tb-1E. Lask<GuttmannA. Liebertvon MutiusR. PeschkeRuin    
 
FRITZ MÜNCH
Erlebnis und Geltung
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"Diese Welt zeigt schon der unmittelbaren Erfahrung, sofern diese nicht schon philosophisch voreingenommen ihr gegenübertritt, ganz bestimmte Zusammenhänge und Formbeziehungen; so namentlich eine räumliche und zeitliche Anordnung der Inhalte, ferner eine solche nach Koexistenz und Sukzession von Inhaltskomplexen; es ist eine Welt von Dingen und Vorgängen in Raum und Zeit. Wir stehen niemals absolut Formlosem gegenüber, sondern die unmittelbar  vorgefundene  Welt ist immer schon geformt, enthält schon  logischen Gehalt;  die Idee einer vollig formlosen Welt ist nur ein erkenntnistheoretisches Konstruktionsgebilde."

"Der Grundfehler bei aller dogmatisch-ontologischen Metaphysik ist der, daß die in den Einzelwissenschaften als  Seins wissenschaften zulässige ontologische Argumentationsweise auf das  Ganze der Welt  übertragen wird. Es wird nicht gesehen, daß es sich dem Ganzen gegenüber gar nicht mehr um ein  Erklären,  sondern nur noch um eine  Sinndeutung  handeln kann. Alle Sinndeutung aber kann nur von Werten aus erfolgen. Alle Seinsphilosophie ist auf Teile der Welt beschränkt, vom Ganzen der Welt kann nur eine Wertphilosophie handeln."

"Die gesamte exakte Wissenschaft dient nach Bergson nur dem Nützlichkeits-, dem Interessengesichtspunkt."

"Wir erfassen schon in den allen geläufigen Wahrnehmungen Sinnzusammenhänge, Sinngebilde, Wertsynthesen."


3. Kapitel
Wissenschaft und "Wirklichkeit"

a) Die "anschauliche Welt"

"Die Wissenschaft hat das Wirkliche zu erkennen." Um diesen Satz zu verstehen, muß man wissen, was "Wissenschaft" ist, was "Wirkliches" bedeutet, was mit "Erkennen" gemeint ist. Erkennen bedeutet, haben wir im vorigen Abschnitt kennen gelernt: schlechthinniger Geltungszusammenhang innerhalb eines Grundwertes; innerhalb des Grundwertes "Wissenschaft" also: schlechthinniger  theoretischer  Sinnzusammenhang. Wie aber kommt nun in einem wissenschaftlichen Urteil das Inhaltliche und der Sinn zusammen, wie stellt sich deren Verhältnis dar? Wie kann das Urteil beanspruchen, das Wirkliche zu erkennen? (1)

Hier muß zunächst folgendes auseinander gehalten werden: es gibt nicht bloß eine positive empirische Einzelwissenschaft, es gibt auch eine Philosophie der Wissenschaft. Beider Verhältnis zum "Wirklichen" ist ein verschiedenes. Die Philosophie hat als transzendentale Disziplin gar nicht  das  Wirkliche zum Erkenntnisobjekt; sondern sie untersucht die Geltungszusammenhänge, die Sinnformen, aus denen die wirklichen Inhalte erst eine gegenständliche Bedeutung und Geltung bekommen. Von ihr wird in den Abschnitten "Zur allgemeinen Kategorienlehre" und "Bewußtsein überhaupt und Vernunft" die Rede sein. Hier handelt es sich zunächst nur darum, uns den Sinn der sogenannten  Erfahrungs wissenschaft klar zu machen.

Diese scheint nun doch die Aufgabe zu haben,  das  Wirkliche selbst zu erkennen. Das ist in der Tat der Fall, aber man muß nun den Begriff "erkennen" streng kritisch fassen und sich hüten, den vorkritisch-ontologistischen Wahrheitsbegriff beizubehalten und zu glauben, entweder: die Erfahrungswissenschaft habe das Wirkliche in all seiner Fülle aufzunehmen, oder: ein dahinter steckendes seiendes Wesen zu fassen. Erkennen ist Beziehung des Inhaltlichen auf den Sinnzusammenhang "Wissenschaft"; Erkennen ist ein theoretisches Sinnverknüpfen des Inhaltlichen. Auch die Erfahrungswissenschaft also erkennt nicht  das  Wirkliche in dem Sinne, daß es dessen Inhalt ausschöpft, sondern sie erfaßt an diesem Inhalt nur bestimmte Sinnzusammenhänge, und auch hier nicht alle, sondern, eben als Wissenschaft, nur die theoretischen. Mit anderen Worten: sie erkennt die Zusammenhänge des Wertes "theoretische Wirklichkeit" am Wirklichen, sie erfaßt den Wert, den Sinn, die Geltungseinheit "wissenschaftliche Wirklichkeit" in ihrer inhaltlichen Erfüllung und Bestimmtheit, sie erkennt das Wirkliche, sofern es in der Geltungsform "Wirklichkeit" steht, und zwar genauer: in der Geltungsform "Erfahrung = theoretische Synthese des Erfahrbaren", und nur insoweit und insofern, als Inhaltliches in diese Geltungsform eingeht. Sie erkennt aber den Wert "Wirklichkeit" selbst nicht, d. h. den Gesamtsinn all ihrer einzelnen inhaltlichen Erkenntnisse; sondern der ist, eben als allgemeines, formales Wert- oder Sinngefüge, seinersetis Erkenntnisobjekt der Philosophie, genau wie das Sinngefüge "Moral" oder "Kunst". Die wirkliche positive Erfahrungswissenschaft füllt den Wert (Form) "theoretische Erfahrung", wie die wirkliche lebendige Kunst den Wert "Kunst" füllt. In diese inhaltliche Erfüllung  in concreto  redet die Philosophie in keiner Weise rein, aber über den Gesamtsinn des damit Gemeinten und Geleisteten hat sie allein die Erkenntnis (2)

Welches ist nun der philosophische, d. h. geltungswissenschaftliche Sinn der Erfahrungswissenschaft? Worauf bezieht sie sich, und wonach richtete sie sich? Sie bezieht sich allgemein zugestandenermaßen auf "die anschauliche Welt", die uns umgibt, und in der wir leben, auf die sogenannte  "empirische Wirklichkeit",  und will das Gegenständliche daran erfassen. Diesen Begriff müssen wir darum etwas näher betrachten. Ich nehme die These, auf die es mir letztlich ankommt, gleich voraus: es muß scharf unterschieden werden zwischen "empirischer Wirklichkeit" als  Ausgangspunkt  und "empirischer Wirklichkeit" als  Zielpunkt  der Erfahrungswissenschaft. Beide sind nach Geltungscharakter und Struktur von sehr verschiedener logischer Beschaffenheit und Dignität. (3)

Wir haben oben von der "Erlebniswelt" gesprochen: ist das nicht dasselbe, was man auch "anschauliche Welt" nennt? Antwort: Nein; denn jene ist ein Abstraktions-, bzw. Konstruktionsgebilde zum Zweck der Theorie, diese die Welt, die uns im alltäglichen Leben wirklich umgibt. Es ist die Welt, wie sie HINZ und KUNZ, MÜLLER und MEIER verstehen, die sinnlich-anschauliche Wirklichkeit von Dingen und Geschehnissen, in der wir Menschen mitten drin stehen, und an dieser Welt setzen alle Einzelwissenschaften an.

Diese Welt zeigt schon der unmittelbaren Erfahrung, sofern diese nicht schon philosophisch voreingenommen ihr gegenübertritt, ganz bestimmte Zusammenhänge und Formbeziehungen; so namentlich eine räumliche und zeitliche Anordnung der Inhalte, ferner eine solche nach Koexistenz und Sukzession von Inhaltskomplexen; es ist eine Welt von Dingen und Vorgängen in Raum und Zeit. (4) Wir stehen niemals absolut Formlosem gegenüber, sondern die unmittelbar "vorgefundene" Welt ist immer schon geformt, enthält schon "logischen Gehalt"; (5) die Idee einer vollig formlosen Welt ist nur ein erkenntnistheoretisches Konstruktionsgebilde.

Die Erfahrungswissenschaft will sich letzten Endes auf die Inhalte der "Erlebniswelt" beziehen, sie knüpft aber an die "anschauliche Welt" an: jene ist das Wirkliche als Material, diese die Anknüpfungs- oder Ausgangswirklichkeit.  Material, Ausgang  und Ziel der Erfahrungswissenschaft sind also auseinander zu halten. Unter einem transzendentalen Aspekt ist die Sinnstruktur der wissenschaftlichen Erfahrung so, daß sie sich an Hand der anschaulichen Welt nach dem formalen Wert "schlechthin gültige Einheit des Erfahrbaren"  richtet,  um eine auf die Erlebniswelt sich beziehende empirisch-inhaltliche Erkenntnis zu gewinnen.

Die anschauliche Welt ist also schon geformt: wie sind diese Formen zu begreifen? Wie alle Formzusammenhänge als Sinngefüge auf einen bestimmten Wert hin. Die "empirische Welt" als Ausgang ist geformt, und die "empirische Wirklichkeit" als Ziel ist geformt: aber beide Formsysteme haben eine sehr verschiedene logische Dignität. Diese Verschiedenheit des Geltungscharakters kann nur herrühren von der Verschiedenheit in der Geltung des Wertes, der als Beziehungspunkt der Synthesen fungiert. Diese Verschiedenheit aber ist darin begründet, daß im einen Fall der Sinnbeziehungspunkt der  "reine" Wert:  "einheitlicher theoretischer Erfahrungszusammenhang" ist, während das andere Mal der Wertgesichtspunkt, der als Auswahl- und Verknüpfungsprinzip dient, das  biologische Interesse  der Selbst- und Arterhaltung ist (6): dort also ein als unbedingt und schlechthin geltend vorausgesetztes Wertprinzip, hier relative und bedingte Interessen. Jenes nur ergibt als seine "Funktion" eine  einheitliche, in sich absolut identische Wirklichkeit,  diese dagegen bei jedem Subjekt eine in Einzelheiten verschiedene Welt; nur die "facies totius mundi" [Gestalt der ganzen Welt - wp] (SPINOZA) bleibt auch hier die gleiche, weil die biologischen Bedürnisse generell gleiche sind.

Vom Standpunkt der anschaulichen Welt der alltäglichen Erfahrung sind die Formen der "erfahrungswissenschaftlichen Wirklichkeit" "Umformungen" der in ihr selbst schon vorhandenen Formen. Vom Standpunkt der Erfahrungswissenschaft sind die Zusammenhänge, die schon die vorgefundene anschauliche Welt aufweist, vor- oder unterwissenschaftliche Verknüpfungen, deren Geltungsprinzip das biologische Interesse, das animalisch-menschliche Bedürfnis ist, dem sie dienen. Erst im Laufe der Geschichte tritt an dessen Stelle die  Idee  der "Wissenschaft um der Wissenschaft willen" und schafft eine Erfahrungs wissenschaft,  deren Gebilde aber nun nicht anstelle der Gebilde der anschaulichen Welt treten (da das biologische Interesse ja weiter wirksam bleibt), sondern nur "von" dieser gelten, eine Wissenschaft "über" diese darstellen. Da wir abe als historische Wesen in die wissenschaftliche Auffassung der Welt hineinwachsen, ist bei uns die bloß biologisch orientierte Synthesis der Erlebnisinhalte kaum irgendwo noch rein vorhanden; vielmehr mischen sich in das vorwissenschaftliche Weltbild Momente des wissenschaftlichen; so z. B. wenn wir - trotz KOPERNIKUS - nachwievor die Sonne aufgehen sehen, sie aber nicht mehr als leuchtende Scheibe, sondern als Kugel denken, und unsere Erde desgleichen. Umso mehr Anlaß also, die verschiedenen Wirklichkeitsbegriffe reinlich auseinander zu halten und auf ihren Geltungsgrund zu untersuchen.

Wenn KANT dem kategorialen Formensystem das "Gewühl der Empfindungen" gegenüberstellt, so kann man sagen, daß er das inhaltliche Moment, sofern es Ansatz für die Wissenschaft sein soll, zu entblößt gefaßt hat (7). Bezüglich der anschaulichen Welt hat der Positivismus ganz recht, wenn er behauptet, daß auch in ihr schon Formen "vorgefunden" werden: Raum und Zeit, ferner Substanz im Sinne von relativ konstanter Koexistenz, Kausalität im Sinne von relativ konstanter Sukzession. Aber er irrt ganz erheblich, wenn er meint, in diesem  "Koordinationsformen"  auch schon die Kategorien zu haben, wenn er diese beiden logisch streng zu scheidenden Begriffe (8) identifiziert. Die Kategorien setzen an diese Koordinationsformen an, aber sie stehen im Dienste der Idee des absoluten Geltungszusammenhangs, nehmen demgemäß von diesen "Vorstellungsformen" nur auf, was sich logisch zu legitimieren vermag, und lassen das "Vorlogsche", "Unterlogische" weg; sie formen also - vom Standpunkt des erkennenden Subjekts gesehen - die (im empirischen Sinne) "anfänglichen" Formen um, holen aus den vorgefundenen die "ursprünglichen" Formen heraus. Daß wir aber das leisten können, beweist, daß die reinen Formen als solche die logischen Möglichkeitsbedingungen auch jener empirisch-anschaulichen Formen sind, nur daß sie hier nicht in ihrer rein wissenschaftlichen Form, sondern verunreinigt in Erscheinung treten. Die anschauliche Welt des alltäglichen Lebens ist ein transzendental konstituiertes Gebilde einer vorwissenschaftlichen (vorkritischen, vorkulturellen) Synthesis. Die wissenschaftlichen Kategorien als kritisch legitimierte Synthesisprinzipien knüpfen an sie an; sie fügen dabei kein inhaltlich-qualitatives Moment hinzu, wohl aber eine transzendental-logische Qualität, durch die durchgängige Beziehung des Erfahrbaren auf eine schlechthinnige theoretische Einheitsform. (9)

Es müssen also auseinandergehalten werden: Raum, Zeit, Koexistenz, Sukzession  als Koordinationsformen,  und Raum, Zeit, Substanz, Kausalität  als Kategorien.  Entsprechend ist dann die Synthese des Wirklichen eine logisch verschieden qualifizierte. Dem Raum als Koordinationsform z. B. entspricht der empirische Anschauungsraum, dem Raum als Wissenschaftskategorie, als  lex mathematica,  der Raum der euklidischen Geometrie (10). Analog ist es bei den drei anderen Begriffen. (11) Die Kategorien sind, "von unten", vom Standpunkt des Materials, angesehen, die reinen logischen Möglichkeitsbedingungen, die das Inhaltliche zu theoretischen Gegenständen konstituieren, die Koordinationsformen vorwissenschaftlich unreine Synthesisprinzipien. "Von oben", vom Standpunkt des transzendentalen Wertes, betrachtet, sind die Kategorien die Relationsbedingungen des Wertes am Material, deren Anwendung auf dieses durch die Koordinationsformen ermöglich wird, die eine relative Wertformung darstellen, und als solche für die absolute Formung den Ansatz abgeben können.

Wir fassen also die Formen und Zusammenhänge, die in der anschaulichen Welt "vorgefunden" werden, auf als vor-, d. h. unterwissenschaftliche Wertverknüpfungen, deren Auswahl- und Anordnungsprinzip der biologische Wert (Erhaltung des "Lebens", im biologischen Sinne, von Individuum und Art) ist (12). Damit aber wird nun nicht etwa "die Realität der Außenwelt wieder illusorisch: es ist auch hier jede "Introjektion" der Inhaltsmomente streng zu vermeiden. Nur die Formen, in denen sich die "Erlebniswelt" in der "anschaulichen Welt" darbietet, sind  subjektiv- bedingt, woraus dann eben die Aufgabe der Wissenschaft entspringt, die  objektiven  Formen zu eruieren. Nur in diesem Sinne also kann man die uns umgebende anschauliche Welt als eine  phänomenale,  als ein "bloßes" Phänomen bezeichnen. (13) Die "empirische Welt" als Ansatzpunkt ist phänomenal, weil und insofern als ihre Zusammenhangsprinzipien subjekt-bedingt sind;, die "empirische Wirklichkeit" als Ziel aber ist nicht phänomenal, sondern darin wird eine Seite der  objektiven  Wirklichkeit, nämlich ihre seinswissenschaftliche Struktur, erfaßt (14). Die Wissenschaft erkennt die Erscheinungen, indem sie die in ihnen enthaltenen inhaltlichen Momente in den schlechthin geltenden theoretischen Sinnzusammenhang stellt, d. h. ihr theoretisches Wesen (= theoretische Wertstruktur) herausstellt.

Wenn DILTHEY behauptet (15), daß "unser Glaube an die Realität der Außenwelt" nicht auf Vorstellungs- und Denk-, sondern auf Trieb- und Willensmomenten beruth, so mag das bezüglich der empirischen  Psychogenese  dieses Glaubens wohl stimmen; aber damit ist über "das Recht dieses Glaubens" nicht das Geringste gesagt. Sondern das  Daß  dieser "anschaulichen Welt" ist in ganz anderer Weise begründet, als DILTHEY von seiner psychologistischen Problemstellung aus es glaubt begründen zu müssen und zu können (16). Für das  Wie  der Verknüpftheit dieser Außenwelt aber ist es richtig, daß hier das praktische Verhalten, genauer: das biologische Interesse, den Beziehungspunkt abgibt. An dieser Stelle ist also überhaupt das Berechtigte der biologistischen und pragmatischen Theorie des Erkennens "aufzuheben".

Zum Schluß dieses Abschnitts will ich über BERGSON und über die  "Phänomenologie"  einiges anmerken.

Die "Wirklichkeit", die BERGSON intuitiv erfassen will, ist eine Funktion seiner biologischen Gesamteinstellung, deren Einseitigkeit ihm aber wegen seiner Unkenntnis der transzendentalen Problemstellung und die dadurch bedingte Nichtunterscheidung von "Inhalt" und "Gegenstand" nicht bewußt ist, die er deshalb verabsolutiert und so die nach ihr geformte Wirklichkeit für die absolute hält. (17) Seine Ausführungen über die  Zeit  als "konkrete Dauer" zehren von dem einen Gedanken, daß aus durch Analyse gewonnenen Elementen kein Ganzes zu begreifen ist, da bei jener das "geistige Band", das die Teile eint, verloren geht. Das ist aber nichts anderes, als die kantische Einsicht von der Apriorität synthetischer Prinzipien; nur daß BERGSON als einziges solches synthetisches Prinzip die konkrete Zeit ansieht, während die Transzendentalphilosophie diese als ein Synthesisprinzip unter sehr vielen anderen erkennt. BERGSON unterliegt genau demselben Fehler, den KANT an HUME rügt (18): Daß dieser zu seiner einseitigen Lösung deshalb gekommen ist, weil er nicht das Ganze der in Betracht kommenden Prinzipien in ihrem Zusammenhang, sondern nur eines derselben herausgelöst untersucht hat - HUME die Kausalität, BERGSON die Zeit! - und dabei von der empirisch - positivistisch - zeitlichen Einstellung nicht loskommt. Man kann sich diese Einseitigkeit bei BERGSON auch so klar machen: Der dem konkretzeitlichen Zusammenhang des "Wirklichen überhaupt" entsprechende Zusammenhang im Subjekt ist der des  Gedächtnisses  ("Matiére et Mémoire"): Beide stehen in einem gegenseitigen Funktionsverhältnis. Wie aber das Gedächtnis nicht der einzige und nicht der höchste Sinnzusammenhang ist, ist es eine Einseitigkeit, in ihm als "durée pure"  den  Zusammenhang der Welt zu sehen. Was BERGSON für  die  absolute Wirklichkeit hält, ist eine unklare Mischung aus "Erlebniswelt" und "anschaulicher Welt": sie steht, erkenntniskritisch betrachtet, zwischen der Erlebniswelt und der anschaulichen Welt der alltäglichen Erfahrung, indem aus dieser, unter Absehung von den durch das Interesse (19) gebildeten Zäsuren, bloß die eine Form "Dauer", "zeitlicher Fluß" auf jene angewendet wird. Weil er aber ferner "Erlebniswirklichkeit" und "Lebenswirklichkeit" (20) konfundiert [vermischt - wp], glaubt er, in seiner "Erlebnisphilosophie" die Grundlage einer "Lebensphilosophie" zu haben, d. h. er wirft Seins- und Sinnfragen durcheinander, glaubt, den Sinn aus dem Seienden herausholen zu können, ohne zu bemerken, daß er dabei immer schon eine ganz bestimmte Sinneinstellung, die biologisch-psychologische, als dogmatisches "Vorurteil" zugrunde legt. Was schließlich seine Lehre vom  "élan vital"  angeht, so ist seine Argumentation in ihrer erkenntnistheoretischen Struktur prinzipiell derjenigen SCHOPENHAUERs gleich (21). Wie bei diesem "die Welt als Vorstellung und Wille", so wird sie von BERGSON "als Gedächtnis und Lebensschwungkraft" gefaßt; das eine ist eine ebenso dogmatische Metaphysik, wie das andere. Der Grundfehler bei aller dogmatisch-ontologischen Metaphysik aber ist der, daß die in den Einzelwissenschaften als  Seins wissenschaften zulässige ontologische Argumentationsweise auf das  Ganze der Welt  übertragen wird. Es wird nicht gesehen, daß es sich dem Ganzen gegenüber gar nicht mehr um ein  "Erklären",  sondern nur noch um eine  Sinndeutung  handeln kann. Alle Sinndeutung aber kann nur von Werten aus erfolgen. Alle Seinsphilosophie ist auf Teile der Welt beschränkt, vom Ganzen der Welt kann nur eine Wertphilosophie handeln (22). Was schließlich die Methode der  Intuition  angeht, so werde ich darauf weiter unten eingehen. Hier sei nur kurz bemerkt: die Intuition, wie sie BERGSON will, ist keine Erkenntnis, sondern das "leben" selbst; durch Nichtauseinanderhaltung beider tut man beiden Gewalt an; statt beides zusammen zu haben, wie sie glaubt, hat die "intuitive Philosophie" keines von beiden, anstelle des "sowohl - als auch" tritt das "weder - noch".

In der "anschaulichen Welt" liegt auch das, was die  Phänomenologen  als Phänomene, als "phänomenale Sphäre" (LINKE), durch phänomenologische "Wesensschau" (23) fassen wollen: diese "Phänomene" sollen anschaulich faßbar und als anschauliche in ihrer Bedeutung analysierbar sein; sie sollen aber vor jeder bewußt naturwissenschaftlichen, z. B. physikalischen oder psychologischen, Einstellung liegen, vielmehr sowohl für die Begriffsbildung der Naturwissenschaft, wie die der Psychologie die gemeinsame Unterlage bilden. Daher muß vor diese Wissenschaften eine gemeinsame Grundwissenschaft treten, die diese "Wesen" rein aus sich selbst heraus interpretiert, diese vorwissenschaftlichen "Bedeutungen" klärt. (24)

Was ist diese neutrale, sogenannte "phänomenale Sphäre"? Es ist nichts anderes, als die anschauliche Welt, in der wir leben, nur daß diese nicht als Medium des Lebens, sondern als Objekt des "bloßen" Anschauens, speziell des phänomenologisch - anschaulichen Erkennens, gefaßt wird. Diese "phänomenale Sphäre" ist also Funktion der spezifisch phänomenologischen Einstellung, nur daß dies den Phänomenologen meist nicht bewußt ist, sondern sie meinen, die begrifflich noch ungeformte Wirklichkeit selbst zu erfassen. Weil sie sich von der spezifisch naturwissenschaftlichen und spezifisch psychologischen Einstellung befreien, glauben sie überhaupt "voraussetzungslos" zu sein. Was bei dieser phänomenologischen Analyse resultiert, ist das, was der gewöhnliche Mensch des täglichen Lebens und sein gesunder Menschenverstand für das Wesen der Dinge ansehen würde, wenn er die Fähigkeit besäße, sich von den dogmatisch - ontologischen Voraussetzungen, innerhalb deren er sich allenthalben bewegt, freizumachen und rein phänomenologisch zu "schauen".

Diese Problemstellung hat das Verdienst, den Psychologismus aus seinen eigenen sachlichen Grundlagen heraus zu überwinden, und sie erklärt die phänomenologischen Grundlagen auch aus der transzendentalen Problemstellung (Grundlagen hier = vorgefundene fundamenta, nicht = vorausgesetzte rationes!). Aber sie irrt, wenn sie mehr oder gar alles sein will, und wenn sie glaubt, die transzendentale Problemstellung überwunden zu haben. Vielmehr enthält diese allein den Weg, die Methode, zu den logischen "Gründen", den rationes, den Voraus setzungen  jener vor gegebenen  fundamenta zu gelangen. Hinter, über die  phänomenologische Analyse  muß die  transzendentale Deduktion  treten. (25) Diese begreift die Zusammenhangsprinzipien ("Wesensgesetze") der "anschaulichen Welt" aus denen der Wissenschaft: die phänomenale Sphäre ist die verunreinigte transzendentale Sphäre, die transzendentale Sphäre ist der logische Grund der Möglichkeit der phänomenalen Sphäre als eines sinnvollen Zusammenhangs, und sie reinigt jene dadurch, daß sie als Beziehungspunkt der Phänomene ("der Wesen") nicht das empirische Subjekt nimmt, sondern den schlechthin gültigen Wert (Idee) "Wissenschaft": die Gegenstände für das empirische Subjekt begreifen sich nur durch ihren Begriff, d. h. als Gegenstände des "erkenntnistheoretischen Subjekts" ( = Inbegriffs logischer Gesetzlichkeit).

Die Phänomenologie zeichnet sich vor dem landläufigen Positivismus dadurch aus, daß sie das Problem des "Gegenstandes" als ein vom Inhaltsproblem verschiedenes und darum für sich zu behandelndes Problem sui generis [aus sich selbst heraus - wp], das seine eigene Methode fordert, erkennt; sie trennt aber nicht reinlich zwischen  "Vorgegebenheit"  und  "Voraussetzung"  und kommt so zu keiner klaren Fassung des logischen Verhältnisses dieser beiden Momente: diese umfaßt die  apriorischen Möglichkeitsbedingungen  von Geltungssynthesen, jene die  intentionalen  Ausgangspunkte, an welche die betreffende Kulturbetätigung, z. B. Naturforschung, ansetzt. Für diese ist Voraussetzung der Sinnzusammenhang "Natur" als schlechthin geltende Einheit, Vorgegebenheit die "empirische Wirklichkeit" des täglichen Lebens. Die letztentscheidende Frage ist nicht, was gegeben ist und wie es gegeben ist, sondern was "Gegebenheit" ist, d. h. welches der logische Grund der in der Gegebenheit zum Ausdruck kommenden Zusammenhangsform ist, wie die Voraussetzungen die Vorausgegebenheiten zu gegenständlichen Gültigkeiten konstituieren.

Die Phänomenologie sieht wohl das  Problem des Gegenstandes,  aber nicht das  Problem des Begriffs des Gegenstandes  und die Methode, diesem beizukommen, welches eben die transzendentale Methode ist. Eine bloß phänomenologische Analyse des Gegenstandsbewußtseins kann ebensowenig zu einem Begriff des Gegenstandes führen, als sonstwo in irgendeiner Wissenschaft eine bloße  Beschreibung  zu einem Begriff führt. Über das Gegenstandsbewußtsein als "Bewußtsein von" erhebt sich der Gegenstandesbegriff als "synthetisches Bewußtsein überhaupt". Der  Begriff  des Gegenstandesbewußtseins enthüllt sich in der "reinen Synthesis".

Die Transzendentalphilosophie geht ein gutes Stück mit der Phänomenologie; aber wo diese Halt macht und "keine sinnvolle Frage mehr offen sieht" (26), da sagt sie dasselbe, was LEIBNIZ von DESCARTES sagt: nämlich daß er in der Analysis nicht weit genug zurückgeht, sondern im "Vorzimmer der Wahrheit" stehen bleibt (27). Wenn die Phänomenologie ihr ganzes Geschäft vollendet hat, ist noch kein einziges transzendentales Problem gelöst, ja auch nur gestellt. Die transzendentale Problemstellung fängt gerade da an, wo die Phänomenologie aufhört. "Mit derber Entschiedenheit" hat FICHTE in der "Grundlage des Naturrechts", 1796, erklärt (28): "Ein  reines Ich  und die Verrichtungen desselben vor allem Bewußtsein habe keine Realität, weil sie nicht im gemeinen Bewußtsein vorkommen, heißt dasselbe sagen, was ein ungebildeter Wilder sagen würde, wenn er spräche: eure Kausalität und eure Wechselwirkung haben keine Realität, denn man kann sie nicht essen."  Die Philosophie muß Wissenschaft sein, aber sie darf deshalb nicht aufhören, Philosophie zu sein. 

Was die Stellung der Phänomenologie speziell zur Logik angeht, scheint mir die Sachlage folgende: legt man die oben gemachte Unterscheidung einer Logik der Wahrheit (Logo-Logik), Logik der Richtigkeit (Methodo-Logik), Logik der Gewißheit (Psycho-Logik) zugrunde, so kann man sagen: Die Phänomenologie sieht die Probleme innerhalb der Logik der Wahrheit, die auf die Prinzipien der Synthesis der Gegenstände selbst gehen, nicht. Infolgedessen hält sie auch Logik der Richtigkeit (Logik der Erkenntnis) und Logik der Gewißheit (Logik des Erkenn ens)  nicht reinlich auseinander, sondern läßt beide Probleme ineinander laufen. Infolge dieser Nichtunterscheidung trennt sie dann innerhalb der Logik der Richtigkeit nicht rein zwischen der Logik der anschaulichen Phänomene (Phänomeno-logik) und der Logik der wissenschaftlichen Begriffe (Methodo-Logik). Die Phänomeno-Logik ist ein begrifflich unklares Mittelding zwischen Methodo- und Psychologik (29).

Es liegt natürlich der Einwand nahe: wenn die phänomenale Sphäre "Funktion" der phänomenologischen, so ist die transzendentale Sphäre "Funktion" der transzendentalen Methode. Aber dieser Einwand ist keiner; wir Transzendentalisten brechen ihm die Spitze ab, indem wir ihn dankend akzeptieren, mit dem Bemerken: Allerdings; aber eben darin besteht das Wesen der Transzendentalphilosophie, daß sie sich diese funktionale Abhängigkeit der Wirklichkeitssynthese von der zugrundeliegenden Voraussetzung ausdrücklich zu Bewußtsein bringt, und sich nun über den Geltungsunterschied und -grund der Voraussetzungen systematisch Rechenschaft gibt. Darum ist sie die allein  kritische  Methode, während alle andern, die nicht so vorgehen,  Dogmatismus  sind. Darin hat die "Schauung" der Phänomenologie vor der "Intuition" der Erlebnisphilosophie prinzipiell nichts voraus.


b) Die Erfahrungswissenschaft

Die Erfahrungswissenschaft setzt an die anschauliche Welt an, ist aber mitnichten eine einfache Abbildung derselben. Das wäre ein unmögliches und ein überflüssiges Beginnen, und es wäre in keiner Weise einzusehen, warum dieses Abbild denn nun den Wertcharakter "Wissenschaft" haben und seiner Dignität nach mehr sein soll, als das unmittelbare Erfahren der anschaulichen Welt selbst. Woran hängt dieser Wert? In der Wissenschaft sind keinerlei inhaltlich-qualitative Momente, die nicht auch in der anschaulichen Welt sind, weil sie ja eben in dieser gefunden, an ihr ins Bewußtsein erhoben werden. Die Erfahrungswissenschaft will ja eben Wissenschaft von der Erfahrung = dem Erfahrbaren sein. Ihr Geltungscharakter kann daher nur in den Zusammenhangsformen gründen, in denen in ihr die Inhalte stehen. Auf diese Formen und ihr System muß man daher sein Augenmerk richten, will man den Wissenschaftscharakter der Erfahrungswissenschaft begreifen; an ihnen muß es liegen, daß und warum die wissenschaftliche Erfahrung vor der alltäglichen etwas und was sie voraus hat. Wir haben die Prämissen für deren Verständnis schon früher in den Erörterungen über die Geltungssphäre gelegt, hier kann es sich also nur darum handeln, einige Konsequenzen aus dem, was dort gesagt ist, in Verbindung mit dem, was im vorigen Abschnitt über die anschauliche Welt ausgeführt wurde, zu ziehen und ausdrücklich ins Bewußtsein zu heben.

Aus dem vorigen Abschnitt über die "anschauliche Welt" Gesagten ergibt sich, daß die Erfahrungswissenschaft niemals an einem "Chaos von Empfindungen" ansetzt, sondern sich immer schon einem Geformten gegenübersieht, dem gegenüber es auch allein Sinn hat, nach wahr und falsch zu fragen, d. h. ob der Zusammenhang ein theoretisch schlechthin gültiger ist oder nicht. Eine Theorie der Wissenschaft, die die Wissenschaft in ihrem Verhältnis zur Erfahrung begreifen will, hat also gar keinen Anlaß auf das "Gewühl der Empfindungen" zurückzugreifen (30). Insofern kann man sagen, daß KANT das Problem des Inhalts der Erkenntnis zu rein, dafür aber, wie sich gleich zeigen wird, das Problem der Form nicht rein genug gefaßt hat. Für die bloße Theorie der Wissenschaft als Erkenntnis prozeß  genügt es, die Naturwissenschaft als eine "Umformung" der vorgefundenen Formzusammenhänge der gewöhnlichen Erfahrung aufzufassen. Nur muß dabei streng festgehalten werden, daß es nicht die Wissenschaft als Forschertätigkeit ist, die diesen naturwissenschaftlichen Zusammenhang der Welt aus sich schafft dadurch, daß sie ihn denkt, sondern daß dieser Zusammenhang der "sachliche" und als solcher geforderte ist, der sich nur  nach denken läßt. (31)

Aber eben dieses "sachlich" ist das Problem, das weiter führt. Es ist damit nicht das Inhaltliche als Inhaltliches gemeint, das eben als solches per definitionem keine geltenden Zusammenhänge hat, sondern Sachzusammenhang bedeutet Sinnzusammenhang bezüglich der so und so beschaffenen inhaltlichen Momente. Dieser Sinnzusammenhang aber dependiert [hängt ab - wp] von dem Grundwert, auf den er bezogen ist. Es genügt alslo nicht, dem "Gewühl der Empfindungen" als dem materialen Faktor das System der Kategorien nebst ihrer Einheit in der "transzendentalen Apperzeption" als den idealen Faktor gegenüberzustellen, sondern es muß näher bestimmt weren, was das denn nun für eine Einheit sei, auf die hin Inhalte in einen schlechthinnigen einheitlichen Sinnzusammenhang treten. Das heißt: wie bei den kategorialen Formen die Koordinationsformen und die eigentlichen Kategorien zu unterscheiden sind, so ist bei der schlechthinnigen Sinnvoraussetzung überhaupt für diese nochmals zu scheiden zwischen der rein formalen Voraussetzung schlechthinnigen Geltens überhaupt und dem Grundwert, der Idee, die diesen formalen Rahmen überhaupt inhaltlich bestimmt und in ihm den Einheitspunkt abgibt, an dem alle bloßen Koordinationsformen zu messen und, wenn nötig, umzuformen sind, um die "anschauliche Welt" aus ihrer "bloßen" Gegebenheit in die Sphäre schlechthinnigen Geltens zu erheben, d. h. aus der gewöhnlichen Erfahrung eine wissenschaftliche Erfahrung machen. Wie diese Grundwerte gefunden werden, wird später zu erörtern sein. (32) Hier ist nur  der  Grundwert, der die Spähre des  theoretischen  Geltens konstituiert, einfach anzugeben: die Idee der Wissenschaft ist die Idee eines schlechthin geltenden, einheitlich in sich geschlossenen, rein theoretischen (d. h. von aller Beziehung auf menschliche Bedürfnisse und praktische Interessen absehenden) konstanten Funktionalzusammenhangs alles Seienden. Die wissenschaftstheoretische Fragestellung bezüglich der Erfahrungswissenschaft lautet also: Nach welchen Grundformen ist die Gegebenheitsform der anschaulichen Welt umzuformen, damit ihrem Zusammenhang der Wert "schlechthinnige theoretische Geltung" zukommt?

Es ist der Fehler jedes erkenntnistheoretischen  Realismus,  daß der die beiden Begriffe der "empirischen Wirklichkeit", nämlich als Ausgang der Wissenschaft einerseits, als ihr Ziel andererseits, nicht auseinanderhält, und in ihrem logischen Verhältnis verkennt. Beide sind  inhaltlich  gleich, aber nicht  sachlich  gleich: sie beziehen sich beide auf dasselbe Urmaterial, statuieren aber an diesem, konstituieren in ihm zwei Sinnsynthesen von sehr verschiedener Dignität, da der Wertgesichtspunkt, der die Geltungseinheit konstituiert und deren Zusammenhangsformen bestimmt, von sehr verschiedenem Rang ist.

Es muß nicht nur  Inhalt  und  Gegenstand  auseinandergehalten werden, sondern zwischen beide tritt noch der Begriff der  Sache  (der Sachlichkeit, des sachlichen Zusammenhangs. Der Inhalt wird zu einem Sachzusammenhang durch die vorwissenschaftlichen Koordinationsformen (das Problem des Schematismus!), die Sache zum Gegenstand durch kategoriale Synthesis; und diese endlich dependiert in ihrer spezifischen Geltung vom Grundwert oder der idee, der sie untersteht.

Darum sind für den Standpunkt des erkenntnistheoretischen  Idealismus  demselben Material gegenüber mehrere verschiedene geltende Synthesen nebeneinander ohne Widerspruch möglich, da je nach dem beherrschenden Grundwert die Verknüpfungsformen verschiedene sind. So tritt z. B. "die künstlerische Wirklichkeit" als eine Synthese sui generis neben "die theoretische Wirklichkeit", in Bezug auf dasselbe Material. Das Verhältnis beider ist nicht so, daß die eine die  "wirkliche" Wirklichkeit  erfaßt, die andere eine  "bloße" Phantasiewelt  darstellt, sondern beide sind erkenntnistheoretisch (geltungstheoretisch) prinzipiel gleichwertig. Das vermag kein erkenntnistheoretischer Realismus begreiflich zu machen.

Und nicht nur, daß der Realismus die Möglichkeit verschiedener Synthesen derselben Inhalte, die gleichermaßen Anspruch auf schlechthinnige Geltung erheben, nicht begreiflich zu machen vermag: er vermag nicht einmal das  Daß der wissenschaftlichen Geltung begreiflich zu machen, ohne metaphysisch - ontologische Dogmen. Der Idealismus dagegen leitet den eigentümlichen Geltungscharakter der Erfahrungswissenschaft gar nicht aus der vorgefundenen anschaulichen Welt ab, sondern begreift umgekehrt die Geltung von deren Zusammenhängen in ihrem  relativen  Recht aus der absoluten Geltung "Wissenschaft". Deren "Idee" "hebt" an der Erfahrung "an", aber "entspringt" nicht in ihr, sondern hat einen anderen "Grund", und stellt kraft Eigenrechtes ("von Gottes Gnaden") ihrerseits Forderungen an das Vorgefundene, indem sie durch dieses hindurch die  "richtigen", d. h. sachgerechten  Zusammenhänge herauszustellen sich bemüht.

Die erkenntniskritische Analyse stellt also an der Erfahrungswissenschaft als ihre logischen Konstituentien 5 Momente heraus:
    Erfahrungswissenschaft ist, erkenntniskritisch betrachtet, die Realisierung der transzendentalen Grundvoraussetzung schlechthinniger Geltung an der anschaulichen Welt durch Verarbeitung dieser mittels der Kategorien in Richtung auf die absolute Wertidee einer rein theoretischen Synthese des Wirklichen, sodaß eine restlose, in sich widerspruchslos-einheitlich zusammenhängende, systematische Übersicht über die Gesamtheit der erfahrbaren Weltinhalte als Objekte sich als die für das endliche erkennende Subjekt im Unendlichen liegende theoretische Aufgabe ergibt. Was hier für die Idee "Wissenschaft" ausgeführt ist, gilt natürlich analog für die anderen Grundwerte. Es sind also immer folgende Momente als Konstituentien auseinander zu halten: Die transzendentale Grundform überhaupt ist die Grundidee schlechthinnigen Geltens überhaupt (Das ist die gereinigte Erweiterung von KANTs Begriff des  Apriori).  Diese rein formale Grundvoraussetzung bestimmt sich inhaltlich-allgemein an (in der Geschichte offenbar werdenden) Grundwerten, die dadurch, daß sie die Sanktion jener Grundform bekommen, zu schlechthinnigen Geltungseinheiten werden (Das ist die Erweiterung von KANTs Begriff der  Idee).  Erst durch die Anwendung jener transzendentalen Grundform in einem idealen Synthesisprinzip auf die anschauliche, bzw. Erlebnis-Welt resultieren die  Kategorien  der einzelnen gültigen Wirklichkeitssynthesen = Kulturgebiete, wovon die "wissenschaftliche Wirklichkeit" nur  ein  Sinnzusammenhang neben anderen ist.
Nach dieser Auseinanderlegung der beim Begreifen aller Sinngebilde auseinander zu haltenden Momente läßt sich nun auch unschwer der Unterschied von Wahrnehmung und Denken, Anschauung und Begriff,  Intuition  und  Diskursion  klar stellen:
    Jede  Wahrnehmung  (= Wahrgenommenes) in der "anschaulichen Welt" ist ein Sinngebilde, d. h. Inhalte in Zusammenhangsform. Alles Wahr nehmen  ist anschaulich - konkretes Erfassen eines geformten Inhaltskomplexes. Daß und warum diese Inhaltseinheit "für wahr genommen" wird, erklärt sich aus dem Beziehungspunkt, auf den hin in der anschaulichen Welt Inhaltskomplexe als "Gegenstände" "gesetzt" werden: den biologischen Wertgesichtspunkt; was ihm dienlich ist, wird "als wahr genommen". Die Wissenschaft aber fragt nun, ob diese  Wahr-nehmung  auch "wahr"  ist, d. h. ob die voraus-gegebene  Sinninhaltlichkeit, das wahrgenommene Phänomen, so wie es wahr-genommen wird, auch der von ihr  voraus-gesetzten  Idee der Wissenschaft entspricht, an dieser gemessen "richtig" ist, theoretisch schlechthin als gültig gesetzt werden darf. Zu diesem Zweck mißt sie die Zusammenhangsformen, in denen die Inhalte  gegeben  sind, an den vom Grundwert  geforderten  Zusammenhangsformen, und bestimmt sie nach diesen. Sie löst also Inhalt und Form auseinander, um ihr gegenseitiges Zusammen nun als ein "begründetes zu "begreifen". Diskursives Denken ist ein Denken, das zwischen der Form-allgemeinheit und Inhaltsbesonderheit "hin und her geht" und beide Momente in ihrem Sinnzusammenhang an- und auseinander begreift.
Wir erfassen also schon in den allen geläufigen Wahrnehmungen Sinnzusammenhänge, Sinngebilde, Wertsynthesen. Die sogenannte philosophische Intuition will nun nichts anderes sein, als eine Ausdehnung dieser Art der Erfassung auf das Ganze der Welt. Bewegt sich das diskursive (reflexive) Denken in der Form: Allgemeines - Besonderes, so das intuitive (spekulative) in der Form: Ganzes - Teil. Darin liegt, daß die Intuition, wenn sie sich selbst versteht, auf jede Begründung im logischen Sinne verzichten muß: Der Philosoph hat seine Intuition der Welt, wie MÜLLER und MEIER die Wahrnehmung "Baum" haben. Wer den Baum nicht wahrnimmt (weil er blind ist), der hat eben die betreffende Wahrnehmung nicht. Und analog gilt: wer so unbegabt und blöd-sinnig ist, d. h. so blöde Anschauungsorgane hat, daß er die Intuition des betreffenden "großen Philosophen" nicht hat, der hat sie eben nicht. Dem armen Kerl fehlt eben das geistige Auge, wie demjenigen, der den Baum nicht sieht, das sinnliche. Oder, mit einem anderen Vergleich, der noch adäquater ist: ihm fehlt das "ästhetische" Organ, das Einzelerscheinungen zu einer Bildeinheit zu vereinigen vermag.

Gegen die Möglichkeit einer "Intuition" ist gar nichts zu sagen, wenn sie nicht eine theoretische Erfassung der absoluten  Realität  zu sein behauptet, sondern auf absolute  Werte  gerichtet sein will, und hier nicht deren allgemeinen  Begründungszusammenhang  enthüllen will, sondern auf deren Konkretion in der Kultur (Erfassung und Setzung) sich richtet: alles wirklich kulturschaffende Handeln setzt erfühlte Werte in die Wirklichkeit um. Aber eine solche Intuition ist weder Seinswissenschaft (empirische Wissenschaft), noch Geltungswissenschaft (philosophische Wissenschaft).  Denn der Sinn aller Wissenschaft ist das Begründen.  Erstere bringt die konkrete Seinswahrnehmung, letztere die konkrete Wertintuition auf ihren Begriff. Alles begriffliche Begründen aber bewegt sich notwendig zwischen Begründendem und Zu-begründendem hin und her, ist diskursiv, zerlegt das Einheitliche zum Zweck seines Begreifens in eine allgemeine Form und besonderen Inhalt. Alle exakte Wissenschaft ist exakt nur dadurch, daß sie die inhaltlichen Daten und deren Zusammenhangsform (das Gesetz, den Begriff, dem sie unterstehen) auseinanderhält und so von der Anschauung zu ihrem Begriff aufsteigt: alles Begründen geht zwischen Axiom und Datum, Form und Inhalt, Wert und Wertmaterial hin und her; der Begriff deckt den logischen Begründungszusammenhang der Anschauung und ihren Geltungsgehalt auf. Intuitive Philosophie ist ästhetische Weltdichtung oder religiöse Wertpredigt; ihre Argumente sind Bilder und Pathos. Philosophie als Wissenschaft aber ist eben Wissenschaft, und das wissenschaftliche Geschäft geht restlos auf im begrifflichen Begründen.

Wir kehren zum Problem der Erfahrungswissenschaft zurück. Daraus, daß die Erfahrungswissenschaft eine Wissenschaft von der "Erfahrung" (33), d. h. der anschaulichen Welt, sein will, und darum an deren vorwissenschaftliche Formung anknüpft, ergibt sich ein weiteres. Diese anschauliche Welt ist eine Funktion der biologischen Einstellung. Da in dieser verschiedene Interessen (34) sich verbinden, ist auch die vorbegriffliche Erlebnisverarbeitung eine solche, in sich der verschiedene Gesichtspunkt als Auswahl-, Anordnungs- und Verknüpfungsprinzipien kreuzen. So macht sich vor allem ein doppeltes Interesse geltend: dasjenige am  Allgemeinen  und dasjenige am  Besonderen.  Für den "Kampf ums Dasein" haben die Erlebnisse bald bloß nach ihren allgemeinen Eigenschaften Interesse (dieses Interesse überwiegt und bestimmt die "allgemeinen" Wortbedeutungen!), weil die Kenntnis dieser Allgemeinbeschaffenheit ein Mittel der Voraussicht ist, einen allgemeinen Voranschlag des Möglichen gestattet; bald in ihrer Einmaligkeit als Kenntnis der wirklich-konkreten Erfüllung jenes abstrakten Rahmens in der konkreten Situation (dieses Interesse schafft die Eigennamen!), auf die allein sich ja das konkrete Leben bezieht. Darum wird beides in unklarer "Mischung" in diesen ersten tastenden Versuchen einer Orientierung in der Welt festgehalten. Die Lebensnotwendigkeit ist in beiden Fällen die Grenze dafür, wie weit sich das Interesse mit der Fülle des Inhaltlichen befaßt, dafür, wie weit es in der Verallgemeinerung geht, und dafür, was es an Individuellem festhält. Mit dem Erwachen der Idee der Wissenschaft, mit dem Moment, wo diese im Laufe der Geschichte der Menschheit ins Bewußtsein tritt, erhalten diese Interessen eine Beziehung auf die Idee schlechthinniger Geltung und suchen sich nun ohne Bindung an das bloß biologische Interresse auszuleben, rein um des Wertes "Wissenschaft um der Wissenschaft willen". Die Wissenschaft setzt bewußt an die vorwissenschaftlichen Begriffsbildungen an, isoliert deren Gesichtspunkte, sofern dieselben sich logisch legitimieren können, (35) und führt sie rein durch. Dies ist zuerst mit der Idee des Allgemeinen der Fall, erst viel später wird auch das Individuelle um seiner selbst willen, d. h. mit Beziehung auf die Voraussetzung schlechthinniger Geltung und so als etwas nicht bloß biologisch Wertvolles, sondern in sich selbst Gültiges festgehalten. Aber wohlgemerkt: diese Psychogenese begründet nicht die  Geltung  der Wissenschaft, sondern liefert deren eigengründiger Idee nur die empirischen Ansatzpunkte.

Die Ausführung der Idee des Allgemeinen unter dem Gesichtspunkt schlechthinniger Geltung ist die  Naturwissenschaft,  die der Idee des Besonderen als Geltungszusammenhang  sui generis  die  Geschichtswissenschaft  (36). Für beide  als Wissenschaft  liegt die "Möglichkeitsbedingung" in der Voraussetzung (ob diese psychologisch bewußt ist, ist logisch gleichgültig) des schlechthinnigen Geltungszusammenhangs des Wirklichen überhaupt, als des Bandes, das das Inhaltliche dort zu einem allgemeinen Gesetz für alle räumlich lokalisierbaren Inhalte, hier zu einem in sich zusammenhängenden einmaligen zeitlichen Prozeß aller wertbezogenen (37) Inhaltseinmaligkeiten zusammenbindet und deren Geltung sanktioniert.

Der transzendentallogischen Besinnung auf die logischen Grundlagen der Erfahrungswissenschaft erwächst so über die auf die Naturwissenschaft beschränkte erkenntniskritische Problemstellung KANTs hinaus die parallele Aufgabe, auch für die Geschichtswissenschaft die Kategorien herauszustellen, die aus der vorwissenschaftlichen Verknüpfung von Einzelereignissen den schlechthin gültigen einmaligen Prozeß "Geschichte" (als Funktion der Geschichtswissenschaft) (38) machen. Ich verweise für dieses Problem auf die für die Stellung desselben grundlegende Rektoratsrede WINDELBANDs "Geschichte und Naturwissenschaft", und die daran anschließenden Werke RICKERTs "Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung", und "Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft".

Welches die erfahrungswissenschaftlichen Kategorien im einzelnen sind, das hat an Hand der historisch wirklichen Wissenschaft die Wissenschaftstheorie als Spezialdisziplin der kritischen Gesamtaufgabe der Transzendentalphilosophie herauszuarbeiten. Hier bleibt also innerhalb des Rahmens meiner Gedankenführung ein wohlumschriebenes Problemgebiet zur philosophisch - wissenschaftlichen Einzelausführung offen. Ich mußte mich hier darauf beschränken, den Ansatzpunkt dieser logischen Spezialuntersuchungen, die in demselben Sinn eine exaktwissenschaftliche Fachaufgabe darstellen, als irgendein physikalisches oder historisches Problem, im Ganzen der transzendentalen Position aufzuzeigen.

Der Begriff der "empirischen Wirklichkeit" als Ziel der Erfahrungswissenschaft ist eine "Funktion" dieser Wissenschaft, und zwar derjenigen, deren "Gegenstand" er ist, ein anderer also bei der Naturwissenschaft, als bei der Geschichtswissenschaft: sie ist die Erfüllung des betreffenden allgemeinen Grundwertes (Naturwissenschaft einerseits, Geschichtswissenschaft andererseits) mit konkreten Sinninhaltlichkeiten, d. h. also konkreten naturwissenschaftlichen oder historischen Sacheinsichten.

Um den durchaus unmetaphysischen Charakter dieses Begriffs zum Schluß dieses Abschnitts möglichst klar zu machen, will ich ihn mit dem Begriff der "künstlerischen Wirklichkeit", die wir ja schon einmal gestreift haben, konfrontieren. Auch dieser erhebt einen allgemeinen Gültigkeitsanspruch, auch die Wirklichkeit, wie sie der Künstler "meint", will "wahr" sein. Wie verträgt sich die "doppelte Wahrheit" in der einen Welt? Ich höre eine Folge von Tönen, die mir das Programm als eine Symphonie BEETHOVENs bezeichnet. Ist nun von dieser Tönewelt das "wahr", was mir der Physiker davon sagt, oder das, was der Künstler damit meint? Antwort: Beides  gilt;  jenes ist  erfahrungswissenschaftlich wahr,  dieses  künstlerisch wahr,  jenes  theoretisch gültig,  dieses  ästhetisch gültig.  Es ist das Auszeichnende am erkenntnistheoretischen Idealismus, daß der dieses Zusammenbestehen  mehrerer  schlechthinniger Geltungssynthesen in Bezug auf dasselbe inhaltliche Material begreiflich zu machen vermag. Dies leistet er dadurch, daß er die ontologische Zwei-Welten-Theorie beseitigt, und innerhalb der einen Welt die verschiedenen, Allgemeingültigkeit beanspruchenden Synthesen aus den verschiedenen Grundwerten begreift, denen sie dienen, indem sie sie erfüllen. In unserem Fall wird derselbe Inhaltskomplex das eine Mal in das schlechthin geltende Beziehungssystem "Kunst", das andere Mal in das ebenfalls schlechthin geltende Beziehungssystem "Erfahrungswissenschaft" eingestellt.

Um den Unterschied und das Zusammenbestehen beider "Wirklichkeiten" in der einen "Welt" noch klarer zu machen, will ich noch folgende Frage in den Kreis der Betrachtung ziehen: Wodurch unterscheidet sich die erfahrungswissenschaftliche Wirklichkeit von einem bloß denkbaren Wirklichkeitssystem? Hier handelt es sich um das LEIBNIZ-Problem, zu begründen, warum unter den vielen  "möglichen", d. h. denkbaren,  Welten gerade  unsere  Welt  die  Welt ist. Aber dieses Problem mußt von aller Metaphysik gereinigt und rein erkenntniskritisch gestellt werden. Dann lautet die Anwort nicht anders als: weil diese allein keine bloße  abstrakte Vernunft konstruktion darstellt, sondern  die konkrete Vernunft  ist. Aber diese "konkrete Vernunft" meint nicht das LEIBNIZ'sche "bestmögliche Welt", sondern dies: diejenige Spezifikation der abstrakt-formalen Vernunft, die dem Erfordernis der  "möglichen Erfahrung"  genügt. Das heißt: die "Welt", die die Wissenschaft herausarbeitet, ist deshalb  die  gültige, weil sie allein es ist, die das  Erlebbare  in seiner Konkretheit zu einem Sinngefüge ("Kosmos") macht, weil sie die theoretische Vernunftkonstitution des Konkreten selbst darstellt, und so allein eine inhaltliche Substruktion des bloßen Gedankens einer Welt "ermöglicht".

Die "wissenschaftliche Wirklichkeit" ist die theoretische Gegenständlichkeit des Erlebbaren. Sie knüpft an die "anschauliche Welt" an, greift aber durch diese hindurch auf die Erlebniswelt und stellt an dieser ihr theoretisches Sinngefüge heraus. Dieses Erfordernis der Beziehung auf das Erlebbare bezeichnet KANT als das  Prinzip der "möglichen Erfahrung."  Dieses Prinzip bedeutet zunächst, vom Standpunkt des erfahrend-erkennenden Subjekts:
    a) tatsächlich schon in Vergangenheit oder Gegenwart erfahren,

    b) in Zukunft, bei weiterer Ausdehnung der Forschung, Verfeinerung der Instrumente etc., erfahrbar,

    c) analog mit dem Erfahrenen vorgestellt, bzw. vorstellbar, z. B. die Rückseite des Mondes.
Als rein-kritisches, vom Subjekt absehendes, Prinzip bedeutet es das materiale Erfordernis der inhaltlich-anschaulichen  Erfüllbarkeit,  erlebnismäßigen Substruierbarkeit eines Grundwertes, einer Idee überhaupt. Diesem Prinzip muß genügen, was eine erfahrungswissenschaftliche Gültigkeit, empirische Sinninhaltlichkeit zu sein beansprucht. (39)

Aber es muß immer wieder betont werden, daß die Sinnzusammenhänge nicht der "möglichen Erfahrung" die  Geltung  des in ihr sich darstellenden Beziehungssystem entnehmen, sondern nur  dasjenige,  was ihnen gemäß in einem geltenden  Zusammenhang  steht: das Moment der Geltung verleiht erst das ideale Sinngefüge dem Erfahrbaren, indem es dasselbe aus der Sphäre bloßer Erfahrbarkeit in die schlechthinniger Geltung erhebt. Weil die Wissenschaft an der Idee des einheitlich und widerspruchslos in sich geschlossenen theoretischen Zusammenhangs durchgängig alle erlebbaren Inhalte untereinander mißt und danach entscheidet, welche Inhalte mit welchen in  einem  einheitlichen System zusammen bestehen können, schließt sie z. B. die "intentionalen Gegenstände" von Träumen und Halluzinationen aus der Sphäre der  erfahrungswissenschaftlich wirklichen Gegenstände  aus und läßt sie bloß als psychische Inhalte bestehen.

Mittels dieses Prinzips der "möglichen Erfahrung" kann nun auch Stellung genommen werden zu der viel ventilierteren Frage, wie sich die sogenannte  "nicht-euklidische Geometrie"  zur "transzendentalen Ästhetik" KANTs erkenntniskritisch verhält. Die hier entscheidende Einsicht formuliert BAUCH folgendermaßen (40): "Die Mathematik gehört ganz allgemein zu den Leistungsmethoden. Von ihren methodischen Leistungsmittelnn ist es unter den Geometrien diejenige EUKLIDs, die dem Erfahrungsgegenstand gegenüber mit den überhaupt möglichen Geometrien . . . das Gemeinsame hat, daß sie dem Erfahrungsgegenstand weder widerspricht, noch von ihm bestätigt wird," ihnen gegenüber aber "das Auszeichnende besitzt, daß sie den Erfahrungsgegenstand erst ermöglicht, ihm eben seine Gegenständlichkeit mit verbürgt. Ihre Verträglichkeit mit der Erfahrung ist . . . positive Erträglichkeit, d. h. Grundstiftung der Erfahrung." Die verschiedenen Geometrien "bestehen rein logisch wohl und gut zusammen, nur erhält die euklidische Geometrie im Wissenssystem das Polus der erfahrungsstiftenden Funktion." "Die transzendentallogische Erfahrungsgründung" begründet den "Wertunterschied der Geometrien". "Der Transzendental Philosophie kommt es nicht darauf an, die formal möglichen Erfahrungen in eben dieser formalen Möglichkeit, sondern die reale Erfahrung in ihrer realen Möglichkeit zu begreifen." "Allein die euklidische Geometrie ermöglicht eine logisch-reale Erfahrung. Sie ist Möglichkeitsgrundlage für Wirklichkeitserkenntnis, die andern sind als solche Grundlage immer nur für Mögliches." (41)

Die "mathematische Wirklichkeit" ist eine Funktion des Wertes "Mathematik", der ein Reich eines rein ideellen Seins in Bezug auf ein homogenes Kontinuum konstituiert. Innerhalb der rein mathematischen Sphäre sind die verschiedenen Mathematiken gleichwertig. Aber diese Welt der Mathematik ist der Welt des Erlebbaren gegenüber eine weitgehende "Verarbeitung", indem in ihr diese rein unter einem mathematischen Gesichtspunkt der ideellen Größenverhältnisse erscheint, und nun die so konstruierten ideellen Gegenstände und Sinnbeziehungen rein um ihrer selbst willen (Mathematik um der Mathematik willen) erforscht werden. Von dieser "freien" Mathematik (CANTOR) aber ist die Frage nach der mathematischen Konstitution der "anschaulichen Welt" zu unterscheiden, d. h. aus dem mathematisch Möglichen hebt sich als  erfahrungsgegenständlich  dasjenige heraus, was die anschauliche Welt zu einer gegenständlichen, zur "empirischen Wirklichkeit", zu konstituieren vermag, - und das ist nur die euklidische Geometrie: der euklidische Raum ist der Raum als logische Möglichkeitsbedingung der  Erfahrungs wissenschaft. Es muß also scharf unterschieden werden zwischen einer Theorie der Mathematik um der Mathematik willen: in dieser ist die euklidische Geometrie eine neben anderen; und einer Theorie der mathematischen Konstitution der "anschaulichen Welt": hier ist die euklidische Geometrie  die  Geometrie, die  von  den Objekten und  für  die Subjekte (in ihrem Verhältnis zu den Objekten) geltende; sie allein ist Konstituens des Wertes "Erfahrungswirklichkeit"; die anderen Geometrien sind Ausgestaltungen des Wertes "Mathematik" in sich, ohne ihn auf den Wert "Wirklichkeit" zu beziehen. Der auch erkenntnistheoretische Wert (vom mathematischen einmal ganz abgesehen) solcher "metageometrischen" Untersuchungen liegt darin, daß sie auch die Axiome der  erfahrunggründenden  Mathematik in ihren Konstituentien zu deutlicherem Bewußtsein bringen und klären.

Die "mathematische Wirklichkeit" erhebt sich  über  die "anschauliche Welt", indem sie an dieser ansetzt, dann aber um sie und das konkret Erlebbare sich nicht mehr kümmert. Demgegenüber greift die "künstlerische Wirklichkeit" durch die "anschauliche Welt" hindurch die Erlebniswelt selbst. Sie kümmert sich, wie die "mathematische Wirklichkeit", nicht um die Beziehungen innerhalb der "anschaulichen Welt" als "anschaulicher Welt" (in dem oben dargelegten Sinne), aber sie liegt nicht  über  ihr im rein Konstruktiven, sondern bewegt sich  unter  ihr im rein Konkreten. Die Erfahrungswissenschaft hält die Beziehung auf die "anschauliche Welt" fest und will deren Gegenständlichkeit herausstellen; die Kunst kümmert sich um diese und ihre biologisch fundierten Beziehungen nicht, sondern nimmt an der Erlebniswelt selbst eine Sinnsynthese sui generis kraft Eigenrechtes vor. Sie bindet sich also nicht an die anschaulich vorgefundenen Verknüpfungen, verfährt aber deshalb doch nicht willkürlich, sondern bindet sich an die Idee einer "künstlerischen Synthesis", die als gleichberechtigter Grundwert neben den Grundwert "Erfahrungswissenschaft" tritt. (42)

Ich kann hier auf die "künstlerische Wirklichkeit", die als  ästhetischer Sinn der Weltinhalte  neben ihren  theoretischen Sinnzusammenhang  tritt, nicht in extenso eingehen; es seien nur zur Erläuterung des oben Gemeinten noch zwei Bemerkungen zur  Transzendentalphilosophie der Kunst  angefügt. (43)

    1. Es ist ein Verdienst des  Impressionismus,  daß er den Künstler von der Einstellung auf das empirisch-vorgefundene Weltbild, die biologisch orientierte Inhaltssynthese "anschauliche Welt", befreit und ihn gelehrt hat, auf die "Erlebniswelt" selbst zurückzugreifen und aus ihr in all ihrer unendlichen Fülle das Material für seine künstlerische Synthese zu holen (44): Er hat die Künstler gelehrt, vom Wissen um die Dinge zum unmittelbaren Erleben der Dinge in all dem Reichtum ihres unmittelbaren Befundes zurückzukehren; also z. B. da, wo das unmittelbare Erleben ein Moosbraun sieht, dieses Moosbraun unmittelbar festzuhalten, und es nicht, weil man aus dem gewöhnlichen Leben heraus weiß, daß da eine junge Buche steht, und diese nun von der Abendsonne beleuchtet wird, zu glauben, man  sehe  das "junge helle Buchengrün plus Abendsonnenlicht" (45). Nichts anderes besagt auch, erkenntnistheoretisch geläutert, die in der Kunst immer wieder mit Recht aufgestellte Forderung: Zurück zur Natur! Nämlich dies: der Künstler soll sich nicht binden an überkommene Lehren, sondern in der Fülle des Erlebbaren selbst graben und dessen Schätze heben. Die Augen auf, die Herzen auf!

    Aber neben diese Forderung des Impressionismus tritt, sie ergänzend, mit ebenso viel Recht diejenige des  Expressionismus:  "Bildeinheit"! Es kommt für das Kunstwerk als Kunstwerk alles darauf an, jene impressionistisch erfaßten Erlebnisdaten in die  spezifisch ästhetische Synthesis,  in die spezifisch ästhetische Formeinheit, Geltungsform, zu bringen. Diese braucht sich an die empirischen Dinge und deren empirische Synthese ebensowenig zu binden, wie an die theoretischen Prinzipien und die wissenschaftliche Synthese der Inhalte. Sondern sie nimmt eine eigenartige Synthesis sui generis an den Erlebnisinhalten vor, allein im Dienste des Wertes "Kunst". Für sie ist "wesentlich" und damit "ästhetisch wirklich", "ästhetisch wahr", was der spezifischen Geltungseinheit "Kunst" dient, und dies braucht mit dem, was für die empirische Lebenseinstellung "wesentlich", oder für die wissenschaftliche Einstellung im Dienste der Geltungseinheit "Wissenschaft" "wesentlich" und deshalb "wissenschaftlich wirklich", "theoretisch wahr" ist, sich keineswegs zu decken, weder in den Inhalten noch den Zusammenhangsformen. Das ist der erkenntnistheoretisch geläuterte Sinn des Schlagwortes: Der Künstler soll "neue Welten" entdecken!

    2. Diese spezifisch ästhetische Synthese als eine Geltungseinheit sui generis ist nun der eigentliche  "Gegenstand" des Kunstwerkes.  In seiner geltungstheoretischen Reinheit hat also der  ästhetische Gegenstand  (46) weder mit dem äußeren Sinnesobjekt (dem "behauenen Marmorblock" oder der "pigmentierten Leinwand") etwas zu tun, noch mit dem, was in irgendeinem Subjekt (dem Künstler oder dem Beschauer) vor sich geht: Er "west" als ästhetische Sinneinheit ebenso in sich, wie irgendeine wissenschaftliche Sinneinheit, z. B. der Satz  2 x 2 = 4.  Es ist jede "Introjektion" der Inhalte, wie der Formen, wie ihrer synthetischen Einheit auch hier streng zu vermeiden. In die empirisch-positive Kunstgeschichte geht ein, was am Objekt und im Subjekt "vor sich geht" und deshalb in der Zeit steht: der "ästhetische Gegenstand" selbst wohnt bei den "Müttern", zu denen FAUST hinab muß, will er das Höchste erreichen: "Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit." (47)
Die ästhetische Wirklichkeit ist also mitnichten ein "bloß subjektives" Phantasiegebilde, sondern steht auf erkenntnistheoretische gleichem Niveau, wie die "erfahrungswissenschaftliche Wirklichkeit": es sind zwei Geltungssynthesen der Erlebniswelt, und ihr Unterschied gründet und begreift sich allein aus der Verschiedenheit des  Grundwertes,  dem sie dienen, dort der Idee "Kunst", hier der Idee "Wissenschaft" (48)

Gegenstand des Kunstwerks ist also in der Tat eine  "Idee",  nämlich die Idee "Kunst", und jedes einzelne Kunstwerk ist eine konkrete Ausprägung dieser Idee, eine "konkrete Idee", ein konkretes ästhetisches Sinngefüge, eine künstlerisch geltende Sinninhaltlichkeit. Als solche aber ist sie  "Freiheit in der Erscheinung":  sie west in sich und gründet in sich; jedes Hinausfragen über sie nach ihren kausalen Antezedentien [Vorausgegangenem - wp] ist ihrem Sinn gegenüber sinnlos. Darum ist das echte Kunstwerk auch etwas dem  "Organismus"  Analoges, besitzt ein "inneres  Leben"  im gegenseitigen Zusammenklingen all seiner Teile, ist  "beseelt"  von der Idee, die es zusammenbindet, und kann so "Gegenstand" einer darauf und danach sich richtenden  "Einfühlung"  sein. All diese Bestimmungen des Kunstwerks in modernen Ästhetiken lassen sich mühelos meiner erkenntnistheoretischen Festlegung des ästhetischen Sinngegenstandes ein- und unterordnen.
LITERATUR - Fritz Münch, Erlebnis und Geltung, [Eine systematische Untersuchung zur Transzendentalphilosophie als Weltanschauung], Kantstudien, Ergänzungsheft Nr. 30, Berlin 1913
    Anmerkungen
    1) "Wirklich" ist immer in dem oben ausgeführten Sinn des "erkenntnistheoretisch Wirklichen" verstanden.
    2) Daß der Einzelwissenschaftler glaubt, unmittelbar das letzte, absolute, eine, seiende "Wesen" der Welt in seinen erfahrungswissenschaftlichen Einsichten zu fassen, stört den Philosophen nicht. Denn das ist ja keine einzelwissenschaftliche Behauptung mehr, sondern eine erkenntnistheoretische, und die Erkenntnistheorie ist eine Domäne der Philosophie und nicht der Einzelwissenschaft  als  Einzelwissenschaft.
    3) Es ist der Fehler des  Realismus,  daß er diese beiden Begriffe nicht scharf trennt und ihr logisches Verhältnis zueinander verkennt.
    4) Vgl. BRODER CHRISTIANSEN, Erkenntnistheorie und Psychologie des Erkennens, Seite 34f.
    5) Auf diese Welt bezieht sich die  doxa  PLATONs: es ist die "Welt der Meinungen", des "verworrenen Denkens" (LEIBNIZ).
    6) Für diese letzteren Synthesen gilt der Satz von SIMMEL ("Über eine Beziehung der Selektionslehre zur Erkenntnis", Archiv für systematische Philosophie, Bd. 1, 1895, Seite 34): "Wir nennen diejenigen Vorstellungen wahr, die sich als Motive des zweckmäßigen, lebenfördernden Handelns erwiesen haben." Vgl. BERGSON, "Schöpferische Entwicklung", Seite 102: "Die sichtbaren Konturen der Körper sind der Umriß unserer etwaigen Wirkung auf sie."
    7) Wodurch er genötigt wurde, in der Deduktion (1. Auflage) einen unglaublich komplizierten Apparat transzendental-psychologischer Vermögen in das Subjekt hinein zu konstruieren, um Inhalt und Form zusammen zu bringen.
    8) Über den Unterschied von Koordinationsformen und Kategorien vgl. BRODER CHRISTIANSEN, "Philosophie der Kunst", Seite 53f. "Die Kategorie erst mach aus der Koordination der Elemente ein Wertungsobjekt" (Seite 54); vgl. ferner desselben Verfassers "Kantkritik", Bd. 1, Hanau 1911. Zur Vermeidung eines Mißverständnisses sei noch ausdrücklich bemerkt: die Koordinationsformen sind Formen der "anschaulichen Welt", aber sie decken sich nicht mit dem, was KANT "Anschauungsformen" nennt; über die  "Anschauungsformen" Raum und Zeit  als Koordinationsformen erheben sich die Kategorien  Raum und Zeit;  wie andererseits die  Kategorien "Substanz" und "Kausalität" durch Koordinationsformen: relativ konstante Koexistenz und Sukzession  substruiert werden.
    9) Dies ist besonders klar bei der Kategorie der Existenz; darauf, daß dieser Unterschied von inhaltlicher und logischer Qualität nicht festgehalten wurde, beruth der Fehler des ontologischen Gottesbeweises in seiner scholastischen Form. Was den Gottesbeweis DESCARTES' (den in der  dritten  Meditation, nicht den in der  fünften  Meditation der Scholastik nachgesprochenen) angeht, so bedarf er nur der erkenntnistheoretischen, bzw. geltungsphilosophischen Klärung, um richtig zu sein. Die ganze Philosophie FICHTEs, wie auch HEGELs, sind nur 2 Ausführungen dieses Gottesbeweises im großen Stil.
    10) Vgl. über die Begriffe: Raumanschauung, Anschauungsraum und mathematischer Raum: BRUNO BAUCH, "Kant", Seite 71. Über das Verhältnis der euklidischen zur nichteuklidischen Geometrie wird weiter unten gehandelt werden. Über Raumanschauung und Anschauungsraum sei folgendes angemerkt: Die Geltungszusammenhänge des inhaltlichen sind in ihren immanent-sachlichen Beziehungen nie und nimmer aus "Vermögen" des Subjekts zu begreifen; also nicht die räumliche Anordnung aus einem "schema coordinandi" der menschlichen Seele, die wissenschaftliche Welt aus "Vertandesgesetzen", das Sinngefüge der Welt überhaupt aus dem "Vermögen" "Vernunft". Sondern die transzendentallogische Sachlage ist so: es gibt verschiedene Geltungszusammenhänge, und demgemäß für ein darauf sich richtendes Subjekt verschiedene Aufgaben. Je nachdem es sich auf den einen oder anderen Geltungszusammenhang richtet, nennt man es  als Ganzes  Vernunft oder Verstand oder Urteilskraft oder Raumanschauung. Von einer Tätigkeit des  Koordinierens  als Quelle der  Geltung  der Raumform kann nicht die Rede sein. Die "transzendentale Ästhetik" KANTs, die eine in der Eile der Niederschrift (vgl. "gleichsam im Fluge", Akad.-Ausg., Briefe I, Seite 323) übernommene Übersetzung des durch die kritische Problemstellung überwundenen Standpunktes der "Inaugural-Dissertation" ist, ist total umzuschreiben.
    11) Über BERGSONs Lehre wird gleich zu handeln sein; was seine Unterscheidung von  temps-durée  (Dauer) und  temps-espace  (räumlich schematisierte Zeit) angeht, so ist letztere die Möglichkeitsbedingung der Sinnsynthese "organischer Zusammenhang der Weltinhalte überhaupt", - wenn auch BERGSON selbst ganz was anderes darin erfaßt zu haben glaubt. "Die Zeit" selbst  dauert  ebensowenig, als "der Raum"  ausgedehnt  ist, vielmehr sind beides logische Möglichkeitsbedingungen, die eine gesetzmäßige Anordnung, jene des "bloßen" Nacheinander, dieser des Nebeneinander (vgl. LEIBNIZ, Philosophische Bibliothek, Bd. 1, Seite 134) von Inhalten begründen: "synthetische Prinzipien a priori."
    12) "Was uns im gewöhnlichen Leben an dieser Wirklichkeitsstufe festzuhalten und sie als  die  Wirklichkeit zu setzen veranlaßt", "ist ihre biologische Zweckmäßigkeit": "Das im praktischen Leben bevorzugte Wirklichkeitssystem ist besonders geeignet, den Anknüpfungspunkt zu bilden für solche organische Reaktionen, die der Erhaltung des Individuums und seiner Art günstig sind." Daher "die faktische Präponderanz [Vorherrschaft - wp] dieses Systems" (CHRISTIANSEN, Erkenntnistheorie und Psychologie des Erkennens, Seite 45)
    13) Über das Ding-ansich-Problem wird später zu handeln sein.
    14) Hier ist also der sogenannte  Phänomenalismus  "aufzuheben". Das berechtigte Moment besteht darin, daß die "anschauliche Welt" in der Tat nicht den reinen Geltungszusammenhang gibt. Aber es steckt dahinter kein anderes "Sein", sondern der Unterschied ist ein solcher des "Geltens". Das sogenannte "Wesen" einer Sache ist immer Funktion des Wertes, dem sie untersteht, d. h. ihr geltender Sinnzusammenhang! LEIBNIZ hat also,  rein erkenntnistheoretisch interpretiert,  recht, wenn er die empirische Welt ein "phaenomenon bene fundatum" [wohlbegründete Erscheinung - wp] nennt: ihre Zusammenhänge "gründen" in schlechthinnigen Geltungsprinzipien als ihren Möglichkeitsbedingungen. Umgekehrt sind deren Vorformungen der Anknüpfungspunkt für die Wissenschaft: diese hat ein "fundamentum in re" [Grund in der Sache - wp] (für das sie selbst die "ratio" ist).
    15) DILTHEY, Beiträge zur Lösung der Frage vom Ursprung unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt und seinem Recht", Sitzungsberichte der Berliner Akademie, 1890.
    16) Zu dem weiter oben Gesagten sei noch hinzugefügt, daß auch der Ausdruck "draußen" sehr verschiedene Bedeutungen hat, die dann leicht zu Quaternionen [Mehrdeutigkeiten - wp] verleiten können, wenn man den Beziehungspunkt, in Bezug auf den als "innen" etwas als "außen" bezeichnet wird, nicht begrifflich streng festhält.
    17) Vgl. auch KRONER, "Henri Bergson", Logos, Bd. 1, Seite 125f.
    18) "Ich war weit entfernt, ihm (Hume) in Anbetracht seiner Folgerungen Gehör zu geben, die bloß daher rührten, weil er sich seine Aufgabe nicht im Ganzen vorstellte, sondern nur auf einen Teil derselben fiel, der, ohne das Ganze in Betracht zu ziehen, keine Auskunft geben kann" (Prolegomena, Ausgabe VORLÄNDER, Seite 7). Dem gegenüber stellt sich KANT "das Problem in seiner möglich größten Erweiterung" (Seite 8), wo es auf das gesamte System der Zusammenhangs- oder Sinnprinzipien (= Vernunft) abzielt.
    19) Auch die gesamte exakte Wissenschaft dient nach BERGSON nur dem Nützlichkeits-, dem Interessengesichtspunkt.
    20) Vgl. unten den Abschnitt "Das aktuelle Subjekt".
    21) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, Buch 2, § 18: "Der Willensakt und die Aktion des Leibes sind nicht 2 objektiv erkannte, verschiedene Zustände, . . . sonder sie sind ein und dasselbe, nur auf 2 gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar und einmal in der Anschauung für den Verstand." BERGSON, "Schöpferische Entwicklung", Seite 96: "Hebe ich meine Hand von  A  nach  B,  so erscheint mir diese Bewegung gleichzeitig unter 2 Gesichtspunkten. Von innen gefühlt, ist sie ein einfacher unteilbarer Akt, von außen gesehen, ist sie der Weg einer bestimmten Kurve  A B. 
    22) Den  seinswissenschaftlichen,  speziell biologisch - psychologischen, Scharfsinn und den "grandiosen Schriftsteller" erkenne ich in BERGSON gerne an; aber diese Vorzüge dürfen das Urteil über den  philosophischen  Gehalt nicht beirren.
    23) EDMUND HUSSERL, "Philosophie als strenge Wissenschaft", Logos, Bd. 1, Seite 315f
    24) Diese "Bedeutungsanalyse" tritt dabei notwendig in weitem Umfang als die Klärung von  Wort bedeutungen auf, als Herausstellung von Äquivokationen [Ähnlichkeiten - wp] - eine zweifellos notwendige und verdienstliche Arbeit.
    25) Daß HUSSERLs "Phänomenologie" nur eine Erweiterung des Problems der "metaphysischen Deduktion" ("Erörterung") KANTs als Grundlage der "transzendentalen, d. h. erkenntniskritischen Deduktion" ist, die erst für diesen  Befund  den  Rechtsgrund  zu geben vermag, darüber vgl. KUNTZE, Die kritische Lehre von der Objektivität, Seite 193
    26) HUSSERL, Philosophie als strenge Wissenschaft, Seite 322, wo behauptet wird, "die phänomenologische Wesensforschung trage allen berechtigten Motiven des Apriorismus volle Rechnung!"
    27) Brief von LEIBNIZ an REMOND vom 10. Januar 1714
    28) FICHTE-Ausgabe von MEDICUS, Bd. 2, Seite 30 / 31.
    29) Die Klimax [Steigerung - wp] innerhalb des Gesamtproblemkreises der Logik als "Logoslehre" ist folgende:  Theo-logik  (transzendentale Theorie der Religion),  Logo-logik  (Transzendentale Theorie der Philosophie),  Methodo-logik  (transzendentale Theorie der positiven Wissenschaften, bzw. Kultursphären überhaupt),  Phänomeno-logik  (transzendentale Theorie der anschaulichen Welt) und  Psycho-logik  (transzendentale Theorie des Subjekts).
    30) Eine Wissenschaftstheorie um der Erfahrungswissenschaft selbst willen ist die spezifische  Fach aufgabe der Erkenntnistheorie. Dieses Problem steht aber unterhalb des anderen Problems, wie sich der Wert "Wissenschaft", der hier auseinandergelegte wird, zu den anderen Werten (neben, vielleicht  über  ihm) verhält; hier handelt es sich dann nicht um eine Theorie der Wissenschaft in Bezug auf die Wissenschaf ten,  sondern um die Aufnahme des Wertes "Wissenschaft" in das System der Werte überhaupt, um die Wissenschaft als einem Teil des Gesamtuntersuchungsgegenstandes der Transzendentalphilosophie; die Ergebnisse jener ersteren Untersuchung werden so erst in einen umfassenderen Gesamtsinnzusammenhang aufgenommen. Davon weiter unten.
    31) KUNTZE, a. a. O., Seite VI: "Nachdem Metaphysik und Psychologie aus den Entwicklungsmöglichkeiten des Kritizismus ausgeschlossen waren, blieb der Philosophie nur noch eine Möglichkeit, die Probleme der Naturwissenschaft allgemeiner und in einer anderen Projektion aufzufassen, als diese sie selbst auffaßt. Die Naturwissenschaft ist, als Wissenschaft von der Natur, eine Umformung der Natur. Wenn nun das wissenschaftliche Forschen nicht mehr darauf gehen soll, in dieser Umformung den Plan und die Handgriffe der formenden Seele zu studieren, noch darauf, diese Umformung als die erste Station auf dem Weg zu begreifen, der schließlich ins Land der Metaphysik führt, so bleibt das einzig berechtigte Interesse das an der  Umformung  selbst."
    32) Vgl. den Abschnitt "Transzendentale Geschichtsphilosophie".
    33) Bei dem Wort "Erfahrung" ist, wie bei allen Wörtern auf -ung, immer darauf zu achten, ob das Erfah rene,  oder das Erfah ren  gemeint inst. Letzteres ist wieder von Erleben zu unterscheiden: "erfahren" ist ein schon unter  theoretischer  (oder vortheoretischer) Einstellung vor sich gehendes Erleben. - - - Will man den Ausdruck "reine Erfahrung" (besser  "bloße"  Erfahrung, denn sie ist gerade von dem entblößt, was KANT "rein" nennt) überhaupt beibehalten, so kann darunter nur eine Grenz-konstruktion verstanden werden: die Gesamtheit der Einzelanschauungen einer unendlichen Anzahl von Beobachtern, die mit allen Sinnen wahrnehmen (ZSCHIMMER). Die "reine Natur" aber "entsteht" daraus noch nicht dadurch, daß dieses Diskontinuum zu einem Kontinuum integriert würde; denn sie ist nicht eine Summe von anschaulichen Inhalten, sondern ein System von begrifflichen Gegenständen. "Natur", formaliter spectata [formal betrachtet - wp] ist "das Dasein der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist" (KANT, Prolegomena, § 14, materialiter spectata, der "Inbegriff aller  Gegenstände  der Erfahrung" (a. a. O. § 16).
    34) "In ihr ist die Tendenz zu jeder Begriffsbildung enthalten und harrt nur einer konsequenten, methodischen Ausbildung nach einer bestimmten Richtung. Auf diese Weise entstehen dann die verschiedenen Wissenschaftsgruppen aus diesem gemeinsam ihnen zugrunde liegenden Material". (BUBNOFF, Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit, Seite 51)
    35) Ich hebe hier nur die Momente hervor, die für die  "Theorie"  den Ansatz abgeben; natürlich verbinden sich mit deren Ansatzpunkten solche, die Vorstufen einer bewußt-ethischen, -ästhetischen, -religiösen Formung sind. - - - Die beiden verschiedenen Richtungen der theoretischen Verarbeitung legitimieren sich logisch dadurch, daß in der Idee der Wissenschaft selbst der Gegensatz des Allgemeinen und Besoneren liegt, dieser Unterschied sich also auch in Bezug auf die reine Geltungssphäre irgendwie ausleben muß. - - - Wie sich beide Betrachtungsweisen in  einer  Weltanschauung vertragen, kann erst im Schlußkapitel dargelegt werden.
    36) Zwischen beide tritt die Wissenschaft vom  Organischen:  eine  allgemein gesetzliche, nach dem Schema des "überall und immer" (ZSCHOKKE) erfolgende Behandlung von besonders qualifizierten Gebilden eines  ein maligen zeitlichen Prozesses.
    37) Da, gemäß dem Begrif des Begriffs (siehe oben), das Einmalige nicht als Einmaliges "begriffen" werden kann, ist seine Beziehung auf einen allgemeinen Wert zum Zweck seines Begreifens nötig: damit tritt es in einen Allgemeinzusammenhang (nur ist eben dieser nicht derjenige des "naturwissenschaftlich Allgemeinen"). Darum dürfte es sich empfehlen, statt von "nomo kratisch  - idio typisch"  (LIEBMANN), oder "nomo thetisch  - idio graphische"  (WINDELBAND), besser von  nomologisch-idiologisch  zu sprechen, womit man auf den  logos  auch der  idia  hinweist.
    38) Daß und wie von der "geschichtswissenschaftlichen Wirklichkeit" die  historische Lebenswirklichkeit  zu unterscheiden ist, kann erst weiter unten ausgeführt werden. - - - Für die geschichts logischen  Probleme verweise ich auf meine Abhandlung in "Kant-Studien", Bd. 17, Seite 369f. - - - Die Idee "Wissenschaft" ist nur eine unter anderen Grundwerten, ein Glied des Systems der Ideen, des Systems der absoluten Werte überhaupt. Dieses System der absoluten Werte ist das (logisch vorausgesetzte) transzendentale Traggerüst, apriorische Koordinatensystem, das die  "Geschichte"  als einen einheitlich in sich geschlossenen schlechthinnigen Geltungszusammenhang erst "ermöglicht". Der (vorausgesetzten) Beziehung darauf dankt alle Geschichtswissenschaft ihre "Objektivität" Grundwerten, ein Glied des Systems der Ideen, des Systems der absoluten Werte überhaupt. Dieses System der absoluten Werte ist das (logisch vorausgesetzte) transzendentale Traggerüst, apriorische Koordinatensystem, das die  "Geschichte"  als seinen einheitlich in sich geschlossenen schlechthinnigen Geltungszusammenhang erst "ermöglicht". Der (vorausgesetzten) Beziehung darauf dankt alle Geschichtswissenschaft ihre "Objektivität".
    39) "Der erkenntnistheoretische Wert der möglichen Erfahrung ist also jedenfalls der, eine Erfüllung zu sein" (KUNTZE, a. a. O., Seite 120). Gemäß diesem Prinzip fordert KANT für jeden theoretischen Begriff seine sinnlich-anschauliche Erfüllbarkeit. Ich werden weiter unten eine Erweiterung dieses Prinzips versuchen, die KANTs Anwendung desselben nur als einen Spezialfall unter sich "begreift".
    40) BRUNO BAUCH, "Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften", Seite 127f.
    41) Vgl. zustimmend RICHARD HÖNIGSWALD im "Bericht über den 3. internationalen Kongreß für Philosophie", Seite 891
    42) Die  Erfahrungswissenschaft  will das Gegenständliche der "anschaulichen Welt" fassen (in theoretischen  Urteilen),  die  Kunst  eine gegenständliche Synthese isolierter Momente der "Erlebniswelt" (in ästhetischen  Werken),  die  Moral  eine gegenständliche Synthese der Gefühle und Wollungen gegenüber deren biologischen Verkettungen (in ethischen  Handlungen),  die  Religion  die Gegenständlichkeit der gesamten "Erlebniswelt" überhaupt, die dann auch in der "anschaulichen Welt" schon überall "durchscheinen" muß (in der religiösen  "Grund"stimmung);  die  Philosophie  schließlich erfaßt den  Begriff  der  Gegenständlichkeit  selbst.
    43) die zugleich den erkenntnistheoretischen Dienst leisten können, alle Hypostasierungen [Verdinglichungen - wp] einzelwissenschaftlicher Begriffe zu  den  seienden Wesenheiten inhibieren [verhindern - wp] zu helfen.
    44) Der weiter oben geschilderte Zustand kann also für die  künstlerische  für die spezifisch  ästhetische  Einstellung, als Basis für die Synthesis  "Kunst",  wertvoll sein.
    45) Vgl. CHRISTIANSEN, "Philosophie der Kunst", 1909, Seite 315. Auf dieses Buch, das wirklich eine  Philosophie  der Kunst ist, sei nachdrücklich hingewiesen. Nur muß man die über einen transzendentalen Psychologismus nicht hinauskommende letzte erkenntnistheoretische (geltungsphilosophische) Begründung gemäß den in vorliegender Abhandlung entwickelten Gedankengängen richtig stellen.
    46) Was die Kunsthistoriker und Kunstkritiker  "das Gegenständliche am Kunstwerk"  zu nennen pflegen, ist natürlich etwas anderes, nämlich das, was man unter empirischer, historischer Einstellung vom Inhaltlichen des Kunstwerks erzählen kann (z. B. daß es eine Venus oder eine Landschaft oder eine Schlacht darstellen soll). Ein solcher  In halt wird zum ästhetischen  Gehalt  erst "durch die Beziehung auf den Gegenstand" (im transzendentalphilosophischen Sinne des Wortes), d. h. durch Aufnahme desselben in die Geltungsform der Kunst.
    47) "Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein veraltet nicht."
    48) Den spezifischen Sinn dieser "Ideen" und ihr Verhältnis zueinander im  System der absoluten Werte  hat die "transzendentale Geschichtichtsphilosophie zu untersuchen.