ra-2ra-3von TreitschkeC. FrantzW. HasbachBluntschli    
 
JOSEPH EÖTVÖS
Der Einfluß der herrschenden Ideen
des 19. Jahrhunderts auf den Staat


"Ich glaube, eine trockene Analyse ist es, die man braucht, wenn man mit den verworrenen Begriffen unserer Zeit endlich ins Klare kommen will."

"Wonach man strebt, ist nicht die gleiche individuelle Freiheit eines Jeden, sondern die gleiche vollkommene Unterwerfung Aller unter eine absolute Gewalt."

"Auch in jenen Staaten, wo es dem Gesetzgeber hauptsächlich um die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichheit zu tun war, hat man selten solche Wahlgesetze gefunden, bei denen nicht gewisse Klassen einen weit über ihr Stimmverhältnis gehenden Einfluß ausgeübt, und durch Drohungen und Versprechungen, oft auch nur durch eine bei der Wahl entwickelte größere Tätigkeit das allgemeine Wahlrecht zu einem Mittel ihrer eigenen Zwecke gebraucht hätten."

"Die Gesetze sind - wenn man die Sache recht nimmt - immer nützlich für jene, die etwas besitzen, und schädlich für solche, die nichts haben, woraus folgt, daß der gesellschaftliche Zustand der Menschen nur insofern nützlich ist, als jeder von ihnen etwas und niemand mehr, als er braucht, besitzt."


Erstes Kapitel
Die herrschenden Ideen
unserer Zeit

Wenn wir die gegenwärtige Lage der verschiedenen Staaten Europas aufmerksam betrachten, so finden wir - Rußland und England ausgenommen, wo das Streben nach bürgerlicher Freiheit noch nicht begonnen hat, oder längst befriedigt ist - überall drei Ideen, welche mit Begeisterung ergriffen, dem öffentlichen Leben seine Richtung geben.

Diese sind: Die Idee der Freiheit, der Gleichheit und der Nationalität.

Freiheit ist jener Zustand, in dem der Mensch sowohl seine eigenen Kräfte, als die der ihn umgebenden Natur in den Grenzen der Möglichkeit zur Erreichung eines selbst gewählten Zwecks gebrauchen kann.

Durch den Eintritt in die Gesellschaft werden für den Einzelnen nur die Grenzen dieser Möglichkeit verändert. Im außergesellschaftlichen Zustand - insofern es jemals einen solchen gegeben hat - ist es die Schwäche des Einzelnen, die seiner Freiheit enge Schranken setzt. In der Gesellschaft ist es das gleiche Recht der anderen Gesellschaftsglieder und die Bedürfnisse des gesellschaftlichen Zustandes selbst, doch immer ist und bleibt der Begriff der Freiheit derselbe. Wo der Einzelne im Gebrauch seiner Kräfte gestört wird, und im Hinblick solcher Handlungen, die weder mit der Freiheit Anderer, noch mit den Bedürfnissen der Gesellschaft in Widerspruch stehen, einer Bevormundung unterworfen wird, da gibt es keine Freiheit, weder eine bürgerliche, noch eine Freiheit überhaupt.

Die Gleichheit, insofern von der Anwendung dieses Prinzips im Staat die Rede ist, ist jene Einrichtung des Staatslebens, wobei dem Einzelnen weder irgendeine Bevorzugung eingeräumt, noch irgendeine besondere Last aufgebürdet wird. Eine gleiche Unterordnung oder eine gleichmäßige Unabhängigkeit eines Jeden, eine gleiche Berechtigung Aller zur Teilnahme an der Staatsgewalt, dies ist es, was man unter politischer Gleichheit verstehen kann. -

Die Idee der Nationalität äußert sich im Streben des einzelnen Volkes sich geltend zu machen, und zwischen anderen Völkern jene Stellung einzunehmen, zu der es sich vermöge seiner Vergangenheit (seines historischen Rechts), seiner Größe oder seiner besonderen Begabung berechtigt glaubt.

Der Einfluß, den jede dieser Ideen auf das öffentliche Leben der einzelnen Staaten auszuüben scheint, ist verschieden. In Deutschland und Italien tritt die Idee der Nationalität, in Frankreich jene der Gleichheit und Freiheit mehr in den Vordergrund, ohne darum die anderen zu verdrängen und in Frankreich die Idee der Nationalität, welche sich in der Begeisterung für die gloire francaise äußert, oder in Deutschland das Streben nach Gleichheit und Freiheit zu vernichten.

Bei Ideen, die einen bedeutenden Einfluß auf das Leben ganzer Völker ausüben, ist übrigens nicht die Bestimmung ihrer wissenschaftlich richtigsten Bedeutung wichtig, sondern vielmehr jener Sinn, welcher ihnen gewöhnlich beigelegt wird. Auch hier ist dies der Fall. Es ist mithin notwendig, die Bedeutung zu kennen, welche den Begriffen der Gleichheit, Freiheit und Nationalität gewöhnlich beigelegt wird, und da finden wir, daß diese von jener, welche wir gegeben haben, bedeutend verschieden ist.

Die französische Revolution - dieses Ereignis, welches wir als den Ausgangspunkt aller Strebnisse der Neuzeit betrachten können - wurde im Namen der Freiheit begonnen. Die Verhältnisse jedoch, in welche dieses Land gleich, nachdem es sich für die Freiheit erhoben hatte, geriet, brachten es dahin, daß der Begriff der Freiheit selbst bald in den Hintergrund gedrängt wurde. Von ganz Europa bedroht, mußte es vor allem seine nationale Selbständigkeit zu retten suchen, es mußte, wenn es sich erhalten wollte, stärker, mächtiger sein, als es je gewesen ist, es mußte die ganze Tätigkeit des Volkes zu dem einen Riesenwerk der Selbsterhaltung konzentrieren, es mußte seiner Exekutivgewalt Mittel in die Hand geben, wie sie selbst das absolute Königtum nie besessen, wenigstens nie in Anwendung gebracht hat - und an die Stelle der Idee der Freiheit, in deren Namen man die Revolution begonnen hatte, trat das Prinzip der Volkssouveränität, welches eine Folge des Prinzips der Gleichheit ist, insofern man dasselbe auf das Recht des einzelnen Bürgers an der Leitung des Staates teilzunehmen bezieht, doch im Hinblick auf die Freiheit des Einzelnen nur diejenige Macht bezeichnet, die sie beschränken soll.

Frankreich ist durch viele Umwälzungen hindurch gegangen, ohne sich dieses Irrtums jemals bewußt zu werden, ohne je unter dem Namen der Freiheit etwas Anderes als das Prinzip der Volkssouveränität anzustreben. Wie der Konvent im Namen des französischen Volkes die Stelle LUDWIGs XIV. eingenommen hatte und die absolute Regierungsgewalt des großen Königs, vor der sich jeder einzelne Wille beugen mußte, nur noch strenger ausgeübt, so hat NAPOLEON, als er den Konvent ersetzte, nur denselben Grundsatz weiter fortgebildet. Dasselbe taten nach ihm die durch die Restauration eingesetzten konstitutionellen Gewalten, dann die JULIUS-Dynastie, schließlich die junge Republik. Der Kampf um Freiheit ist in Frankreich seit einem halben Jahrhundert ein Kampf um die Regierungsgewalt gewesen.

Das übrige Europa hat in dieser Hinsicht seine Begriffe ganz den französischen nachgebildet, und wenn wir nach allem Erlebten nun den wahren Sinn abstrahieren wollen, den man heutzutage der politischen Freiheit beilegt, können wir nur den folgenden finden:
    "Die politische Freiheit besteht darin, daß es keine Gewalt im Staat gibt, die nicht im Namen des Volkes und wenigstens mittelbar durch dasselbe ausgeübt wird."
Freiheit ist das Recht zu regieren. Jede Verfassung ist umso freier, je mehreren sie dieses Recht gibt, und in je größerem Maß dieses Recht den Einzelnen gewährt wird. Die freieste Verfassung ist aber jene, wo jeder an der Majorität teilnehmen kann, die über die Handlungen jedes Einzelnen zu verfügen hat.

Oder mit anderen Worten: "Jede Verfassung ist umso freier, je mehr jeder Einzelne regiert, und je mehr er regiert wird."

Man glaube ja nicht, daß ich den Satz so schroff hinstelle, um seine Falschheit anschaulicher zu machen; man sehe, wie der Kommunismus, diese in ihrer Logik so aufrichtige Sekte, sich das Ideal der politischen Freiheit formuliert hat, und man wird sich überzeugen, daß diese Definition nicht erst aufgestellt zu werden braucht.

Da dasjenige, was man unter dem Namen der politischen Freiheit anstrebt, eigentlich nur die Anwendung des Prinzips der Gleichheit auf den Staat enthält, so ist der Begriff der Gleichheit, insofern bloß von Beziehungen des Einzelnen zum Staat die Rede ist, nichts als ein anderes Wort für dieselbe Sache. Wer sich an Distinktionen erfreut, mag die Freiheit jenen Zustand nennen, bei welchem es im Staat keine Gewalt gibt, die nicht im Namen des Volkes und zumindest mittelbar durch dasselbe ausgeübt wird. Die Gleichheit hingegen kann man darin suchen,
    "daß unter dem Namen des Volkes ein jeder Mensch verstanden wird, und jeder zur Bildung des gemeinsamen Volkswillens in gleichem Maß und auf gleiche Art beiträgt.
Über den Sinn, welchen man dem Begriff der Nationalität beilegt, läßt sich nichts Allgemeines sagen, indem das Wort Nation im gewöhnlichen Leben teils zur Bezeichnung solcher Völker, die zu einem Staat vereinigt sind, teils solcher, zwischen welchen eine Gemeinsamkeit der Sprache oder Abstammung besteht, gebraucht wird, und man im Namen der Nationalität bald nach einer Vereinigung früher getrennter Teile eines Volkes strebt, bald alles Fremde auszuscheiden oder sich zu assimilieren bemüht ist, und entweder bloß die Gleichberechtigung oder die Herrschaft in Anspruch zu nehmen scheint.

Wenn man nun dieses herrschenden Begriffe unserer Zeit in dem Sinn, den man ihnen beilegt, betrachtet, muß man zu überzeugung kommen:
    Erstens, daß alle drei zugleich als Ziel verfolgten Begriffe mit sich gegenseitig im Widerspruch stehen;

    Zweitens, daß keiner derselben zu realisieren ist, ohne daß zugleich die ganze Form des jetzigen Staatslebens zerstört wird;

    Drittens, daß auch in dem Fall, als es möglich wäre, diese Begriffe in dem Sinn, den man ihnen beilegt, durchzuführen, die Menschheit darin keine Befriedigung finden könnte.
Wir bitten unsere Leser wegen der trockenen Analyse, zu der wir uns genötigt sehen, im Voraus um Verzeihung, sie sticht mit der romantischen Art, in der man heutzutage über Politik zu schreiben pflegt, höchst unvorteilhaft ab, und kann mit dem biblischen Schwung, mit welchem man sich über die Leiden der Menschheit zu ergießen weiß, nicht verglichen werden; doch ich glaube, eben eine trockene Analyse ist es, die man braucht, wenn man mit den verworrenen Begriffen unserer Zeit endlich ins Klare kommen will.


Zweites Kapitel
Daß die Ideen der Freiheit und Gleichheit
miteinander im Widerspruch stehen.

Daß die Ideen der Freiheit und Gleichheit in ihrer absoluten Bedeutung miteinander im Widerspruch stehen, darüber kann wohl kaum ein Zweifel erhoben werden. Die Idee der Gleichheit ist vielleicht ein Postulat der Vernunft oder vielmehr des Gefühls, doch sie ist sicher keine Tatsache, die sich in der Natur findet. Soll sie verwirklicht werden, so ist dies nur in der bürgerlichen Gesellschaft und nur durch die höchste Beschränkung der Freiheit möglich, indem man der Entwicklung des Einzelnen Schranken setzt, um die von der Natur bestehende Verschiedenheit der Begabung auszugleichen. Der zwischen diesen Begriffen in ihrer absoluten Bedeutung bestehende Gegensatz wird auch hier geleugnet. Jene, die die Realisation einer vollkommenen Gleichheit als das höchste Ziel des Menschen aufgestellt haben, haben ihn eingesehen und als Ideal des Staates eine Organisation vorgeschlagen, nach welcher die Gesellschaft am Einzelnen das Geschäft des PROKRUSTES vollziehen soll, indem sie alles, was über ein gewisses Maß hinausgeht, gewaltsam auf dasselbe reduziert.

Doch wir wollen uns nicht mit theoretischen Lehrsätzen beschäftigen. Nehmen wir die Begriffe von Freiheit und Gleichheit in jenem Sinn, in welchem man dieselben als im Staat anwendbar aufzustellen pflegt; eine ruhige Prüfung des Gegenstandes wird uns zeigen, ob dieselben in dieser Form bei einer praktischen Anwendung nicht gleichfalls in Widerspruch geraten?

Ehe wir übrigens in die Erörterung dieser Frage eingehen, sei uns eine allgemeine Erörterung erlaubt.

Durch lange Zeit hat die englische Verfassung als Ideal guter Staatseinrichtungen gegolten. In den meisten Ländern Europas war die Staatsgewalt nach langen Kämpfen in die Hände absoluter Monarchen geraten. Die Rechte, die der bewaffnete Adel einst genoß, waren, insofern sie die königliche Macht beschränken konnten, dem Königtum gegenüber untergegangen, doch umso fester erhielt sich jener Teil derselben, der teils als sogenanntes Ehrenrecht in einer immer erneuten Erniedrigung des Volkes bestand, teils dem Adel gewisse materielle und pekuniäre Vorteile oder einen besonderen Gerichtsstand gewährte, wodurch seine privilegierte Stellung gesichert war. England war von diesen Übeln zum großen Teil frei. Die königliche Gewalt war seit Jahrhunderten beschränkt. Die Rechte des Einzelnen waren durch feste Institutionen, durch die Habeas-corpus-Akte, das Hausrecht, die Jury, die freie Presse und das freie Versammlungsrecht gesichert. Die englische Verfassung ist eine freie, jeder Engländer ist vor dem Gesetz gleich, und diese Freiheit und Gleichheit stehen nicht nur nicht im Widerspruch, sondern unterstützen sich gegenseitig, indem die bürgerliche Gleichheit ihre beste Garantie eben in den freien Institutionen findet, und diese, im Fall, daß sie angegriffen werden, immer auf die Verteidigung des ganzen Volkes zählen können, da sie ja allen gleiche Güter gewährleisten. Aus dieser Vereinbarung politischer Gleichheit und Freiheit, welche in England besteht, pflegt man nun den Schluß zu ziehen, daß diese Prinzipien auf dem Gebiet praktischer Politik nicht im Gegensatz stehen.

Der Schluß ist ein ganz irriger.

Das Beispiel Englands hat allerdings einen mächtigen Einfluß auf die Ausbildung aller neueren Staatsverfassungen ausgeübt. Es war durch einige Zeit das Ziel, nach welchem man strebte, doch wenn hierdurch in den äußeren Formen gewisse Ähnlichkeiten entstanden sind, welche noch fortbestehen, so ist doch in den Hauptbegriffen welche den englischen und unseren neueren Institutionen zugrunde liegen, jede Ähnlichkeit verschwunden. Die Prinzipien, nach deren Realisierung wir durch alle neueren Staatsverfassungen streben, sind unter denselben Namen etwas ganz anderes, man könnte fast sagen: das Entgegengesetzte dessen, was man in England unter Freiheit und Gleichheit versteht.

Die Wesenheit der Freiheit besteht nach englischen Begriffen darin, daß es keine Gewalt im Staat gibt, die absolut ist. Die königliche Gewalt wird durch das Parlament, wie dieses durch jene, beschränkt. Im Parlament selbst stehen sich Ober- und Unterhaus gegenüber. Und wenn alle diese Gewalten gegen die Freiheit des einzelnen Bürgers verschworen wären, bietet ihm die richterliche Gewalt der Jury, deren Mitglieder das höchste Interesse, die bürgerliche Freiheit zu erhalten haben, Schutz gegen Unterdrückung.

Nach dem Ideal der Freiheit, welches man in Frankreich und überhaupt in neuerer Zeit fast überall aufgestellt hat, soll, ja muß es eine absolute Gewalt im Staat geben. Um seiner höchsten Aufgabe, der der Selbsterhaltung zu genügen, bedarf der Staat - wie ROUSSEAU sich ausdrückt - einer allgemeinen Zwangsgewalt, um jedes seiner Glieder so zu stellen, wie es das Wohl des Ganzen erfordert. Er besitzt eine absolute Macht über all die Seinen, und diese bedürfen ihm (dem Staat) gegenüber keiner Garantie, da die Souveränität ja dem Volk selbst gehört und dieses nichts für das Volk Schädliches wollen kann. Nach diesen Begriffen kann die bürgerliche Freiheit bloß darin bestehen, daß die Staatsgewalt im Namen des souveränen Volkes und wenigstens mittelbar durch dasselbe ausgeübt wird.

Nach englischen Begriffen wird die Gleichheit darin gesucht, daß jeder Bürger den gleichen Schutz des Staates genießen soll, sich in seinem Kreis mit gleicher Freiheit bewegen können, der Staatsgewalt nicht mehr untertan sein soll, als jeder seiner Mitbürger, und wenn einmal ein Gesetz gebracht ist, nach demselben ganz so behandelt wird, wie alle übrigen. Mit einem Wort: es ist die gleiche individuelle Freiheit, die man unter dem Namen der Gleichheit in England versteht.

Nachdem der Begriff der individuellen Freiheit - nach den neueren Ansichten über den Staat - in dem der Volkssouveränität aufgegangen ist, so kann die Gleichheit in dem Sinn, den man ihr beilegt, nur in der gleichmäßigen Teilnahme jedes einzelnen Bürgers an der absoluten Gewalt, welche der Gesamtheit zukommt, bestehen. Nicht bloß eine gleiche Wirkung der schon gebrachten Gesetze, sondern vielmehr eine gleiche Teilnahme an der Gesetzgebung ist es, wodurch die Gleichheit bedingt wird. Wonach man strebt, ist nicht die gleiche individuelle Freiheit eines Jeden, sondern die gleiche vollkommene Unterwerfung Aller unter die absolute Gewalt der Mehrheit.

Wir wollen für jetzt ununtersucht lassen, ob die Art, in der man die Begriffe der Freiheit und Gleichheit in neuerer Zeit aufgestellt hat, die richtigere ist, soviel ist übrigens auf jeden Fall gewiß, daß, nachdem der Sinn, den man diesen Begriffen in neueren Verfassungen beilegt, ein ganz anderer ist, als derjenige, in dem wir sie in England angewendet finden, auch die Erfahrungen, die man bei der englischen Verfassung gemacht hat, durchaus nicht auf unsere Zustände anzuwenden sind.

Wenden wir uns nun zur aufgestellten Frage.

Wenn die Freiheit in der Verwirklichung des Begriffs der Volkssouveränität besteht, und die Gleichheit in der gleichen Teilnahme Aller an der Staatsgewalt gesucht wird, so muß:

1. Der Kreis der Staatsgewalt immer weiter ausgedehnt werden, nicht nur, weil es in der Natur jeder Gewalt liegt, sich immer weiter auszudehnen, sondern weil in diesem Fall die natürliche Tendenz der Gewalthaber auch durch jene unterstützt werden muß, die ihr eine Grenze entgegensetzen könnten, und unter anderen Verhältnissen auch würden - nämlich durch das Volk selbst. Je weiter die Macht der Staatsgewalt reicht, umso größer ist ja die Volksfreiheit, je mehr Beziehungen des bürgerlichen Lebens in das Gebiet der Staatsgewalt gezogen werden, umso weiter wird der Kreis, in dem jeder Einzelne als Teilnehmer an der Volkssouveränität seine Macht ausüben kann. -

2. Je weiter das Gebiet der Staatsgewalt ausgedehnt wird, umso enger müssen die Grenzen der individuellen Freiheit gezogen werden, nicht nur darum, weil, wenn der Kreis jener Dinge, die sich der Staat vorbehält, größer wird, auch das Individuum weniger Raum für seine Selbstbestimmung findet, sondern auch darum, weil ein Staat, der einen großen Teil aller Geschäfte übernommen, hierdurch die Tätigkeit seiner Bürger paralysiert, und ihnen gegenüber gleichsam die Rolle der Vorsehung eingenommen hat, sich nicht nur gegen jeden ernsthaften Angriff, sondern auch gegen jede augenblickliche Störung seiner Tätigkeit möglichst sichern muß, was nur dann möglich ist, wenn die Freiheit des Einzelnen dem Staat gegenüber in sehr hohem Grad beschränkt wird. Hieraus folgt:
    - daß man, um den Grundsatz der Gleichheit bei einem tätigen - wenn auch nur mittelbaren - Einfluß des Volkes auf die Staatsgewalt festzuhalten, entweder nicht bei der politischen Gleichberechtigung stehen bleiben kann, sondern bis zur faktischen Gleichheit der Verhältnisse fortschreiten muß, oder

    - daß man den Staat auf eine solche Art einzurichten gezwungen ist, wobei die Staatsgewalt zwar im Namen des Volkes jedoch ohne irgendeinen selbst mittelbaren Einfluß desselben geübt wird.
Im ersten Fall tritt der Gegensatz, welcher zwischen der Idee absoluter Gleichheit und jeder wenn auch nur gemäßigten Freiheit besteht, in seiner ganzen Schroffheit hervor.

Im zweiten hat man der Idee der Gleichheit jene der politischen Freiheit zum Opfer gebracht, da in einer Staatsverfassung, wo alle Gewalt zwar im Namen des Volkes, aber durchaus ohne allen, selbst mittelbaren Einfluß desselben ausgeübt wird, von keiner politischen Freiheit die Rede sein kann.

Untersuchen wir diese Sätze einzeln.

A. Daß man, um die Idee der politischen Gleichheit zu verwirklichen, bis zur faktischen Gleichheit des Besitzes und der sozialen Stellungen schreiten muß.

Wenn man im Namen der Freiheit dem Staat eine Gewalt einräumt, wie sie dem Einzelnen gegenüber nie irgendein Despot besessen hat, und, um den Grundsatz der Gleichheit zu verwirklichen, sich allen Beschränkungen eines Polizeistaates unterworfen hat, so ist es nur gerecht und natürlich, wenigstens die vollkommene Realisierung dieser Grundsätze - in dem Sinne, als man sie aufgestellt hat - zu fordern. Die einzige Art, wonach das gesamte Volk in größeren Staaten seinen politischen Einfluß ausüben kann, ist das Recht der freien allgemeinen Wahl. Die Frage, ob eine wirkliche Gleichheit des politischen Einflusses in freien Staaten zu erreichen ist, ohne bis zur faktischen Gleichheit des Besitzes und der sozialen Stellungen fortzuschreiten, reduziert sich also ganz einfach auf jene: ob da, wo im Hinblick des Vermögens und der sozialen Stellungen große Verschiedenheiten bestehen, der politische Einfluß der Einzelnen durch das Recht der Wahl gleich gemacht wird!

Seit Jahrtausenden haben sich die größten Gesetzgebner und Staatsmänner mit der Frage beschäftigt, auf welche Art das Recht der Wahl am zweckmäßigsten ausgeübt werden kann - in allen Republiken des Altertums gab es keine wichtigere Lebensfrage - und doch hat man wohl auch in jenen Staaten, wo es dem Gesetzgeber hauptsächlich um die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichheit zu tun war, je solche Wahlgesetze gefunden, bei denen nicht gewisse Klassen einen weit über ihr Stimmverhältnis gehenden Einfluß ausgeübt und durch Drohungen und Versprechungen, oft auch nur durch eine bei der Wahl entwickelte größere Tätigkeit das allgemeine Wahlrecht zu einem Mittel ihrer eigenen Zwecke gebraucht hätten?

Man hat viel von den Vorteilen der geheimen Abstimmung gesprochen. Obwohl die Resultate dieser Einrichtung ganz von den Verhältnissen abhängen, in welchen sich der Staat, wo sie eingeführt werden soll, befindet, und daher CICERO Recht haben mag, wenn er den Untergang der Republik zum Teil jenen Gesetzen zuschreibt, durch welche die geheime Abstimmung in Rom eingeführt wurde, so ist diese Einrichtung in einer Zeit, wo irgendeine Partei die Wahlen durch Terrorismus oder Bestechung zu influenzieren gewöhnt ist, doch sehr zu empfehlen.

Man täuscht sich übrigens, wenn man glaubt, daß durch die geheime Abstimmung jener Einfluß, den gewisse Klassen und Individuen auf die Wahl auszuüben pflegen, je ganz aufhören kann.

Das Wahlrecht ist entweder im Hinblick auf den zu Wählenden gewissen Beschränkungen unterworfen, oder es ist im Hinblick auf die Wählbarkeit ein unbeschränktes.

Im ersteren Fall ist der Vorteil, in dem sich jeder durch Vermögen und soziale Stellung Ausgezeichnete anderen gegenüber befindet, in sich klar, und die geheime Abstimmung kann dieses Verhältnis nicht verändern. Selbst jene Beschränkung der Wählbarkeit, wie sie in Amerika besteht, wo man eine gewisse Zeit in einem Kanton oder Staat, für den man gewählt werden soll, zugebracht haben muß, ist ganz im Interesse der Wohlhabenden. Die Mittel, sich seiner Umgebung - von der die Wahl abhängt - bekannt und beliebt zu machen, die tausend Wege, auf denen sich ein wohlhabender Mann, besonders, wenn er von seinen gleichgestellten Nachbarn unterstützt wird, an dem Kanton, der sein Wahlgesuch zurückgewiesen hat, rächen kann, brauchen nicht erst angegeben zu werden.

Ist das Wahlrecht im Hinblick auf den zu Wählenden unbeschränkt, so ist außer diesem Einfluß jedes Mächtigern auf jene Wähler, mit denen er in näherer Beziehung steht, in all jenen Wahldistrikten, wo sich keine solche Persönlichkeit vorfindet, und weniger Teilnahme für das politische Leben besteht, der Einfluß der politischen Parteien der entscheidende. Und der Einfluß jeder Partei hängt nicht so sehr von der Zahl der Staatsbürger, die ihr angehören, als vielmehr von ihrer Tätigkeit, welche oft ein Attribut der Minoritäten ist, ab, und kann nur im Verhältnis der Mittel, über welche die Partei zur Durchsetzung ihrer Wahlzwecke zu verfügen hat, oder durch den höheren Grad der Disziplin, mit der sich jeder Einzelne der Leitung seiner Führer unterwirft, geltend gemacht werden, wodurch, nachdem diese Führer auch bei der demokratischsten Partei, den wohlhabenderen und gebildeteren Klassen angehören, der überwiegende Einfluß solcher Einzelner nur noch größer werden muß.

Glaubt man wohl, daß das Volk diese notwendigen Mängel des allgemeinen Wahlrechts nicht kennt, daß es sich über die praktische Ungleichheit, mit der das in der Theorie gleiche Recht ausgeübt wird, täuschen läßt, oder daß sich auch, wenn dies der Fall wäre, nicht nach jeder Wahl Hunderte finden, die das Volk über die wahre Lage der Dinge aufklären werden?

Man hat die Staatsgewalt im Namen der Volkssouveränität zu einer absoluten gemacht, man hat die einzige Garantie, die der Einzelne dieser unendlichen Gewalt gegenüber besitzen soll, darin gefunden, daß jeder an derselben mittelbar im gleichen Maß teilnimmt, daß er bei der Konstituierung jener Gewalten, die im Namen der Volkssouveränität über ihn herrschen sollen, einen gleichen Einfluß ausübt; wundert man sich, wenn das Volk nun mit aller Leidenschaftlichkeit verlangt, daß die Charte - oder das gleiche Wahlrecht als das Einzige, was ihm durch die Charte gegeben ist - zur Wahrheit wird? Daß es sich nicht zufrieden geben will, wenn man ihm wie Sancho Pansa, als er als König behandelt wurde, die herrlichen Gerichte in goldenen Schüsseln aufträgt, von denen er nichts genießen soll, wundert man sich, wenn es alle Ursachen aufsucht, die es ander wirklichen Ausübung seiner Rechte, die man ihm als die einzige Panacée [Allheilmittel - wp] seiner ganzen Wohlfahrt dargestellt hat, stören, und wenn es die Entfernung derselben fordert? - Und ist es nicht die Ungleichheit der sozialen Stellung - vor allem die Ungleichheit des Besitzes, die der praktischen Gleichheit bei der Ausübung des Wahlrechts im Wege steht? Hat doch selbst MONTESQUIEU - den doch Niemand kommunistischer Ideen anklagen wird - den Grundsatz aufgestellt, daß in einer guten Demokratie das Eigentum aller gleich und daß es klein sein muß (L. V. Ch. VI). Hat doch selbst er (L. IV. Ch. VI) klar ausgesprochen,
    daß man, um einen gewissen Grad allgemeinen Wohlstands und bürgerlicher Tugend zu erreichen, durchaus bis zur Gemeinschaft der Güter, wie sie Plato in seiner Republik aufgestellt hat, fortschreiten muß.
Ist es nicht natürlich, wenn das Volk derselben Meinung ist, und, um das höchste seiner Rechte, ja um dasjenige sicher zu stellen, welches es als das einzig unveräußerliche betrachten muß, denn im Hinblick auf alle übrigen ist es den Beschlüssen jener unterworfen, die die absolute Staatsgewalt im Namen der Volkssouveränität ausüben - selbst die Ungleichheit der sozialen Stellungen, selbst die Ungleichheit des Besitzes angreift. -

Der Besitz ist ein Resultat der Arbeit und als solches heilig, so ruft man aus. - Ich bezweifle es nicht, doch wann ist je eine absolute Gewalt vor der Heiligkeit irgendeines Rechtes zurückgeschreckt, wenn es ihr Vorteil zu erfordern schien, ob nun diese absolute Macht NERO oder das athenische Volk geheißen und zu seiner Sicherheit den Tod der Mutter oder die Verbannung seiner tugendhaftesten Bürger begehrt hat, eben weil ihre Tugend die allgemeine Gleichheit zu verletzen schien.

Eine vollkommene Gleichheit des Besitzes und der sozialen Stellung ist unmöglich, so sagt man weiter. Auch das leugne ich nicht - doch wenn man dem Volk ein Ziel als erreichbar, ja als die Aufgabe, nach der es streben soll, hingestellt hat, ist es verwunderlich, wenn es jenen nicht glaubt, die dann das einzige Mittel, durch welches dieses Ziel erreicht werden könnte, als unmöglich darstellen!
    Wenn der große Hebel des Besitzes hinweggenommen wird, was sichert uns die angestrengte Arbeit Aller, die doch bei der jetzigen Bevölkerung der meisten Länder Europas zur Erhaltung der Menschen notwendig ist? - Wir müssen zur Sklaverei zurückkehren oder nach unsäglichen Leiden in einen Zustand allgemeinen Elends zurücksinken, wie jener war, von dem unsere Zivilisation ausgegangen ist.
Auch das gebe ich zu; doch ist dann ein vollkommenes Aufgeben der individuellen Selbständigkeit im Namen der Prinzipien höchster Freiheit und Gleichheit nicht schon gefordert worden, und finden wir nicht in fast jeder Utopie, die man als Ideal der menschlichen Glückseligkeit aufgestellt hat, als Grundbedingung einen Absolutismus, vor dem wir zurückschaudern, und ist es nicht möglich, daß eine Bewegung, bei der wir ROUSSEAUs contrat social als Ausgangspunkt finden, endlich zur Realisierung jenes Naturzustandes führen wird, der dort als die höchste Befriedigung gewährend geschildert wird? - Wie es auch sein mag - die vollkommene praktische Gleichheit soll und muß ins Leben treten. - Man hat diese Gleichheit als den einzigen wahren Rechtszustand dargestellt, man hat das allgemeine Wahlrecht als Mittel, diesen Zustand zu verwirklichen, angenommen, und da, wo dasselbe nicht genügt, selbst die Insurrektion [Aufstand - wp] als das Heiligste der Rechte des Volkes erklärt, ist es zu erwarten, daß das Volk einmal zur Überzeugung gelangt, daß die Gleichheit der politischen Berechtigung nur durch die Gleichheit des Besitzes zu erreichen ist, von seinem Recht und seiner Kraft keinen Gebrauch machen wird? -

Und das ist es eben, worin ich die Gefahr sozialistischer und kommunistischer Bestrebungen erblicke, und dem man die fast wunderbar schnelle Ausbreitung derselben zuschreiben muß. Sie sind die logische Folge jener Prinzipien, die man als allgemeine ... im Staatsleben angenommen hat.

Hat man einmal statt der Freiheit das Prinzip der absoluten Volkssouveränität aufgestellt, und hierdurch die Idee der persönlichen, individuellen Freiheit aufgegeben, hat man dem absoluten Staat gegenüber die einzige Garantie des Individuums in der Gleichheit gesucht, so muß letztere zur Wahrheit werden, und die schon aufgegebene Idee der Freiheit kann der notwendigen Schlußfolge nicht entgegengestellt werden.

Wenn man der Ansicht ROUSSEAUs beigestimmt hat, daß die Aufgabe des Staates darin besteht, statt jener Ungleichheit, welche die Natur zwischen den verschiedenen Menschen erzeugt hat, eine gesetzliche Gleichheit herzustellen, so daß Alle, wenn auch ungleich an Geist und Kräften, durch Vertrag und Gesetz gleich werden (L. I. Ch. IX), ein Grundsatz, an dessen Richtigkeit niemand zu zweifeln scheint, da man allgemein mit der Durchführung desselben beschäftigt ist, so wird auch dasjenige, was ROUSSEAU demselben als Bemerkung beigefügt hat, wenigstens im Volk sicher Glauben finden. Unter den schlechten Regierungen ist diese Gleichheit bloß scheinbar und trügerisch, sie dient nur dazu, den Armen im Elend, den Reichen im Gebrauch seiner unrechten Gewalt zu erhalten. Die Gesetze sind - wenn man die Sache recht nimmt - immer nützlich für jene, die etwas besitzen, und schädlich für solche, die nichts haben, woraus folgt, daß der gesellschaftliche Zustand der Menschen nur insofern nützlich ist, als jeder von ihnen etwas und niemand mehr, als er braucht, besitzt.

Niemals wird ein Kommunismus und Sozialismus realisiert werden! ruft man aus; Theorien, die mit allen guten und bösen Eigenschaften einer Zeit in so auffallendem Widerspruch stehen, wie diese, haben keine Zukunft. Im Bund mit Leidenschaften können sie einzelnen Staaten für Augenblicke Gefahren bereiten, dem ganzen gesellschaftlichen Zustand, der ganzen Zivilisation - nie. Unsere Zivilisation ist fest gewurzelt, zu ausgebreitet, als daß wir dies zu befürchten hätten. Als die römische Zivilisation zugrunde ging, war sie längst in das Stadium der Fäulnis eingetreten; die unsere ist jung, wir sehen sie wachsen, sich ausbreiten, und doch bedurfte es, um die sterbende, römische Zivilisation zu vernichten, eines Ereignisses, wie die Völkerwanderung; woher soll uns eine Gefahr solcher Art drohen? Die herrschenden Ideen werden realisiert werden, doch dies wird und muß auf eine andere Art geschehen.

Ich bin ganz derselben Ansicht, auch ich glaube nicht an eine dauernde Realisierung von Systemen, wodurch die Individualität vernichtet wird, die auf die Aufhebung des Besitzrechtes begründet sind, und hierdurch nicht nur mit den natürlichen Trieben und Instinkten den Menschen im Widerspruch stehen, sondern, indem sie den größten Hebel aller Tätigkeit vernichten, die erste Bedingung des Fortschritts - die Arbeit auf das möglichst kleinste Maß reduzieren. Auch ich halte unsere Zivilisation für zu lebenskräftig, als daß ich glauben könnte, dieselbe werde jenen neuen Völkerwanderungen der Jetztzeit unterliegen, wo wilde Haufen aus den Vorstädten vor den Sitzungssaal der Gesetzgebung ziehen, und mit blutroten Fahnen bestehenden Gesellschaft den Tod drohen. Auch ich bin überzeugt, daß, wenn die herrschenden Ideen der Jetztzeit realisiert werden sollen, dies auf einem anderen Weg geschehen wird, als durch die Systeme des Sozialismus oder Kommunismus; doch welches ist wohl der Weg, der uns dann übrig bleibt! -

B. Will man an der Idee vollkommener politischer Gleichheit festhalten, und der Gefahr eines Versuches, dieselbe in eine soziale zu verwandeln, entgehen, so muß der Staat so eingerichtet werden, daß die Staatsgewalt zwar im Namen des Volkes, aber nicht einmal mit einem mittelbaren Einfluß desselben ausgeübt wird.

Soll das gesamte Volk durch öfter wiederholte Wahlen auf die Leitung des Staates einen wirklichen Einfluß ausüben, so muß - wie wir gesehen haben - um dem natürlichen Übergewicht, welches bei der Verschiedenheit sozialer und Besitzverhältnisse gewisse Klassen bei diesen Wahlen besitzen, vorzubeugen, die politische Gleichheit dadurch gesichert werden, daß man die soziale und Besitzgleichheit zu erstreben sucht.

Will man dies nicht, will man an der Idee einer politischen Gleichheit festhalten, ohne den individuellen Besitz, welcher die Grundlage unserer gegenwärtigen Zivilisation ausmacht, zu vernichten, so gibt es hierfür nur ein Mittel, und das besteht darin, daß man die Ausübung der Volkssouveränität keine fortgesetzte sein läßt und die ganze Fülle der Macht, welche rechtlich der Gesamtheit zukommt, auf einmal Einem oder Mehreren überträgt, die die Volkssouveränität im Namen derselben ausführen. Wir man die Periodizität der Wahl aufgehoben hat, so ist der Einfluß, den einzelne Klassen der Gesellschaft auf die Leitung der Staatsangehörigkeiten ausgeübt hat, vernichtet. Ob nun der Einzelne, der im Namen des Volkes regiert, durch Geburt oder durch die Wahl seines Vorgängers zu diesem Amt bestimmt wird, ob der regierende Senat sich selbst durch Wahlen ergänzt oder durch das Los oder nach einer bestimmten Rotation, wie sie HARRINGTON vorschlägt, vollzählig erhalten wird, ist egal. Immer kann in dieser Form die vollkommenste, politische Gleichheit, d. h. eine ganz gleichmäßige Unterordnung des Einzelnen unter den Staat erhalten werden, ohne daß man darum an der Ungleichheit der sozialen Stellungen oder der ungleichen Verteilung des Eigentums zu rütteln bräuchte. Der in seiner sozialen Stellung Höchste steht in seinen staatlichen Beziehungen dem Niedrigsten, der Reichste dem Ärmsten gleich. Die Idee der Gleichheit ist für beide erhalten, jeder kann sagen, auch er sei einem jeden Andern ein gleicher Teil jener Macht, in deren Namen der Staat regiert wird. Keiner kann auf die wirkliche Leitung der Gesamtangelegenheiten mehr Einfluß ausüben, als der andere.

Das Prinzip absoluter Gleichheit kann nur durch eine absolute Staatsform realisiert werden, ob nun dieser Absolutismus durch eine immer wieder neu vom Volk ausgehende Gewalt oder durch die auf eine einmalige Übertragung der absoluten Gewalt des Volkes an ein Individuum oder eine Körperschaft ausgeübt wird, ob nun die Despotie im Gewand des Kommunismus oder in einer jener Formen auftritt, die die Welt schon oft gesehen und von denen sie sich kaum frei gedacht hat. Und ich glaube nicht, daß das letztere so sehr außerhalb des Kreises der Wahrscheinlichkeit liegt, wie wir es uns im Taumel unserer Errungenschaften gerne einreden möchten.

Man nennt den Kommunismus unmöglich und mit Recht, er ist mit den natürlichen Trieben und Eigenschaften der Menschheit im Widerspruch. Doch woher wissen wir dies? - Die Natur des Menschen läßt sich nicht aus Theorien abstrahieren, nur auf dem Weg der Erfahrung kann sie erkannt werden. Die Weltgeschichte ist es, die auch über den Kommunismus ihr Urteil spricht, indem sie uns zeigt, wie jene Ideen, die jetzt als Notanker der leidenden Menschheit dargestellt werden, schon oft dagewesen sind, und daß der Sozialismus in seiner spirituellsten Auffassung und der Kommunismus in seiner brutalsten Form, wie ihn seit JAN van LEIDEN nur die Neuzeit wieder zum Vorschein brachte, immer und immer wieder als Beginn des tausendjährigen Jubelreiches gerühmt worden ist, ohne je auch nur zu einem etwas ausgebreiteteren Versuch zu führen.

Gegen die Möglichkeit eines Übergangs aus unseren jetzigen Verhältnissen zur Despotie kann derselbe Grund nicht angeführt werden. Die Menschheit hat öfters ähnliche Geistesrichtungen befolgt, und der plötzlicheÜbergang von ihnen zur despotischen Staatsform hat sich nicht als unmöglich erwiesen. Ja man kann ohne Ausnahme den Grundsatz aufstellen, daß, insofern uns die Geschichte bekannt ist, kein Volk jemals das Prinzip absoluter Volkssouveränität und vollkommener Gleichheit aufgestellt, ohne zur absoluten Herrschaft überzugehen.

Es geschah in Griechenland, es geschau in Rom, wo der Wille des Imperators, wie dies in den Pandekten zu lesen ist, bloß darum für Gesetz galt, weil das Volk durch die lex regia alle ihm zustehende Macht und Gewalt dem Kaiser übertragen hatte; es geschah im Mittelalter in fast allen italienischen Staaten, im 17. Jahrhundert durch CROMWELL in England, 18. und 19. durch NAPOLEON in Frankreich. So allgemein ist die Erfahrung, daß die absolute Volkssouveränität und das Streben nach allgemeiner Gleichheit öfter als Ursprung der absoluten, monarchischen Gewalt angeführt werden kann, als das aus dem Familienleben sich entwickelnde Partiarchentum und selbst die Eroberung. Sollte sich diese Erfahrung in unserer Zeit nicht noch einmal wiederholen können? -

Dasselbe, was gegen die Möglichkeit der Realisierung der herrschenden Begriffe durch den Sozialismus spricht, die Erfahrung, scheint uns auf die Despotie als den wahrscheinlichen Ausgang unserer Bewegungen hinzuweisen; daß übrigens der Gegensatz, der zwischen den beiden Prinzipien der Gleichheit und Freiheit besteht, auch auf diesem Weg zum Vorschein kommen muß, braucht wohl nicht erklärt zu werden, da man sich wohl beim Ausgangspunkt der Bewegung über den Begriff der Freiheit so weit täuschen konnte, daß man ihn mit dem der Volkssouveränität verwechselt; übrigens am Ziel angelangt eine absolute Macht, die im Namen des souveränen Volkes durch einen Einzelnen ausgeübt wird, nie als die Verwirklichung der Idee der Freiheit hinnehmen wird.

Wie sich daher zwei der herrschenden Begriffe, der der Freiheit und der Gleichheit in ihrer absoluten Bedeutung widersprechen, so findet sich dieser Gegensatz auch bei der sogenannten praktischen Anwendung dieser Prinzipien, auf welche Art man dieselbe auch versuchen mag, wieder.

Sehen wir nun die dritte der herrschenden Ideen, die der Nationalität.

Drittes Kapitel
Die Idee der Nationalität steht mit den
Begriffen der Freiheit und Gleichheit
im Widerspruch.

Keine der Richtungen, welche die europäische Menschheit in der Gegenwart verfolgt, ist schwerer zu verstehen, als jene, zu welcher das allgemeine Streben so vieler Völker, sich als Nationen geltend zu machen, Anlaß gegeben hat. So allgemein das Gefühl der Nationalität ist, so ist es doch nur ein Gefühl, welches Einzelne und oft ganze Völker erfaßt, zu den größten Anstrengungen bewegt und zu den edelsten Taten hinreißt, ohne daß man sich Rechenschaft darüber geben könnte, warum man dem Drang seines Inneren nicht widerstehen konnte.

Von all seinen Ursachen, auf welchen das Gefühl der Nationalität beruth, ist in unserer Zeit kaum etwas anderes als die Verschiedenheit der Sprache übrig geblieben. Es scheint also, daß der Begriff der Nationalität, welcher früher an den Begriff des Staates oder eines gemeinsamen Glaubens gebunden war, jetzt mit dem einer gemeinsamen Sprache identisch sein muß. Doch auch hierin täuscht man sich. Das Streben nach Nationalität, welches von einer Seite den gegenwärtigen Staat, wie er durch die Geschichte entstanden ist, ignoriert, und eine Sprachverwandtschaft als Grundlage der staatlichen Verhältnisse annehmen will, beruft sich auf der anderen Seite oft auch auf das historische Richt, und während von vielen z. B. eine Vereinigung aller Völker, die sich einer zum slawischen Sprachstamm gehörigen Mundart bedienen, angestrebt wird, und während man in Deutschland die Grenzen des Reiches so weit ausdehnen möchte, als die deutsche Sprache reicht, hat man doch weder bei den Slawen, noch bei den Deutschen die Berücksichtigung des historischen Rechts aus den Augen verloren; ebensowenig als Deutschland der alten Reichsrechte auf Schleswig oder Böhmen vergessen hat, würde Polen seinem historischen Recht auf Selbständigkeit entsagen, oder Italien Savoyen an Frankreich abtreten wollen.

So weit die Geschichte reicht, ist viel und oft um Begriffe gekämpft worden, die man nicht bestimmt und die eigentlich niemand verstanden hat; in einem größeren Maß ist es jedoch sicher nie geschehen, als jetzt, wo ganz Europa in Bewegung ist, scheinbar durch dieselbe Ursache aufgeregt und wo die romanischen Völker unter dem Namen der Nationalität die politische Sonderstellung gewisser Zweige der romanischen Sprachenfamilie ebenso leidenschaftlich verteidigen würden, wenn man z. B. Spanien mit Frankreich vereinigen wollte, als unter den slawischen Völkern einige an einer Vereinigung aller slawischen Völker, andere für ihre Sonderstellung arbeiten, und der Deutsche sich bald auf die Erinnerungen des alten Reiches, bald auf die gegenwärtige Lage der Dinge - und hier wieder manchmal auf die Volkszahl, manchmal auf die höhere Gesittung der deutschen Minorität, ja selbst auf gewisse geographische Verhältnisse beruft, um das Prinzip zu finden, durch dessen Anwendung Deutschland groß und einig werden könnte.

Überall tönt uns das große Wort "Nationalität" entgegen, doch jeder will es anders verstanden haben, jede Nationalität fordert ihre Berechtigung, und niemand ist mit sich im Klaren, worin diese Berechtigung eigentlich bestehen sollte.

Will man sich in dieser allgemeinen Verwirrung der Begriffe zurecht finden, und sucht man etwas, was allen nationalen Bestrebungen allgemein ist, so wird man sich übrigens überzeugen, daß alle nationalen Bewegungen nebst so vielen Widersprüchen, die wir bei denselben wahrnehmen, zwei Dinge gemein haben.

Alle beruhen auf derselben Grundlage, alle haben denselben Zweck.

Die Grundlage jedes Nationalgefühls ist die Überzeugung, daß es ein Vorzug ist, einem gewissen Volk anzugehören, weil dasselbe an geistigen oder moralischen Eigenschaften andere übertrifft, und diese höhere Begabung sich entweder in der Vergangenheit bewährt hat, oder dazu berufen ist, sie in der Zukunft geltend zu machen.

Der Zweck ist, dieser höheren Begabung eines Volkes ihre volle Geltung zu verschaffen, indem man vor allem auf die Entwicklung der in einem Volk schlummernden Kräfte bedacht ist, um demselben dann die ihm gebührende Herrschaft über andere zu sichern.

Die Grundlage aller nationalen Bestrebungen ist das Gefühl höherer Begabung, ihr Zweck ist Herrschaft.

Fast scheint es unnötig, zum Beweis dieser Sätze auch nur ein Wort zu verlieren. Wie die Chinesen ihr Vaterland auch noch jetzt das Reich der Mitte nennen, so hießen die Inder das ihre Midhiana, die Skandinavier Mitgard, und so hat es jedes Volk seit jeher geliebt, sich als der Mittelpunkt der Welt zu betrachten, um den sich alles Übrige drehen soll. Jener krasse Egoismus, den wir bei ganz rohen Völkern wahrnehmen, wird durch die Gesittung nicht vernichtet; das Gefühl der Selbstsucht rettet sich nur unter dem Schleier des Patriotismus um sich da ohne Scheu geltend zu machen. Man untersuche, was dem Gefühl des Patriotismus - welches mit dem der Nationalität in anderer Form identisch ist - zugrunde liegt, und niemand wird leugnen, daß es das Bewußtsein einer höheren Begabung, der Anspruch auf eine größere Berechtigung ist, wie denn dies bis in die neueste Zeit auch niemand geleugnet hat. Nicht nur bei den Griechen, die jeden Fremden einen Barbaren nannten, sondern im Sprachgebrauch beinahe jeden Volkes finden wir diese Ansicht bestätigt. Es gibt vielleicht keine Sprache, in der nicht irgendein Sprichwort die hohe Meinung ausdrücken würde, die das Volk von sich selbst und die Verachtung, die es gegen seine Nachbarn empfindet.

Man ist heutzutage nicht so aufrichtig. Diejenigen, die im Namen des Volkes das Wort führen, haben eingesehen, daß da, wo sich verschiedene Interessen kreuzen, und die rohe Kraft nicht ausreicht, eine gewisse Klugheit notwendig ist, und man hat das Prinzip der Gleichberechtigung aller Nationalitäten aufgestellt. Das neue Wort hat übrigens nichts verändert, die Grundlage jeden Nationalgefühls und der Zweck, nach dem es strebt, sind sich gleichgeblieben. Jeder kann sich hiervor leicht überzeugen.

Im Namen welcher Völker ist man mit der Forderung der Gleichberechtigung bis jetzt wohl aufgetreten! Ich sage im Namen welcher Völker, denn unter den Völkern selbst, in welchen das Gefühl der Nationalität rege ist, wird man keines finden, welches mit so gemäßigten Ansprüchen auftreten und sich mit weniger als mit der Suprematie [Vorherrschaft - wp] in ihrem Kreis begnügen würde. Hat man die Gleichberechtigung jemals im Namen eines Volkes, das entweder eine Suprematie oder auch nur die Gleichberechtigung wirklich besaß, begehrt? - Wohin man auch blickt, für dieses freudige Ereignis so hoher Philantropie findet sich nirgends ein Beispiel. Selbst das kosmopolitische Deutschland hat, wie FRANZ LIST es im Hinblick auf das Handelssystem der Engländer vorgeworfen hat, in dieser Frage eigene Grundsätze für das Ausland und eigene für den häuslichen Gebrauch aufgestellt und war in Posen, Galizien und Böhmen recht gut auf die eigene Suprematie bedacht, wenn es auch das gleiche Streben anderer Völker als barbarisch bezeichnete. Dasselbe sehen wir bei Völkern slawischen Stammes, wo dieselben zur Herrschaft gelangt sind; dasselbe bei den meisten übrigen. Überall der Kampf um Gleichberechtigung, ehe diese erreicht ist; überall das Streben nach Herrschaft, wie man nicht mehr gegen Unterdrückung zu klagen hat. - Die Franzosen in Kanada und die Deutschen im Elsaß erheben dieselben Ansprüche, und die Franzosen scheinen den Elsässern gegenüber ebensowenig zum Nachgeben geneigt, als man dieses von den Deutschen im Großherzogtum Posen sagen kann, wo ihnen ähnliche Ansprüche entgegentreten. Kann man bei diesen Verhältnissen daran glauben, daß es mit den Ansprüchen auf Gleichberechtigung ehrlich gemeint ist, muß man nicht vielmehr überzeugt sein, daß sich der Begriff über nationale Berechtigung durchaus nicht verändert hat, und daß unter neuem Namen auch jetzt nichts als eine Suprematie angestrebt wird? - Selbst dort, wo die Gleichberechtigung erst angestrebt wird, liefert uns die Erfahrung hierüber die klarsten Beweise. Überall ist man bemüht, mit der Idee der Gleichberechtigung zugleich jene des nationalen Antagonismus zu verbreiten, und in so engen Kreisen man auch die Gleichberechtigung besitzt - in Schulen, in der Gemeinde - überall wird sie als Mittel dazu gebraucht, die eigene Suprematie auf Kosten derer zu befestigen.

Ich bin weit entfernt, einen Tadel über diese Richtung aller nationalen Bestrebungen aussprechen zu wollen. Erscheinungen, welche so allgemein sind, wie diese, müssen ihren Grund notwendig in der Natur des Menschen haben. Das Mittel, den üblen Folgen, welche daraus entstehen könnten, zuvorzukommen, muß eben in ihrer Allgemeinheit gesucht werden. So viel geht übrigens aus dem Gesagten meiner Überzeugung nach jedenfalls hervor, daß zwischen den Begriffen der Freiheit und Gleichheit und jenem der nationalen Berechtigung wirklich ein Gegensatz besteht, und jeder, der die Sache vorurteilsfrei betrachtet, kann sich hiervor leich überzeugen.

Niemand zweifelt daran, daß das Bestehen privilegierter Klassen mit den Prinzipien der Gleichheit und Freiheit im Widerspruch steht. Und was ist wohl die Grundlage des Bestehens jeder privilegierten Klasse? Ohne Zweifel die Überzeugung von einer höheren Begabung und Berechtigung dieser Klassen! Und was ist ihr Zweck ein anderer als der der Herrschaft? wie man diesen Zweck, auch mit Erwähnung des allgemeinen Wohles, der größeren Aufopferung für den Staat, und mit anderen Gründen, für die sich so mancher Beweis in der Geschichte finden ließe, zu bemänteln trachtet. Die Ursache, warum man das Bestehen von privilegierten Klassen in einem auf den Grundsätzen der Gleichheit und Freiheit erbauten Staat für unzulässig hielt, war ja eben die, weil man überzeugt war, daß jede privilegierte Klasse, auch wenn sich ihre Vorrechte nicht direkt auf die Regierung des Staates beziehen, als Zweck notwendig nach Herrschaft streben muß.

Und was ist die Art, durch welche man zur Teilnahme an jenen Vorrechten gelangt, durch welche sich privilegierte Klassen auszeichnen? - Es ist, einzelne Fälle ausgenommen, das Prinzip der Erblichkeit. Wenn man nun annimmt, daß die Grundlage jedes nationalen Strebens die Überzeugung einer höheren Berechtigung, und daß ihr Zweck die Herrschaft ist, wo ist nun aus dem Standpunkt des Prinzips der Gleichheit und Freiheit betrachtet, zwischen dem Bestehen einzelner privilegierter Klassen und der besonderen Berechtigung gewisser Nationalitäten ein Unterschied zu finden? Beiden liegt dieselbe Idee zugrunde, beide haben denselben Zweck, bei beiden finden wir dieselbe Art gewisser Berechtigungen teilhaftig zu werden, das Prinzip der Erblichkeit wieder. Das Prinzip der Nationalität muß ebenso wie das des Erbadels jenem der Gleichheit und Freiheit, oder diese müssen jenem weichen. Zu vereinen sind sie nicht. -

Nein - wird man sagen - der Vergleich steht nicht. Was man einzelnen Klassen gegenüber als Grundsatz aufgestellt hat, kann ganzen Völkern gegenüber nicht behauptet werden. Wenn der Staat auch nicht dulden wollte, daß einige Hunderte oder Tausende seiner Bürger besondere Vorrechte genießen, so wird er darum nicht Millionen ihrer Rechte berauben wollen.

Ich bin nicht der Meinung, daß ein ansich wahres Prinzip weniger wahr wäre, wenn man es auf größere Verhältnisse anwenden will; auch glaube ich, daß man sehr irrt, wenn man behauptet, daß in Frankreich durch den Sieg der Prinzipien der Gleichheit und Freiheit nur einige Hunderte oder Tausende ihrer Vorrechte beraubt worden sind.

Der Adel allein bestand in Frankreich zur Zeit des Ausbruchs der Revolution aus 40 000 Familien, und die Zahl derjenigen, die durch die Aufhebung der gewerblichen und jener Vorrechte, die einzelnen Provinzen im Hinblick auf die Besteuerung genossen usw. einen für den Augenblick sehr empfindlichen Verlust erlitten, sind Millionen. Ist man mit der Anwendung des Grundsatzes, daß es keine Vorrechte mehr geben soll, wohl stehen geblieben, als durch denselben die Interessen einer großen Zahl bedroht wurden? oder war es unrecht, dieselben Prinzipien z. B. in Ungarn anzuwenden, weil sich die Zahl der privilegierten Klasse nach Hunderttausenden berechnen ließ? Oder will man wohl jetzt, nachdem das Größte schon geschehen ist, von der Strenge des Prinzips abgehen, und den Grundsatz der Gleichheit in Zukunft bloß dann anwenden, wenn es sehr vielen zuträglich ist? Man vergesse nicht, daß man in diesem Fall die Sklaverei in all jenen Staaten, wo die freie Bevölkerung in der Mehrheit ist, gutgeheißen hat, daß man die Freiheit und Gleichheit, deren sich die Mehrheit erfreut, aus einem Recht in das Resultat materieller Kraft verändert hat, die in ruhigen Zeiten wohl nach der numerischen Mehrheit berechnet wird, doch nur, um beim ersten Kampf einer kühnen Minorität anheim zu fallen. Die Menschheit wurde ja immer durch Minoritäten beherrscht, am meisten dann, wenn man im Namen der Majoritäten geherrscht hat.

Doch es ist ja nicht die Verschiedenheit der Zahl allein, wegen der die Prinzipien der Gleichheit und Freiheit nicht mit derselben Strenge auf die Berechtigung ganzer Nationalitäten angewendet werden sollen, wie man das Einzelnen gegenüber getan hat - so spricht man weiter. Das Bestehen privilegierter Klassen führte zur Knechtung der Menschheit, es hat jedes edle Gefühl getötet, Barbarei erzeugt, den menschlichen Geist in Fesseln gehalten.

Die Nationalität ist dagegen der Keim der schönsten Handlungen, die Grundlage jenes edlen Strebens, womit ein Volk das andere zu übertreffen sucht, und wodurch der Fortschritt der Menschheit bedingt wird.

Es ist nicht meine Absicht, eine Lobrede auf die Vorzüge des Adels zu halten. Daß ein Teil der Klagen, die man gegen denselben erhoben hat, wahr ist, wird niemand leugnen, daß sie aber nicht ganz wahr sind, beweist der gegenwärtige Zustand der Welt. Wenn man die Lage Europas in jenem Augenblick, wo die Macht der privilegierten Klassen begann, mit jener vergleicht, in der sie die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten der Demokratie überlassen mußten, kann man kein unbedingtes Verdammungsurteil über dieselben aussprechen
. Doch sind denn all die Klagen, welche man gegen die Tyrannen gewisser Klassen erhebt, nicht mit demselben Recht auch gegen jene anzuführen, welche im Namen der Nationalität von einem Volk gegen ein anderes ausgeübt worden ist? -

Jemand hat die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution das Martyrologium der Völker genannt - vielleicht ist der Ausdruck wahr, doch müßte man die meisten Blätter in diesem Buch überschlagen, wenn man darin bloß dasjenige aufgezeichnet finden will, was Völker durch privilegierte Klassen erduldet haben. Von den Leiden des jüdischen Volkes im Ägypterland bis zum Indianer, den der herzlose Weiße auch auf dem engen Raum, der ihm vom Land seiner Väter noch geblieben ist, nicht in Ruhe läßt und mit Hunden weiter hetzt, um für die eigene Pflanzung mehr Raum zu finden, wo er den unglücklichen Afrikaner mit der Peitsche zur Arbeit treiben kann; vom grauesten Altertum bis in die neueste Zeit finden wir in der Geschichte nicht einen Augenblick, wo uns nicht die unmenschliche von einem Volk gegen ein anderes verübte Tyrannei entgegentreten würde. Man lese die Geschichte des peloponnesischen Krieges und man wird sehen, was Völker eines verwandten Stammes an einander verübt haben; man gehe nach Irland und überzeuge sich, ob das Christentum, ob ein hoher Grad an Bildung, ja selbst die Prinzipien der konstitutionellen Freiheit ein Volk vor der Unterdrückung des anderen schützen können. Und wenn die Ursache, weswegen man die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit gegen alle privilegierten Klassen angewendet hat, darin zu suchen ist, weil ihre Vorrechte als Mittel der Unterdrückung gedient hätten; spricht dieser Grund nicht noch weit mächtiger gegen die Berücksichtigung der Nationalität, während all die guten Folgen, welche für die Schonung der Nationalitäten als Gründe aufgeführt werden können, im selben Maße auch für die Fortdauer des Adels sprechen. Auch mit dem Aufheben des Adels ist vieles Edle untergegangen. So manche Eigenschaften, so manche große Gefühle und neben den vielen Schlacken so manches Gold, was mit der Institution zugleich zugrabe getragen wurde. Hat diese Rücksicht die Institution darum retten können? Diese Gleichheit zwischen den Folgen des Prinzips der Nationalität und des Erbadels ist keine zufällige, sie liegt in der Natur der Dinge selbst. Jeder, dem die Geschichte bekannt ist, weiß, daß der Ursprung des Erbadels großenteils auf dem Prinzip der besonderen Nationalität beruth. Es ist höchst wahrscheinlich, daß das Kastensystem in Asien denselben Ursprung hat, und daß die höheren Kasten eigentlich nichts sind, als besondere Nationalitäten, die sich die übrigen unterworfen haben und beinahe in allen europäischen Ländern läßt sich ein solcher Ursprung des Erbadels mit der größten Bestimmtheit nachweisen. Die Folgen können nicht verschieden sein, da es der Grund nicht ist, und wir am Ursprung des Adels, der den Staat beherrscht, die Nationalität finden, die ihn sich erobert hat.

Doch man will das Prinzip der Freiheit und Gleichheit dem der Nationalität gegenüber nicht in seiner ganzen Strenge zur Anwendung bringen. - Die Erfahrung hat gelehrt, wie gefährlich es für die Freiheit werden kann, wenn sich jene, die ihr widerstreben, auf nationale Gefühle und Vorurteile stützen können. Man wird die Ansichten und Wünsche der einzelnen Völker schonen, auch wenn dieselben mit dem Prinzip, welches man aufgestellt hat, im Widerspruch zu stehen scheinen. Ebenso wie jedes Volk seine Ansprüche auf eine nationale Berechtigung nicht weiter ausdehnen wird, als dies mit dem Prinzip der Gleichheit und Freiheit verträglich ist.

Ich zweifle keinen Augenblick an der Absicht, dies zu tun, doch hat man wohl auch die Macht dazu? Hängt es von irgendeinem Menschen ab, ein Prinzip, welches man als absolut wahr aufgestellt hat, welches allgemein als solches angenommen wurde, in seiner Anwendung bloß auf gewisse Grenzen zu beschränken? Soll man glauben, daß man jene Konsequenz, mit der man, so oft es die Anwendung der Prinzipien der Gleichheit und Freiheit galt, weder vor der Religion, noch vor dem Umsturz aller sozialen Verhältnisse zurückgeschreckt ist, dem Prinzip der Nationalität gegenüber Konzessionen machen wird? - Meiner festen Überzeugung nach wird dies nicht geschehen, und wie sich die Begriffe allgemeiner Gleichheit und Freiheit und besonderer nationaler Berechtigungen als Begriffe entgegenstehen, indem der eine für alle Bewohner desselben Staates gleiche Rechte und für die Mehrheit eine absolute Herrschaft in Anspruch nimmt, während nach dem andern jede Stamm- und Sprachverschiedenheit als Quelle besonderer Berechtigung betrachtet wird, so muß sich dieser Gegensatz auch im Leben geltend machen. Entweder man erkennt die absolute Souveränität der Majoritäten an, und dann wird jede Majorität - eben in solchen Zeiten, wo nationale Bestrebungen bestehen - seine Macht zur Unterdrückung jeder in der Minderheit befindlichen Nationalität gebrauchen, bis der Begriff des Staates mit dem des Volkstums identisch geworden ist, oder man erkennt die absolute Souveränität der Majorität nicht an und stellt für jede einzelne Nationalität gewisse unveräußerliche Rechte fest, welche außer dem Gebietskreis der Souveränität liegen - und in dem Augenblick, als man dieses getan hat, hat man auch die Idee der Gleichheit und Freiheit - beide Begriffe immer in jenem Sinn verstanden, den man ihnen jetzt beilegt - aufgegeben. Wenn der Einzelne Rechte besitzt, die ihm nur vermöge seiner Abstammung zukommen, und die Idee der Volkssouveränität gewissen Berechtigungen gegenüber ihre Macht verliert, so ist durchaus keine Ursache zu finden, warum eine solche Sonderstellung bloß gewissen Nationalitäten gewährt werden soll, warum man die Souveränität nicht auch anderen Korporationen oder Einzelnen gegenüber beschränken kann. Wenn - nach den Ideen, die die französische Revolution aufgestellt, und wir angenommen haben - jede Sonderstellung die Vernichtung aller Freiheit und Gleichheit im Keim trägt, so muß die Gefahr umso größer sein, je zahlreicher die Gemeinschaft ist, der eine solche Sonderstellung gewährt wird.

Im Anfang der französischen Revolution ist der Gegensatz, der zwischen der Idee der Nationalität und dem Prinzip der Gleichheit bestand, nicht in den Vordergrund getreten. Die Ursache liegt teils darin, daß damals gegen die humanitaristischen Grundsätze des 18. Jahrhunderts noch überhaupt keine Reaktion eingetreten war, und daß die Ideen nationaler und sprachlicher Sonderung noch überall im Hintergrund standen, teils in der eigentümlichen Lage Frankreichs, wo zwischen dem Volk zwar bedeutende Sprachverschiedenheiten herrschten, doch die Suprematie des französischen als vollendete Tatsache anerkannt wurde, die auch von jenen nicht in Zweifel gezogen wurde, die an der in der Geschichte begründeten Einteilung Frankreichs festhalten wollten. Daß man übrigens das wahre Verhältnis der herrschenden Begriffe zur Idee der Nationalität schon damals geahnt hatte, beweist das Auftreten des preußischen Barons ANACHARSIS CLOOTS, der genug verrückt war, alles auszusprechen, was ihm als notwendige Schlußfolgerung gewisser Prämissen erschien, und gewiß durch ROBESPIERRE für die Torheit als orateur du genre humain [Redner des Menschengeschlechts - wp] aufgetreten zu sein, nie des Schaffotts würdig befunden worden wäre, wenn dieser nur durch logische Konsequenz ausgezeichnete Diktator nicht begriffen hätte, welche Gefahren für die Integrität Frankreichs durch CLOOTS' Theorien eben darum entstehen können, weil, nachdem man die Prämissen allgemein angenommen, gegen die Folgerichtigkeit der Ansichten des preußischen Barons nichts einzuwenden war
. Praktisch hat sich der Gegensatz dieser Prinzipien später auch in der französischen Revolution bewährt. Die Idee der Nationalität ist durch die Begriffe der Gleichheit und Freiheit zwar nie verdrängt worden, doch ist später das Gegenteil geschehen, und der Begriff nationaler Größe hat die Herrschaft NAPOLEONs zu einer volkstümlichen gemacht, so sehr seine Regierung auch alle Grundsätze der Freiheit und Gleichheit verletzt hat. Es hat nie eine Aristokratie mehr von ihrer Freiheit und allen Gütern aufgeopfert, um ihre Standesehre zu erhalten, als dies das französische Volk aus dem gleichen Zweck durch Jahrzehnte hindurch getan hat.

In welchem Land und zu welcher Zeit wir auch den Gang der Ereignisse betrachten mögen, überall finden wir die Erfahrung bestätigt, daß die Idee der Nationalität in jenem Maß in den Hintergrund tritt, wie die Idee der Freiheit und Gleichheit verwirklicht worden ist, während sich die nationale Sonderstellung nirgends länger erhält, als in absoluten Staaten, selbst wenn die absolute Gewalt zu ihrer Unterdrückung gebraucht wurde.

Nachdem der Plebs in Rom gesiegt, nach den gracchischen Unruhen, hat die ewige Stadt ihre Tore den Fremden geöffnet, das auf Stammesgenossen beschränkte Bürgerrecht wurde erst auf alle italienischen Staaten, später selbst auf eine Unzahl Barbaren ausgedehnt.

In England hat eine freiere Verfassung den zwischen Sachsen und Normannen bestehenden Gegensatz so vollkommen ausgeglichen, daß selbst ausgezeichnete Geschichtsforscher, wie HUME, den Einfluß, welchen derselbe auf die ältere Geschichte Englands ausübte, kaum berücksichtigt haben.

In Frankreich ist seit der französischen Revolution eine Verbreitung des französischen Idioms erfolgt, größer, als es Jahrhunderte des absoluten Königtums aufzuweisen haben.

In der nordamerikanischen Republik und in der Schweiz hat die Verschiedenheit der Sprache alle Wichtigkeit verloren, während ganz nah zu beiden Staaten, in Kanada die Sprachverschiedenheit, zwischen Unter- und Oberkanada - der Meinung L. DURHAMs nach - als einzige Ursache der letzten Revolution zu betrachten war, und die zwischen Deutsch- und Welschtirolern bestehenden Reibungen nur zu bekannt sind.

Selbst in denselben Staaten finden wir das Gefühl der Nationalität in dem Maß lebendiger, oder mehr in den Hintergrund getreten, als gewisse Teile derselben oder gewisse Klassen ihrer Bevölkerung mehr oder weniger nach dem System politischer Gleichheit und Freiheit behandelt werden. So ist nebst dem scharf ausgeprägten Typus des schottischen Volkes der durch Jahrhunderte bestandene Gegensatz gegen England fast verschwunden, während in Irland die Erinnerung an Alles, was man von den fremden Eindringlingen erduldete, fortlebt, und das irische Volk in gut englisch geschriebenen Gedichten und Reden unerschütterlich an seiner Nationalität festzuhalten ermahnt wird. So hat sich das Gefühl der besonderen Nationalität beim ungarischen Adel, welcher in den früheren Verhältnissen politische Freiheit und Gleichheit genoß, verloren, obwohl der Adel aus verschiedenen Nationalitäten gemischt war, und auch durch die Sprache verschieden blieb, während dieses Gefühl im Volk, für welches keine Freiheit und Gleichheit bestand, in viel größerem Maß fortbestand.

Sollen alle diese Beispiele, deren ich nur darum nicht mehr aufzähle, weil es bei einer allgemeinen Erscheinung eigentlich gar keiner Beispiele bedarf, nur dem Zufall zuzuschreiben sein? Und liegt in ihnen nicht vielmehr der klarste Beweis, daß zwischen den Begriffen der Freiheit und Gleichheit einerseits und dem der gesonderten Nationalität andererseits nicht nur in der Idee, sondern auch im Leben ein nie zu beseitigender Gegensatz besteht, welchem früher oder später entweder das Prinzip der Nationalität oder das der politischen Freiheit und Gleichheit unterliegen muß! -

Ich glaube im Vorhergehenden gezeigt zu haben, daß sowohl die Begriffe der Freiheit und Gleichheit - in der Form, in welcher man sie aufgestellt - unter sich, als auch daß beide mit jenem über eine nationale Berechtigung im Widerspruch stehen.

Wenden wir uns jetzt zur zweiten der aufgestellten Behauptungen, und suchen wir uns darüber klar zu werden, ob es wahr ist, daß keiner dieser Begriffe in der aufgestellten Form zu verwirklichen ist, ohne jeden Staat der Gegenwart, wo man dies versucht, aufzulösen! -

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zuerst den Begriffen der Freiheit und Gleichheit zu. Das sie beide in der innigsten Beziehung zueinander stehen, oder richtiger gesprochen, da dasjenige, was man unter Freiheit versteht, eigentlich nur ein Teil der Gleichheit ist, so ist es nicht notwendig, beide Begriffe voneinander zu trennen.

LITERATUR: Joseph Eötvös - Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat, Leipzig 1854

Anmerkungen
Zu Kapitel 1
1) "Il lui faut (á l'état) une force universelle et compulsive pour mouvoir et disposer chaque partie de la maniére la plus convenable au tout. - - Un pouvoir absolu sur tous les siens." ["Es braucht im Staat eine universale und zwingende Macht, um jeden Einzelnen in der geeigneten Weise in Bewegung zu setzen oder aus dem Gesellschaftsleben zu entfernen. Eine absolute Macht über alle Einzelnen."]- Contrat sociale, L. II, Ch. IV.

Schon MONTESQUIEU hat es im Esp. d. C. L. XI. chap. II. ausgesprochen, daß man in Demokratien den Begriff der Gewalt des Volkes mit jenem der Freiheit des Volkes zu verwechseln pflegt (on a confondu le pouvoir du peupe avec la liberté du peuple); doch ist diese Bemerkung trotz aller Verehrung, welche dieser große Denker seit einem Jahrhundert genossen hat, ohne praktischen Nutzen geblieben, und wir müssen bekennen, daß die Verwirrung der Begriffe der Freiheit und Macht des Volkes nie allgemeiner gewesen ist als jetzt.

Wenn wir den Entwicklungsgang fast aller Staaten Europas seit der französischen Revolution aufmerksam beobachten, finden wir, daß es, was die Formen einzelner Institutionen betrifft, das Beispiel Englands war, welches fast überall als Vorbild gedient hat, daß man übrigens im Hinblick auf Prinzipien fast ohne Ausnahme Frankreich gefolgt ist. Der Zweck, den NAPOLEON mit der Kontinentalsperre auf einem anderen Gebiet verfolgt, ist im Hinblick auf die Ideen über die Einrichtung des Staates als vollkommen erreicht zu betrachten. Es ist französisches Gut, mit dem wir auf dem Gebiet der Staatswissenschaften leben, und wie in Frankreich, so sind es überall die Grundsätze ROUSSEAUs, die die Grundlage aller über den Staat aufgestellten Theorien bilden, der Einfluß des contrat social lätß sich im sanften Liberalismus im Staatslexikon von ROTTECK-WELCKER und in den wilden Ergüssen des rohesten Kommunismus mit gleicher Klarbeit nachweisen.

Da nun die ganze Theorie ROUSSEAUs auf der Überzeugung beruth, daß die einzige Freiheit, auf die wir im Staat Anspruch erheben können, in einer gleichen Teilnahme aller an der Staatsgewalt besteht, und nur durch die vollkommenste Unterwerfung des Individuums unter den Willen der Majorität zu erreichen ist, so mußte diese Verwechselung des Begriffs der Freiheit des Individuums mit jenem der Macht der Gesammtheit auch in jene Verfassungen übergehen, denen diese Theorie als Grundlage Gedient hat, bis man endlich so weit gekommen, daß der Begriff der Freiheit sozusagen verlorengegangen ist, und eben ist jenen Verfassungen, wo man die Freiheit als unveräußerliches Recht jedes Menschen anerkannt, von allen Rechten nur dieses einzige, der Staatsgewalt gegenüber jeder Garantie entbehren muß.

Um nicht weitläufig zu sein, will ich zum Beweis dieser Behauptung den Leser bloß daran erinnern, was in dieser Hinsicht in Frankreich geschehen ist. -

Alle Verfassungen von 1791 an haben die Freiheit als unveräußerliches Recht jedes Menschen anerkannt, doch da man in allen auch die absoluteste Souveränität des Volkes als Grundsatz aufgestellt hat, so hat man in diesen Verfassungen für die Gesetzgebung das unbegrenzte Recht, diese Freiheit zu beschränken, ausgesprochen. Alle Verfassungen Frankreichs haben fast mit denselben Worten den Grundsatz ausgesprochen, daß die Freiheit des Einzelnen bloß in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und mit Einhaltung der durch dasselbe vorgeschriebenen Form beschränkt werden kann, über die Grenzen der gesetzgebenden Gewalt haben mehrere dieser Verfassungen gewisse moralische Regeln aufgestellt. So stellt die Verfassung von 1791 z. B. den Grundsatz auf, daß das Gesetz nur solche Handlungen zu verbieten das Recht hat, die für die Gesellschaft schädlich sind, in jener von 1793 ist zu lesen, daß das Gesetz die öffentliche und individuelle Freiheit gegen die Unterdrückung der Regierenden zu schützen hat, dafür aber, damit die Gesetzgebund diese Schranken nicht überschreitet, suchen wir in all diesen Verfassungen umsonst eine Garantie, ja indem sie alle dahin gerichtet sind, alles, was der gesetzgebenden Gewalt auch nur Hindernisse entgegensetzen könnte, aus dem Weg zu räumen, und den Einzelnen .so .vereinzelt .wie .möglich der unendlichen Macht der Gesetzgebung entgegen zu stellen, so muß man bekennen, daß die der gesetzgebenden Gewalt gestellten Schranken ebenso rein ideal sind, als jene Schranken, welche man der Freiheit des Einzelnen gestellt hat, als praktisch unüberwindlich betrachtet werden müssen. Man denke sich einen geordneten Staat, wo das unumschränkte Recht Gesetze zu geben einem Einzigen übertragen ist (eine absolute Monarchie), und wo man zum Schutz der Freiheit des Einzelnen bloß denselben Grundsatz anerkannt hätte, den man in allen neueren Verfassungen aufgenommen hat: daß die Freiheit des Einzelnen nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und mit Beobachtung der gesetzlichen Formen verletzt werden darf; und es wird sicher niemand behaupten, daß die individuelle Freiheit in einem solchen Staat eine Garantie besitzt, und doch beschränkt sich der ganze Unterschied, welcher zwischen einer solchen Verfassung und jener Frankreichs besteht, bloß darauf, daß die absolute Gewalt, der die Freiheit des Individuums unbedingt unterworfen ist, dort einem einzigen erblichen Oberhaupt, hier einer gewählten Versammlung übertragen ist. Theoretisch betrachtet besteht hier wie dort für die Freiheit des Individuums durchaus keine Garantie; - ja nachdem der anerkannte Zweck der französischen Revolution kein anderer war, als daß die Herrschaft des Staates dem Volk übertragen wird, mußte ein Sieg derselben notwendig zur Vernichtung all desjenigen führen, was dieser Herrschaft störend entgegen treten konnte, und hierzu gehört vor allem die Freiheit des Einzelnen.

Die einzige Garantie, welche der individuellen Freiheit in allen Verfassungen der Neuzeit geblieben ist, ist die Überzeugung, daß dort, wo das Recht der Gesetzgebung dem Volk übertragen ist, dasselbe nie zu einer übermäßigen Beschränkung der individuellen Freiheit mißbraucht werden kann. - Die Gesamtheit kann kein anderes Interesse haben, als das allgemeine Beste - so behauptet ROUSSEAU - und da der Schutz der individuellen Freiheit im Interesse jedes Einzelnen liegen muß, so scheint man überzeugt, daß bei Staatseinrichtungen wie die unseren jede andere Garantie überflüssig ist. -

Es ist nicht meine Absicht, hier in eine nähere Beleuchtung dieser Ansichten einzugehen. - Wenn man bedenkt, daß jede Gesamtheit aus Einzelnen besteht, von denen jeder außer den Interessen der Gesamtheit immer auch seine eigenen hat, wenn man bedenkt, daß jede Entscheidung im Staat mit höchst seltenen Ausnahmen nicht von der Gesamtheit, sondern immer nur von Majoritäten ausgeht, und daß das Recht der Gesetzgebung in größeren Staaten immer nur durch die Vertreter des Volkes ausgeübt werden kann, wird man sich leicht davon überzeugen, daß diese Ansicht selbst theoretische nicht zu begründen ist. Ich will hier nur auf die praktischen Resultate aufmerksam machen, welche die in den Verfassungen aufgestellten Grundsätze auf die individuelle Freiheit tatsächlich hervorgebracht haben. Es sind die lois des suspects im Jahre 93, das Gesetz des 14. Fruktidor im Jahre V, jenes des 22. frimaire im Jahr VIII, es sind die Gesetze von 29. Oktober 1815, 12. Februar 1817, 26. März 1820, es ist der Belagerungszustand, den man im republikanischen Frankreich seit 1848 so oft über ganze Gegenden verhängt. - Wie alle Verfassungen Frankreichs seit der Revolution im Hinblick auf die individuelle Freiheit ganz dieselben Grundsätze aufgestellt, so haben diese Grundsätze unter allen Regierungsformen zum selben Resultat geführt, d. h. daß man unter der Republik von 1793, unter dem Direktorium, dem Konsulat, der Restauration, LOUIS PHILIPP und der jungen Republik, die Freiheit des Individuums immer in dem Maß beschränkt hat, als es für den Augenblick notwendig schien, und zwar immer, ohne sich im Mindesten dem Vorwurf einer Verfassungsverletzung auszusetzen. Die Gründe, womit BELLART die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vom 29. Oktober 1815 verteidigt: daß die Verfassung dem Gesetz das unbedingte Recht, alles, was die Freiheit des Einzelnen betrifft, zu regeln, eingeräumt hat, und daß die Charte der Gesetzgebung ninrgends verbietet, ihre Macht und Vorischt so weit auszudehnen, als es das Wohl des Staates erfordert (Moniteur den 20. Oktober 1815), paßt unter allen Verfassungen, welche wir seit 1790 in Frankreich finden; wer kann leugnen, daß die individuelle Freiheit, da, wo solche Grundsätze bestehen, jeder Garantie entbehrt. -

Das Prinzip der Volkssouveränität mag in jener Ausdehnung, in welcher man es anerkennt, dem Wohl des Einzelnen und des Staates förderlich sein, als jenes der individuellen Freiheit, doch ist es mit demselben nicht identisch, und es ist zur Berichtigun so vieler Begriffsverwirrungen in den Staatswissenschaften durchaus notwendig, daß man über den wesentlichen Unterschied, welcher zwischen dem Begriff der individuellen Freiheit und jenem des Rechts an der Herrschaft des Staates teilzunehmen, besteht, ins Klare kommt. Die Herrschaft des Staates und die Freiheit des Individuums begrenzen sich gegenseitig, wo sich jene - wie in den konstitutionellen Staaten der Gegenwart - auf alles erstreckt, ist für diese kein Raum geblieben. -

Zu Kapitel 2
2) Epochen lebhafter Aufregung haben ihre Schlagwörter, deren sich jeder, um nicht von vornherein als Feind behandelt zu werden, möglichst oft bedienen muß. In neuerer Zeit haben alle Parteien die Worte der Freiheit und Gleichheit auf ihre Banner geschrieben; wenn man die Absicht hätte, die Inquisition neu einzuführen, so würden jene, die diesen Zweck verfolgen, heutzutage ihre Forderungen ebenso auf das Prinzip der Freiheit aller Religionen begründen, wie BABEUF und seine Mitverschworenen im Namen der Gleichheit die Armen, die schlecht wohnen, in die Wohnungen der Reichen einführen, und mit den Möbeln, die man diesen genommen hat, die Sansculotten bequem einrichten wollten. Übrigens täuscht man sich, wenn man glaubt, daß die extremsten Parteien, welche das Prinzip der Gleichheit immer nur mit jenem der Freiheit zusammen erwähnen, den Gegensatz beider Prinzipien klar eingesehen haben. Man braucht bloß dasjenige, was uns über die Pläne BABEUFs und seiner Partei bekannt ist (Filippo Buonarotti, Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit, Brüssel 1828) zu betrachten, um sich zu überzeugen, daß die Freiheit des Individuums auch in den despotischsten Staaten nie in dem Maß beschränkt war, als sie durch die Verfassung, von welcher BABEUF und seine Freunde träumten, zum Schutz der Gleichheit beschränkt werden sollte. - CABET und die kommunistischen Schulen unserer Tage haben sich viel Mühe gegeben, alles, was die öffentliche Meinung verletzen könnte, zu vermeiden, und ihre Ansichten in einem möglichst gefälligen Gewand erscheinen zu lassen; übrigens haben auch sie nie Staatseinrichtungen vorzuschlagen vermocht, wobei die Gleichheit anders als durch eine Vernichtung der individuellen Freiheit gesichert werden könnte.

3) Man hat in neuerer Zeit über alles, was sich auf den Staat bezieht, regelmäßige Theorien aufgestellt, auch mit der ganz absoluten Gewalt eines Einzigen ist dies geschehen. Indem man gewöhnlich eine durch das gesamte Volk freiwillig geschehene Übertragung aller Rechte an einen Einzigen, wobei sich dieses gar nichts vorbehalten, als Ursprung der absoluten Gewalt annahm, hat man hieraus eine Reihe logischer Folgerungen gezogen, und auf diese Art eine vollkommene Theorie der despotischen Staatsform aufgestellt. Solange man auf dem Gebiet solcher Theorien bleibt, ist die Behauptung, daß die Freiheit in Staaten, welche auf dem Prinzip der Volkssouveränität begründet sind, mehr als in solchen beschränkt sein kann, welche despotisch regiert werden, unhaltbar. - Wie ARISTOTELES auch immer Recht haben mag, wenn er die absolute Demokratie mit der Tyrannei vergleicht und behauptet, daß zwischen ihnen die höchste Ähnlichkeit besteht (Polit. L. IV. C. 4), so bleibt es doch immer wahr, daß da, wo die Minderheit durch eine Vielheit unterdrückt wird, die absolute Freiheit, welche in despotischen Staaten einem Einzigen zukommt, als das Gemeingut einer Menge betrachtet werden muß. - Anders verhält es sich, wenn wir beide Staatsformen in ihren praktischen Resultaten betrachten; denn hierbei wird sich Jeder überzeugen, daß die Grundlage der despotischen Regierungsform: die ganz unbeschränkte Gewalt eines Einzelnen, praktisch eine Unmöglichkeit ist.

Welche Gewalt man den Despoten auch einräumen mag, er bleibt ein Mensch, an die Gesetze des Raumes, der Zeit und seiner beschränkten Natur gebunden, und wenn man auch annimmt, daß ein Volk durch einen wirklich geschlossenen Vertrag all seinen Rechten habe entsagen wollen, so wird man finden, daß dies nicht in der Macht des Volkes liegt. Es kann seinen Herrscher allmächtig, allwissend, allgegenwärtig nennen, praktisch wird er keines dieser Attribute jemals besitzen, und darum sind auch alle Folgerungen, welche man aus dem Bestehen einer solchen Macht zieht, in sich unrichtig, weil die Voraussetzung, auf welcher sie beruhen, in sich falsch ist.

Die despotische Staatsform ist eine praktische Tatsache, es muß daher, wenn man ihre Fogen richtig beurteilen will, untersucht werden, wie weit sich die in der Theorie unbegrenzte Macht der Despoten praktisch erstreckt, - und der dies getan hat, wird bekennen, daß die individuelle Freiheit des Einzelnen in despotischen Staaten nie so allgemein und regelmäßig beschränkt werden kann, als dies in den auf der Grundlage des Prinzips absoluter Volkssouveränität eingerichteten Polizeistaaten der Gegenwart der Fall ist.

Ich spreche hier nicht von England, der Schweiz oder den nordamerikanischen Freistaaten. Ich werde im Verlauf dieses Werkes Gelegenheit haben, den Unterschied nachzuweisen, welcher zwischen den Verfassungen dieser Länder, wo die konstitutionelle Freiheit auf der Grundlage der Institutionen des Mittelalters in einem natürlichen Entwicklungsgang entstanden ist, und jenen besteht, wo man dieselbe auf dem Grundwerk eines für den Absolutismus eingerichteten Staates errichtet hat. Doch wenn man einen der letzteren Staaten, z. B. Frankreich, aus dem Gesichtspunkt der Beschränkungen, welchen das Individuum praktisch unterworfen ist, mit irgendeinem despotischen Staat vergleicht, wird man finden, daß die individuelle Freiheit im Ganzen genommen in diesem weniger als in jenem Land beschränkt ist.

Ich setze bei meinen Lesern voraus, daß sie mit dem administrativen Organismus der neueren konstitutionellen Staaten bekannt sind, jedenfalls muß ich es ihnen überlassen, sich diese Kenntnis zu erwerben, da eine Beschreibung der Verwaltung Frankreichs und die Vergleichung der durch dieselbe auf die individuelle Freiheit hervorgebrachten Resultate mit den Ergebnissen der türkischen Despotie z. Z. zu weit führen würde, - doch werden einige allgemeine Bemerkungen vielleicht genügen, um obige etwas kühn klingende Behauptung zu beweisen.
    1. Der größte Unterschied, welcher zwischen despotischen und konstitutionellen Staaten der Neuzeit zu finden ist, besteht darin, daß die absolute Gewalt - welche in beiden anerkannt wird - in jenen einem Einzelnen über die Gesamtheit, in diesen der Gesamtheit über jeden Einzelnen zuk>1. Der größte Unterschied, welcher zwischen despotischen und konstitutionellen Staaten der Neuzeit zu finden ist, besteht darin, daß die absolute Gewalt - welche in beiden anerkannt wird - in jenen einem Einzelnen über die Gesamtheit, in diesen der Gesamtheit über jeden Einzelnen zukommen soll. Vergleicht man nun die Grundidee beider Arten von Verfassungen, so findet man, daß die Grundidee der despotischen Staatsform, das Ziel, welches sie erreichen soll, ein in sich unmögliches ist, während der Grundgedanke des konstitutionellen Staates der Neuzeit ein praktisch ausführbarer scheint. Es ist physisch unmöglich, daß ein Einzelner eine absolute Gewalt über alle ausübt, die absolute Gewalt der Gesamtheit über jeden Einzelnen mag uns unrecht d. h. moralisch unmöglich scheinen, physisch ist sie es sicher nicht.

    2. Da die Mittel, welche dem Einzelnen zur praktischen Verwirklichung der ihm theoretisch zukommenden absoluten Gewalt zu Gebote stehen, höchst beschränkt sind, so muß er, um seine Macht zu gebrauchen, einen Teil derselben Anderen übertragen, ja er muß im Gefühl seiner Schwäche einen Teil derselben ungebraucht lassen. Adice nunc, quod qui timetur, timet; nemo potuit terribilis esse secure. [Angst hat auch der, vor dem sich die Menschen fürchten. Niemand hat es geschafft, Terror zu erregen und in Frieden zu leben. - wp] (Seneca), und die einzige Garantie einer despotischen Gewalt liegt ohne Zweifel darin, daß sie die ihr Unterworfenen über die Ausdehnung dieser Gewalt zu täuschen sucht. Wehe dem Despoten, wenn jene Millionen, die ihm unterworfen sind, nicht nur glauben, sondern täglich durch einzelne Unterdrückungen daran erinnert werden, daß sie Sklaven sind. Die Gesamtheit (oder Mehrheit) eines Volkes hat alle Mittel, die ihr rechtlich eingeräumte absolute Gewalt zu gebrauchen, und wenn sie auch einen Teil derselben Einzelnen zu übertragen genötigt ist, so braucht sie die Ausdehnung ihrer Macht doch nicht zu verheimlichen.

    3. Endlich hängt das Maß, in dem man die individuelle Freiheit des Einzelnen Beschränkungen unterwirft, von zwei Dingen ab: von der Leichtigkeit, es zu tun, und vom Interesse, welches man daran hat. In despotischen Staaten ist nie jener Grad der Regelmäßigkeit denkbar, welcher zur fortgesetzten Beschränkung der Freiheit jedes Einzelnen notwendig wäre, und die allgemeine Unordnung, welche in solchen Staaten herrscht, macht für Viele den Genuß eines - und oft bedeutenden Maßes individueller Freiheit möglich; auch wird da, wo das Wohl des Herrschers der einzige Zweck des Staates ist, die Freiheit des Einzelnen nur insofern beschränkt zu werden, als dies der Vorteil des Despoten erfordert, während in den konstitutionellen Staaten der Neuzeit die höchste Ordnung, und insofern man die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichheit als Zweck verfolgt, eine immerwährende Ursache, die Freiheit jedes Einzelnen zu beschränken, besteht.
4) Alle Verfassungen Griechenlands waren, wie TITTMANN (Darstellung der griechischen Staatsverfassungen, Leipzig 1822) sehr richtig bemerkt, demokratisch. Wenn auch ARISTOTELES die Verlosung der Ämter als Erfordernis der Demokratie betrachtet, und Staaten, wo jeder Bürger zu allen Ämtern fähig war (wie in Athen) oder wo (wie in Massalia) jene, die auf Staatsämter Anspruch erhoben, einer Prüfung unterworfen wurden, doch die Besetzung der Ämter durch Wahl geschah, schon darum aristokratisch und oligarchisch nennt, so kann man doch mti der größten Bestimmtheit behaupten, daß selbst jene Verfassungen, welche man mit diesen Namen zu bezeichnen pflegt, demokratischer waren, als - einzelne Kantone der Schweiz ausgenommen - irgendeine Verfassung der Gegenwart. Kein athenischer Bürger war von der Ausübung der höchsten Souveränitätsrechte ausgeschlossen und der Ostrazismus [System der Volksgerichte - wp] dient uns als Beweis, daß es schwerlich je ein Volk gab, welches auf das Prinzip der Gleichheit eifersüchtiger gewesen wäre, als das athenische. Auch hatte das Gesetz in allen Fällen, wo der überwiegende Einfluß einzelner Mächtiger zu befürchten war (z. B. wenn man über eine Erteilung des Bürgerrechts, Ostrazismus oder die Bestrafung Einzelner entscheiden sollte), durch eine sehr zweckmäßige Einrichtung der geheimen Abstimmung dafür gesorgt, daß die Freiheit der Stimmenden gewahrt bleibt, und doch wird Jeder, dem die Geschichte des athenischen Volkes bekannt ist, zugeben, daß immer Einzelne den überwiegenden Einfluß auf die Entscheidungen des Volkes ausgeübt haben. Man braucht bloß ARISTOPHANES oder irgendeinen der Redner zur Hand zu nehmen, um sich über die Art, auf welche man sich auch bei solchen Verhältnissen fast unumschränkte Gewalt erwerben kann, Aufschluß zu verschaffen.

In Rom war es der Demokratie nur nach schweren Kämpfen gelungen, einen Einfluß auf die Leitung der Angelegenheiten des Staates zu erringen. Es war der Streit der Vornehmen unter sich, wobei man sich des Volkes bediente, wodurch dieses endlich mächtig wurde. Bei der gr0ßen Ungleichheit des Vermögens, welche in der Zeit, als man dem Volk in Rom politische Rechte eingeräumt hatte, - bestand, mußte es für alle, die den Massen einen wirklichen Einfluß im Staate sichern wollen, die Hauptaufgabe sein, die Selbständigkeit der Stimmenden zu sichern. - Man hatte alles aufgeboten, um dies zu erreichen, man hat selbst den örtlichen Einrichtungen die größte Aufmerksamkeit gewidmet, und die Lex Maria des suffragiis - wo es sich bloß darum handelte, die Schranken zwischen denen das Volk, um seine Stimmen bei Wahlen abzugeben, durchgehen mußte, enger machen zu lassen, damit die Freunde des zu Wählenden nicht auf demselben Platz stehen und durch Drohung oder Versprechungen auf die Wähler einen Einfluß ausüben können, - war für MARIUS in den Augen des Volkes ebenso eines der größten Verdienste, als ihm der Adel dies nie vergab. Und doch hat man sich der schmählichsten Mittel, um auf das Volk einzufließen, wohl jemals schamloser bedient, als in Rom, wo in Augenblicken wichtiger Wahlen der Zinsfuß des Geldes höher stieg?

5) Die Behauptung CICEROs, daß die geheime Abstimmung eine der Hauptursachen der Verderbnis des römischen Staates gewesen ist, ist sehr leicht zu erklären, wenn man bedenkt, daß sich Männer wie CICERO in einer Zeit demokratischer Ausschweifungen nach den früheren Verhältnissen Roms, wo seine Verfassung noch eine aristokratische war, zurücksehnen mußten und in der geheimen Abstimmung das Mittel erkannten, wodurch die Aristokratie ihres überwiegenden Einflusses auch tatsächlich beraubt wurde. -

6) Es ist eine allgemeine Erfahrung aller Zeiten, daß der Einfluß, welchen Parteien oder Einzelne auf die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten ausüben, in demokratischen Staaten immer am größten ist. Wenn man im Altertum die Geschichte Athens mit jener Roms und in der Geschichte Roms die früheren Zeiten der Republik mit den späteren, wo der demokratische Einfluß immer größer wurde, vergleicht, kann man hierüber nicht im Zweifel sein. THUKYDIDES spricht es (lib. II. c. 65) über das Zeitalter des PERIKLES in Athen ganz klar aus: daß, obwohl die Regierung damals dem Namen nach demokratisch war, doch im Grunde der vornehmste Bürger am Ruder saß, und wie es damals war, war es in Athen zu allen Zeiten - solange sich nämlich das Volk noch nicht fremden Einflüssen verkauft hatte. Immer finden wir Einzelne an der Spitze des Staates, mit einer Machtvollkommenheit, wie sie Königen genügen würde. Man könnte die Geschichte Athens in die Regierungsjahre einzelner großer Männer einteilen, durch Parteikämpfe unterbrochen, die am Ende immer wieder zur Herrschaft eines Einzelnen führten. -

Dasselbe geschah in Rom, aber erst als die Regierung des Staates in die Hand der Demokratie übergegangen war.

Daß sich die Demokrati ihre Führer fast nie aus ihrer Mitte, sondern immer aus den höheren Klassen der Gesellschaft wählt, braucht nicht besonders bewiesen zu werden. Die Rechtsgleichheit hebt den überwiegenden Einfluß, welchen ein langer Besitz der Macht gewissen Klassen gibt, durchaus nicht auf. Einen unbestrittenen Beweis für den ersten Satz finden wir in der Geschichte Roms, wo durch so lange Zeit, nachdem sich die Plebejer das Recht zum Konsulat zu gelangen erkämpft hatten, noch immer Patrizier zu diesem Amt gewält wurden.

Das Volk hat eine natürliche Sympathie zu jeder Jllustration. In einzelnen Fällen zur Jllustrationen des Geistes, aber sehr oft auch zu solchen, die bloß durch Geburt oder Vermögen ausgezeichnet sind.

Will man sich vom Einfluß, welchen Parteien in Demokratien besitzen, durch ein neues Beispiel belehren, so wende man seine Aufmerksamkeit den letzten Wahlen in Frankreich zu und jeder wird gestehen, daß eine ähnliche Unterwerfung des individuellen Willens unter die Meinungen der Partei nur da, wo das allgemeine Wahlrecht in dem Maße, wie in Frankreich, besteht, zu finden ist. Die Ursache liegt darin, weil eine sehr große Zahl von Menschen - das Volk - unendlich mächtig aber auch unendlich unbehilflich ist, und sich im Gefühl dieser Unbehilflichkeit willig der Leitung Einzelner überläßt. -

7) Da der wesentliche Unterschied zwischen einer guten Staatsverfassung jeder Utopie darin besteht, daß eine zweckmäßige Staatsverfassung bloß das Wohl seiner Bürger befördern, die Utopie das Unglück der Staatsglieder unmöglich machen soll, so muß - in jeder Utopie dem Staat eine unumschränkte Gewalt, wodurch er den Einzelnen, der sich etwa durch den Gebrauch seines freien Willens unglücklich machen könnte, zu seinem Glück zwingen kann, - eingeräumt werden. - Die Vernichtung der individuellen Freiheit ist die Hauptbedingung, sozusagen, der Grundstein jeder Utopie.

Je nach den Fähigkeiten und der Klugheit der einzelnen Verfasser solcher Staatsromane tritt die Beschränkung des Individuums in roherer oder zarterer Form auf. D. VAIRASSE stellt z. B. in seiner "Histoire des Seravambes", 1677, zur Erreichung des höchsten irdischen Glücks Bedingungen auf, die die meisten seiner Nachfolger nicht gut heißen würden. Das Gesetz, daß bei dem jährlichen Verehelichungsfest, wobei die Mädchen den Antrag zu stellen, die Jünglinge jedoch das Einwilligungsrecht haben, die nicht zur Ehe gelangenden Jungfrauen sich einen der höchsten Staatsbeamten zum Gatten wählen können, - wird manchem Utopisten als lächerlich erscheinen; der Vorschlag, daß das Oberhaupt des Staates (der Statthalter der Sonne) eine unumschränkte lebenslängliche Gewalt besitzen, und die anzuwendenden Strafen großenteils in körperlichen Züchtigungen bestehen sollen, ist nach den Ansichten unserer Zeit wenig einladend; übrigens ist von D. VAIRASSE bis zu CABETs Ikarien, wo jeder Bücher schreiben, doch nur ein Gesetz den Druck erlauben kann, und von PLATO bis zu VAIRASSE jede Utopie mit einer Reihe persönlicher Beschränkungen verbunden, wie wir sie selbst in despotischen Staaten nicht finden. Und wenn wir die Reformvorschläge der Sozialisten nicht den Utopien beizählen wollen, so werden wir doch finden, daß, was die Beschränkung der individuellen Freiheit betrifft, zwischen diesen und jenen kein Unterschied besteht. Wollen wir die Folgen, welche der Sozialismus auf die individuelle Freiheit ausüben würde, an einem praktischen Beispiel sehen, so müssen wir unsere Aufmerksamkeit den Klöstern zuwenden. In den Klöstern finden wir alles, was zu einer sozialistisch eingerichteten Gesellschaft nötig ist: Aufhebung des individuellen Eigentums, Gemeinsamkeit der Genüsse und Beschäftigungen, die Leitung der allgemeinen Allgemeinheiten durch ein gewähltes Oberhaupt oft mit bedeutendem Einfluß der Mitglieder. Wenn wir dieses Institut näher beobachten, so finden, daß religiöse Gemeinschaften in so günstige Verhältnisse gestellt sind, wie wir sie bei keiner sozialistischen Gesellschaft erwarten können. Zum großen Teil auf einer höheren Bildungsstufe stehende Mitglieder infolge religiöser Begeisterung ein hoher Grund der Sittlichkeit, alle materiellen, Bedürfnisse durch einen oft sehr großen Besitz gesichert, - all das finden wir in Klöstern, - und doch beruth jede körperliche Institution auf dem vollkommenen Aufgeben der Individualität.

8) Wenn die Zivilisation älter wird, treten auch ihre Fehler in den Vordergrund und es entsteht eben bei ausgezeichneten Geistern eine Reaktion gegen dieselbe, welche sich in der Begeisterung für Naturzustände äußert. Eben weil es die Bestimmung des Menschen ist, immerfort zu streiten, kann uns das Bestehende nie ganz befriedigen. - Unser Geist sehnt sich nach einem Ruhepunkt, und da dieser nur am Ende oder im Beginn unserer Zivilisation zu finden ist, so muß sich der Mensch, nachdem jener außerhalb des Kreises seines Fassungsvermögens liegt, mit besonderer Vorliebe diesem zuwenden. - Auch im Altertum finden wir diese Richtung und TACITUS Germania liefert uns den Beweis, daß nicht nur Dichter, sondern auch Staatsmänner Beschreibungen des Naturzustandes zur Entwicklung ihrer Ideen gebraucht haben. - Daß man aber solche Beschreibungen als Grundlage der Staatswissenschaften gemacht hat, ist eine Eigentümlichkeit der neueren Zeit, und sicher der klarste Beweis, wie sehr man in diesen Wissenschaften die Erfahrung nicht nur unberücksichtigt gelassen hat, sondern wie wenig man sich in seinen Behauptungen stören ließ, wenn dieselben auch mit der täglichen Erfahrung in einem offenbaren Widerspruch standen. -

Nachdem Amerika entdeckt war, war es nicht mehr notwendig, sich den Menschen im Naturzustand zu denken. Er war gefunden. Tausende von Reisenden hatten die durch die Zivilisation unverdorbenen Söhne der Wildnis gesehen. In Peru und Mexiko sah man Staaten, die sich aus dem Naturzustand vor Kurzem entwickelt haben, und wo man als erste Form der bürgerlichen Ordnung die größte Despotie begründet fand. Man ließ sich durch all dieses in seinen Träumen nicht stören und der Zustand der Natur mußte nach wie vor als Zustand des Glücks betrachtet, die bürgerliche Ordnung mit einem Vertrag, worin sich alle die Freiheit sicherten, begonnen werden.

ROUSSEAU, dessen größtes Verdienst die Offenheit ist, mit der er die Folgen seiner Grundsätze selbst ausspricht, ist auch hierin weiter gegangen als andere. Niemand außer ihm hätte Völkern, deren Meeresufer mit Klippen besäet und für die Schiffahrt untauglich sind, den Rat gegeben, als beste Staatsform Barbaren und Ichthyophagen [Fischesser - wp] zu bleiben (Cont Soc. L. II. ch. 11). Übrigens finden wir dieselbe Ansicht auch bei Anderen, und man täuscht sich, wenn man hierin bloß den Einfluß der Mode sehen will. Sie übt ihren Einfluß auf Wissenschaften ebenso wie auf Kleider, übrigens liegt die Ursache der Vorliebe, welche alle Schriftsteller des 18. Jahrhunderts für den Naturzustand äußern, in der Richtung der Wissenschaft.

Wenn man die Freiheit und Gleichheit (zwei Begriffe, deren jeder auf einer Negation beruth) als den Zweck des Staates und den Besitz derselben als das höchste Glück betrachtet, so muß ein Zustand, wo die Freiheit durch den Staat gar nicht beschränkt wird, weil noch kein Staat besteht, und wo es keien Glücksgüter gibt, wodurch die Gleichheit gestört werden könnte, als höchst wünschenswert erscheinen. -

9) Die vollkommene Gleichheit Aller steht mit der absoluten Gewalt eines Einzelnen theoretisch nicht im Widerspruch, und die vollkommenste Despotie kann, wie HOBBES gezeigt hat, mit der größten Folgerichtigkeit aus der aequalitas naturalis [natürliche Gleichheit - wp] abgeleitet werden. Das Prinzip der Gleichheit ist aber auch praktisch sehr oft zur Begründung einer absoluten monarchischen Gewalt benützt worden. Man braucht bloß die Geschichte der politischen Entwicklung des 18. Jahrhunderts zu studieren, um sich hiervon zu überzeugen. In keiner Zeit war das Königtum so absolut gewesen, nie hat es alle Schranken so durchbrochen, als damals, und doch ist das Prinzip der Gleichheit eben damals von Portugal bis Rußland überall anerkannt und als rechtliche Grundlage der unbeschränkten Gewalt gebraucht worden.

Man nehme die Verordnungen POMBALs oder die Instruktion zur Hand, welche KATHARINA II. der zur Verfertigung des Entwurfs zu einem neuen Gesetzbuch verordneten Kommission herausgegeben, und man wird das Prinzip der Gleichheit hier wie dort anerkannt, ja die Verwirklichung desselben als einen der wichtigsten Zwecke der Regierung verkündet finden.

Derselbe Geist tritt uns im "Allgemeinen Gesetzbuch für Preußen", dessen Entwurf der Regierung FRIEDRICH des Großen angehört, entgegen, und Jeder weiß, was Kaiser JOSEPH für das Prinzip der Gleichheit in Österreich getan hat, - und doch wird niemand weder von POMBAL noch von irgendeinem dieser Regenten behaupten wollen, daß sie diese Bahn betreten haben würden, wenn sie das Prinzip der Gleichheit für ihre absolute Gewalt gefährlich gehalten hätten. Wie das Prinzip der absoluten Gleichheit fast jedes Volk der Herrschaft eines Einzigen zugeführt hat, so hat diese im Prinzip der Gleichheit immer eher einen Schutz als eine Gefahr seiner Macht erkannt, und es ist ein großer Irrtum, wenn man die sogenannte freisinnige Richtung des absoluten Königtums im 18. Jahrhundert einer Verblendung, unter welcher damals alle Regierungen gelitten haben, zuschreibt. So weit die Geschichte zurückreicht, hat dieser Bund zwischen absoluten Herrschern und dem Demos [Volk - wp] immer bestanden, und - wie sich selbst NERO gegen die niedersten Klassen des Volkes herablassend, ja menschlich gezeigt hat, - so sind bei diesen fast immer eben jene Herrscher am populärsten gewesen, die ihre absolute Gewalt am schonungslosesten geübt haben. Die Ursache dieser Erscheinung ist sehr leicht zu erklären. Der absolute Herrscher und die niederen Schichten des Volkes haben einen gemeinsamen Feind. Beide glauben ihre Stellung durch die Selbständigkeit jener Klassen, welche zwischen ihnen sind, bedroht. - Es ist die Freiheit der Mittelschicht, worin der Despot eine Gefahr seiner Macht, und der Proletarier die Quelle seiner materiellen Leiden sieht, darum vereinigen sie sich beide gegen diesen gemeinsamen Feind.

10) ARISTOTELES bemerkt in seiner Staatskunst: daß die Tyrannei in älteren Zeiten am häufigsten aus der Demagogie und dem Kampf des Volkes gegen die Oligarchie hervorgegangen ist. Die ganze Geschichte Griechenlands ist als Beweis dieses Satzes anzuführen. PISISTRATUS war das Haupt der demokratischen Partei der Diakrier gegen die Pediäer (oder Reichen). Die Gunst der Menge verschaffte ihm die Leibwache, die ihm zur Gründung seiner Herrschaft verhalf. Es war der Wille des Volkes, welcher die Tyrannis des KYPHELUS in Korinth gegen die Oligarchie der Bakchiaden begründete. KLISTHENES zu Sycion, KLEARCHUS zu Heraclea am Pontus, ARISTODEMUS zu Kumä, DIONYSIUS der Ältere und AGATHOKLES zu Syracus begründeten ihre Herrschaft auf ähnliche Weise usw. usf. Überall sind jene Mittel, welche Einzelne zur Unterdrückung der Freiheit benützten, denselben durch Volksbeschlüsse übertragen worden.

Lange, bevor in Rom die bürgerliche Freiheit untergegangen war, hatte man die Gefahr, welche der Republik durch die Demokratie drohte, eingesehen, und wir finden der Beispiele viele in der römischen Geschichte, wo Einzelne, boß weil sie um die Gunst des Volkes buhlten, des Bestrebens nach einer tyrannischen Gewalt angeklagt, ja selbst mit der Einwilligung des Volkes verurteilt wurden. Die Tyrannei der Decemvirn, die unbeschränkte Gewalt des MARIUS und SULLA, des POMPEJUS, CÄSAR und der Triumvirn haben alle einen ähnlichen Ursprung, bis endlich das Imperium des AUGUSTUS begründet war und der Rechtsgrund für die Allmacht der Cäsaren wieder im Prinzip der Volkssouveränität gefunden wurde (Pandectae, Fr. 1. pr. D. 1. 4.).

Zu Kapitel 3
11) Die Ursache, wegen welcher man bei der ersten französischen Revolution, auch nachdem jede politische Bevorzugung und alle praktisch wichtigen Vorrechte des Adels vernichtet waren, die Aufhebung aller Adelstitel mit solchem Eifer betrieb, ist bloß in der festen und zum Teil richtigen Überzeugung zu suchen: daß jede privilegierte Klasse nach politischer Herrschaft streben muß. Ist die Bevorzugung, die sie besitzt, auch noch so klein, so liegt schon darin eine Gefahr für die Gleichheit: daß eine Klasse von Bürgern besondere - von jenen aller Staatsbürger verschiedene - Interessen hat, deren Verteidigung zwischen den Gliedern derselben ein Band bildet. Darum hat sich auch, trotzdem im Jahr 1848 die Bestrebungen der Revolution durchaus nicht gegen den Adel gerichtet waren, daß ein großer Teil desselben sich der Republik unmittelbar anschloß, und daß sich selbst im revolutionärsten Teil des Volkes durchaus keine Aufregung gegen den Adel als solchen, sondern nur, sofern ein Teil desselben der verhaßten Geldaristokratie angehörte, gezeigt hat, - dieselbe Erscheinung hat sich auch bei der Februarrevolution wiederholt. (Const. 1848. Art. 10)

Dieselbe - man könnte sagen, instinktmäßige - Abneigung der Demokratie gegen jede Auszeichnung finden wir in Amerika, wo der Plan, den Cincinnatus-Orden zu begründen, zu seiner Zeit selbst gegen WASHINGTON die größte Aufregung erzeugt hat. (S. Sparks, Life of Washington).

12) Der Vorzug, welchen gewisse Klassen oder Individuen im Staat genießen, beruth entweder auf der persönlichen Achtung, deren sie teilhaftig sind, oder auf Besitz. Solange der Name und der Besitz erblich sind, muß es daher auch jene Bevorzugung bleiben, die mit beiden verbunden ist. Will man dies vermeiden, so gibt es kaum ein anderes Mittel, als jenes, welches die katholische Kirche im Zölibat für ihre Glieder eingeführt hat. - Ist die Idee, daß eine gewisse Stellung im Staat durch Erblichkeit erlangt wird, eine unvernünftige, so kann sich wenigstens die Pluto- oder Timokratie unserer Zeit nicht hierauf berufen, und die LAFITTEs oder PERIERs der Gegenwart haben den LAROCHE-FOUCAULDs oder MOMORENCYs der Vergangenheit höchstens das vorzuwerfen, daß diese ihre Stellung länger erhalten haben. - Soll eine privilegierte Klasse nicht zur Kaste werden, so kann sie nich abgeschlossen bleiben und muß daher außer der Erblichkeit noch andere Wege anerkennen, wodurch sie zum Genuß ihrer Rechte gelangen kann. Auch in dieser Hinsicht besteht jedoch die größte Analogie zwischen den privilegiertesten Klassen und Nationalitäten, nachdem das Recht, einer gewissen Nationalität anzugehören, außer der Geburt noch auf anderen Wegen, z. B. durch eine gesetzliche Naturalisation oder für gewisse Verdienste usw. erlangt werden kann. -

13) Man hat die Nacht vom 4. August die Bartolomäusnacht des Eigentums genannt, und die verderbliche Richtung, welche die französische Revolution später genommen hat, der unüberlegten Begeisterung zugeschrieben, durch welch sich die Konstituante an diesem Tag hinreißen ließ; doch ist dieses Urteil meiner festen Überzeugung nach ein ganz irriges. Von allen Beschlüssen dieser berühmten Nacht ist keiner, den wir nicht als notwendige Folge der bei der Diskussion der Menschenrechte anerkannten Grundsätze betrachten müssen, keiner derselben war zu vermeiden, und das Einzige, was uns den 4. August merkwürdig macht, besteht darin, daß wir eine Entwicklung, welche im ruhigen Gang der Dinge Monate gebraucht hätte, in einigen Stunden vollendet sehen. - Die Sitzung vom 4. August ist das Vorbild der ganzen Revolution; und so kurz und ungeregelt die Diskussion war, welche das ganze Gebäude des alten französischen Staates zertrümmert hat, so wird doch einem jedem aufmerksamen Beobachter aus ihr klar werden, daß Grundsätze, wenn man sie einmal allgemein anerkannt hat, alle Rücksichten der Klugheit und des persönlichen Eigennutzes zu überwinden fähig sind. Ohne Zweifel war die Absicht des größeren Teils der Konstituante, die den Motionen ROAILLES und AIGUILLONs jubelnden Beifall gezollt haben, bloß darauf gerichtet, die Vorrechte des Adels und der Geistlichkeit abzuschaffen. - Durch ihr Cahiers gebunden, konnte sich ein großer Teil der Volksvertreter nicht einmal dazu berechtigt glauben, den Vorrechten ihrer Provinzen zu entsagen, und Mehrere haben hierauf aufmerksam gemacht; doch wie nichts mehr von den Privilegien der bevorrechteten Klassen übrig war, mußte die Reihe auch auf diese kommen, und die Erklärung der Vertreter der bretagnischen Geistlichkeit, daß sie durch Aufträge gebunden den Rechten ihrer Provinz entsagen können, der Vorbehalt des Deputierten von Arles und Anderer, daß sie die Entscheidung ihrer Mandate abwarten müssen, konnte der unwiderstehlichen Gewalt der einmal anerkannten Grundsätze ebensowenig widerstehen, als es einzelnen Vertretern möglich war, nach dem sie alles Übrige aufgegeben hatten, ein oder das andere Vorrecht ihrer Provinz oder Stadt dessen Schutz man ihnen besonders aufgetragen hat, zu erhalten.

Wenn man auch parlamentarischen Versammlungen infolge des Prinzips der Volkssouveränität eine ganz absolute Gewalt einräumt, so ist es doch ein Irrtum, zu glauben, daß sich ihre Macht auch darauf erstreckt, die Grenze, bis zu welcher sie in der Anwendung gewisser Grundsätze gehen werden, zu bestimmen. Wo eine Diskussion besteht, sind es die Gesetze der Logik, denen am Ende alles unterworfen ist, und es steht nicht in der Macht des Menschen, ihnen zu widerstehen. So sehr man sich auch einige Zeit gegen die Flut stemmen mag, endlich reißt sie uns fort, und wie die absolute Gewalt des Einzelnen durch die engen Grenzen seiner persönlichen Kräfte beschränkt ist, so ist es die absolute Gewalt von Versammlungen durch die Notwendigkeit, sich zu bewegen und durch die Unmöglichkeit, dies anders als in einer gewissen Richtung zu tun. Es ist das Schicksal jeder gesetzgebenden Versammlung, daß sie trotz allen Widerstrebens am Ende immer folgerichtig sein muß. -

14) Es ist eine ganz überflüssige Mühe, wenn man die Vorzüge des Adels aus dem Zweck herauszuheben versucht, um die Menschen davon zu überzeugen, daß diese Institution da, wo man sie vernichtet hat, hergestellt werden soll. Alles Große und Gute, was der Adel für einzelnen Länder geleistet hat, beruth auf Grundlagen, die zu sehr erschüttert sind, um irgendein festes Gebäude tragen zu können. Man mag England, wo der Adel noch eine feste Stellung einnimmt, darum ebenso beneiden, wie um seine bürgerliche Freiheit, die es in höherem Maß als irgendein anderes Land genießt, doch es nachzuahmen steht besonders dort, wo man bloß einige Hofchargen abzuschaffen und die Etikette zu verändern braucht, um den Adel zu vernichten, in keines Menschen Macht. Man kann dem großen Besitz eine einflußreiche Stellung im Staat einräumen, ein Teil, ja vielleicht der stärkere der größeren Besitzer, kann seiner Abstammung nach dem früheren Adel angehören, den übrigen kann man Titel, Wappen, Kronen, überhaupt das ganze Schaugepränge des Adels verleihen; auch wird - solange Familienbande dauern - das Bewußtsein, von einem Geschlecht abzustammen, welches eine hohe Stellung im Land eingenommen hat, auf Viele mächtig wirken, und da der Glaube, zu etwas Höherem berufen zu sein, und das Gefühl, daß es unsere Pflicht ist, mehr als das Gewöhnliche zu leisten, einer der mächtigsten Hebel edler Taten ist, so kann das Bewußtsein hoher Geburt Einzelne zu den edelsten Taten anspornen, doch wird jede noch so kunstreich eingerichtete Pairskammer dem früheren Adel nur ebenso gleichen, wie das Bürgerkönigtum in Frankreich der Monarchie, welche ihm vorangegangen sind, wie überhaupt Dinge, die man selbst gemacht, solchen, die man für unerschütterlich gehalten hat, gleichen können, ja nicht einmal so. Denn wenn man auch darüber in Zweifel ist, ob die Restauration des Königtums in Frankreich möglich ist, die Restauration einer ganzen Klasse in ihre vorige Stellung ist es sicher nicht, und da die französische Revolution die Gleichheit des souveränen Guldens ohne Rücksicht auf seinen Ursprung definitiv erkämpft hat, so liegt es sehr im Interesse des Standes, daß man sich in dieser Hinsicht keinen Täuschungen hingibt. -

Nicht darum, weil man das Unmögliche versuchen, und dem, was nicht mehr lebt, einen neuen Kreis der Wirksamkeit anweisen will, ist es notwendig, daß man endlich gerechter über die Vergangenheit urteilen soll; doch wie es der Demokratie wahrlich übel ansteht, wenn sie, wie FALSTAFF an HOTSPUR den entfesselten Leichnam des Adels, ums sich noch mehr zu sichern, mit neuen Wunden durchbohrt, so gibt es noch andere Gründen, wegen deren man die einseitige Art, in welcher man sie his jetzt über den Adel geurteilt, endlich aufgeben sollte; der wichtigste derselben ist; daß jene edlen und großen Eigenschaften, welche der Adel einst entwickelt, jetzt, nachdem an die Stelle desselben andere Klassen getreten sind, durch diese nachgeahmt werden sollten.

Als die Plebejer Romes nach langen kämpfen für die volle Gleichheit mit den Patriziern errungen hatten, ist keine der großen Eigenschaften, welche man bei konsularischen und senatorischen Männern in früherer Zeit gekannt hatte, untergegangen. Die Plebejer waren an die Stelle der Patriezier getreten, nicht nur vor dem Gesetz, sondern in ihren Gesinnungen, die allem, worauf sich der Stolz ihrer Vorgänger gründete. Es war eine große für Rom segensreiche Revolution, als die Leitung des Staates dem engen Kreis der patrizischen Familien entzogen wurde, doch sie bestand nur darin, daß sich die Zahl jener Bürger, auf die Rom stolz sein konnte, verzehnfacht hatte. Nachdem nun in neuerer Zeit der Tiers êtat und an vielen Orten das ganze Volk an die Stelle einer beschränkten Klasse getreten ist, besteht die Aufgabe der Demokratie darin, sich alles, was ihre Vorgänger ausgezeichnet hat, anzueignen. Nur wenn sie das feine Ehrgefühl des Gentleman zum Gemeingut von Millionen gemacht hat, nicht, wenn sie alles zum Pöbel erniedrigt, können wir das Resultat der Revolution ein segensreiches nennen. Diejenigen, denen man die absolute Gewalt im Staate übertragen hat, bedürfen der Schranken viele, und die Gesetze der Ehre und Ritterlichkeit, die man nur solange für Vorurteile halten kann, als sie ausschließlich durch eine Klasse in Anspruch genommen worden sind, - sind für solche, die keine Schranken als die des eigenen Willens anzuerkennen brauchen, sicher nicht überflüssig.

15) Wenn es in der Geschichte des Altertums etwas gibt, wobei wir trotz aller Bewunderung zur Überzeugung kommen müssen, daß unsere Zivilisation zumindest sittlich höher steht, so sind es die zahllosen Beispiele empörender Grausamkeit, welche man im Altertum an ganzen Völkern verübte, und noch mehr die Art, in welcher solche Ereignisse durch die Geschichtsschreiber jener Zeit gewöhlich erzählt werden. - Man nehme THUKYDIDES zur Hand und lese die Art, in welcher er die Vertreibung der Delier mit Weib und Kindern bespricht, oder erzählt, daß, "nachdem die Athener die Scionäer zur Übergabe zwangen, die junge Mannschaft erwürgt, die Weiber und Kinder zu Sklaven gemacht hatte und das Land den Platäensern zur Wohnung eingeräumt wurde"; und man wird mir Recht geben. Die Zeit, in der sich diese Dinge zugetragen haben, war eine hoher Bildung, und THUKYDIDES ein Mann, der sich nie durch eine parteiische Vorliebe seines Vaterlandes hinreißen ließ, und dem bei der Beurteilung einzelner Handlungen niemand das feinste moralische Gefühl ableugnen wird; und doch gibt es heutzutage kein auch auf der tiefsten Stufe der Gesittung stehendes christliches Volk, welches auf ähnliche Art, wie das athenische, handeln und keinen Schriftsteller, welcher eine solche Tat ohne ein Wort der Mißbilligung erwähnen würde. - Aus der Geschichte Roms ist es überflüssig, einzelne Beispiele anzuführen; ist ja doch die ganze Geschichte eine Reihenfolge empörender Grausamkeiten, die an allen Völkern, mit welchen die ewige Stadt in Berührung kam, verübt wurden. Ob der Krieg gegen italische oder afrikanische Völker, ob er in Gallien, Spanien oder Karthago geführt wurde, es ist dieselbe Schonungslosigkeit, die wir überall finden, und auf welche der persönliche Charakter des Feldherrn fast ohne Einfluß war. Der jugurthinische Krieg kann uns hierfür als Beweis dienen. Ob die Legionen Roms durch den hochgebildeten METELLUS oder den rohen MARIUS befehligt werden, die Art, ihn zu führen, bleibt dieselbe, und SALLUST gebraucht für die Taten beider Fehlherrn sogar dieselben Ausdrücke, indem er ganz ruhig erzählt: "Numidae puberes interfecti alii omnes venem dati etc." - - CÄSAR war nicht grausam, ja wir finden mehr Humanität bei ihm, als bei den meisten großen Männern des Altertums und doch enthält seine Geschichte des gallischen Krieges Taten der Grausamkeit, die uns unbegreiflich erscheinen, und alle diese Taten wären sicher nie begangen worden, wenn die gegen fremde Völker auf das Äußerste getriebene Grausamkeit nicht dem Willen des römischen Volkes gemäß gewesen wäre. - Welches auch die Verbrechen einzelner privilegierter Klassen sein mögen, man wird nichts finden, was diesem zu vergleichen wäre. - Beispiele solcher von einem Volk am anderen in neuerer Zeit geübter Grausamkeiten, deren wir leider einige erlebt haben, ist es überflüssig anzuführen. -

Der Einzelne hat ein Herz, Massen nie, und ein Volk ist zu groß, um Barmherzigkeit zu erregen; darum ist auch der Zusammenstoß zwischen Volk und Volk immer der grausamste. - Mögen Jene, die sich so viel Mühe geben, den schlummernden Haß zwischen Nationen aufzuregen, dies wohl bedenken, ehe sie eine Saat ausstreuen, aus der nicht die Größe ihres Volkes, sondern das Unglück und die Entmenschlichung aller erwachsen muß. -

16) Abgesehen davon, daß eine Unterdrückung, wie sie die niederen Kasten in Indien zu erdulden haben, schwer anders zu erklären ist, als wenn man eine gewaltsame Unterjochung des Landes als der Verfassung vorangegangen annimmt, so ist die ganz verschiedene Gesichtsfarbe der höheren Kasten, die sich in Indien bei der Gesondertheit, in welcher dieselben untereinander leben, bis auf unsere Tage erhalten hat, wohl der klarste Beweis einer verschiedenen Abstammung.

Im alten Griechenland gab es in mehreren Staaten einzelne Klassen, welche zinspflichtig waren oder um Lohn dienten. Die Heloten der Lakedämonier, die Penesten der Thessalier, die Klaroten und Meoiten in Kreta usw., überall ist dieses Verhältnis aus der Unterjochung einzelner Stämme entstanden. So wurden die Messenier, nachdem man sie unterworfen hatte, zu Heloten gemacht, so gerieten die Penesten, erst nachdem sie besiegt waren, in das Verhältnis von Dienstbarkeit gegenüber den Thessaliern; dasselbe läßt sich im Hinblick auf die Klaroten in Kreta nachweisen. Überall, wo ein solches unterwürfiges Verhältnis bestand, ist dasselbe - wie TITTMANN (Darstellung der griechischen Staatsverfassungen) im Allgemeinen behauptet - nicht beim ersten Zusammentreten zu einem Staatsverhältnis, sondern durch eine spätere Unterjochung entstanden.

17) Alle Staaten des westlichen Europa sind durch Eroberung entstanden und diese Eroberung hat nicht nur allen Besitzverhältnissen, sondern auch der höheren Stellung, welche ein Teil der Einwohner jedes Landes über die übrigen eingenommen haben, als Grundlage gedient. Wie fast alle Gesetzgebungen der Barbaren im Hinblick auf das Wehrgeld und alle Strafen Unterschiede zwischen den Eroberern und den Unterjochten aufgestellt haben, so hat man später, als in den einzelnen Ländern allmählich die nationalen Unterschiede aus der Gesetzgebung verschwanden, den Nachkommen dieser Eroberer eine privilegierte Stellung eingeräumt, und sie als Adel jene Vorzüge - zumindest größtenteils - fortgenießen lassen, die ihre Ahnen mit dem Schwert erworben hatten. Nur wenn wir uns an diesen Ursprung des Adels erinnern, wird es uns erklärlich, wie sich die Privilegien desselben in fast allen Ländern auf eine so große Zahl ausdehnen konnten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei den vielen Fällen, wodurch das Adelsrecht erworben oder verwirkt werden konnte, die Rassenverschiedenheit, welche zwischen dem Adel und den übrigen Landsassen im ersten Augenblick bestand, längst aufgehört hat. VOLTAIRE hat ganz Recht, wenn er dem Abbe Véli scherzend zuruft: "Hé, mon ami, est il bien sûr que tu descendes d'un franc? Pourquoi ne serait - tu pas d'une pauvre famille gauloise?" Übrigens ist die Behauptung, daß der Ursprung des Adels in der Eroberung zu suchen ist, nicht weniger richtig. In England und Frankreich wird es jede Familie als einen ihrer schönsten Titel betrachten, wenn sie ihre Ahnen bis zu den Eroberungen der Normannen oder Franken zurückführen kann, und überall wird jener Adel am höchsten geachtet, dessen Ursprung nicht au eine in aller Form vollzogene königliche Verleihung zurückgeführt werden kann.

18) Wie ANACHARIS CLOOTS, so hat auch BABEUF und überhaupt die ganze extreme Partei der französischen Revolution den Widerspruch, in welchem die Trennung des Menschengeschlechts in verschiedene Nationalitäten mit den Prinzipien der Gleichheit und Freiheit steht, klar eingesehen, und man braucht bloß die in Belgien, Deutschland oder Italien durch die Kommissäre des Konvents oder des Jakobiner-Clubs herausgegebenen Manifeste zu lesen, um sich zu überzeugen, mit welcher Klarheit man damals von Seiten Frankreichs zu beweisen wußte: daß es Torheit ist, wenn einzelne Völker an ihren alten nationalen Unterscheidungen noch fest halten. In einer Zeit, wo Frankreich angeblich das Banner der Freiheit trug und seine Grenzen als Eroberer überschritten hatte, konnte die Anerkennung dieser Grundsätze seiner Vergrößerung nur günstig sein; der Sinn derselben war kein anderer, als daß sich alle Völker eilen sollen, womöglich bald zu Frankzosen zu werden. Doch hat man in Frankreich auch die Schwierigkeiten, welche das Bestehen verschiedener Sprachen in einem nach den Grundsätzen der Revolution eingerichteten Staaten nach sich zieht, schon damals eingesehen, und dieselben durch Gesetze zu beseitigen gesucht. Siehe hierüber BARÉRES Vortrag am 8. Pluv. J. 2, worin unter anderem am Schluß Folgendes zu lesen ist:

"C'est un fédéralisme indestructible que celui qui est fonde sur le defaut de communication des pensées. Nous avons revolutionné le gouvernement, les lois, usages, les moeurs, les costumes, le commerce et la pensée même; revolution nous donc aussi la langue, qui en est l'instrument journalier.

Vous avez décrété l'envoi des lois à toutes les communes de la Republique: mais ce bien fait est perdu, pour ceux des departements que j'ai déjà indiquès. Les lumiëres portées a grand frais aux extrémités de la France s'éteignent en y arrivant, puísque les lois n'y sont pas entendues.

Le fédératisme et la superstition parlent bas-breton; l'émigration et la haine de la Republique parlent allemand; la contre-revolution parle l'italien, et le fanatisme parle le basque.. Cassons ces instruments de dommage et d'erreur."