cr-4p-4TetensSchinzSchubertStörringLorschHarms    
 
ROBERT SOMMER
Johann Nikolaus Tetens

"Sind Denken, Empfinden, Wollen auch nur Phänomene? Dieser unbestimmte Ausdruck, den man seiner Kürze und zum Teil auch seiner Unbestimmtheit wegen in der Philosophie so oft gebraucht, will doch, wenn er deutlich erklärt wird, nichts sagen, was eigentlich die Natur der Körper außerhalb von uns und ihre Beschaffenheit angeht. Es ist die subjektivistische Natur unserer Ideen von ihnen, die sie für uns zu Phänomenen macht, und unsere Vorstellungen von ihnen sind Schein oder Erscheinung. Indem dieser Gedanke nun auf den  Schein des inneren Sinns übertragen wird, ergibt sich die Unerkennbarkeit des Seelenwesens ansich, welche nicht mit scharfen Worten von  Tetens ausgesprochen ist, aber ohne weiteres aus dem Gesagten folgt."

"Tetens erklärt das  Instinktartige bei der Objektsetzung als eine  allgemeine natürlich notwendige Wirkungsart: Die Äußerungen der Denkkraft sind Äußerungen eines Grundvermögens, die am Ende in gewisse allgemeine natürlich notwendige Wirkungsarten aufgelöst werden, bei denen wir, wie beim Grundvermögen der Körper weiter nichts tun können, als nur bemerken,  daß sie vorhanden sind, ohne sie aus noch entfernteren Prinzipien herzuholen."

"Ebenso wie sich bei  Eberhard der Begriff der Einheit des Kunstwerkes zum subjektivistisch-psychologischen Begriff der  Zusammenfaßbarkeit umbildete, - wie sich die objektive Zweckmäßigkeit zur subjektivistischen, zur Angemessenheit der Gegenstände für unser Vorstellungsvermögen umwandelte, so wird nun auch bei  Tetens aus der objektiven Notwendigkeit eine subjektive."

LAMBERT hatte einen rationalen Empirismus auf dem Gebiet der äußeren Erfahrung ausgebildet. Durch die Anwendung der LEIBNIZ'schen Lehre wurde der prinzipielle Unterschied zwischen äußerer und innerer Erfahrung aufgehoben. Die Seele empfindet stets nur ihren eigenen Zustand, äußere und innere Empfindung sind als Seelenwirkungen gleichzusetzen. Es lag also für einen in der LEIBNIZ'schen Psychologie geschulten Geist nahe, die Methodik, welche LAMBERT in Bezug auf die äußere Erfahrung angewendet hatte, nun auch auf den inneren Sinn anzuwenden. Unter deutlicher Beziehung auf LAMBERT ist dieser Gedanke von TETENS durchgeführt worden.

Der Einfluß LAMBERTs auf TETENS zeigt sich sehr deutlich, derart, daß manche Redewendungen bei TETENS nur durch die Beziehung auf LAMBERT verständlich sind. LAMBERT hatte die "Quellen der Blendwerke" beim äußeren Sinn aufzudecken gesucht. Wir finden diesen Ausdruck bei TETENS wieder.
    "Es gibt Quellen beim inneren Sinn, wenn nicht mehrere, doch ergiebigere Quellen zu Blendwerken als bei den äußeren, wogegen ich kein Mittel weiß, das wirksam wäre, um sich davor zu verwahren, als die Wiederholung derselben Beobachtungen, sowohl unter gleichen, als auch unter verschiedenen Umständen, und jedesmal mit dem festen Entschluß vorgenommen, das, was wirkliche Empfindung ist, von dem, was hinzugedichtet wird, auszufühlen und jenes stark wahrzunehmen. Wer dies nicht kann, ist zum Beobachter der Seele nicht aufgelegt."
TETENS verlang also innere Experimente nach Analogie der auf dem Gebiet der äußeren Sinnesempfindung vorgenommenen. An mehreren Stellen versucht TETENS, Experimente, welche LAMBERT für die äußere sinnliche Wahrnehmung angestellt hatte, direkt ins rein Psychologische zu übertragen. (Philosophische Versuche I, 123)
    "Ich habe die LAMBERT'sche Farbenpyramide vor mir genommen, um ähnliche psychologische Versuche zu machen. Ich nahm die Bilder zweier Farbenflächen z. B. rot und blau, und blau und grün und versuchte beide diese Flächen in der Vorstellung aufeinander zu legen, und so innig wie möglich war, zu vermischen, dabei hielt ich die mittlere Farbe auf der Tafel vor dem Auge bedeckt."
Diese mittlere Farbe war das fixierte Resultat eines von LAMBERT auf dem Gebiet der äußeren Sinneseindrücke angestellten Experiments. TETENS experimentiert nun rein psychologisch mit den  Vorstellungen  der Farben.
    "Es entstand jedesmal ein matter Mittelschein, der weder rot noch blau, noch gelb und also von den einfachen Empfindungsvorstellungen verschieden war."

    "Bei öfterer Wiederholung dieser Beobachtungen fand sich, es sei notwendig, die beiden ideellen Farben, die man im Kopf vermischen will, immer auf dieselbige Fläche in der Phantasie aufeinander zu legen".
Hier tritt das Verhältnis von TETENS zu LAMBERT in einem klaren Umriß hervor. TETENS überträgt  die Methode, welche Lambert auf dem Gebiet der äußeren Sinne angewendet hatte, mit Bewußtsein auf die Behandlung des rein Seelischen, der inneren Erfahrung. 

TETENS' Hauptabsicht ist auf die Ausbildung einer richtigen Methode für die psychologische Untersuchung gerichtet.
    "Diese Methode ist die Methode der Naturlehre, und die einzige, die uns zunächst die Wirkungen der Seele und ihre Verbindungen untereinander so zeigt, wie sie wirklich sind und dann hoffen läßt, Grundsätze zu finden, woraus sich mit Zuverlässigkeit auf ihre Ursachen schließen und dann etwas gewisses, welches mehr als bloße Mutmaßung ist, über die Natur der Seele, als des Subjektes der beobachteten Kraftäußerungen festsetzen läßt".
TETENS bezieht sich auf LOCKEs Verfahren bei der Untersuchung des Verstandes und auf die Methode der empirischen Psychologie.

Er erhebt sich jedoch bedeutend über diese vorangegangenen Untersuchungen durch die streng methodische Art seines Vorgehens, welche nur als konsequente Übertragung von LAMBERTs rationalem Empirismus bei der Behandlung der äußeren Sinnesempfindung auf das Gebiet der inneren Erfahrung zu verstehen ist.
    "Die Modifikationen der Seele so nehmen, wie sie durch das Selbstgefühl erkannt werden, diese sorgfältig wiederholt und mit Abänderung der Umstände wahrnehmen, beobachten; ihre Entstehungsart und die Wirkungsart der Kräfte, die sie hervorbringen, bemerken, als dann die Beobachtungen vergleichen, auflösen und daraus die einfachsten Vermögen und Wirkungsarten und deren Beziehung aufeinander aufsuchen; das sind die wesentlichsten Verrichtungen bei der psychologischen Analysis der Seele, die auf Erfahrungen beruth."
Wir haben gesehen, daß auf dem Gebiet der äußeren Erfahrung das Experiment zuerst als Bindeglied zwischen dem WOLFFschen Rationalismus und dem LOCKEschen und BACON'schen Empirismus erschien. Die große Verstandestätigkeit beim Experiment war dem Geist der WOLFFschen Schule verwandt. Ähnlich finden sich auch auf dem Gebiet der von LOCKE sogenannten "Reflection", der Selbstbetrachtung - verwandte Elemente zwischen der deutschen und englischen Psychologie. Eine scharfe Spannung der Aufmerksamkeit ist zur inneren Wahrnehmung erforderlich. Das Thema der Aufmerksamkeit lag der LEIBNIZ'schen Psychologie sehr nahe. Die aufmerksame Selbstbeobachtung ist ein neuer Berührungspunkt der englischen und deutschen Psychologie. TETENS nimmt die LOCKEschen Gedanken herüber und bildet sie methodisch weiter. Das schon bei LOCKE und BACON vorhandene rationalistische Moment wird von TETENS verstärkt.
    "Eine der vornehmsten Operationen bei der beobachtenden Methode besteht in der Verallgemeinerung der besonderen Erfahrungssätze, die aus den einzelnen Fällen abgezogen sind. Hiervon hängt die Stärke der Methode ab." -
Die hohe Schätzung des verständigen Vorausdenkens, der a priori bestimmenden Wissenschaft, ja sogar des Hypothetischen, wenn es nicht dogmatisch, sondern vorsichtig gebraucht wird, tritt bei TETENS scharf hervor und läßt es gerechtfertigt erscheinen, ihn den rationalistischen unter den empirischen Psychologen zu nennen (Vorrede XXIV):
    "Es haben doch auch Logiker und Metaphysiker durch ihre allgemeinen Betrachtungen wirklich hierin (in der Beobachtung der Seelenerscheinungen und in ihrer Erklärung) etwas vorgearbeitet, und ich wollte nur beiläufig erinnern, daß man ihre Bemühungen nicht für so ganz unbedeutend anzusehen hat."
Immer will er aus den Beobachtungen der Seelenvorgänge auch Schlüsse ziehen (Vorrede XXX):
    "Am Ende sind es doch die Reflexionen und Schlüsse, die die simplen Beobachtungen erst recht brauchbar machen, und ohne die wir beständig nur auf der äußeren Fläche der Dinge bleiben müßten."
LAMBERT bedeutet uns einen rationalen Empirismus auf dem Gebiet der äußeren Sinneswahrnehmung, TETENS bedeutet einen rationalen Empirismus auf dem Gebiet des inneren Sinnes. "Sensation" und "Reflexion" werden der Reihe nach von den geistigen Nachfolgern WOLFFs methodisch bearbeitet. Die Verbindung zwischen LAMBERT und TETENS liegt in der Verschmelzung von äußeren und innerer Sinnesempfindung vermöge der LEIBNIZ'schen Vorstellungslehre. LAMBERT hatte aufgrund seiner optischen Beschäftigung vorzüglich die Gesichtsvorstellungen in Betracht gezogen, hatte sogar den aus der Welt des Auges genommenen Begriff "Schein" in systematischer Weise verwendet. Entsprechend finden wir bei TETENS die Gesichtsvorstellungen in den Vordergrund der psychologischen Betrachtung gerückt. Er stellt sie mit klaren Worten als das Modell hin, nach welchem er alle anderen Vorstellungen betrachten will. (I, 29)
    "Unsere Vorstellungen können auf zwei allgemeine Klassen gebracht werden. Sie sind entweder aus den äußeren Empfindungen entstanden, oder aus den inneren. Zu jenen gehören die Vorstellungen aus den Gesichtsempfindungen; die Gesichtsvorstellungen, die, sozusagen, oben anstehen. Diese Art von Empfindungen und Vorstellungen sind uns am meisten bekannt, und sind es zuerst geworden. Sie haben uns auf die Bahn gebracht, auf der wir auch die übrigen Arten von Vorstellungen kennen gelernt haben. Gehen wir auf sie zurück und bemerken es da deutlich, wie die ersten Empfindungsvorstellungen während der Empfindung, und nachher die Einbildungen aus ihnen entstehen, so haben wir ein Ideal für die Untersuchung bei den übrigen."
Ja sogar: TETENS will, im Falle daß bei anderen Vorstellungen die Beobachtung nicht ausreicht, nach Analogie der Gesichtsvorstellungen die Wahrheit erschließen:
    "Und dann wird es, im Fall nicht auch bei jenen selben Beschaffenheiten unmittelbar beobachtet werden können, genug sein, so viel an ihnen anzutreffen, daß ihre Analogie mit den Gesichtsvorstellungen erkannt wird." -
Wir haben gesehen, wie von LAMBERT in Fortsetzung des LEIBNIZ'schen Idealismus ein vollkommener Phänomenalismus ausgebildet wurde. Die optischen Scheine und die daraus entstehenden gegenständlichen Phänomene enthüllen uns nichts über das wahre Wesen der Außendinge. Nun überträgt TETENS diesen Gedanken auf das Gebiet des inneren "Scheins"; getreu seinem allgemeinen Prinzip, die Gesichtsvorstellungen zum Muster aller übrigen zu machen (13. Versuch, Bd. 2, Seite 152, Überschrift): "Unsere Vorstellungen von der Seele und ihren Veränderungen sind eben so, wie unsere Ideen vom Körper nur Schein".
    "Da wir die Ideen von jenen wie von diesen aus den Empfindungen haben, und da die Körper und ihre Beschaffenheiten, die der äußere Sinn uns darstellt, nur Phänomene vor uns sind, was werden dann jene Seelenäußerungen, davon der innere Sinn uns die Vorstellung gibt, für uns sein? Sind Denken, Empfinden, Wollen auch nur Phänomene? Dieser unbestimmte Ausdruck, den man seiner Kürze und zum Teil auch seiner Unbestimmtheit wegen in der Philosophie so oft gebraucht, will doch, wenn er deutlich erklärt wird, nichts sagen, was eigentlich die Natur der Körper außerhalb von uns und ihre Beschaffenheit angeht. Es ist die subjektivistische Natur unserer Ideen von ihnen, die sie für uns zu Phänomenen macht, und unsere Vorstellungen von ihnen sind Schein oder Erscheinung."
Indem dieser Gedanke nun auf den "Schein" des inneren Sinns übertragen wird, ergibt sich die Unerkennbarkeit des Seelenwesens ansich, welche nicht mit scharfen Worten von TETENS ausgesprochen ist, aber ohne weiteres aus dem Gesagten folgt. Hier stehen wir plötzlich vor den Toren der kantischen Philosophie. Der negative Phänomenalismus wird von TETENS aus dem Gebiet des optischen Scheins und der äußeren Sinnesempfindung m Allgemeinen, auf den inneren Sinn übertragen. Die Unerkennbarkeit des Seelenwesens ansich folgt mit Notwendigkeit daraus. TETENS bildet das Bindeglied zwischen LAMBERT und KANT. Die kantische Unterscheidung der beiden "Ich" findet sich in ähnlicher Weise im unmittelbaren Anschluß an die oben hervorgehobenen Gedanken (II, 151).
    "Aber wenn wir nun weiter fragen, was ist das für ein Wesen, diese Seele, dieses Subjekt der Vorstellungen, dieses tätige, Empfindungen und Vorstellungen bearbeitende Wesen? Vorausgesetzt, daß es ein eigenes besonderes Wesen in uns gibt, welches unser Ich ausmacht und nun im psychologischen Verstand die Seele genannt wird."
Dieses Ich ist nur ein Phänomen des inneren Sinnes. -

Wir haben schon eine Quelle des ausgeprägten Phänomenalismus bei TETENS in LAMBERTs Gedanken gefunden, die andere entspringt aus dem LEIBNIZschen Idealismus. TETENS' Stellung zum englischen Idealismus erklärt sich uns hieraus. (I, 377) Er nimmt die Ideenphilosophie gegen den Vorwurf in Schutz, daß sie zu der Verwirrung der Begriffe vom Objektiven und Subjektiven beigetragen hat.
    "Die von Herrn REID sogenannte Ideenphilosophie oder der Grundsatz: alle Urteile über die Objekte entstehen nur mittels der Eindrücke oder der Vorstellungen von ihnen, ein Grundsatz, den dieser Brite nach seiner sonstigen Einsicht in die Naturlehre nicht hätte leugnen sollen, ist gewiß hieran ganz unschuldig."
Im Kampf zwischen REID-BEATTIE und HUME-BERKELEY tritt TETENS unbedingt auf der Seite der Letzteren, insofern bei ihnen die Welt als Vorstellung des Geistes betrachtet wird. REID und BEATTIE hätten in unbestimmter Weise dem Idealismus den gemeinen Menschenverstand entgegengesetzt (I, 403):
    "Sie leugneten mit den Grundsätzen des Skeptizismus auch den Grundsatz der Philosophie ab, daß alle äußeren Objekte nur nach den Vorstellungen von ihnen in uns beurteilt werden, und verwerfen den Richterstuhl der auflösenden und schließenden Vernunft, so daß man sagen kann, es muß die gesunde Vernunft hinzutreten, um manche Sätzen der Skeptiker und Idealisten annehmen zu können."
Am entscheidensten tritt der konsequente Phänomenalismus TETENS' hervor bei seiner Beurteilung des von LOCKE scharf betonten Gegensatzes der primären und sekundären Qualitäten. Erinnern wir uns hier, daß EBERHARD es für ein wesentliches Verdienst von LEIBNIZ erklärte, den Unterschied zwischen diesen aufgehoben zu haben. - TETENS teilt die sinnlichen Vorstellungen nicht nach ihrer  Ähnlichkeit  oder Unähnlichkeit mit den wirklichen Eigenschaften der Dinge ein, sondern nach dem Grad ihrer Verwertbarkeit für das Denkvermögen. Sein Einteilungsprinzip ist subjektivistisch, dasjenige LOCKEs war objektivistisch (I, 423).
    "Die Empfindungen der äußeren Sinne von den  qualitatibus primariis  der Dinge sind Eindrücke, ebenso wie die übrigen, nur mit dem Unterschied, daß sie als Bilder betrachet deutlicher und auseinandergesetzter sind. Es ist also mehr (als bloße Zeichen derselben) in ihnen zu unterscheiden. Der Ton, der Geschmack ist eine einfache verwirrte Empfindung wie vor den Augen ein verwirrter heller Fleck. Aber die Gesichtseindrücke sind deutlich und geben viel zu unterscheiden. Beide Arten von Empfindungen sowohl von den  secundariis qualitatibus  wie von den  primariis  sind entsprechende Zeichen von ihren Gegenstaänden und den Beschaffenheiten."
TETENS kämpft hierbei gegen REID (I, 423), für welchen "Gestalt und Bewegung Vorstellungen vom Objektivischen in den Dingen sind". Die Vorstellungen des Auges sind deutlicher und schwächer und reizen daher die Denkkraft mehr zum Vergleichen und im allgemeinen zur verständigen Bearbeitung. Wir haben schon bei SULZER gesehen, wie der Unterschied von Denken und Empfinden im subjektiven Zustand der Seele, nicht aber in einem realen Unterschied von erkennbaren und empfindbaren Gegenständen gesucht wurde. TETENS' Gedanken bewegen sich genau in derselben Richtung, auf welche diese Denken durch die subjektivistischen Grundlehren der LEIBNIZ'schen Psychologie hingewiesen wurden.
    "Die Seele empfindet nur ihren eigenen Zustand. Je nach der Verschiedenheit des subjektiven Zustandes sprechen wir von Erkennen oder Empfinden."
In Bezug auf die phänomenalistische und subjektivistische Grundlehre kommt also TETENS vollständig mit BERKELEY überein und wendet sich gegen REID.

Nichtsdestoweniger sucht er auf dieser Basis des Skeptizismus HUMEs zu bekämpfen. Er knüpft dabei an den Begriff an, mit welchem die Vertreter des  common sense  den Rückschlag gegen den skeptischen Idealismus zu führen gesucht hatten (I, 382, Anm.):
    "REID in seinem  Inquiry into the mind  sieht mit seinen Nachfolger BEATTIE und OSWALD und anderen diese Urteile über die objektivistische Wirklichkeit der Dinge für instinktartige Wirkungen des Verstandes an, wovon sich weiter kein Grund angeben läßt, bringt aber viele schöne Betrachtungen bei, die hierher gehören."
Es ist nun höchst bemerkenswert, daß er diesen Versuch REIDs, den skeptischen Idealismus zu bekämpfen, keineswegs ganz verwirft, sondern nur den unklaren Begriff des Instinktartigen genauer bestimmt wissen will. Hier müssen wir uns nun alles ins Gedächtnis zurückrufen, was über die Ausbildung und psychologische Verwertung dieses Begriffs durch REIMARUS ausgeführt worden ist. REIMARUS hielt es für sein originales Verdienst, gerade diesen Begriff genauer bestimmt zu haben und suchte gewisse Seelenäußerungen z. B. die Objektsetzung auf Lichteindrücke hin nach Analogie der Vorgänge bei den Triebäußerungen der Tiere zu erklären. TETENS stellt nun REIMARUS mit REID und den anderen Vertretern des  common sense  auf eine Stufe (I, 375):
    "In unseren gewöhnlichen Empfindungsideen ist der Gedanke, daß wir uns andere Objekte vorstellen, so unmittelbar eingewebt und wir sind uns so wenig irgendeines Aktes der Reflexion bewußt, der vorhergehende, daß man es REID, HOME, REIMARUS und anderen nicht eben hoch anzurechnen hat, wenn sie den Gedanken von der objektivistischen und subjektivistischen Existenz der Dinge für eine unmittelbare Wirkung des Instinktes gehalten haben."
Wie REIMARUS verlangt nun TETENS, daß der Begriff des Instinktartigen in den Urteilen, wie es in Bezug auf die tierischen Instinkte schon geschehen war, genauer bestimmt wird und verwendet dabei die Resultate, zu denen REIMARUS gekommen war. REIMARUS hatte die tierischen Instinkte gekennzeichnet als angeborene, durch Empfindungen ausgelöste Antriebe zu Handlungen, welche ihrer Form nach Notwendigkeit zeigen, während sie ihren speziellen Inhalt durch die wechselnden sinnlichen Eindrücke erhalten. -

Der Einfluß von REIMARUS auf TETENS tritt deutlich im "Versuch aus Analogie der Seelennatur des Menschen mit seiner tierischen Natur die Einrichtung der ersteren aufzuklären" zutage. TETENS spricht von den "bloß organischen Reihen" und sagt:
    "Sie sind nur bestimmt im Hinblick auf die Art der Bewegung und der Art und Weise der Aktion, welche erfolgt, nicht aber im Hinblick auf den äußeren Gegenstand, worauf die Aktion gerichtet ist."

    "In der Seele unterscheidet man die Triebe, wohin auch die angeborenen oder die Instinkte zu rechnen sind, als bloße Bestrebungen zu gewissen Tätigkeitsarten von Begierden, welche auf bestimmte Objekte gerichtet sind. Die bloß organischen Bewegungen sind im Körper dasselbe, was Triebe und Instinkte in der Seele sind."
Wird nun der so gewonnene genauere Begriff von Instinkt verwendet zur Bestimmung des dunklen Begriff der instinktartigen Urteile speziell bei der Vorstellung von Gegenständen, so ergibt sich der Satz: Die Objektsetzung ist ein der Form nach bestimmtes und a priori notwendiges Urteil der Denkkraft, dessen spezieller Inhalt durch die jedesmaligen sinnlichen Eindrücke geliefert wird. Zu gleichen Gedanken war schon REIMARUS bei der Übertragung seines genaueren Begriffs vom  Instinkt  ins Psychologische gekommen. Wir werden später das Verhältnis KANTs zu diesen Gedanken klarzulegen habeb. TETENS sagt im Hinblick auf die Ansichten von REID, HOME, REIMARUS über die Objektvorstellung (I, 375):
    "Sie haben auch in einer gewissen Hinsicht nichts Unrichtiges gesagt. Die Äußerungen der Denkkraft sind Äußerungen eines Grundvermögens, die am Ende in gewisse allgemeine natürlich notwendige Wirkungsarten aufgelöst werden, bei denen wir, wie beim Grundvermögen der Körper weiter nichts tun können, als nur bemerken, daß sie vorhanden sind, ohne sie aus noch entfernteren Prinzipien herzuholen."
TETENS erklärt also hier das "Instinktartige" bei der Objektsetzung als eine "allgemeine natürlich notwendige Wirkungsart." Wir sehen also, wie sich TETENS trotz seiner offenen Parteinahme für BERKELEY eingehend mit einer tieferen Begründung der Gedanken, welche von BERKELEYs Gegnern ausgesprochen worden waren, beschäftigt. Insbesondere scheint REID ihm fruchtbare Anregungen gegeben zu haben (I, 423):
    "REID ist der Meinung, einige unserer ersten Urteile müßten wohl noch vor der simplen Apprehension [Erfassung - wp] der Sachen, das heißt, vor den Ideen von Subjekt und Prädikat vorhergehen und unmittelbar auf den sinnlichen Eindruck von außen erfolgen."
TETENS will also den allgemeinen natürlich notwendigen Wirkungsarten der Seele nachspüren. Dabei kommt der Subjektivismus, dessen Grund wir in LEIBNIZ' Vorstellungslehre schon nachgewiesen haben, in sehr klarer Weise zum Vorschein. Ebenso wie aufgrund dieser Lehre die objektive Vollkommenheit, welche BAUMGARTEN in der Ästhetik vertrat, bei EBERHARD zu einer subjektiven geworden war; wie sich der Begriff der Einheit des Kunstwerkes zum subjektivistisch-psychologischen Begriff der "Zusammenfaßbarkeit" umbildete; - wie sich die objektive Zweckmäßigkeit zur subjektivistischen, zur Angemessenheit der Gegenstände für unser Vorstellungsvermögen umwandelte (siehe KANTs Ästhetik), so wird nun auch aus der objektiven Notwendigkeit eine subjektive (I, 471).
    "Über die objektivistische Notwendigkeit der Sätze läßt sich nichts sagen, ehe man nicht die subjektivische, mit der sie von unserem Verstand gedacht werden, untersucht, und in uns die Natur der  Gemeinsätze als Produkt der Denkkraft  beobachtet und ihre Beschaffenheiten bemerkt hat."
Hier haben wir ein typisches Beispiel für das TETENS' Verfahren, welches sich dem allgemeinen Entwicklungsprinzip jener Zeit unterordnet: eine subjektivistische Umbildung der schon vorher in Psychologie und Ästhetik geschaffenen Begriffe.

TETENS schreibt im 7. Versuch über die Notwendigkeit der allgemeinen Vernunftwahrheiten:
    "Überhaupt lassen sich die subjektivistisch-notwendigen Denkarten, Gedanken, Sätze, Urteil nach der Verschiedenheit der Gründe, worauf diese Notwendigkeit beruth, und ihrer Quelle, woraus sie entspringt, unter gewisse allgemeine Klassen bringen."
Erstens erklärt er alle analytischen Urteile für a priori notwendig. Die Notwendigkeit der Denkweise ist in der Natur der Denkkraft ansich begründet.
    "Der Satz,  ein Ding ist mit sich selbst einerlei,  ist der allgemeinste Ausdruck aller notwendigen bejahenden Sätze, so wie dagegen das Prinzip der Diversität:  Ein Ding ist verschieden von einem andern  die allgemeine Formel aller notwendigen verneinenden Sätze ist, in demselben Verstand, wie das Prinzip des Widerspruchs als die allgemeinste Formel aller notwendigen falschen Sätze angesehen werden kann."
Bei den Gedanken TETENS' über die subjektive Notwendigkeit tritt nun eine scharfe Opposition gegen die skeptischen Folgen hervor, welche aus der subjektiven Natur unserer Vorstellungen gezogen worden waren. Er spricht "von einigen sonderbaren Leuten, die im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zu Helmstädt gegen die Vernunft schrieen und behaupteten, die Undenkbarkeit eines viereckigen Zirkels ist nur eine subjektivistische Unmöglichkeit im Menschenverstand, aber deswegen nicht im göttlichen und meinten, die Widersprüche sind nichts anderes als andere Unbegreiflichkeiten, die über unseren Verstand gehen."

TETENS sagt dagegen, wenn man glaubt, der Ausdruck "A ist nicht A", wäre für irgendeinen Verstand faßbar, so heißt das, den Grundsatz vom Widerspruch aufheben. TETENS stellt nun mit diesem gottgläubigen Vernunftleugnern LOSSIUS in eine Reihe.  Hier beginnt nun im Rahmen des Subjektivismus der Kampf gegen die skeptischen Folgen, welche in der relativistischen Erkenntnistheorie des Lossius daraus gezogen worden waren.  TETENS erwähnt zuerst den Ausspruch des LOSSIUS:
    "Die Wahrheit ist durchaus nichts anderes als eine Relation für den, der sie denkt." - "Ein Satz, den ein neuer Philosoph bis zu seinem völligsten Umfang ausgedehnt hat: Sogar soll es nicht unmöglich sein, daß es denkende Wesen gibt, die sich auch dasjenige vorstellen können, was für uns etwas Widersprechendes ist."
Danach wäre das Widersprechende nur etwas für unseren beschränkten Verstand Undenkbares. LOSSIUS hatte geäußert:
    "Es liegt daher in der Aussage: Die Dinge sind widersprechend, nur das, was sie vor unseren Organen sind, sie mögens übrigens in der Natur wirklich so sein oder nicht ... Hätte der Urheber der Natur eine solche Fiber mit in ihr Fibersystem gelegt, wodurch dieses möglich wäre, so würden wir von Widersprüchen nichts wissen."
Gegen diesen letzteren Satz wendet sich TETENS offenbar hauptsächlich. Abgesehen von der Einwendung, daß es keine Erklärung unserer Denkarten ist, wenn man statt der Wörter: Vorstellungen, Gedanken, Seele, Einbildungskraft - die Wörter setzt: Fiberschwingungen, Fibersystem etc., erklärt TETENS für ganz unbegreiflich, wie dadurch das Widersprechende denkbar gemacht werden könnte. Das Gemeinsame von LOSSIUS und den "Helmstädter Sonderlingen" ist die bei aller Gottgläubigkeit skeptische Vorstellung einer Denkkraft, welche sich nicht nach den Gesetzen der Denkkraft richten soll. -

Mit dem Begriff der subjektiven Notwendigkeit kämpft TETENS gegen den wider die Gesetzmäßigkeit des Denkens gerichteten Skeptizismus.
    "Die subjektivistisch-notwendigen Sätze ... sind über alle Angriffe des Skeptizismus erhaben, wenn dieser nicht in wahren Unsinn ausartet. Sie sind Grundsätze ersten Ranges." (I, 545)

    "Es bedarf meiner Meinung nach keiner weiteren Erläuterung, daß es überhaupt mit allen übrigen subjektivistisch notwendigen Grundsätzen, welche die Beziehungen ausdrücken, die unsere Denkkraft bei ihren Ideen und Begriffen notwendig antrifft, und ebenso mit allen geometrischen Wahrheiten und anderen, die ihnen im Hinblick auf diese Notwendigkeit ähnlich sind, dieselbe Beschaffenheit hat."

    "In jenen Beziehungen arbeitet aber der Verstand nach Beziehungen, die wir für Gesetze jedweder Denkkraft ansehen müssen. Daher müssen wir auch die wahrgenommenen Beziehungen solcher Ideen als notwendige Denkarten jedes Verstandes ansehen, der eben solche Vorstellungen in sich hat und gegeneinander hält."
TETENS kämpft gegen die Auffassung der Wahrheit als einer Relation auf den Menschen. Dieser Begriff ist aus dem Verhältnis der Sinnesqualitäten zu den wirklichen Dingen abstrahiert und dann auf alle Wahrheiten übertragen worden. Man hat den Satz mißbraucht, daß die Empfindung ein bloßer subjektivistischer Schein ist. Dabei beruft er sich auf LAMBERT (I, 547):
    "Was man in den gewöhnlichen Vernunftlehren über die Zuverlässigkeit der sinnlichen Kenntnisse vorträgt, reicht nicht aus, alle Falten aufzuschlagen, unter welchen sich die Skepsis verstecken kann. Im Organon des Herrn LAMBERT ist soviel eindringliches hierüber gesagt, daß man daraus die Einschränkung des Satzes, es sei die sinnliche Erkenntnis nur ein subjektivistischer Schein, si abstrahieren kann. (siehe Phänomenologie, Hauptstück II) Ist es zweifelhaft, ob das Buch, das ich aufgeschlagen vor mir liegen habe, der zweite Band des LAMBERTschen  Organon  ist, und mir nur so scheint?" -
Wir bemerken an dieser Stelle nebenbei, wie eingehend sich TETENS mit LAMBERTs Schriften beschäftigt hat.

Tetens ist also der Vertreter eines konsequenten Phänomenalismus, sucht jedoch den skeptischen Folgen dieser Weltanschauung durch eine Betonung der Gesetzmäßigkeit in den Äußerungen des vorstellenden Subjekts zu begegnen.  Hier haben wir die entscheidende Wendung in der Entwicklung des deutschen Phänomenalismus, welcher in LOSSIUS' Werk bei einem skeptischen Relativismus angelangt war. Nur dann ist der transzendentale Idealismus KANTs im historischen Zusammenhang verständlich, wenn man ihn als Opposition gegen einen skeptischen Subjektivismus auffaßt. Unter Beibehaltung des konsequenten Phänomenalismus, der schon von TETENS auf das Subjekt der Seelenwirkungen angewendet worden war, wird trotzdem den skeptischen Folgen vorgebeugt, in dem das  a priori  Notwendige und Gesetzmäßige der Äußerungen des vorstellenden Subjekts hervorgehoben wird. Wenn von vielen kleinen Geistern in KANTs Werk nur der Idealismus begriffen wurde, so daß KANT sich nur wenig von LEIBNIZ und BERKELEY zu unterscheiden schien, so blieb in der Tat die eigentliche Richtung seines Geistes unerkannt. Der Idealismus bildet sozusagen die selbstverständliche Voraussetzung bei KANT, der Nachdruck liegt auf dem Begriff des  a priori  Notwendigen, des Gesetzmäßigen in den Denkakten des vorstellenden Subjekts bei der Schaffung und Bearbeitung der Phänomene. - Diese oppositionelle Richtung kommt bei TETENS viel klarer zum Vorschein als bei KANT und gerade darum ist TETENS' Werk so wichtig für das historische Verständnis von KANTs Unternehmen.

Im Anschluß an LAMBERT bereitet TETENS das Werk KANTs besonders durch seine Behandlung der Wissenschaften  a priori  vor. TETENS macht den Unterschied zwischen sinnlicher und vernünftiger Erkenntnis im Hinblick auf die Leistungen des vorausbestimmenden Verstandes in den Naturwissenschaften.
    "Was die Natur unserer vernünftigen Einsicht, den Hang des Verstandes in den Spekulationen und die Einrichtung der allgemeinen Theorien betrifft, so haben die genannten Ausländer (LOCKE, CONDILLAC, BONNET, HUME auch BACON nicht ausgenommen) diese nur in der Ferne und ziemlich dunkel gesehen."
Hierbei wird wiederumg die Einwirkung LAMBERTs deutlich bemerkbar, derart, daß selbst einzelne Ausdrücke von LAMBERT direkt herübergenommen sind. Zugleich hat allerdings TETENS selbst mit der ausübenden Naturwissenschaft die engste Fühlung. TETENS war selbst Mathematiker. 1769 hatte er eine  Commentatio de Principio minimi  herausgegeben, welche an MAUPERTIUS' "lex parsimoniae" anknüpfte. Ferner tritt in den Versuchen eine erstaunliche Kenntnis der Physiologie hervor. TETENS' eindringliche Ausführungen über das Verfahren der Naturwissenschaften verdanken also keineswegs nur der literarischen Berührung mit LAMBERT ihre Entstehung, sondern wirklicher naturwisenschaftlicher Beschäftigung. - Dieser Quelle entspringen nun wichtige psychologische Gedanken:
    "Die Geometrie, die Optik, die Astronomie, diese Werke des menschlichen Geistes und unwiderlegliche Beweise seiner Größe, sind doch reelle und feststehende Kenntnisse. Nach welcher Grundregel baut denn Menschenvernunft diese ungeheuren Gebäude? Wo findet sie dazu den festen Boden und wie kann sie aus ihren einzelnen Empfindungen allgemeine Grundideen und Prinzipien ziehen, die als ein unerschütterliches Fundament so hohen Werken untergelegt werden?" -
Hier müssen wir die Eigentümlichkeit der Fragestellung scharf hervorheben. TETENS frägt nicht: "Sind Wissenschaften a priori möglich?" sondern er frägt: "Wie sind sie möglich?" Genau so verhält es sich bei KANT.

Der fortwährende Kampf gegen die materialistischen Lehren, in denen Gehirnvorgänge mit Vorstellungen verwechselt werden, erscheint ohne weiteres bei einem Geist verständlich, welcher den Phänomenalismus so tief erfaßt hatte. Das Gehirn als Teil der ausgedehnten Materie muß ja im Sinne dieser Lehre ebenfalls als Phänomen angesehen werden, und es kann sich nur um das Verhältnis der unbekannten Substanzen, welche dem Phänomen der Gehirnteile zugrunde liegen, zur Seelensubstanz handeln. TETENS' Opposition gegen HARTLEY, BONNET, LOSSIUS etc. ist von diesem Gesichtspunkt aus aufzufassen.

TETENS geht im Einzelnen fast immer aus von den Bestimmungen der LEIBNIZ'schen Psychologie und sucht in kritischer Weise schärfere Grenzbestimmungen zu finden, welche er gerade bei WOLFF und LEIBNIZ vermißt. Derselbe Zug ist schon bei REIMARUS hervorgehoben worden. TETENS verwirft die ganz allgemeine Bedeutung des Ausdrucks "Vorstellungen" bei LEIBNIZ-WOLFF. Er selbst wendet als allgemeinsten Begriff für alle geistigen Erscheinungen das Wort "Modifikatio" an. Nachdem er nun aus der Selbstbeobachtung den Satz hergeleitet hat, daß alle geistigen Vorgänge in uns Spuren zurücklassen, welche absichtlich hervorgezogen werden können, definiert er (I, 16):
    "Solche von unseren Modifikationen in uns zurückgelassene und durch ein Vermögen, das in uns ist, wieder hervorzuziehende Spuren machen unsere Vorstellungen aus."
Die Beziehung der Vorstellungen, welche selbst Modifikationen sind, auf andere vorausgegangene Modifikationen ist der wesentliche Charakter derselben. Über die Art der zurückgelassenen Spuren enthält sich TETENS getreu seinem antimaterialistischen Programm jeder Vermutung. Ob sie "Ausdrücke im organisierten Gehirn" oder "ideae materiales" sind, oder ob sie in wirklichen fortdauernden Bewegungen bestehen, ob sie "Dispositionen, Tendenzen, Leichtigkeiten gewisse Bewegungen anzunehmen" darstellen, läßt er ganz unentschieden. TETENS kenn nur zwei Tatsachen
    1) das Vorhandensein solcher Spuren und
    2) die Fähigkeit, sie willkürlich hervorzusuchen.
Es gibt also nach TETENS so viele Arten von Vorstellungen, wie es Arten von Modifikationen gibt. Hierbei bemerkt er, daß die Gesichtsvorstellungen als Modell aller anderen dienen können.

TETENS findet nun weiter durch Selbstbeobachtung (I, 24) daß eine große Menge von diesen Vorstellungen zwar "verdunkelt" und "eingewickelt", aber durch die Eigenmacht der Seele wieder hervorgezogen und beobachtet werden kann. Entsprechend verhält es sich mit den einzelnen Teilen einer Vorstellung. Dieselben sind nicht feste und unveränderliche Teile unseres Geistes, sondern können durch eine Richtung der Aufmerksamkeit auf einzelne Teile in wechselvoller Weise gestaltet werden. Hier sind wir nun an einem Punkt, von dem aus sich uns ein Ausblick auf das schon vorher in der Ästhetik behandelte Problem des künstlerischen Schaffens bietet. TETENS, welcher sich hierin eng an LEIBNIZ anschließt, faßt die Vorstellungen nicht als feste und tot nebeneinander eingefügte Teile unseres geistigen Gerüsts auf, sondern als wechselnde und zu neuen Bildungen führende Vorgänge. Wie wichtig dieser Gedanke für die Erklärung des Phantasielebens im Dichter ist, erhellt sich ohne weiteres. Aus dem toten Nebeneinander von geistigen Teilen wird dadurch ein wechselvolles Wirken und Gestalten von neuen Bildern. Mit Notwendigkeit kommt TETENS in der Verfolgung dieser Gedanken auf den Begriff der selbsttätigen Phantasie. Die Fähigkeit, die Spuren der Modifikationen willkürlich wieder aufzusuchen und Vorstellungen zu bilden, nennt TETENS nach dem Muster der Gesichtsvorstellungen Phantasie oder die Einbildungskraft, und setzt ihr die selbsttätige Phantasie oder die Dichtungskraft entgegen.
    "Die ursprünglichen Vorstellungen sind die Materie und der Stoff aller übrigen, das ist, aller abgeleiteten Vorstellungen. Die Seele besitzt das Vermögen jene auseinanderzulegen, zu zerteilen, voneinander abzutrennen, und die einzelnen Stücke und Bestandteile wieder zu vermischen, zu verbinden und zusammenzusetzen."
Bis hierher könnte man glauben, LOCKE'sche Gedanken vor sich zu haben, nun aber kommt die für TETENS charakteristische Wendung. "Hier zeigt sich ihr Dichtungsvermögen, ihre bildende schaffende Kraft." Erinnern wir uns, daß schon G. F. MEIER die Grenzen des Dichtunsvermögens, welches zuerst in seiner ästhetischen Schrift behandelt wurde, psychologisch zu erweitern strebte. Einen weiteren Fortschritt auf diesem Weg macht nun TETENS, der sich wie MEIER ausdrücklich wegen seiner Grenzverschiebung verteidigt.

Durch sein Auffassung des Dichtungsvermögens tritt nun TETENS in einen bewußten Gegensatz zu der von LOCKE angeregten Assoziationspsychologie, welche glaubt, daß durch eine mechanische Trennung und Wiederzusammensetzung von Teilen sich - im speziellen Fall - die Bilder der künstlerischen Phantasie erklären lassen. (I, 25)
    "Man umfaßt die ganze Macht dieses bildenden Vermögens der Seele nicht, wenn man die Auflösung und Wiedervermischung der Vorstellungen dahin einschränkt, daß sie bei jenen nur auf solche Bestandteile gehen müßte, die man einzeln gewonnen kennen müßte, wenn sie abgesondert, jedes für sich, dem Bewußtsein vorgehalten würden, und das Vermischen der Vorstellungen als ein Zusammensetzen aus solchen Teilen ansieht, die einzeln genommen bemerkbar sind; das ist, wie ich wohl weiß, die gewöhnlichste Idee vom Dichtungsvermögen."
TETENS stellt sich also ausdrücklich mit seiner Lehre von der Dichtkraft in einen Gegensatz zur herrschenden Meinung.

Hierbei verwendet er ferner mit deutlichem Hinblick auf LAMBERT den Begriff der einfachen Vorstellungen. Schon LAMBERT hatte diesen Begriff ästhetisch verwertet, allerdings nur beiläufig. Er nahm an, daß manche dichterische Empfindungen schlechthin für die Seele einfach sind. TETENS geht auf diesem Weg weiter,
    "Die Schaffenskraft der Seele geht weiter. Sie kann Vorstellungen machen, die für unser Bewußtsein einfach, und demnach keinen von denen ähnlich sind, die wir als die einfachsten Empfindungsvorstellungen antreffen. Sie kann also in dieser Hinsicht neue einfache Vorstellungen bilden."
Hierbei bietet ihm nun die Naturwissenschaft zwei wichtige Belege, welche sehr überredungsbedürftig sind. TETENS bezieht sich erstens auf die schaffende Kraft, in der körperichen Ntur, die sich zwar keinen neuen Stoff, keine neuen Elemente bilden kann, aber durch eine unsere sinnliche Fassungskraft überschreitende Auflösung und Vermischung von unsichtbaren Partikeln neue Körper darstellt, die für unsere Sinne einfach sind. Die Chemie bietet also für TETENS ein lebendiges Beispiel der schaffenden Vorgänge in der Seele. Ferner bezieht er sich auf optische Erscheinungen und gerade hier zeigt sich die nahe Beziehung von TETENS zu LAMBERT.
    "Aus der Mischung der gelben und der blauen Lichtstrahlen in einem prismatischen Sonnenbild entsteht ein grünes Licht, welches von einem einfachen Grünen darin verschieden ist, daß es in blaue und gelbe Strahlen wieder zerteilt werden kann; die ursprünglich grünen Strahlen sind dagegen unauflöslich. Aber dennoch ist es für unsere Empfindung ein einfaches Grün. Etwas Ähnliches läßt sich in unseren Vorstellungen antreffen."
TETENS hat wirklich rein psychologisch experimentiert um festzustellen, welche neue einfache Empfindung in der Seele, aus zwei Farbenvorstellungen entsteht (I, 123):
    "Ich habe die LAMBERT'sche Farbenpyramide vor mir genommen und ähnliche psychologische Versuche gemacht."
Er findet, daß eine Neubildung aus den vorgestellten Farben im Geist vor sich geht, wenn sie auch bei diesem absichtlichen Versuch noch mangelhaft ist. Und nun verwendet TETENS diesen Gedanken zur Erklärung der bildenden Vorgänge im Künstler. (I, 125)
    "Kann meine Phantasie jetzt, da ich Beispiele zum Experimentieren suche, schon etwas ausrichten und etwa die Hälfte der Wirkung hervorbringen, so zweifle ich nicht, sie werde solche völlig zustande bringen, wenn sie mit ihrer ganzen Kraft in einem MILTON und KLOPSTOCK in der Stunde der Begeisterung arbeitet."
Es ist nun von den weitgehendsten Folgen, daß TETENS, konsequent seiner allgemeinen Absicht, diesen Gedanken vom Gebiet des äußeren Sinns auf das des inneren überträgt, so daß für die Gefühlsvorgänge im Dichter dasselbe gilt, wie für sein bildliches Anschauungsvermögen. (I, 140)
    "Was von der Wirksamkeit des Dichtungsvermögens, das nicht unfüglich die selbsttätige Phantasie genannt werden kann, ... gesagt worden ist, das erstreckt sich nicht nur über die Vorstellungen aus dem äußeren Sinn, und über die Vorstellungen von körperlichen Gegenständen, sondern auch über die Vorstellungen aus dem inneren Sinn."
Hier tritt die konsequente Übertragung von Begriffen aus dem Gebiet des äußeren auf das des inneren Sinns wieder klar zutage. Die Folgerungen hieraus für die Auffassung der Seelenvorgänge im Künstler werden von TETENS selber gezogen. Er spricht von den schöpferischen Momenten im Dichtergenius (I, 125):
    "Alsdann drängen sich Empfindungen und Ideen so ineinander und vereinigen sich zu neuen Verbindungen, daß man viel zu wenig sich vorstellt, wenn man die Bilder, die von diesen Poeten in ihrer lebendigen Dichtersprache ausgehaucht sind, für nichts anderes als für eine aufgehäufte Menge von nebeneinander liegenden und schnell aufeinanderfolgenden einfachen Empfindungsideen ansieht. In ihren neuen selbstgemachten zusammengesetzten Ausdrücken geben sie die einzelnen Züge an, aus denen das Gemäld besteht, aber selbst die Art, wie sie die Worte hervorbringen, beweist, daß die bezeichneten Züge in der Phantasie, wie die vermischten Farben, ineinander getrieben und miteinander vermischt sind."
SCHILLER sprach später in der Rezension über BÜRGERs Gedichte von der "Idealisierungen der Empfindungen", ein Ausdruck, der ihm manche anfällige Kritik zuzog. Hätte er TETENS gekannt, so wäre ihm das Verteidigungsmittel in die Hände gegeben gewesen.

Bei TETENS erfolgt nun das, was nach der eingehenden Behandlung der Empfindungstatsachen in Psychologie und Ästhetik gewissermaßen eine philosophie-geschichtliche Notwendigkeit war: das Gefühl wird als drittes Seelenvermögen in die alte Zweiteilung von Denken und Wollen eingereiht. TETENS versteht unter Fühlen das rein Subjektive des Empfindens ohne Beziehung auf den Gegenstand und bezieht sich offenbar dabei auf den Gedanken der LEIBNIZ'schen Psychologie: "Die Seele empfindet nur ihren eigenen Zustand." Jede Beziehung auf einen Gegenstand soll ausgeschlossen werden (I, 166):
    "Die Wörter Gefühl und Fühlen haben jetzt beinahe einen so ausgedehnten Umfang erhalten, als die Wörter Empfindung und Empfinden. Aber doch scheint noch einiger Unterschied zwischen ihnen stattzufinden. Fühlen geht mehr auf den Aktus als auf den Gegenstand desselben; und Gefühle den Empfindungen entgegengesetzt, sind solche, wo bloß eine Veränderung oder ein Eindruck in uns und auf uns gefühlt wird, ohne daß wir das Objekt durch diesen Eindruck erkennen, welches solche bewirkt hat."
Diese Auffassung ergibt sich ohne weiteres als endgültige Fixierung der Gedanken, welche sich bei den von LEIBNIZ angeregten Ästhetikern, besonders bei MENDELSSOHN und SULZER aus der Verwendung der LEIBNIZ'schen Vorstellungslehre für die Lehre vom ästhetischen Empfinden ergeben hatten. Auch die Vorstellung von Gegenständen hat eine subjektive, "ästhetische" Seite. Dieser Gedanke ist besonders von KANT weitergebildet worden.

Trotz dieser Dreiteilung in Denken, Fühlen, Wollen, spricht TETENS der Seele im Grunde nur zwei Hauptfähigkeiten zu: Rezeptivität und Spontaneität.

In diesen Begriffen stellen sich die beiden prinzipiell verschiedenen psychologischen Richtungen dar, an deren Zusammenführung jene Zeit beschäftigt war. LEIBNIZ, der die Seele in selbsttätiger Kraft ihre Vorstellungen aus sich herausspinnen ließ, machte das ganze Seelenleben zu Spontaneität; die Empiristen, besonders die französischen, sensifizierten alles Geistige, so daß sie nur eine Aufnahmefähigkeit der Seele für Eindrücke annahmen (I, 742):
    "Das Gefühl wird entwickelt, wird größer und feiner gemacht. Daraus wird keine vorstellende und denkende Kraft. Zu dieser ist eine Entwicklung von einer besonderen Seite erforderlich, denn das fühlende Wesen muß vornehmlich an Selbsttätigkeit zunehmen, wenn es sich zum Denken erheben soll."
Hier sind von TETENS beide Seiten berücksichtigt.

Es macht sich hierbei eine bemerkenswerte Beziehung auf HALLERs Physiologie kenntlich, die uns bei HERDER noch deutlicher werden wird. TETENS redet von den
    "organischen Einheiten, die irgendwo einen Mittelpunkt der von außen auffallenden Eindrücke und der von innen herausgehenden Tätigkeiten an sich haben."
Offenbar blickt TETENS hier auf das Phänomen der Muskelreizbarkeit hin. Wir werden sehen, welche bedeutende Rolle dieser Gedanke bei HERDER spielt.

In der größeren Ausbildung dieser zwei Grundvermögen der Seele sieht TETENS den Gattungscharakter des Menschen (I, 650): "Die größere Modifikabilität und größere Selbsttätigkeit der Seele ist das Unterscheidungsmerkmal der Menschheit."  Freiheit  ist ihm der höchste Grad der Selbsttätigkeit. Für die Hauptvorschrift der Moral erklärt er diese: "Mensch erhöhe deine innere Selbsttätigkeit." Wir fühlen hier denselben Geist, der in KANT und SCHILLER lebt.

TETENS' Lehre von der Selbsttätigkeit der Dichtungskraft war ein Kampf gegen die Assoziationspsychologie. Entsprechend ist seine Stellung zu HUME.
    "HUME glaubte gefunden zu haben, der Begriff von der Abhängigkeit der Wirkung von ihrer Ursache, der von der ursächlichen Verbindung, von der Verursachung usw. wie man ihn nennen will, sei am Ende nichts als eine Wirkung der Einbildungskraft und seine ganze Entstehungsart lasse sich aus dem Gesetz der Assoziation der Ideen erklären."
Nach TETENS nehmen wir diesen Begriff aus dem Geühl von unseren eigenen Bestreben und legen ihn zu den in unserer Vorstellung aufeinanderfolgenden Gegenständen hinzu. Erst so wird aus dem bloßen chronologischen "Nacheinander" ein "kausal bedingt sein".

TETENS findet also, daß wir zu der Vorstellung der bloßen Aufeianderfolge noch ein subjetives Moment hinzutun müssen, wenn die Vorstellung der Kausalität zustande kommen soll. Diese Entdeckung ergibt sich bei TETENS infolge seiner Anwendung der früher gekennzeichneten Methode der psychologischen Analyse. Durch diese findet er, daß im Denken des Kausalverhältnisses mehr als die Vorstellung zweier aufeinanderfolgender Gegenstände liegt. Die prinzipielle Bedeutung dieser Feststellung wird am klarsten werden, wenn wir TETENS in eine direkte Beziehung zu KANT setzen und die Übereinstimmung beider in der methodischen Auflösung metaphysischer Fragen nachweisen.
LITERATUR: Robert Sommer, Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik von Wolff-Baumgarten bis Kant-Schiller, Würzburg 1892