![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
|||
Zur Problematik der Wirklichkeit [Eine Metakritik des transzendentalen Idealismus] [ 3 / 3 ]
Eine solche prinzipielle Disposition und schematische Aufzeichnung der primären Wirklichkeit, welche durch das Auseinanderlegen des Lebens in Beeinflussungen und produktive Einverleibungen durch das Individuum geleistet wird, läßt sich erweitern und dem Verständnis am besten durch eine Auseinandersetzung mit einem anderen Wirklichkeitsschematismus, mit dem von MÜNSTERBERG nahebringen. MÜNSTERBERG (23) geht aus von einem in jedem Augenblick erlebenden, d. h. stellungnehmenden und bewertenden Ich des wirklichen Lebens, von der "reinen Erfahrung". Nicht durch das, was die Dinge sind, werden die Erlebnisse davon erfüllt, sondern durch das, wodurch sie in Betracht kommen, nicht durch ihre Existenz, sondern durch ihren Wert. So beruth in dieser "wahren Welt" alle Realität auf der Beziehung zum Subjekt, und nur in einem "abgeleiteten Wissen" ist eine "beschreibbare Welt der Wahrnehmungen" möglich. Durch einen programmatischen Gedanken wird dann das Objekt von der subjektiven Aktualität losgelöst, beschreibbar gemacht und damit aus dem System der Werte und Willensakte eine "schlechthin nur wahrnehmbare Mannigfaltigkeit" hervorgetrieben. Aber auch die Aktualität kann festgehalten werden als Prinzip des Bestimmbaren für die Zukunft und so analogisch auch für die Vergangenheit, so daß nun zwei Standpunkte zur wahren Wirklichkeit, ein objektivierender und ein subjektivierender einnehmbar sind, von denen sich aus beiden wissenschaftliche Wahrheit gewinnen läßt, weil beide zu mittelbaren Urteilen befähigen, die logisch wertvoll sind und zu Wissenschaften systematisiert werden können. Die durch Begriffe gedachte Wirklichkeit ist also nicht mehr reine Erfahrung, sondern eine Analyse derselben, da sich einmal subjektivierende Wissenschaften ergeben, die begrifflich vom Wollen handeln, das anderemal objektivierende, die "von den Beziehungen des gegenwärtigen zum zu erwartenden Objekt berichten". Es erhellt sich auf den ersten Blick, wie zentral für diese Konstruktion das Interesse an einer möglichst "ontologischen" Scheidung von Psychologie und Geschichte gewesen ist, und mit welch absichtlicher Einfachheit und Einseitigkeit daher ihr Wirklichkeitsschematismus entworfen wurde. Die methodenbegründende Tendenz ist ebenso für diesen wie oben für das Milieu der "vorwissenschaftlichen Begriffsbildung" unseres transzendentalen Idealismus selber der Grund, der ihn nicht befähigt, das zu leisten, was eine Wirklichkeitsbetrachtung jedenfalls leisten muß: eine von speziellen Fragen noch ebenso wie die Wirklichkeit selbst gänzlich unberührte Auseinanderlegung des vortranszendentalen Verhaltens der Individualität. Hiermit hängen eng die drei Probleme zusammen, auf die es uns bei diesen Erörterungen ursprünglich ankommt, weil wir sie zur Klarstellung und Vollendung der eigenen Theoreme kurz berühren müssen:
- die sogenannte spezifische Irrationalität des menschlichen Handelns, und - die Frage nach dem Charakter der Werte, nach denen das aktuelle Ich erlebt. In der ersten Frage faßt WEBER in streng transzendental-idealistischem Sinn die intensive Mannigfaltigkeit als prinzipielle Voraussetzung der in jeder empirischen Wissenschaft vollzogenen Stoffauslese und tadelt die Identifikation der Gesamtheit des jeweils Gegebenen mit demjenigen an und in ihm, "worauf es für uns ankommt". Es ist sicher, daß hier bei MÜNSTERBERG eine Unklarheit vorliegt, die sich aus seiner Vernachlässigung der "objektiven Wirklichkeit" und damit seiner intendierten Verschiebung der Erkenntnistheorie auf methodologisches Gebiet herdatiert, aber es ist ebenso sicher, daß dieser Einwand das spezifisch Gegenständlich der individuellen Produktion in der Wirklichkeit nicht trifft. Die intensive Mannigfaltigkeit setzt eben eine ideelle, logische Identität im Material voraus, die sich in keinem Erleben vorfindet, und die "Mannigfaltigkeit" selber ist sogar nur als logisches Prädikat denkbar, weil bei jeder Prüfung, der sie unterzogen wird, der intensiv mannigfaltige Gegenstand in Bezug auf das in ihm enthaltene Vielfältige, welchem jetzt allein die Aufmerksamkeit gilt, im Fortgang der Untersuchung lediglich noch als Idee, aber nicht mehr als seiend gewahrt werden kann. Bei der Erörterung des zweiten Problems gelangt WEBER zu einer sehr viel bestimmteren Begriff des reinen Erlebens als MÜNSTERBERG. Gestützt auf die Erkenntnis, was für eine Menge prinzipieller Objektivierungen auch noch in dessen "aktuelle Stellungnahme des Subjekts" verflochten werden müssen, um all die primitiven Berechenbarkeiten des Lebens, ja überhaupt das sich "Verstehen" der Menschen untereinander begreiflich zu machen, identifiziert er Rationalität und Transzendentalität in der Weise, daß er diese objektiven Elemente im Verkehr eine rationale Deutbarkeit voraussetzen läßt, welche als qualitativ eine besondere Befriedigung des Kausalbedürfnisses eine Art vorwissenschaftlicher Begriffsbildung darstellt. Aus ihr entwickelt sich dann die Begründung der geschichtlichen Objektivität, die auf Wahrheiten ruht, welche im höchsten Sinne gewiß sind, d. h. ansich gelten wollen, und die "dumpfe Ungeschiedenheit des Erlebens" bedeutet demgegenüber nur eine ganz primitive Gefühlsreagenz auf empirische Wertungen, bei der, damit auch nur ihre eigene Stimmung verstanden wird, denkend gewählte Vergleiche fremder Erlebnisse, Kontrollen und Analysen hinzugezogen werden müssen. Das Erlebte ist dann zwecks klarer Eindeutigkeit zum "Objekt" von Urteilen geworden, welche
An diesem Punkt der Untersuchung meldet sich nun noch ein Spezialproblem, das die gesamte Möglichkeit unserer Deduktionen selber in Zweifel zieht. Es fragt sich nämlich, ob durch die prinzipielle Einbeziehung aller logischen Begreiflichkeit und Deutbarkeit in die Transzendentalität unsere frühere Behandlung der vorlogischen Wirklichkeit, ihre Ausgestaltung zu einem dispositionellen Schema nicht ein Unternehmen ins Blaue hinein war, weil sie als spezifisch unverständlich kein Publikum finden konnte. Diese Problemstellung läuft aber im Grunde auf die weitere hinaus, ob eine Verständigung ein im transzendental-logischen Sinn objektives Mittelglied voraussetzt, oder, mit anderen Worten, ob die logische Transzendentalität die einzige Art des Transzendentalen ist; ihr haben wir kurz unsere Aufmerksamkeit zu widmen. KANT gibt die "vollständige Bestimmung" seiner kategorischen Maxime der Vernunft in zwei Formeln (26):
"handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte." Durch einen Blick auf die Ästhetik können wir uns aber jetzt weiterhin belehren, daß das Typische dieser Transzendentalität nicht eine solche spezifisch ethische Normierung ist, denn auch dort handelt es sich um eine "Ausweitung", die gerade mit dem Persönlichen, Ich-haltigen vor sich geht, daß also vielmehr Ästhetik und Individualethik sich auf einen übergeordneten, prinzipiell gleichen Subjektbegriff beziehen, dessen Transzendentalität ich die psycho-gnostische nennen will. Ihr polarer Gegensatz zur logischen Transzendentalität liegt auf der Hand. Die logische Transzendentalität bezieht sich auf ein Verständlich-machen, die psycho-gnostische Transzendentalität auf ein Verstehen, die logische denkt das Persönliche zugunsten der "Anderen" hinweg und schafft ein Normalsubjekt, die psycho-gnostische denkt die Anderen zugunsten der Persönlichkeit hinweg und schafft ein Idealsubjekt, die Stringenz der logischen Transzendentalität ruht auf dem Objekt-werden der Produktion, die Stringenz der psycho-gnostischen Transzendentalität auf dem Exemplarisch-werden des Charakters. Aber ich muß noch eine Einschränkung machen. Im Gegensatz zur logischen Transzendentalität, wo Gelten und Ansatzpunkt des Geltens in sich konform sind, ist die psycho-gnostische Transzendentalität als schematische Präparation eines Subjektbegriffs nur der Ansatzpunkt, gelten kann sie erst, wenn sie durch ethische oder ästhetische Normen aktuell gemacht wird, d. h. wenn das an ihr exemplarisch zumutbar wird, was vorher rein psycho-gnostisch, rein erlebbar war und sich als solches auf einer Stufe befunden hat, von der aus sich keine Scheidungen von Wollen und Sollen anbahnen lassen. Das Transzendentale ist nur die gedankliche Beziehung einer Subjektinitiative auf andere, gleichgeartete Subjekte und muß sich so begrifflich von einem absoluten transzendenten Gelten durchweg unterscheiden. Aus diesen Klarstellungen ist jetzt ohne weiteres ersichtlich, daß der restringierte Wirklichkeitsschematismus verstanden werden muß, obwohl das Erleben selber nicht mit dem Transzendentalen in einen Zusammenhang gebracht werden kann, und wie er verstanden werden muß. Wesensgleich mit der psycho-gnostischen Transzendentalität, die aus ihm entwickelt worden ist, läßt sich auch das dispositionelle Verhältnis Individualität - Charakter - Produktion selber auf ein Sein-sollen, ein Gelten hin interpretieren, nur nicht auf ein bestimmtes hin, sondern in aller Freiheit auf ein ethisches oder ein ästhetisches Gelten, dem sich der Schematisierende je nach der Färbung seiner Weltanschauung unterwerfen muß. Ich habe oben noch von einer dritten Frage, vom Charakter der Werte gesprochen, nach denen die Individualität erlebt wird; mit der Unterscheidung der psycho-gnostischen Transzendentalität scheint jetzt zugleich auch dieses Problem dem Prinzip nach gelöst. WEBER kritisiert wieder die Unbedenklichkeit, mit der MÜNSTERBERG die unklaren Wertgedanken, nach denen sein aktuelles Subjekt in der Wirklichkeit erlebt wird, ohne konsequente Bearbeitung in der Methodologie der Geschichte weiter verwendet, und scheidet mit RICKERT von der empirischen Wertung streng die theoretische Wertbeziehung. Jene ist ihm nur ein praktischer Zweckverband, etwas Wankendes und Charakterloses, zu dem keine sinnvolle Systematisierung einen Zugang findet. Auch hier erkennen wir wieder, welche nur bedingte Brauchbarkeit die vorwissenschaftliche Begriffsbildung für den Wirklichkeitsschematismus besitzt, d. h. wie wenig die Bestimmung des Zwecks aus einem Bedürfnis für seine Trennung vom Wertbegriff zureicht, weil erst in diesem "Bedürfnis" selber das eigentliche Wertproblem für ein Schematisieren der Wirklichkeit liegt. Ja, es findet sich für den allgemein transzendentalen Wertbegriff in der Wirklichkeit überhaupt keine Verwendung, denn nirgends kann in ihr etwas Wertloses angetroffen werden und nirgends also ein Wert dort etwas schlechthin nur Geltendes sein. Es ist allein das Amt der transzendentalen Kritik, die Außenseite gleichsam des Erlebens in ein System ethischer oder ästhetischer Werte einzufangen und so normierbar zu machen, das Erleben selber aber bleibt in seinen Produktionsreihen ewig die keiner Beurteilung zugängliche Innenseite. Nunmehr vermag man sich leicht die Bedeutung der Werte klar zu machen, nach denen wir erleben. Was in Bezug auf die Individualität Produktion genannt wurde, ist immer zugleich auch in Bezug auf den Charakter eine Werterfüllung, die, als Einzelerscheinung genommen, den Charakter nicht als geltend mehr oder weniger verwirklicht, sondern aus einem Teil von ihm, auf den sie sich gründet, den ganzen Charakter symbolisch im Empfinden aufleben läßt. Der Charakter ist als Haftpunkt der Individualwerte nichts anderes als überhaupt erst das Organ, durch welches die Produktion als Wertbeziehung erfaßt, als Werte gefühlt, nicht aber als Werte gewertet wird; und die innerste Wertempfindung in der Wirklichkeit, das Persönliche, welches, wenn man schon diese ideographischen Termini zur Verdeutlichung verwenden will, zugleich "gilt" und "ist", wird deshalb durch den Charakter sowohl, von der Individualität aus gesehen, entfaltet als in den Produktionen, von ihnen aus gesehen, gekennzeichnet. Das Persönliche, dessen Symbolisierung der Sinn aller wirklichen Wertbeziehung ist, unterscheidet sich von den Transzendentalwerten und ihrer Darstellbarkeit werttheoretisch dadurch, daß es naturgemäß niemals in eine Distanz zu sich selbst gebracht werden kann. Bevor wir nun aber daran gehen, an diesem ganzen, jetzt vollkommen ausgebauten Wirklichkeitsschematismus die objektive Wirklichkeit zu messen und endgültig zu begreifen, gilt es noch einem letzten Einwand zu begegnen, der sich gegen das theoretische Resultat unserer Disposition im allgemeinen wendet, d. h. die Richtigkeit ihrer phänomenologischen Orientierung bezweifelt. Dieser Einwand geht von den Gesellschaftstheoretikern aus. Noch ganz verschwommen zeigt er sich in den Worten des Herbartianers LAZARUS: "die Einzelnen sind nicht bloß Exemplare, sondern Produkte des Allgemeinen" (27), viel klarer aber schon bei SIMMEL, wo er ausführt:
Die Grundtendenz dieser Gedanken, wenn man sie in unsere Terminologie übersetzt, ist klar. Es erscheint als eine Art Jllusionismus, als ein Wiederaufsuchen solipsistischer "Grenzfestungen", wenn man das Verhältnis der Erlebnisfaktoren zu einem Verhältnis von Einzigartigem und nur Analogischem schematisiert, da sich der Produktionswert des "Analogischen" durchaus nicht bei jeder Produktion, ja überhaupt nur bei einer ganz kleinen Anzahl von Produktionen findet. Eine materiale Verschiedenheit und damit ein materiales Sein zwingt die Individualität, in zwei verschiedenen Formen zu erleben und die "Natur" zwar als nur Analogisches zu produzieren, mit dem bewußten Menschen aber sich als mit einer Gegen-Individualität durch aufgenötigte Verständlichkeit zu einem erfaßlichen Willenskomplex zu verschmelzen. Gerade in der Wirklichkeit selber ist die logische Transzendentalität verankert, denn dieselbe hängt am Sich-Vergemeinschaften, und der Mensch wird ursprünglich als Mensch erlebt. Die eine und allerdings wichtigste Seite dieses Einwandes habe ich bei der Erörterung von RICKTERTs "vorwissenschaftlicher Begriffsbildung" bereits behandelt und habe gezeigt, daß die menschliche Gemeinschaft eine transzendental-idealistische Voraussetzung ist, der phänomenologisch kein Wille zur Verständigung unter Gleichwertigen, nicht irgendeine Einförmigkeit eines Typus entspricht. Der Mensch wird als Mensch erlebt, vielleicht, - nie aber erlebt dann die Individualität selber als "Mensch". Diese Zurückweisung transzendentaler Ansprüche leistet aber nichts zur Klarstellung der anderen Seite des Einwandes, die etwa bedeutet, daß die Produktionentheorie ansich geändert werden muß, weil eben die Individualität in gewisser Lage, Menschen und nicht der Natur gegenüber, seltsam wankt und dann ihre Produktion nur unter qualitativer Berücksichtigung der Ursache ihrer Bewegtheit verständlich ist. Dem gegenüber ist nun vorläufig ohne Rückhalt zuzugeben, daß der Mensch, an den ich durch Interessen gebunden bin, einen ganz besonderen und komplizierten Fall des Erlebens ausmacht. Nur nicht eigentlich als "Mensch". - Denn außer ihm sehe ich viele und begegne vielen, all den Menschen der Konvention und der Landstraße, und ich erlebe sie doch nicht anders als einen fließenden Bach oder davon wirbelnde Blätter. Wenn ich also davon absehe, wie ganz anders Ruhiges und Bewegtes jeder Art in der Produktion die erlebende Individualität beeinflußt, wird es mir leicht, die eigentümliche Bedeutung, die auf ein einem geliebten oder gehaßten Menschen zugerichtetes Erleben fällt, allein aus der Produktionsweite zu erklären, d. h. aus dem geringen oder ganz umfassenden Teil, den vor ihm meine Produktion von meinem Charakter zu vergegenständlichen vermag. Diese Tatsächlichkeit ist als solche einfach hinzunehmen und kann durch keinen Wirklichkeitsschematismus kausal begründet werden, aber nie ist es deshalb auch ihr wiederum möglich, im Schematismus die Einzigartigkeit der erlebenden Individualität und damit das nur Analogische des Produzierten in Frage zu stellen. Nachdem sich uns jetzt durch Zurücklegung eines weiten Weges endgültig herausgestellt hat, was das ist, was wir "Wirklichkeit" nennen, wollen wir nunmehr wieder die Untersuchung des Existenzialurteils aufnehmen und das Gefundene in seine Erörterung verflechten. Wir fragten niemals, inwiefern ein Identisches im Existenzialurteil unter verschiedenen Bezeichnungen bejaht werden kann, und haben es jetzt mit der Antwort leicht. Der Grund liegt einfach darin, daß jenes Identische als in verschiedener Weise produziert, das Interesse fesselnd "subjektiv" in der Beziehungswirklichkeit vorhanden war, als es in den Prozeß der Objektivierung gebracht wurde; und so wurde es auch verschieden bezeichnet, gleichsam aus einem inneren Drang bezeichnet und aus der Sehnsucht, dieses Erlebnis los zu werden, nicht aber als so heißend "erkannt, denn die Individualwirklichkeit ist ganz jenes Stadium, in dem man es, grob ausgedrückt, nicht begreifen kann, daß das Brot im Französischen pain heißt; es ist doch Brot und nicht pain. Und so folgt weiter, daß hier für die verschiedenen Bezeichnungen überhaupt keine Identität als zugrunde liegend gedacht werden kann, weil ja auch die Produktionen so ganz verschieden sind, und daß sich die bisher vorausgesetzte Identität erst sehr viel später durch eine Vermittlung der Objektivität herausstellt, und nicht nur auf dem Weg der Kategorie der Gegebenheit, deren korrekte Formel lediglich "dies ist" lautet, sondern vor allem durch die Kategorie der Substanzialität, die ihren Formungsschwerpunkt auf das "Rose", "Pflanze" usw. selber legt. Danach muß für das Existenzialurteil, damit es zwecks Wahrheit und wissenschaftlicher Bearbeitung seine Begabung mit Objektivität und deshalb mit Existenz vollziehen kann, eine Grundform angenommen werden, die sich als Konstatierung einer Beeinflussung und Setzung zum selbständigen Gegenwert des Beeinflußten dartut. Soweit diese Grundform sprachlich zum Ausdruck gelangt, erscheint sie als Analogon der Sprachschöpfung überhaupt, die ebenfalls nur als symbolisches Schaffen aufgrund einer Beeinflussung zu verstehen ist; und soweit sie das Erleben ausdrückt, bedeutet sie eine Stilisierung, eine Fassung der Produktion. Das Existenzialurteil selber jedoch mit seiner scharfen Heraushebung des Einzelfaktums gibt sich dieser Urbeziehung gegenüber als Abstraktion, zugleich aber auch als Entwurf eines festen und absoluten Umrisses, denn es schafft ein ausgedehntes und klares Milieu; und die gesamte transzendentale Betätigung im Ganzen genommen bedeutet nur eine bestimmte Art grundsätzlicher Verwendung, bedeutet nur die Art der Formung, die durch den Wahrheitszweck bedingt und ausgeführt wird. Aufgrund dieser fundamentalen Faßbarkeit der Wirklichkeit ist endlich hinreichend geklärt, warum die objektive Wirklichkeit ein Kunstprodukt genannt werden kann. Sie liegt eben ihrer "Natur" nach nicht in der primären Ich-Wirklichkeit, sondern muß erst angesonnen und kann nur anerkannt werden, wenn das Transzendentalitätsproblem der Wahrheit aufgerollt wird, wenn der Normbefehl erscheint. Und da sie sachlich etwas so ganz Neues, etwas vom vorlogischen Stadium aus ganz Unbegreifliches ist, fällt naturgemäß auf die ihre Formung beginnende Kategorie der Gegebenheit die höchste Wichtigkeit und ein einziger fungibler Wert. Schon früher wurde von der "vorbereitenden Stellung" dieser Kategorie gesprochen, insofern mit ihr der Inhalt ansich in den Platz der kategorialen Wissenschaftsunterlage einrückt, und daß sie in Bezug auf die objektive Wirklichkeit ein konstitutives, in Bezug auf die Individualwirklichkeit jedoch ein analytisches Prinzip ist, hier aber kommt noch eine eigentümliche Bestimmung hinzu. Die Norm der Wahrheit in ihrer Transzendenz bedeutet ein Einheitliches, dem Kategoriensystem entspricht nicht etwa ein "Normensystem", sndern die kategoriale Spaltung ist als solche selbständig und von der transzendenten Seite her nur durch eine Wahrheitsnorm fundiert. Die Prädikate Wahrheit und Existenz aber sind in gewissem Sinn Parallelwerte, sodaß die gegebenheitlichen Formung in Hinsicht auf die Individualwirklichkeit zugleich eine paradigmatische Stellung zukommt, weil sie, wenn solches anders möglich ist, am adäquatesten die Bewegung unter dem Einfluß des Transzendenzwertes versinnbildlicht. Sie verleiht mit anderen Worten der objektiven Wirklichkeit den Charakter eines ihrem Formideal gleichgerichteten Sachideals, weil dieselbe auf dem Weg zur Wissenschaft nicht nach allen Seiten hin in gleicher Weise erreicht, sondern ja immer nur geschnitten werden kann. Dem tritt dann korrelativ gegenüber, daß die objektive Wirklichkeit als Materialunterlage der Wissenschaft für den Wissenschaftsbetrieb selber die allgemeine regulative Idee und damit den sicheren Boden aller Diskussionen abgibt, eine Qualität, die aus den sie formenden Akten nicht ersehen werden kann, also ihr auch nicht den Geschmack eines Vorläufigen verleiht, wohl aber, wie wir gesehen haben, aus ihren fertigen Formungen folgt, insofern sie schwache Vereinzelungen sind und dadurch in ihrer ganzen Hilflosigkeit der Totalitätsidee im erkennenden Subjekt gegenüberstehen. Wenn demnach, kann ich abschließend nun bestimmt sagen, von einer Formung und Verwendung der objektiven Wirklichkeit geredet wird, so kann es sich immer nur um die wissenschaftliche Vereinfachung handeln, die, wie schon bemerkt, nicht eigentlich eine Umformung, sondern lediglich eine Weiterformung ist. Und wenn man das gesamte Transzendentalitätsproblem in einem vorlogischen Sinn als eine ungeheure Erlebnisaufgabe faßt, so bildet seine durch die Wahrheitsnorm beeinflußte Seite einfach eine Teillösung, deren Spezifisches darin liegt, daß sie ihrerseits aus dem Erleben überhaupt herausfällt, nämlich die der absoluten, sachlichen Objektivität, die der Erkenntnis. Die Individualwirklichkeit selber aber, absolut irrational, kann sowohl von der Erkenntnistheorie aus wie von irgendwo sonst her so wenig als wertvoll nachgewiesen oder bestimmt werden, daß alle anderen Wirklichkeitsbezeichnungen, sollten sie nun in ethischen oder logischen, in ästhetischen oder teleologischen Gedankengängen auftauchen, gleichsam hergeleitet scheinen und als erstes immer die Frage verlangen: Wirklichkeit wozu? Sp stehen wir schließlich vor der letzten Aufgabe unserer kritischen Untersuchung, nämlich vor der, nach der Begrenzung von Umfang und Formalwert der objektiven Wirklichkeit auch ihr Korrelat, das erkennende Subjekt im Ganzen, an das wir unsere Untersuchung ursprünglich angeknüpft haben, mit Hilfe der Ich-Wirklichkeit, d. h. mit Hilfe unseres Wissens um das ursprüngliche, erlebende Ich auszubauen, in seiner Lage zu bestimmen und so vor fehlerhaften Verwendungen zu schützen. Man wird sich der Distinktionen erinnern, die wir vornehmen mußten, um im Bewußtsein überhaupt zwei Werte zu scheiden, einen potentiellen und einen kinetischen, und daß sich davon der potentielle, richtungsidealistische Teil wieder als von zwei Seiten her bestimmt erwiesen hat, durch den Willen zur Wahrheit und durch das Gebot der transzendenten Norm. Diese beiden Produktivitätsfaktoren, die in Hinsicht auf eine mögliche Produktion ebenfalls als von idealer Natur gelten müssen, stehen aber bis jetzt hinsichtlich des erkennenden Subjekts noch unvermittelt nebeneinander und können in diesem Zustand nicht zu jener aktlichen Verschmelzung gelangen, die den eigentlichen normativen Wert des Bewußtseins überhaupt ausmacht, und die auch WINDELBAND fordert mit den Worten: "wir sind normales Bewußtsein, insofern wir von der idealen Notwendigkeit dessen überzeugt sind, was allgemein gelten soll". (31) Nun gewinnt der transzendentale Idealismus RICKERTs aus dem Gedankengang, daß mit der Urteilsnotwendigkeit eine logische Autonomie gegeben ist, welche die Begriffe Pflicht und Gewissen involviert, einen Begriff des "intellektuellen Gewissens", und in ihm können wir mit leichter Mühe das fehlende Bindemittel erkennen, denn es ist lediglich der Ausdruck, das Symbol für die Projektion des normativen Sollens auf den Willen zur Wahrheit; es ist die mittlere der drei Stationen, die jedes erkennende Subjekt bei jedem Erkenntnisprozeß zu durchlaufen hat, und damit zugleich eben die funktionale Vollendung unseres Bewußtseins überhaupt. Aber noch ein zweites, hochwichtiges Amt kommt diesem Gewissen zu, das erst jetzt dem Veständnis zugänglich wird. Der Wille zur Wahrheit stammt seiner vorlogischen Natur nach aus der Individualwirklichkeit, wo er als Eigenbeeinflussung die Tätigkeit der Individualgestalt auf den Weg zum Urteil und sie selbst auf den Weg zum erkenntnistheoretisch eingestellten potentiellen Bewußtsein überhaupt brachte; er ist also für die Inauguration der Erkenntnisproduktion selber wichtig, für das eigentliche Erkenntnisprodukt aber vollkommen Nichts. Denkt man sich also den Weg des ganzen Erkenntnisprozesses schematisch linear, so muß der Wahrheitswille nach Vollendung seiner Aufgabe ausscheiden, sich irgendwo verlieren. Und diese Stelle ist das intellektuelle Gewissen. Weil es seiner Natur nach beständig über die Richtigkeit der Objektivation wacht, verlöscht in ihm der Wille zur Wahrheit, aber er wird gleichzeitig "aufgehoben", denn lediglich er garantiert im intellektuellen Gewissen selber die Permanenz des Interesses. So erscheint dieses Gewissen als die eigentliche funktionelle Abgrenzung von Ich-Welt und objektiver Wirklichkeit, als das Macht-gewordene Residuum des transzendent Notwendigen, zugleich aber auch als die prinzipielle Wahrung der immer identischen Schaffenskraft und -lust der Individualität gegenüber der nur ideellen Totalität aller objektiven Formungen. Nur durch sein intellektuelles Gewissen glaubt der Erkennende an die Wahrheit seines Erkennens, denn es hat ihm mit dem transzendenten Sollen auch die Wahrheit seines Willens verbürgt, und nur in ihm entschließt er sich für das Bewußtsein überhaupt, denn es stellt allererst jenen Angriffspunkt dar, dessen keine Notwendigkeit entraten kann, wenn sie überhaupt einmal zuvor als Beeinflussung zur Geltung kommen soll. Und wenn sich nun schließlich aus anderen Gedankengängen erweisen läßt, daß das Erkennen, das Bejahen auch allgemein-gültiger Werte eine unumgängliche Aufgabe der Individualethik ist, dann findet sich durch diese unablässige Identität für das intellektuelle Gewissen noch ein letzter, ganz universaler Wert von eigentümlicher Mächtigkeit. Ein ethisch-kategorischer Imperativ bestimmt das Verhältnis des Einzelnen zu sich selbst. Dieses Verhältnis aber ist nie konstant, sondern ändert sich mit höher werdenden Aufgaben, so daß sich das Individuum im Inhalt seiner kategorischen Imperative entwickelt. Das spezifisch intellektuelle Sollen aber bleibt in seiner Richtung immer gleich, denn es weist auf ein Niveau hin; und indem es in gewisser Weise einen Wert in die Hand stellt, an dem nie geirrt werden kann, bietet es sich wenigstens anti-thetisch als sicheres Abstandsmaß aller Persönlichkeitswerte dar. Das Intellektuelle Gewissen ist am Ende nicht weniger als die Brücke zwischen Individualismus und Objektivität; als das Gewicht an der Individualseele, das zur ewigen Statik ihrer Kräfte gesetzt ist. ![]()
23) Hugo Münsterberg, Grundzüge der Psychologie, 1900, Bd. 1 24) Max Weber, Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, hg. Gustav Schmoller, Bd. XXIX, 1906, Seite 4. 25) a. a. O., Seite 1384 26) vgl. hierzu: "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", Kapitel II, 1785. 27) Moriz Lazarus, Das Leben der Seele, Bd. 1, 1856 28) Georg Simmel, Über soziale Differenzierung, in Schmollers "Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen", Bd. 10, Heft 1, 1890. 29) Theodor Kistiakowski, Gesellschaft und Einzelwesen, 1899 30) Wundt, Logik, Bd. 2, 1895. 31) Windelband, Präludien, Was ist Philosophie?, Tübingen 1907, Seite 67 |