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David Humes Skeptizismus [ein Weg zur Philosophie] [2/2]
Von einem wirklichen inneren Verhältnis zwischen den Dingen oder auch nur den Erscheinungen ist nicht die Rede. Ob ein solches bestände oder nicht, darüber läßt sich gar nichts sagen, meint er; nirgends offenbart sich uns ein solches Band (vgl. z. B. Treatise I 460) (10). Ohne Zweifel, es wird uns schwer, auf die Vorstellung einer objektiven, von unserem Geist unabhängigen Verknüpfung zwischen Sonnenstrahlen und Lufttemperatur, zwischen Blitz und Donner zu verzichten; und seit ROBERT MAYERs Entdeckung - die man mit Recht den größten Fortschritt über HUME hinaus genannt hat - glauben ja jetzt manche in der Identität des Größenverhältnisses zwischen Ursache und Wirkung jenes objektive Band in der Hand zu haben (RIEHL, a. a. O., Seite 142-144). Ob dadurch wirklich die Schwierigkeit ein für alle Mal gehoben oder nicht nur ein wenig weiter hinausgeschoben ist, bleibe dahingestellt. Aber die Anschauung HUMEs war schon die GLANVILs gewesen und - sollte auch die KANTs werden; denn auch dieser verlegt den Begriff, soweit er für uns erkennbar ist, aus dem Objekt ins Subjekt. So hat dann sogar PFLEIDERER zugegeben (a. a. O., Seite 147f), daß die Relation der Kausalität durch ihre "Auflösung" ins Subjektiv-psychologische noch nicht in die Skepsis gedrängt werden sollte. Gewohnheit, Glaube, diese subjektiv-psychologischen Grundlagen des Kausalgesetzes, erscheinen uns nun aber noch sehr viel unsicherer als auf den ersten Blick, wenn wir sie mit der apriorischen Gewißheit und Notwendigkeit einer kantischen Denkform vergleichen. Immerhin sei Folgendes zu bedenken gegeben: HUME sagt freilich, wir können in der Welt der Erscheinungen nicht wissen, wir können auch keinem anderen beweisen, daß B auch morgen, ja in alle Ewigkeit auf A folgen muß, weil es unserer Erfahrung gemäß seither immer auf A gefolgt ist. Nur der Glaube läßt uns dasselbe erwarten. Aber - und hier liegt der Kardinalpunkt der ganzen Frage - nicht etwa dergestalt, daß es uns frei steht, daran zu glauben oder nicht, sondern so, daß wir infolge eines inneren Zwangs daran glauben müssen. Denkbar bleibt es, daß irgendein Ereignis ohne Ursache eintritt; apriorische Gewißheit von der Notwendigkeit der Kausalverknüpfung gibt es also allerdings nicht. Aber der Glaube an diese Notwendigkeit ist gleich fest gegründet, mag er nun auf einem logischen oder psychologischen Zwang beruhen. Daß für das Verständnis seiner Theorie die richtige Erfassung dieses seines Glaubensbegriffs die notwendige Voraussetzung ist, war unserem Denker keineswegs entgangen. Immer wieder kommt er darauf zurück, immer wieder bemüht er sich, die Sache von einer anderen Seite her zu fassen und zu beleuchten. Nach und nach hat auch bei den HUME-Interpreten dieser Punkt die gebührende Beachtung gefunden; und gerade aus der allerletzten Zeit (1903) haben wir ziemlich umfangreiche Monographien (von QUAST und ZIMELS), die sich ausschließlich damit befassen. - Das Wort "Glaube" zunächst - das von JACOBI stammt - ist geeignet, irre zu führen; es gibt kaum den Gedanken zutreffend wieder, den der Engländer mit seinem Wort "belief", dem Gegensatz zu "faith", dem religiösen Glauben, verbindet; "Erfahrungsüberzeugung" möchte der Sache wohl näher kommen, ist freilich ein Wortungeheuer und wenig geschickt, den landläufigen Ausdruck zu verdrängen. Aber den Übersetzer trifft nur der geringere Teil der Schuld, wenn es bei näherem Zusehen immer schwerer fällt, hier hinter die wahre Meinung des Philosophen zu kommen. Dieser selbst läßt es auch hier wieder - man muß es aussprechen - an der wünschenswerten Klarheit bedenklich fehlen. Kein Warnungszeichen, daß man sich hüten soll, den "belief" an die Realität gewisser Vorstellungskomplexe - im Gegensatz zu den irrealen Gebilden der Phantasie - zu verwechseln mit dem "belief" an die Gesetzmäßigkeit des Naturlaufs. Keine völlig scharfe Definition oder auch nur Erklärung der beiden Begriffe in ihrer Verschiedenheit; anders im Treatise, anders in den Zusätzen desselben, anders im Enquiry. Immerhin, so viel scheint ausgemacht: Wir können hauptsächlich zwei verschiedene Arten bemerken, die Sache zu geben. Einerseits wird der "belief" als eine Vorstellung - oder wohl auch als ein Vorstellen - von besonderer Lebhaftigkeit, Energie, Widerstandsfähigkeit und Beständigkeit bezeichnet, immer verbunden mit einer gegenwärtigen Wahrnehmung. Andererseits soll der "belief" ein Gefühl sein, das mit dem Gefühl der Liebe und das Hasses in eine Parallele gestellt werden kann. Also zwei völlig auseinanderstrebende Anschauungen, die man sich oft vergebens zusammenzubiegen bemüht hat. Und dennoch, sollten sie nich so zu vereinbaren sein? Jenes, das besonders lebhafte, energische, widerstandsfähige, beständige Vorstellen, erklärt den "Existenzialglauben", wenn ich so sagen darf, dieses, das nicht näher zu definierende nur zu vergleichende "feeling", den "Kausalglauben". Daß der Tisch, an dem ich schreibe, "existiert", die "Tafelrunde des König Arthur" aber nicht, das glaube ich, weil der Vorstellung von diesem meinem Tisch durch die mannigfachen Apperzeptionen eine größere Intensität verliehen wird als der jenes Phantasie-Tisches. Die Überzeugung aber, ein Stein, den ich aus der Hand lasse, würde immer zur Erde fallen und nicht etwa einmal unter tausend Fällen gen Himmel fliegen, ist nichts als jenes Gefühl der inneren Notwendigkeit, "ein Vorgang der Seele, der ebenso unvermeidlich ist, wie das Gefühl der Liebe, wenn wir Wohltaten empfangen, oder des Hasses, wenn uns Unbill begegnet." (Enquiry IV 40). Dies scheint mir unseres Philosophen letzte und tiefste Meinung in der Frage nach der Begründung unseres Begriffes der notwendigen Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Und weit entfernt von dem Bewußtsein, diesen Begriff dadurch irgendwie erschüttert zu haben, ist er vielmehr umgekehrt davon überzeugt, daß er ihn durch seine Tätigkeit doppelt fest verankert hat. Nicht mehr ist er irgendwie abhängig von der Vernunft, der schwachen, trügerischen; nein, fest eingefügt ist er dem geistigen Organismus als eine natürliche, von aller Willkür unabhängige Funktion des Geistes, als ein "Instinkt", dadurch ihn die Natur in ihrer Weisheit sicherer gestellt hat, als sie es auf irgendeine andere Weise hätte tun können. (Enquiry IV 47) Man könnte versucht sein zu fragen: Ist diese immanente Funktion des Geistes, dieses unmittelbare Bewußtsein von der Gesetzmäßigkeit des Naturlaufs, womit wir an die Erkenntnis der Erscheinungen herantreten, wirklich sehr viel weniger befriedigend als KANTs Kategorie?3 Freilich, jene wird induktiv durch "Gewohnheit" aus den Erscheinungen erworben, diese a priori in sie hineingesehen. Welches hier wirklich das prius ist, die Anschauung oder das Denken, das ist gewiß keine unwichtige Frage; und vielleicht hätte HUME, wenn ihm nur der Entwicklungsgedacnke schon ebenso geläufig hätte sein können wie uns, gegen die Lösung moderner Anhänger seiner Lehre nichts einzuwenden gehabt; vielleicht hätte auch er zwischen Einzelgeist und Rassengeist gesondert, ersterem erbliche Fähigkeiten zugesprochen und nur letzterem nicht, und wäre dadurch KANT erheblich näher gerückt. Aber die Differenz zwischen dem "skeptischen" Empiriker und dem kritischen Rationalisten verschwindet doch unstreitig neben der völlig neuen Entdeckung, die beide gemeinsam haben. Die Einzelerscheinungen gruppieren sich zu wissenschaftlicher Erkenntnis nur unter dem Zwang eines allgemeinen "Denkgefühls von der Gesetzmäßigkeit ihrer Verknüpfung, sagt HUME; das reine Denken vermag Erkenntnis nur zu liefern in seiner Anwendung auf die Erscheinungen, gesteht KANT zu. Nur durch die Wechselwirkung von Anschauung und Denken ist Erkenntnis möglich, so lehren beide. KANT freilich ist in der Anwendung dieser Entdeckung viel weiter gegangen als HUME, und das ist sein unsterbliches Verdienst. Nicht nur für die verhältnismäßig hohe Stufe des kausalen Schließens trifft diese Wechselwirkung zu, sondern schon die Elemente der Erkenntnis, die Begriffe, ja die Wahrnehmungen kommen nicht anders zustande. Das hatte HUME freilich nicht gesehen. Aber auch so ist sein Verdienst gewaltig genug, wenn man bedenkt, daß vor ihm noch niemand diesen kühnen Gedanken gehabt hatte. Und wenn man nicht vergißt, daß er ein Pfadfinder war, ein Entdecker von Neuland im wahrsten Sinne des Wortes, dann wird man ihm ein gelegentliches Schwanken und manche Unsicherheit zugute halten. Man wird auch begreifen, daß er seine Entdeckung nicht so scharf und klar herausstellte, wie es hätte sein können und sein müssen, um die ärgsten Mißverständnisse zu vermeiden. Auch KOLUMBUS war sich der Tragweite seiner Tat nicht bewußt. Diese Tat des philosophischen KOLUMBUS aber ist nicht mehr bloß die Aufstellung der kritischen Frage, sondern auch die Erschließung des Weges, der zu ihrer Lösung führt, der kritischen, oder, wenn man so will, der transzendenten Theorie. Mit dieser Einsicht hätten wir, sollte ich meinen, den abschätzigen Stempel "Skeptizismus" von HUMEs Erkenntnislehre abgewaschen; ist HUME hier ein Skeptiker, dann ist auch KANT einer, und was diesem recht ist, sollte jenem billig sein. Und so stünden wir denn eigentlich am Ende von des Schotten wahrer Metaphysik, desjenigen, was man entweder durch "demonstrations" erkennen kann, wie die Mathematik, oder durch "proofs", wie die Erfahrungswissenschaften. In welchem Sinn er sich auch mit Metaphysik in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes befassen will, habe ich schon darzulegen versucht. Der tiefdringenden Schürfarbeit nachzugehen, mit der die wichtigsten früheren Lösungen der Daseinsrätsel - besonders im Treatise - psychologisch analysiert werden, muß ich mir versagen. Doch unseres Denkers eigene Meinungen über jene weit, weit jenseits aller Erfahrung liegenden Dinge wollen wir schnell überfliegen. Nicht wie KANT - ich habe es bereits angedeutet - entzieht er sie kurz entschlossen der Zuständigkeit des Verstandes ganz und gar, um sie als Postulate der praktischen Vernunft, als Lebensnotwendigkeiten, völlig außerhalb aller Vernunfterkenntnis neu aufzubauen. Auch diesen grandiosen Gedanken hat erst der Königsberger Weise klar erfaßt, wenn sich auch Ansätze dazu schon bei seinem Vorläufer vielleicht nachweisen lassen. Zumeist versucht dieser mit dem selbst geschmiedeten Werkzeug der philosophischen Wahrscheinlichkeit (probability of causes) etwas auszurichten, einer Methode der Induktion, deren Durchbildung und Ausbau allein ausgereicht hätten, ihn unsterblich zu machen (HUXLEY a. a. O. Seite 125) (11. Mit diesem Mittel geht er dann z. B. dem Substanzproblem zu Leibe, der Frage nach dem objektiven, im Wechsel der Erscheinungen beharrenden Träger der Eigenschaften eines Dings. Kommt er da zu dem Ergebnis, hinter der Summe der Perzeptionen, die wir von den Eigenschaften eines Objekts haben, sei kein konstantes Medium erkennbar (12, so bleibt er damit dem Empirismus LOCKEs und dem Idealismus BERKELEYs sehr nahe, die beide Ähnliches behauptet hatten; und wie die Ahnen, so möchten sich auch die Enkel seiner nicht zu schämen brauchen, unsere modernen "Energetiker" in ihrem Bemühen, jenen scheinbar durchaus negativen Gedanken fruchtbringend zu gestalten für die wissenschaftliche Durchdringung der Natur und dadurch den wissenschaftlichen Materialismus zu überwinden. Merkwürdig ist es nur, wie verschieden der Philosoph sein Ergebnis auf die materiellen Substanzen einerseits, die Welt der Körper, andererseits auf die immaterielle Substanz, die Innenwelt, die Seele, anwendet. Hätte er konsequenz sein wollen, so mußte nicht nur, wie er es doch wohl tut, die Ansicht von der Identität, Immaterialität und individuellen Unsterblichkeit der Seele geopfert werden. Auch der Überzeugung von der Realität der Außenwelt durfte kein besseres Schicksal beschieden sein; auch hier mußte das Vorhandensein von etwas Objektivem geleugnet und die Welt der Erscheinungen als die einzig wirkliche Welt hingestellt werden, wie das BERKELEYs radikaler Idealismus getan hat. Aber so konsequent ist HUME nicht, die Natur ist wieder stärker als das Denken. Jener "Existentialglaube", wie ich ihn genannt habe, der uns beim Kausalproblem so verwirrend in die Quere gekommen ist, hier findet er sein Amt, die "schwache, trügerische Vernunft" zu ersetzen. Die Frage nach der Existenz einer Außenwelt ist ihm überhaupt falsch gestellt:
Freilich, daß er hier den Eckstein zum Aufbau der Welt der Noumena, des Reiches der Ideen, zutage gefördert hatte, das ist dem trotz alledem am Empirismus hängenden Briten nicht zu Bewußtsein gekommen. Das zu erkennen blieb KANTs genialem architektonischen Blick vorbehalten. Aber wen wir nun von der theoretischen Philosophie HUMEs Abschied nehmen, - das metaphysische Problem der Freiheit mag im Hinblick auf seine Ethik, die Frage nach Gott und der Welt als Grundlage seiner Religionsphilosophie gestreift werden -, so werden wir sagen müssen: Nie und nimmer haben dem unermüdlichen Forscher die Kräfte versagt; durch! vorwärts! ist seine Losung, und sie hat ihn nicht nur überall an sein Ziel geführt, sondern bisweilen auch darüber hinaus auf den Weg, den ein anderer, Größerer nach ihm gehen sollte, neuen Zielen entgegen. - Die Fundamente des HUME'schen Lehrgebäudes - wenn das Bild auch bei ihm erlaubt ist - haben wir abgeleuchtet und einwandfrei gefunden. Aber wie steht es mit Bau, den diese Fundamente zu tragen berufen sind, seiner praktischen Philosophie, seiner Ethik? Im dunklen Schoß der Erde versteckt liegt das Grundgemäuer, schwer zu erkennen, schwer von Schutt und Spinnweben zu säubern. Im hellen Sonnenschein aber ragt das Gebäude selbst. Und so ist dann hier weit weniger Streit über das, was ist, und das, was nicht ist, so sehr auch die Geschmacksurteile auseinander gehen. Was schon FEUERLEIN im Leben des "Aufklärungsphilosophen" vermißt hatte, "ethische Härte, Kraft und Tiefe", das haben Gleichgesinnte auch in seiner Lebensweisheit nicht gefunden; und deshalb haben sie rund heraus erklärt, seine Ethik sei eigentlich gar keine Ethik, welche dieses Namens wert ist. (Pfleiderer 492). Umgekehrt haben andere gemeint, gerade in ihm, dem Begründer einer neuen, exakt-naturwissenschaftlichen Moralbetrachtung, einen führenden Ethiker allerersten Ranges sehen zu sollen und ihn mit dem Namen "Newton der Moral" geehrt (GYZICKI, Die Ethik David Hume's in ihrer geschichtlichen Stellung, Seite IX). Aber, wie gesagt, das sind Geschmacksurteile, zu denen keine verschiedene Auffassung, sondern eine verschiedene Berwertung seiner Morallehre geführt hat. Nicht, daß nicht auch hier im Einzelnen manche Abweichungen im Verständnis vorliegen würden; aber sie sind gering, verschwindend gering, wenn man sie mit den Verschiedenheiten in der Auffassung der erkenntnistheoretischen Lehren vergleicht. Und in einem stimmen alle Beurteiler überein: Einen ethischen Skeptizismus hat Hume nicht vertreten. Damit könnte ich mich ja nun zufrieden geben. Aber einerseits möchte ich doch nicht gern auf jeden Einblick gerade in den Gedankenschatz verzichten, mit dem der praktische Mensch, der Politiker, Historiker, Nationalökonom HUME schaltet. Und dann: Mit eigenen Augen möchten wir es sehen, wie er sich zu jenem Lebensideal der Skeptiker, dem zurückgezogenen, stillen, wunsch- und tatlosen Dasein stellt, hier, wo es gilt, allgemein Farbe zu bekennen. Wir erinnern uns, daß er zuweilen in vertrauten Freundesbriefen eine - ach, nur platonische! - Neigung zu diesem stillen Dahinvegetieren verrät. Sollte vor der Öffentlichkeit nichts dergleichen über seine Lippen gekommen sein? Ich schlage die letzte der vier Skizzen philosophischer Typen auf, "The Sceptic" betitelt (III 213f). Da finden wir dann wirklich in den Schlußworten eben jene Auffassung vom Leben vertreten, die wir bei den alten Skeptikern antreffen konnten: Verzichte auf alles Urteil! Gibt den Handlungen anderer und einen eigenen weder Beifall, noch verdamme sie. Denn es gibt keine festen Moralbegriffe, und die Ruhe und Unerschütterlichkeit des Gemüts ist die Bedingung aller Glückseligkeit. Es nimmt uns kaum Wunder, solche Worte zu hören. Wir brauchen nicht zu dem Verlegenheitsmittel zu greifen, daß wir einen Gegensatz zwischen dem Ausspruch des "Skeptikers" und der Meinung des Autors konstruieren; wir brauchen auch nicht dem Umstand einen entscheidenden Wert beizulegen, daß zu diesem Schluß der übrige, mehr im Sinne des stoischen Ideals gehaltene Inhalt des Essays nicht recht passen möchte. Und GYZICKIs Lösungsversuch, hier eine Rücksichtnahme auf den scheinbaren Skeptizismus der theoretischen Philosophie zu sehen (Seite 180), kann mich erst recht nicht befriedigen. Ich weiß ja, daß in die stoische Kette von HUMEs Charakter ein leichter skeptischer Einschlag verwoben liegt, der nun, wir sahen es, sich bisher weder im Leben noch im Denken zu einer selbständigen, entscheidenden Bedeutung gesteigert hat. Aber nun können wir nicht darauf verzichten, unseres Denkers praktische Philosophie schnell zu überfliegen, um zu sehen, ob etwa hier auch sonst, an irgendwie bedeutungsvoller Stelle, jene Unterströmung Oberwasser erlangt. Auch HUMEs Ethik liegt in doppelter Bearbeitung vor; zuerst im 3. Teil des Treatise ("Of Morals"), dann im Enquiry "concerning the Principles of Morals", einer Abhandlung, die der Verfasser selber für die beste seiner Schriften gehalten hat. Wie sie da vor mir ausgebreitet liegt, so hat diese Morallehre wie jede andere zwei Wurzeln, deren eine, die Lehre von der Freiheit und Notwendigkeit, aus der Metaphysik, deren andere aus der Theorie von den Affekten und Trieben erwächst. Daß HUME in der metaphysischen Grundfrage als ausgesprochener Determinist auftritt, d. h. daß er für die Willenssphäre die ausnahmslose Gültigkeit des Kausalgesetzes problamiert, muß freilich alle höchst verwunderlich und inkonsequent erscheinen, die der Meinung waren, er habe ja die objektive Gültigkeit des Kausalgesetzes überhaupt aufgelöst (14. Für mich besteht dieser Widerspruch nicht; für mich ist nicht nur diese Grundanschauung, sondern seine gesamte ethische Theorie in vollkommener Harmonie mit seiner allgemeinen Philosophie (vgl. auch NORMAN SMITH, a. a. O, Seite 335). So ist es auch sein volles Recht, ohne im Geringsten inkonsequent zu werden, seine Lehre von den Affekten ganz streng auf das Gesetz von Ursache und Wirkung zu gründen, eine durchaus schlüssige "Phänomenologie" oder Mechanik der Affekte zu schaffen, wie man nicht unpassend gesagt hat. Den Bestand unseres Bewußtseins an Affekten als gegeben hinnehmend, bemüht er sich, ihre Verwandtschaft herauszustellen, komplizierte auf einfache und in letzter Linie alle - wie SPINOZA - auf die Gefühle der Lust und Unlust zurückzuführen. Überall positive psychologische Arbeit, nirgends skeptische, ja kaum kritische Anwandlungen! Empirische Erforschung und Beschreibung der menschlichen Affekte und Triebe - das ist der Hauptgegenstand seiner Affenktenlehre. Ganz ähnlich ist die Tendenz seiner hieraus fließenden ethischen Untersuchungen darauf gerichtet, zu erklären, was ist, nicht zu fordern, was sein soll. Seine Moral ist in der Hauptsache nicht imperativ, sondern deskriptiv und hat darin unverkennbar Ähnlichkeit mit SPINOZAs Ethik, während sie in dieser Hinsicht in einem scharfen Gegensatz zu KANTs "Pflichtenlehre" steht. Zum Gesetzgeber der Menschheit fühlte er sich nicht berufen, solange noch die notwendigen Vorbedingungen zu jeglicher Gesetzgebung mit Sicherheit nicht erschlossen waren. Bei dieser Vorarbeit aber entscheidend mittätig zu sein - das hielt er für seine Aufgabe. HUMEs Ethik geht zu allererst darauf, die letzten oder doch letzterkennbaren Motive unseres eigenen Handelns klarzulegen und die Gründe für unsere Billigung oder Mißbilligung fremder Handlungen aufzudecken. Durch philosophische Erörterungen selbst der rigorosesten Art direkt moralische Wirkungen erzielen zu wollen, hält er für ein vergebliches Bemühen. Nur indirekt kann das geschehen, dadurch, daß die Beschäftigung mit allgemein-moralischen Fragen den Verstand schärft, seinen Einfluß auf das Spiel der Affekte erhöht und dadurch Leidenschaften mäßigt. Nüchtern, ja dürftig und kleinmütig klingt das freilich, wenn man es mit KANTs erhabenem Glauben an die Freiheit und Unabhängigkeit der Persönlichkeit vom ganzen Mechanismus der Natur vergleicht oder mit NIETZSCHEs flammendem Zarathustra-Aufruf: "Folge mir nicht nach, sondern dir, sondern dir! werde fort und fort der, der du bist, der Lehrer und Bildner deiner selbst!" Begeisternd sind die "moralischen Spekulationen" HUMEs freilich kaum, aber klar und konsequent, erfrischend und anregend immer. Begeistern kann der Prediger und Redner; der Forscher selten. Und als Forscher müssen wir unseren Philosophen auch hier ansehen; als Forscher, der umgeben von der kalten, aber sichtigen Atmosphäre der Aufklärungszeit, ausgestattet mit wenig Enthusiasmus und viel kritischem Sinn, ernst und konsequent seine naturwissenschaftliche Methode auch auf die Ethik anwendet. Jedoch der Einsicht, das Ziel aller moralischen Spekulationen sei, uns unsere Pflicht zu lehren [Enquiry mor. ed. SELBY-BIGGE 172), hat auch er sich keineswegs verschlossen. Und er sagt das nicht nur, er handelt auch danach. Ihrer verderblichen Wirkungen wegen tritt er dem ethischen Anarchismus eine BOLINGBROKE und MANDEVILLE, die Ehre, Freundschaft, Vaterlandsliebe zu einer Chimäre und ein Vorurteil erklärt hatten, ebenso schroff entgegen wie den Anschauungen der HOBBES, LOCKE und SPINOZA, die alle Moral auf Egoismus hatten gründen wollen. Aus derselben Quelle, aus der das Erkennen geflossen ist, fließt auch das Handeln, so belehrt er uns. Dort war es ein sicherer, untrüglicher Instinkt, ein Gefühl, auf dem sich unsere Überzeugung von der Gesetzmäßigkeit allen Geschehens erhoben hat - auch hier ist es ein Gefühl, das all unsere praktischen Ziele bestimmt. Man sieht: hier herrscht eine wirkliche Einheit zwischen theoretischer Grundlage und praktischem Aufbau, und der Bruch, der unstreitig durch KANTs System geht, ist durchaus vermieden. In der Ethik wie in der Metaphysik derselbe Primat des Natürlichen, Ursprünglichen, des Gefühls; dieselbe sekundäre Rolle des Gewordenen, Abgeleiteten, des Denkvermögens! Nur als Regulator der Begierde oder der Neigung dient der Verstand; "das Gefühl bestimmt alle unsere Ziele; der Verstand entscheidet, wann und wie sie am Besten erreicht werden können." (NORMAN SMITH 346; vgl. auch GYZICKI 149). Und zwar meint HUME hier nicht etwa das Gefühl der Lust oder Unlust im einzelnen Fall; daß wir zwar das erstreben, was uns mit Lustgefühlen erfüllt, dagegen das meiden, bei dessen Begehung wir Unlust verspüren. Vielmehr dient - in letzter Linie - als Antrieb für all unsere Handlungen ein von Mutter Natur von Anbeginn an in uns gelegter, ursprünglicher Trieb, unsere Charakterbestimmtheit, könnte man sagen; ein Trieb, der allerdings durch Erfahrung und Denken mehr und mehr reguliert werden kann und muß. Die Gefühle, und zwar diesmal die der Lust und Unlust, bedingen auch unsere ethischen Werturteile. Gute Eigenschaften sind solche, die beim Beurteiler Lustgefühle auslösen, sind Tugenden. Gut oder tugendhaft aber sind Handlungen, wenn sie entweder uns selbst oder anderen nützlich oder angenehm sind. Und zwar stehen auf der Stufenleiter der moralischen Wertschätzung diejenigen Tugenden am höchsten, die anderen nützlich sind: Gerechtigkeit und Wohlwollen. In der Feststellung und energischen Verfechtung dieser Tatsache besteht HUMEs gegenüber dem Egoismus und Skeptizismus seiner Vorgänger wohltuend berührender Altruismus, die Aufstellung des allgemeinen Wohls als obersten Moralprinzips. Auch die Feststellung des Maßes, mit dem wir die Handlungen anderer messen, des "fellow-feeling", der Sympathie, zeugt von demselben klaren Kopf und demselben guten und frohen Herzen. Mit heiterem Blick sieht HUMEs Optimismus in die Welt hinein. Und da findet er dann die tröstliche Gewißheit, daß in der Mischung von selbstischen und selbstlosen Trieben, die in der Brust des tätigen Menschen wohnen, die letzteren doch überwiegen. Kann eine solche Gewißheit zu stumpfer Teilnahmslosigkeit führen? Es leuchtet ein, daß bei dieser ethischen Anschauung HUMEs politisches Glaubensbekenntnis das summum bonum suprema lex [Das allgemeine Wohl sei das höchste Gesetz! - wp] sein mußte. Und wo es sich nicht um das Ziel handelte - hier hatte CUMBERLAND z. B. schon Ähnliches gelehrt - sondern um den Ursprung des Staates, da zeigt sich wieder jene Abneigung gegen alle Konstruktion, die wir nun schon wiederholt angetroffen haben. HOBBES und LOCKEs Vertragstheorie legte er in ihrer ganzen historischen Haltlosigkeit dar; daß der sogenannte "Urzustand", der Kampf aller gegen alle, nicht anderes als eine philosophische Fiktion ist, hat er mit vielem Scharfsinn zu beweisen unternommen, und auch ROUSSEAU hat ihn nicht vom Gegenteil überzeugt. Um wieviel natürlicher als dieser "Naturzustand" ist seine Ansicht, die Menschen, schon in die Gemeinschaft der Familie hineingeboren, seien von Natur gesellig und hätten sich durch die Gemeinsamkeit ihrer Interessen zu einer gemeinsamen Tätigkeit bestimmen lassen, wie zwei Ruderer in demselben Boot auch ohne besondere Verabredung im Takt die Riemen anziehen! Klingt das nicht wie eine Vorahnung der Interessengemeinschaften, der "Vereine" MAX STIRNERs, deren Aufleben gerade unsere Zeit der Trusts und Gewerkschaften kennzeichnet? (15 In all diesen so klaren und fest gegründeten Anschauungen findet sich keine Spur von Skeptizismus. Im Gegenteil: den "blendenden und bestechenden skeptischen Schlußfolgerungen seiner Gegner" tritt HUME wiederholt auf das Nachdrücklichste entgegen, besonders im "Dialog", dem Schluß seines "Enquiry" (GYZICKI 153). Und seine Methode ist in der gesamten Morallehre nicht nur völlig unskeptisch, sondern naturgemäß sehr viel weniger kritisch, sehr viel dogmatischer, positiver als sie es in der theoretischen Philosophie war. Überblicken wir das Ganze, so können wir abschließend sagen: jene skeptische Neigung in HUMEs Wesen, die ich früher schon festgestellt und auch hier rasch einmal auftauchen gesehen habe, tritt sonst gerade in seiner Ethik am wenigsten zutage. Auf dem Gebiet praktischer Lebensgestaltung und Lebensbewertung stehen Beispiel und Lehre des tätigen Mannes in voller Harmonie. Einen Propheten des dolce far niente [Süß ist es, nichts zu tun. - wp] hat die Natur nicht aus ihm gemacht. "Sei ein Mensch", ein wirkendes, schaffendes Wesen! so ruft sie uns durch seinen Mund zu; sei ein Mensch, denn du kannst nichts anderes sein, ohne dich an mir zu versündigen; so sei es dann mit klarem Bewußtsein und entschlossenem Willen! ![]() Mit derselben Einmütigkeit, mit der Kritik im Ganzen unseren Philosophen von der Anklage des ethischen Skeptizismus freigesprochen hat, be- oder verurteilt sie ihn als einen der extremsten Skeptiker auf religiösem Gebiet. HUMEs religionsphilosophische Untersuchungen bilden kein einheitliches Ganzes. Es gehören hierher Teile des 8., dann der 10. und 11. Abschnitt des "Enquiry on human Unterstandig", die Dialogues on natural Religion und die "Natural History of Religion". Wie überall, so sit auch hier unseres Denkers Art die Dinge anzusehen eine doppelte: eine psychologische und eine historisch-genetische. Und zwar gewinnt gerade diese letztere Betrachtungsweise, die der "Natural History of Religion" in der Hauptsache zugrunde liegt, hier eine Bedeutung wie nirgends sonst. Durch beide Gedankenreihen zieht sich das einigende Band seiner erkenntnistheoretischen Grundanschauungen. Demonstrierbares Wissen gibt es nur in der Wissenschaft der reinen Verstandesbegriffe, der Mathematik; verstandesmäßig durch "proofs" erkennbar, aber mit ihrer Hauptwurzel schon in die Gefühlsseite hinabreichend, sind daneben nur die Erfahrungswissenschaften; alles die Erfahrung Überfliegende kann allenfalls wahrscheinlich gemacht, nie aber bewiesen werden. Hätte HUME diese Ergebnisse seines kritischen Denkens auf die zu seiner Zeit herrschenden religiösen Anschauungen sowohl der Menge als auch der philosophisch Gebildeten angewendet, so wäre er dadurch in einen doppelten Gegensatz einmal zur herrschenden kirchlichen Orthodoxie getreten, zum anderen zum Deismus, der Vernunftreligion, die sich unter den Gebildeten mehr und mehr durchgesetzt hatte. Besonders gegen dieses Vernunftchristentum richtet nun HUME seine scharfe, eindringliche und völlig vernichtende Kritik mit solchem Erfolg, daß man ihn mit Recht als den Zerstörer des Deismus hat bezeichnen können. Die Anhänger dieser "natürlichen Religion" verfochten in erster Linie drei Thesen, die wir vielleicht so fassen dürfen:
2. Ihre Wahrheiten sind daher Verstandeswahrheiten und als solche beweisbar. 3. Die Vernunftreligion, der reine Monotheismus, ist die ursprüngliche Religion des Menschengeschlechts. Entzieht HUME mit den Untersuchungen der Naturgeschichte der Religion dem Deismus seine psychologische und historische Begründung, so greift er doch seinen Hauptgrundsatz, die philosophische Erkennbarkeit des höchsten Wesens, in diesem Zusammenhang nicht an. Dieser Aufgabe unterziehen sich die berühmten "Dialoge über natürliche Religion", die der Deutsche in PAULSENs meisterhafter Übersetzung lesen mag. Niemals vorher war an den allgemein angenommenen Beweisen für das Dasein und die Eigenschaften Gottes eine schärfere Kritik geübt worden; und der sonst so unerschrockene Kritiker selbst was sich der unerhörten Kühnheit und Gefährlichkeit dieser Angriffe auf den Lebensnerv der herrschenden Anschauung völlig bewußt. Mit 40 Jahren, in der Vollkraft des Mannesalters, hatte er seine ketzerischen Gedanken niedergeschrieben, wie der Brief an ELLIOT vom 10. März 1751 zeigt (BURTON I 330f); nur wenigen vertrauten Freunden aber wurde das Manuskript zugänglich gemacht; die Veröffentlichung geschah - nicht ohne Schwierigkeiten - gar erst nach des Verfassers Tod. Und doch hatte er lange vorher schon ähnliche Ansichten öffentlich geäußert, nur nicht mit so vollkommener Rücksichtslosigkeit und Deutlichkeit wie hier. Freilich, in seiner Jugend schein ihm zumindest der teleologische Beweis, der "überredenste" von allen, noch nicht so völlig verdächtig wie später. In einer Anmerkung zum Treatise (I 456 note 2) sagt er, die Ordnung im Weltall sei der Beweis für die Existenz eines allmächtigen Geistes, d. h. eines Geistes, dessen Willen der Gehorsam jedes Geschöpfes und Wesens ständig zuteil wird. Aber schon damals fährt er fort, dies genügt, um allen Glaubenslehren eine feste Grundlage zu geben; sich darüber hinaus eine Vorstellung von der Kraft und Wirkungsweise des höchsten Wesens zu machen, ist nicht erforderlich. Erheblich weiter geht er in der Kritik dieses Beweises schon im 11. Abschnitt des Enquiry. Da erklärt er druch den Mund EPIKURs zwar den Schluß aus der Weltordnung auf eine Weltursache noch für berechtigt; aber für unzulässig hält er es, dieser Ursache irgendwelche Eigenschaften über die in ihren Wirkungen beobachteten hinaus zuzulegen, wie er doch vorher noch selbst getan hatte. Ja, schließlich äußert er sogar hier schon Zweifel an der Gültigkeit des Arguments selbst im allerbescheidensten Umfang. Und hiermit ist beinahe schon der Standpunkt erreicht, den die Dialoge in der Frage einnehmen, zumindest wenn Philo der hauptsächlichste Interpret von HUMEs Meinung ist. BURTON (I 329f) und JODL (Seite 174) - möchten zwar unseren Philosophen auf der Seite des Kleanthes sehen und stützen sich dabei hauptsächlich auf den oft zitierten Brief an ELLIOT vom 10. März 1751. Freilich sagt HUME darin, er mache Kleanthes zum Helden des Dialogs; daß er aber des Freundes Hilfe erbittet, um die Schwächen seiner Argumenten auszugleichen, scheint eher auf eine Übereinstimmung des Kleanthes mit ELLIOT als mit dem Verfasser hinzudeuten. Und dann sagt er es auch ausdrücklich:
So ketzerisch diese radikale Verneinung der religionsphilosophischen Ideen seiner Zeit damals auch anmuten mußte und manche vielleicht auch noch heute anmutet, so kann man doch daraus allein den religiösen Skeptizismus HUMEs nicht herleiten. Feindschaft gegen den Deismus verträgt sich recht gut, sagen wir mit Pietismus oder Mystik. Nur, wenn unser Denker nicht nur jene, sondern überhaupt jede mögliche religiöse Anschauung verwirft und beim baren Zweifel stehen bleibt, dürfen wir ihn billigerweise zu den ungläubigen Skeptikern zählen. Zuweilen scheint sogar HUME den Eindruck erwecken zu wollen: wenn er auch die "natürliche Religion" energisch ablehnt, so sei er deswegen mit der Volksreligion, der kirchlichen Rechtgläubigkeit seiner Zeit, keineswegs zerfallen. So läßt er in der schon erwähnten Rede EPIKURs den griechischen Weisen sagen, er persönlich beruhige sich gern bei den Lehren der Priester. Aber sieht man die relitionsphilosophischen Schriften, insbesondere die Naturgeschichte der Religion, daraufhin an, so gewinnt man doch den Eindruck, daß kein gläubiger Presbyterianer zu uns spricht, sondern ein Mann, der dem kirchlichen Christentum seiner Zeit ebenso fremd gegenübersteht wie dem "natürlichen". Unduldsamkeit und Engherzigkeit auf der einen, Wundergläubigkeit auf der anderen Seite sind es, die der offiziellen Religion seine Sympathie nehmen. Das geht aus der Aufzählung der aus religiösem Fanatismus und kirchlicher Intoleranz entsprungenen Leiden und Schädigungen der Menschheit, wie sie sich in der "Natural History" findet, schon einigermaßen deutlich hervor; es wird bestätigt, wenn man daneben die Art hält, wie er bei der Kritik der Wunder im Enquiry gewisse kirchliche Dogmen streift; und in den berühmten Schlußworten dieses Abschnitts, wo er den Glauben daran selbst als ein fortlaufendes Wunder hinstellt (IV 108), klingt doch zumindest ein leis ironischer Ton mit. Wir dürfen es nicht bestreiten: die Zeloten in jeder Gestalt waren unserem Denken auf das Tiefste zuwider, und STIRLING (Mind, IX, 533) hat recht, wenn er sagt, sein Hauptziel sei die Zerstörung dessen gewesen, was ihm als Aberglaube gegolten hat. Als Aberglaube aber erschien ihm, der doch auch ein Kind der Aufklärungszeit war, das meiste an dem starren, formelhaften Kirchenkult des herrschenden Christentums, das jedoch sein ausgeprägter aristokratischer Sinn als Stütze der moralischen Ordnung nicht entbehren wollte (Enquiry IV 121). Gegen eine falsche Begründung der Religion, gegen ihre Auswüchse und Schattenseiten also richtet sich seine Kritik - nicht aber gegen den religiösen Glauben selbst. Im Gegenteil; sagt doch sogar der Theologe MEINARDUS ausdrücklich: "die ergänzende positive Kehrseite seiner negativen Kritik liegt in seiner Forderung, dem religiösen Glauben die Religion zu überlassen". Nicht auf den Verstand, wie die Deisten sagen, ist "unsere allerheiligste Religion" begründet, sondern auf "faith", auf religiösen Glauben (Enquiry IV 107). Dies ist in der Tat die eine seiner positiven religiösen Einsichten; eine Einsicht, die wieder in schönster Übereinstimmung mit den Früchten seines Denkens auf den anderen Gebieten der Philosophie steht. Wer in der Ethik, ja sogar in der Erkenntnislehre den Vorrang des Gefühls vor dem Verstand so energisch betont, wie sollte der nicht das religiöse Gefühl, das höchste und reinste Bedürfnis des Herzens, in seiner wahren Bedeutung erkannt haben? Noch einmal: Der religiöse Glaube wird durch die "gefährliche Skepsis" HUMEs keineswegs erschüttert, sondern vielmehr gestützt. Ebensowenig - und dies ist das zweite - hat das Postulat dieses Glaubens irgendetwas zu befürchten, solange es sich nicht als Verstandeswahrheit gibt. Die Existenz Gottes hat HUME nie bezweifelt (Enquiry Abschnitt 11), sondern nur die verstandesmäßige Erkennbarkeit und Beweisbarkeit dieser Existenz. Das Ideal aller Religionen, den reinen Monotheismus, schätzt er ebenso hoch, wie nur je ein Deist oder Puritaner (MEINARDUS 100) (16; nur daß er ihn weder in der Lehre des einen noch des andern verwirklicht sieht. So läßt er Kleanthes sprechen von einer "reinen Religion, die auch diejenige des Philo ist"; und diese "reine Religion" ist nichts anderes als das "gesunde, gläubige Christentum", zu dem nach Philos Schlußworten ein philosophischer "Skeptizismus" der erste und wichtigste Schritt ist. Den Hauptglaubensartikel dieses HUMEschen Christentums, in dem sich Deist und Skeptiker nach unseres Philosophen Meinung in der Mitte begegnen könnten, kann man wohl in den Worten Philos sehen: "Nichts existiert ohne Ursache, und die ursprüngliche Ursache dieses Universums (was auch immer es sein mag) nennen wir Gott und schreiben ihm fromm jede Art von Vollkommenheit zu." Dieser freilich etwas kahle Glaube ist von rationalistischer Klügelei so weit entfernt wie von mystischer Spekulation über die tausend Einzelheiten des religiösen Bedürfnisses. Von einem persönlichen Fortleben nach dem Tod, von Lohn und Strafe im Jenseits, von der Bedeutung der Wunder ist nicht die Rede; all dies wird als die Erfahrung überfliegend oder ihr widersprechend gelegentlich beiseite geschoben. Geht der Streit um solche Dinge, dann allerdings empfiehlt HUME, "dem gegenseitigen Kampf der abergläubischen System gelassen zuzusehen" (MEINARDUS 101). Mag man in dieser kühl-gleichgültigen Stellung jenen Fragen gegenüber immerhin eine Verkennung der religiösen Bedürfnisse eines großen Teils der Menschheit sehen: eine positive Leistung ist die Aufstellung der Idee vom "gesunden, gläubigen Christentum" selbst in ihrer engen Umgrenzung trotz alledem. Es ist also auch hier nicht blanker und barer Skeptizismus, auf den HUMEs religionsphilosophische Untersuchungen hinauslaufen. Wenn auch die persönliche Anlage und Zeitstimmung zu einer stärkeren Betonung des skeptischen Elements drängen mußten, als in irgendeinem anderen Teil seines Philosophierens, so trägt soch selbst hier dieses Element keineswegs den Sieg davon; wieder treibt es ihn über die bloße Negation hinaus zu einem, wenn auch noch so bescheidenen positiven Lösungsversuch. Daß hierin nicht etwa eine bloße Konzession des klugen Weltmannes an die herrschenden Gewalten zu sehen haben, wie man meinen könnte; daß vielmehr sein persönlicher Glaube vielleicht wärmer war, als man nach seinen Schriften annehmen sollte - mag er nun in der Richtung liegen, wie PAULSEN will, oder nicht - dafür sind ein paar charakteristische Züge aus seinem Leben angeführt. Nach dem Tod seiner Mutter erhält HUME den Kondolenzbesuch eines Bekannten. Dieser findet den Sohn im tiefsten Kummer, in Tränen aufgelöst; in salbungsvollem Ton versichert ihm der Besucher, an diesem ungewöhnlichen Kummer würde er sich mit dem Gedanken an die ewige Seligkeit seiner Mutter trösten. Darauf erwidert HUME: "Auch wenn ich meine Spekulationen verwerfe, um die gelehrte und metaphysische Welt zu unterhalten, denke ich in diesen Dingen nicht so anders als der Rest der Welt, wie Sie sich vielleicht vorstellen können." (BURTON I 293/94). Im Besonderen war er nichts weniger als Atheist; das zeigt eine von DIDEROT erzählte Anekdote (BURTON II 220). Eines Tages sei der berühmte Schotte beim Baron HOLBACH, dem Mittelpunkt der Pariser Materialisten und Atheisten, zu Tisch gewesen; die Rede sei auf die "natürliche Religion" gekommen und da habe HUME gesagt: "Ich glaube nicht, dass es Atheisten gibt; Ich habe noch nie welche gesehen!" Und seine ungläubigen französischen Freunde sagten halb mitleidig, er habe eben - wie die Engländer überhaupt - "un peu" [ein wenig - wp] an Gott geglaubt. Wenn BURTON (II 453) weiter berichtet, der Philosoph habe oft die Kirche besucht, so mag man - wie er - mit Recht darin eine wenig besagende Äußerlichkeit sehen. Aber zweifellos bekommen wir einen Einblick in das tiefste Empfinden des Menschen HUME, wenn wir das folgende kleine Erlebnis mit FERGUSON erzählen hören (BURTON II 451). Die beiden Freunde sind einst in einer schönen, klaren Nacht auf dem Heimweg; da bleibt der große Skeptiker plötzlich stehen und sagt mit einem Aufblick zum Himmel: "Oh, Adam, kann jemand die Wunder dieses Firmaments betrachten und nicht glauben, daß es einen Gott gibt?" - "Der gestirnte Himmel über mir", - dieser Grundpfeiler für KANTs Gottesglauben, er hat auch für HUME dieselbe Bedeutung; er trägt auch ihn über sich selbst hinaus, er begründet auch in ihm die persönliche Zuversicht "that there is a God!" ![]() Unsere Wanderung ist zu Ende. Überschauen wir nun vom Gipfel den Pfad, der uns bergauf geführt hat, dann können wir - denke ich - eins mit Gewißheit sagen: Nicht durch eine öde Felsenlandschaft haben wir, wie wir es befürchten konnten, uns matt und stumpf hindurchschleppen müssen. Überall sproßte das belebende Grün, nur daß es freilich, je höher wir gestiegen sind, umso kärglicher wurde. Kalte Skepsis, nichts als lähmenden Zweifel, haben wir in DAVID HUMEs Lehre nirgends eine entscheidende Rolle spielen sehen. Überall strebt er nach und gelangt er zu positiven Ergebnissen. Vergessen wir nicht, daß seine Erkenntnistheorie die Möglichkeit und die Grade des Erkennens nur genauer bestimmt und auf andere als die üblichen Prinzipien gründet; daß seine Ethik die Wissenschaft vom Menschen positiv fördert; ja, daß er auch in den rein metaphysischen und religiösen Dingen Ziele steckt und Wege weist! Wollten wir die Summe seiner Leistungen als philosophischer Kritiker in die eine, die seiner Taten als Baumeister am Haus der Weltweisheit in die andere Waagschale legen, dann würde freilich jene tief und tiefer sinken. Wie überhaupt beim englischen Geist so liegt auch bei diesem Briten die Stärke in der kräftigen Erfassung des Tatsächlichen, der schwache Punkt in einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber logischer Symmetrie. Aber wenn das auch zugegeben werden soll, so steht doch nun, da wir die philosophische Lebensarbeit des Denkers aus Edinburgh als Ganzes überschauen, einst fest: HUMEs Kritik ist nicht nur ein Ende, sondern auch ein Anfang, keine bloße Auflösung, sondern zugleich eine Neugründung; seine Lehre ist nicht Skeptizismus, sondern Kritizismus. (17) Wer davon überzeugt ist, wird schon von hier aus einsehen, warum ich gerade diesen Philosophen für besonders geeignet halte zur Einführung in die Gedankenhöhe und in die Gedankenarbeit der Weltweisheit. Die Erkenntnis seiner kritischen Größe möchte dazu schon genügen, und eine Auseinandersetzung mit den vielfach wiederholten Versuchen, ihn aufgrund seiner positiven Lehren besonders auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie für diese oder jene dogmatisch-philosophische Richtung in Anspruch zu nehmen, könnten wir uns vielleicht ersparen. Je nachdem vorzugsweise diese oder jene Seite seines "Systems" ins Auge gefaßt wird, hat man ihm die allerverschiedensten Schubfächer in der Geschichte der Philosophie angewiesen. Dem einen ist er der radikalste Realempiriker, dem anderen der Vater des Positivismus. Auf der einen Seite erklärt ihn PAULSEN für einen Vertreter des philosophischen Idealismus wie BERKELEY; auf der andern vertritt noch F. A. LANGE die Ansicht der HOLBACH, DIDEROT usw.. daß er dem Materialismus so nahe steht, als es nur ein so entschiedener Skeptiker immer tun kann. Man sieht, die Geschichte ist weit entfernt von einem allgemein anerkannten Endurteil über die Gesamtheit seiner positiven Aufstellungen, ja sogar von dem Versuch, seine Leistungen nach dieser Richtung hin umfassend zu charakterisieren. Erst vor ganz kurzem (1905) ist ein solcher Versuch von NORMAN SMITH gemacht worden, der, wie ich glaube, mit Recht, von einem "Naturalismus" HUMEs spricht im Sinne einer Begründung unserer ganzen geistigen Persönlichkeit auf "natürliche", biologische Faktoren. Aber, wie gesagt, so notwendig und wertvoll eine richtige Einschätzung der neuen positiven Einsichten HUMEs für den Historiker ist, für diejenigen, die ihn sich zum ersten Begleiter auf ihrem Zug in das fremde Land der Philosophie wählen wollen, ist sie nicht einmal von ausschlaggebender Bedeutung. Da ist es weit wichtiger, daß einmal die Möglichkeit des Verständnisses gegeben ist, daß ferner die historische Stellung des kritischen Philosophen die nötigen Anknüpfungspunkt nach vorwärts und rückswärts bietet, und daß endlich seine Kritik nach Form, Inhalt und praktischer Bedeutung von bleibendem und typischem Wert für Art, Umfang und Nutzen philosophischen Denkens ist. Der Nachweis, daß die beiden ersten Bedingungen erfüllt sind, ist nicht allzu schwer zu führen. Was zunächst die äußere Verständlichkeit angeht - die nicht zu verwechseln ist mit der Eindeutigkeit philosophischer Interpretation - so hat man zwar gesagt, LOCKE sei der einzige wahrhaft elementar darstellende Philosoph. Aber wer HUMEs Enquiry oder die Dialoge gelesen hat, wird von der mit einem gewissen Recht so gefürchteten Fachsprache der Philosophie wenig gefunden haben; er wird erstaunt gewesen sein, so tiefe Gedanken so einfach und elegant dargestellt zu sehen; er wird nie in die Gefahr des Steckenbleibens, sondern umgekehrt allenfalls in die zu großer Schnelligkeit bei der Lektüre geraten sein. Ebenso kann niemand heutzutage mehr die Tatsache bezweifeln, daß HUME eine der allerwichtigsten Erscheinungen in der Geschichte der Philosophie ist. Man kann sagen, er bilde einen Knotenpunkt in der geschichtlichen Entwicklung; ein flüchtiger Blick in jede Darstellung dieser Entwicklung muß das bestätigen. Im Geiste des großen Kritikers münden die wichtigsten Strömungen der Vergangenheit; aus diesem Geist entspringen fast alle die Gewässer, die noch das Denken unserer Tate befruchten. Auf KANT, auf AUGUSTE COMTE, auf die neuenglischen und neudeutschen Empiriker ist HUMEs Philosophie von richtunggebendem Einfluß gewesen; sie hat der dicken geistigen Atmosphäre Mitteleuropas den frischen, reinigenden Lufthauch angelsächsischer Tatsachenbesinnung zugeführt. Diese unbestreitbar einzige historische Stellung des großen Briten drängt bei jeder Beschäftigung mit ihm zu den anregendsten Rück- und Ausblicken von selbst hin. Zu ihr gesellt sich noch die bleibende Bedeutung seiner Geistesarbeit als Typus des fruchtbringenden Philosophierens. Die Form dieses Philosophierens ist die kritische Methode, nicht die dogmatische; deren Werkzeug weniger die begriffliche deduktive Logik als die auf Tatsachengruppierung, auf Ableitung des Allgemeinem aus dem Besonderen gerichtete Induktion. Daß wir gerade in HUME einen der größten Meister auf diesem Instrument zu bewundern haben, ist gelegentlich schon hervorgehoben worden. Und man wird zugeben, daß ein Verständnis der Gesetze des induktiven Schließens für jeden heilsam ist, der den Wegen moderner Wissenschaft verständnisvoll folgen will. Die Grundlage, die HUME für seine Schlüsse wählt, ist fast noch wichtiger für uns. Es ist gut, wenn wir an seinem Beispiel wieder einmal erkennen lernen, daß auch für mich der alte Satz noch gilt: Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Von einer gewissen Einseitigkeit, einer leichten Vernachlässigung der Natur und ihrer Gesetze ist freilich der eher poetisch und historisch als mathematisch und physikalisch interessierte Denker nicht freizusprechen, obwohl ihm BURTON (I 95) Verständnis und einen klaren Blick auch auf dem Gebiet der sogenannten exakten Wissenschaften bezeugt. Aber daß wir Kindern des Jahrhunderts der Technik die Bedeutung naturwissenschaftlicher Betrachtungsweisen unterschätzen sollten, ist viel weniger zu befürchten als das Gegenteil. Und da scheint uns dann gegen die Übergriffe des rechnenden Verstandes auf Gebiete, da schlechterdings nichts zu errechnen ist, HUMEs "ratiosinatio", die zur Virtuosität ausgebildete psychologische Selbstbeobachtung, eine vortreffliche Schranke. Es ist zweifellos gerade im Hinblick auf unsere Zeit eines der Hauptverdienste von HUMEs Arbeit, daß sie sich "gegen die Versuche, die Wirklichkeit durch mathematisch-physikalische Erklärungen zum restlosen Aufgehen zu bringen" richtet (PAULSEN). Daraus ergibt sich die für uns ebenso wichtige Folgerung für den Hauptinhalt des Philosophierens, daß der Intellektualismus, die verstandesmäßige Erfassung der Wirklichkeit, beschränkt wird auf das Gebiet, da er sich betätigen mag. Es wird uns, um ein anderes treffendes Wort PAULSENs anzuführen, klar gemacht, "daß das Gegebene irrational für die menschliche Vernunft ist". Unser Geistesleben - so wird uns gezeigt - ist nicht ausschließlich, ja nich einmal vorzugsweise auf den Intellekt gegründet, sondern auf viel ursprünglichere biologische Funktionen der Gattung, auf Glauben, auf Instinkt. Und so beruth dann auch unsere Weltanschauung in letzter Linie weniger auf verstandesmäßiger Erkenntnis, als auf Glauben, auf Überzeugung, bei deren Zustandekommen die Vernunft nur ein Faktor ist, freilich kein unwichtiger. Aber weiter; der Bedeutung des Inhalts entspricht auch die des Umfangs und der Gliederung von HUMEs Denken für unsere Zeit und alle Zeiten. Es umfaßt einerseits alle für das Menschengeschlecht irgendwie wichtigen philosophischen Fragen; es rückt andererseits - was für uns noch wertvoller ist - zum ersten Mal die früher arg vernachlässigten Probleme des Erkennens, jene zentralen Fragen, die eigentlich die Voraussetzung für alle philosophische Arbeit bilden, in den Mittelpunkt des Interesses und in die denkbar schärfste Beleuchtung. "Wer von den Grundlagen der Erkenntnis nach dem gegenwärtigen Stand dieser Frage reden will, findet sich ganz von selbst den Lehren Humes und Kants gegenübergestellt", sagt RIEHL (a. a. O., Seite 86) und bezeugt dadurch, daß die Arbeit unseres Philosophen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Besonders aber aus praktischen Gründen ist es gerade für unsere Zeit wertvoll, so sollte ich meinen, den ersten Blick auf die allgemeinen Fragen durch das Medium des HUMEschen Geistes zu tun. Wer die Vorsicht, die Sorgfalt, die Zurückhaltung im Urteil, die Duldsamkeit Andersdenkenden gegenüber recht hat auf sich wirken lassen, die der große "Skeptiker" den üblichen Anmaßungen des Verstandes, des "Wissens", gegenüber lehrt und übt, der wird selber einigermaßen gefeit sein gegen dogmatische Härte und Bildungshochmut, gegen zwei Erscheinungen also, von denen unser geistiges und gesellschaftliches Leben keineswegs frei ist. Er wird Bescheidenheit lernen am Beispiel des Mannes, der viele seiner tiefsten Erkenntnisse so zurückhaltend vorträgt, als handle es sich um relativ Gleichgültiges und nicht um unerhört neue Wahrheiten. An Lehre und Leben des Freidenkers, der mit den angesehensten Geistlichen freundschaftlich verkehrte, wird er den Wert der Verträglichkeit und des Zusammenwirkens auch mit Andersgesinnten zu einem gemeinschaftlichen Ziel erkennen. Das Wort "die Sache, nicht die Person!", das man heutzutage so oft im Munde führt und wonach man so selten handelt, wird für ihn keine bloße Phrase sein. Aber trotz dieser Zurückhaltung trotz dieser Vorsicht ist die Folge einer Beschäftigung mit HUME nicht etwa die Enthaltung vom Urteil überhaupt, im Besonderen nicht der Verzicht auf eine Weltanschauung. Es ist wahr, der Kritizismus HUMEs lehrt uns, daß es keine demonstrierbare Weltanschauung gibt, da unsere Konstruktion der Wirklichkeit nicht auf Wissen gegründet ist, sondern auf Glauben. Aber nicht etwa sind nach ihm alle Arten, das Universum anzusehen, gleichwertig. Vielmehr ist zweifellos eine wahrscheinlicher als die andere. Welche nun die wahrscheinlichste, die "wahre" Weltanschauung ist, das zu ermitteln ist vielleicht dem Einzelnen verwehrt, keineswegs aber der Gattung, der Menschheit. Darüber ist sich schon der Jüngling klar, wie aus dem Schlußkapitel des Treatise deutlich hervorgeht (I 551f). Und gerade in der Ermittlung dieser Weltanschauung besteht, so lehrt er uns, das Ziel aller Philosophie; bei dieser Arbeit mitzuwirken und durch sorgfältige Beobachtung von Tatsachen immer mehr Material zu ihrer Lösung herbeizuschaffen, ist die Aufgabe der Einzelwissenschaften. So richtet er jedem ernsthaft Strebenden ein Ziel auf, so spannt er alle Kräfte an zu freudigem Bewegen. Auch für das praktische Leben braucht man bei denen, die sich in des tätigen Mannes Anschauungen wirklich versenkt haben, nichts zu befürchten. Es ist klar, eine Philosophie, die vom Leben und seinen mannigfachen Aufgaben abführt, taugt nicht für ein Geschlecht der Tat. Aber ist das die Lehre dessen, der den Tätigkeitsdrang für einen der ursprünglichsten Triebe erklärt? Für HUME ist dieser Instinkt bei gesunden Menschen stärker als alles skeptische Bohren des Verstandes. In ihm haben wir den Urquell allen Schaffens und den Impuls für alles Denken; ja in letzter Linie dient er sogar als Kriterium für Wahr und Falsch! (NORMAN SMITH 156). Wenn es wahr ist - worauf jüngst erst wieder RAOUL RICHTER hingewiesen hat - daß dem Angesicht unserer Zeit sich ein Zug müder Resignation tief und tiefer eingegraben hat; wenn im Besonderen unserer Jugend wirklich immer mehr und mehr von des Gedankens Blässe angekränkelt und zu frischer Tat immer weniger gestimmt sein sollte - dann möchte mir gegen diesen Stimmungsskeptizismus der philosophische "Skeptizismus" DAVID HUMEs als eines der wirksamsten Mittel erscheinen. ![]()
10) Natürlich bestreitet er die Möglichkeit einer solchen objektiven Verknüpfung keineswegs, was z. B. Feuerlein (David Humes Leben und Wirken, Der Gedanke, Bd. IV, 1863, Seite 104) gegenüber zu sagen ist. 11) vgl. besonders Treatise, Buch I, Teil 3, Abschnitt I 2 und I 3. 12) Diese Untersuchung findet sich nur im Treatise, nicht im Enquiry. 13) vgl. auch Norman Smith, The Philosophy of David Hume, Seite 151 ff, der sogar behauptet, auch die Identität des Selbst hat Hume nicht bestritten. 4) vgl. z. B. Pfleiderer (318f), ja auch Windelband (I, 346) und Leslie Stephen (I 311). 15) Über Stirners Bedeutung für uns vgl. Ewald Horn, Max Stirners ethischer Egoismus, Berlin 1907. 16) vgl. auch Lüers (Seite 17/18), der im Übrigen die Frage nach Humes religiöser Überzeugung unentschieden lassen, insbesondere in den Dialogen eine vollendete Skepsis sehen möchte. 17) Wenn man Raoul Richters Sonderung der Skepsis in eine totale und eine partielle - nach dem Umfang der bezweifelten Denkgebiete - gelten läßt, so würde meines Erachtens Hume wie Kant ein Vertreter des partiellen Skeptizismus sein, nicht des totalen, wie Richter will. |