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HERMANN LOTZE
Drei Bücher der Logik
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"Das Vorstellen ist nicht das, was es vorstellt, die Vorstellung ist nicht das, was sie bedeutet; auch die einfachsten Vorstellungen, die nur denkbaren Inhalt bezeichnen, haben diesen Inhalt nicht zu ihrem eigenen Prädikat: die Vorstellung des Gelben ist nicht gelb, die des Dreieckigen nicht dreieckig, die des Furchtsamen nicht furchtsam und die Vorstellung des Halben nicht halb so groß wie die des Ganzen."

"Da Verschiedenheit weder ein Prädikat des a für sich noch des b für sich ist, wessen Prädikat ist sie? und wenn sie nur Sinn hat, sobald a und b aufeinander bezogen sind, welche sachliche Verbindung findet denn zwischen a und b dann statt, wenn wir die beziehende Tätigkeit als nicht ausgeübt betrachten, durch welche wir in unserem Bewußtsein beide in Verbindung setzen? Diese Fragen nicht beachtet zu haben ist der Grund mancher Irrungen der antiken Dialektik; was Dingen nur in der gegenseitigen Beziehung zukommen kann, die unser zusammenfassendes Denken zwischen ihnen stiftet, wurde, nicht ohne der logischen Einbildungskraft Gewalt anzutun, als Prädikat der einzelnen auf sich beruhenden ausgesprochen."

"So oft von irgendeinem Geist ein vollkommener Kreis dargestellt wird, so oft wird zwischen seinem Durchmesser und seinem Umfang, hier freilich nur durch eine Reihe von Zwischengedanken, das Verhältnis 1 : Π gefunden werden; deshalb gilt diese Proportion ansich, aber obwohl sachlich gültig, hat sie doch ein Sein nur in Gestalt des Denkens, welches sie auffaßt."

Drittes Buch
Vom Erkennen
[Methodologie]

Viertes Kapitel
Reale und formale Bedeutung
des Logischen

§ 334. Tatsachen der Wahrnehmung erkennen wir an; nur dem  diskursiven Denken  mißtrauen wir, das sie deutet, am meisten den langen Gedankengeweben, die es der Anschauung abgewandt und doch mit der Hoffnung auf ein Ergebnis fortspinnt, das diese später bestätigen wird. Als Tätigkeit oder Bewegung der Seele folgt das Denken Gesetzen  ihrer  Natur; werden die Regeln, nach denen es seine Vorstellungen verknüpfen muß, zu demselben Abschluß führen, den der Zusammenhang der Sachen hervorbringt? so daß das Ende unseres Gedankengangs, wenn wir zur Wahrnehmung zurückkehren, mit dem zusammentrifft, was der Lauf der Dinge inzwischen hervorgebracht hat? Und wenn wir im Ganzen für unwahrscheinlich halten, daß Denken und Sein, die eine natürliche Vermutung als für einander geschaffen ansieht, völlig auseinander gehen, wird dann auch jeder einzelne Schritt des Denkens einer Phase des Geschehens entsprechen, die in der Entwicklung des gedachten Inhalts vorkäme? Aus solchen Zweifeln entsteht die Ansicht von einer bloß  formalen  oder subjektiven Geltung des Denkens. Sie ist klar in dem, was sie behauptet: die logischen Formen und die Gesetze ihrer Anwendung sind die Bedingungen, durch deren Erfüllung sich das Denken selbst genügt und den Zusammenhang des Vorgestellten zu dem macht, was für es selbst, das Denken, Wahrheit ist; aber unklar bleibt, in welchem Verhältnis, das sie doch nicht entbehren können, diese Formen und Gesetze zu dem Inhalt stehen, den sie nicht erzeugen, sondern vorfinden, und durch dessen Bearbeitung allein doch die gedachte Wahrheit den ihrigen erhält. Kann ein Inhalt in Formen gebracht werden, für die er nicht paßt? und selbst wo wir einen Stoff gewaltsam in eine Gestalt pressen, die er freiwillig nicht annähme, muß nicht in ihm selbst eine Eigenschaft sein, die diese Gewalt zumindest möglich macht? in jedem gegebenen Inhalt mithin, den das Denken seinen Formen unterwirft, eine Beziehung und Verwandtschaft zu diesen Formen, die höchstens mißbraucht werden kann? Muß nicht endlich diese Annahme in Bezug auf jede einzelne logische Operation gelten? Keine von ihnen ließe sich als bloß subjektives Verfahren des Denkens ausführen, läge nicht im gegebenen Inhalt ein Zug, der sie verlangt oder gestattet. Nun wissen wir, daß jenes Mißtrauen, dem wir oben Worte gaben, sich nicht in der befürchteten Allgemeinheit bestätigt; wieviel wir auch in langen Gedankengängen irren, das tägliche Leben zeigt doch, wie gut durchschnittlich unsere Überlegungen mit dem Lauf der Dinge wieder zusammentreffen. Warum sollen wir nicht diese Zuversicht zur Wahrhaftigkeit unseres Denkens festhalten, die unsere natürliche dem Zweifel vorangehende Stimmung ist? warum sie nicht bis zu der Überzeugung steigern, der sachliche Inhalt des Vorstellens sei an keine anderen Gesetze als an die gebunden, de das Denken ihm auferlegt? so daß es nur sorgfältiger Aufmerksamkeit auf alle Feinheiten im logischen Verfahren des Geistes bedürfte, um in ihm wie in einem Spiegelbild die eigenen realen oder objektiven Entwicklungsformen allen Seins zu finden? So entsteht die Überzeugung von einer  realen  Bedeutung des Denkens, in ihren allgemeinsten Zügen die frühere in der Entwicklung des menschlichen Geistes, ein Erzeugnis der Neuzeit in der ausdrücklichen Steigerung, die wir ihr zuletzt gaben; zwischen ihr und der entgegengesetzten Ansicht hat die Geschichte der Philosophie einen langen Streit zu erzählen. Wir können ihn nicht dadurch entscheiden, daß wir den logischen Formen und Gesetzen die des realen Seins und Geschehens vergleichend gegenüberstellen, denn wir haben keine Kenntnis der letzteren, an der nicht das Denken bereits mitwirkend Teil hätte; aber wir können fragen, wie denn das Denken selbst über die Bedeutung seiner eigenen Handlungen urteilt, und inwieweit es diejenigen Formen, die es als psychische Bewegung des denkenden Subjekts annehmen muß, für Eigenbestimmtheiten des von ihm bearbeiteten Inhalts ausgibt.

§ 335. Welche Handlung des Denkens wir auch ins Auge fassen: keine besteht in einem bloßen Vorhandensein zweier Vorstellungen  a  und  b  im selben Bewußtsein, jede in dem, was wir eine  Beziehung  der einen Vorstellung  auf  die andere nennen. Nach ihrer Ausführung läßt diese Beziehung sich als eine dritte Vorstellung  C  fassen, aber weder ist dann  C  gleichartig mit  a  und  b,  noch ist sie ein bloß mechanischer Effekt von Gegenwirkungen, die nach irgendeinem Gesetz zwischen beiden, als psychischen Vorgängen von bestimmter Größe und Verschiedenheit, stattgefunden hätten. Als einfachste Beispiele mögen Gleichsetzung und Unterscheidung zweier Vorstellungsinhalte dienen. Setzen wir  a gleich a so ist ohne Zweifel die Vorstellung  a  doppelt in unserem Bewußtsein; aber welche mechanische Analogie wir auch anwenden, nie folgt aus diesem Umstand etwas Anderes, als daß entweder beide  a  als eines zählen, weil sie ohne Unterschied einander decken, oder daß sie, als gleichartige Erregungen der Seele, zu einer dritten Vorstellung von größerer Stärke verschmelzen, oder daß es bei ihrem getrennten Bestehen lediglich sein Bewenden hat. Ihre  Vergleichung  aber, die zu der Vorstellung  C  der Gleichheit führt, besteht entweder in ihrem bloßen Zusammensein noch in ihrer Vermischung; sie ist eine jetzt erst angeregte völlig einheitliche Tat der Seele, welche beide Vorstellungen zugleich festhält, von der einen zur anderen übergeht und sich bewußt wird, während dieses Übergangs und durch ihn keine Veränderung ihres vorstellenden Zustandes der Handelns erfahren zu haben. Vergleichen wir ferner zwei verschiedene Vorstellungen  a  und  b,  Rot und Gelb. Zwei äußere Reize, die für sich einwirkend je eine dieser Empfindungen erweckt hätten, mögen gleichzeitig wirkend in dem Nerv, durch den sie sich noch als physische Zustände fortsetzen, in eine dritte mittlere Erregung verschmelzen können, die der Seele nur die Veranlassung zu einer einfachen dritten Empfindung gäbe; zwei Vorstellungen, die als solche einmal in der Seele entstanden sind, erfahren diese Vermischung nicht. Geschähe sie, so wäre mit dem verschwundenen Unterschied auch Anlaß und Möglichkeit der Vergleichung und hiermit in weiterer Folge die Möglichkeit allen Denkens und Erkennens verschwunden. Denn sichtlich beruth jede Beziehung darauf, daß die verschiedenen Inhalte unverfälscht durch eigene Wechselwirkungen im Bewußtsein aufbewahrt bleiben, daß die einheitliche Tätigkeit, welche sie zusammenfassen will, sie als solche vorfindet und zwischen ihnen hin und hergehend sich der entstehenden Änderung ihres eigenen vorstellenden Zustandes bewußt wird. Indem ich mich so ausdrücke, fühle ich vollständig die Berechtigung des Vorwurfs, daß meine Bezeichnung dieser Tätigkeit lauter unkonstruierbare Umschreibungen enthält. Aber das ist es eben, was deutlich werden muß, daß die geistigen Vorgänge, auf denen alles Denken beruth, keinerlei Ähnlichkeit mit dem physischen Geschehen haben, nach dessen Analogien solche Klagen sie modelliert sehen möchten. Eine Tätigkeit, die nicht einfach eine Bewegung ist, sondern eine Bewegung ausübt, auf zwei Objekte sich bezieht, ohne sie jedoch zu ändern, schließlich sich der Richtung und Größe des zurückgelegten Weges am Unterschied ihrer eigenen Zustände bewußt wird, läßt sich nicht auf das gewöhnliche Schema von unveränderlichen Elementen mit veränderlichen Relationen, von Gleichheit der Wirkung und der Gegenwirkung bringen; dennoch ist sie etwas, dessen Wirklichkeit wir alle empfinden; ist doch eben sie das Werkzeug, durch das wir auch jene bewunderten Konstruktionen ausführen. In dieser ihrer ganzen Eigentümlichkeit muß man sie gelten lassen und zu ihrer Bezeichnung neue ihr Wesen nicht verfälschende Grundbegriffe suchen, deren Mangel wir noch fühlen, und die ich keineswegs durch meine sehr unvollkommenen Ausdrucksweise für gefunden halte.

§ 336. In unserem Beispiel waren  a  und  b,  Rot und Rot oder Rot und Gelb unmittelbare Gegenstände einer Anschauung. Die Vorstellungen  C  der Gleichheit oder Verschiedenheit, die wir als Ergebnis der angestifteten Beziehung erhielten, sind dies nicht mehr; als Verhältnisse des einen zum andern, als Gleichheit des  a  mit  a,  als Verschiedenheit des  a  von  b,  lassen sich die Inhalte beider nicht ohne die mitreproduzierten Vorstellungen dieser Beziehungspunkte und nur durch eine Miterinnerung eben jener Bewegung wirklich denken, die uns von dem einen zum andern hinüberführte. So oft uns daher der Name der Gleichheit oder des Unterschieds genannt wird, werden wir zur Wiederholung all jener Bewegungen aufgefordert, durch die allein es möglich ist, ihren Sinn zu erfassen; aber indem wir das Ergebnis, welches wir denkend erzeugen wollen, dahin aussprechen, daß  a  gleich  a  oder  a  verschieden von  b ist,  drücken wir die Überzeugung aus, daß die  sachliche  Erkenntnis, die zu gewinnen war, ganz und ungeteilt in diesem letzten Schritt liegt; nicht dem  a  und dem  b  schreiben wir jene hin und hergehende Bewegung zu, durch welche wir dieses ihr Verhältnis zueinander fanden; sie bildet vielmehr nur einen psychischen Vorgang, ohne den dieses Ergebnis weder zuerst zu erreichen noch in der Erinnerung zu wiederholen ist, der aber doch, gleich einem Lehrgerüst, das man nach vollendeter Arbeit wieder abbricht, von der sachlichen Bedeutung unserer Denkhandlung wieder abgezogen werden muß. So zeigt sich hier zuerst, in einem einfachsten Fall, der Gegensatz der bloß  formalen  Bedeutung unserer Denk handlung  zur  realen  ihres Produkts. Ehe ich diese Spur weiter verfolge, erinnere ich an zwei Reihen von Vorgängen, die im Großen dasselbe bestätigen, was wir hier an einem bestimmten Beispielfanden. Zuerst erhalten wir die sinnlichen Anschauungen, von denen unser Denken ausgeht, fast alle in räumlicher Gestalt, Ordnung oder Beziehung; durch die symbolische Benutzung dieser Form suchen wir daher jedem verwickelten Verhältnis die ihm sonst fehlende Anschaulichkeit zu geben; wir ersetzen Unterschiede durch Entfernungen von bestimmter Größe und Richtung, eine Vielheit des Gleichen durch eine Zerstreuung in verschiedene Raumpunkte, die Identität des Einen mit sich selbst durch einen unveränderlichen Ort, an den unsere Vorstellung immer zurückgeführt wird; wir finden schließlich eine Schwierigkeit für die Klarheit begreifender Übersicht, wo die Natur der räumlichen Schemata zum Ausdruck der Vielseitigkeit denkbarer Beziehungssystem nicht ausreicht. Dennoch sind wir uns bewußt, damit nicht das Wesen der Sache bezeichnet zu haben; alle diese Symbolisierungen waren subjektive Hilfsmittel, benutzbare Wege für das Denken, das sein eigentliches Ziel  C  durch ein Hin- und Hergehen auf ihnen zu erreichen hat; was wir  meinen,  ist unabhängig von der Art, wie wir es  verbildlichen.  Der Ausdruck unserer Gedanken ist zweitens an die Sprache, längst auch ihr innerer Verlauf an die Reproduktion der Wort gewöhnt; Wahrnehmungen, Erinnerungen und Erwartungen haben kaum volle Klarheit, bis wir für sie erschöpfende Ausdrücke in Sätzen der Sprache gefunden haben. Der so erreichte Vorteil hängt nicht eigentlich an der Sprache und ihren Lauten, sondern an einer inneren Arbeit der Zergliederung und Verknüpfung, welche dieselbe bliebe, auch wenn sie andere Formen der Mitteilung benutzen würde; tatsächlich aber, nachdem die Sprache zu diesem Zweck entstanden ist, sind Form und Leichtigkeit der Denkbewegungen allerdings von den Mitteln abhängig, welche sie darbietet, und deshalb selbst national verschieden, nachdem sich mancherlei Ursachen verbunden haben, Bau und Fügung verschiedener Sprachen ungleichartig zu machen. Ansich ist daher, was wir logisch  meinen,  unabhängig von der Art, wie wir es sprachlich ausdrücken; in wirklicher Ausführung ist aber doch alles menschliche Denken genötigt, den gemeinten Gedanken durch Trennungen, Verknüpfungen und Umformungen der Vorstellungsinhalte herzustellen, welche die Sprache in ihren Worten verfestigt hat. Nur mit diesem  diskursiven  Charakter, im Gegensatz zur Anschauung, ist das Denken eine psychische Tatsache; mit diesem Charakter ist es auch ein Gegenstand unserer logischen Darstellung gewesen und nie überhaupt hat Logik sich mit einem Denken beschäftigt, das seine verschiedenen Vorstellungen nicht nacheinander zum Zielpunkt seiner Aufmerksamkeit gemacht, nicht vergleichend und beziehend sich zwischen ihnen bewegt, nicht Abstraktes räumlich symbolisiert, nicht schließlich seine Gedanken in Konstruktionen einer Sprache ausgedrückt hätte. Wir müssen daher erwarten, in dem, was wir logische Handlungen, Formen und Gesetze nennen, viel eines bloß  formalen  Apparates zu finden, der, obwohl zur Ausübung des Denkens unentbehrlich, doch der  realen  Bedeutung entbehrt, die das Denken dem Endergebnis seines Tus allerdings zuschreibt.

§ 337. Kehren wir jetzt zu diesem Ergebnis zurück. Wenn wir,  a  und  b  vergleichend, uns einer Veränderung  C  bewußt werden, die  wir  im Übergang von einem zum andern erleiden, so wird zwar gewiß  C  von der Natur jener beiden Beziehungspunkte abhängen, denn  C  wir anders und zu  C1  werden, wenn  c  und  d  an deren Stelle treten; dennoch scheint  C  von diesem sachlichen Verhalten nur  abzuhängen,  nicht aber identisch, es  abzubilden;  als unsere subjektive Erregung erreicht es den sachlichen objektiven Gehalt des zu Erkennenden nicht. Diesen grübelnden Einwurf würde ich nicht erwähnen, wenn er nicht Veranlassung gäbe, auf die schwer zu definierende Natur des Vorstellens zurückzukommen. Das Vorstellen ist nicht das, was es vorstellt, die Vorstellung ist nicht das, was sie bedeutet; nicht nur in einem handgreiflichen Sinn, daß weder jenes noch diese die vorgestellte Sache selbst ist; vielmehr auch die einfachsten Vorstellungen, die nur denkbaren Inhalt bezeichnen, haben diesen Inhalt nicht zu ihrem eigenen Prädikat: die Vorstellung des Gelben ist nicht gelb, die des Dreieckigen nicht dreieckig, die des Furchtsamen nicht furchtsam und die Vorstellung des Halben nicht halb so groß wie die des Ganzen. Gleichwohl ist das Vorstellen von diesem seinem Inhalt nicht so trennbar, daß es für sich sein, geschehen oder sich ändern könnte; es  ist  nur, indem es vorstellt, was es selbst nicht ist; es ändert sich nur, indem es einen dieser Inhalt mit dem andern vertauscht; es wird mithin auch die Veränderung seiner eigenen Zustände, deren es sich bewußt wird, nur in der Veränderung der vorgestellten Inhalte bestehen, die es in einer einheitlichen Tätigkeit vergleichend zusammenfaßt; sie kann nicht in einer andersgearteten Affektion gesucht werden, die das Bewußtsein nur  infolge  seiner Erregung durch jene Vorstellungsinhalte erleidet, und die ihm, abgetrennt von diesen, als eine deren eigenem Verhältnis unähnliche Vorstellung  C  merkbar würde. Wer Rot und Gelb in gewissem Grad verschieden und doch verwandt findet, wird sich ohne Zweifel dieser beiden Beziehungen nur mit Hilfe der Veränderungen bewußt, die er, als vorstellendes Wesen, beim Übergang von der Vorstellung des einen zu der des andern erfährt, aber er hegt dabei nicht die Befürchtung, das Verhältnis von Rot und Gelb könne ansich noch ein anderes sein, als das der Affektionen, welche sie bei ihm veranlassen; ansich etwa sei Rot und Gelb gleich und erscheint uns bloß verschieden von ihm, oder ansich finde zwischen beiden ein größerer Unterschied statt, der nur uns noch eine gewisse Verwandtschaft einzuschließen scheint. Solche Bedenken hätten Grund, wo wir unsere Gedankenwelt zu einer außer ihr vorausgesetzten Sachenwelt in Beziehung brächten; solange jedoch statt dieser unsere eigenen Vorstellungen unseren Gegenstand bilden, zweifeln wir nicht, daß die bei ihrer Vergleichung erfahrenen Gleichheiten oder Unterschiede unseres Vorstellens zugleich ein sachliches Verhalten unserer Vorstellungs inhalte  bedeuten.

§ 338. Wie aber ist dies doch eigentlich möglich? wie können Sätze wie:  a ist  gleich  a  oder  a ist  verschieden von  b,  ein sachliches Verhalten ausdrücken, das folglich unabhängig von unserem Denken bestände und von ihm nur aufgefunden oder anerkannt würde? Mag jemand noch zu wissen glauben, was er unter der ansich bestehenden Gleichheit des  a  mit  a  sich denkt, wie wird er aber über den ansich bestehenden Unterschied  zwischen a  und  b  urteilen? und welches sachliche Verhalten wird diesem  Zwischen  entsprechen, das uns nur verständlich ist, solange es an die räumliche Entfernung erinnert, welche  wir,  als wir  a  und  b  vorstellten, symbolisierend zu beider Auseinanderhaltung und zugleich als den verbindenden Weg einschalteten, auf dem unser Vorstellen vom einen zum andern übergehen könnte? Oder anders ausgedrückt: da Verschiedenheit weder ein Prädikat des  a  für sich noch des  b  für sich ist, wessen Prädikat ist sie? und wenn sie nur Sinn hat, sobald  a  und  b  aufeinander bezogen sind, welche sachliche Verbindung findet denn zwischen  a  und  b  dann statt, wenn wir die beziehende Tätigkeit als nicht ausgeübt betrachten, durch welche wir in unserem Bewußtsein beide in Verbindung setzen? Diese Fragen nicht beachtet zu haben ist der Grund mancher Irrungen der antiken Dialektik; was Dingen nur in der gegenseitigen Beziehung zukommen kann, die unser zusammenfassendes Denken zwischen ihnen stiftet, wurde, nicht ohne der logischen Einbildungskraft Gewalt anzutun, als Prädikat der einzelnen auf sich beruhenden ausgesprochen. Damit  a  und  b  verschieden sind, ohne unser Denken zu ihrer Unterscheidung zu bedürfen, wurde jedem der beiden zugeschrieben, ansich ein  heteron [Verschiedenes - wp] zu sein und die Vergleichung mit dem andern sollte dabei ungeachtet bleiben, die doch diesem Ausdruck allein Bedeutung gibt; die Verneinung, die das Denken durch seine vergleichende Unterscheidung ausspricht, indem es sagt,  a ist nicht b,  kam am  a  für sich als ein positives Prädikat, mit einer Hinweglassung des verneinten Beziehungspunktes  b,  als ein seiendes Nichtsein mithin, zu eigener Wirklichkeit, und diese Unklarheit galt für einen großen Fund des Tiefsinns; wenn  b  kleiner als  a  und größer als  c  war, so war es ein ärgerliches Rätsel, wie die von ihren Beziehungspunkten abgelösten und nun einander widerstrebenden Prädikate des Kleinerseins und des Größerseins sich an demselben  b  vertragen mögen. Diesen Irrungen im Einzelnen zu folgen, würde nicht ohne vielseitiges Interesse sein, aber zu weitläufig für unsere Darstellung, die sicht mit folgendem Abschluß begnügen mag. Sind  a  und  B,  wie bisher, nicht Dinge von unabhängiger, unserem Denken jenseitiger Wirklichkeit, sondern vorstellbare Inhalte, wie Rot und Gelb, Gerade und Krumm, so besteht eine Beziehung zwischen ihnen nur, sofern wir sie denken, und dadurch daß wir sie denken. Aber so ist unser eigene Seele beschaffen, und so setzen wir jede andere voraus, deren Inneres der unseren gleicht, daß dieselben  a  und  b,  so oft sie und von wem sie auch vorgestellt werden mögen, stets im Denken dieselbe nur durch das Denken und nur in ihm bestehbare Beziehung hervorbringen werden. Unabhängig ist diese Daher vom einzelnen denkenden Subjekt und unabhängig von einzelnen Momenten seines Denkens: hierin allein liegt das, was wir meinen, wenn wir sie als  ansich  bestehend zwischen  a  und  b  betrachten und sie von unserem Denken wie ein für sich dauerndes Objekt auffindbar glauben; sie besteht wirklich so fest, aber nur als ein Ereignis, das im Denken stets unter gleichen Bedingungen sich gleich erneuern wird. Und dies gilt nicht allein vom Unterschied, sondern von jedem Verhältnis, das wir zwischen  a  und  b  auffinden. So oft von irgendeinem Geist ein vollkommener Kreis dargestellt wird, so oft wird zwischen seinem Durchmesser und seinem Umfang, hier freilich nur durch eine Reihe von Zwischengedanken, das Verhältnis  1 : Π  gefunden werden; deshalb  gilt  diese Proportion  ansich,  aber obwohl sachlich  gültig,  hat sie doch ein  Sein  nur in Gestalt des Denkens, welches sie auffaßt. Es verhält sich anders, wenn  a  und  b  ausdrücklich Wirklichkeiten, Dinge, Wesen bedeuten, die wir denkend nicht erzeugen, sondern als jenseitige Gegenstände anerkennen; dann drückt der Name der Beziehung  weniger  aus, als wir zwischen diesen Beziehungspunkten wirklich bestehend denken müssen. Nur solange wir bloß die vorstellbaren Inhalte dieser  a  und  b  in einer willkürlichen Zusammenstellung vergleichen wollen, würden wir durch die Behauptung einer Beziehung zwischen ihnen, richtiger dann zwischen ihren Vorstellungen oder Denkbildern, unseren Gedanken vollständig ausgedrückt haben. So oft wir dagegen, um eine in der Wahrnehmung uns aufgenötigte Verbindung dieser Vorstellungen zu erklären, uns auf eine Beziehung  C  berufen, die ansich eben nicht zwischen ihnen, sondern zwischen den Dingen  a  und  b  besteht, deren Denkbilder sie für uns sind, so müssen wir inne werden, daß das, worauf wir uns hier berufen, nicht eine Beziehung  zwischen a  und  b  und deshalb überhaupt keine Beziehung mehr im gewöhnlichen Sinn dieses Namens sein kann. Denn  nur  unser Denken, indem es von der Vorstellung  a  zur Vorstellung  b  übergeht und sich dieses Übergangs bewußt wird, erzeugt als eine für es selbst verständliche Anschauung das, was wir hier ein  Zwischen  nennen; ganz unausführbar dagegen würde jeder Versuch sein, dieser Beziehung, zugleich eine Trennung und Verknüpfung des  a  und  b,  die nur die Erinnerung an eine durch die Einheit unseres Bewußtseins vollziehbare Denkhandlung ist, eine reale Geltung der Art zu geben, daß sie etwas wäre auch abgesehen vom Bewußtsein, welches sie denkt. Unabhängig von unserem Vorstellen, in einer objektiven Geltung, kann diese angebliche Beziehung nur bestehen, wenn sie  mehr  ist als eine Beziehung, und sie besteht dann nicht  zwischen a  und  b,  denn dieses Zwischen selbst ist nirgends als in uns, sondern in beiden als ein Wirken und Leiden, das sie wechselseitig aufeinander ausüben und voneinander erfahren und das nur für uns, wenn wir es denken, logisch die abgeschwächte und seine volle Bedeutung nicht mehr erreichende Form einer Beziehung annimmt. Ich muß der Metaphysik überlassen, zu zeigen, zu welchen Folgerungen diese Bemerkung führt; auf Einiges, was mit ihr zusammenhängt, komme ich bald zurück.

§ 339. Die Vergleichung von  a  und  b  führt nicht bloß zu einer Gleichsetzung oder Unterscheidung; in Gestalt des  Allgemeinen  suchen wir auch das Gleiche im Verschiedenen zum Inhalt einer gesonderten Vorstellung  C  zu machen. Es ist eine häufige kritische Bemerkung der Logik, daß unsere allgemeinen Begriffe nicht die Festigkeit besitzen, die wir ihnen im gewöhnlichen Gebrauch des Denkens zutrauen; ihr Inhalt und ihre Gliederung bildet sich allmählich aus und derselbe Begriff bedeutet Verschiedenes für verschiedene Entwicklungsstufen unserer immer hinzulernenden Erkenntnis. Dies gilt in sehr deutlicher Weise von Begriffen, deren Inhalt bloß aus einer Erfahrung stammend uns erst nach und nach bekannt wird; nicht ebenso unvollendbar wird man die Begriffe einer Ganzzahl oder eines Bruches, einer Linie oder einer Figur finden. Im Begriff des Dreiecks denkt der Geometer nicht mehr als sein aufmerksamer Schüler; aber  bei  diesem Begriff erinnert er sich zahlreicher Relationen, die diesem noch unbekannt sind; so scheint es als sei für ihn der Begriff des Dreiecks reicher an Inhalt, während nur sein Wissen  über  ihn ausgedehnter ist. Dies dahinstellend hebe ich vielmehr hervor, daß jeder Allgemeinbegriff, auch wenn wir nur denjenigen Inhalt in Betracht ziehen, den er in einem einzelnen Augenblick ausdrücken soll, eine in wirklicher Vorstellung unvollendbare Aufgabe bezeichnet. Ein bestimmtes Rot und Blau kann man sehen; die allgemeine Farbe läßt sich weder sehen, noch in gleich anschaulicher Gestalt, wie die Erinnerungsbilder von Rot und Grün, der Einbildungskraft gegenüberstellen. Wer von Farbe überhaupt spricht, rechnet darauf, der Hörende werde zunächst das anschauliche Bild einer Einzelfarbe, des Rot vielleicht, in sich erzeugen, zugleich aber es mit einer Verneinung begleiten, die es nicht für sich, sondern als Beispiel des Allgemeinen gelten läßt; diese Verneinung aber, wenn sie nicht allen Inhalt aufheben soll, kann er nur ausführen, wenn er zugleich Einzelbilder anderer Farben mitvorstellt und von der einen dieser Vorstellungen zur andern übergehend sich des bleibenden Gemeinsamen in seinen veränderlichen Vorstellungszuständen bewußt wird. Eine solche Reihenfolge psychischer Tätigkeiten schreibt uns der ausgesprochene Name jedes Allgemeinen vor; erreichbar aber als wirkliche Vorstellung ist das nicht, was durch diese Tätigkeiten gesucht wird; niemals läßt sich, was Rot und Grün zu Farben macht, von dem abtrennen, was Rot zu Rot und Grün zu Grün macht. Man pflegt als selbstverständlich zuzugeben, daß die Gattung eines Wirklichen nicht für sich wirklich ist; das Einzelpferd sieht man, das allgemeine läuft nirgends; aber man muß sich überzeugen, daß auch  im Denken  das Allgemeine immer nur als eine angestrebte, nie vollzogene Vorstellung über den anschaulichen Bildern seiner Einzelbeispiele schwebt. Diesen inneren Bewegungen in uns kann keine sachliche Bedeutung zukommen; sie bleiben subjektive Anstrengungen unseres Geistes, und selbst die Art, wie wir ihr Ergebnis ausdrücken: der Inhalt des Allgemeinen ist enthalten im Inhalt des Besonderen, dieses im Umfang des Allgemeinen, bezeichnet nur in räumlicher Symbolik die Denkbewegungen, die in sachliches Verhältnis zwischen beiden vorzustellen streben. Da wir nun überdies in einer wirklichen Vorstellung nicht erreichen, was wir suchen, hat denn dann das Allgemeine überhaupt eine sachliche Bedeutung? Oder hat eine weitverbreitete Meinung Recht, nur in einem psychischen Mechanismus die Ursache zu sehen, die uns verleitet, ähnliche Eindrücke mit einer Vermischung ihrer Unterschiede und zuletzt nur mit Schaden für die Genauigkeit des Denkens unter gemeinsame Namen zusammenzufassen? Aber diese Meinung gibt zu, was sie leugnen will; um zu begreifen, daß nicht alle, sondern nur ähnliche Vorstellungen diese Zusammenziehung in ein Gemeinsames erfahren, setzt sie eben die Ähnlichkeit derselben und hiermit offenbar nur in anderer Form die sachliche Gültigkeit unserer Annahme eines Allgemeinen voraus, das in ihnen, wie unabtrennbar auch immer, enthalten sein soll. Wäre es andererseits nur eine angeborene Bestrebung des Denkens, Allgemeines zu  suchen,  so möchte immerhin dieses Streben ohne sachliche Bedeutung sein; aber die Tatsache, daß das Gesuchte  gefunden  wird, gibt ihm diese doch. Ich widerspreche mir hier nur scheinbar; denn obgleich das Allgemeine nicht als anschauliche Vorstellung fixiert werden kann, erfolglos ist die Bemühung dann doch nicht, es zu denken. Wir könnten Rot und Blau nicht einmal dem allgemeinen  Namen  der Farbe unterordnen, wenn das Gemeinsame in ihnen nich wäre, dessen Bewußtwerden wir durch die Schöpfung dieses Namens bezeugen; wir könnten von Tieren und Pflanzen keine Gattungsbegriffe bilden, wenn nicht die Merkmale der einzelnen und ihre Verbindungsweisen die Vergleichbarkeit wirklich besäßen, die uns erlaubt, sie allgemeinen Merkmalen und Formen unterzuordnen und durch die Einsetzung derselben anstatt ihrer das allerdings unanschauliche Denkgebilde der Gattung zu erzeugen. In der Tatsache mithin, daß wir Allgemeines denken  können,  liegt allerdings eine Behauptung von realer Geltung: die Welt der vorstellbaren Inhalte, die wir nicht denkend erzeugen, sondern vorfinden, zerfällt nicht atomistisch in lauter singuläre Bestandteile, deren jeder unvergleichbar mit anderen wäre, sondern Ähnlichkeiten, Verwandtschaften und Beziehungen zwischen ihnen finden so statt, daß das Denken, Allgemeines bildend, Besonderes ihm unterordnend und einander nebenordnend, durch diese seine formalen und subjektiven Bewegungen mit der Natur des sachlichen Inhalts zusammentrifft.

§ 340. Gehen wir von diesen einfachsten Fälle zu den Hauptformen der logischen Tätigkeit über, so begegnet uns in Bezug auf die Bedeutung der  allgemeinen Begriffe  der Streit des  Nominalismus  und des  Realismus der das Mittelalter heftig bewegte. Beide Richtungen faßten den Gegenstand der Frage nicht in einem rein logischen Sinn: überwiegen metaphysisches Interesse ließ sie die Innenwelt unserer Vorstellungen hauptsächlich in ihrem Verhältnis zur Welt der Dinge betrachten. So kam der Realismus dahin, mit einer Übertreibung der mißverstandenen Selbständigkeit platonischer Ideen, den Allgemeinbegriff für das wahrhaft Seiende in den Dingen, alles aber, wodurch eines seiner verwirklichten Beispiele sich von den andern unterscheidet, als eine freilich sehr rätselhafte, aber sekundäre Nebenbestimmung anzusehen, die vergänglich zu einer ewigen Substanz des Allgemeinen hinzutritt; der Nominalismus, von der richtigen aristotelischen Überzeugung beginnend, die Wirklichkeit des  Seins  gehöre nur dem Einzelding, fand keinen Weg, mit dieser die  Geltung  des Allgemeinen zu vereinigen, sah in den Begriffen höchstens subjektiv verwendbare Mittel für die Ordnung unserer Vorstellungen ohne Bedeutung für die vorgestellten Dinge, und verirrte sich, auch dies noch leugnend, bis dahin, sie nur als aussprechbare und hörbare Laute ohne wirklichen Denkinhalt gelten zu lassen. Ich vermeide zunächst jene ausschließliche Beziehung auf das Sein; sie beschränkt widerrechtlich den Sinn der Frage; auch wo es sich in Mathematik nicht um Dinge und ihr Wesen handelt, auch wo praktische Philosophie und Jurisprudenz von den Tugenden und Verbrechen sprechen, die sein  sollen  oder nicht sein sollen, überall ferner wo im Leben eine wichtige Entscheidugn durch Unterordnung einer gegebenen Sachlage unter einen allgemeinen Begriff gesucht wird: überall da kommt die gesetzgebende Bedeutung des Allgemeinen für diese fachlich, aber doch nicht dinghaft, uns gegebenen Inhalte in Betracht.

§ 341. Entwöhnt man sich, nur naturgeschichtliche Gattungsbegriffe als Beispiele des Allgemeinen zu denken, erinnert sich vielmehr, daß wir auch von Figuren und Zahlen, Ereignissen und Verhältnissen, Wahrheiten und Irrtümern allgemeine Begriffe bilden, so verschwindet die abenteuerliche Neigung von selbst, ihnen als solchen eine dinghafte oder doch wesenhaften Realität zuzuschreiben. Die Urbilder selbständiger Geschöpfe, der Pflanze, des Tieres, des Menschen, mag allenfalls unsere Einbildungskraft in einer hypostasierten [bloßen Worten eine gegenständliche Realität unterschieben - wp] Ideenwelt in einer ewigen Wirklichkeit für sich bestehen lassen, Gegenstände der Anschauung für eine Seele, die noch nicht an die Beschränkungen ihres irdischen Daseins gebunden wäre; aber die Allgemeinbegriffe von Ruhe und Bewegung, Gleichheit und Gegensatz, Tun und Leiden könnten auch in jener Welt nicht in einer gleichartigen Wirklichkeit neben ihnen  sein,  sondern nur als prädikative Bestimmungen von ihnen  gelten Diese leicht einzusehende Notwendigkeit vergessen wir freilich zuweilen: Eigenschaften, Verhältnisse oder Ereignisse, an deren Inhalt sich ein hervorragendes Interesse der Verehrung oder der Furcht knüpft, sind wir geneigt, mit einer Verkennung ihrer dennoch nur prädikativen Natur als Allgemeinheiten von wesenhafter Wirklichkeit zu behandeln; vom Schönen ansich sprechen wir wie von einem Wesen, das nur uns zugänglich ist, aber ansich ein Gegenstand möglicher Anschauung; von der Sünde reden wir nicht nur wie von einer Tat, die wirklich wird, wenn wir sie begehen, sondern auch wie von einer selbständigen Macht, die wesenhaft auf uns einwirkt. Wir verwechseln hier die Wichtigkeit, die dem Inhalt beider Begriffe im Ganzen der Weltordnung gebührt, mit einer Form der Wirklichkeit, die ihm unzugänglich ist, und die nur am ausdrucksvollsten seine Unabhängigkeit von unserer Anerkennung hervorhebt. Dieser falschen und nicht ungefährlichen Gewohnheit entsagen wir doch leicht; nur die Allgemeinbegriffe dessen, was nach der Natur seines Inhalts ursprünglich eine substantivische Fassung verlangt, unterhalten länger die Neigung zu einer solchen Hypostasierung; auch sie jedoch weicht vor einer einfachen Betrachtung. Nicht nur einmal bilden wir ja, vom Einzelnen der Wahrnehmung ausgehend, ein Allgemeines  Q,  sondern wir verbinden dieses auch mit anderen seinesgleichen zu einem höheren Allgemeinen  P,  und indem wir dieses Verfahren fortsetzen, ist es zugleich in weiten Grenzen in unser logisches Belieben gestellt, durch wieviele ebenfalls allgemeine Mittelglieder wir  Q  mit dem höchsten Allgemeinen  A,  bei dem unsere Abstraktion anhalten wird, in Verbindung setzen wollen. Jedes dieser Allgemeinen würde ein gleiches Recht auf jene wesenthafte Existenz haben; neben das allgemeine Tier ansich träte in gleicher Wirklichkeit das allgemeine Wirbeltiert, das Säugetier ansich, der allgemeine Einhufer, das Pferd ansich und der allgemeine Rappe;  neben einander, sagte ich absichtlich, denn es gäbe in der Tat keine Vorstellungsweise, durch welche wir die Unterordnung, vermöge deren in unserem Denken einer dieser Allgemeinbegriffe den andern einschließt, auf diese Wesen von gleichartiger Wirklichkeit des Seins übertragen könnten; so nebeneinander gestellt aber würden sie das nicht mehr bedeuten, was sie bedeuten wollen. Die Einsicht befestigt sich daher, daß diejenige Realität, die wir den durch unser Denken erzeugten Allgemeinbegriffen zuerkennen wollen, völlig unähnlich einem Sein ist und nur in einer Geltung  von  diesem Seienden bestehen kann. Aber wieviel vom Ganzen eines Allgemeinbegriffs diese Geltung besitzt und was es überhaupt heißt, sie zu besitzen, bedarf noch einiger Erörterung.

§ 342. Ich erinnere zunächst daran, daß es sich hier nicht um einen objektiven Wert handelt, der diesem oder jenem der von uns erzeugten Allgemeinbegriffe aufgrund seines richtig zusammengefügten Inhalts zukommen mag, die Frage bezieht sich auf die allgemeine Bedeutung der logischen  Form  des Allgemeinbegriffs; daß dieser, wie jeder anderen von diesen Formen, welche die Logik als Ideale vorzeichnet, ein ihr unzupassender Inhalt gegeben werden kann, bedarf keiner besonderen Erwähnung; aber die Kritik dieser unzähligen Anwendungen der Begriffsform ist keine hier zu lösende Aufgabe. Nun dachten wir einen Inhalt  S  dann in der Form des Begriffs, wenn wir seine mannigfachen Bestandteile nicht nur als ein Ganzes überhaupt zusammenfaßten, sondern ein Allgemeines  M  mitvorstellen, von dessen in bestimmter Weise verknüpften allgemeinen Merkmalen  P Q ... jedes in  S  zu einer besonderen Modifikation  ps qs  determiniert war. Diese Struktur unseres Begriffs entspricht keinem Vorgang, der in der Natur eines Dings oder eines Gegenstandes vorkäme; sie entspricht auch dem nicht, was wir als die eigene Natur eines zwaf fachlich, aber nicht dinghaft gegebenen Inhalts bezeichnen könnten. Es gibt keinen Augenblick im Leben einer Pflanze, in welchem sie nur eine allgemeine Pflanze oder Konifere [Zapfenträger - wp] ansich wäre und von späteren Einflüsen, die unsere hinzukommende logischen Determination ersetzen, eine Entscheidung darüber erwartet, zu welchem bestimmten Baum sie sich auswachsen soll. Allerdings ist die Pflanze das, was sie zuletzt wird, nicht schon als vollständige Miniatur im Keim; aber ihre Entwicklung erfolgt nicht so, daß hinzutretende Bedingungen eine Determination in allgemeiner und unbestimmter Gestalt vorhandener Merkmale erzeugen, sondern zu völlig bestimmten treten sie hinzu und bringen im Verein mit ihnen neue Folgen hervor, die nicht als  mögliche Arten  in den Umfängen früherer allgemeiner Merkmale lagen und jetzt nur, mit Ausschluß aller disjunkten [unterschiedenen - wp], zur  Wirklichkeit  kommen. Ellipsen haben keine natürliche Existenz und Entwicklung wie Pflanzen; aber auch in ihre Natur dringen wir doch nicht dadurch mit ausschließlicher Wahrheit ein, daß wir sie zuerst als Kurven überhaupt mit den allgemeinen Eigenschaften aller krummen Linien denken, und dann diese Eigenschaften bis zu der Besonderheit determinieren, die dieser Kurve als solcher gehört; so  können  wir zu ihrem Begriff kommen, dann nämlich, wenn in unserer ungeübten Erinnerung zuerst nur die allgemeinen Umrisse der Figur auftreten, nach der man uns fragt, und erst die nachfolgende Besinnung sie uns bestimmter zeichnen lehrt: in den mathematischen Gleichungen, mögen sie die Gestalt der Linie auf ganz willkürliche Ausgangspunkte beziehen oder auf eine ihrer graphischen Entstehungsarten Rücksicht nehmen, ist die Krümmung selbst gar nicht direkt ausgedrückt, sondern nur als eine Folge, die man aus den bestimmten Verhältnissen der Koordinaten ableiten kann. Diese Betrachtungen gelten ebenso von der klassifikatorischen Unterordnung der Begriffe; sie hat keine reale Bedeutung für die eigene Struktur und Entwicklung der Dinge. Weder ist dieses Pferd zuerst Tier überhaupt gewesen, dann Wirbeltier im Allgemeinen, später Säugetier ansich und zuletzt erst Pferd geworden, noch kann man in jedem Augenblick seines Daseins die völlig determinierte Gruppe von Merkmalen, die es zum Pferd macht, von der allgemeineren und weniger bestimmten, durch es es Wirbeltier wäre, und von der unbestimmtesten, die es nur zum Tier überhaupt gestaltet, in irgendeiner Weise selbständig absondern. Und hierzu kommt, daß sich nicht nur aufgrund mangelhafter Kenntnis und Beobachtung verschiedene Klassifikationen über dieselben Gegenstände streiten und zwischen ihnen und dem höchsten Allgemeinen verschiedene Stufenleitern allgemeiner Begriffe einschalten; sondern ansich ist das logische Recht des Denkens unanfechtbar, von beliebig gewählten Gesichtspunkten aus dasselbe  S  verschiedenen höheren Allgemeinbegriffen unterzuordnen, oder durch sehr abweichende Reihen aufeinanderfolgender Determinationen seinen Begriff zu konstruieren. Im Hinblick auf bestimmte Zwecke einer Untersuchung können wir dann fragen, welche dieser Konstruktionen vorzuziehen ist, weil sie den Gegenstand am günstigsten für die Unterordnung unter die hier entscheidenden Grundsätze darstellt; wüßten wir uns im Besitz einer Kenntnis der höchsten Prinzipien des ganzen Weltlaufs, welche die Entscheidungsgründe aller Sonderfragen einschließen würden, so könnten wir noch weiter aus den verschiedenen gleichmöglichen Begriffen eines Gegenstandes jenen vornehmsten auszuwählen suchen, der in  dieser  Klassifikation seine Stelle bezeichnet, und in welchem als ableitbare Folgen all jene anderen Begriffe desselben mit enthalten wären. Allein so sehr wir auch, wenn uns dies gelänge, den Erkenntnis wert  dieses Begriffs durch die Wichtigkeit seines Inhalts und der Verbindungsweise dieses Inhalts gesteigert hätten: die logische Struktur, die er als  Begriff  hätte, würde dennoch keiner realen Struktur seines Gegenstandes entsprechen. In diesem Erkenntniswert aber, den wir zugestehen, liegt die andere Seite der Sache, das was wir meinen, wenn wir nun dennoch alle behaupten, daß durch den Allgemeinbegriff und die Klassifikation jedenfalls doch etwas die Sache selbst Betreffendes gesagt ist. Man wird vielleicht versuchen es so auszudrücken, daß  actu  zwar nicht, aber doch  potentia,  die ganze Reihe der einander übergeordneten Allgemeinbegriff im Wesen der Sache selbst enthalten ist; und diese Bemerkung wird man zugleich auf anders geformte Konstruktionen oder Auffassungen eines Gegebenen ausdehnen: nicht wirklich, aber der Möglichkeit nach sei jeder Teilstrich enthalten in der stetigen Größe, die wir durch ihn zerfällen, der Möglichkeit nach in jeder einfachen geradlinigen Bewegung das Paar der Komponenten, in die wir sie nach unserer Wahl zergliedern; die  7  soll nicht  4 + 3  sein, aber gewiß läßt sie diese Substitution zum Zweck einer Rechnung zu. Diesen Ausdrücken geben wir eine bestimmtere Bedeutung: alle unsere Begriffsbildungen, Klassifikationen und Konstruktionen sind subjektive Bewegungen unseres Denkens und nicht Vorgänge in den Sachen; so aber ist zugleich die Natur der Sachen, der gegebenen vorstellbaren Inhalte geartet, daß das Denken, wenn es sich den logischen Gesetzen dieser seiner Bewegungen überläßt, am Ende seines richtig durchlaufenen Weges wieder mit dem Verhalten der Sachen zusammentrifft; der Wege aber, die es zwischen den einzelnen Elementen seines Inhalts mit gleicher Hoffnung durchlaufen kann, sind viele und nicht nur einer; nach unzähligen Richtungen hin hängt die Gesamtheit des Vorstellbaren als ein vielfach gegliedertes System von Reihen zusammen, und das Denken, wenn es mit einer willkürlichen Wahl seines Weges, aber mit Beachtung seiner eigenen Gesetze sich von einem Glied desselben zum andern bewegt, gleicht etwa einer Melodie, deren unberechenbarer Lauf überall auf Stufen der Tonreihe von festbestimmten harmonischen Verhältnissen trifft.

§ 343. Nicht nur was an den  Urteilen  logische Form ist, sondern auch das Erkenntnisresultat, das in dieser Form ausgesprochen wird, hat keine unmittelbare reale Bedeutung. Wir sagen  kategorisch:  dieser Baum blüht; die atmosphärische Luft ist ein permanentes Gas; jedes Dreieck hat zwei rechte Winkel; im ersten Fall war es nur das Verdienst des hier ausgesprochenen Inhalts, daß wir dem Baum in Wirklichkeit eine vom augenblicklichen Zustand seines Blühens unabhängige Existenz zuschreiben konnten, daß also Subjekt und Prädikat so auseinandertraten, wie wir sie in der Form des Urteils scheiden und verknüpfen; in den beiden anderen Fällen enthält die Sache diese Spaltung nicht; sie ist eine völlig subjektive Bewegung des Denkens, die willkürlich aus dem einheitlichen Inhalt des Vorgestellten einen seiner Bestandteile zu einer gesonderten Betrachtung erhebt. Auch die Verschiedenheit der Kopula in diesen drei Urteilen gehört nur der Einbildungskraft an, die sich der Eigentümlichkeit des jedesmaligen  Inhalts  anschmiegt und in der Sprache ihren Ausdruck findet; die Logik selbst, indem sie für ihre technische Übersicht allen Urteilen die Form:  S  ist  P  gibt, bezeugt, daß in dieser gleichmäßigen Kopula  ist  alle sachlichen Verschiedenheiten des Zusammenhangs zwischen  S  und  P  ausgelöscht sind; mögen sich diese verhalten wie Ganzes und Teil, wie ein Ding zu seinen Zuständen oder wie die Ursache zur Wirkung: in der Form des Urteils erscheinen sie nur wie Subjekt und Prädikat, zwei Bezeichnungen, die nur die relativen Stellungen bedeuten, welche die Vorstellung beider in unserer subjektiven Denkbewegung einnehmen, aber nichts über das sachliche Verhältnis aussagen, welches,  wenn  es gedacht wird, sie in unseren Gedanken diese Stellungen einzunehmen nötigt. Auch in  hypothetischen  Urteilen berufen wir uns nur auf ein solches sachliches Verhalten, bringen es aber durch die Form des Urteils weder zum Ausdruck noch zum Verständnis. Die Verknüpfung von Vordersatz und Nachsatz: wenn  B  gilt, so gilt  F,  behauptet durch sich selbst nichts weiter, als die allgemeine Zusammengehörigkeit von  B  und  F  zu  einem  einheitlichen Gedanken  M;  daß wir dieses Zusammengehörige nun dennoch trennen und den einen Teil des Gedankens dem andern voranschicken, wodurch wegen des untrennbaren Zusammenhangs beider jener zum Grund, dieser zur Folge wird, ist eine jener subjektiven Denkbewegungen, die im vorgestellten Inhalt  nicht  vorgehen, und diese subjektive Natur zeigt sich durch die Möglichkeit, die Richtung der Bewegung umzukehren. Wir sagen: jedes gleichseitige Dreieck ist gleichwinklig, oder: wenn ein Dreieck gleichseitig ist, so ist es gleichwinklig; wir konnten ebenso gut sagen: wenn es gleichwinklig ist, so ist es gleichseitig; der ungeteilte Gedanke oder die Anschauung des gleichseitig-gleichwinkligen Dreiecks bildet hier den sachlichen Inhalt, zwischen dessen gleichzeitig gültigen Bestandteilen sich unser Denken mit einem willkürlichen Ausgangspunkt trennend und verknüpfend hin und her bewegt. Dies gilt von allen Urteilen, die, wie die mathematischen, sich nur mit Vorstellbarem, nicht mit Wirklichem beschäftigen; sie würden alle reziprokabel [austauschbar - wp] sein, wenn ihr sprachlicher Ausdruck durch Sätze eine ebenso genaue Determination aller in ihnen vorkommenden Begriffe gestattete, wie sie in der Form der Gleichung ausführbar ist. Beziehen sich dagegen unsere hypothetischen Urteile auf Data der Wirklichkeit, so ist es zwar unsere Meinung, daß hier Vordersatz und Nachsatz unvertauschbar sein sollen, aber die hypothetische Urteilsform drückt durch sich selbst das nicht aus, wodurch diese unsere Forderung erfüllt werden könnte. Denn  wenn  einmal die Bedingung  B  gilt, so gibt es logisch keinen Zwischenraum mehr, der ihre Gültigkeit von der der Folge  F  trennen würde; beide bilden, eben in der Gemäßheit dessen, was diese hypothetische Urteilsform als ihr eigenes Erkenntnisresultat behauptet, nur einen unteilbaren Vorgang  M;  und da ferner, wenn wir unseren Gedanken genau, ohne Überschuß und Mangel, gedacht annehmen, mit diesem  B kein F1  sondern nur  F,  mit diesem  F  kein  B1  sondern nur  B  verbunden sein kann, so gehen wir  im Denken  mit gleichem Recht und gleicher Notwendigkeit von einem willkürlich gewählten Ausgangspunkt  B  zu  F  wie von  F  zu  B  über; der Grund ist uns der Erkenntnisgrund der Folge, die Folge Erkenntnisgrund des Grundes. Daß in einem wirklichen realen Verhalten hier etwas liegt, was ausschließlich  B  zum Antezendens [Vorhergehenden - wp], ausschließlich  F  zum Konsequens [Nachfolgenden - wp] macht, das wissen wir wohl, weil wir den Inhalt kennen, von dem wir reden, aber in der Form unseres logischen Tuns bringen wir es nicht zum Ausdruck. Denn diese Form beruth ganz nur auf dem abstrakten Gedanken einer  Bedingtheit  des  F  durch  B  überhaupt; diese aber, eine bloße Beziehung, ist, wie wir früher zeigten,  weniger,  als was zwischen  B  und  F  als Dingen oder Vorgängen wirklich stattfinden kann;  bestehen  kann ein Verhältnis, durch welches einseitig  B  zum Realgrund wird, nur dann, wenn  B  die Ursache,  F  die Wirkung ist; anstatt dieses realen und speziellen Verhältnisses der Kausalität erscheint im hypothetischen Urteil nur das allgemeinere und abstrakte der Bedingtheit überhaupt, das so keine reale Bedeutung hat.  Disjunktive [unterscheidende - wp] Urteile schließlich  wollen  gar keine Wirklichkeit aussagen: das unentschiedene Schwanken zwischen einander ausschließenden Prädikaten kann kein Vorgang im Realen sein, sondern bleibt ein Zustand des Denkens, dem zur Erkenntnis des Wirklichen die zulänglichen Data fehlen.

§ 344. Eine kurze Erinnerung an die verschiedenen Formen der  Schlüsse  führt zu ähnlichen Ergebnissen. Am leichtesten wird man eine reale Bedeutung jenen subsumtiven Figuren zuschreiben, die durch eine Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine ihren Schlußsatz erzeugen; denn diese Unterordnung sieht man allerdings in einem nun schon hinlänglich erklärten Sinn als eine sachlich gültige in Bezug auf alles Vorstellbare an. Aber die logische Form des Schlußverfahrens entspricht doch auch hier keinem Verhalten der Sache. In mathematischen Schlüssen hat der allgemeine Obersatz, von dem aus wir den spezielleren Schlußsatz ableiten, keine Priorität der Geltung vor diesem oder dem Untersatz, alle drei sind Teile einer ewigen Wahrheit von simultaner Geltung; die Priorität größerer Einfachheit oder unmittelbarer Evidenz  kann  der Obersatz voraus haben, aber beide Prädikate würden ihn schon nur in seiner Beziehung zu unserem Denken charakterisieren, ohne daß er darum schon einen Vorzug ansich vor anderen gleich gewissen Sätzen hätte; endlich ist die Form des subsumtiven Schlußes gar nicht genötigt, von einem so einfachen Obersatz auszugehen, eben die simultane Verkettung aller mathematischen Wahrheiten erlaubt, auch die einfacheren unter ihnen als Grenzfälle aus der Verkettung von weniger einfachen, und immer in subsumtiver Figur, abzuleiten. Diese völlig subjektive Bedeutung der syllogistischen Form vergessen wir zuweilen in ihrer Anwendung auf Wirkliches. Solange der allgemeine Obersatz doch noch eine sehr inhaltsreiche und spezielle Wahrheit ausdrückt, dann etwa wenn wir sagen: alle Tiere respirieren [atmen - wp], solange zweifeln wir nicht, daß dieser Obersatz keine Wirklichkeit bezeichnet, die der Geltung des Schlußsatzes: auch die Fische respirieren, irgendwo anders als in unserem Denken vorangehen könnte; kommen wir jedoch auf die allgemeinsten Zusammenhänge der Dinge, so bildet sich wieder die Neigung, ihren Ausdrücken, den allgemeinsten  Naturgesetzen die in unserer Überlegung des Weltlaufs als Obersätze auftreten, eine in der Tat ganz unbegreifliche reale Priorität vor den Vorgängen zuzuschreiben, in denen sie gelten sollen. Diese Neigung ist nicht ungefährlich für den richtigen metaphysischen Zusammenhang unserer Weltauffassung; sie führt zu dem umfassenden Aberglauben, als ließe sich das Wirkliche der Welt aus Unwirklichem und dennoch Wesenhaften und Gebietenden ableiten, während wir uns umgekehrt mit der Überzeugung durchdringen müssen, daß alle notwendigen Wahrheiten, denen wir das Seiende als etwas sekundär Hinzukommendes unterordnen zu können glauben, eben nur Natur und Konsequenz des Seienden selbst sind und nur durch die Reflexion unseres Denkens von ihm abgelöst und ihm selbst als ein gebietendes Prius angedatiert werden. Schlüsse durch  Induktion  erregen dieses Mißverständnis nicht; niemand verkennt, daß die Verknüpfung der Einzeldaten zu einem generellen nicht bloß universellen Satz nicht der Realgrund der Geltung des letzteren, sondern nur für uns ein Erkenntnisgrund dieser Geltung ist. Viel deutlicher noch überführen uns die vielfachen Formen der Beweise von der bloß subjektiven Bedeutung der Schlüsse, aus denen wir sie zusammensetzen. Wieviele verschiedene, direkte und indirekte, progressive und regressive Beweise, alle gleich triftig, sind für ein und denselben Satz möglich! wieviele verschiedene selbst in direkt progressiver Form allein! Und wenn nun wirklich einer von diesen vielen das Vorrecht hätte, allein das Wesen der Sache in seiner eigenen Struktur darzustellen, so würde die bloße Möglichkeit der anderen doch immer zeigen, daß es die logische  Form  allein nicht ist, welche diese reale Geltung erzeugt oder ausdrückt, sondern daß jener Vorzug auf der Auswahl des  Inhalts  beruth, den man in ihr verbunden hat. Was schließlich die letzten Denkhandlungen betrifft, mit denen wir die reine Logik abgeschlossen haben, so haben wir schon damals gesehen, daß sie sich zwar anstrengen, Formen zu finden, in welchen das eigene Wesen der Sache im Gegensatz zu den zufälligen Ansichten zum Vorschein käme, die wir subjektiv vom ihm fassen können; aber ebenfalls schon dort haben wir uns überzeugt, daß diese Formen vielfaltiger ausfallen als das, was sie fassen wollen;  wenn  das eigene Wesen der Sache in unser Denken eingeht, so kann es nur in diesen Formen begriffen werden, aber die Formen erzeugen es nicht und drücken es nicht voll aus; sie lassen immer Anwendungen zu, die nach unserer eigenen Überzeugung subjektive Ansichten sind, und zwischen denen die Auswahl der real berechtigteren nicht durch logische Mittel, sondern nur durch Sachkenntnis, wenn es eine solche gibt, vollzogen werden kann.

§ 345. Es ist jetzt Zeit, den Sinn einiger Ausdrücke genauer zu bestimmen, in deren Gebrauch ich bisher lässiger gewesen bin. Von subjektiver und objektiver, von formaler und sachlicher, von formaler und realer Bedeutung der Denkformen ist die Rede gewesen; diese drei Gegensätze decken einander nicht. Unterscheiden wir, wie früher geschehen ist, unsere logische Denkhandlung von dem Gedanken, den sie als ihr Produkt erzeugt, so gebührt der ersten nur eine  subjektive  Bedeutung: sie ist lediglich die durch unsere Natur und durch unsere Stellung in der Welt uns notwendig gewordene innere Bewegung, durch die wir jenen Gedanken, z. B. den vorhandenen Unterschied zwischen  a  und  b  oder das in beiden enthaltene Allgemeine  C,  zum Gegenstand unseres Bewußtseins zu machen; so hat jeder, um die Aussicht von einem Berg zu genießen, von seinem Standpunkt aus einen bestimmten geraden oder gewundenen Weg bis auf den Gipfel zurückzulegen, der die Aussicht eröffnet; dieser Weg gehört nicht zu dem, was er sehen will. Der erzeugte Gedanke selbst dagegen, die gefundene Aussicht, hat eine  objektive  Geltung; von allen, nach einer Zurücklegung jener Wege, auf die gleiche Art empfunden, bildet das jetzt Gesehene ein von der Subjektivität des einzelnen Denkenden unabhängiges Objekt; nicht nur einen Zustand mehr, den er leidet, sondern einen Inhalt, den er vorstellt, und der als derselbe und sich selbst gleiche auch dem Bewußtsein Anderer gegenübersteht. Dasselbe Verhalten beleuchtet von anderer Seite her der zweite Gegensatz. Es würde nicht ausreichen, unsere Denkhandlungen nur subjektiv zu nennen; diese Bezeichnung würde sie vom Verhalten der Sachen lediglich trennen und die Beziehung unklar lassen, die doch stattfinden muß, wenn der erzeugte logische Gedanke eine objektive Gültigkeit besitzen soll, die der ihn erzeugenden Denkhandlung selbst nicht zukommt.  Formal  nennen wir daher die logischen Tätigkeiten, weil ihre Eigentümlichkeiten zwar nicht die eigenen Bestimmungen der Sachen sind, aber doch Formen des Verfahrens, eben die Natur der Sachen zu erfassen, und deshalb nicht außerhalb jedes Zusammenhangs mit dem  sachlichen  Verhalten selbst. Die früher besprochenen Beispiele werden hierüber keinen Zweifel lassen. Die Beschränkung auf eine  nur  formale Geltung zeigte sich darin, daß es der Denkhandlungen mehrer und gleichtriftige geben kann, die zu demselben Endgedanken oder demselben sachlichen Ergebnis führen; keine von ihnen kann daher eine ausschließliche Bedeutung für den bestimmten sachlichen Inhalt haben, mit dem sie sich alle beschäftigen, alle sind vielmehr nur Formen des Verfahrens, ein Ergebnis zu erhalten, das einmal gefunden ohne Rücksicht auf den Weg gilt, auf dem man zu ihm gekommen ist. Aber es würde ja unmöglich sein, auf jenen verschiedenen Wegen zu dem aussichtseröffnenden Gipfel zu kommen, wenn nicht alle diese Wege mit bestimmten gegenseitigen Lagenverhältnissen im Ganzen der geographischen Situation mitenthalten wärem deren anderen Bestandteil die von jenem Gipfel übersehbare Landschaft bildet. Hierin besteht das Positive, das der zweite Gegensatz von den Denkhandlungen aussagt: jede derselben ist eine der verschiedenen durch den  allgemeinen  vielseitig gegliederten Zusammenhang der Sachenwelt möglich gemachten Weisen, durch die Bewegung von einem Element dieser Welt zum andern ein bestimmtes sachliches Verhalten zu erreichen, ohne daß deshalb die gewählte Bewegung die eigene Entstehung oder das eigene Bestehen  dieses  bestimmten Verhältnisses wäre oder nachahmen würde. Der dritte Gegensatz enthält nicht nur andere Bezeichnungen für die Glieder des zweiten, sondern betrifft eine Frage eigener Art. Als  sachlich  gegeben betrachten wir jeden Denkinhalt von fester in dem oben erörterten Sinn objektiver Bedeutung, die Vorstellungen von Nichtseiendem nicht weniger als die von Seiendem: unter einem  Realen  würden wir nur die Dinge sofern sie sind und die Ereignisse soferns sie geschehen, in ihrer dem Denken jenseitigen Wirklichkeit verstehen müssen. Nun kann davon nicht die Rede sein, daß dieses Reale sich selbst in den Formen des Begriffs des Urteils und des Schlusses bewegt, welche die subjektiven auf seine Erkenntnis gerichteten Anstrengungen unseres Denkens annehmen; aber selbst die logischen Gedanken, welche das Produkt dieser Denkhandlungen sind, haben in Bezug auf dieses Reale nicht jene unmittelbare sachlich Geltung, die ihnen jedem Denkinhalt als solchem gegenüber zukam. Ich tue besser, der Metaphysik die weitere Erörterung dieses wichtigen Punktes zu überlassen; zu seiner vorläufigen Verdeutlichung reicht die Wiederholung bereits besprochener Beispiele aus. Wir sahen, daß der Begriff einer Bedingung nicht ausreicht, um das zu bezeichnen, was wir unter einem zwischen zwei realen Elementen wirklich bestehenden Verhältnis  meinen;  um so zu bestehen, mußte es mehr als ein Verhältnis, mehr als eine Beziehung, mehr als eine bloße Bedingung, es mußte eine Wirkung oder Wechselwirkung sein; in dieser realen Verknüpfung der realen Elemente lag dann der Grund, der ihre Erscheinungen für uns in eine formale Beziehung brachte, die uns nötigt, von der Wahrnehmung der einen zu der der anderen überzugehen, und die wir nun logisch eine Bedingtheit der einen durch andere  nennen,  ohne in diesem Namen den realen Grund dieser notwendigen Verknüpfung unserer Vorstellungen angegeben zu haben. Dieselbe Betrachtung gilt von allen logischen Formen. Auch Subjekt und Prädikat sind nur Titel, die wir unseren Begriffen mit Rücksicht auf die Stellung geben, die sie in unserem Urteil einnehmen müssen; ein Verhältnis der realen Elemente, die durch unsere Begriffe gemeint werden, ist durch diese Bezeichnungen nicht ausgedrückt. Kein reales  S  kann nur Subjekt für ein reales  P  sein, das nur sein Prädikat wäre; in Wirklichkeit kann  P  an  S  nur haften entweder als ein von diesem erlittener  Zustand,  oder als eine von ihm ausgeübte  Wirkung,  oder als eine bleibende  Eigenschaft  in dem allerdings hier noch dunklen Sinn, in welchem wir metaphysisch diesen Begriff dem bloß logischen des  Merkmals  entgegensetzen. Erst wenn eines  dieser  Verhältnisse zwischen  S  und  P  bejaht ist, begreifen wir, was es  realiter  bedeutet, wenn wir logisch  S  als Subjekt  P  als Prädikat fassen; erst dann entspricht ein wirklicher Sachverhalt der logischen  Kopula,  die ansich nur unsere Denkhandlung des Verbindens zweier Begriffe bedeutet, aber ganz unbestimmt läßt, was wir dann eigentlich den realen Inhalten derselben dann begegnet zu sein behaupten, wenn wir die Vorstellungen beider in dieser Weise glauben verbinden zu müssen. So oft man daher Ausdrücke wie  Einheit, Vielheit, Gleichheit, Gegensatz, Beziehung  und  Bedingung  auf die Betrachtung des Wirklichen anwendet, muß man sich erinnern, durch sie allein noch gar nichts über das Seiende gesagt zu haben; man hat nur die logischen Handlungen verglichen, die wir an den Vorstellungen des Seienden vornehmen. Nun bleibt erst noch zu zeigen, durch welche Leistung sich die Einheit des Einen als eine Wirklichkeit, nicht nur als logischer Titel ohne Einkünfte beweist; wodurch das viele Gleiche, da es doch im Denken eben gleich ist, dennoch im Sein wirklich als Vieles auseinandertritt; in welchem wechselseitigen Leiden voneinander sich der Gegensatz, in welchem andern sich eine Beziehung zwischen verschiedenem Seienden real betätigt.
LITERATUR - Hermann Lotze, Vom Denken, System der Philosophie, Erster Teil: Drei Bücher der Logik (vom Denken, Untersuchen und Erkennen), Leipzig 1874