![]() |
![]() ![]() ![]() |
||||
Zum Sinn der Frauenbewegung
Es ist ein weit verbreiteter Fehler, den welthistorischen Sinn der modernen Frauenbewegung und ihre dauernde und endgültige Wirkung auf alle menschlichen Verhältnisse an denjenigen Erscheinungen abschätzen zu wollen, welche mit dem Auftreten der ersten weiblichen Vorboten, ihrer Haltung und ihrem Wesen und Bild notwendig verknüpft sein mußten. Das wäre genauso unsinnig, wie es gewesen wäre, wenn man den Sinn der englischen Gewerkschaftsbewegung, der - wie wir heute wissen - durchaus die Erhaltung der kapitalistischen Zustände und des kapitalistischen Geistes ist, an den revolutionären Unruhen der Chartisten, ihrer Vernichtung von Maschinen usw., welche den Beginn jener Bewegung bildeten, hätte ermessen wollen; ja, man verzeihe das drastische Beispiel, es wäre so unsinnig, wie wenn man einen etwa gelungenen revolutionären Putsch der französischen Royalisten über die Republik, der sich sicherlich auch allerhand Elemente bedienen müßte, deren Gemütsart mehr "revolutionär" als "konservativ" wäre, als einen Sieg der "fortschrittlichen Prinzipien" der modernen Welt ansähe. Jede Bewegung, was immer auch ihr Inhalt und Ziel ist, ist "revolutionär", sofern sie sich gegen ältere herrschende Zustände und Werte wendet und bedarf zu ihren ersten Trägern und Repräsentanten und zu ihrer Durchführung Personen und Kräfte, die nach den herrschenden Werten des Systems, gegen das sich die Bewegung wendet, als in diesem System "ausgezeichnete" und "fortschrittliche" gelten müssen. Das schließt aber nicht aus, daß der Inhalt und Sinn der betreffenden Bewegung ein dem Geist und den bewußten Zielen seiner ersten Träger und Repräsentanten gerade entgegengesetzter sein kann und daß sich das, was in ihr faktisch realisiert wird, von der Form seiner Realisierung als schärfstes Gegenteil scheidet und abhebt. Eben das scheint aber bei der Frauenbewegung in jeder Beziehung und nicht bloß in Bezug auf ihr gegenwärtiges und sich endgültig einstellendes Verhältnis zur Steigerung und Abnahme der Qualität und Quantität der Fruchtbarkeit der Fall zu sein. Schon der französische Positivist AUGUSTE COMTEs hat mit vollem Recht auf diese Zweiseitigkeit der Frauenbewegung aufmerksam gemacht und die Jesuiten, ja zum Teil die katholische Kirche überhaupt, die ja gegenüber dem Protestantismus von jeher das Recht des weiblichen Prinzips in allen menschlichen und göttlichen Dingen vertritt, haben den tieferen Zusammenhang zwischen Anfang und Ende wohl verstanden. Jede endgültige Steigerung der Berechtigungen der Frau in sozialer, politischer und ökonomischer Hinsicht muß notwendig zu einer inneren Begrenzung der Stoßkraft all der Werte und Kräfte führen, auf denen sich unsere gegenwärtige Zivilisation erhebt. Keine in den Grenzen geschichtlicher Variabilität liegende Veränderung des weiblichen Typus kann es ja jemals aufheben, daß die Frau als das erdenmäßigere, pflanzlichere, in allem Erleben einheitlichere und durch Instinkt, Gefühl und Liebe weit stärker als der Mann geleitete Wesen, auch das von Haus aus konservative Wesen ist, die Hüterin der Tradition, der Sitte aller älteren Denk- und Willensformen und die ewige Bremskraft eines nach den Zielen bloßer >Rationalität und bloßen "Fortschrittes" dahinstürzenden Zivilisations- und Kulturwagens. Zu den männlichen Exzessen in der Geschichte, sowohl zu jenen der Ideen als zu solchen der Sitten und Moden, hat die Frau, trotz ihrer gesteigerten leiblich-seelischen Plastizität, stets eine fast ans Wunderbare grenzende Ruhe und Konstanz bewahrt. Mit der schönen und ruhesamen Gelassenheit eines Baumes, neben dem Tier ihre verwickelten Sprünge machen, steht sie im Grunde ihres Seins vor der ruhelosen Dramatik der Männergeschichte - immer bedacht, die großen, einfachen Grundlagen festzuhalten, die unsere gattungsmäßige Existenz zu eigen hat. Mag darum auch der weibliche Typus, der zunächst diese Bewegung ins Rollen bringt, in einem Maße wie immer die oben genannten Wesenseigenschaften des Weibes vermissen lassen, - das ist nur eine Folge davon, daß unsere, so speezifisch männliche Kultur auch im Angriff auf sie und im Kampf gegen sie nur auf männliche Waffen reagiert -, so wird doch jene vorläufige, notwendige Mimikry [Schutzfärbung - wp] des Weibtums, vermöge der es zunächst die Schutzfarbe seines Gegners annimmt und die Genossen des virileren Typus in den Kampf vorausschickt, in dem Maße verschwinden, als die Bewegung Ausbreitung, Macht gewinnt und sich durchsetzt; und damit die bisherige Schwäche der weiblichen Position (die wie immer, so auch hier, eine Bedingung der "Mimikry" darstellt), einer stärkeren Position Platz macht. Daß, so lange die öffentlich-rechtliche Personalität der Frau und ihre selbständige Mitwirksamkeit an der Bestimmung der Kulturziele nicht anerkannt ist und eben darum die Werte, Aufgaben und Ziele, die unsere Kultur beherrschen, ausschließlich männliche und zwar spezifisch männliche sind, auch die sich in einem solchen System aufkämpfende Frau zunächst männliche Züge annehmen muß, - das ist eine ganz selbstverständliche Tatsache. Ebenso selbstverständlich aber ist, daß - wenn jene Bewegung sich einmal durchgesetzt hat, - und damit jene Werte, Aufgaben und Ziele selbst einen dem Wesen des Weibes entsprechenden Einschlag erhalten, jener Prozeß der Vermännlichung des Weibes mit all seinen üblen Folgen nachlassen und schließlich aufhören muß. Ja, ich bin der Überzeugung, daß es innerhalb der gesamten Geschichte keine einzige friedliche Bewegung gegeben hat, die eine so durchgreifende Veränderung aller menschlichen Verhältnisse vollziehen wird, wie eine siegreiche Frauenbewegung. Die Befreiung des dritten Standes durch die französische Revolution und die langsame Emanzipation des vierten Standes in der modernen Arbeiterbewegung, in deren bloßer Gefolgschaft sich gegenwärtig noch ein Hauptteil der Frauenbewegung, nämlich die Arbeiterinnenbewegung befindet, werden, ihrer dauernden Wirkung auf die Menschheit nach betrachtet, gegenüber der Bedeutung der Frauenbewegung, - wenn sie siegreich ist, ins Bedeutunslose verschwinden. Dieser Bewegung Sinn aber wird in jeder Hinsicht eine gewaltige Beimischung konservierender, sammelnder, erhaltender und alle jene Werte neu stützender Kräftesein, über welche der anarchische, revolutionäre, zersplitternde Geist der Neuzeit wie über etwas "Veraltetes" hinwegzuschreiten gewohnt war. Gewiß! Die männliche Autorität z. B. über die Frau wird sich verringern; aber das Prinzip der Autorität wird in jeder Hinsicht, in Staat, Kirche, Gemeinde, Schule gewaltig gewinnen. Der Inhalt jener besonderen Tradition, der "Gehorsam des Weibes" fordert, wird mehr und mehr verschwinden, aber das Prinzip der Tradition in bezug auf alle anderen nur denkbaren Inhalte, Sitte, Recht, Religion, Kunst, Wissenschaft usw. wird gegenüber dem der "Vernunft" gewaltig gewinnen. Die Frau wird in gewissem Sinne einen rationelleren Typus repräsentieren; aber in dem, was die Philosophie der Neuzeit bisher "Vernunft" genannt hat, um dessen Gehalt an Ideen und Prinzipien als letztes Maß über alle menschlichen Dinge aufzuhängen, wird selbst eine gewaltige Bedeutungsverschiebung eintreten; und jener neue Begriff von der "Vernunft" - oder ws dann an die Stelle jenes Wortes gesetzt wird, - wird die ewigen Züge des Wesens des weiblichen Geistes, wird auch die Konstituentien des weiblichen Bewußtseins in sich aufnehmen. Mit Recht hat GEORG SIMMEL darauf hingewiesen, daß alle Grundbegriffe unserer neueren Philosophie (hier als Ausdruck der neueren Kultur betrachtet), als da sind "Person", "Vernunft", "Wahrheit", "Gutes" usw., den sonderbaren Fehler in sich tragen, sich zwar als "allgemein menschliche" auszugeben und so auch den Anspruch zu erheben, die Maße für die andere Hälfte der Menschheit und deren edelsten Kräfte mit zu umspannen, daß sie hierbei aber faktisch nur spezifisch männliche Werte verkörpern, so daß die Frau, die "allgemein menschlich" sein will, eo ipso [wie selbstverständlich - wp] hierdurch "männlicher" wird. Gewiß gibt es noch eine logische, ethische und ästhetische Gesetzlichkeit, die das Wesen des Geistes und des betreffenden Gegenstandes und Wertgebietes selbst ausdrückt und darum für beide Geschlechter ein und dieselbe ist. Aber diese gibt es nur so weit, wie wir auf die subjektiven Anlagen und Kräfte der Wesen und ihre Verschiedenheit, für die sie in Geltung steht und auf die bezogen jene pure Sachgesetzlichkeit erst zur sogenannten "Norm des richtigen Verhaltens" werden kann, keinerlei Rücksicht nehmen. Das "Denken" von Mann und Weib z. B. kann durchaus konstitutiv verschieden sein, ohne daß die Einheit der Gesetzmäßigkeit, die im Gedachten als solchem gründet, darunter leidet. Die logischen "Normen" und erst recht "Methoden", deren richtige Fassung die Erkenntnis von beidem voraussetzt, jener idealen Gesetze der Gegenstände und jener Denkkonstitution, müssen also bereits für beide Geschlechter verschieden ausfallen, sofern sie "richtig" sein sollen. Allen Disziplinen der Philosophie und Psychologie harrt gegenwärtig die noch kaum angegriffene Aufgabe, die Konstituentien des weiblichen und männlichen Bewußtseins in allen seinen Aktrichtungen aufzusuchen und erst aufgrund dieser Erkenntnis die geistigen Betätigungsfelder für beide Geschlechter aufzufinden. Die rohe Vorstellung des 18. Jahrhunderts, z. B. J. J. ROUSSEAUs, daß die seelischen Differenzen von Mann und Weib ausschließlich Folgen der leiblichen und biologischen Funktionsunterschiede der Geschlechter seien, sonst aber sie beide je dasselbe Exemplar "vernünftige Seele" besäßen, muß mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Die geschlechtliche Differenz ist geistig ebenso ursprünglich, wie sie es leiblich und biologisch ist. Die differentielle Geschlechtspsychologie, die für die unteren seelischen Funktionen, Empfindlichkeit, Reizbarkeit, Modalitäten der Aufmerksamkeit, des Interesses, Gedächtnis, Erinnerung, Phantasie gegenwärtig einen gewissen Grad der Ausbildung erlangt hat, wird sich daher nunmehr vor allem den höheren und höchsten Funktionen des kulturbildenden Geistes zuzuwenden haben. Überall wird die präzise Untersuchung hier zeigen, daß der Geschlechtsunterschied bis in die tiefsten Wurzeln des Geistes selbst zurückreicht, daß z. B. der weibliche Begriff, das weibliche Urteil, das weibliche Wertfühlen grundverschieden gebaut sind. Die Art, wie dem seelischen Ich von Mann und Weib der eigene Leib gegeben ist (z. B. die Distanzierung in beiden Fällen) enthält sicher einen unüberbrückbaren Wesensunterschied. Im Verhältnis zur Art, wie die Frau konstitutiv ihren eigenen Leib erlebt, - wie sie sich in ihm fühlt und weiß - führt der Mann den seinen so distanziert mit sich, wie wenn es ein Hündchen an der Leine wäre. Doch das ist nur ein Bild; und es bedarf einer hier nicht anzustellenden genauen Erforschung aller in Frage kommenden Tatsachen. Ich halte die hier für jede Erkenntnis des Richtigen gegebene Grundschwierigkeit, daß alle unsere intellektuellen Bilder von Mann und Weib selbst wieder durch männliche oder weibliche Geistesfunktionen aufgebaut sind - nicht aber durch solche, die unabhängig und über dem Geschlechtsgegensatz Bestand und Recht hätten, für äußerst groß. Nur darum ist sie keine unüberwindliche, weil in den konkreten Individuen beide wesensverschiedene Arten geistiger Funktionen sich in den mannigfachsten Verbindungen zusammen und durchdrungen finden. Nicht die Häufung empirisch-statistischer Untersuchungen, die auf die eigentümliche Zusammensetzung aus Weiblichen und Männlichen im untersuchten Material keine Rücksicht nehmen können, sondern allein die Methode der Wesensbetrachtung, angestellt vor allem von solchen Individuen, die entweder mit einem gewissen Gleichgewicht beider Funktionsarten ausgerüstet noch eines Überblicks über beide und eines Vergleichs beider fähig sind oder doch ein besonderes Maß von Nachlebensfähigkeit für die Funktionen des anderen Geschlechts besitzen, dürfte hier Erfolge versprechen. Die letzte Fundierung kann diese Betrachtungsart freilich nur durch die philosophische Entscheidung darüber erlangen, ob weiblich-männlich nur ein induktiv-empirischer Begriffsunterschied ist oder aber ein schon mit dem Wesen des Lebendigen selbst gesetzter Wesensunterschied gewisser Elementarphänomene, die durch die Differenz des Physischen und Psychischen hindurchreichen und deren faktisches Erscheinen an irgend einem individualisierten Träger (Individuum, Organ, Gewebe, Zelle, Zellkern usw.) erst entscheiden dafür ist, ob dieses als männlich oder als weiblich bestimmt wird. So unendlich schwierig diese Entscheidung und die Isolierung jener Elementarphänomene für die Anschauung in der Überfülle des Materials sein mag - wir halten den Weg nicht für aussichtslos. Schon das ist als ein großer Fortschritt auf dem Weg - wenigstens bis zur Schwelle dieses Problems - anzusehen, daß wie die ganze Tiefe des Geschlechtsunterschieds - und zwar ohne die voreilige Wertung, bei der man immer schon die spezifischen Werte des einen Geschlechts voraussetzt - wieder zu sehen beginnen; ja daß wir immer mehr und zwar in der Wissenschaft und im allgemeinen Kulturleben gleichmäßig zur Anschauung tendieren, daß dieser Unterschied bis in die metaphysischen Wurzeln aller endlichen belebten und beseelten Existenz zurückreicht. Innerhalb der Biologie wird die bis vor einem Jahrzehnt herrschende Lehre, daß der Geschlechtsunterschied eine relativ späte und äußerliche Anpassungserscheinung des Lebens und seiner historischen Entfaltung sei, in immer stärkerem Maße ihrer tatsächlichen Scheinstützen beraubt. Ja, die alte aristotelische Lehre, daß alles Lebendig entweder männlich oder weiblich sei - wenn wir den Unterschied auch noch nicht überall feststellen können - hat wieder einige Vertreter in der positiven Biologie gefunden. (1) Auch an diese biologischen Ergebnisse wird die philosophische Wesensuntersuchung anzuknüpfen haben. Analog verliert in der Sphäre der Geisteswissenschaften die ältere, schnell fertige Urteilsrichtung, die z. B. die Verschiedenheiten des weiblichen Ehrgefühls, desgleichen des Schamgefühls vom männlichen auf bloß historisch-zeitgeschichtliche, ökonomische und politische Ursachen zurückleiten will (Suggestion durch den Mann im Dienste seiner Interessen), mit jedem Tag mehr an Geltung. ![]()
1) Ich nenne hier FRANZ THEODOR DOFLEIN und in ganz anderer Richtung WILHELM FLIESS. |