ra-2 LotzeJ. CohnM. DessoirA. DöringF. H. Jacobi    
 
HERMANN LOTZE
Über den Begriff der Schönheit (1)
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"Die alte Sagenlehre entging den Zweifeln der wissenschaftlichen Ansicht, die wohl auch gern alles Entzücken des angeregten Gefühls mit in den schönen Gegenstand verlegen möchte und sich doch eingestehen muß, daß das Schöne in dieser Bedeutung nur im genießenden Geist, aber nicht in den genossenen Verhältnissen der Dinge liegen kann, die den unschuldigen oder verdienstlosen Anstoß zur Erzeugung seliger Lust gewähren."

"Der Naturforscher mag uns das Dasein der Farben aus der äußeren Wirklichkeit wegstreiten und sie in das empfindende Auge allein versetzen: unsere Sinnlichkeit wird sich ihrer Täuschung nicht schämen; aus den Wellenbewegungen des äußeren Lichts bringt sie allerdings mit neuem Anfang die Pracht der Farben hervor, aber überzeugt, in ihrem Spiel und Einklang ein Höheres erreicht zu haben, als die farblosen Bewegungen, die außer uns den unermeßlichen Raum durchkreuzen."

I. Jedem Auge zugänglich, jedem unbefangenen Sinn verständlich berührt in den Gebilden der Natur die Schönheit unerschöpflich das lebendige Gemüt; und doch hat nicht aus ihr, die selbst durch mancherlei Triebe der Sehnsucht oder die Wonne der Befriedigung unterstützt dem Herzen sich aufdrängt, sondern aus der Bewunderung der Kunstschönheit die wissenschaftliche Betrachtung des Schönen ihre ersten Anregungen erhalten. Und dieser Gang der Ereignisse ist nicht wunderbar. Wo die Ntur durch die Größe ihrer Gestalten und die Macht ihrer Kräfte zu überwältigen droht, da ruft sie zuerst den Geist zur Selbstverteidigung auf, in deren noch frischem Geräusch und Kampf die Nachforschung nach den stillwirkenden unabänderlichen Gesetzen ihrer Bildungen verstummt; wo der beglückende Einklang ihrer feineren Züge das Gemüt trifft, da werden die angeregten Träume, ihrer eigenen Seligkeit gewiß, lieber fortzuklingen suchen, und sich in eine reichhaltige Welt von schönen Gestaltungen ausspinnen, als daß sie ihren eigenen Selbstgenuß unterbrechend, sich zu den Quellen zurückwendeten, aus denen sie entsprangen. Und so finden wir, daß wie die magnetischen Ströme sich gegenseitig hervorrufen, so auch das erste Anschauen und Genießen der Schönheit sogleich in eine schöpferische Fortbildung umgeschlagen ist, und nicht die schöne Natur selbst, weder die des Landes, noch die der Bewohner, sondern die Kunstwelt, dieser erste Abglanz und Widerschein jener innerlich erlebten Naturbedeutung, hat zur Anknüpfung denkender Betrachtungen geführt. Gegenstand ernsthafterer Bestrebungen wird uns vorzugsweise das, was wir auf irgendeine Weise an oder in uns selbst erleben können. Man kann zweifeln, ob selbst die wirkenden Kräfte der äußeren Welt mit ihren Gesetzen ein Ziel unserer Untersuchungen geworden wären, wenn wir nicht selbst eine Quelle von Bewegungen und Veränderungen dieser Welt wären; wenn wir nicht, indem wir künstliche Vorrichtungen bauen, und aufeinander berechnete Räder und Getriebe gegen sich spielen lassen, uns selbst als den innerlich wirkenden und strebenden Geist in diese äußerlichen Veranstaltungen hineinzufühlen vermöchten. Auch das Schöne wurde dann Gegenstand des Nachdenkens, als das Gemüt sich selbst auf seiner Schöpfung betraf und gleichzeitig die Ruhe bewahren konnte, die der Betrachtung notwendig ist. Wenn der Trieb künstlerischer Darstellung schon gewaltet hat, und die Leidenschaften der Furcht und Begehrung, die wohl dem Urbild gelten konnten, von einem künstlerischen Abbild nicht mehr erregt werden; wenn der Gehalt des Schönen nicht mehr als ein unvermitteltes Äußeres, in seiner fremden, abgeschlossenen Fertigkeit drückendes erscheint, dann liegt es nahe, nicht bloß die Gesetze des Verfahrens zu suchen, nach denen der Geist Schönes bildet, sondern auch den Verhältnissen nachzugehen, auf deren Vorhandensein, abgesehen vom Hergang der Verwirklichung, die Schönheit des Schönen beruth.

Dennoch fehlte auch der ersten Ausbildung des menschlichen Geschlechts eine eigentümliche Deutung der natürlichen Schönheit nicht. Unmöglich mußte ihr nur dies sein, den Grund des Schönen, Erhabenen oder Grauenhaften, das in wechselnden Erscheinungen das Gemüt ergriff, in Gestalt so einfacher und nackter Begriffe auszusprechen, wie sie für eine wissenschaftliche Ansicht unserer Zeit die Grundlage bilden zu müssen scheinen. Fern von solchen Bestrebungen und unfähig zu ihnen, deutete jene Zeit das Gegebene, indem sie Neues schuf, was sie zu deuten vermochte. Sie trennte nicht die lebendige Innigkeit des Gefühls, die dem Eindruck des Schönen folgt, von den leblosen Formen des Gegenstandes an, der jenes hervorzubringen imstande war; alles Äußere vielmehr mit verborgener Lebendigkeit erfüllend, konnte sie Weh und Seligkeit des genießenden Geistes auf die genossene Welt übertragen. Der schöne Gegenstand war nur darum schön, weil er beseelt dieselben Bewegungen in sich genießen konnte, die seine Betrachtung in anderen Gemütern anklingen mußte. So entging, schaffend in ihren Deutungen, die alte Sagenlehre den Zweifeln der wissenschaftlichen Ansicht, die wohl auch gern alles Entzücken des angeregten Gefühls mit in den schönen Gegenstand verlegen möchte und sich doch eingestehen muß, daß das Schöne in dieser Bedeutung nur im genießenden Geist, aber nicht in den genossenen Verhältnissen der Dinge liegen kann, die den unschuldigen oder verdienstlosen Anstoß zur Erzeugung seliger Lust gewähren. Und so finden wir, daß lebhaft für das Schöne begeisterte Ansichten auch in neuester Zeit fast immer geeilt haben, alles Äußere mit einer durchdringenden Lebendigkeit zu begaben. Ohne sie schien es unmöglich, gerade das, was vom Schönen allein einer übergreifenden Gültigkeit würdig wäre, jenen vom Gefühl unabtrennbaren Wert und Selbstgenuß, auch außerhalb von uns in den Gegenständen wiederzufinden. Solche Bestrebungen werden immer die Frucht haben, den Sinn für das Verständnis der einzelnen Schönheiten zu schärfen. Denn die Bedeutung und der Wert innerer Regungen, der Kreis von Handlungen und Äußerungen, zu dem sie in Liebe und Haß, Sehnsucht und Befriedigung hindrängen, selbst die feineren Züge der gesamten Erscheinung, in der das Innere des Gemüts zutage kommt, dies alles ist dem unbefangenen Sinn verständlich. Und wenn es ihm vergönnt ist, im Äußeren der Natur eine ähnlich strebende und empfindende Seele vorauszuahnen, so wird die Sage, die dem lieblichen Naturgebilde eine ebenso liebliche Seele innewohnen, der grauenhaften oder erhabenen Erscheinung einen ebenso gearteten Willen unterliegen läßt, nicht bloß im Allgemeinen dadurch die besondere Weise des erregten Gefühls andeuten. Vielmehr, indem sie jetzt diese einzelnen Geister zu einem lebendigen Ganzen gegenseitigen Handelns und Leidens verkettet, wird sie durch den Gang ihrer Schicksale oder die Hervorhebung weit verflochtener Beziehungen jedem derselben eine bestimmtere Färbung erteilen, und so deutlicher die Züge hervortreten lassen, auf deren noch unbewußter Auffassung vorher das angeregte Gefühl beruhte. Wir folgen jedoch der Sagendichtung nicht weiter; sie fügte noch mehr hinzu, indem sie der Reihe der Naturgeister geschichtliche Ereignisse und allgemeine Erfahrungen des menschlichen Lebens einflocht; für uns ist nur das Eingeständnis von Wert, das in allem ihrem Tun liegt, dies nämlich, daß das volle Schöne nirgendwo anders, als in der Erschütterung des genießenden Geistes zu suchen ist.

Zwar sind auch die einfachen Empfindungen der Sinnlichkeit, der Glanz des Lichtes und die Pracht der Farben nichts, was abgewandt vom Bewußtsein an den Dingen selbst haften könnte, sondern sie sind Erscheinungen, die an äußeren und inneren Ereignissen hängen, ohne uns von diesen selbst eine Vorstellung zuzuführen. Aber wir wissen nichts unmittelbar von den Wellen der Lichtströme und nichts von den Zuständen, die sie im Innern unseres eigenen Leibes hervorbringen; wir sind nicht imstande, den Gegenstand, wie er ohne alle Sinnlichkeit für uns sein würde, mit dieser seiner sinnlichen Erscheinung zu vergleichen; wir fühlen uns endlich in all dem hingegeben an eine angeborene Notwendigkeit unserer Natur. Aus all diesen Gründen haftet für die unmittelbare Auffassung alles Sinnliche viel fester am Gegenstand, zu dessen anhängenden Eigenschaften es gerechnet wird, als die Schönheit oder Häßlichkeit an ihnen haften kann. Denn durch sie wird uns der Gegenstand nicht gegeben, sondern bereits feststehend erweitert sich durch das wertgebende Urteil des Geschmacks sein Inhalt nur insofern, als ihm die Kraft zugeteilt wird, in seinem zufälligen Zusammenstoße mit einem empfänglichen Gemüt einen eigentümlichen Zustand der Lust zu veranlassen. Auch hier drängen sich zwar die Gründe, durch deren Vermittlung die Lust dem Eindruck folgt, nicht hervor, sondern das beglückende Ergebnis scheint allein über dem Spiegel des Bewußtseins zu treiben. Dennoch ahnen wir, daß nicht uns völlig verschlossene, beständige Einrichtungen unseres Innern, sondern mehr oder weniger eines deutlichen Selbstbewußtseins fähige Strebungen und Regungen des wahrhaft eigenen Geistes durch den Eindruck des Schönen berührt werden. Wir ahnen überhaupt, daß alles, was einen Wert vom Bewußtsein erlangen soll, die Seele nicht in Ruhe, sondern in einem lebendigen oder zurückgehaltenen Streben antreffen muß. Dies teilt das Schöne mit dem Angenehmen, und schon KANT, dem die denkende Betrachtung des Schönen mehr verdankt, als jetzt anerkannt zu werden pflegt, fand die Schönheit in einer Angemessenheit der Verhältnisse des Gegenstandes zum Spiel unserer Erkenntnisvermögen. Während, was den notwendigen Gesetzen unseres Verstandes allein sich fügt, keinen besonderen Dank von uns verdient, müssen wir es als eine freie Gunst des Schicksals betrachten, wenn das Gegebene noch außerdem Beziehungen und Zusammenhänge zeigt, durch die es unserem Wunsch nach Zusammenfassung unter wenigen höheren Gedanken zuvorkommt. Eine Welt wäre möglich, in der sich keine Gattungen als beherrschende Gestalten der Mannigfaltigkeit zeigen, sondern alles Einzelne unvergleichbar nebeneinander steht; daß aber anstatt dieser für alle denkende Betrachtung spröden Welt die sich selbst zu höheren Gipfeln zusammenschließende Welt der Erfahrung vorhanden ist, dies ist selbst ein Gegenstand der uneigennützigen Lust, die in ihrer Beziehung auf das Einzelne, Mannigfaltige sich zu einem Gefühl von Schönheit umwandelt. Nicht also im bloßen Zusammenstimmen des Eindrucks mit dem gleichgültigen Ablauf eines Erkenntnisvermögens bestand nach KANT das Schöne, sondern in seinem Einklang mit einer strebenden, einem Ziel nachjagenden Erkenntnis.

Verlassen wir die Annahme der Seelenvermögen, so sinkt mit ihnen ihr selbständiger fortwährender Ablauf; und nicht mehr dieses von selbst ewig fließende Spiel einer Tätigkeit, sondern eine sich entwickelnde Reihe von Vorstellungen, Gefühlen oder Strebungen wird es jetzt sein, mit deren Gefüge und Gliederung der neu einfallende Eindruck zusammenstimmen muß. Eine solche Ansicht scheint mir jedoch nachholen zu müssen, was in KANTs Lehre versucht, wenn auch nicht ausgeführt war. Hier nämlich liegen ohne Zweifel die unterscheidenden Grenzen des Schönen und des Angenehmen. Reichte es zur Schönheit des Gegenstandes aus, daß sich sein Eindruck mit irgendeiner Vorstellungsreihe kampflos verschmelzen könnte, so würde die Schönheit, auf unsäglich verschiedene Vorstellungsreihen bezogen, deren Vorkommen nur für den einzelnen Geist gerechtfertigt ist, in dem sie sich entwickeln, einesteils demselben Gegenstand bald zukommen bald nicht, andernteils jederzeit nur für jenen einen Geist vorhanden sein. Der Schönheit aber schreiben wir Beständigkeit und von unserer Auffassung aus eine unabhängige Geltung zu; jene Merkmale dagegen gehören dem Angenehmen wie dem Nützlichen. Dieses, einem Gefüge der Vorstellungs- oder Gefühlsreihen, den Umständen überhaupt sich anschließend, die im einzelnen Fall wohl im einzelnen Gemüt ihre hinlänglichen Bedingungen haben, aber deren Auftreten durch keinen Zug ihres Wesens in die allgemeine Bestimmung des Geistes aufgenommen ist, wird überall ein wechselndes Maß finden, und flüchtig wie die Stellung des Geistes, zu der es in eine übereinstimmende Beziehung trat, geht auch diese Lust des Einklangs selbst vorüber. KANT, als er den Anspruch auf allgemeine Gültigkeit, den unser Geschmacksurteil notwendig machen muß, deutlich hervorhob, sah richtig, daß nicht ein zufälliges, durch die allgemeinen Gesetze der Seelenwirkungen zwar gestattetes, aber nicht gebotenes Ereignis das Ziel sein kann, worauf das Schöne zu beziehen ist; ihm bot das Spiel eines Erkenntnisvermögens, allen einzelnen Geistern durch ihre allgemeine Natur eingegeben, ein festes und gemeinschaftliches Muster der Vergleichung dar. Aber ebensosehr, als er jenen fortwährend gemachten Anspruch auf Allgemeingültigkeit hervorhob, hätte er die nicht weniger fortwährende Vereitelung seiner Erfüllung beachten sollen. Ist die wirkliche Beurteilung des Schönen eine vielfältig verschiedene, und macht gleichwohl jedes Urteil die Anforderung, für allgemein anerkennenswert zu gelten, so kann nicht eine wirklich unerschütterlich vorhandene Einrichtung unseres geistigen Wesens der Spiegel sein, von dem die Strahlen des Gegenstandes zurückgeworfen werden. Dieselbe Allgemeingültigkeit, die den Gesetzen des Denkens zukommt, müßte sich auch hier zeigen; oder das Gefühl des Schönen müßte sich mit derselben Unveränderlichkeit an einen gegebenen Eindruck knüpfen, mit der bei gleichem Gefüge der Sinneswerkzeuge dieselbe Lichtwelle überall dieselbe Farbempfindung enstehen läßt. Aber die Beurteilung des Schönen schwankt mehr, als die manches sinnlich Angenehmen, das eben, weil es sich auf die hervorragenden, größeren Umrisse leiblicher Tätigkeit und Bedürfnisse bezieht, hoffen darf, in allen Einzelnen dieselbe Vorbereitung zu seiner Aufnahme zu finden. Eine allgemeine gleiche Anlage mithin für die Empfindung des Schönen gibt es tatsächlich nicht; an einzelne Vorgänge im Geist soll es sich nicht knüpfen, um mit dem Angenehmen, das so eigensüchtigen Bedürfnissen schmeichelt, nicht widerrechtlich zusammenzufallen; was scheint näher zu liegen, als daß es sich überhaupt auf einen nicht allgemein vorhandenen, aber vorhanden sein sollenden Zustand unserer Strebungen bezieht, der nur in einzelnen Bruchstücken verwirklicht, doch von allen einzelnen Gemütern als ein zu erreichendes Muster gewußt wird? Aber dieser Gedanke, der Verwechslung des Schönen mit dem Angenehmen ausweichend, scheint es zu nahe an das Gute zu rücken; obwohl genauer betrachtet nicht das Schöne, sondern der dieses Schöne genießende Geist einer engeren Verwandtschaft zum Guten durch ihn genähert scheint.

Der Verlauf unserer Vorstellungen wird ohne Zweifel durch allgemeine, gleichgültig über jeder besonderen Gestalt des Erfolgs schwebende Gesetze bedingt; aber eben diese bestimmte Endgestalt seiner Verwicklungen, die Geschwindigkeit seines Flusses und die Richtung, nach welcher hin die einzelnen Vorstellungen und Strebungen einander hervorrufen oder behindern, dies alles kann nur vom Wert abhängen, den wir einzelnen derselben zugestehen, und durch welchen sie erst jene Stärke und jenen Gegensatz erhalten, durch den sie später allgemeinen Gesetzen zufolge ein Spiel des Verdrängens und Hervorlockens beginnen können. Es ist unnötig, hier die Quellen jener Wertverteilung besonders zu betrachten; sie mögen zum Teil selbst in leiblichen Bedingungen liegen, noch mehr aber im ursprünglich sittlichen Gehalt des Geistes, den wir nicht umgekehrt aus einer zufällig gewordenen Verschlingung der Vorstellungen ableiten dürfen, endlich in einer selbst schon dem Gebiet freier Schönheit angehörigen Färbung und Neigung der Tätigkeiten, die als Keim im Wesen der Seele liegen mag, um sich an jedem späteren äußeren Anstoß folgerichtig zu entwickeln. Solche Beweggründe werden ansich den Geist verleiten, zunächst das, als das ihm Ähnliche, schön zu finden, in dessen Zusammenhangsweisen er dieselbe Stetigkeit oder Zerrissenheit, dieselbe Weichheit oder Strenge, Flüchtigkeit oder in sich zurückkehrende Erinnerung, dieselbe Raschheit oder zögernde Entwicklung der Übergänge wahrnimmt, die dem Ablauf seiner eigenen Vorstellungen, Gefühle und Bestrebenungen eigentümlich sind. Und in der Tat wird auch bei den gebildetsten Gemütern die wirkliche Beurteilung des Schönen, der Geschmack in den Künsten immer den Einfluß solcher Bedingungen in der eigentümlichen Vorliebe für manche einzelne Gattungen der Darstellung verraten; ja noch mehr werden die volkstümlichen Ausbildungen der Kunst sich auf eine solche in herrschenden Sitten und zur Gewohnheit gewordenen Ansichten der Dinge gegebene Grundlage stützen.

Was so eigentümlichen Vorurteilen des Geschmacks, die aus einer angeborenen Stimmung des Gemütes fließen, sich zuvorkommend anbequemt, kann im Allgemeinen nur für ein Angenehmes gelten. Allein in vielfältigen Abstufungen dürfen wir jenen Stimmungen selbst einen höheren oder niederen Wert beilegen; und während wir uns gern bescheiden, daß manche Vorliebe für besonders geartete Kunstgenüsse auf einer zufälligen, vielleicht selbst übel geleiteten Neigung unseren Gemüts beruth, fühlen wir dagegen, daß in anderen Fällen ein umfassenderes und wertvolleres, unbedingte Anerkennung verlangendes Streben in unserer Beurteilung des Schönen mitgesprochen hat. So scheint sich uns nun, während die gewohnten Bewegungen unseres Gemüts mehr und mehr sich jener Gestalt und Fügung annähern, in der sie der höchsten und in der weitesten Bedeutung heiligen Bestimmung des Geistes zu dienen vermögen, allmählich auch der Wert des Gegenstandes, dessen Eindruck sich dem Ablauf solcher inneren Ereignisse anschließt, vom einfachsten Angenehmen bis zur Würde der höchsten und unbedingten Schönheit zu steigern.

Berühren wir jedoch auf diese Weise einen der Betrachtung der Kunst auch früher nicht fremden Gedanken, daß nämlich alles Schöne seinen Wert und sein Wesen vom Sittlichen oder Guten erhält, so soll weder dieser Satz in der Beschränktheit seiner Bedeutung, noch in der Unbestimmtheit gelten, in der er oft gelassen worden ist. Wie kann das Schöne, so häufig in räumlichen und zeitlichen Verhältnissen aufblitzend, denen selbst keine bestimmte vorbildliche Bedeutung zu geben ist, überhaupt einen Zusammenhang mit Gesinnung und Tat des sittlichen Gemüts haben?

Gehen wir zunächst von demjenigen Guten aus, auf welches unsere Betrachtung zuerst hinführte, so wird man nicht leugnen, daß von der mehr oder weniger gleichmäßigen Ausbildung sittlicher Vollkommenheiten im einzelnen Gemüt sich auch eine entsprechende Art des Verlaufs der Vorstellungen und des Wechsels der Gefühle und Strebungen entspinnen wird. Je weniger vielleicht die äußeren Umstände des Lebens einer so eigentümlichen Anlage eine Veranlassung zur Entfaltung und zum übenden Selbstgenuß geben, umso mehr wird das Gemüt das willkürliche Reich der Kunst aufsuchen, um an selbstgeschaffenen Kreisen von Bedingungen die Macht seiner Stimmung und Haltung zu prüfen und sie sich zur Anschauung zu bringen. Und so mögen auch rückwärts, wo sie sich nur irgendwo zeigen, die Erscheinungen jeder Regsamkeit, des stetigen Flusses der Veränderungen oder des plötzlichen Abbruchs und eines neu aufstürmenden Anfangs, kurz all jene Gestalten des Übergangs, der Verschmelzung und der Gegensätze, die sich als wichtige Mittel der Darstellung durch alle Künste ziehen, die Erinnerung an einen eigentümlichen sittlichen Zustand der Seele und seinen Wert wiedererwecken. Die Gewalt der herrschenden Strebungen trifft jedoch nicht allein den Ablauf der Vorstellungen und Gefühle; sie zeigt sich auch durch eine angeborene Notwendigkeit in äußeren leiblichen Bewegungen, die eine Brücke vom geistigen Wert des Gedankens zur sinnlichen Darstellung schlagen. Zwar verraten auch ohnehin einfache, strenge Zeichnungen im Raum, ansich bedeutungslos, durch den wohltuenden Wechsel der Anspannung und Ruhe, den sie dem umlaufenden Auge gewähren, die ersten Spuren einer noch spielenden Schönheit; aber wer einmal seine eigene Stimme vom Schmerz gebrochen fand und die bebende Anspannung der Glieder in unterdrücktem Zorn fühlte, für den ist das sinnlich Anschaubare redend geworden, und was er selbst äußerlich kundzugeben genötigt war, wird er unter jeder ähnlichen fremdher dargebotenen Erscheinung wieder vermuten. Man darf glauben, daß auf solchen Erfahrungen am meisten unsere Beurteilung schöner räumlicher Umrisse beruth. Wenn es immer vergeblich gewesen ist, für die Schönheit eines solchen Umrisses eine wissenschaftlich berechenbare Bedingung zu finden, so rührt es daher, weil er nicht durch sich selbst, sondern durch unsere Erinnerungen wirkt. Wer einmal eine teure Gestalt unter dem Gewicht des Grams in wehmütiger Ermattung sich beugen und sinken sah, dem wird der Umriß eines solchen Neigens und Beugens, dem inneren Auge vorschwebend, die Ausdeutung unentlicher räumlicher Gestalten vorausbestimmen, und er wird sich fruchtlos besinnen, wie so einfache Züge der Zeichnung so innerliche Gefühle in ihm anregen konnten. In den Verschlingungen der Klänge findet jeder sein Gemüt wieder und überschaut seine Bewegungen. Schwerlich geschähe dies, triebe nicht eine Vorherbestimmung unserer leiblichen Einrichtung uns an, durch Laute unseren Gefühlen einen ansich unnützen äußeren Ausdruck zu geben. Mit den Klängen und ihrem Wechsel verknüpft sich so die Erinnerung an Übergänge in Größe und Art der Strebungen und Gefühle, durch die getrieben wir dieselben Laute bilden würden. Ja selbst das Andenken an das Maß und die Anspannung leiblicher Tätigkeit in der Hervorbringung der Töne lehrt uns in diesen selbst, und ihrer Höhe und Tiefe eine Andeutung größerer oder geringerer Kraft, mutigeren oder nachlassenderen Strebens zu suchen. Die räumlichen Verhältnisse der Baukunst, ihre strebenden Pfeiler und die breitgelagerten Lasten über ihnen würden uns nur halb verständlich sein, wenn wir nicht selbst eine bewegende Kraft besäßen, und in der Erinnerung an gefühlte Lasten und Widerstände auch die Größe, den Wert und das schlummernde Selbstgefühl jener Kräfte zu schätzen wüßten, die sich im gegenseitigen Tragen und Getragenwerden eines Bauwerks aussprechen. So bildet also das leibliche Leben, mit Notwendigkeit Inneres durch äußere Erscheinungen auszudrücken treibend, einen Übergang zum Verständnis sinnlicher Gestalten und Umrisse, und selbst das Sittliche, zunächst ein Gleichgewicht der Strebungen, dann eine bestimmte Weise des Ablaufs innerer Ereignisse bedingend, wird zuletzt in jenen sinnlichen Bildern Verwandtes und Ähnliches auffinden können.

Und ebenso finden wir auf der anderen Seite, daß die Erinnerung den Inhalt eines allgemeinen Begriffs weder seiner Gestalt noch seinem Wert nach anders festhalten kann, als indem sie irgendein einzelnes Beispiel versinnlichend an seine Stelle setzt, das freilich ebenso sehr in seiner Einzelheit wieder aufgehoben werden muß. Nach dem vorwiegenden, zugänglichen Beobachtungskreis wird der Begriff des Tieres dem Einen diese, dem Andern eine andere einzelne Tiergestalt annehmen, und nicht minder werden wir die Vorstellung irgendeines Guten, Heiligen und Wertvollen nie anders fesseln können, als daß wir unserer Erinnerung das Bild irgendeiner erhabenen oder seligen Begehung darbieten, in deren erneutem Anschauen jene Gefühle eine verjüngende Quelle finden.

So führen uns mannigfaltige Überlegungen dahin, das schön zu nennen, dessen Eindruck nicht überhaupt nur mit irgendeiner inneren Ereignisreihe, sondern wesentlich mit demjenigen Gefüge des Ablaufs übereinstimmt, das unsere Vorstellungen und Strebungen unter der alleinigen Herrschaft unserer sittlichen Bestimmung annehmen. Und diese Meinung erläutert noch einen Umstand, der ihr selbst zur rückwirkenden Ergänzung dient. Weit allgemeiner und jedem Menschen zuzumuten ist die richtige Beurteilung des Sittlichen als die des Schönen. Denn die letztere setzt jene Beweglichkeit des Gemüts und der Einbildungskraft voraus, die nicht nur imstande ist, sich den nackt ausgesprochenen sittlichen Wahrheiten zu unterwerfen, sondern die auch in der Verhüllung äußerlicher sinnlicher Gestalten und Begebenheiten mit feinfühlender Erkenntnis jene Anklänge aufzuspüren vermag, die durch mancherlei Vermittlungen auf das strenge Sittliche zurückdeuten. Eine solche Beweglichkeit und Empfänglichkeit rechnen wir nicht zu den Pflichten des Menschen. Von seiner Sittlichkeit verlangen wir nur, daß sie seine Handlungen durch eine vernünftige Leitung des Willens beherrscht; nicht, daß sie auch weiß, wie in allem Seienden Verhältnisse wirken und aufblühen, die von einem seienden Guten, nicht bloß von einem Ziel der Handlungen, Zeugnis geben. Doch urteilen wir nicht allein so. Vielmehr, wenn wir auch dem Willen der mit der Erfüllung jener Vorschriften sein Ziel erreicht zu haben meint, keinen Vorwurf machen, so schätzen wir doch den Wert eines Lebens selbst, das recht und schlecht, den ankommenden Gelegenheiten folgend, einzelne sittliche Handlungen erzeugt, geringer als ein anderes, das außerdem seine Stellung in der Welt und ihrer umfassenden Ordnung begreift, und selbständig ausblickend, auch die Ereignisse, einem Ziel gemäß, zu gestalten strebt, das in jener einfachen inneren Gesetzgebung nicht verkündet ist. So meinen wir dann, daß es für eine höhere Bedeutung des geistigen Lebens nicht ausreicht, den allgemeinen, gegenstandlosen Anforderungen der Sittlichkeit allein zu genügen, selbst nicht ihre vereinzelten Zügen in einen gemeinsamen Einklang des Gemüts zu vereinigen; vielmehr gilt es uns selbst für einen höheren Ernst der Sittlichkeit, zugleich auf das zu achten, was in den Ereignissen und dem Seienden lebt und webt und einem späteren Ziel entgegenreift; und ein leiser Schatten, wenn auch kein Tadel, fällt in unserer Beurteilung auf das Gemüt zurück, das nach den Worten eines alten Dichters gut zu leben glaubt, wenn es still verborgen lebt, ohne den Selbstgenuß seines inneren Friedens mit dem Bewußtsein seiner Stellung zum Ganzen der Wirklichkeit zu vereinigen. Was wir hier dem tätigen Geist, das werden wir ähnlich auch dem empfänglichen zumuten dürfen, und eine völlige Unfähigkeit zur Auffassung von Schönheit, dieses Widerscheins des Sittlichen im Seienden, wird nur eine ähnliche ungleichmäßige Ausbildung des sittlichen Geistes selbst zu verraten scheinen.

Lassen wir nun diese erweiterte Ansicht vom Sittlichen gelten, so wird es uns deutlich werden, daß nicht allein dasjenige uns schön erscheint, das durch seine Gestalt Erinnerungen an Handlungen und ihren sittlichen Gehalt in uns erweckt, sondern auch das, was harmlos ein durchdringendes Walten natürlicher Kräfte und eine höheren Gesetzen oder seiner eigenen Natur treue Entwicklung darstellt. Nicht nur das Handeln füllt die menschliche Bestimmung aus; auch der Erkenntnis mag ein Urbild vorschweben, in dem die Mannigfaltigkeit des Gegebenen unter Beziehungen vereinigt ist, auf die selbst in unserer gewöhnlichen Beurteilung zumindest ein Streiflicht der sittlichen Wertgebung fällt. Der Gedanke der Einheit ist so einer jener Begriffe, von dem wir einen gewissen Wert nicht trennen können, der ihm vielleich freilich ebensowenig ansich zukommen mag, wie anderen Teilen der Erkenntnis, sondern der uns vielmehr nur den Abglanz einer höheren Bedeutung vorführt. Ist doch Einheit selbst ein für sich leerer und anwendungsloser Begriff, der seinen Sinn erst durch eine Angabe der Ganzheit, oder der Beziehung, oder des Zwecks oder des Ursprungs erhält, wodurch das Verschiedene vereinigt sein soll. Dies aber eben ist die Natur des Schönen, daß es den bestimmten Inhalt, von dem aus auf manche Gestalten und Verbindungsweisen ein hoher Wert überging, verschweigt, und oft mit den Formen allein spielend, uns unvermerkt verlockt, ihnen denselben Gehalt und die Würde desjenigen zuzulegen, dessen Erinnerung sie in uns anregen. Kunst und Natur reizen daher auch durch Mittel, die ansich nur der Erkenntnis anzugehören scheinen, durch eine Verknüpfung der Mannigfaltigkeit zu durchblickenden Einheiten, durch den Gang der Gesetze über dem hinfälligen Einzelnen, durch die stille und unbefangene natürliche Entwicklung jedes Keimes; und oft mag hier der nachsinnende Verstand die Gründe nicht mehr in einem schönen Gegenstand zu finden, die in ihm die Lust erregen; oft auch versetzt sich ein ahnendes Mitgefühl in diese Triebe der Entwicklung und macht das fremde Ereignis zu einem eigenen, an dem es ohne Teilnahme nicht mehr vorübergehen kann.

Wenn dieses Spielen mit Gestalten, die einem höheren Inhalt des Guten ansich zugehören, das Eigentümliche des Schönen ist, so erscheint es in einer niedrigeren Stellung dem Ernst des Guten selbst gegenüber. Während die Urbilder des Letzten zugleich Mahnungen und Forderungen an das Bewußtsein stellen, lädt das Erste nur zum Genuß ein. Dennoch ist die Seligkeit des Schönen keine eigensüchtige; aber es ist mehr mit dem Heiligen als mit dem Guten verwandt. Das Gute, in einzelnen Handlungen sich erschöpfend, hat seinen Wert der Gesinnung zwar in sich selbst; aber es erscheint auf ein einzelnes Verhältnis bezogen, in dessen Festhaltung oder Änderung der Gewinn ruht, den die sich vollziehende gute Tat der Gesamtheit des Daseins zubringt. Diese Nebenrücksicht hat das Schöne von sich abzuhalten; ohne auf irgendeinen Zweck bezogen zu sein, dessen Erfüllung trotz aller Güte der Gesinnung oft zu unbedeutend dem Ganzen der Welt und dem Sinn des Weltlaufs gegenüber sein würde, hat es nur eben die Gesinnung selbst, teils in der Bewegung eines Gemüts, teils in den Gestalten des Seienden zu einem ruhenden Ergebnis gekommen darstellen. Wie die älteste schöne Kunst der Griechen ihre Götter bildete, herrlich durch ihr eigenes Wesen und Dasein, in sich versunken, und von allem Lärm strebender, ausdrucksvoller Beziehungen nach der übrigen Welt abgewandt, so verschmilzt auch das Schöne in seiner höchsten Gestalt nicht mit dem kämpfenden in einzelnen Taten ringenden Guten, sondern mit dem ruhenden Heiligen, das über der Erreichung aller einzelnen Zwecke schwebend in ewiger Entfaltung nur die Fülle seines eigenen seligen Wesens entwickelt. Darum ist die Pein des Sollens und der Zwecke vom Schönen genommen, und wenn es uns einerseiits durch sein Spiel an die Handlungen erinnert, in denen unsere kämpfende Tugend sich bewähren kann, so ist es andererseits dieses bestehende Gute, das aus der Welt nie verschwindet, wie tief auch ihre inneren Gegensätze seiner allgegenwärtigen Erscheinung widerstreben mögen.

II. Die Flüchtigkeit wechselnder Stimmungen, der Unbeständigkeit vorübergehender Ereignisse, die das einzelne Gemüt zufällig bewegen, haben wir das Schöne bis jetzt entreißen können; allein das Bedürfnis, das uns auf diese Weise das Schöne vom Angenehmen trennen hieß, treibt uns noch weiter, auch hierin keine Befriedigung zu finden. Muß alle Seligkeit und aller Genuß und Wert des Schönen in den genießenden Geist gelegt werden, was bleibt dem schönen Gegenstand? Nur die Möglichkeit, in einem ihm selbst zufälligen Zusammenstoß mit dem Geist die unschuldige Veranlassung zum Ablauf einer Gefühlsreihe zu werden. Nicht der Gegenstand mehr wird schön sein in dem Sinne, daß die Innigkeit des Werts, die wir bei diesem Namen empfinden, ihm selbst zukäme; sondern Eigenschaften und Verhältnisse von Eigenschaften, sowohl ansich als auch vor dem bloß erkennenden Verstand völlig gleichgültig, bilden sein Wesen, und erst wenn ein äußerliches Schicksal dieses Gleichgültige in Berührung bringt mit dem lebendigen Geist, mag dieser so angeregt, die eigene Wärme seines Gefühls täuschend auch über das kalte Licht der anregenden Gestalt verbreiten. Zweierlei ist es, was uns hier beleidigt, beides mit ungleichem Recht. Zuerst nämlich ist es eine häufig wiederkehrende Erscheinung, daß der Gedanke einer geringeren Würde sich mit all dem verknüpft, was sein Dasein nur im Geist hat; fast rechnen wir es nicht mehr zum Tatbestand des Gegebenen mit. Allein wenn wir auch unvermögend sind, unseren Vorstellungen dieselbe Festigkeit und Unabhängigkeit des Daseins zu geben, die den Dingen zukommt, so fällt doch das Gedachte nicht außerhalb des Weltalls, weil der Ort seines Daseins das Bewußtsein ist, das sich aus anderen Gründen freilich der Welt, in der es mitbefaßt ist, gegenüberzustellen pflegt. Wünschen wir daher unserer Vorstellung der Schönheit Gültigkeit, so ist es nicht nötig, sie dadurch erzwingen zu wollen, daß wir sie als eine anhaftende Eigenschaft wirklicher Dinge betrachten, sondern das Bedürfnis, dessen Befriedigung wir mit Recht in jenem Wunsch verlangen, ist das einer Ablösung des Schönen von den zufälligen Ereignissen unserer einzelnen Wirklichkeit und seiner Zurückführung auf ein im Lauf der Dinge ansich wertvolles Verhältnis. Wird der das Schöne genießende Geist innerlich zum Genuß selbst durch ein allgemeines Schicksal der Geister gelenkt, das diese Erscheinung einer uneigennützigen seligen Lust in ihm hervorhebt, so ist diese Gültigkeit der Schönheit von nicht weniger Wert, als wäre sie in einer wirklichen Beschaffenheit der äußeren Welt zu suchen. Ansichten solcher Art, die den Wert alles Innerlichen verkennen, beruhen auf jener abgöttischen Verehrung, die so Viele dem ansich wertlosen Begriff der Wahrheit zollen, anstatt dem Inhalt der Wahrheit; und die deshalb auch imstande ist, eine letzte allem zugrunde liegende Wahrheit zu denken, deren Aussage jeder Würde und Bedeutung entbehrt, ihrer Tatsächlichkeit und Unveränderlichkeit allein sich freuend. Von so verworrenen Anfängen an kann man die dann fast von selbst sich verstehende Voraussetzung machen, daß alles Erkennen dazu bestimmt ist, der Wahrheit oder dem Wesen der Dinge nachzujagen; ein Satz, der richtig ist, solange Wahrheit und Wesen jenen selbst schon wertvollen Kern der Wirklichkeit bezeichnen, aus dem alles Gefüge der Welt allein begriffen werden kann, der aber widersinnig wird, indem er befiehlt, dasjenige, was da denkt, soll sein Ziel darin sehen, ein Spiegel zu sein für dasjenige, was nicht denkt. So werden dann zwei verschiedene Ansichten unsere Beurteilungen überhaupt beherrschen; die eine, die den Wert aller Gedanken nicht in ihrem Inhalt, sondern in der Gewißheit richtiger Nachahmung eines andern sucht, die zweite, die unbekümmert darum, ob ihre Begriffe dem lebendigen Dasein im Geiste noch des toten Vorhandenseins der Wirklichkeit genießen, sich ihres Inhaltes und ihres Sinnes erfreut, wie sie in eine für die lebendige Erkenntnis aller Geister bedeutungsvolle Reihe eintreten. So mag der Naturforscher uns immerhin das Dasein der Farben aus der äußeren Wirklichkeit wegstreiten und sie in das empfindende Auge allein versetzen: unsere Sinnlichkeit wird sich ihrer Täuschung nicht schämen; aus den Wellenbewegungen des äußeren Lichts bringt sie allerdings mit neuem Anfang die Pracht der Farben hervor, aber überzeugt, in ihrem Spiel und Einklang ein Höheres erreicht zu haben, als die farblosen Bewegungen, die außer uns den unermeßlichen Raum durchkreuzen. Und so, möchten die Verhältnisse des Gegenstandes noch so gleichgültig, noch so unähnlich dem Eindruck sein, den sie auf uns machen, so wird doch die genossene Schönheit auch als bloßes Ereignis im Geist, ihre eigentümliche Wahrheit und Berechtigung in sich tragen.

Mit einem anderen und besseren Recht drängt sich uns der zweite Zweifel auf. Ist nicht unsere Lust an der Schönheit und unsere Vorstellung über sie von der Art, daß die Gesamtheit unserer Weltansich in eine unheilbare Verwirrung geraten würde, wenn wir sie nur als Ereignis in uns, nicht als in den Dingen ihrem Wesen nach vorbestimmt ansehen dürften? Können wir die Seligkeit des Genusses der übrigen Welt entziehen, und welches eigentümliche ansich wertvolle Ziel sollte wohl das Seiende verfolgen, wenn es gegen alle Schönheit gleichgültig, diese nur vorübergehend in einem zufälligen Zusammenstoß mit dem empfindenden Geist, selbst dann noch scheinbar, erlangte? Gewiß, hängen wir dem Gedanken der Schönheit nach, so meinen wir in ihr das zu fassen, was als eigentlich belebender Kern alles Seiende durchdringt, und nicht nur sie selbst würde in ihrem Wert leiden, wenn sie die Allgegenwärtigkeit nicht besäße, sondern auch die Welt der Dinge widerstreitet unserem Gefühl, die aller inneren regsamen Schönheit ledig wäre.

Auch hier zeigt sich eine schon früher bemerkte, und später noch weiter zu betrachtende Erscheinung. Für uns hat nur das nachhaltigen wahren Wert, worin wir uns zu versetzen, dessen Dasein wir mitfühlend nachzugenießen imstande sind. So sehr ist unser Begriff von Schönheit auf ein ahnendes und liebendes Mitgefühl fremder Entwicklung bezogen, daß uns eine Welt widersinnig erscheint, die selbst trocken und bedeutungslos nur den künstlichen Vorkehrungen hinter den Wänden der Bühne vergleichen wäre, durch die wir uns, wenn wir sie sorgsam verhüllen, eine flüchtige, gern geglaubte Täuschung schaffen. Und doch würde eine solche Ansicht noch dem Seienden mehr zugestehen als jene, die ohne alle weitere Ableitung Urteile der Billigung und Mißbilligung auf Verhältnisse fallen lasen, in deren Tatbestand keine Erkenntnis einen Anspruch auf eine solche Beurteilung nachweisen kann. Wir würden zumindest den Dingen nicht erst durch einen ihrer Natur unwesentlichen Zufall der Berührung mit dem Geist einen Anflug der Schönheit zuschreiben, sondern von Anfang an wäre ihre Gestalt und Einrichtung dazu geschaffen, wenigstens als Mittel zu einem Erfolg zu dienen, dessen Seligkeit sie mitzuempfinden nicht vermöchten. Alleine eine solche Zusammenschließung der Dinge mit der Schönheit gewährt kaum eine halbe Befriedigung; denn immer würde ein fremder Geist und seine Gedanken über diesen leblosen Mitteln schweben, und was sie leisteten, würde nicht ihrer Natur freiwillig entquellen, noch jene liebevolle Teilnahme des Gemüts auf sich ziehen, die so gern auf dem Gegenstand des schönen Gefühls verweilt.

Wir verlangen vielmehr ein Doppeltes. Nicht allein, daß die Kräfte, die dem Gegenstand die schönen Verhältnisse geben, als seine eigenen, ihm als Dasein, Wesen und die Entwicklung bestimmenden Tätigkeiten gelten, sondern auch, daß die Schönheit, die in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Dinge ebenso mannigfach erscheint, doch als Eine, sie alle belebende betrachtet wird; so daß nicht zersplitterte Übereinstimmungen zwischen den Dingen und uns ebenso einzelne Schönheiten ergeben, wie etwa die Nützlichkeit der Gegenstände jeder Vereinigung in einen gemeinsamen Begriff widersteht, da sie eben nur auf zufällige, vereinzelte Beziehungen begründet ist.

Solche Bedürfnisse geben den Schein, als wären sie am besten und leichtesten durch den dunklen Begriff eines Ewigen und Unbedingten zu befriedigen, das in sich für die Erkenntnis der Merkmale eines über Gedanken und Wirklichkeit gleichmäßig übergreifenden Daseins, der durch die mannigfaltigsten Erscheinungen nicht gebrochenen Einheit in sich, und zugleich für das wertsetzende Gefühl die Bezeichnung der höchsten Würde zu vereinigen scheint. So erscheint dann die Schönheit als einer der Züge, durch die sich dieses Unbedingte, ohne überall sich selbst zu verlieren, doch in unendlich mannigfacher Gestaltung ausspricht, und Nichts würde diesem Gedanken weiter fehlen als die Begründung seiner möglichen Gültigkeit und die Hinwegräumung der Schwierigkeiten, die die Erkenntnis einem solchergestalt gefaßten Begriff entgegensetzt. Es ist jedoch nicht nötig, alle diese Schwierigkeiten hier zu berühren, denn es zeigt sich sogleich, daß jenes Unbedingte, auf die Schönheit bezogen, weder als ein unendliches Seiendes in Gestalt eines Stoffes, noch als eine anhaftende Eigenschaft, ja selbst nicht einmal als eine belebende und wirkende Kraft zu fassen sein würde. Das Schöne zeigt sich überall nicht als Geschehen selbst, sondern als die Gestalt eines Geschehens, sei es nun, daß das Ereignis selbst noch in seinem Werden vor uns tritt, oder daß zum Gleichgewicht und zur Ruhe gekommene Verhältnisse in unserer Auffassung sich wieder in eine bewegte Zeitreihe auflösen oder uns veranlassen, den Geschichten nachzudenken, deren Ablauf auf dem ruhigen Spiegel der Erscheinung seine Spuren zurückgelassen hat. Diese Betrachtung mildert die Schwierigkeiten unserer Aufgabe. Jenes eine Urbild des Schönen, jene Schönheit selbst, die ewig sich gleich, doch in der Mannigfaltigkeit der schönen Gegenstände unendlich verschieden ist, wird weder selbst ein Gegenstand, noch eine Eigenschaft, noch eine Kraft sein, sondern ein Ereignis oder Schicksal, das dem Verschiedenen auf höchst verschiedene Weise zustoßen kann, ohne doch in dem, was seine eigentümliche Natur ausmacht, in seinem Sinne und in der Bedeutung, die ihm in der Reihe der Ereignisse zukommt, jemals verändert zu werden. So wie die verschiedensten Stoffe der Natur, ohne Widerspruch gegen ihr eigentümliches Wesen, gemeinschaftlich denselben Gesetzen der Bewegung unterworfen sind, so wird auch dieselbe eine Schönheit sich über die unbegrenzte Verschiedenheit der durch keine Gleichheit der Merkmale oder der Verhältnisse zusammengehaltenen Dinge erstrecken können, ohne als Schicksal gefaßt, die Widersprüche in sich zu hegen, die jeder anderen Fassung unvermeidlich anhaften. Soll daher das Wesen der Schönheit der Erkenntnis näher gerückt werden, so muß man bedenken, daß ihr Wesen in ihrer Bedeutung beruth. Darum wird es von ihr keinen Begriff geben, der durch Merkmale und deren Verknüpfungen ein unfehlbares Gesetz ihrer Verzeichnung darbietet, denn Merkmale sind gleichgültig für sie; es wird von ihr keine Vorstellung geben, welche sie als eine unveränderliche Beschaffenheit ebenso festhielte, wie andere Vorstellungen etwa der sinnlichen Farben unwandelbar feststehen, denn jeder Hintergrund an dem sie erscheint, ist ihr gleichgültig; sie wird selbst in der Anschauung eines Verhältnisses nicht gefunden werden, denn aller berechenbaren Verhältnisse spottet sie. Sie kann nur als Gedanke gefaßt werden; mit diesem Namen bezeichnet die deutsche Sprache besser als mit dem fremdher entlehnten Namen der Idee einen Inhalt, dessen einziger zusammenhaltender Kern im Sinn, der Bedeutung oder einem Wert besteht, der in unendlich verschiedenen durch keine Gleichheit des äußeren Ansehens oder der Entstehung zusammengehaltenen Erscheinungen, in ihnen allen wesentlich gleichbleibend, sich ausdrücken mag; einen Inhalt ferner, der kein ruhendes Dasein, aber auch keine Beziehung mit einem unveränderlichen Tatbestand, sondern ein Schicksal ist oder ein Ereignis, das um seines eigenen Wesens willen wertvoll, seine Bedeutung nicht von dem erhält, dem es zustößt. Den Gedanken Gottes vermögen wir vom Begriff Gottes zu trennen, im ersten den Sinn, den Wert und die Bedeutung der Beweggründe zusammenfassend, die diesen Aufschwung unseres Gemüts zu einem Höchsten veranlassen, und es selbst in seiner durchdringenden Gegenwart und dem Wert seiner Bedeutung erfassend, mit dem letzten aber diesen Gehalt durch Mittel der Erkenntnis so stützend, daß die Art seiner Wirklichkeit und das feststehende Ganze unveränderlicher Eigenschaften daraus hervorgeht.

Das Bedürfnis, der Schönheit eine Wirklichkeit zu sichern, größer als dasjenige, die sie als eine Erscheinung im einzelnen Geist genießt, hat uns auf diese Betrachtungen geführt. Wir können nicht ein Schönes ansich oder die Schönheit selbst in Gestalt eines Gegebenen außerhalb von uns suchen, sondern dieses Eine, das sich in unendlicher Mannigfaltigkeit nie selbst verliert, konnte nur der Sinn eines Geschehens, ein Gedanke sein. Zu diesem inhaltslosen Umriß, der nur fremdartige Voraussetzungen abwehren kann, haben wir jetzt den eigentümlichen Gehalt hinzuzusuchen. Kein gleichgültiges Ereignis kann der Schönheit zugrunde liegen, sondern ein solches, dessen Gedanke selbst sich an einer bedeutungsvollen Stelle unter jenen Urbildern allen Geschehens vorfindet, die das Letzte und Höchste unserer gesamten Erkenntnis bilden. Können wir zeigen, wie die schönen Gestalten und die schönen Begebenheiten dazu berufen sind, einen jener Zwecke zu erfüllen, die der ganzen Welt gestellt sind, und ist so das Schöne noch in einer anderen als der früher betrachteten Weise mit dem Guten zusammenzuschließen, so hat es in dieser seiner Bedeutung für das Ganze der Welt jene übergreifende Gültigkeit und Wirklichkeit, die ihm ein abgesondertes äußeres Dasein noch nicht verschafft hätte.

III. Betrachtungen über das Schöne bedürfen in einer Zeit, die wie die unsrige, genährt von den Anschauungen des Altertums und durch eine eigene große Kunstentwicklung gehoben, von der Bedeutung der Schönheit auch wissenschaftlich durchdrungen ist, einer doppelten Nachsicht. Sie vermögen einesteils nirgendwo ein Land aufzuschließen, dessen Schätze noch ungeahnt wären, sondern müssen sich begnügen, auf einem aus anderen Gründen liebgewordenen Weg zu einer Aussicht auf den Gegenstand zu führen, die dann doch immer nur dem schon Sehenden geöffnet wird. Denn dies ist das Zweite, was jede wissenschaftliche Betrachtung über das Schöne bitten muß: daß man ihre Aufgaben nicht mit denen der Kunst selbst verwechselt. Jede Begriffsbestimmung der Schönheit wird ihren Zweck erfüllt haben, wenn sie von mancherlei Seiten her jenem Standort zustrebt und zuführt, von dem aus sich die Bedeutung der Schönheit überblicken läßt. Aber die Innigkeit und der Wert der Schönheit wird in solchen Begriffen, da er selbst über alle Begriffe hinausgeht, ebensowenig enthalten sein können, wie wir andererseits imstande sind, das was unter dem Begriff bleibt, die sinnliche Anschauung z. B. der Farben anders als dadurch zu verdeutlichen, daß wir die Reihe der Bedingungen aufzählen, unter denen sie erscheint, und so den Andern in den Stand setzen, das sonst Unmittelbare zu einer eigenen Anschauung in sich wiederzuerzeugen.

Überlegen wir nun, wie das Seiende durch die Teilnahme an einem allgemeinen Zug weltbeherrschender Schicksale schön sein kann, so scheint diesem die Frage über den Zusammenhang der Dinge und den Inhalt jenes Schicksals vorauszugehen. Und hier gehen wir dann von der Überzeugung aus, daß jede Ansicht von einem schlechthin Seienden oder einer Mehrheit wirklicher Wesen, aus deren einmal vorhandener Natur alle Erscheinungen als Folgen zu erklären wären, unhaltbar ist und daß wir vielmehr nur demjenigen die Würde einer unbedingten Setzung und Wirklichkeit zugestehen dürfen, das die beiden Forderungen gleichzeitig erfüllt, sowohl unabhängig von uns seiend vorgefunden, als auch durch einen ansich wertvollen Gedanken als notwendiges Mittel seiner Verwirklichung vorausgesetzt zu werden. Überzeugt also, daß es keine Wirklichkeit gibt, die nicht mit ausdrücklicher Rücksicht auf an und für sich wertvolle Zwecke allen Seins angeordnet wäre, sehen wir in allem Dasein und Geschehen eine Zweckvollendung; und wenn auch unser reines teilnahmsloses Denken den Begriff eines von aller höheren Beziehung entblößten nur tatsächlich vorhandenen Daseins bilden kann, so verbieten uns doch Beurteilungsgründe, die jenem Denken freilich nicht angehören, einem solchen Begriff Gültigkeit zuzuschreiben. Jene Zweckvollendung aber hat drei Glieder; das erste ist der wertvolle Sinn des Gedankens, der seiner ihm nie ganz entgehenden Verwirklichung zustrebt; das zweite die Reihe der wirkenden Ursachen, die jenen Sinn vollziehen; das dritte das Reich allgemeiner Gesetze, die gleichgültig für alle Gestalt bestimmter Erfolge, nur durch die bestimmte Anordnung der wirkenden Kräfte, die ihnen gehorchen, zu diesem Ziel einer sinnvollen Erscheinung hingelenkt werden. Zur Erfüllung eines Zwecks mag nun unser Denken wohl die notwendigen Bedingungen ohne eine fremde Zutat feststellen; wo aber der Zweck in Wirklichkeit vollzogen werden soll, wird er nicht alle Eigenschaften seiner Mittel benutzen können, sondern diese werden Seiten haben, die in die Zweckbeziehung nicht eingehen, vielmehr dieser gleichgültig, doch nicht abgehalten werden können, nach dem bloßen Gebot der allgemeinen Gesetze in zufällige, selbst zweckwidrige Nebenwirkungen auszugehen. Daß nun die Dinge jenen allgemeinen Gesetzen gehorchen, oder daß sie mit denjenigen ihrer Eigenschaften, mit denen sie in eine Zweckbeziehung zu wirken berufen sind, sich dieser auch wirklich untertan zeigen, dies ist Nichts, was wir ihnen besonders danken; diese Übereinstimmung vielmehr zwischen Stoff und Gedanken ist die erste Voraussetzung, ohne welche die Welt uns widersinnig erscheinen würde. Wo dagegen jene von der Zweckbeziehung unabhängigen Eigenschaften, Kräfte und Ereignisse, die ganze Seitenverbreitung des Zufälligen, obwohl ihr keine Aufgabe gestellt ist, dennoch sich in ihrer Gestalt, ihrem Benehmen und ihrem Erfolg, dem Sinn jener höchsten Gedanken anschließt, da finden wir überall den freien Genuß einer die Notwendigkeit überbietenden Schönheit. In ihr ist diese vollständige Bändigung des Widerspruchs zwischen Stoff und Gedanken eingetreten, die uns andeutet, daß selbst, wo die Welt den innerlichen Zwiespalt des Seienden und des Sollenden gefahrlos ertragen könnte, doch eine innigere Versöhnung beider sich gebildet hat. Bedarf daher in der Tat jener Gedanke zu seiner Verwirklichung die Vermittlung eines unabhängig von ihm Seienden, so ist es die Schönheit, die diese abhängige Schwäche verhüllt, und indem sie alle Stützen der Verwirklichung mit dem Sinn des Gedankens verklärt, den letzten Erfolg als einen widerstandslos aus sich selbst quellenden Trieb der Entwicklung, eine auf sich selbst ruhende Gestalt darstellt. So wie die Baukunst nun die Gebälke, die der Aufrichtung ihres Werks nötig sind, nicht verleugnet, sondern vielmehr andeutet, aber sie sich so in freien zwecklosen Gebilden verklären läßt, daß das Ganze den Schein einer quellenden, lebendigen und naturwüchsigen Entwicklung annimmt, so wird jede Schönheit überhaupt nur dann uns empfindbar werden, wenn außer dem Einklang ihrer Verhältnisse, obwohl vielleicht nur durch einen leise nebenherschwebende Gedanken, die Erinnerung an die Gefahr des überwundenen Zwiespalts der unterworfenen Mittel festgehalten wird.

Unsere Ansicht des Schönen scheint sich mithin auf die Vorauserkennung eines unbedingten Gegensatzes zwischen Sein und Gedanken zu gründen, der eben um seiner Unmittelbarkeit willen eine besondere Versöhnung nötig macht. Und in der Tat sind der Betrachtung des Schönen Ansichten nicht förderlich, die entweder durch Leugnung der selbständigen Wirklichkeit des Stoffes das eine Glied dieses Gegensatzes tilgen, oder die Versöhnung beider vergessend, sie in eine zu weite Entfernung auseinander rücken. Ist die ganze erscheinende Welt selbst nur eine Ausstrahlung des denkenden Geistes, so kann die Schönheit nur noch auf einem anderen auf dem Gebiet dieser allumfassenden Geistigkeit selbst eingeschlossenen Gegensatz beruhen. Man wird die schaffende Einbildungskraft des einzelnen Geistes in ihrer natürlichen endlichen Bestimmtheit an die Stelle des Seienden und einer allgemeinen geistigen Weltordnung gegenübersetzen und so, indem man in der Übereinstimmung dieser beiden die Quelle einer schönen Lust findet, im Ganzen zu der Beziehung zurückkehren müssen, die der obigen Auffassung zugrunde liegt. Allein eine solche Weltordnung, nur von sittlichem Gehalt, und kein ursprünglich unabhängiges Dasein sich gegenüber erblickend, hat die Unbequemlichkeit der zweiten Ansicht. Auch unser Begriff von Gott ist für die Betrachtung der Schönheit insofern nicht weit genug ausgebildet, als sich aus seiner Heiligkeit zwar eine sittliche, aber nicht die natürliche Welt vorausahnen läßt. So überwiegend sind die Eigenschaften des göttlichen Wesens nach dieser einen Seite hin dargestellt worden, daß man jeden Grund vermißt, der von ihm als dem Schöpfer gerade zu diesen Gesetzen, gerade zu diesen Erscheinungen und Gestalten der Natur überführt, durch deren Schönheit und ahnungsvolle Fülle wir doch umgekehrt zu seiner seiner Anschauung zurückgeleitet werden.

Dürfen aber nun die Voraussetzungen, die wir dieser Betrachtung des Schönen vorausschicken, für mehr gelten, als für eine zufällige Ansicht, geschickt vielleicht, die Entstehung einer schönen Lust in uns zu beleuchten; dürfen sie eine übergreifende Gültigkeit als Beziehungen des wirklich Seienden für sich in Anspruch nehmen? Vielleicht nicht, vielleicht auch, daß dies überhaupt ihre Absicht war. Sprechen wir aus, daß ein Urgegensatz zwischen dem Stoff und dem Gedanken, der sich in ihm verwirklichen soll stattfindet, so meinen wir nur diejenige Überzeugung ausgesprochen zu haben, die menschlichem Erkennen zunächst liegt, und an jenes Gefüge der Welt erinnert zu haben, das allen Blicken umfassender Erfahrung offen vorliegt. Mit überwältigender Deutlichkeit springt dieser Tatbestand im Zusammenhang der Dinge in die Augen, daß nirgends der Gedanke selbsttätig sich verwirklicht, sondern hingegen ist dem Treiben der Ursachen und dem Glück ihrer angemessenen Vereinigung; daß jene Ursachen ferner nicht aus den höchsten Zwecken selbst ihrem Sein und Wesen nach fließen können, obwohl ihre Verbindungsweise denselben zustreben mag; daß schließlich auch die Ursachen nicht mit zweckmäßig wirkenden und der Lage der Umstände sich anbequemenden Kräften, sondern allgemeinen Gesetzen gehorsam tätig sind, die keine Teilnahme für die Gestalt des Erfolges zeigen, den man ihnen abgewinnen kann. Auf diese Züge im Zusammenhang der Dinge leitet uns die Erfahrung aller Wissenschaften und des Lebens selbst; aber diese vorhandene Verflechtung anerkennen ist noch ein Anderes, als sie mit den Bedürfnissen einer abgeschlossenen Weltansicht in Verbindung bringen, oder den Wegen nachspüren, auf denen Gedanke und Stoff sich zuerst begegnet haben und in diese unauflösliche Verkettung zusammengegangen sind. Das erste allein ist, was unsere Betrachtungen erfordern; dies vorausgesetzt, wird uns die Schönheit verständlich sein; das zweite ist eine Aufgabe höherer Art, der Lehre von den göttlichen Dingen vorzubehalten und keiner anderen Entscheidung hier bedürftig als der, die eben in der Erscheinung der Schönheit selbst liegt. Unser Erkennen mag nämlich wohl Fragen der Art aufwerfen, ob denn in der Tat die Zwecke das Vorangehende, der Stoff und seine Beziehungen das Nachfolgende ist, woher und wie der Gedanke zum Stoff getreten ist, und warum überhaupt dieses menschlichen Zwecken, den ohnmächtigen, zunächst entlehnte Verhältnis des Zusammenhangs auch auf die Gestalt des Weltalls übertragen werden kann. Eine Verständigung über die Schöpfung der Welt ist es, die solche Fragen zu lösen hat: in unserem Zusammenhang ist es die Schönheit selbst, die darauf eine Antwort gibt, indem sie den tiefen seligen Wert solcher Verhältnisse hervorhebt, der unmöglich wäre, wo nicht Zwiespalt und im Zwiespalt Versöhnung gegeben wäre; der unmöglich sein würde, wo jeder Gedanke, jeder Zweck der Welt widerstandslos sich selbst vollzöge, und so alles, einer allmählich sich vollziehenden Geschichte ebensowohl als einer zerstreuten mannigfachen Erscheinungswelt ganz unbedürftig, in das selbstgenügsame Kreisen eines von Ewigkeit erfüllten Zweckes und Begriffes überginge. Die Schönheit ist so ein Vorbote jener geahnten Versöhnung zwischen Beziehungsgliedern, die unserer Erkenntnis feindlich auseinanderstehen, und deren Gegensatz doch nicht aufgegeben werden kann, ohne zugleich die Quelle der Seligkeit zu vernichten, die aus seiner Einigung entspringt.

Dürfen wir nun hier bei der Aufsuchung des Wesens der Schönheit, wie billig auch der Stellung gedenken, in der der genießende Geist zu ihr steht, so finden wir ja, daß wir keine wohlerkannte Lösung aller Rätsel in ihr noch einmal dargestellt sehen, sondern daß in ihr erst die Gewißheit einer wirklichen, aber großenteils noch unbekannten Lösung uns erquickt.

Daß eine solche höhere und innigere Verschmelzung des Stoffes und des Gedankens in einer gemeinschaftlichen Wurzel stattfindet, dies ist eine der teuersten und unaustilgbarsten Hoffnungen des Geistes und auch sie beruth nicht auf einer Notwendigkeit, die im Gang unserer reinen Erkenntnis gegeben wäre, sondern in jenen wertgebenden Gefühlen, die einer unmittelbaren Offenbarung vergleichbar, auch dann noch eine Meinung verdammen, wenn sie allen Anforderungen des reinen Denkens Genüge geleistet hat. Aber diese Hoffnung ist nicht der deutlichste Teil unserer Erkenntnis, vielmehr, wie viele Bedürfnisse des Geistes, sucht er noch seine Befriedigung, die nicht in der bloßen Versicherung einer solchen höheren Einheit liegen kann. Jenen deutlichsten Teil bildet vielmehr gerade jener Zusammenhang der Weltordnung, den wir dem Schönen zugrunde legen, jene wenn auch nicht unbedingte, wenn auch nur scheinbare Trennung des Seienden von dem Gedanken und die Verwirklichung des Letzteren, durch die nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden Ursachen. Daß nun überall im Ganzen der Welt jene Übereinstimmung der Zwecke mit den Erscheinungen und der Zusammenfassung der Ursachen herrscht, dies allein ist unsere beständige Voraussetzung, allein sie muß vorläufig als eine durch ihre eigene Klarheit, mit der sie aus der Gesamtheit unserer Erfahrungen hervorspringt, glaubhaft gemachte, aber ihrem Zustandekommen nach unerklärte Tatsache betrachtet werden, deren weitere Aufhellung nur einer Verständigung über die göttlichen Dinge vorzubehalten ist. Zur Anerkennung dieser Tatsache aber hat die Geschichte der Gedanken bis jetzt in verschiedenen Gestalten hingedrängt, und die gesamte Ausbildung der Naturwissenschaften würde sie, ohne fremdartige Einwirkung längst außer Zweifel gesetzt haben. Aber die Schwierigkeiten, die sich erhoben, als man solche Ansichten mit jenen Bedürfnissen des Geistes nach umfassender Einheit des Höchsten vereinigen wollte, führten dahin, lieber wegen dieses Bedürfnisses den Tatbestand zu verkennen, als ihn mit demselben zu versöhnen.

Fragen von so weitgreifendem Inhalt können hier nicht ihre Erledigung finden. Sie würden genau genommen, nichts weniger umfassen, als jene Untersuchungen über Ursprung und Sinn des Bösen und Unvollkommenen in der Welt, auf die soviel geistige Kräfte bisher ohne nachhaltige Wirkung verwandt worden sind. Das allgemeine Verhängnis, das jeden wertvollen Zweck der Welt sich nur in endlichen Erscheinungen und in jener Verkettung ursächlichen Geschehens verwirklichen läßt, begründet die Möglichkeit, ja die Unausbleiblichkeit störender Nebenwirkungen und eines teilweisen Mißlingens. Haben wir der Schönheit diesen Beruf zuerteilt, Stoff und Gedanken in einer unmittelbaren Versöhnung aufzuweisen, so wird doch auch sie nicht ein allgemeines, sondern ein glückliches Ereignis in der Welt sein und die Häßlichkeit wird nicht fehlen, die uns zeigt, wie Kräfte, die nur unter einem höheren Gedanken bezwungen, ein Recht zum Dasein hatten, von diesem Zügel befreit sich in selbständigen Wucherungen ihrer Macht ergehen. Allein noch über den Nachweis dieser unausbleiblichen Wirklichkeit des Häßlichen hinaus hat man in neuerer Zeit auch von der Notwendigkeit der Häßlichkeit gesprochen, als läge es im Begriff der Schönheit, in dieses ihr Gegenteil umzuschlagen. Ich weiß nicht, inwiefern diese Ansichten mit dem eben Erwähnten übereinstimmen, inwieweit sie noch einen anderen Gedanken einschließen mögen. Schwerlich meinen sie jedoch die Notwendigkeit des Daseins häßlicher Gegenstände zu erweisen, sondern durch einen jener Scheine, die sich so oft zeigen, wenn man Begriffe ablöst von dem, das ihr Träger ist, hat sich die Täuschung einer inneren Verwandtschaft und eines gegenseitigen Zusammengehörens zweier Begriffe gebildet, die nur durch das eigentümliche Wesen ihrer Träger zueinander in Beziehung stehen. Da wir nicht von einer Geschichte der Begriffe, werde sie selbst, wie sich versteht, im widersprechenden Sinn einer zeitlosen Geschichte gewonnen, sprechen können, so müssen wir das geheimnisvolle Licht, das solche Ansichten auf dieses Verhältnis fallen lassen, durch eine andere weniger tief eingehende Betrachtung zu ersetzen suchen. Häßlichkeit kann keine Aufgabe des Weltinhaltes sein, ebensowenig eine Selbständigkeit der Mittel den Zwecken gegenüber, aus der sie hervorging. Aber dieses Widerspenstige kann eine notwendige Vorbedingung des Höheren sein. Wir finden die Schönheit in solchen Übereinstimmungen, die uns als glücklicher Zufall erscheinen. Wäre sie allgemein, so würde sie den Gegensatz gänzlich verdecken, in dessen Versöhnung sie besteht. Allein eine so harmlose, durchaus von keinem Widerspruch wissende Schönheit mag zwar in unbefangener, unschuldiger Anmut entzücken, aber nur, weil unser Bewußtsein die Erinnerung an überwundene Gefahren und die Bitterkeit des Kampfes mit ihr zusammenhält. Alles Lebendige aber besteht weder in der Unwissenheit des Äußeren, noch in der teilnahmslosen Stumpfheit, die ein toter Stoff, seines ewigen Beharrens in jeder Gestalt immer gewiß, den äußeren Einflüssen entgegensetzt, sondern in der tätigen Abwehr und der siegenden Festhaltung seiner Entwicklungen mitten im Kampf. So soll auch das Schöne die Wunde aufzeigen, die es heilt, und durch die Überwindung einer inneren Anlage zur Häßlichkeit sich selbst den Glanz der Erhabenheit ergeben, der der unbefangenen kampflosen Schönheit nicht zusteht.

Hierdurch wird die Häßlichkeit nicht zu einem Verneinten, zu einem bloßen Mangel herabgedrückt. Im Gegenteil bietet auch nach unserer Ansicht das Häßliche viel leichter als das Schöne sich zu einer solchen inneren Zusammenfassung seines Wesens dar, durch die es als eine geschlossene, und in sich zusammengehörige Macht und Tätigkeit erscheint.

Denn die Schönheit, nur im Sinne eines Schicksals bestehend, das an Verschiedenem in durchaus ungleichartiger Weise sich vollzieht, wird schwer in eine anschauliche Einheit der Vorstellungen zusammenschmelzen; die blind wirkenden Kräfte der Natur aber, oder die eigensüchtigen Regungen der Seele, aus deren selbständigem Treiben die Häßlichkeit entspringt, lassen sich so leicht in die Anschauung einer strebenden auf Zerstörung und zerstörende Schöpfungen sinnenden Gesamtmacht vereinigen, daß wir nicht wunderbar finden, wenn die Zeichnung dieses widerspenstigen Reiches oft gelungener sich zeigt als die des Guten, und wenn selbst wissenschaftliche Ansichten mit Vorliebe dem Häßlichen mehr Bedeutung zugestehen, als ihm zukommt. Ist nun die Erhabenheit die Überwindung einer inneren Gefahr der Häßlichkeit, so wird doch die erhabene Erscheinung nicht selbst, sondern nur der genießende Geist, der seine Erinnerungen und seine eigenen Voraussetzungen mit ihr, der gegebenen, zusammenhält, die Beziehung der Gegensätze und ihre Versöhnung vollziehen. Noch mehr als das Schöne, wird daher das Erhabene nur im Geist als Stimmung auftreten, obwohl nicht überall dieses Gefühl der Erhabenheit bloß in einem Rückstoß besehen wird, den das Bewußtsein sittlicher unbedingter Befreiung von aller Gefahr eines bedrohenden Mißverhältnisses hervorbringt.

Auch dies jedoch bedarf, wie aller Inhalt des Schönen, noch einer weiteren Betrachtung. Bisher haben wir den Beruf ins Auge gefaßt, den die Schönheit als einen der ewigen Gedanken der Weltordnung erfüllen soll. Aber diese Bestimmung ist so in den einfachen Rahmen eines Begriffs gespannt, während ihre Verwirklichung gerade in der überquellenden Seligkeit ihren Wert hat, durch die sie mehr ist, als Begriff. Gerade weil die Schönheit keine Erscheinung, sondern der Sinn eines allgemeinen Ereignisses ist, wird der ganze Reichtum ihrer Tiefe erst dann erschöpft, wenn wir die unendliche Mannigfaltigkeit ihrer Äußerungsweisen betrachten. So wie jeder äußere Umstand, der eine Seele zur Entwicklung einer Tätigkeit zwingt, diese Seele nicht ändert, aber sie doch durch die Wirklichkeit und die Erinnerung an eine Tat bereichert, deren Möglichkeit in ihrem Inneren lag, so besteht auch das Schöne der Schönheit, wenn wir so sagen dürfen, nicht sowohl im einfachen Begriff ihrer Bestimmung, als in der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer Bewährung, die der Lauf der Erscheinungen hervorlockt.

LITERATUR - Hermann Lotze, Über den Begriff der Schönheit [abgedruckt aus den Göttinger Studien] Göttingen 1845
    Anmerkungen
    1) Diese Abhandlung, durch ihren Platz in einer Sammlung verschiedener Arbeiten räumlich beschränkt, und bestimmt, durch keinen undeutschen Ausdruck der Sache eine ihr fremde Schwierigkeit zu geben, will nur eine durchaus elementare Einleitung zu den Kunstbetrachtungen sein, die in neuester Zeit teils sehr wertvoll, teils überklug ausgebildet, jedenfalls auf einem Boden ruhen, den zu betreten diesen Zeilen nicht gestattet war.