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JOHN RUSKIN
Wie wir arbeiten und wirtschaften müssen
[2/2]

"Ein wahrhaft wertvolles Ding, ein solches, das sich bewährt, ist dasjenige, welches mit seiner ganzen Kraft auf den Weg des Lebens führt. In dem Maße als es das nicht tun oder seine Kraft sich verringert, ist es weniger wertvoll; in dem Maße, als es vom Leben abseits führt, ist es wertlos oder unheilvoll."

Ad valorem
[den Wert betreffend]

Nationalökonomische Trugschlüsse

Wir haben im letzten Kapitel gesehen, daß der gerechte Arbeitslohn in einer Summe besteht, die eine annähernd gleichwertige Arbeit in der Zukunft kaufen vermag. Wir wollen nun die Mittel prüfen, die solchen Gleichwert verschaffen. Die Frage schließt in sich die Definitionen von Wert, Reichtum und Ware.

Bisher ist keiner dieser Begriffe in einer für das Publikum klar verständlichen Weise definiert worden. Aber das Wort  Ware,  von dem man meinen sollte, es wäre das klarste von allen, wird mit der größten Unbestimmtheit gebraucht und eine Erörterung über die dem Wort in seiner jetzigen Anwendung anhaftende Unbestimmtheit wird unsere Arbeit am besten vorwärts bringen.

In dem Kapitel seines Buches, in welchem MILL vom Kapital spricht (I. 4, I) führt er als Beispiel eines Kapitalisten einen Eisenwarenfabrikanten an, der seine Absicht, einen gewissen Teil seines geschäftlichen Nutzens für Silbergeschirr und Juwelen auszugeben, aufgibt und "damit Löhne an neu angestellte Arbeiter zahlt". Dies, wie MILL sagt, bewirkt "daß produktiveren Arbeitern mehr Nahrung zugewendet wird".

Nun frage ich nicht, wiewohl, wenn ich diesen Satz geschrieben hätte, man mich sicherlich gefragt hätte: was soll aus den Silberschmieden werden? Wenn sie wirklich unproduktive Menschen sind, so werden wir uns zufrieden geben, daß sie untergehen; und obgleich an einer anderen Stelle desselben Abschnitts angenommen wird, daß der Eisenwarenfabrikanten auch eine Anzahl Dienstboten entläßt, "deren Nahrung dadurch für produktivere Zwecke frei wird", so will ich die Frage nicht weiter verfolgen, welche Wirkung diese Entziehung ihrer Nahrung auf die Dienstboten ausüben wird. Aber ich erhebe die höchst wichtige Frage weshalb die Eisenware ein wirtschaftliches Gut ist, nicht aber das Silbergeschirr. Daß der Fabrikant das eine in eigenen Gebrauch nimmt, das andere aber verkauft, bildet sicherlich nicht den Unterschied, außer, wenn gezeigt werden könnte, was Geschäftsleute allerdings, wie ich bemerke, mehr und mehr sich bemühen nachzuweisen, daß Waren zum Verkauf, nicht zum Verbrauch angefertigt werden. Der Kaufmann ist in diesem einen Fall dem Konsumenten gegenüber ein Zwischenhändlicher, im anderen dagegen selber der Konsument, aber die Arbeiter sind in beiden Fällen ebenso sehr produktiv, da sie ja Waren von gleichem Wert produziert haben, wenn das Eisen und das Silbergeschirr beides Waren sind.

Aber welcher Unterschied trennt sie? Es ist allerdings möglich, daß in der "vergleichsweisen Wertbemessung des Moralisten", womit, wie MILL sagt, die Nationalökonomie nichts zu tun hat (III. 1, 2), eine Gabel aus Stahl ein wertvolleres Gut sein mag als eine silberne; wir können auch zugeben, daß Gabeln und Sensen und Pflüge nicht weniger als Messer brauchbare Artikel sind. Wie aber steht es mit Bajonetten? Nehmen wir an, daß der Eisenwarenfabrikant, um große Verkäufe von  diesen  zu bewirken, die Nahrung seiner Dienstboten und seines Silberschmieds "frei macht": beschäftigt er immer noch produktive Mitarbeiter oder, wie MILL sich ausdrückt, Arbeiter, die "den Vorrat dauernder Genußmittel mehren?" (I. 3, 4) Oder wenn er statt Bayonette Bomben fabriziert, wird nicht der absolute und endgültige "Genuß" dieser so nachdrücklich produktiven Artikel davon abhängen, daß man betreffs Zeit und Ort eine richtige Wahl für ihre "Niederkunft" trifft; eine Wahl; die von jenen philosophischen Betrachtungen abhängt, womit die Nationalökonomie nichts zu tun hat?

Mir würde es leid tun, Widersprüche in irgendeinem Teil des MILLschen Werks nachzuweisen, wenn nicht gerade der Wert seines Werkes aus seinen Widersprüchen herrührte. Ihm gebührt die Ehre unter den Nationalökonomen, weil er sich unbedacht von den aufgestellten Grundsätzen lossagt und moralische Betrachtungen einführt, mit denen seine Wissenschaft, wie er erklärt, nichts zu tun habe. Viele seiner Kapitel sind darum wahr und wertvoll und von seinen Schlußfolgerungen habe ich nur diejenigen zu bestreiten, welche sich aus seinen Prämissen ergeben.

So ist z. B. die Idee, worauf die eben geprüfte Stelle beruft, nämlich, daß die zur Produktion von Luxusgegenständen verwendete Arbeit nicht so viele Leute erhält wie die zur Produktion nützlicher Dinge verwendete, durchaus wahr; aber das angeführte Beispiel hält nicht Stich und zwar gleichzeitig nach vier Richtungen hin, weil MILL die wahre Bedeutung von Nützlichkeit nicht definiert hat. Die von ihm gegebene Definition - "die Fähigkeit, einen Wunsch zu befriedigen oder einem Zweck zu dienen" (III. 1,2) - paßt ebensosehr auf Eisen wie auf Silber, wohingegen die wahre Definition, die er nicht gegeben hat, welche aber in seinem Geiste dennoch der in ihren Worten falschen Definition zugrunde liegt und zufälligerweise mehrmals zum Vorschein kommt (wie in den Worten "jede Stütze für Leben und Kraft", I. 1,5) paßt auf gewisse Artikel aus Eisen, aber nicht auf andere; ferner auf gewisse Artikel aus Silber, nicht auf andere. Es paßt auf Pflüge, aber nicht auf Bajonette, auf Gabeln, aber nicht auf Filigran (d. h. Zierrat, der nicht auf Kunst, sondern auf verwickelter Arbeit beruth).

Indem wir die richtigen Definitionen aufzustellen suchen, bekommen wir die Antwort auf unsere erste Frage: "Was ist Wert?" Worüber wir jedoch zuerst die populären Ansichten hören müssen.

Das Wort "Wert" ohne jedes Beiwort bedeutet in der Nationalökonomie immer Tauschwert (MILL III. 1, 3). So daß, wenn zwei Schiffe ihre Ruder nicht umtauschen können, diese, nach dem nationalökonomischen Sprachgebrauch für beide keinen Wert besitzen.

Aber "der Gegenstand der Nationalökonomie ist der Reichtum". (Vorwort, Seite I) Und dieser "besteht aus allen nützlichen und angenehmen Gegenständen, welche Tauschwert haben." (Vorwort, Seite 10)

Es scheint also, als ob nach der Ansicht MILLs Nützlichkeit und Annehmlichkeit dem Tauschwert zugrunde liegen und an den Dingen nachgewiesen werden müssen, bevor wir es als zum Reichtum gehörig betrachten.

Nun hängt der ökonomische Nutzen einer Sache nicht bloß ab von ihrer eigenen Natur, sondern von der Anzahl Leute, die sie brauchen können und wollen. Ein Pferd ist nutzlos und deshalb unverkaufbar, wenn niemand es reiten, ein Schwert, wenn niemand es führen und Fleisch, wenn niemand es essen kann; deshalb hängt jede materielle Nutzbarkeit von ihrer bezüglichen menschlichen Fähigkeit ab.

Und auf ähnliche Weise hängt die Annehmlichkeit einer Sache nicht bloß ab von ihrem Eigenwert, sondern von der Anzahl Leute, die bestimmt werden können, ihn zu empfinden. Deshalb muß die Nationalökonomie als Wissenschaft vom Reichtum eine Wissenschaft sein, die von  menschlichen Neigungen und Fähigkeiten  handelt. Doch haben moralische Betrachtungen nichts mit Nationalökonomie zu tun. (MILL III. 1,2). Demgemäß haben moralische Betrachtungen nicht mit menschlichen Fähigkeiten und Neigungen zu tun. Mir sagen diese Schlußfolgerungen der MILLschen Lehren nicht ganz zu ... Suchen wir eine richtige Definition.


Definition des Wortes "Wert"

Man legt seit Jahrhunderten großes Gewicht auf den Wert unserer englischen klassischen Erziehung. Es wäre zu wünschen, daß unsere gebildeten Kaufleute sich aus dem lateinischen Unterricht ihrer Schulzeit erinnerten, daß der Nominativ von  valorem  (ein Wort, das ihnen bereits hinreichend geläufig ist),  valor  ist; ein Wort, mit dem sie deshalb vertraut sein sollten.  Valor,  von valere, gesund oder stark sein - stark im Leben oder tapfer, wenn auf einen Menschen bezüglich; stark  für  das Leben oder wertvoll, wenn auf Dinge bezüglich. Wertvoll sein heißt deshalb:  sich im Leben bewähren.  (1)

Ein wahrhaft wertvolles Ding, ein solches, das sich bewährt, ist dasjenige, welches mit seiner ganzen Kraft auf den Weg des Lebens führt. In dem Maße als es das nicht tun oder seine Kraft sich verringert, ist es weniger wertvoll; in dem Maße, als es vom Leben abseits führt, ist es wertlos oder unheilvoll.

Der Wert eines Dings ist deshalb unabhängig von der öffentlichen Meinung und seiner Masse. Was man darüber denken oder soviel man davon erlangen mag, der Wert eines Dinges-ansich wird weder größer noch geringer. Es bewährt sich jederzeit oder es bewährt sich nicht; kein Gutdünken kann die Macht erhöhen, die es vom Schöpfer der Dinge und Menschen empfangen hat, keine Mißachtung kann sie verringern.

Die wirkliche Wissenschaft der Nationalökonomie, welche man noch von der Pseudowissenschaft muß unterscheiden lernen, wie Medizin vom Hexenwesen und Astronomie von Astrologie, ist diejenige, welche die Nationen lehrt, die Dinge zu begehren und hervorzubringen, die das Leben fördern, welche sie lehrt, die zu meiden und zu vernichten, die zum Verderben führen. In ihrer Kindheit mögen die Völker unwesentliche Dinge wie Auswüchse an Austern und weiße und rote Steine für wertvoll gehalten haben; sie mögen viel Arbeitskraft, die der Erhaltung und Veredelung des Lebens hätte gewidmet werden sollen, darauf verwendet haben, jene Dinge aus der Meerestiefe heraufzuholen oder auszugraben und vielgestaltig zu schleifen; sie mögen in derselben Periode der Kindheit kostbare Dinge, wie Luft, Licht und Reinlichkeit, für wertlos gehalten oder endlich geglaubt haben, es sei klug, das was ihr eigenes Dasein stützt, wodurch allein sie etwas besitzen oder gebrauchen können, wie z. B. Frieden, Zuversicht und Liebe, bei günstigem Markt gegen Gold, Eisen oder Perlen auszutauschen; aber die wirkliche und echte Wissenschaft der Nationalökonomie lehrt, was eitel und was wahrhaftig ist und wie der Dienst, der dem Tod, dem Gott der Zerstörung und der ewigen Nichtigkeit dient, sich von der Zucht unterscheidet, die der Weisheit, der Göttin des Heils und der dauernden Fülle dient; sie ist es, die da sagt: "Meinen Freunden, die mich lieben, will ich Besitz verleihen und Schätze geben."


Definition des Wortes "Reichtum"

Göttin des Heils - Madonna della Salute: von ihr spricht man gewöhnlich, als ob sie vom Reichtum getrennt wäre, doch bildet sie einen wesentlichen Teil desselben. Das Wort "Reichtum" haben wir zunächst zu definieren.

Reich sein, sagt MILL, "heißt, einen großen Vorrat nützlicher Dinge haben."

Ich lasse diese Definition gelten, nur wollen wir uns ganz klar darüber werden. Meine Gegner beklagen sich oft darüber, daß ich ihnen nicht genug Logik gebe. Ich fürchte, daß ich jetzt ein wenig mehr Logik brauchen muß, als sie mögen; aber die Aufgabe der Nationalökonomie ist keine leichte und wir dürfen keine unbestimmten Begriffe darin gelten lassen.

Wir müssen deshalb, erstens, in Bezug auf die obige Definition festzustellen suchen, was man unter "haben" oder unter Besitz versteht. Alsdann, was man unter "nützlich" oder Nützlichkeit zu verstehen hat.

Zunächst vom Besitz. Wo sich die Querschiffe des Mailänder Doms schneiden, hat seit dreihundert Jahren der einbalsamierte Körper des St. CARLO BORROMEO gelegen. Er hält einen goldenen Bischofsstab und hat ein Smaragdkreuz auf der Brust. Zugegeben, daß der Bischofsstab und die Smaragden nütztliche Gegenstände seien; darf man annehmen, daß der Körper sie besitzt? Gehören sie ihm im nationalökonomischen Sinn an? Wenn nicht und wenn wir allgmein daraus folgern dürfen, daß ein Leichnam kein Eigentum besitzen kann; bis zu welchem Grad und wie lange muß ein Körper beseelt sein, um Besitz möglich zu machen?

Zum Beispiel: Einer der Passagiere schnallte sich jüngst beim Schiffbruch eines kalifornischen Dampfers einen Gurt mit 200 Pfund um den Leib, womit man ihn nachher in der Tiefe auffand. Hatte er, als er versank, das Gold oder hatte das Gold ihn?

Und wenn er nicht durch das Gewicht des Goldes in die See heruntergezogen worden wäre und, statt dessen, das Gold seinen Kopf getroffen und dadurch eine unheilbare Krankheit wie Gehirnlähmung oder Wahnsinn erzeugt hätte, würde das Gold dann mehr als im ersten Fall ein "Besitz" gewesen sein?

Ohne daß ich die Frage weiter verfolge und Beispiele heranziehe, bei denen sich die Lebenskraft stufenweise über das Gold erhebt, wird der Leser, wie ich annehme, einsehen, daß "Besitz" oder "haben" keine absolute, sondern eine abgestufte Macht ist und nicht nur in der Masse und Natur des Gegenstandes besteht, sondern in noch weit größerem Umfang in seiner Angemessenheit für den Besitzer und in dessen Fähigkeit, ihn zu gebrauchen.

Unsere erweiterte Definition von Reichtum lautet nun: "der Besitz von nützlichen Gegenständen,  die wir benutzen können".  Dies ist eine wesentliche Änderung; denn Reichtum hängt nun nicht mehr von einem "Haben", sondern von einem "Können" ab. Des Gladiatoren Tod hängt ab von einem "habet" [haben - wp]; aber des Soldaten Sieg und das Heil des Staates von einem "quo plurimum posset" [großen Vermögen - wp]. (Liv. VII. 6) Und was früher bloß als ein Aufstapeln von Gütern betrachtet wurde, erfordert, wie sich zeigt, auch ein Aufstapeln von Fähigkeiten.

Soviel von unserem Zeitwort "haben". Nun gehen wir zu dem Adjektiv "nützlich" über. Was ist seine Bedeutung? Diese Frage hängt mit der letzten eng zusammen. Denn was in Händen gewisser Leute nützlich oder brauchbar ist, kann in den Händen anderer unnütz oder mißbraucht werden. Und weit mehr vom Menschen als vom Gegenstand hängt es ab, ob dieser richtig gebraucht - nützlich oder mißbraucht - nutzlos werde. So heißt der Wein, welchen die Griechen in ihrem Bacchus mit Recht als Typus aller Leidenschaft verkörperten und der, richtig gebraucht, "Gott und Menschen erfreut" (d. h. sowohl das göttliche Leben oder die Vernunft als das irdische Leben oder die Leibeskraft stärkt), mißbraucht, "DIONYSOS" und ist als solcher besonders für den göttlichen Teil des Menschen, für seine Vernunft, verderblich. Und wiederum kann der Körper selbst richtig gebraucht oder mißbraucht werden. Unter richtiger Zucht leistet er dem Staat, sowohl auf dem Schlachtfeld als in der Werkstätte, Dienste; fehlt ihm hingegen die Zucht oder wird er mißbrauch, so wird er für den Staat wertlos und ist nur fähig, privaten oder Einzelzwecken nachzugehen und auch das nur in schwächlicher Weise. Die Griechen nannten solch einen Körper einen "eigenen" ("idiotisch") "privaten", nach ihrem Wort, das einen Menschen bezeichnet, dessen Beschäftigung dem Staat in keiner Hinsicht Nutzen bringt; daher kommt auch das Wort "Idiot", was einen Menschen bedeutet, der sich ganz und gar nur mit Dingen beschäftigt, die seine eigene Person angehen.

Hieraus ergibt sich, daß, wenn ein Ding nützlich sein soll, es nicht nur nützlich sein, sondern auch in fördersamen Händen sich befinden muß; oder kurz gesagt:  Nützlichkeit  ist der Wert in den Händen des Würdigen,' so daß diese Wissenschaft vom Reichwerden, wie wir gesehen haben, ebensosehr Fähigkeiten als Güter aufstapelt, als Wissenschaft von der Verteilung nicht absolut, sondern so zu nehmen ist, daß das rechte Ding an den rechten Mann gelangt, aber nicht so, daß jedes Ding an jeden Mann gelangt. - Eine schwierige Wissenschaft, die auf mehr beruth als auf Rechenkunst.

Reichtum ist also  "der Besitz des Wertvollen in den Händen des Würdigen"  und als eine Macht betrachtet, die innerhalb einer Nation besteht, muß man die zwei Bestandteile, den Wert des Dings und die Würde des Besitzers, zusammen in Erwägung ziehen. Dies ist die scheinbare Ursache, weswegen viele Leute, die man insgemein für reich hält, nicht reicher sind als die Schlösser an ihren Kassenschränken, da sie innerlich allzeit unfähig sind, Reichtum zu besitzen und, von einem ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, auf die Nation entweder wie Tümpel von stehendem Wasser oder Wirbel in einem Strom wirken (die, solange der Strom fließt, nutzlos oder nur dazu da sind, Menschen zu ertränken, die aber, wenn der Strom eintrocknet und stagniert, nützlich werden können); oder wie Flußdämme, deren Nutzen nicht vom Damm, sondern vom Müller abhängt; oder sonst als zufällige Hindernisse, die nicht als Wohlstand (wealth), sondern als Übelstand (illth) nach allen Richtungen hin Verheerungen und Unheil verursachen; oder endlich sie bewirken gar nichts, sondern sind nur lebendige Hindernisse, da sie erst dann von Nutzen sind, wenn sie tot sind. In letzterem Zustand sind sie nichtsdestoweniger nützlich als Hemmschuhe und "impedimenta", wenn ein Volk geneigt ist, zu schnell fortzuschreiten.

Da dem so ist, so liegt die Schwierigkeit der wahren nationalökonomischen Wissenschaft nicht nur in der Notwendigkeit, den männlichen Charakter zu entwickeln, damit er mit materiellem Wert fertig werde, sondern auch darin, daß während der Reichtum nur durch die Vereinigung des männlichen Charakters und des materiellen Wertes zustande kommt, sie nichtsdestoweniger eine zerstörende Wirkung aufeinander ausüben. Denn der männliche Charakter ist geneigt, den materiellen Wert zu vernachlässigen oder gar verächtlich wegzuwerfen; daher sagt POPE:

    "Sure, of qualities demanding praise
    More go to ruin fortunes, than to raise."
    [Sicher, von den Qualitäten die Lob fordern,
    ruinieren mehr das Glück, als daß sie es vermehren. - wp]
Und andererseits ist das Materielle dazu angetan, den männlichen Charakter zu untergraben, so daß wir uns Klarheit darüber verschaffen müssen, welche Wirkung der Reichtum auf den Geist seines Besitzers ausübt; ferner, welche Art Menschen gewöhnlich den Reichtum mit Erfolg erstrebt haben und ob wir den Reichen oder den Armen mehr verdanken sei es für ihren sittlichen Einfluß, den sie ausüben oder unsere notwendigsten Güter, Erfindungen und praktischen Fortschritte. Ich darf jedoch künftige Schlußfolgerungen so weit vorwegnehmen, um zu behaupten, daß in einem auf Angebot und Nachfrage begründeten, jedoch gegen offene Gewalttätigkeit geschützten Gemeinwesen, folgende Leute reich werden: die Fleißigen, Entschlossenen, Stolzen, Habsüchtigen, Gewandten, Systematischen, Einsichtigen, Phantasielosen, Gefühllosen und Unwissenden. Die, welche arm bleiben, sind die ganz Törichten, die ganz Weisen, die Trägen, Sorgenlosen, die Sinnigen, die Blöden, die Phantasievollen, die Gefühlvollen, die Kenntnisreichen, die Unbekümmerten, die zeitweilig von Impulsen Beherrschten, der plumpe Spitzbube, der offene Dieb, der Barmherzige, Gerechte und Gottesfürchtige.


Definition des Wortes "Preis"

Soviel über den Reichtum. Nun wollen wir die Natur des Wortes  Preis  festzustellen suchen; d. h. des Tauschwertes und seiner Geldform.

Vor allem beachte man, daß im Tausch kein  Profit  liegen kann. Er kann nur in der Arbeit d. h. "in einem Schaffen im Voraus" oder "in einem Schaffen zugunsten" (von proficio), liegen. Im Tausch liegt nur der Vorteil (advantage); d. h.: er verleiht dem Tauschenden Gunst oder eine neue Macht. So macht ein Mensch, indem er sät oder erntet, aus einem Scheffel Korn zwei. Das ist Profit. Ein zweiter macht durch Graben und Schmieden aus einem Spaten zwei. Das ist Profit. Aber der Mensch, der zwei Scheffel Korn hat, will manchmal graben und der zwei Spaten hat, manchmal essen. Sie tauschen das gewonnene Korn gegen den gewonnenen Spaten aus und beide sind besser dran durch den Tausch; aber wiewohl dieses Verfahren gewisse Vorteile mit sich bringt, entsteht kein Profit dabei. Dadurch wird nichts geschaffen oder erzeugt. Nur das zuvor Geschaffene wird dem gegeben, der es benützen kann. Wenn Arbeit notwendig ist, um den Tausch zu bewirken, so ist jene Arbeit in Wirklichkeit in der Produktion inbegriffen und ergibt, wie jegliche Arbeit, einen Nutzen. Alle, die sich mit der Fabrikation oder der Beförderung befassen, haben einen Anteil am Profit; aber weder das Fabrizieren noch das Versenden bildet den Tausch und im Tausch liegt kein Profit.

Doch mag Erwerb stattfinden und das ist etwas durchaus Verschiedenes. Wenn beim Tausch ein Mensch imstande ist, das was ihn wenig Arbeit kostete, für etwas herzugeben, was den Andern viel Arbeit kostete, so "erwirbt" er einen gewissen Teil von des anderen Arbeit. Und genau so viel als er erwirbt, verliert der andere. Kaufmännisch ausgedrückt "macht" derjenige, der dieses erwirbt, "einen Profit". Ich glaube, daß viele unserer Kaufleute unter dem Eindruck leben, daß es gewissermaßen für jedermann möglich sei, auf diese Weise einen Profit zu machen. Indessen ist die unglückselige Weltordnung, unter der wir leben, sowohl durch die Gesetze des Stoffs als durch die der Kraft unerbittlich gegen so einen allgemeinen Erwerb. Profit oder materieller Gewinn kann nur durch Schaffen und Entdecken, nicht durch Tauschen gewonnen werden. Wo immer sich aus dem Tausch materieller Gewinn ergibt, da stellt sich für jedes  Plus  ein  Minus  von genau dem gleichen Wert ein.

Zum Unglück für den Fortschritt der nationalökonomischen Wissenschaft haben die Plus-Teile oder - wenn ein so plumper Plural gemünzt werden darf - die Plus eine sehr positive und ehrwürdige Erscheinung in der Welt, so daß sich jedermann eifrig der Wissenschaft befleißigt, die solch herrliche Erfolge schafft; indessen andererseits die Minus eine Tendenz haben, sich in die Nebengäßchen und andere düstere Orte zurückzuziehen, oder gar unbemerkt in die Gräber, wodurch die Algebra dieser Wissenschaft seltsam und schwer lesbar wird. Eine große Anzahl ihrer negativen Zeichen wird vom Buchhalter mit einer gewissen roten Tinte geschrieben, die der Hungertog dünner oder blasser macht oder gar mit unsichtbarer Tinte.

"Die Wissenschaft vom Tausch oder die Katallaktik," wie man vorgeschlagen hat, sie zu nennen, ist deshalb, als Wissenschaft vom Gewinn betrachtet, schlechterdings lächerlich, als Wissenschaft des Erwerbs hingegen ist sie höchst seltsam und in ihrem Wesen und in ihrer Grundlage von jeder anderen Wissenschaft verschieden. Zum Beispiel: wenn ich eine Nadel einem Wilden gegen einen Diamanten in Tausch gebe, so hängt meine Macht, dies zu tun, entweder davon ab, daß der Wilde nichts von der sozialen Gestaltung Europas weiß oder unfähig ist, daraus Nutzen zu ziehen und jemand anderem den Diamanten für mehr Nadeln zu verkaufen. Wenn ich ferner das Geschäft so vorteilhaft als möglich für mich mache, indem ich dem Wilden eine Nadel ohne Öhre gebe (ein höchst befriedigender Fall eines vollkommenen Geschäfts nach der Wissenschaft vom Tausch!), so hängt mein Vorteil bei dem ganzen Geschäft von der Unwissenheit, dem Unvermögen, der Unbedachtsamkeit der Person ab, mit der ich zu tun habe. Nimm diese Vorbedingungen hinweg und der "katallaktische" Vorteil wird unmöglich. Insofern also die Wissenschaft des Tausches sich nur auf den Vorteil von  einem  der Tauschenden bezieht, beruth sie auf der Unwissenheit oder Unfähigkeit des Gegenüberstehenden. Wo diese schwinden, da schwindet auch die Wissenschaft. Sie ist deshalb eine Wissenschaft, die auf Nichtwissen, eine Kunst, die auf Kunstlosigkeit beruth. Alle anderen Wissenschaften und Künste hingegen mit Ausnahme dieser wollen die ihnen gegenüber stehende Unwissenheit und Kunstlosigkeit aus dem Weg räumen.  Diese  Wissenschaft muß, allein unter allen Wissenschaften, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, die ihr gegenüber stehende Unwissenheit zu fördern und zu verlängern suchen; sonst ist sie als Wissenschaft unmöglich. Sie ist demnach einzig und allein die Wissenschaft der Dunkelheit, wahrscheinlich eine Pseudo-Wissenschaft - keineswegs eine  divina scientia  [göttliche Wissenschaft - wp], sondern eine von einem Vater erzeugte, einem Vater, der seinen Kindern anräth, Steine in Brot umzuwandeln, der sich selber aber damit beschäftigt, aus Brot Steine zu machen und, wenn man Fische von ihm verlangt, (da Fische in seinem Bezirk nicht erzeugbar sind), nur eine Schlange geben kann.

Das allgemeine Gesetz in Bezug auf gerechten oder ökonomischen Tausch ist einfach das: Er muß den Tauschenden auf beiden Seiten Vorteil (oder wenn nur Vorteil auf der einen Seite, zum mindesten keinen Nachteil auf der andern) und dazu gerechten Lohn für die Zeit, Geisteskraft und Arbeit des Vermittlers bringen,  der  diesen Tausch möglich macht (gewöhnlich Kaufmann genannt). Der Vorteil der einen oder der anderen Seite, auch die Bezahlung der Zwischenhändler sollten allen Beteiligten vollkommen bekannt sein. Jeder Versuch der Verheimlichung deutet auf einen Schlich der nichtgöttlichen, auf Nichtwissen beruhenden Wissenschaft hin. Daher ein anderer Spruch des jüdischen Kaufmanns: "Wie ein Nagel zwischen Steinfugen, so steckt die Sünde zwischen Einkauf und Verkauf" ...

Ich habe mich bisher, indem ich von Tausch sprach, sorgfältig auf den Gebrauch des Wortes "Vorteil" beschränkt: aber dieses Wort umfaßt zwei Begriffe: nämlich den Vorteil, das zu bekommen, was wir  brauchen  und das, was wir  wünschen.  Drei Viertel der in der Welt bestehenden Wünsche sind romantischer Natur, auf Visionen, Ideale, Hoffnungen und Liebe beruhend; und die Regelung der Börse ist im Wesentlichen eine Regelung der Einbildungskraft und des Herzens.' Daher ist eine Abhandlung über die Natur des Preises ein höchst metaphysisches und psychologisches Problem, das zuweilen nur auf leidenschaftliche Weise gelöst werden kann. Seine ersten Bedingungen sind folgende: der Preis irgendeines Dings ist die Arbeitssumme, die jemand dafür gibt, um in seinen Besitz zu gelangen. Dieser Preis hängt von vier veränderlichen Größen ab: 1. von der Größe des Wunsches, die der Verkäufer für die Sache hat, gegenüber a) dem Wunsch, den der Verkäufer hat, die Sache zu behalten; 2. von der Arbeitssumme, die der Käufer entbehren kann, um die Sache zu erlangen, im Gegensatz zu b) der Arbeitssumme, die der Verkäufer entbehren kann, um sie zu behalten. Diese Größen machen sich nur als Überschüsse geltend; d. h. die Größe des Wunsches (A) bedeutet den Überschuß des Verlangens nach dieser Sache über dem nach anderen Sachen; und die Größe der Arbeit (B) bedeutet die Arbeitssumme, die zur Erlangung dieser Sache aus der Arbeitssumme, die für andere Dinge erforderlich, erspart werden kann.

Die Erscheinungen der Preisbildung haben deshalb etwas höchst Verwickeltes, Seltsames und Interessantes - sind aber zu verwickelt, um jetzt schon geprüft zu werden; eine jede derselben, wenn man ihr genügend auf den Grund geht, kommt schließlich auf den Handel der Armen der Herde (oder der "Schlachtherde", heraus: "Gefällt es euch, so gebet den Preis, den ich gelte, wo nicht, so lasset es anstehen" - Zacharias XI, 12; doch da der Preis einer jeden Sache auf Arbeit beruth und danach berechnet werden muß, so ist es notwendig, die Natur dieses Maßstabs zu definieren.


Definition des Wortes Arbeit

Arbeit ist das Leben des Menschen im Kampf mit Etwas, was überwunden werden muß, wobei das Wort "Leben" Geist, Seele und physische Kraft umfaßt und der Kampf gegen Fragen, Schwierigkeiten, Prüfungen oder materielle Kraft geführt wird.

Die Arbeit ist von höherem oder niederem Rang, je nachdem sie mehr oder weniger Lebenselemente enthält; und gut beschaffene Arbeit jeder Art umschließt stets so viel Geist und Empfindung als nötig ist, um die physische Kraft vollständig und harmonisch zu regeln. Wenn wir vom Wert und Preis der Arbeit sprechen, so müssen wir darunter immer Arbeit von bestimmter Güte verstehen, etwa wie wenn wir von Wertgehalt bei Gold und Silber sprechen. Der Wert schlechter (d. h. herzloser, ungeschickter oder sinnloser) Arbeit kann nicht bestimmt werden; er ist unbestimmbar, wie Gold von unsicherem Gehalt oder wie brüchiges Eisen.

Kennt man Qualität und Art der Arbeit, so ist ihr Wert wie der aller anderen wertvollen Sachen unveränderlich. Aber die Menge derselben, die zur Erlangung anderer Dinge hergegeben werden muß, ist veränderlich; und bei der Abschätzung dieser Veränderlichkeit muß man den Preis anderer Dinge nach der Arbeitsgröße ermessen, nicht den Preis der Arbeit nach der Summe anderer Dinge.

So mögen, wenn wir ein Apfelbäumchen in einen steinigen Boden pflanzen wollen, zwei Arbeitsstunden nötig sein, bei weichem Boden reicht vielleicht nur eine halbe Stunde aus. Nehmen wir an, der Boden sei in beiden Fällen gleich gut für den Baum. Daraus folgt, daß der Wert des in zwei Stunden gepflanzten Baumes irgendwie größer ist, als der in einer halben Stunde gepflanzte. Der eine trägt nicht mehr Früchte als der andere. Auch ist eine halbe Stunde Arbeit so wertvoll, wie die andere: nichts destoweniger kostete der eine Baum viermal so viel Arbeit als der andere. Nun ist die wahre Sachlage nicht die, daß die Arbeit auf dem härteren boden billiger sei als die auf dem weichen Boden, sondern daß der Baum teurer ist. Der Tauschwert mag oder mag nachher nicht von dieser Tatsache abhängig sein. Und wenn andere Leute genügen weichen Boden zum Anpflanzen haben, so werden sie bei dem Preis, den sie für den Baum auf steinigen Boden bieten, unsere zwei Arbeitsstunden nicht berücksichtigen. Und wenn wir aus botanischer Unkenntnis einen Upasbaum statt eines Apfelbaums anpflanzten, so wird der Tauschwert ein negativer sein und noch weniger im Verhältnis zur Arbeit stehen, die wir darauf verwendeten.

Was im allgemeinen billige Arbeit genannt wird, bedeutet deshalb in Wirklichkeit, daß viele Hindernisse durch sie überwunden werden müsse, so daß viel Arbeit erforderlich ist, um ein geringes Resultat zu erzielen. Man sollte jedoch in diesem Fall nicht sagen, daß die Arbeit billig, sondern daß der Gegenstand, den man schaffen will, teuer ist. Es wäre ebenso vernünftig zu sagen, das Gehen sei billig, weil wir zehn Meilen zum Mittagessen heimgehen müssen, wie eine Arbeit billig war, weil wir zehn Stunden arbeiten mußten, um sie zu verdienen.

Das letzte Wort, welches wir zu definieren haben, ist das Wort Produktion.


Definition des Wortes "Produktion"

Ich habe bisher von jeder Arbeit als insgesamt nutzbringend gesprochen, weil es unmöglich ist, zu gleicher Zeit die Qualität, den Wert der Ware und ihr Ziel in Betracht zu ziehen. Aber Arbeit von der besten Beschaffenheit mag verschiedenartige Ziele erstreben. Sie mag entweder konstruktiv sein ("zusammenlesend") aus  con  und  struo  wie der Ackerbau; oder nutzlos ("zerstörend") von  de  und  struo,  wie der Krieg. Es ist jedoch nicht immer leicht nachweisbar, daß nutzlose Arbeit tatsächlich nutzlos ist. Im Allgemeinen ist die Formel richtig: "Wer nicht mehrt, zerstört". So ist z. B. des Goldschmieds Kunst wahrscheinlich sehr schädlich, wenn sie einem plumpen und geschmacklosen Stolz dient. So daß ich, um mich kurz zu fassen, glaube, daß fast alle Arbeit sich in positive und negative Arbeit einteilen läßt: positiv ist so eine Arbeit, die Leben Leben erzeugt, negativ solche, die Tod erzeugt; die unmittelbar negativsten Arbeit ist Mord und die unmittelbar positivste Arbeit ist das Zurweltbringen und Großziehen von Kindern, so daß ganz in demselben Grad wie der Mord, auf der negativen Seite der Trägheit, verachtenswert ist, das Aufbringen von Kindern, auf der positiven Seite der Trägheit, bewundernswert ist. Deshalb sagt man, weil man das Kinderaufbringen in Ehren hält, das Weib sei wie der fruchtreiche Weinstock, (wegen der Freude, die es verursacht), die Kinder dagegen wie Sprossen des Ölbaums, als Zeichen des Ruhms, aber nicht bloß des Ruhms, sondern auch des Friedens (weil große Familien nur in Friedenszeiten aufgebracht werden können); doch sind sie, indem sie sich mehren und nach verschiedenen Himmelsgegenden ihre Stärke verbreiten, für die Macht des Hauses wie Pfeile in der Hand des Riesen, die bald hier bald dort einschlagen.

Da die Arbeit demnach mannigfaltig in ihren Resultaten ist, so steht die Wohlfahrt einer Nation in genauem Verhältnis zur Arbeitssumme, die sie darauf verwendet, Lebensmittel zu erwerben und zu gebrauchen. Man beachte, ich sage: zu erwerben und zu gebrauchen, d. h. nicht bloß weise zu schaffen, sondern auch weise zu verteilen und zu verzehren. Nationalökonomen sprechen gewöhnlich so, als läge nichts gutes im Konsum an und für sich. Weit entfernt, daß dem so wäre, ist der Konsum an und für sich vielmehr das Endziel, die Krone und Vollendung der Produktion.

Ein vernünftiger Konsum ist eine weit schwierigere Kunst als eine vernünftige Produktion. Zwanzig Menschen können Geld verdienen gegen  einen,  der es zu brauchen versteht und die Lebensfrage für Individuen und Nationen, ist niemals: "Wie viel verdienen Sie?" sondern: "Für welchen Zweck geben Sie aus?"

Der Leser mag sich vielleicht darüber wundern, wie wenig bis jetzt auf das "Kapital" und desse Funktionen hingewiesen wurde. Hier ist der Platz, sie zu definieren.


Definition des Wortes "Kapital"

Kapital bezeichnet "Haupt oder Quelle oder die materielle Wurzel" - es ist Material, woraus ein abgeleitetes oder untergeordnetes Gut geschaffen wird. Nur dann ist es eigentlich Kapital ( caput vivum  [Kopf des Lebens - wp], nicht:  caput mortuum  [wertloses Überbleibsel - wp]), wenn es ein von sich Verschiedenes erzeugt. Es ist eine Wurzel, welche erst dann in ihre hauptsächliche Funktion eintritt, wenn sie etwas anderes als eine Wurzel hervorbringt, nämlich die Frucht. Diese Frucht erzeugt mir der Zeit wieder Wurzeln und so geht alles lebende Kapital darauf aus, wieder lebendiges Kapital hervorzubringen; aber ein Kapital, das nichts als Kapital hervorbringt, ist nur eine Wurzel, die wieder eine Wurzel erzeugt; eine Knolle, woraus wieder nur Knolle, niemals Tulpe wird; Samen, aus dem wieder nur Samen, niemals Brot wird. Die Nationalökonomie Europas hat sich ganz und gar mit der Vervielfältigung oder vielleicht nur mit der Anhäufung von Knollen befaßt. Sie sah niemals eine Tulpe, noch konnte sie sich einen Begriff von ihr machen ...

Die beste und einfachste Versinnbildlichung des Kapitals ist ein gutgemachter Pflug. Wenn nun dieser Pflug nichts anderes als Pflüge polypenartige erzeugte, wie sehr auch die so vervielfältigten Pflüge in der Sonne glitzerten, sie würden ihre Funktion als Kapital nicht erfüllt haben. Sie werden wahrhaftiges Kapital nur durch einen anderen Glanz: wenn man sie hell in der Furche schimmern sieht, ( splendescere sulco  [frischer Glanz - wp]); wenn sie sich durch die edle Reibung stofflich eher vermindern als vermehren. Und die naheliegende Frage, die sich jeder Kapitalist und jede Nation stellen muß, ist nicht: "Wieviele Pflüge haben wir?" sondern: "Wo sind unsere Furchen?" nicht: "Wie schnell wird sich dieses Kapital reproduzieren?" sondern: "Was schafft es während der Reproduktion?" Welche lebensfördernde Substanz wird es liefern? Welches lebensbringende Werk zu Wege bringen? Wenn es das nicht tut, so ist seine Reproduktion nutzlos oder wenn es noch Schlimmeres tut (denn das Kapital kann ebenso sehr das Leben untergraben als stützen), dann ist seine eigene Reproduktion schlimmer als nutzlos; es ist nur ein hypothekarischer Vorschuß auf TISIPHONE [Rachegöttin - wp], keineswegs ein Gewinn.

Keineswegs ein Gewinn, wie die Alten richtig einsahen und an der Gestalt des IXION versinnbildlichten; - denn das Kapital ist das Haupt oder der Urquell des Reichtums, so wie die Wolken Urquell des Regens sind; doch wenn die Wolken ohne Wasser sind und nur Wolken erzeugen, so gebären sie schließlich grollenden Donner statt Regen, Blitz statt Ernte; weshalb IXION seine Gäste zuerst zu einem Gastmal eingeladen und dann in eine Feuergrube gestürzt haben soll. Dies ist das Bild von der Versuchung des Reichtums, die Kerkerqual zur Folge hat; die Qual in der Grube (wie auch des DEMAS Silbermine). Hierauf soll IXION, um zu zeigen, wie die Gier des Reichtums sich vom Heißhunger nach dem Genuß zu dem nach Macht entwickelt (doch ohne wahren Begriff von dem, was Macht bedeutet), JUNO begehrt und, da er statt ihrer eine Wolke (oder Phantasiegebilde) umarmte, die Zentauren erzeugt haben. Die Macht des Reichtums ist ansich wie das Umarmen eines Schattens -, sie bringt keinen Trost hervor (so auch: "Ephraim nährt sich von Wind und jagt dem Ostwind nach"; oder jagt "nach dem, was nicht ist" - Prov. XXIII, 5; ferner DANTEs Geryon, das Bild des habsüchtigen Betrugs, der wild zappelnd mit den Krallen in's Leere schlägt -, sondern ihrem Wesen nach ist sie ein Gemisch brutaler und menschlicher Natur; menschlich weise, indem sie Geist und Pfeil benützt, aber thierisch an Körper und Huf, indem sie alles frißt und niedertritt: Dieser Sünde halber wird IXION schließlich auf das feurig-gezackte, ewig in den Lüften rollende Rad gebunden: das Bild menschlicher Arbeit, wenn sie selbstsüchtig und unfruchtbar ist, welches im Mittelalter als Glücksrad fortbestand, indem das Rad von keinem Atem oder Geist, sondern vom bloßen Zufall getrieben wird ...

Da dies die wahre Natur des Kapitals ist, so folgt daraus, daß es zwei Arten wahrer Produktion gibt, welche in einem tätigen Staat vor sich gehen; die eine schafft Saat, die andere Nahrung, die eine ist für den Boden, die andere für den Mund bestimmt. Habsüchtige Menschen glauben, daß beide nur für die Kornkammer bestimmt seien, während die Funktion der Kornkammer nur eine vermittelnde und konservierende ist, sie erfüllt ihren Zweck in der Verteilung; sonst endet sie in Fäulnis, nährt Ratten und Würmer. Und da die Produktion für den Boden nur nützlich ist, insofern sie uns Hoffnung gibt auf eine zukünftige Ernte, so ist jede wesentliche Produktion für den Mund bestimmt und wird schließlich durch ihn geschätzt. Deshalb ist, wie gesagt, der Konsum die Krone der Produktion und der Reichtum einer Nation kann nur abgeschätzt werden nach dem, was sie verzehrt.

Auf der mangelhaften Kenntnis dieser Tatsache beruth der Hauptirrtum der Nationalökonomen, ein Irrtum, der reichlich Zinsen getragen hat. Der Sinn der Nationalökonomen trachtet beständig nach Geld, nicht nach Mundgewinn; sie gehen selber in die Netze und Schlingen, von den blinkenden Münzen verlockt wie die Vögel vom Glas des Voglers; oder vielmehr (da sie sonst wenig mit Vögeln gemein haben), sie gleichen Kindern, die auf die Köpfe ihrer eigenen Schatten springen möchten; da der Geldgewinn nur der Schatten des wahren Gewinns der Menschlichkeit ist.


Der Endzweck der Nationalökonomie

ist deshalb der, eine gute Methode für den Konsum zu ersinnen, sowie große Menschen für den Konsum zu erhalten, mit anderen Worten alles weise zu benutzen, sei es Substanz, Arbeitskraft oder Arbeitskraft zur Vervollkommnung der Substanz. Der seltsamste, hauptsächlich auf RICARDOs Vorarbeiten beruhenden Irrtum in MILLs ganzem Werk ist sein Versuch, zwischen mittelbarer und unmittelbarer nutzbringender Arbeitskraft zu unterscheiden, sowie die daraus folgende Behauptung, daß eine Nachfrage nach Waren keine Nachfrage nach Arbeit sei. Er unterscheidet zwischen Arbeitern, die damit beschäftigt sind, Vergnügungspläne anzulegen und solchen, die Samt anfertigen. Er behauptet, es sei für die arbeitenen Klassen ein wesentlicher Unterschied, ob ein Kapitalist sein Geld auf die eine oder die andere Weise ausgibt; weil die Beschäftigung der Gärtner eine Nachfrage für Arbeit nötig macht, aber der Ankauf für Samt nicht. Ein gewaltiger und auch höchst seltsamer Irrtum. Freilich wird es für den Arbeiter ein Unterschied sein, ob wir ihn seine Sense in der Lenzesluft schwingen oder seinen Webstuhl in verpesteter Luft treiben heißen; aber soweit seine Tasche davon betroffen ist, ist es für ihn ganz einerlei, ob wir ihn beauftragen, grünen Samt mit Saat und Sense oder roten Samt mit Seide und Schere zu machen. Auch geht es ihn keineswegs an, auf welche Weise wir den Samt aufbrauchen, ob wir, wenn er fertig ist, darauf spazieren gehn oder ihn tragen, so lange unser Konsum des Samts ein durchaus selbstsüchtiger ist. Wenn jedoch unser Verbrauch irgendwie selbstlos ist, dann interessiert ihn nicht nur die Art, wie wir den Artikel aufbrauchen, sondern auch, was für Gegenstände für den Gebrauch wir verlangen. So wird z. B., um auf MILLs Eisenwaren-Theorie zurückzukommen, des Arbeiters unmittelbarer Nutzen in keiner Weise davon betrofffen, ob ich ihn damit beschäftige, Pfirsiche zu pflanzen oder Bomben zu schmieden; aber es kommt sehr darauf an, auf welche Weise ich diese Gegenstände zu verbrauchen gedenke. Nehmen wir an, es geschähe in beiden Fällen auf "selbstlose" Weise, so ist der Unterschied für ihn schließlich der, ob ich, wenn sein Kind krank ist, in seine Hütte gehen und ihm Pfirsiche bringen oder ob ich die Bombe in seinen Schornstein werfen und sein Dach sprengen werde.

Das Schlimmste für den Bauern ist, daß der Verbrauch der Pfirsiche von Seiten des Kapitalisten wahrscheinlich selbstsüchtig und die der Bombe verteilen sein wird; aber in allen Fällen besteht die klare und allgemeine Tatsache, daß nach den echten kaufmännischen Grundsätzen jemandes Dach gesprengt werden  muß,  um die Bestimmung der Bombe zu erfüllen.

Es sind deshalb Wesen und Endziel des Konsums, worauf es bei der Produktion eigentlich ankommt. Die Produktion besteht nicht darin, mühsam Dinge herzustellen, sondern sie nützlich zu verbrauchen. Die Frage für eine Nation ist nicht die, wieviel Arbeit sie in ihren Dienst nimmt, sondern wie viel Leben sie erzeugt. Denn wie der Konsum der Zweck der Produktion ist, so ist das Leben der Zweck des Konsums.


Der wahrhafte Reichtum eines Landes

 Es gibt keinen anderen Reichtum als Leben.  Leben, das alle Kräfte einschließt; Liebe, Freude und Bewunderung. Das Land ist das reichste, welches die größte Anzahl edler und glücklicher Menschen nährt;  der  Mensch der reichste, welcher, nachdem er die Aufgaben seines eigenen Lebens auf das vollkommenste erfüllt hat, sowohl persönlich als durch seine Besitztümer den weitesten hilfreichsten Einfluß auf das Leben anderer ausübt. Eine seltsame Einfluß auf das Leben anderer ausübt. Eine seltsame Nationalökonomie; nichtsdestoweniger die einzige, welche jemals gewesen ist oder möglich sein wird. Jede Nationalökonomie, die nur auf das Selbstinteresse gegründet ist, ist nur eine Verwirklichung dessen, was alle Zeit Zwiespalt unter die Menschen brachte.

 "Die größte Anzahl edler und glücklicher Menschen." 

Aber lassen sich Edelsinn und die größte Menge in Einklang bringen? Ja, nicht nur, daß sie sich in Einklang bringen lassen, sondern sie fordern einander als Ergänzung.

Der Gipfel des Lebens ist nur durch höchste Tugend erreichbar. In dieser Hinsicht ist das Gesetz, welches die menschliche Bevölkerung regelt, durchaus vom Gesetz des tierischen Lebens verschieden. Der Vermehrung der Tiere wird nur durch Nahrungsmangel und durch die Feindschaft der Rassen Einhalt getan. Die Vervielfältigung der Mücken ist durch den Hunger der Schwalben, die der Schwalben durch den Mangel an Mücken eingeschränkt. Der Mensch, als Tier betrachtet, ist denselben Gesetzen unterworfen; Hunger, Krankheit oder Krieg sind die notwendigen und alleinigen Hindernisse seiner Vermehrung - waren bisher wirksame Hindernisse, da sein Hauptstudium bisher gewesen ist, wie er am sich am schnellsten selbst oder seine Wohnstätten vernichten könne; und seine höchste Kunst darauf gerichtet war, Hungersnot zu verbreiten, Krankheiten zu säen und Gewalt zu üben. Aber von einem anderen Standpunkt als dem des Tieres betrachtet, ist seine Zunahme nicht diesen Gesetzen unterworfen. Sie wird nur durch die Schranken seines Mutes und seiner Liebe bestimmt. Diese beiden haben ihre Grenzen und  sollten  sie haben. Auch die Menschheit hat ihre Grenzen, aber diese sind noch in weiter Ferne und erst in Jahrhunderten werden wir uns ihnen nähern.


Die Überbevölkerungsfrage

Ich kenne auf allen Gebieten menschlichen Denkens keine so trübselige Spekulation wie die der Nationalökonomie über die Überbevölkerungsfrage. Man schlägt vor, das Dasein des Arbeiters durch höhere Löhne zu bessern. "Nein", sagt der Nationalökonom, "wenn man seine Löhne erhöht, wird er sich entweder so schnell vermehren, daß bald derselbe Punkt des Elends erreicht ist, in dem er sich vorher befand oder er wird seine Löhne vertrinken". Er wird es tun, ich weiß es. Wer gab ihm diesen Willen ein? Nehmen wir an, wir hätten einen Freund, der seinen Sohn nicht in sein Geschäft zu nehmen noch ihm den gerechten Arbeitslohn zu geben wagte, weil, wenn er es täte, er am Trunk untergehen und der Gemeinde ein halbes Dutzend Kinder aufbürden würde. Ich würde nun fragen: "Wer gab deinem Sohn diese Anlagen?" Sind sie ererbt oder anerzogen? Er muß auf die eine oder andere Weise dazu gekommen sein; und wie er, so auch die Armen. Entweder stammen diese Armen von einer wesentlich anderen Rasse ab als wir und sind nicht zu retten (was ich oftmals andeuten, aber niemals offen aussprechen hörte) oder wir können auch sie durch dieselbe Sorgfalt, die man auch auf uns verwendete, so enthaltsam und mäßig, so vernünftig und bedachtsam machen wie wir es sind - schwer zu erreichende Vorbilder. "Aber", wird entgegnet, "man kann ihnen keine Erziehung geben." Warum nicht? Gerade um diesen Punkt dreht sich die Frage. Wildtätige Menschen glauben, der schlimmste Fehler der Menschen sei der, daß sie dem Volk Brot verweigern und das Volk schreit um sein Brot, das man ihm unrechtmäßigerweise vorenthält, zum Gott der Heerscharen. Aber ach! das Vorenthalten des Brotes ist nicht das Grausamste, noch der Anspruch darauf der rechtmäßigste. Das Leben ist mehr als Brot. Die Reichen vorenthalten den Armen nicht nur ihre Nahrung, sondern auch Weisheit, Tugend, Rettung. Ihr Herden ohne Hirten, nicht nur die Weide verschließt man vor euch, sondern das Dasein. Brot! Euer Anrecht darauf kann vielleicht bestritten werden, aber zuvor müssen Ansprüche auf andere Rechte erhoben werden. Fordert, wenn ihr wollt, eure Brotkrumen vom Tisch der Reichen; aber fordert sie wie Kinder, nicht wie Hunde; fordert euer Recht, genährt zu werden; aber noch mit lauterer Stimme verlangt, heilig vollkommen und rein zu sein.

Seltsame Worte, wenn sie Arbeiter brauchen! "Was, heilig ohne lange Gewänder und ohne gesalbt zu sein; diese Menschen mit groben Kitteln und gemeinen Redensarten, welche unnennbare entwürdigende Arbeit tun? Vollkommen! - diese Menschen mit blöden Augen, verzerrten Gliedern und trägem Geist? Nein! - diese Menschen mit sinnlichen Begierden und niedrigen Gedanken, mit siechem Leib und gemeiner Seele?" Es mag so sein; nichtsdestoweniger sind sie, so wie sie sind, die heiligsten, vollkommensten, reinsten Menschen, welche die Erde heute aufzuweisen hat. Sie mögen sein, wie sie oben geschildert wurden; aber wenn sie so sind, sind sie noch immer heiliger als wir, die wir sie in diesem Zustand gelassen haben.

Aber was kann für sie getan werden? Wer kann sie - die Menge - kleiden? Wer sie lehren? Wer sie im Zaum halten? Welchem anderen Ziel steuern sie zu als dem, sich gegenseitig aufzufressen?

Mir schwebt ein anderes Ziel vor, wiewohl ich nichts erwarte von den drei Heilmitteln, welche die Nationalökonomen gewöhnlich gegen die Überbevölkerung vorschlagen. Diese drei, kurz gefaßt, sind Kolonisation, das Urbarmachen unbekannten Landes und Einschränkung der Heiraten.

Das erste und zweite Mittel verzögern nur die Lösung der Frage. Es wird fürwahr noch lange währen, ehe die ganze Welt kolonisiert ist und ihre Wüsteneien angebaut sind. Die Hauptfrage jedoch nicht die, wie viel bewohnbares Land in der Welt ist, sondern wie viel menschliche Wesen auf einem gegebenen Raum bewohnbarer Erde ernährt werden sollten.

Man beachte, ich sage:  sollten,  nicht  könnten.  RICARDO definiert in seiner gewöhnlichen Ungenauigkeit, was er den "natürlichen Lohnsatz" nennt, als "das, was der Arbeiter erhält". Ihn erhält! Ja, aber wie? Eine junge Arbeiterin stellte sofort diese Frage an mich, als ich ihr den Satz vorlas. Ich will an ihrer Statt die Frage ausführlicher stellen! "Wie ihn erhält?" Zunächst, bis zu welchem Lebensalter? Wie viele sollen einer gegebenen Anzahl Menschen, die ernährt werden müssen, sollen alt, wie viele jung sein? Das heißt: wird man ihre Ernährung so einrichten, daß sie frühzeitig sterben, sagen wir im Durchschnittsalter von dreißig oder fünfunddreissig Jahren, einschließlich des Todes schwächlicher oder schlecht genährter Kinder? oder so, daß sie ihr natürliches Lebensende erreichen? Im ersteren Fall wird man, indem man das Durchschnittsalter kürzt, eine größere Zahl ernähren; im zweiten Fall wahrscheinlich eine glücklichere Zahl. Wie soll nach RICARDO das natürliche Dasein des Arbeiters beschaffen sein und welchem Dasein soll der natürliche Arbeitslohn angehören?

Ferner: Ein Stück Land, welches nur zehn träge, unwissende und sorglose Menschen erhält, wird dreißig oder vierzig intelligente und fleißige Menschen ernähren. Welches Daseinsweise ist die natürliche und welcher von beiden gehört der natürliche Arbeitslohn an?

Ferner: Wenn ein Stück Land vierzig Menschen erhält, die fleißig aber unwissend sind und wenn diese, ihrer Unwissenheit leid, zehn aus ihrer Mitte auswählen, um Geometrie und Astronomie zu studieren, so muß die Arbeit dieser Zehn, da sie dem Erdboden entzogen wird, entweder nach und nach dazu beitragen, die Lebensmittel zu vermehren oder die abgesonderten Gelehrten oder andere an ihrer Statt müssen verhungern. Was ist daher der natürliche Arbeitslohn der Männer der Wissenschaft zu ihrer im Übergangsstadium begriffenen Produktionskraft oder und in welcher Beziehung steht dieser zu ihrer Arbeitskraft oder wie mißt er sie?

Ferner: Wenn der Boden zuerst vierzig Arbeiter friedsamen und gottesfürchtigen Sinnes erhält, diese aber nach wenigen Jahren so streitsüchtig und gottlos werden, daß sie fünf anstellen müssen, um über ihre Streitigkeiten nachzudenen und sie zu schlichten; zehn bis an die Zähne mit teuren Waffen ausrüsten und fünf beauftragen müssen, um jedermann mit großer Beredtsamkeit zu ermahnen, daß ein Gott ist: welche Folgen wird dies für die allgemeine Produktionskraft haben und was ist der "natürliche Arbeitslohn" dieser denkenden muskelkräftigen und redenden Arbeiter?


Ein Blick in die Zukunft

Indem ich diese Frage den Schülern RICARDOs zur Erörterung oder, je nach ihrem Belieben, zur Übergehung überlasse, fahre ich fort, die hauptsächlichen das zukünftige Los der arbeitenden Klassen betreffenden Tatsachen, welche von MILL teilweise berührt worden sind, festzustellen. Es unterscheidet sich das bezügliche Kapitel wie das vorhergehende von der gewöhnlichen Schreibart der Nationalökonomie dadurch, daß darin ein gewisser Wert auf die Naturschönheit gelegt und bedauert wird, daß unsere moderne Arbeitsweise landschaftliche Schönheiten zerstört. Solche Befürchtungen können wir uns sparen. Die Menschen können weder Dampf trinken, noch Steine essen. Die Maximum-Bevölkerung auf einem gegebenen Raum Land bedingt auch das Maximum genießbarer Früchte, sowohl für Menschen als auch für Vieh; es bedingt ferner ein Maximum reiner Lust und reinen Wassers. Das heißt: ein Maximum Wald, die Lust umzugestalten und genügen grasbewachsene Anhöhen zum Schutz gegen die Sonnenglut, um die Ströme zu nähren. Ganz England mag, wenn es will, eine Fabrikstadt werden und seine Bewohner mögen, wenn sie sich zum Besten der ganzen Menschheit opfern wollen, inmitten von Lärm, Finsternis und verpesteter Atmosphäre eine verkürzte Lebenszeit leben. Aber die Welt kann nicht zu einer Fabrik noch zu einer Mine gemacht werden. Kein noch so erfindungsreicher Scharfsinn kann Eisen für die Millionen der Menschen verdaulich machen oder Wein durch Wasserstoff ersetzen. Weder die Habgier noch die Wut der Menschen kann sie jemals ernähren; und wie sehr auch der Apfel Sodoms und die Traube Gomorrhas eine Zeit lang ihre Tafeln mit den Leckerbissen der Asche und mit dem Nektar der Natter decken mögen: so lange Menschen von Brot leben, werden die entlegenen Täler bedeckt mit dem Gold Gottes lachen und wird das Jauchzen seiner glücklichen Kinder um Kelter und Quelle erschallen.

Auch brauchen unsere empfindsameren Nationalökonomen nicht zu befürchten, daß die mechanischen Einförmigkeiten des Ackerbaus allzu große Ausdehnung annehmen werden. Das Dasein einer vernünftigen Bevölkerung bedingt ebenso sehr das Streben nach Glückseligkeit als den Trieb nach Nahrung; auch kann eine Bevölkerung ihren Höhepunkt nur durch jene Weisheit erreichen, welche ihre "Wonne hat" an den bewohnbaren Teilen der Erde. Die Wüste hat ihren bestimmten Platz und ihre Aufgabe; die ewige Maschine, deren Deichsel die der Erde, deren Stoß ihr jahr und deren Atem der Ozean ist, wird auch fernerhin in den Wüsteneien, die umgrenzt sind von unbebautem Fels und überweht von unaufhaltsamem Sand, ihre Urkräfte, Hitze und Kälte, herrschen lasse; aber die dazwischen liegenden Zonen und Länder sind bewohnbar und, bewohnt, am schönsten. Der Herzenstrieb ist auch das Augenlicht. Nur die Gegend wird unablässige Liebe erwecken, die reich ist an freudiger, menschlicher Arbeit, an sanften Gefilden, blühenden Gärten, fruchtbaren Bäumen, schmucken und freundlichen Häusern, die wiederhallen vom Klang lebensfroher Stimmen. Keine Luft ist lieblich, die still ist; sie ist es nur dann, wenn sie erfüllt ist vom leisen Gemurmel halblauter Töne - vom Gezwitscher der Vögel, vom Summen und Zirpen der Käfer, von herzinnigen Menschenworten und den mutwilligen Lauten der Kindheit. Man wird, wenn man die Kunst des Lebens einmal erlernt hat, schließlich herausfinden, daß alle schönen Dinge gleichfalls notwendig sind: die wilde Blume am Weg, wie auch das sorgsam gepflegte Korn; die wilden Vögel und Tiere des Waldes, wie auch die sorgsam gepflegten Haustiere, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch von dem Manna der Wüste, von jedem wunderbaren Wort und jedem unerforschbaren Werk Gottes. Glücklich, daß der Mensch sie nicht kannte, noch auch seine Väter sie gekannt haben und daß rings um ihn her noch immer das Wunderbare seines Daseins hinauf reicht in das Unendliche.

Man beachte schließlich, daß jeder wirkliche Fortschritt auf dem Weg wahrer Glückseligkeit für die Menschheit durch individuelle, nicht durch öffentliche Bemühung erreicht werden muß. Gewisse allgemeine Maßregeln mögen solchem Fortschritt förderlich sein, gewisse wohldurchdachte Gesetze mögen ihn lenken und leiten, aber  die  Maßregel und  das  Gesetz, die erst festgestellt werden müssen, sind diejenigen, die auf das Heim eines jeden Menschen Bezug haben. Man hört beständig, wie kluge Leute ihren vom Schicksal weniger begünstigten Mitmenschen anraten, "mit der Lebenslage zufrieden zu sein, welche die Vorsehung ihnen angewiesen hat." Vielleicht gibt es gewisse Lebensumstände, mit denen, nach dem Willen der Vorsehung, niemand zufrieden sein  sollte.  Nichtsdestoweniger ist der Grundsatz im Großen und Ganzen ein guter, aber ein durchaus für den häuslichen Gebrauch berechneter. Daß unser Nächster mit seinem Los zufrieden sein sollte, damit haben  wir  ganz und gar nichts zu tun; aber unsere Aufgabe ist es durchaus, mit dem eigenen Los zufrieden zu bleiben. Wessen England heute am meisten bedarf, ist dies, daß ihm gezeigt werde, wie das größtmögliche Vergnügen aus einem festgegründeten, wohlgeregelten Wohlstand bescheiden, ehrlich und arbeitsam erlangt werden kann. Wir brauchen Menschen als Vorbilder, welche die Entscheidung, ob sie in der Welt vorwärts kommen sollen, dem Himmel überlassen, selber aber sich vornehmen, darin glücklich sein zu wollen, fest entschlossen, nicht größeren Reichtum, sondern schlichtere Freude, nicht höheren weltlichen Erfolg, sondern tiefere Glückseligkeit zu suchen; die als erste Errungenschaft Herrschaft über ihr eigenes Selbst erringen und sich selber durch harmlosen Stolz und friedliche Bestrebungen ehren.

Von diesem schlichten Frieden steht geschrieben, daß sich "Recht und Frieden küssen" und daß die Frucht der Gerechtigkeit "von denen gesät wird, die den Frieden halten," nicht von "Friedensstiftern" in gewöhnlichem Verstand, von Leuten, die Streitigkeiten schlichten - wiewohl auch diese Funktion aus der größeren folgt; sondern von denen, die den Frieden schaffen und Ruhe spenden. Diese kann man nicht spenden, wenn man sie nicht selbst erringt; auch ist diese Errungenschaft keine Frucht, welche bei jedem Geschäft, was immer seine Natur sei, zur Reife gelangt. Keinerlei Errungenschaft ist weniger wahrscheinlich, da das Geschäft seinem inneren Wesen nach durchaus rastlos und wahrscheinlich streitsüchtig ist; - es sucht, dem Raben gleich, unstet nach Aas, indessen nähren sich die Vögel vom Ölbaum sich nähren und seinen Zweig herumtragen, Rast für ihre Füße suchen. So wird von der Weisheit gesagt: "Sie hat ihr Haus gebaut, gehauen in sieben Säulen"; und wenn sie auch geneigt ist, an den Eingangspforten lange zu harren, so sind ihre Pfade, wenn sie ihr Haus verläßt und in die Ferne zieht, gleichfalls die des Friedens.

Wie dem auch sei, unser Werk muß an den Eingangspforten beginnen: alle wahre Ökonomie ist


Das Gesetz des Hauses

Bestrebe Dich, dieses Gesetz streng, schlicht, großmütig zu gestalten; nichts zu verschwenden, über nichts zu murren. Trachte keineswegs nach Geld, sondern trachte danach, es auf das beste anzuwenden; allezeit eingedenk der großen, klaren, unvermeidlichen Tatsache, der Grundregel allen wirtschaftlichen Lebens: daß, was ein Mensch besitzt, ein anderer nicht haben kann und daß jeglicher Bestandteil einer Substanz, den wir nutzen oder verzehren, was immer sie sei, so viel menschliches Leben ist, das wir ausgeben; eine gerechtfertigte Ausgabe, wenn wir dadurch das jetzige Leben erhalten oder vermehren, andernfalls wird entweder eben soviel Leben unterdrückt oder vernichtet. Bei jeglichem Kauf erwäge, erstens, welche Lebensbedingungen die Erzeugung des Gekauften für die Arbeiter verursacht; zweitens, ob die gezahlte Summe eine gerechte ist und ob ein richtiger Anteil dem Produzenten zuteil wird; drittens, wie das was man gekauft hat, am besten verwendet werden kann, damit es nähre, belehre und erfreue; und viertens, an wen und auf welche Weise es ohne Verzug und mit Nutzen verteilt werden kann. Bei jeglichem Geschäft trachte nach absoluter Offenheit und strenger Pflichterfüllung, bei jeglicher Arbeit erstrebe vollendete und liebliche Ausführung; insbesondere sieh auf Feinheit und Reinheit bei Waren, die auf den Markt kommen; und gleichzeitig sei stets darauf bedacht, um allerwegs in Dir und Andern Keime schlichter Freuden auszubilden; und zeige, daß der Inbegriff irdischen Glücks nicht in der Vielheit der Dinge, die wir genießen, sondern in der Stärke und Dauerhaftigkeit des Geschmacks liegt.

Und wenn es sich nach reiflichem und ehrlichem Erwägen all dieser Dinge zeigen sollte, daß die Daseinsweise, deren sich jetzt die Menschen befleissigen müssen, wie es die Gefühle des Mitleids und des Recht verlangen, wenigstens für die nächste Zukunft keine luxuriöse sein kann; - so erwäge, ob wir diesen Luxus, selbst wenn er uns schuldlos dünkt, begehren würden, falls wir uns klar vergegenwärtigten, welche Leiden er ringsher verursacht. Der Luxus wird, unschuldsvoll und köstlich auch in der Zukunft möglich sein, Luxus für alle und mit der Hilfe aller hergestellt; aber der Luxus kann in der Gegenwart nur vom Ignoranten genossen werden; der grausamste Mensch könnte nicht ruhig bei seinem Gastmahl sitzen, höchstens mit verbundenen Augen. Schlage den Schleier kühn zurück, blicke ins Licht; und wenn bis jetzt das Licht des Auges nur tränentrübe und das Licht des Leibes nur trauerumhüllt ist, so gehe hin und weine und trage edlen Samen, bis die Zeit und das Reich kommt, wo das Brot und der Frieden, die Gaben CHRISTIs, zuteil werden,  diesem Letzten  so gut wie Dir.
LITERATUR - John Ruskin, Wie wir arbeiten und wirtschaften müssen, Straßburg 1898
    Anmerkungen

    1) Nach KLUGEs etymologisches Wörterbuch ist es denkbar, daß unser deutsches Wort  Wert  in Beziehung steht zu  wahren  (indogermanische Wurzel "wor" = ansehen anschauen), wozu Wert eine partizipielle Ableitung im Sinne von geschätzt sein könnte. Demnach nennt auch unsere Sprache wie die englische ein Ding wertvoll, welches das Leben wahr oder sich im Leben bewährt. - Der Übersetzer