Garten; dann ist in diesem besonderen Fall der Inhalt meines Denkens gekennzeichnet dadurch, daß es eben ein Baumdenken ist (im Gegensatz etwa zu einem Stuhldenken oder Bergdenken usw.). Die Funktion dagegen ist dadurch gekennzeichnet, daß es sich um ein Baumdenken handelt (im Gegensatz etwa zu einem Baumwahrnehmen, Baumerinnern usw.). CARL STUMPF hat in seinen klassischen Untersuchungen über "Erscheinungen und psychische Funktionen" (2) diese Unterscheidung zwischen Inhalt und Funktion gemacht. Er glaubt den psychischen Inhalten eine besondere Wirklichkeit als "Erscheinungen" vindizieren zu müssen, die in gewissem Sinn und Grad unabhängig ist von den Funktionen als psychischen Akten, Zuständen, Erlebnissen. Dadurch wird eine besondere Wissenschaft von diesen in den Bewußtseinsinhalten gegebenen Erscheinungen, eine besondere "Phänomenologie" notwendig, die ebensowenig mit der Psychologie - als Wissenschaft von den psychischen Funktionen - wie mit der Physik und den sonstigen Wissenschaften von den bewußtseinstranszendenten Gegenständen identisch ist. Ich werde später zeigen, weshalb ich glaube, daß eiine solche Phänomenologie nur da für notwendig gehalten werden kann, wo man in den idealistischen Vorurteilen im Wirklichkeitsproblem befangen bleibt, daß dagegen der konsequente Realist der Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Funktionen und damit einer besonderen Phänomenologie entraten kann. Ich glaube, daß Stuhldenken (Inhalt) und Stuhldenken (Funktion) ein und dieselbe (psychische) Wirklichkeit sind, daß es sich hier nicht um verschiedene Wirklichkeiten, sondern nur um verschiedene Seiten ein und derselben (psychischen) Wirklichkeit handelt. Eine besondere Phänomenologie, als Wissenschaft von den Erscheinungen, neben der Psychologie, als Wissenschaft von den Funktionen, erscheint mir also unnötig. Wie man aber auch hierüber denkt: sicher ist, daß nur die psychische Funktion, also nach meiner Auffassung die funktionelle Seite des Bewußtseinserlebnisses, als Form angesehen werden könnte. Gerade diese Funktion aber, die angeblich gleich bleiben kann, während ihre Inhalte (die "Erscheinungen" STUMPFs) wechseln, - gerade diese Funktion, also die Form unserer Bewußtseinserlebnisse, ist rein psychisch bedingt. Sie zu untersuchen kann lediglich Aufgabe der Psychologie sein. Wenn es also besondere formale Bedingungen unseres Denkens gibt, so sind gerade diese sicher psychischer Natur, und die Ermittlung ihrer Gesetzmäßigkeiten ist Sache der Psychologie, nicht der Logik. Die inhaltlichen Bedinungen meines Denkens mögen bewußtseinstrandzendenter Natur sein, die formalen Bedingungen sind sicher bewußtseinsimmanenter Natur und ihre Untersuchung ist und bleibt damit Sache der Psychologie, nicht der Logik.

Aber man wird mir einwenden, daß die Logik ja nicht die formalen Bedingungen des Denkens schlechthin, sondern die formalen Bedingungen des gültigen Denkens untersuchen soll. Damit wird die Problemstellug von grundauf verschoben, und eben diese Verschiebung bedeutet die Umbiegung des Problems der "Bedingungen unseres Denkens" aus dem Psychologischen ins Logische. Damit komme ich zum dritten der drei zu diskutierenden Termini:


gültig.

KANT sagt an einer klassischen Stelle der "Kritik der reinen Vernunft" (zweite Auflage, Seite 116):
    "Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage über das, was Rechtens ist (quid juris), von der, die die Tatsachen angeht (quid facti); und indem sie von beiden einen Beweis fordern, so nennen sie den ersteren, der die Befugnis oder auch den Rechtsanspruch darlegen soll, die Deduktion."
Diese Ausdrucksweise aufgreifend können wir sagen, daß nach überlieferter Auffassung die Logik die Rechtsansprüche unseres Denkens deduziert, während die Psychologie die Tatsachen unseres Denkens aufweist und deren Gesetzmäßigkeiten ermittelt. Durch diese verschiedene Art der Fragestellung soll nun der grundlegende Unterschied zwischen Psychologie und Logik vermieden sein. Indem die Logik frägt, unter welchen formalen Bedingungen unser Denken gültig ist und diese Bedingungen deduziert, erweist sie sich als selbständige, von der Denkpsychologie grundverschiedene Wissenschaft.

Ich bin nun der Ansicht, daß eine jede Wissenschaft gekennzeichnet wird einmal durch die Gegenstände, welche sie zu erkennen strebt, und über welche sie begründete Behauptunen aufzustellen trachtet, und zweitens durch die Methoden, deren sie sich hierbei bedient. Dabei wird stets und notwendigerweise die Methode durch den Gegenstand vorgeschrieben, sie ist durch ihn bedingt. Weil z. B. die Gegenstände der Rechtswissenschaft von denen der medizinischen Wissenschaft verschieden sind, deshalb müssen auch die Methoden rechtswissenschaftlichen und medizinischen Erkennens und Forschens verschieden sein. Wenn man hiergegen einwendet, daß sich auch ein und derselbe Gegenstand in verschiedenen Wissenschaften "von verschiedenen Gesichtspunkten aus" betrachten läßt, so ist zu erwidern, daß es sich alsdann nur scheinbar um "denselben" Gegenstand handelt. Die Übereinstimmung ist dann nur eine solche der Benennung, sie besteht also nur in Worten. Die genau logische Analyse ergibt die sachliche Verschiedenheit des gleich Benannten. Der Edelsteinhändler weiß, daß ein gewisser glänzender wertvoller Edelstein Diamant "heißt", und er nennt ihn dementsprechend so. Der Chemiker nennt eine bestimmte allotropische Modifikation des Kohlenstoffs mit dem gleichen Namen, der Mineraloge einen bestimmten Kristall. "Milch" ist der gemeinsame Name eines bestimmten Naturprodukts, einer bestimmten Ware, eines bestimmten Nahrungsmittels. Man wird entgegnen, daß es sich hier doch nicht nur um dieselben Namen, sondern auch um dieselben "wirklichen" Dinge handelt; denn es ist doch "derselbe" Diamant, den der Edelsteinhändler, der Chemiker und der Mineraloge, "dieselbe" Milch, die der Naturforscher, Händler, Nahrungsmittelchemiker betrachten - nur "von verschiedenen Gesichtspunkten aus", nur "innerhalb verschiedener Ordnungsreihen des Denkens". Ich frage hiergegen: Wie wird diese behauptete Dieselbigkeit festgestellt, welches ist ihr Kriterium? Man antwortet mit einem Hinweis auf unsere hier in Frage kommenden Erkenntnisquellen. Der Edelsteinhändler hat dasselbe Glanzwahrnehmen, Hartwahrnehmen usw. von seinem Gegenstand wie der Chemiker, der Mineraloge. Naturforscher, Händler und Nahrungsmittelchemiker haben dasselbe Weißwahrnehmen, Flüssigwahrnehmen usw. von ihrem Gegenstand. Daher sagen sie: es ist "derselbe", Diamant bzw. Milch genannte Gegenstand, den wir untersuchen - nur von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Ich entgegne: diese Argumentation begeht den ebenso üblichen wie verhängnisvollen Fehler, den Ursprung unserer Erkenntnis des Wirklichen zum Kriterium dieses Wirklichen selbst zu machen. Tatsächlich hat die (übrigens auch nur vermeintliche!) Gleichheit des Hartwahrnehmens, Glanzwahrnehmens usw., bzw. des Weißwahrnehmens, Flüssigwahrnehmens usw. verschiedener Bewußtseinsindividuen nichts zu tun mit der Gleichheit wirklicher Gegenstände. Ein Gegenstand ist logisch gekennzeichnet durch seinen Inhalt, d. h. durch den Inbegriff der in ihm in logischer Immanenz enthaltenen Merkmale, und nach dem Satz der Identität ist "glänzender wertvoller Edelstein" nur völlig inhaltsgleich mit "glänzender wertvoller Edelstein", dagen verschieden von "allotrophische Modifikation des Kohlenstoffs" und von "kristallisierter Kohlenstoff" usw. Alle drei Gegenstände sind, ihren verschiedenen Inhalten entsprechend verschieden wirkliche Gegenstände. Gleiche Namen, die verschiedene Menschen benutzen, und (angeblich) gleiche Wahrnehmungsinhalte, die sie haben haben mit dieser Wirklichkeitsfrage nicht das Geringste zu tun.

Für die Beziehung zwischen Logik und Psychologie ergibt sich aus dieser Betrachtung Folgendes: Entweder diese beiden Wissenschaften haben denselben Gegenstand: das Denken - und dann sind sie gar nicht zwei verschiedene Wissenschaften, sondern nur eine. Die Art der Fragestellung allein kann eine Verschiedenheit nicht bewirken. Oder aber sie haben verschiedene Gegenstände. Dann kann der Gegenstand der Logik nicht das Denken - auch nicht das gültige Denken und dessen formale Bedingungen - sein. Denn das Denken ist und bleibt - mag es nun gültig oder ungültig und mag es in seiner Gültigkeit wie auch immer, formal und material, bedingt sein - eine besondere Art der Bewußtseinsvorgänge. Und die Wissenschaft, welche die Bewußtseinsvorgänge zum Gegenstand ihrer Forschung macht, ist und bleibt die Psychologie.

Aber die Vertreter der Ansicht, daß die Logik die Wissenschaft von den formalen Bedingungen des gültigen Denkens ist, meinen im Grunde auch gar nicht, daß einzig und allein die Art der in Bezug auf das Denken erhobenen Fragestellung (quid juris? statt quid facti?) den Unterschied zwischen Logik und Psychologie ausmacht. Sie meinen dies nicht, auch wo sie es in Worten sagen. Sie fühlen vielmehr sehr wohl die Wahrheit, daß nur eine wirkliche Verschiedenheit der Gegenstände auch eine wirkliche Verschiedenheit der beiden Wissenschaften begründen könnte. Daher unterstellen sie, daß die Veränderung in der Art der Fragestellung zugleich auch die Gegenstände verändert. Da nun das Denken der Gegenstand der psychologischen Forschung ist, so muß für die logische Forschung, die nach den Bedingungen der Gültigkeit dieses Denkens fragt, ein neuer Gegenstand gefunden werden. Diesen Gegenstand nennen sie dann die


Norm des Denkens.

Die Logik soll im Gegensatz zur Tatsachenwissenschaft der Psychologie eine formale und "normative" Wissenschaft sein. Ihr Gegenstand soll nicht der psychische Prozeß des Denkens, weder nach dessen inhaltlicher noch nach dessen funktional-formaler Seite, sondern der Inbegriff der Normen des (gültigen) Denkens sein. Diese Einführug eines neuen Gegenstandes für die logische Forschung hat nun überaus weitreichende Folgen. Diese Folgen sind entschieden hervorgehoben worden von WINDELBAND, für den die ganze Philosophie zur "kritischen Lehre von den Normen, die von diesem Denker entwickelt wird. Ich gehe daher auf die Lehre von den Normen, die von diesem Denker entwickelt wird, schon hier, Späteres vorbereitend, mit einigen Worten ein. Wer in den Normen einen besonderen Gegenstand besonderer wissenschaftlicher - nämlich philosophischer - Forschung, also auch eine besondere Art der Wirklichkeit sieht, gerät in die prekäre Lage, die tatsächliche Existenz dieser Wirklichkeit aus der psychischen Natur des Menschen ableiten zu müssen. Denn diese Normen sind und bleiben doch, trotz ihres angeblich überindividuellen Charakters, trotz aller angeblichen Unabhängigkeit der logischen Werte vom wertenden Individuum, - Normen des Denkens. Und das Denken ist und bleibt ein psychologischer, also von der psychischen Natur des Menschen abhängiger Prozeß. Daher geht auch WINDELBAND, in seiner "Einleitung in die Philosophie" (3), bei dem Versuch, uns in jene angeblich schon von PLATO gesuchte "andere Welt" einzuführen, die immer sein soll, ohne sein zu müssen, von einer Analyse der psychischen Natur des Menschen aus. Der Mensch ist
    "nicht nur ein vorstellendes, sondern wollendes und handelndes Wesen, nicht nur Trieb- und Bewegungsmaschine, sondern ein von Urteilen bewegter Organismus. Schon das Urteilen selbst, worin alles Erkennen besteh (?), ist ein Akt, bei welchem Vorstellung und Wollen zusammen tätig sind. Alle unsere Einsichten setzen sich von selbst in Wertauffassungen und Willensmotive um: und andererseits verlangt unser Wollen, wenn nicht Einsichten, so zumindest Ansichten als seine Bestimmungsgründe." (4)
Obgleich nun hier mit aller Deutlichkeit gesagt ist, daß unsere Wertauffassungen ihren psychologisch leicht ermittelbaren Ursprung in der aus Erkennen und Wollen zusammengesetzten Natur unserer Seele haben, soll es doch die Grundaufgabe der Philosophie sein, das "Geltende", das doch nur für und durch diese psychisch bedingten Wertauffassungen besteht, "in das Wirkliche hineinzuarbeiten". Ich bin der Ansicht, daß das Wirklichee nicchts "in sich hineinarbeiten" läßt. Es kümmert sich nicht darum, ob unsere menschlichen Einsichten sich in Wertauffassungen umsetzen, die die Erfüllung gewisser Normen "fordern". Wir können lange fordern, das Wirkliche kümmert sich nicht darum. Es stellt vielmehr umgekehrt an uns und unser erkennendes und denkendes Bewußtsein seine Forderungen. Unser Denken könnte so lange fordern, wie es will, daß der Kreis rund und nicht viereckig ist, wenn der Kreis nicht wirklich rund und nicht viereckig wäre, würde unsere Forderung unerfüllt, unser Versuch, das unserer Forderung gemäß "Geltende" in die Wirklichkeit hineinzuarbeiten, vergeblich bleiben. Wollen wir hier überhaupt von "Forderungen" sprechen, so können wir höchstens umgekehrt behaupten, daß das Wirkliche an uns, an unser erkennendes und denkendes Bewußtsein mit seinen Forderungen herantritt und daß wir diesen Imperativen der Tatsachen gehorchen sollen und gehorchen müssen. Weil der Kreis in Wirklichkeit nicht viereckig, sondern rund ist, deshalb sollen und müssen wir ihn uns auch als rund, deshalb dürfen, ja können wir ihn uns nicht als viereckig denken. Sollen und Müssen sind beide im Wirklichen selbst, nicht im Denken begründet, und zwar beide in gleicher Weise und im gleichen Sinn. Nichts berechtigt, hier zwischen der Sollwirklichkeit und der Mußwirklichkeit einen generischen Unterschied zu machen und ersterer eine Vorzugsstellung hinsichtlich ihrer Bedeutung für unser Erkennen einzuräumen.

Das Wirkliche läßt die Normen nicht in sich hineinarbeiten, sondern es arbeitet umgekehrt seinerseits - sit venia verbo [Man verzeihe mir dieses Wort. - wp] - die Normen in uns, d. h. in unser Bewußtsein hinein. Dort führen sie dann als Denknotwendigkeiten, Denkpostulate, Zustimmungsbewußtsein, Anerkennungs- oder Geltungsbewußtsein oder dgl. ein bewußtseinsimmanentes psychisches Dasein. Durch das Sichberufen auf ein in die Wirklichkeit hineinzuarbeitendes Geltendes kommt man also über den psychologistischen Standpunkt in Logik und Erkenntnistheorie nicht hinaus. Es bleibt dagegen noch ein anderer Ausweg. Wenn sich das Wirkliche diese Hineinarbeitung der Normen nicht gefallen läßt, nun wohl, so sagen wir als Logiker und Erkenntnistheoretiker dem Wirklichen Lebewohl. Wir machen es wie jener Berichterstatter, der - darauf aufmerksam gemacht hat, daß seine Aussagen nicht mit den Tatsachen übereinstimmen - antwortete: Umso schlimmer für die Tatsachen! So kann auch der Logiker und Erkenntnistheoretiker, wenn er findet, daß das Wirkliche die Normen nicht in sich hineinarbeiten läßt, erklären: Umso schlimmer für das Wirkliche! So muß sich also der Logiker und Erkenntnistheoretiker eine andere Heimat für seine Normen suchen: das Unwirkliche. Der "Gegenstand der Erkenntnis" in einem erkenntnistheoretischen Sinn ist die unwirkliche Norm, das unwirkliche Sollen, das dem wirklichen Sein entgegensteht. Dies ist der Ausweg RICKERTs in seinem "transzendentalen Idealismus". Ich habe mich später ausführlich mit dieser bedeutsamen Lehrmeinung auseinanderzusetzen.

Es ist interessant, darauf zu achten, wie die formalen Logiker die Existenz von Normen unseres Denkens zureichend zu begründen suchen. Die Normen bekunden ihre Existenz in den sogenannten "Axiomen", die sie unserem gültigen Denken vorschreiben, Axiomen, aus denen sich dann alle übrigen formalen Bedingungen unseres Denkens durch Beweis deduzieren lassen. Einen Beweis für die Gültigkeit dieser Axiome kann es aber natürlich nicht geben, da alle Beweise umgekehrt diese Axiome letzten Endes voraussetzen. Soll also eine Diallele [sich im Kreis drehen - wp] vermieden werden, so muß eine andere Form der zureichenden Begründung für die logischen Axiome angenommen werden und das ist die berühmte sogenannte Evidenz, das Schmerzenskind aller formalen Logiker. Von dieser Evidenz läßt sich (in Abänderung eines bekannten, von FRIEDRICH HEINRICH JACOBI mit Bezug auf das Ding-ansich und die kantische Philosophie getanen Ausspruchs) sagen, daß man ohne die Evidenz nicht in die formale Logik hineinkommen, mit der Evidenz aber nicht in der formalen Logik bleiben kann. Hinsichtlich der Evidenz hat der formale Logiker - mit den bekannten Worten der Vorrede der "Kritik der reinen Vernunft" zu sprechen - das besondere Schicksal, daß er durch Fragen belästigt wird, die er nicht abweisen kann, weil sie ihm durch die Natur der formalen Logik selbst aufgegeben sind, die er aber auch nicht beantworten kann, weil sie alles Vermögen der formalen Logik übersteigen. Denn die Evidenz ist und bleibt ein psychisches Erlebnis. Die rettende metabasis eis allo genos [willkürlicher Sprung auf eine andere logische Ebene - wp], die durch die Veränderung der Fragestellung aus quid facti? in quid juris? gewonnen werden soll, wird also durch die letzte Begründung der logischen Normen in der Evidenz wieder rückgängig gemacht. Man bleibt im gleichen genos: im Psychologischen!

WINDELBAND hat diese Gefahr des Sichberufens auf die Evidenz sehr wohl gefühlt. Er glaubt ihr durch die Unterscheidung zwischen kritischer und genetischer Methode entgehen zu können.

Man soll nicht die tatsächliche Geltung der Axiome nachweisen, nicht zeigen, daß diese Geltung durch die sogenannte Evidenz "in der empirischen Wirklichkeit des Seelenlebens" gegeben ist, sondern man soll ihre teleologische Notwendigkeit erweisen, d. h. zeigen, "daß ihre Geltung unbedingt anerkannt werden muß, wenn gewisse Zwecke erfüllt werden sollen." (5) Hierin soll der Vorzug der sogenannten kritischen vor der genetischen Methode in der Philosophie begründet sein.

In unfreiwilliger Selbstkritik bemerkt WINDELBAND, daß für diese "kritische Philosophie" das Wort gilt, das SCHILLER auf eine besondere Lehre der kantischen Philosophie angewandt hat: sie schiebt einem, was sie nicht beweisen kann "ins Gewissen hinein". In diesem Fall in jenes besondere "logische Gewisse", welches fordert, "daß gewisse Zwecke erfüllt werden sollen". Wer oder was aber - in aller Welt - fordert dann, daß "gewisse" Zwecke erfüllt werden sollen? Doch eben wieder jene logischen Normen, die selbst erst durch die von der kritischen Methode aufgewiesene "teleologische Notwendigkeit" begründet werden sollen. Es ist sonderbar, daß einem so scharfsinnigen Denker wie WINDELBAND die petitio principii [Es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist. - wp] und Diallele entgangen ist, die darin liegt, daß das "was immer sein soll, ohne sein zu müssen" durch das Erfülltwerden-Sollen "gewisser" Zwecke begründet wird, während umgekehrt diese Zwecke selbst und der Imperativ ihres Erfülltwerden-Sollens ihrerseits wieder nur durch "das, was immer sein soll, ohne sein zu müssen" begründet werden.

ERNST DÜRR in seiner "Erkenntnistheorie" bei der Behandlung der "Wertlehre des Erkennens":
    "Sicher ist, daß Gegenstände dadurch zu Werten für uns sich gestalten, daß sie irgendwie in eine Beziehung zu unserem Gefühlsleben treten." (6)
DÜRR spricht von logischen Verlaufsgefühlen da, wo
    "die Vereinbarkeit oder nicht Vereinbarkeit mehrerer Erlebnisse, der glatte oder gehemmte Verlauf einer ganzen Kette psychischer Geschehnisse die Entstehung von Gefühlen bedingt."
Wenn also Gegenstände solche logischen Verlaufsgefühle in unserem Bewußtsein auslösen, so gestalten sie sich dadurch zu Werten für uns. Ein wirklicher Gegenstand gewinnt also nach DÜRR Wert- oder Unwertcharakter dadurch, daß er in eine Beziehung zu unserem Bewußtsein - hier speziell zu unserem Gefühlsleben - tritt.

Ich würde nicht sagen, daß die wirklichen Gegenstände selbst sich durch diese Beziehung zu unserem Bewußtsein zu Werten gestalten, sondern daß unser Bewußtsein in gewissen, psychologisch wohl zu kennzeichnenden Fällen (glatter oder gehemmter Verlauf einer Kette von Bewußtseinserlebnissen) zum Wirklichen wertauffassend in Beziehung tritt. Das Bewußtsein tritt hier wertauffassend zum Wirklichen in Beziehung so wie es in gewissen anderen Fällen vorstellend zu ihm ihn Beziehung tritt. Es gibt eben mehrere Reaktionen, mehrere mögliche Beziehungen, in die unser Bewußtsein zum Wirklichen treten kann. Eine dieser Beziehungen ist das Vorstellen. Wir gewinnen dabei die Vorstellungsinhalte. Eine andere Beziehung ist das Fühlen, speziell in der Form der von DÜRR beschriebenen "Verlaufsgefühle", die er auch "logische Lustgefühle" nennt.

Zusammenfassend kann ich also sagen, daß es verkehrt ist, aus der psychologischen Tatsache, daß es ein "wertfreies" und ein "werthaftes" Denken gibt, das Recht zu einer dualistischen Durchspaltung des Wirklichen in Seiendes und Seinsollendes herzuleiten. Die Logik gewinnt auf diese Weise nicht den vom Denken (als Gegenstand psychologischer Forschung) verschiedenen Gegenstand, den man ihr verschaffen will. RICKERT sagt bei der Darstellung der Lehre WINDELBANDs:
    "Wäre die Gesetzmäßigkeit, welche Naturwissenschaften und Psychologie untersuchen, die einzige, die wir kennen, dann bliebe unser Dasein ein bedeutungsloses Geschehen, in dem ... auch die wissenschaftliche Arbeit völlig sinnlos würde." (7)
Den Beweis für diese These bleibt uns RICKERT schuldig. Dieser Beweis ist entweder schon in den Begriffen: "bedeutungsloses, bzw. bedeutungsvolles Geschehen" vorausgesetzt und dann haben wir die oben dargelegte petition principii. Oder das "bedeutungsvolle" und "bedeutungslose Geschehen" findet sein Kriterium im "werthaften Denken", dann bleiben wir im Psychologismus stecken. WINDELBAND sagt selbst: "Keine Erkenntnis des Sollens ist auszuführen, ohne die des Seins." (8) Das muß ihm doch höchst merkwürdig erschienen sein! Das Geltende, die Normen, die gültigen Werte bilden dem Seienden gegenüber eine "andere Welt" und doch ist die Erkenntnis dieser anderen Welt von der Erkenntnis dieser Welt des Seins abhängig!

Für mich liegt hier keine Merkwürdigkeit vor. Es gibt nur eine Welt für uns, nur eine Wirklichkeit. Wir ordnen nicht ein "ideales Reich der Geltung und Wahrheit" der realwirklichen Welt als zweite höhere Form bewußtseinstranszendenter Wirklichkeit über. Nur zu einer einzigen Welt kann sich unser Bewußtsein - das übrigens selbst selbstverständlich gleichfalls zur Welt gehört, "etwas Wirkliches" ist - in Beziehung setzen. Setzt sich das vorstellende Bewußtsein zu einer bewußtseinstranszendenten Welt in Beziehung, so entsteht ein bewußtseinsimmanenter Vorstellungsinhalt. Setzt sich das wollende Bewußtsein (9) zu eben jener Welt in Beziehung, so entsteht ein Motiv- und Zielerlebnis. Setzt sich das fühlende Bewußtsein zur gleichen Welt in Beziehung, so entstehen die sogenannten logischen, ethischen, ästhetischen Wertgefühle, das Sollbewußtsein. Es ist nun begreiflich und auch unbedenklich, wenn wir diese eine bewußtseinstranszendente Wirklichkeit verschieden benennen, indem wir sagen, daß unsere Vorstellungsinhalte zu realen Gegenständen in Beziehung stehen, daß unsere wertenden Gefühle zu realen Werten, dem Wahren ("Geltenden"), Guten, Schönen, daß unsere Wollungen zu realen Zielen in Beziehung stehen. Das ist unbedenklich, solange wir uns vor dem idealistischen Irrtum hüten, die bewußtseinsimmanenten Bestimmtheiten, die in unserem Bewußtsein aus dessen "Berührung mit dem Wirklichen" entstehen, in das Wirkliche selbst "hineinarbeiten" zu wollen. Die Idealisten aber machen die bewußtseinsimmanenten Bestimmtheiten zu Bestimmtheiten des Wirklichen selbst, die so einschneidende Unterschiede im Wirklichen selbst hervorrufen, daß sie dieses Wirkliche zu durchspalten vermögen, vor allem in das "den Naturgesetzen gehorchenden Sein" und das "den Normen unterstehenden Seinsollende".

Tatsächlich können nicht wir die Bestimmtheiten unseres Bewußtseins in das Wirkliche hineinarbeiten, sondern es arbeitet umgekehrt das Wirkliche seine Bestimmtheiten in unser Bewußtsein hinein. Nehmen wir einen bestimmten wirklichen Sachverhalt als Beispiel: Der Sieg meines Vaterlandes über seine Feinde. Dieser Sachverhalt kann seine Bestimmtheiten in verschiedener Weise "in mein Bewußtsein hineinarbeiten". Ich kann in Vorstellungsprozessen, Gefühlen, Wollungen zu ihm in Beziehung tretenn. Das heißt: ich kann erstens in einem Phantasievorstellen oder in einem Gedankenverlauf bestimmte Vorstellungsinhalte erleben, die ich mit den Worten bezeichne: Ich stelle mir den Sieg meines Vaterlandes über seine Feinde vor, ich denke an diesen Sieg. Damit aber wird keineswegs der Vorstellungsinhalt mit dem gegenständlichen Sachverhalt oder umgekehrt der gegenständliche Sachverhalt mit dem Vorstellungsinhalt identisch. Die Welt ist nicht meine Vorstellung, meine Vorstellung nicht die Welt. Zweitens kann ich Wollungen erleben, die den genannten Sachverhalt zum Ziel haben. Ich sage: ich will den Sieg meines Vaterlandes über seine Feinde. Damit aber wird keineswegs der bewußtseinsimmanente Inhalt meines Willenserlebnisses mit dem Sachverhalt als Ziel oder umgekehrt der Sachverhalt als Ziel mit jenem Willensinhalt identisch. Die Welt ist nicht mein Wollen, mein Wollen nicht die Welt. Ich kann ja gewisse Gefühlserlebnisse haben, die ausgelöst werden durch den zuerst erwähnten Gedankenverlauf, durch das "den-Sieg-meines-Vaterlandes-über-seine-Feinde"-Denken. Mein Fühlen setzt sich zum Sachverhalt in Beziehung. Der Sachverhalt selbst ist nicht nur ein Gegenstand, dem mein Vorstellen seinen Inhalt, nicht nur ein Ziel, dem mein Wollen seinen Strebungsinhalt, sondern auch ein Wert, dem mein Fühlen seinen Charakter als Geltungsbewußtsein, Wertbewußtsein usw. verdanken kann. Speziell das logische Geltungsbewußtsein erlebe ich, wenn ich an die logische Gliederung des Sachverhaltes (SV) denke; Subjekt des SV: mein Vaterland, Prädikat des SV: über seine Feinde siegen, Kopula des SV: das Über-seine-Feinde-Siegen meines Vaterlandes. Mit all dem wird aber keineswegs der bewußtseinsimmanente Inhalt meines logisch wertenden Gefühlserlebnisses mit dem Sachverhalt selbst als "Geltendes" oder umgekehrt der Sachverhalt als "Geltendes" mit dem ihn wertenden Gefühlserlebnis identisch. Die Welt ist nicht mein Fühlen, mein Fühlen nicht die Welt.

Man wird etwa einwenden:
    "Wenn du anerkennst, daß die wirklichen Sachverhalte selbst nicht nur gegenständliche Sachverhalte, sondern auch Werte, Normen, Ziele usw. sind, dann hast du selbst jene dualistische Durchspaltung des Wirklichen in zwei Arten - Seiendes und Seinsollendes - zugegeben, die du vorher bekämpft hast."
Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die Auffassung, die wir bekämpfen, nimmt an, daß Werte, Normen usw. nicht "von vornherein", d. h. nicht im gleichen unmittelbaren Sinn wirkliche Sachverhalte sind, wie die gegenständlichen Sachverhalte; daß vielmehr diese Werte und Normen erst in das gegenständlich Wirkliche "hineingearbeitet" werden müssen. Ich behaupte dagegen: Normen und Werte sind genau so unmittelbar und in genau dem gleichen Sinn wirkliche Sachverhalte, wie die gegenständlichen Sachverhalte. Die Welt ist nichts "außer" einem Inbegriff wirklicher Gegenstände, nichts, was zu diesen Gegenständen noch hinzutreten, in sie hineingearbeitet werden könnte. Die wirklichen Gegenstände stehen zueinander in wirklichen Sachverhalten in Beziehung. Diese Sachverhalte sind gegenständlicher Art, ferner Normen, Werte usw. Der Schein, als ob in den Normen und Werten noch etwas zur realen Wirklichkeit hinzutritt, ja als ob die Realität erst in einem idealen Reich des Geltens Sinn und Bedeutung gewinnt, entsteht dann, wenn wir unzulässigerweise das Wirkliche selbst und seinen Wirklichkeitscharakter nach den Beziehungen beurteilen, in die unser Bewußtsein zum Wirklichen treten kann (besser (10): die im Wirklichen durch das Bewußtsein geknüpft sind). Das Vorstellen wirklicher Gegenstände, das Wollen wirklicher Ziele, das Anerkennen wirklicher Normen, d. h. die psychischen Prozesse, durch die das Bewußtsein zum Wirklichen in Beziehung tritt (besser: die Beziehungen, die es im Wirklichen knüpft), sind nur für die psychologische, nicht für die logische Betrachtung etwas, was zu den Sachverhalten hinzutritt. Sie sind nur für die psychologische Betrachtung etwas "außerhalb" des Wirklichen. In diesem Sinne und aus diesem Grund bezeichnet der Psychologe die "Gegenstände des Bewußtseins" als "bewußtseinstranszendent".

Die bewußtseinsimmanenten Verschiedenheiten unseres als Vorstellen oder Fühlen oder Wollen sich zum Wirklichen in Beziehung setzenden Bewußtseins, die der Psychologe zu unterscheiden Anlaß hat, verursachen aber keineswegs etwa "entsprechende" Verschiedenheiten im Wirklichen selbst. Es gibt nicht zwei- oder mehrerlei verschiedene Wirklichkeiten. Der Sachverhalt ist zwar selbst entweder ein gegenständlicher Sachverhalt oder Wert, Norm, Ziel usw. Er wird nicht etwa erst durch unsere verschiedenen "Auffassungen" dazu. Werte, Normen, Ziele sind reale Sachverhalte, "unabhängig" von unserer Auffassung und überhaupt von unserem Bewußtsein. Aber diese "Verschiedenheit" der realen Sachverhalte durchspaltet nicht das Wirkliche. Ein Sachverhalt kann ein gegenständlicher oder ein geltender Sachverhalt, kann Wert, Ziel usw. sein. Das sind nicht verschiedene Wirklichkeiten oder gar Wirklichkeiten und Unwirklichkeiten, sondern nur verschiedene reale Sachverhalte. Jedermann gibt zu, daß die Realität eines Gegenstandes nicht durchspaltet wird durch die Tatsache, daß dieser Gegenstand auch Subjekt oder Prädikat eines Sachverhaltes ist. Nehmen wir als Beispiel ein Sinnending: ein Tier. Dies ist ein einheitlicher realer Gegenstand, der nicht eine doppelte und dreifache Realität gewinnt durch die Tatsache, daß er in dem Sachverhalt: Ein Tier ist ein Lebewesen - Subjekt und in dem Sachverhalt: Ein Löwe ist ein Tier - Prädikat ist. Das Lebewesen-Sein des Tieres und das Tier-Sein des Löwen durchspalten nicht die Realität des Gegenstandes: Tier. Ebensowenig durchspalten die Normen, Werte usw. das Wirkliche oder treten gar dem Wirklichen als Unwirkliches gegenüber.

Es handelt sich hier um mehr als um einen Vergleich. Das Verhältnis des Geltenden, Wertes, Zieles usw. zum gegenständlichen Sachverhalt ist nicht nur ähnlich dem Verhältnis des Sachverhalts zu den Gegenständen, die sein Subjekt oder Prädikat sind. Die Verhältnisse sind vielmehr genau dieselben. Werte, Geltendes, Ziele usw. sind buchstäblich und im strengen Sinn Sachverhalte, in denen gegenständliche Sachverhalte die Subjekte oder Prädikate bilden. Nehmen wir z. B. die logische Tatsache, daß jeder Gegenstand mit sich selbst identisch ist. Wir sagen von dieser Tatsache, daß sie gilt, daß in ihr ein logisches Seinsollen, ein logischer Wert, eine Norm gegeben ist. Ich behaupte nun, daß in diesem Geltenden, dieser Norm, diesem Wert durchaus nicht eine neue Realitätsart oder gar ein "Irreales" gegeben ist, die von der Realität der Tatsache selbst (daß jeder Gegenstand mit sich selbst identisch ist) verschieden wäre und so den besonderen Gegenstand einer normativen Wissenschaft der Logik bilden könnte, einer Logik, die es dann mit einem vom Sein verschiedenen Seinsollen zu tun hätte. Geltung, Norm, Wert usw. sind vielmehr Realitäten der gleichen Art wie der Sachverhalt, der gilt, der wertvoll und eine Norm ist. Sie sind Sachverhalte an Sachverhalten.

Die logische Struktur ist Folgende: (Das Mit-sich-selbst-identisch-Sein jedes Gegenstandes) - ist gültig, eine Norm, ein logischer Wert. Subjekt dieses sekundären Sachverhaltes ist also der primäre Sachverhalt: Identität jedes Gegenstandes mit sich selbst. Prädikat des sekundären Sachverhaltes: Gültigsein, Normsein, Wertsein. Kopula: Das Gültigsein usw. der Identität jedes Gegenstandes mit sich selbst.

Die sogenannten normativen Sachverhalte haben also die Struktur:
    Subjekt: S ist P
    Prädikat: ist gültig, soll sein usw.
Sie sind nach der Terminologie der traditionellen Logik Urteile über Urteile, Beurteilungen.

Vom Standpunkt der realistischen Logik aus sind sie als "Sachverhalte an Sachverhalten" zu bezeichnen. Sie haben also dieselbe logische Struktur, die uns die realistische Logik auch bei den (traditionell so genannten) modalen Bestimmtheiten aufweist. Das Gelten, Normsein, Wertsein, Seinsollen ist genau in dem gleichen Sinn ein Sachverhalt an einem Sachverhalt, wie das Möglichsein, Tatsächlichsein, Notwendigsein. Sowenig es außer der einen Realität "andere" Welten des Möglichen, Tatsächlichen, Notwendigen gibt, die ihr über-, neben- oder untergeordnet wären, so wenig gibt es eine "andere" Welt dessen, "was auch immer sein soll, ohne sein zu müssen", die der realen Wirklichkeit über-, neben- oder untergeordnet wäre. Es gibt keine "ideale Welt", die wir Menschen in die reale Welt hineinarbeiten könnten und sollten.

Ich sagte oben: Der Schein, als ob es außer dem Sein noch eine andere Welt des Seinsollenden gibt, die nicht "wirklich" ist, sondern nur "gilt, entsteht dadurch, daß man das Wirkliche beurteile und Scheidungen in ihm vornimmt entsprechend den Beziehungen, in die sich unser Bewußtsein zum Wirklichen setzen kann. Daher werden auch die Vertreter der "Philosophie der Werte" diese Beziehung auf ein Bewußtsein niemals völlig los, so sehr sie sich auch bestreben, sie zu verleugnen, um die wahre, von allem Psychologismus freie Philosophie, d. h. die "kritische Lehre von den Normen", zu vertreten. Am Anfang und am Ende ihrer Betrachtungen steht immer - offen oder versteckt - ein Bewußtsein. Höchst charakteristischerweise geht z. B. WINDELBAND in seiner "Einleitung in die Philosophie" da, wo er die Scheidung von Sein und Seinsollen, Wirklichkeit und Wert einführt, von der psychologischen Tatsache der seelischen Doppelnatur des Menschen aus. Der Mensch ist
    "nicht nur vorstellendes, sondern wollendes und handelndes Wesen, nicht nur Trieb- und Bewegungsmaschine, sondern ein von Urteilen bewegter Organismus. Schon das Urteilen selbst, worin alles Erkennen besteht, ist ein Akt, bei welchem Vorstellen und Wollen zusammen tätig sind." (11)
Durch irgendwelche offene oder versteckte Begriffsmachinationen [Begriffslist und Tücke - wp] wird dann stets im Laufe der Untersuchung diese Scheidung der zwei Seiten unseres psychischen Erlebens - Vorstellen und Wollen - aus der Bewußtseinsimmanenz heraus- und in die Bewußtseinstranszendenz hineineskamotiert, woselbst dann daraus die beiden Welten des Seienden und des Seinsollenden werden. Der bewußtseinsimmanente Vorstellungsinhalt wird zum bewußtseinstranszendenten realen Gegenstand, der ist und immer sein muß; das bewußtseinsimmanente Willenserlebnis wird zur bewußtseinstranszendenten Norm, die niemals ist, niemals sein muß, aber immer sein soll. So ist die Scheidung zwischen Sein und Seinsollendem erreicht und man vergißt jetzt, daß sie nur zustande kommen konnte dadurch, daß wir irgendwie und irgendwann einmal "unser Erlebnis in den Gegenstand umgearbeitet" haben.

Aber ganz abgesehen von dieser metabasis eis allo genus ist es schon deswegen unstatthaft, die radikale Scheidung der Welt des Seinsollens von der des Seins auf die vorstellende und wollende Doppelnatur des Menschen zu begründen, weil diese zwei Seiten unseres Wesens selbst keine radikale Scheidung bedeuten.
    "Wissen und Wollen ... die untrennbar verknüpften, nur in der psychologischen Reflexion auseinanderzulegende Seiten ein und desselben ansich unteilbaren Wesens und Lebens." (12)
Es ist zu verwundern, daß diese Einsicht in die - trotz ihrer Doppelseite - einheitliche Natur unseres seelischen Wesens nicht zur Einsicht in die gleichfalls einheitliche Natur der Wirklichkeit geführt hat, zu der Erkenntnis, daß die Normen und Werte nur Sachverhalte an Sachverhalten sind, die das Wirkliche vielleicht komplizieren, aber keineswegs durchspalten.

WINDELBAND fordert, daß man die psychologische und die logische Bedeutung des Wortes "Geltung" auseinanderhält. Im psychologischen Sinn ist das Gelten immer auf ein Bewußtsein bezogen, für das es gilt, - wie psychologisch überhaupt alle Werte auf ein Bewußtsein bezogen sind, für das sie Werte sind. Im logischen Sinn dagegen verlangt der Begriff des Geltens stets eine "Geltung ansich ohne Beziehung auf ein Bewußtsein, oder wenigstens auf ein bestimmtes empirisches Bewußtsein." (13) Der Sinn des Ansich-geltens ist
    "zu einem Hauptproblem der modernen Logik geworden. Insbesondere handelt es sich um das Verhältnis dieses Geltens zum Sein." (14)
In diesem charakteristischen "wenigstens" des zitierten Satzes von WINDELBAND äußert sich die ganze Erkenntnisverlegenheit, in die jeder Philosoph geraten muß, der sich durch die Tatsache der Verschiedenheit des wollenden und wertenden Bewußtseins vom vorstellenden und denkenden Bewußtsein verleiten läßt, den bewußtseinstranszendenten Korrelaten beider Bewußtseinsarten "entsprechend" verschiedene Wirklichkeitsarten zuzuschreiben, also etwa eine ideale Welt des Seins anzunehmen. Man wird das Bewußtsein, von dem man ausgegangen ist, nur scheinbar los. Die metabasis eis allo genos geling nicht, kann nicht gelingen und am Ende der Untersuchung steht das Psychische wieder da, das man zwar als individuelles Bewußtsein losgeworden ist, aber als "Bewußtsein überhaupt" beibehalten muß.

Das Gelten, dessen Verhältnis zum Sein zu untersuchen die Hauptaufgabe der modernen Logik sein soll, ist aber - genauso wie das Sein selbst - ein bewußtseinstranszendentes Korrelat zu einem bestimmten Bewußtseinserlebnis. Das gegenständliche Sein ist Korrelat der Vorstellungserlebnisse, das Gelten Korrelat etwa jener komplexen, aus Vorstellen und Fühlen sich zusammensetzenden Erlebnisse, die entstehen, wenn Vorstellungen zugleich mit dem Bewußtsein ihrer Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit aufeinanderfolgen, wenn sich Ketten psychischer Geschehnisse zugleich mit dem Bewußtsein ihres glatten oder gehemmten Verlaufs abspielen.

All das aber, was als bewußtseinstranszendentes "Korrelat" unserer Bewußtseinserlebnisse angesehen werden kann, weil die Immanenz dieser Erlebnisse sich als auf diese Bewußtseinstranszendenz "bezogen" erweist, - all diese "Korrelate" müssen univok [eindeutig - wp] als Wirklichkeit aufgefaßt und bezeichnet werden. Und zwar in dem einen und einheitlichen Sinn, in dem allein das Wirkliche begriffen werden kann. Es können und dürfen keine Unterschiede in diesem Wirklichen gemacht werden dadurch, daß wir die immanenten Unterschiede unserer vorstellenden, denkenden, wollenden, wertenden Bewußtseinserlebnisse in dieses Wirkliche "hineinarbeiten"! Man kann nicht oft genug betonen: Das Wirkliche läßt nichts in sich hineinarbeiten, sondern arbeitet vielmehr umgekehrt seine eigenen Bestimmtheiten in unser Bewußtsein hinein, seine Gegenständlichkeit in unser Vorstellen, sein Gelten, seine Normen usw. in unser fühlendes und wollendes Bewußtsein.

Die völlige grundsätzliche Gleichartigkeit der Korrelation, in die unser Bewußtsein zum bewußtseinstranszendenten Gegenstand wie zum bewußtseinstranszendenten Gelten (den Normen) tritt, sollte uns veranlassen, die Durchspaltung des Wirklichen in Seiendes und Seinsollendes aufzugeben und anzuerkennen, daß das Sollende nur ein Sachverhalt am Seienden, also von völlig gleichem Wirklichkeitscharakter wie dieses Seiende selbst ist. In der Tat: auch WINDELBAND selbst muß zugestehen, daß für Gegebenheiten, die bewußtseinstranszendent und unabhängig von unserem Bewußtsein sind, nicht zwei verschiedene Begriffe in Frage kommen können, sondern nur der eine Begriff, der eine Name: Wirklichkeit! Den Namen, den wir dem Seienden zugestehen, dürfen wir dem Geltenden nicht verweigern, da sein Verhältnis zu unserem Bewußtsein genau das gleiche ist. WINDELBAND gesteht, es bedeute
    "doch gerade die Unabhängigkeit des Geltens von allen psychischen Vorgängen, in denen es anerkannt wird, ein Maß von eigenem Bestand, für das wir kein besseres Wort haben, als höchste Wirklichkeit oder Realität." (15)
Also warum noch zögern? Warum den Geltenden nicht jene Realität zuschreiben, die es mit dem Sein gleichartig, zu einen Sachverhalt am Seienden macht? Warum in die Ferne schweifen, in ein "ideales Reich der Geltung und Wahrheit", wo doch das Gute, soll heißen das reale Reich der Gegenstände und Sachverhalte so nahe liegt?

Ein ideales Reich der Geltung könnte - wie nach traditioneller Auffassung alles Ideale - nicht unabhängig vom Bewußtsein existieren. Da nun einerseits die Abhängigkeit vom empirischen, individuellen Bewußtsein das Gelten unvermeidlich zu einem Gegenstand der Psychologie machen, also die ganze "kritische Lehre von den Normen" zu Fall bringen würde, andererseits aber "ideale Reiche" nur in Abhängigkeit von einem Bewußtsein bestehen können, so wird ein überindividuelles absolutes Bewußtsein ein "Bewußtsein überhaupt", eigens dazu geschaffen, damit das absolute Gelten etwas hat, wofür es gelten kann. Denn sonst würde - wie man in Abänderung eines bekannten Wortes von KANT sagen könnte - der ungereimte Satz daraus folgen, daß Geltung ohne etwas wäre, wofür sie gilt.

Es bleibt aber auch so noch des Ungereimten genug! Ungereimt ist es sicherlich, wenn dieses vorher eben wegen seiner Unabhängigkeit vom individuellen Bewußtsein als höchste Wirklichkeit oder Realität gepriesene Gelten nunmehr zum Gelten für ein absolutes Bewußtsein gemacht und dadurch doch wieder seiner Realität beraubt und zur Idealität gemacht wird. Denn was von einem Bewußtsein in seinem Wirklichkeitscharakter bestimmt ist, ist ideal, nicht real wirklich, mag dieses Bewußtsein nun individuell oder absolut sein. WINDELBAND empfindet hier selbst die Konsequenzen seiner "Philosophie der Werte" als paradox und äußert diese Empfindung in dem ein wenig resigniert klingenden Satz:
    "Daher bleibt es paradox, das Geltende als das Unwirkliche zu bezeichnen, und dies ist der Grund, weshalb solche Untersuchungen schwer die Wendung vermeiden können, das Gelten-ansich als ein Gelten für ein absolutes Bewußtsein, ein Bewußtsein-überhaupt zu denken und es damit metaphysisch zu deuten." (16)
Ich meine: die Beziehung des Geltens auf das (bekanntlich im Anschluß an KANTs Lehre von der transzendentalen Einheit der Apperzeption gewonnene) "metaphysische" Bewußtsein überhaupt läßt sich in der Tat nicht vermeiden, wenn man ein ideales Reich der Geltung und Wahrheit außer oder über der realen Wirklichkeit annimmt. Dann wird man allerdings die Beziehung auf irgendein Bewußtsein nicht los, in dem die Idealität jenes Wirklichkeitsreiches begründet ist und gleichsam wurzelt. Die Verwurzelung des Wirklichen in einem Bewußtsein (ich werde später sagen: das Stehen in der Form der Bewußtheit) "befleckt" in jedem Fall den reinen Wirkklichkeitscharakter des Wirklichen, ob sie nun als psychologisches Faktum und im Hinblick auf ein empirisches individuelles Bewußtsein besteht oder als "erkenntnistheoretisches Postulat" und im Hinblick auf ein überempirisches, überindividuelles "Bewußtsein überhaupt" gefordert wird.

Dagegen läßt sich die Beziehung auf ein empirisches Bewußtsein wie auch auf das Bewußtsein überhaupt sehr wohl vermeiden, wenn man resolut dem Gelten den gleichen Wirklichkeitscharakter zuerkennt, wie dem gegenständlichen Sein und es damit selbst zu einem Sein, zu einem realen Sachverhalt an einem realen Sachverhalt macht.

Die realen Sachverhalte sind, eben als Realitäten, unabhängig von jedem Bewußtsein, sowohl von jedem individuellen Bewußtsein als auch von jedem postulierten oder fingierten Bewußtsein überhaupt. Wenn man so das Geltende, die Normen "realisiert", dann darf man freilich von der guten alten real-wirklichen Welt, in der wir alle "leben, weben und sind", nicht so gering denken wie das manche Wertphilosophen tun, z. B. RICKERT. Wenn diese reale Wirklichkeit mit ihrer realen Gesetzmäßigkeit die einzige wäre, welche wir kennen, dann bliebe - meint RICKERT (17) -
    "unser Dasein ein bedeutungsloses Geschehen, in dem nicht allein für das ethische Wollen oder das künstlerische Fühlen oder ein Leben im Göttlichen der Platz fehlt, sondern in dem auch die wissenschaftliche Arbeit völlig sinnlos würde."
Wir Realisten bleiben demgegenüber überzeugt, daß unser Dasein um nichts weniger bedeutsam, unsere Wissenschaft um nichts weniger sinnvoll ist, wenn Geltung, Norm, Wert reale Sachverhalte sind, als wenn sie ideale Postulate sind. Im Gegenteil: wenn unser Geltungsbewußtsein im gleichen Sinn zum gleichen realen Wirklichen in Beziehung tritt, wie unser Vorstellen und Denken, wenn unser Werten in gleicher Weise realitätsverankert ist, wie unser Vorstellen und Denken, dann wird unser Dasein doppelt bedeutsam, unser wissenschaftliches Denken doppelt sinnvoll. Unser Dasein und Denken greift dann gleichsam mit zwei Händen nach zwei Ankertauen, deren beide Anker in den gleichen realen Wirklichkeitsgrund versenkt sind. Dadurch wird eine festere und sicherere Konsolidierung der Bedeutung unseres Daseins und des Sinnes unserer wissenschaftlichen Arbeit erreicht, als durch eine Begründung unserer Lebenswertungen und Wissenschaftsnormen auf Postulate, die "immer sein sollen, ohne sein zu müssen". Wir Realisten betrachten die Geltung, die Werte und Normen als Realitäten, wie alle anderen auch. Wir weigern uns, in sie eine metaphysische oder erkenntnistheoretische Wesenheit hineinzugeheimnissen, die dem realen Sein erst Sinn und Bedeutung verleihen, Wissenschaft, sittliches und künstlerisches Leben, kurz "Kultur" allererst möglich machen soll.

Eine weitere Schwierigkeit, in die die Lehre von der idealen Welt der Normen und Werte unvermeidlich gerät, besteht in dem Dilemma zwischen regressus in infinitum [Teufelskreis - wp] und der Annahme eines metaphysisch-mysterösen "Normalbewußtseins". Die Lehre geht von der individualpsychologischen Tatsache des Wertens aus und bemerkt bald die Relativität alles (z. B. des ethischen und ästhetischen) individuellen Wertens. Wir sprechen von höheren oder niederen Stufen der Sittlichkeit oder des Geschmacks bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten: woher aber nehmen wir den Wertmaßstab für diese wertende Beurteilung der Werte selbst? Entweder wieder aus einem individuellen Werten, dann erhebt sich für dieses von Neuem die Frage nach dem Wertmaßstab und wir geraten in einen unendlichen Regressus. Oder man "postuliert", eigens um dieser Erkenntnisverlegenheit abzuhelfen, eine "Normalbewußtsein", welches dann für die absolute Begründung der ethischen und ästhetischen Werte dieselbe Rolle spielt, wie das "Bewußtsein überhaupt" für die logischen Werte.

Dem ganzen Dilemma entgeht man, wenn man die Werte und Normen in der Realität verankert. Dann hat man kein Normalbewußtsein nötig und vermeidet doch den unendlichen Regressus. Denn dann sind die Werte und Normen "absolut" in demselben Sinn, d. h. sie sind - zwar nicht meta-transzendent (18) und damit von jeder Realität unabhängig -, aber doch bewußtseinstranszendent und damit von einer Bewußtseinsrealität unabhängig.

Die Frage: für wen gelten denn diese realen Werte und Normen? kann dann in demselben - freilich auch nur in demselben - Sinn beantwortet werden, wie die entsprechende Frage: für wen sind denn die realen Gegenstände? Die gemeinsame Antwort lautet: für die Bewußtseinsindividuen. Damit wird aber nicht die Wirklichkeit der Normen, Werte und Gegenstände von den Bewußtseinsindividuen abhängig, also zu einer idealen Wirklichkeit gemacht, sondern nur ausgesagt, daß unser Bewußtsein zu realen Normen und Werten in gleicher Weise in Beziehung treten kann (oder, wie wir später sehen werden, besser: eine Beziehung zwischen ihnen knüpfen kann), wie zu realen Gegenständen. Wir können unsere Bewußtseinserlebnisse nach der Art dieser ihrer Beziehung auf das Wirkliche einteilen, etwa in Gegenstandsbewußtsein, Wertbewußtsein, Geltungsbewußtsein usw. Dann sind in gewissem Sinn die Gegenstände für das Gegenstandsbewußtsein, die Werte für das Wertbewußtsein da, aber eben ur im Sinne einer Beziehung des Bewußtseins auf das bewußtseinstranszendente Wirkliche. Nicht dagegen in dem Sinne, daß das Wirkliche realiter vom Bewußtsein oder dieses genetisch von jenem abhängig ist.

Endlich behauptet WINDELBAND:
    "Fielen Norm und Wirklichkeit zusammen, so hörte alles Werten auf, dessen alternativer Charakter in Bejahung und Verneinung jene Verschiedenheit voraussetzt." (19)
Lebt hier nicht das alte Hysteron-Proteron [das Spätere vor dem Früheren - wp] aus FICHTEs Idealismus - das: "damit wir sollen können, dazu ist die Welt da" - in neuer Wendung wieder auf? Was kümmert sich die Welt darum, ob wir "sollen können" oder nicht, ob und was wir bei unseren Werterlebnissen voraussetzen oder bedürfen! Ich weiß nicht, was WINDELBAND mit dem Ausdruck "Zusammenfallen" von Norm und Wirklichkeit meint. Würde er aber darunter die Tatsache verstehen, daß die Norm ein realer Sachverhalt an einem realen Wirklichen - also selbst ein Real-Wirkliches - ist, so weiß ich nicht, wieso durch diese Tatsache der psychische Prozeß des Wertens zum Aufhören gebracht werden soll.

Die Auffassung, als ob dies der Fall ist, beruth auf der bekannten verhängnisvollen metabasis eis allo genos vom Bewußtsein zu einem bewußtseinstranszendenten Wirklichen oder umgekehrt. Weder ist dieses Wirkliche realiter vom Bewußtsein, noch das Bewußtsein genetisch von diesem Wirklichen abhängig. Wir dürfen daher nur behaupten: Wären unsere Vorstellungserlebnisse so beschaffen, daß sie niemals zur Auslösung jenes Vereinbarkeits- oder Nichtvereinbarkeitsbewußtseins, jenes Gefühls des Gehemmtseins oder Nichtgehemmtseins führten, auf denen die psychische Genesis unseres Wertbewußtseins beruth, dann würde freilich dieser psychische Prozeß des Wertens nicht eintreten können, da eben die psychischen Bedingungen seines Entstehens fehlen würden. Genau ebenso würde z. B. auch das Vorstellen mit einer bestimmten Gegenstandsbezogenheit nicht entstehen können, wenn es keine Objektivitätsfunktionen gäbe, d. h. keine Akte des Raum-, Zeit- und Vergleichsbewußtseins, durch die unser Vorstellen erst seine Gegenstandsbezogenheit gewinnt. Dagegen ist die psychologische Frage, wie und welche Vorstellungsinhalte in uns entstehen, vom erkenntnistheoretiischen Problem des Wirklichkeitscharakters des Wirklichen unabhängig. Idealist und Realist können dieselbe Psychologie des Vorstellens haben. Ebenso ist die psychologische Frage, wie und welche Wertungserlebnisse entstehen, vom erkenntnistheoretischen Problem der Wirklichkeit der Werte unabhängig. Wert und Wirklichkeit mögen realiter verschieden sein oder realiter zusammenfallen: die Psychologie des Wertbewußtseins bleibt davon unbeeinflußt. Nur psychische Bedingungen entscheiden darüber, ob es Wertungserlebnisse gibt oder nicht. Die Bewußtseinserlebnisse sind genetisch ebenso unabhängig von den außerbewußten Wirklichkeiten, auf die sie sich beziehen, wie diese Wirklichkeiten realiter unabhängig vom Bewußtsein sind.

Ich habe die Logik als "Wissenschaft vom Wirklichen" definiert, diese Definition erläutert und gerechtfertigt. Ich habe durch die Erörterung des Sinnes der Ausdrücke: formal, Bedingung, gültig, Norm zur entgegengesetzten traditionellen Definition Stellung genommen, nach der die Logik die normative Wissenschaft von den formalen Bedingungen gültigen Denkens sein soll. Ich habe mich endlich ausführlich mit der Lehre WINDELBANDs auseinandergesetzt, der die Norm als etwas ansieht, das in die Realität hineingearbeitet werden kann, und sie in einem zu postulierenden "Bewußtsein überhaupt" oder "Normalbewußtsein" verankern will. Ich habe demgegenüber die Ansicht verfochten, daß Norm und Realität nicht zu trennen sind. Die Norm, die Geltung, der Wert sind uns Sachverhalte am realen Wirklichen und damit selbst reale Wirklichkeiten. Mein Wirklichkeitsbegriff hat also eine ungewöhnliche Weite. Nur wer das Wirkliche ebenso weit faßt wie ich, kann meine realistische Definition der Logik anerkennen. Diese Definition involviert zugleich einen bestimmten, von der traditionellen Auffassung verschiedenen Wahrheitsbegriff. Wenn man den Begriffen Wirklichkeit und Wahrheit heute meist nicht die von mir verfochtene Fassung gibt, so liegt das daran, daß man die Probleme der Wirklichkeit und der Wahrheit in eine Verschlingung bringt mit dem Problem des Ursprungs unserer Erkenntnis vom Wirklichen und Wahren. Diese Problemverschlingung ist das proton pseudos [erster Irrtum, erste Lüge - wp] des gewöhnlichen Idealismus. Sie wird sowohl durch eine reiche und bedeutsame philosophiegeschichtliche Tradition als auch durch sachliche Scheingründe nahegelegt, denen wir uns nur schwer entziehen können, weil sie in unserer geistigen Natur begründet sind. Wir Menschen sind erkennende und denkende Wesen und daher geneigt, die Wirklichkeit selbst nach unseren Wirklichkeitserkenntnissen, speziell nach dem Ursprung und dem Zustandekommen dieser Erkenntnisse, zu beurteilen. Es wird daher schwer sein, die Problemverschlingungen zu lösen. Dennoch müssen wir die Lösung versuchen, weil ohne diese Vorarbeit der Aufbau einer realistischen Logik unmöglich sein würde.

LITERATUR - Richard Herbertz, Prolegomena zu einer realistischen Logik,Halle/Saale 1916
    Anmerkungen
    1) William Stanley Jevons, "Leitfaden der Logik" (übersetzt von Hans Kleinpeter, Leipzig 1906).
    2) Aus den Abhandlungen der Königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 1906, Berlin 1907.
    3) Windelband, Einleitung in die Philosophie, Tübingen 1914.
    4) a. a. O., Seite 20
    5) Windelband, "Kritische oder genetische Methode?" in Präludien, Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie" (zweite Aufage, Tübingen 1903) Seite 298.
    6) Ernst Dürr, "Erkenntnistheorie", Leipzig 1910, Seite 96.
    7) Rickert in einem Aufsatz über Windelband in der "Frankfurter Zeitung" vom 7. November 1915.
    8) Windelband, Einleitung a. a. O., Seite 23
    9) Ich lasse hierbei die für meine gegenwärtige Betrachtung unerhebliche psychologische Frage unberücksichtigt, ob das wollende und fühlende Bewußtsein sich allein und selbständig oder nur in Verbindung mit dem vorstellenden Bewußtsein (oder etwa nur als Komponente desselben) zu einem bewußtseinstranszendenten Wirklichen in Beziehung zu setzen vermag.
    10) Dieses "besser" wird später, bei der Lehre vom Bewußtsein als intraobjektiver Beziehung, verständlich werden.
    11) Windelband, "Einleitung", a. a. O., Seite 20
    12) a. a. O., Seite 20
    13) a. a. O., Seite 211
    14) a. a. O., Seite 212
    15) a. a. O., Seite 212
    16) a. a. O., Seite 212
    17) In dem angegebenen Aufsatz der "Frankfurter Zeitung", wo er freilich über Windelbands Lehre berichtet, an der zitierten Stelle aber wohl zugleich auch eine eigene Meinung zum Ausdruck bringt.
    18) Der Terminus "metatranszendent" wurde als Gegensatz zu "bewußtseinstranszendent", soweit ich feststellen kann, zuerst von Joe Stickers, Luzern, gebraucht.
    19) Windelband, a. a. O., Seite 423.