![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() | ||||
Nikolas Tetens - Psychologische Aufgaben [1/2]
Einleitung Diesem Umstand und dann auch dem bald darauf folgenden Erscheinen der Hauptwerke KANTs ist es zuzuschreiben, daß die Moralphilosophie von TETENS keine Beachtung gefunden hat ja bis heute sozusagen unbekannt geblieben ist. STÖRRING hat nachgewiesen, daß die Erkenntnistheorie von TETENS eine Synthese von HUME und LEIBNIZ bedeutet. Dasselbe ist von seiner Moralphilosophie zu sagen. Auch sie faßt die englische Einheit zusammen. Aber während KANT in seiner Ethik die englischen Bestandteile abgelehnt hat, ist er dafür im übrigen vielfach von TETENS abhängig. Aber nicht nur diese bisher nicht beachtete historische Bedeutung als Vorläufer des Moralphilosophen KANT ist es, die eine eingehende Beschäftigung mit TETENS nötig macht, sondern ebenso wichtig ist es, daß er darin gewürdigt wird, worin KANT ihm nicht gefolgt ist, nämlich in seiner Darlegung der Entwicklung der moralischen Wertschätzungen. Mit seinem Interesse für die höchsten Probleme der Moralphilosophie verbindet er ein Verständnis für alle elementaren Vorgänge. Eine gerechte Nachwelt wird ihm einen Platz unter den größten Moralphilosophen einräumen. Die eingehende und klare Behandlung derjenigen psychischen Vorgänge, die dem moralischen Tatbestand zugrundeliegen, sowie die Verwandtschaft mit HUME einer- und mit LEIBNIZ-WOLFF andererseits bedingen es, daß die Ethik von TETENS zugleich eine klassische Einführung in das Studium dieser Wissenschaft genannt werden darf. Die Empfindsamkeit 1. Kapitel Die Unterscheidung von Empfindung und Empfindnis (1) WUNDT sagt von TETENS, daß er zum Erkenntnis- und Begehrungsvermögen WOLFFs das Gefühlsvermögen hinzufügte (2). Wenn man diese Bemerkung so versteht, daß TETENS von den Empfindungen die Gefühle als eine selbständige Klasse elementarer Bewußtseinsvorgänge unterschieden hat, so ist nichts dagegen einzuwenden. TETENS hat hierdurch nicht nur für die Psychologie, sondern auch für die Ethik eine große Leistung vollbracht. Denn während die englischen Moralphilosophen zwar die hervorragende Rolle erkannt hatten, welche die Gemütsbewegungen für das Zustandekommen sittlicher Handlungen haben, aber hierbei nicht auf die psychischen Elemente zurückgegangen waren, sondern mit so komplexen Größen wie Leidenschaften und Affekten operiert haben, hat TETENS nicht allein durch eine psychologische Analyse die einfachen Elemente der komplexen Gemütszustände entdeckt, sondern sie auch moralphilosophische gleich richtig zu verwerten gewußt. Versteht man jenen oben angeführten Satz WUNDTs aber so, daß das von TETENS neu hinzugefügte Gefühlsvermögen ohne weiteres mit den elementaren Gefühlen zu identifizieren ist, d. h. meint man, daß nun auch die Terminologie von TETENS mit der unsrigen übereinstimmt, so befindet man sich im Irrtum. Das Gefühlsvermögen im Sinne TETENS' entspricht keineswegs dem, was man nach heutigem Sprachgebrauch darunter versteht. Es bildet vielmehr den Gegensatz zum Vorstellungsvermögen. Von diesem unterscheidet es sich nämlich durch zwei Merkmale. Die Vorgänge des Gefühlsvermögens sind erstens etwas Gegenwärtiges (3), zweitens etwas Passives (4); sie sind also absolute Modifikationen der Seele (5) oder, um es anders auszudrücken, solche psychische Vorgänge, die an die Einwirkung eines Reizes gebunden sind und denen eine Veränderung des "materiellen Seelenwesens" parallel geht. Wir sehen, was man heute Empfindung nennt, rechnet TETENS also zu den Äußerungen des Gefühlsvermögens. Die Ausdrücke Empfindung und Gefühl werden von ihm (6) häufig mehrdeutig gebraucht, wohl dem damaligen Sprachgebrauch zuliebe, der beide Wörter meist synonym verwendete (7). Wo in aller Welt, wird man sagen, bleiben denn da die Gefühle im heutigen Sinn, die elementaren Vorgänge emotionaler Art, die unser Autor entdeckt hat? STÖRRING hat darauf hingewiesen (8), daß das Wort Gefühl bei ihm in verschiedenen Bedeutungen angewendet wird. Er unterscheidet deren drei:
2. das Vermögen zu fühlen und 3 die Tastempfindungen. STÖRRING äußert sich nun hierüber noch folgendermaßen:
Dabei zeigt es sich dann, daß für TETENS "Empfindungen" und "Gefühle" keineswegs völlig identisch sind. Identisch sind sie nur in gewisser Hinsicht, nämlich als Äußerungen des Gefühlsvermögens im Gegensatz zum Vorstellungsvermögen. In anderer Beziehung sind sie durchaus voneinander zu unterscheiden. Er sagt darüber folgendes:
Aktus des Empfindens sind dann solche Vorgänge des Gefühlsvermögens, die eine Beziehung auf Gegenstände entweder noch nicht haben oder überhaupt niemals erhalten. Bekommen sie aber keine Beziehung auf die Außenwelt, so erhalten sie leicht ein Verhältnis zu unserem eigenen Zustand. Eben dies ist dann das Empfindnis. "Empfindnisse sind", sagt TETENS, "das was sie sind, nur insofern als sie Gefühle sind." (14) Der Aktus des Gefühls also, der noch keine Beziehung zur Außenwelt und noch kein Verhältnis zum Zustand der Seele enthält, ist demnach eine abstrakte, bloß erschlossene Größe. Nun werden diejenigen Eindrücke, die auseinandergesetzt und deutlich sind, am leichtesten auf Gegenstände bezogen, von denen sie uns "Bilder" verschaffen (15). Dies findet am meisten bei den Gesichts- und Tastempfindungen statt. Die Tonempfindungen haben jene Eigenschaft schon weniger; ebenso Geschmack und Geruch. Vollends sind die Empfindungen aus dem "körperlichen Gefühl", nämlich Hunger und Durst, "Stärke und Schwäche" mehr Gefühle als Empfindungen. Jede Art von Empfindung ist am Anfang, wenn sie auf die junge Seele fällt, die noch nicht gewohnt ist, zu unterscheiden und das Bildliche daran auf die Objekte zu beziehen, durchaus Gefühl und wird somit als bloße "Rührung" zum Empfindnis. Später werden die Eindrücke durch die Reflexion, die sie zu Bildern von Sachen macht, gleichgültig. Es bleibt aber ein Rest übrig, der nicht in Empfindungen verwandelt wird. Darum hat auch der entwickelte Mensch Empfindnisse. Kritisch muß bemerkt werden, daß TETENS zu sehr im Bann von LEIBNIZ geblieben ist. Auch ist die Ansicht unhaltbar, daß aus denselben psychischen Elementarvorgängen bald Empfindungen, bald Empfindnisse werden können. Aber ein richtiger Kern steckt insofern in diesen Behauptungen, als hier Empfindungen und Gefühle nicht als absolut verschiedene Größen aufgefaßt werden. Dies entspricht der Gefühlstheorie von WILLIAM JAMES und CARL LANGE. TETENS nimmt ferner an, daß diejenigen Eindrücke, die sehr große oder sehr geringe Intensität besitzen, sowie auch diejenigen von allzu geringer Dauer, in höherem Maß Gefühle als Empfindungen erzeugen. Daß auch hierin richtige Beobachtungen stecken, ist nicht zu verkennen. (16) Die unauseinandergesetzten, die sehr starken oder sehr schwachen Vorgänge des Gefühlsvermögens sowie die von allzu geringer Dauer veranlassen die Seele nicht zur Entwicklung von Vorstellungen von Objekten, sondern reizen sie zur Kundgebung ihres eigenen Zustandes. Es werden daraus Empfindnisse (d. h. also Gefühle im heutigen Sinn). Die Empfindnisse werden von unserem Autor als subjektive Verhältnisgefühle charakterisiert (17). Eine Reaktion der Seele auf Reize sind sämtliche Vorgänge des Gefühlsvermögens. Subjektives ist auch in den Empfindungen, ja sogar in den primären Qualitäten derselben, nur ist in ihnen davon weniger enthalten als in den Empfindnissen. Wirklich objektiv sind nach TETENS nur die Verhältnisse der Vorstellungen zueinander und auch diese nur unter bestimmten Bedingungen. Auf Empfindungen und Empfindnisse bezogen sind also objektiv und subjektiv bloß relative Gegensätze, nur etwas graduell Verschiedenes.
Diese Subjektivität unserer Empfindsamkeit (20) erfährt aber noch eine weitere wichtige Einschränkung nach TETENS. Wohl ist die Empfindsamkeit ein passiver Zustand.
TETENS sucht nun die Ursachen festzustellen, welche die Verschiedenheit der Empfindnisse bewirken. Diese Ursachen sind einmal objektiver Art, nämlich abhängig vom Verhältnis der Eindrücke untereinander. Sie sind vor allem aber auch subjektiv, d. h. die Empfindnisse hängen vom Verhältnis der Reize zum gegenwärtigen Zustand der Seele ab. Was macht nun, daß die eine Empfindung angenehm, die andere unangenehm erscheint? Nach einer Erörterung der verschiedenen Auffassungen faßt er abschließend seine Meinung in folgende Worte:
Empfindung und Empfindnis sind vielmehr stets ein Zusammen von objektiver und subjektiver Wirkung eines Eindrucks, und sind nur durch Abstraktion voneinander zu trennen. (24) Ja, diese enge, nur durch Gedankenabstraktion voneinander zu sondernde Verbindung von Empfindung und Empfindnis, die beide aus den Aktus des Gefühls hervorgehen, wird von TETENS sogar dahin übertrieben, daß er die Behauptung von SEARCH (25), es gebe besondere "Zufriedenheitsfibern" als unrichtig abweist und Empfindung und Empfindnis, wie es in der Konsequenz seiner Anschauungen lag, derselben Fiber zuwies. Ist so seine Ansicht über die physiologischen Parallelvorgänge der Empfindnisse unzureichend, so ist sie doch in dieser Hinsicht frei vom Intellektualismus, der bisher fast alle Gefühlstheorien beherrscht hatte. Während die Empfindungen, d. h. diejengen Gefühlsaktus, die zu Empfindungen werden, ein Reiz für die Denkkraft sind, so setzen die Empfindnisse den Willen in Bewegung, das heißt, sie reizen die Seele, sich tätig zu erzeigen. Die Empfindnisse, oder wie wir von jetzt an wieder nach heutiger Terminologie sagen wollen, die Gefühle, treten in Paaren von Gegensätzen auf, nämlich des Angenehmen und Unangenehmen, des Gefallens und Mißfallens, des Vergnügens und Verdrusses, besonders der Lust und der Unlust. Die Gefühle haben also im Grunde nur eine Dimension mit nur zwei polaren qualitativen Gegensätzen: Lust und Unlust. Zu bemerken ist noch, daß TETENS diejenigen Empfindnisse, die sich nicht an einfache Empfindungen der Sinnesorgane, sondern an innere Vorgänge, wie Denk- und Willenstätigkeiten, schließen, innere Empfindnisse zu nennen liebt. Zum Schluß dieser Betrachtungen vergleiche ich meine Resultate mit denen einiger anderer, die über TETENS geschrieben haben. DESSOIR (26) urteilt über die Gefühlslehre von TETENS wie folgt:
Ähnlich drückt sich HARMS (27) aus:
Im Ganzen zutreffend äußert sich SOMMER: "TETENS versteht unter Fühlen das rein Subjektive des Empfindens ohne Beziehung auf den Gegenstand". (31) Allein die Einengung auf ästhetische Rücksichten, die zudem gerade bei TETENS nur eine sehr nebensächliche Rolle spielen, verführt SOMMER, die Dreiteilung Verstand, Gefühl und Wille bei TETENS und KANT für identisch zu halten. Indem er die Entwicklung der "Empfindungslehre" nach einer Emanzipierung von der rationalistischen Auffassung bei DESCARTES schildert, wie sie sich in der Richtung LEIBNIZ-SULZER-TETENS-KANT vollzogen hat, unterläßt er es, auf das Eigenartige bei TETENS hinzuweisen, der auch hierin mehr ist als nur ein "Vorläufer Kants". Die Reproduzibilität der Empfindnisse 1. Beweis für die Existenz reproduzierter Empfindnisse STÖRRING hat in seinen moralphilosophischen Streitfragen, Seite 9 - 14, darauf aufmerksam gemacht, daß HUME in seiner Behandlung des Sympathieprinzips keine befriedigende Rechenschaft ablegen konnte, wie aus der Vorstellung einer Leidenschaft die Impression einer Leidenschaft werden kann. Hier nun ist es, wo TETENS bei der Besprechung der Frage einsetzt, ob unsere inneren leidenden Zustände, also unsere Empfindnisse oder unsere Gefühle, sich hinsichtlich ihrer Reproduktion den Reproduktionen der äußeren Eindrücke ähnlich verhalten. Wie HUME von den reproduzierten Seelenvorgängen als von Vorstellungen sprach, so auch TETENS. Er frägt, ob wir Vorstellungen von unseren vorhergehabten Empfindnissen haben können. Von den Vorstellungen unserer Leidenschaften sagte HUME folgendes (32):
Bei HUME haben alle Gemütsbewegungen den Charakter von Impressionen, und zwar nennt sie HUME Impressionen der Reflexion; bei TETENS gibt es auch Empfindnisse reproduzierter Art. Von den Vorstellungen überhaupt sagt TETENS:
2. daß diese Spuren, ohne daß die ersten Ursachen wieder wirksam werden, durch die Eigenmacht der Seele wiedererweckt werden können, Jenes erste Merkmal der Vorstellungskraft ist übrigens nichts weiteres als eine Folge davon, daß die Empfindungen des inneren Sinnes so gut wie die äußeren Empfindungen besondere Modifikationen der Seele sind.
Doch gehen wir zur Sache zurück. In der vorliegenden Frage, ob es auch reproduzierte Gefühle gibt, handelt es sich für TETENS darum, daß auch entschieden wird, ob jenes zweite Merkmal der Vorstellungskraft hier zutrifft, daß die hinterlassenen Spuren der Empfindungen des inneren Sinnes eine besondere Disposition aufweisen, ohne daß ihre Ursachen nochmals wirksam werden, sich wiederum zu erneuern und den vorigen Gemütszustand oder die vorige Aktion als eine abwesende Sache wiederum vorzustellen. Also nicht darum handelt es sich, nachzuweisen, daß in der Empfindsamkeit eine Leichtigkeit herrscht, den vorigen Zustand wieder anzunehmen. Das ist ja das Faktum, das unbestritten ist und das HUME, wie wir sehen, ebenfalls anerkennt. Es handelt sich vielmehr um eine Erklärung dieser Tatsache, ob nämlich diese Disposition eine besondere Disposition ist, "die von den Dispositionen, äußere Empfindungen und andere Vorstellungen zu reproduzieren, unterschieden" ist (40). Denn das liegt eben TETENS am Herzen, den Nachweis zu leisten, daß es wirklich reproduzierte Empfindnisse gibt im gleichen Sinn, wie es reproduzierte Empfindungen oder Vorstellungen gibt, und ebenso, was uns später ebenfalls beschäftigen wird, daß es auch Reproduktionen unserer Willensäußerungen' gibt, und zwar Reproduktionen durch die Eigenmacht der Seele, ohne ein Wirksamwerden der Totalitt ihrer Ursachen. TETENS hätte sich die Sache leicht machen können. Er hätte einen Analogischluß machen können. Wenn die Modifikationen des äußeren Sinnes durch die Eigenmacht der Seele reproduzible Spuren hinterlassen, wie sollte dies nicht auch bei den inneren Modifikationen der Fall sein? TETENS deutet dies wohl an (41), aber er verhehlt sich nicht, daß hier Schwierigkeiten und Dunkelheiten sind, die eine genaue Untersuchung verlangen.
Dieser Einwand wird noch verstärkt durch ein weiteres Argument, das TETENS hinzufügt.
"Die Idee von einem Esel erweckt in mir die Idee von einem Menschen, der auf ihm saß. Hier ist jene gewiß nicht mehr als eine Veranlassung zu dieser" (47)
Allein hier kann ein neuer Einwand gemacht werden und ist tatsächlich durch die Assoziationspsychologie HARTLEYs erhoben worden. Nach HARTLEY und, wie TETENS erklärt, abgesehen von einigen Verschiedenheiten in den Ausdrücken, auch nach WOLFF, bedarf es keiner besonderen Reproduzibilitt der Gefühle. Die ganze Erscheinung, daß eine Fertigkeit und Gewohnheit in Empfindungs- (Empfindsamkeits-) und Handlungsarten besteht, kann durch eine gewisse Fertigkeit in der Vorstellungstätigkeit erklärt werden. Besonders nach HARTLEY wäre dies nichts anderes als eine "Fertigkeit, Ideen zu verbinden". Wenn sich nämlich ein Gefühlszustand durch eine Vorstellung, die nicht die Ursache des ersteren, sondern seine Wirkung war, ins Gedächtnis zurückbringen läßt, so ist, nach Ansicht der Assoziationspsychologie, dies nicht eine Wirkung dieser Nebenidee, sondern diese führt andere, assoziierte Ideen herbei,
Diesen Einwand glaubt TETENS durch folgende drei Gründe widerlegen zu können: 1. Es ist unmöglich, daß die verursachenden Vorstellungen einer Gemütsbewegung nur so dunkel vorhanden sind, daß sie nicht wahrgenommen werden und doch zugleich in dem Grad tätig sind, daß sie von neuem einen Ansatz zu der ehemaligen Gemütsbewegung hervorbringen. TETENS ist hiermit wohl im Recht, denn wenn eine neue Gemütsbewegung in uns entstehen soll, so kann dies nicht anders geschehen, als daß die Ursache hierzu ebenso wirkt wie früher. Es ist wohl begreiflich, daß ins Bewußtsein reproduzierte Gefühle treten, deren verursachende Vorstellungen uns nicht klar sind (49), daß aber neue Gefühle in uns entstehen sollen, ohne daß wir etwas von einer Ursache wahrnehmen, ist unverständlich. Im letzteren Fall müßte doch eine größere Leichtigkeit, diese Gefühle anzunehmen, in uns vorhanden sein; und eben das ist es ja, worum sich der Streit dreht; diese größere Leichtigkeit, ohne daß die Ursache derart wirksam ist, wie das erste Mal, in einen Gemütszustand zu geraten, ist eben ein reproduziertes Empfindnis. Und eben diese größere Leichtigkeit ist nicht nur eine leichtere Assoziationsfähigkeit der übrigen den Gemütszustand begleitenden Vorstellungen, damit wäre ja das Rätsel einer unbewußt wirkenden Ursache eines neuen Gefühls nicht gehoben; sie ist vielmehr eine besondere Disposition dieser inneren Modifikation sich zu reproduzieren. Wie stünde es um unseren Gemütszustand, wenn tatsächlich neue Gefühle in uns auftreten könnten, ohne daß wir die psychischen Akte kennen, die sie hervorrufen! Sobald man antwortet, dies können natürlich nur Gefühle sein, wie sie früher schon durch diese Ursachen in uns ausgelöst worden sind, so würde man im Prinzip eben das zugeben, was man bestreitet, daß es eine Reproduktion der Empfindnisse gibt. WUNDT weist allerdings darauf hin, daß sich selbst bei Sinneswahrnehmungen das Gefühl einstellt, ehe der objektive Wahrnehmungsinhalt apperzipiert wird; ja dieser kann bei schwachen Reizen auf den Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn überhaupt gar nicht apperzipiert werden (50), und doch stellt sich etwa eine entsprechende Unluststimmung ein. Aber dies ist einmal eine Erscheinung, woran, was den Gefühlsvorgang betrifft, reproduktive Elemente hervorragenden Anteil nehmen. Solche Gefühle müssen sich wohl schon früher mit derartigen Reizen verbunden haben. Sodann ist nicht zu übersehen, daß es sich hier um die niederen Sinne handelt, denen nach WUNDT die Reproduktionsfähigkeit beinahe ganz abgeht (51). Bei den höheren Sinnen des Gesichts und Gehörs, die für das geistige und sittliche Leben allein in Betracht kommen, ist die Reproduzibilität, wie dies auch TETENS annimmt (52), eine weit leichtere. Ein physiologischer Reiz, der zu schwach wäre, um eine mehr oder weniger klare reproduzierte Gesichts- oder Gehörvorstellung auszulösen, die sich so leicht einstellt, wäre jedenfalls auch nicht stark genug, um ein Gefühl ohne Mitwirkung einer besonderen Disposition hierzu neu zu erzeugen. Aber selbst wenn man es zugibt, daß eine bloß dunkel bewußte Vorstellung imstande ist, ein neues Gefühl zu erzeugen, so fehlte doch hierbei jede Garantie für eine Konstanz solcher Vorgänge. Und das ist es ja gerade, was für die Moralphilosophie in Betracht kommt. Dies ist auch der Grund, warum sich TETENS um den Beweis der Reproduktionsfähigkeit der Gefühle so sehr bemüht hat. 2. Den zweiten Grund, um jenen Einwand der Assoziationspsychologie gegen die Reproduktion der Gefühle zu widerlegen, entnimmt TETENS dem System dieser Philosophie selbst.
"Solche Fälle sind häufig. Die Einbildungskraft nimmt in der Reihe der Vorstellungen den Weg rückwärst, von den Wirkungen auf die Ursachen ... Man darf nur lustige Töne wiederholen, nicht eben solche, die uns wirklich ehedem vergnügt gemacht haben, sondern solche, welche wir angaben, weil wir vergnügt waren, und in die das heitere Herz fast unwillkürlich, zumal in jüngeren Jahren, sich zu ergießen pflegt, oder man darf nur lebhaft an sie denken und die Reproduktion des Vergnügens, als ihre Quelle, ist mit ihnen verbunden." (54)
Wie wir gesehen haben, unterscheidet TETENS mit Rücksicht auf die Gefühle in dieser Untersuchung veranlassende und verursachende Vorstellungen. Damit hat er aber der Assoziationspsychologie in seinem Sprachgebrauch eine Konzession gemacht. Hier gibt es Vorstellungen, die die Ursache von Gefühlszuständen werden. Nach dem, was wir im vorhergehenden Kapitel gelernt haben, kann bei TETENS hiervon im Grunde keine Rede sein. Es entsteht ja nicht zuerst eine Empfindung und dann bringt diese ein Empfindnis hervor (57); sondern Empfindung und Empfindnis sind die beiden Seiten eines Vorgangs. Sobald das psychologische Korrelat einer Vorstellung erscheint, tritt auch zugleich das physiologische Korrelat des ihr entsprechenden reproduzierten Gefühlsvorgangs auf. Aus diesem Grund scheint der zweite Beweis von TETENS, den wir oben besprochen haben, nicht recht mit seinen sonstigen Ansichten übereinzustimmen. Wir sagten schon, er entnimmt diese Gedanken den Assoziationspsychologen selber. TETENS stellte demgemß die Sache so dar, als ob
2. die reproduzierte Gemütsbewegung und 3. die verursachende Vorstellung sich aneinanderrichten wie zwei Perlen an einer Schnur, die man von rückwärts nach vorwärts aufzählen möchte. den ursprünglichen Empfindnissen. Hinsichtlich des Grades der Stärke verhalten sich jedoch die Vorstellungen aus dem äußeren Sinn und diejenigen des inneren Sinns nicht gleich.
Die Ursachen, die ihr diesen (der vollen und starken Empfindung entsprechenden) Grad der Stärke geben müßten, liegen nicht im Innern der Seele, sondern außer ihr, oder doch nicht in ihrer Gewalt. Etwas verhält es sich anders bei den Seelenveränderungen, die aus einem inneren Prinzip hervorgehen, wenn sie Empfindungen sind. Hier sind zwar auch Einbildung und Empfindung stark genug unterschieden ... Aber die Einbildung kann hier, ich will nicht sagen leichter, aber öfterer, weil es auf innere Ursachen in der Seele ankommt, in eine Empfindung übergehen. Das Andenken an die geliebte Person macht das Herz so voll, daß die zurückgekehrte Affektion nicht mehr eine bloße Einbildung bleibt, sondern zu einer vollen gegenwärtigen Empfindung wird." (59) Es ist also TETENS nicht entgangen, daß reproduzierte Gefühle einen weit stärkeren Intensitätsgrad besitzen als reproduzierte Vorstellungen oder Empfindungen (61). Wenn aber an jeglichen Gefühlszuständen Organempfindungen zumindest stark beteiligt sind, wodurch, wie STÖRRING nachweist, sich die annähernd gleiche Intensität von ursprünglichen und reproduzierten Gefühlszuständen begreifen läßt, verliert dann die Untersuchung von TETENS über die Reproduzibilität der Empfindnisse nicht ihren Wert? Durchaus nicht. Denn wir müssen uns doch vorstellen, daß die Verbindung der den Vorstellungen korrelaten physiologischen Vorgänge mit denjenigen Zentren, von denen die vasomotorischen und respiratorischen Erregungen und Hemmungen ausgehen, die dann den Reiz für die Organempfindungen bilden, durch Bahnung eine immer innigere wird. (62) Denn, wie ich schon hervorgehoben habe, hat TETENS am Nachweis der Reproduzibilität der Gefühle ein moralphilosophisches Interesse. Nur so ist nämlich die Regelmäßigkeit und Konstanz der betreffenden Erscheinungen gesichert. Allerdings hätte er dies auch hervorheben müssen. Sodann ist die Kehrseite hiervon, daß nur nach vorausgehenden, auf entsprechenden Empfindungen mit ursprünglichen Gefühlen beruhenden Erlebnissen eine Reproduktionsfähigkeit der Empfindnisse vorhanden sein kann.
![]()
1) Ich teile hier nur die hauptsächlichsten Resultate einer von mir über diesen Gegenstand verfaßten Abhandlung mit. Dieses erste Kapitel kann auch überschlagen werden. 2) WILHELM WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, 5. Auflage, Bd. 1, Seite 355 3) 2. Versuch, Seite 170 4) 2. Versuch, Seite 171f 5) 2. Versuch, Seite 191 und 209f; 3. Versuch, Seite 275, 10. Versuch, Seite 620f. 6) 2. Versuch, Seite 167 und 168 7) WUNDT, a. a. O., Bd. 1, Seite 354f 8) STÖRRING, Erkenntnistheorie von Tetens, Seite 20 und 21 9) 10. Versuch, Seite 638f 10) 2. Versuch, Seite 215 11) STÖRRING, a. a. O., Seite 21 12) 2. Versuch, Seite 167 13) 1. Versuch, Seite 32f 14) 2. Versuch, Seite 216 15) 5. Versuch, Seite 423f 16) siehe EBBINGHAUS, Grundzüge der Psychologie, Bd. 1, Seite 548-552. 17) 7. Versuch, Seite 554 18) 7. Versuch, Seite 554 19) 7. Versuch, Seite 559 20) Empfindsamkeit ist die Fähigkeit, Empfindnisse zu haben. (2. Versuch, Seite 190) 21) 10. Versuch, Seite 626 22) 14. Versuch, Seite 811; vgl. 2. Versuch, Seite 208, und 10. Versuch, Seite 713 23) HUME, Treatise über die menschliche Natur, übersetzt von JAKOB, Bd. 2, Seite 247 24) 2. Versuch, Seite 214 und 215 25) 2. Versuch, Seite 211f 26) MAX DESSOIR; Geschichte der neuern deutschen Psychologie, Bd. 1, zweite Auflage, Seite 352 27) FRIEDRICH HARMS, Über die Psychologie des Johann Nikolas Tetens, aus den Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1878, Seite 132 und 133 28) 2. Versuch, Seite 217 29) 2. Versuch, Seite 214 30) 2. Versuch, Seite 216 31) ROBERT SOMMER, Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik, 1892, Seite 277 32) HUME, Treatise a. a. O., Bd. 2, Seite 80 33) 1. Versuch, Seite 56, Anmerkung 34) 1. Versuch, Seite 55f 35) 1. Versuch, Seite 56, Anmerkung 36) 1. Versuch, Seite 37f 37) 1. Versuch, Seite 58 38) 1. Versuch, Seite 69 39) 1. Versuch, Seite 57 40) 1. Versuch, Seite 59 41) 1. Versuch, Seite 69 42) 1. Versuch, Seite 60 43) Empfindung im Sinne des ganzen Eindrucks in einem früheren Stadium; sonst stehen diese Sätze im Widerspruch mit den früher entwickelten Ansichten TETENS. 44) 1. Versuch, Seite 61 45) 1. Versuch, Seite 62 46) 1. Versuch, Seite 63 47) 1. Versuch, Seite 61 48) 1. Versuch, Seite 66f 49) vgl. WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Bd. 3, fünfte Auflage, Seite 110 - 119. 50) WUNDT, Grundzüge a. a. O., Bd. 3, Seite 114. 51) WUNDT, a. a. O., Seite 132 und 479 52) 1. Versuch, Seite 43f 53) 1. Versuch, Seite 69 54) 1. Versuch, Seite 71 55) 1. Versuch, Seite 72 56) STÖRRING, Moralphilosophische Streitfragen, Bd. 1, Seite 108 - 111. 57) Wenn gewisse Stellen diesen Sinn zu haben scheinen, so kommt das daher, daß TETENS sich dem damaligen Sprachgebrauch anpaßte. 58) STÖRRING, Streitfragen a. a. O., Bd. 1, Seite 111 59) 1. Versuch, Seite 65 60) siehe weiter unten 61) STÖRRING, Streitfragen, Bd. 1, Seite 12 und 109f 62) vgl. WUNDT, Grundzüge a. a. O, Bd. 2, Seite 358f 63) 1. Versuch, Seite 57 |