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ERNST von ASTER
Prinzipien der Erkenntnislehre
[3/5]

"Das Ding ist nicht diese Farbe, sondern es trägt sie an sich, es ist nicht diese Härte, die ich verspüre, sondern es hat sie. Daraus ergibt sich die Frage: Was ist das Ding selbst? Und eben diese Frage kann keine befriedigende Antwort finden, weil, indem wir das Ding selber fassen wollen, uns immer nur wieder eine jener schon aufgezählten  Ideen  in der Hand bleibt."

"Ich höre einen Ton, etwa das Surren einer Maschine. Nun entferne und nähere ich mich abwechseln der Maschine: ändert sich dann  der Ton, den ich höre,  oder höre ich die ganze Zeit hindurch  denselben Ton?  Oder: ich stehe fünf Schritt, ein anderer 50 Schritt von der Maschine entfernt - hören wir denselben Ton oder verschiedene Töne? Wir können auf die Frage offenbar mit Ja und mit Nein antworten - je nachdem, was wir unter einem  gehörten Ton  verstehen."

"Wenn wir von einem Bewußtsein oder sagen wir, um die Mehrdeutigkeit dieses Wortes zu vermeiden, lieber von einem  Gegebensein  sprechen, ist dann nicht jedesmal ein Ich schon vorausgesetzt,  dem  etwas gegeben ist? Wird nicht der Begriff des Gegebenseins sinnlos ohne dieses Ich? Kann die Behauptung, ein Gegenstand ist gegeben, nicht direkt durch die andere ersetzt werden: er ist auf ein Ich bezogen?"

"Der Phänomenalismus stellt als prinzipielle Forderung auf, daß alle Erkenntnis  ausgehen  muß von einem  Gegebenen.  Die in der Erkenntnis gebrauchten sprachlichen Symbole müssen letzten Endes, soweit sie für sich genommen einen Sinn haben sollen, durch Gegebenheiten ersetzbar sein. Gegen die Richtungen in der Philosophie, die diese Forderung prinzipiell bekämpfen, war die Frage zu stellen, wie sie, ohne ein schlechthin Gegebenes anzuerkennen, ihre Worte davor schützen, bloß sinnleere Laute zu sein."


7. Das Problem des Dings
(der realen Gegenstände)

Wir sehen vor uns ein Ding bestimmter Art, etwa einen Baum. Dürfen wir dann sagen, es sei uns  dieses  Ding, der Baum hier vor uns,  unmittelbar gegeben Es ist keine Frage, daß uns hier etwas unmittelbar gegeben ist, und ferner, daß wie dieses Etwas, ohne uns weiter zu besinnen, als einen Baum  bezeichnen.  Aber wir wissen, der Umstand, daß wir dies tun, genügt nicht, um die gestellte Frage bejahend zu beantworten. Wir wissen, es kann geschehen, daß wir in der Absicht, nur das Gegebene zu beschreiben, zu kennzeichnen, doch zu dieser Kennzeichnung Worte verwenden, die ihrem Sinn nach über das Gegebene hinausgehen, mehr und anderes besagen, als das Gegebene umfaßt. Deshalb bedarf es einer ausdrücklichen Reflexion auf den Sinn dieser beschreibenden Termini und einer Konfrontation mit dem Gegebenen, um zu entscheiden, ob hier wirklich nur eine phänomenologische Charakterisierung, nur eine Benennung des Gegebenen vorlag. Und da läßt sich nun, was den vorliegenden Fall anlangt, leicht auf allerhand hinweisen, das in der Behauptung, dieses hier vor mir Stehende sei ein Ding, und zwar ein Baum, offenbar mit enthalten ist. Zu diesem Ding gehört z. B. auch eine Rückseite, gehört auch die Festigkeit und Härte. Beides gehört mit zu diesem Baum: Angenommen, die Härte etwa wäre nicht vorhanden, die tastende Hand fände keinen Widerstand, sondern griffe widerstandslos in leere Luft; oder wie ich mir den Baum von der Rückseite ansehen will, verschwindet das ganze Bild; so muß ich gestehen, daß ich mich in der Behauptung, hier stände ein Ding, ein Baum vor mir, geirrt habe, daß ich einen Baum, ein Ding nur zu sehen "glaubte".

In der Behauptung also, dies hier sei ein Baum, liegt eingeschlossen, daß ihm eine Rückseite, Härte, Festigkeit zukommen. Diese Tatbestände aber nehmen wir im Augenblick nicht mehr wahr, sie sind uns nicht mitgegeben, also liegt im Sinn der angeblichen Beschreibung eine Reflektion auf Nichtgegebenes mit eingeschlossen. Vielleicht wendet man ein, die Rückseite, Härte, Festigkeit sei doch in einem gewissen Sinn mitgegeben: es hat einen guten Sinn, zu sagen: ich sehe die Härte, ich sehe auch, daß der Baum Volumen und damit eine Rückseite hat. Indessen, man wird hier genau unterscheiden müssen: wir sehen offenbar nicht die Rückseite des Baumes, sondern wir sehen, daß er eine solche Rückseite hat, oder was dasselbe besagt, wir  sehen  ihm  an,  daß er eine Rückseite, daß er Härte und Festigkeit besitzt, so wie wir der Suppe, die auf dem Tisch steht, "ansehen", daß sie noch heiß ist. Das will sagen: wir sehen hier etwas, das uns die unmittelbare Überzeugung gibt, hier sei Wärme vorhanden. Wir sehen die Wärme selbst nicht, aber wir wissen, sie ist da, und wir drücken dieses Wissen in entsprechenden Urteilen aus, sowie ferner, wir verhalten uns diesem Wissen entsprechend. Freilich: Etwas am Geschehenen gibt uns dieses Wissen, nötigt es uns gewissermaßen auf, in unserem Beispiel offenbar der aufsteigende Dampf, nicht etwa auf dem Weg eine bewußt vollzogenen Schlusses, sondern gewissermaßen automatisch, instinktiv, ohne daß uns überhaupt deutlich zu werden braucht, daß hier eine Art Vermittlung vorliegt. So sind es auch an dem, was wir vom Baum sehen, gewisse Momente, die uns unmittelbar dazu veranlassen, ihm in Worten und Handlungen eine Rückseite usw. beizulegen -  welche  Momente, das zu sagen, ist freilich keineswegs leicht, sondern es bedarf dazu noch einer besonderen Analyse. Aber welches auch diese Momente am Gegebenen sein mögen, die uns davon sprechen lassen, daß wir dem Baum jene Eigenschaften ansehen - sicher ist, daß wir nicht die Rückseite usw. des Baumes sehen. Und damit sehen wir nicht den Baum, sofern wir unter Sehen ein unmittelbares Gegebensein verstehen, sondern nur etwas, das zu diesem Ding,  Baum  genannt, in einer bestimmten Beziehung steht, eine einzelne Seite, eine einzelne Erscheinung des Baumes.

Dasselbe ergibt sich uns ebenso deutlich von einer anderen Überlegung her. Wir gehen um den Baum herum. Sehen wir dann dasselbe oder sehen wir Verschiedenes? Wir sehen offenbar dasselbe, insofern wir stets denselben Baum sehen, aber wir sehen ebenso offenbar jeweils etwas Verschiedenes, insofern der Anblick, der sich uns dargibt, evidentermaßen ein anderer und anderer ist, also: es ist uns Verschiedenes gegeben, von dem wir doch sagen, es sei dasselbe Ding. Daraus ergibt sich wiederum, daß das Ding von dem jeweils Gegebenen zu unterscheiden ist, und daß die Behauptung, das Gegebene sei ein Ding, nicht eine einfache Deskription, eine Benennung des Gegebenen, sondern eine Beurteilung desselben in sich schließt, eine eigene Beziehung des Gegebenen auf etwas anderes, eben das Ding. Diese Beziehung bedarf selbst noch der Analyse; sie ist nur vorläufig  bezeichnet,  wenn wir das Gegebene eine Erscheinung des Dings nennen. Vielleicht wendet man nur wiederum ein, es sei hier doch nicht Verschiedenes gegeben, da wir uns beim Herumgehen um den Baum doch der Verschiedenheit der wechselnden Ansichten eben dann, wenn wir überzeugt sind, dieses Ding, den Baum vor uns zu haben. gar nicht bewußt werden, da dann vielmehr anstatt dessen ein Identisches vor uns steht. Aber das ist unrichtig. Daß hier zumindest mehrere Ansichten vorliegen, also ein zeitlich Verschiedenes vorliegt, dessen werden wir uns unzweifelhaft bewußt, und auch die qualitative Verschiedenheit der Ansichten kommt uns unweigerlich zu Bewußtsein, sobald wir uns wirklich auf das Gegebene beschreibend einstellen und uns nicht mit der Bezeichnung begnügen, die uns das Gegebene unmittelbar nahelegt; wenn wir phänomenologisch analysieren, anstatt nur naiv zu beschreiben, wie es früher ausgedrückt wurde. Freilich ist hier gerade, mit Rücksicht auf diese früheren Ausführungen, noch ein letzter Einwand möglich, auf den ich weiter unten zurückkomme: der Einwand, daß durch diese Analyse eben auch ein unmittelbar Gegebenes zerstört wird, ein Identisches, das Ding selbst.

Zunächst können wir uns das bisher gewonnene Ergebnis noch in einer anderen Form deutlich machen. Setzen wir an die Stelle des einen Menschen, der sich um das Ding herumbewegt, verschiedene Menschen, die es gleichzeitig betrachten, so ist die Sache offenbar genau dieselbe. Die Betrachter sehen "dasselbe", insofern sie alle von demselben Ding sprechen, sie sehen Verschiedenes, insofern das unmittelbar Gegebene ebenso offenbar ein Verschiedenes ist, der Anblick, den der eine hat, nicht identisch ist mit dem, der sich dem anderen darbietet. Schließlich: Ich betrachtete das Ding wieder allein, und nun schließe ich die Augen oder wende den Blick ab - dann ist der Anblick, der vorher da war, verschwunden, an seine Stelle ist etwas anderes, etwa der gleichförmige Grund getreten, den wir bei geschlossenen Augen vor uns haben. Von dem Ding aber sagen wir: es ist noch da, es existiert noch. Von dem Ding sagen wir also allerhand aus, was vom unmittelbar Gegebenen nun einmal evidentermaßen nicht gilt, nämlich daß es dasselbe Ding ist, von welcher Seite es auch betrachtet wird, und daß es noch da ist, wenn es nicht mehr betrachtet wird - woraus sich ergibt, daß das unmittelbar Gegebene und das Ding zweierlei, daß das Ding nicht ein unmittelbar Gegebenes ist.

Das Problem, das, wie man sieht, der Dingbegriff in sich schließt, ist genau analog dem Problem der Gattung, wie es im vorigen Abschnitt erörtert wurde. Der Versuch, uns eine Gattung als solche, einen allgemeinen Gegenstand, "das" Blau, zur Gegebenheit zu bringen, führt zu keinem Resultat; das Gegebene bleibt immer ein bestimmtes, individuelles einzelnes Blau, allgemein gesprochen, ein Individuum, das unter die betreffende Gattung fällt, das ihr angehört. So auch hier: wir bringen uns nie ein Ding zur Gegebenheit, sondern immer nur einen Wahrnehmungstatbestand, der dem Ding angehört, das zu ihm in einer bestimmten Beziehung steht. Wir können in beiden Fällen den Ausdruck Erscheinung gebrauchen: Gegeben ist uns jeweils nur die individuelle, zeitlich bestimmbare Erscheinung der Gattung, nicht die zeitlose, identische Gattung selbst und ebenso nur die wechselnde Erscheinung des Dings, nicht das stets sich gleichbleibende, beharrliche Ding. Wobei natürlich die Frage, was das "Erscheinung"-sein hier jedesmal besagt, noch ebenso unbeantwortet ist, wie die nach dem Wesen der Gattung und des Dings selbst.

Während das Problem der Gattung ein für die antike Philosophie charakteristisches Problem ist, gehört die Frage nach dem Wesen des Dings fast ausschließlich der neueren Philosophie an. DESCARTES befaßt sich damit in seiner bekannten Auseinandersetzung über das "Stück Wachs", wenn auch deren letzte Absicht nach anderer Richtung geht. Alles, was wir von dem Stück Wachs in sinnlicher Wahrnehmung aufzufassen vermögen, ändert sich in dem Augenblick, in dem wir es ans Feuer bringen. Von dem Stück Wachs aber behaupten wir trotzdem, daß es noch dasselbe ist, wie vorher. Also, ist das Ergebnis der Untersuchung, lassen wir uns durch den Sprachgebrauch zu einer falschen Ausdrucksweise verleiten, wenn wir sagen, daß wir das Wachs selbst sehen und nicht vielmehr, daß wir sein Vorhandensein aus der Wahrnehmung von Farbe und Gestalt urteilen. Der erste, der das Problem dann eigentlich in unserem Sinn stellt, ist LOCKE. Indem wir ein Ding wahrnehmen, erblicken wir eine bestimmte Form und Farbe, tasten wir eine gewisse Härte, empfinden wir Widerstand und Schwere. Nun unterscheiden wir aber, zumindest in Worten, das Ding, die Substanz selbst von dieser jetzt gesehenen Farbe und Form, dieser jetzt getasteten Härte usw. Das Ding ist nicht diese Farbe, sondern es trägt sie an sich, es ist nicht diese Härte, die ich verspüre, sondern es hat sie. Daraus ergibt sich die Frage: Was ist das Ding selbst? Und eben diese Frage kann keine befriedigende Antwort finden, weil, indem wir das Ding selber fassen wollen, uns immer nur wieder eine jener schon aufgezählten "Ideen" in der Hand bleibt. So bleibt der Begriff der Substanz des Dings für LOCKE ein "unklarer", weil ein Begriff, der nicht durch einen gegebenen Tatbestand, durch eine Idee in seinem Sprachgebrauch ersetzbar ist.

Das LOCKEsche Problem findet dann seine bekannte radikale Lösund durch BERKELEY. Das Ding ist nichts als die Summe der Gegebenheiten, in denen es uns angeblich erscheint. Der Apfel, den ich in der Hand habe, ist die Farbe und Form, die ich sehe, Härte und Schwere, die ich taste, Geruch, den ich wahrnehme usw. BERKELEYs Lösung ist einfach und konsequent, aber sie weckt sofort eine Reihe von Bedenken, die vielleicht schon LOCKE von diesem radikalen Idealismus zurückgehalten haben. Jene Erscheinungen kommen und gehen, sie sind verschieden, je nach der Seite, der Entfernung, der Stellung, in der ich das Ding betrachte, je nachdem wie ich es sehe, betaste usw. Ist das Ding nur die Summe dieser Erscheinungen, so ist es selbst etwas, das in beständiger Veränderung begriffen ist - aber das Ding soll ja doch "eines" sein und ein Beharrliches, Unveränderliches, Identisches, von welcher Entfernung, Seite usw. ich es auch betrachte. Wenn das Ding nur ein anderer Name für die Summe jener Gegebenheiten sein soll, wie kommen wir dann dazu, beides sprachlich so zu scheiden, wie wir es tun, und anstatt zu sagen, das Ding sei diese und diese Form und Farbe, Härte und Schwere, vielmehr von demselben Ding zu reden, daß uns erst diesen, dann jenen Anblick darbietet? Wenn wir diesen Sprachgebrauch als sinnvoll ansehen, so kann das Ding so wenig die Summe seiner Erscheinungen, wie die Gattung die Summe der ihr angehörigen Individuen sein.

BERKELEY kann mit anderen Worten seine Lehre konsequenz nur festhalten, wenn er nicht das Ding mit der Summe seiner Erscheinungen identifiziert, sondern den Dingbegriff für eine Fiktion, d. h. für ein Wort erklärt, dem gar kein irgendwie faßbarer Gegenstand entspricht, das überhaupt keinen vorstellbaren Sinn hat - wenn wir das, was es meint, erfassen wollen, erhalten wir immer etwas anderes, nämlich seine angeblichen Erscheinungen. Damit sind wir auch hier bei einem echten Nominalismus angelangt.

Wollen wir diesem Nominalismus entgehen, so muß das Ding selbst irgendwie zur Gegebenheit gebracht werden können. Soll das möglich sein, so kann es nur eins bedeuten: Es müßte möglich sein, gewissermaßen durch die jeweilige Erscheinung des Dings, indem sie gegeben ist, gleichzeitig hindurch zu blicken, in ihr und mit ihr zugleich etwas anderes zu erfassen, ein einheitliches identisches Gebilde, das als identisch dasselbe unmittelbar erkennbar vor uns steht, während die Erscheinungen wechseln, das als in eigenartiger Beziehung zu den Erscheinungen stehend aufgefaßt wird, und von dem wir schließlich unmittelbar erkennen, daß ihm noch andere Eigenschaften zukommen, als die gerade jetzt von uns erfaßten.

Stellt man sich auf diesen Standpunkt, behauptet man dies als phänomenale Tatsache, dann, aber auch nur dann, ist im eigentlichen Sinn das Ding selbst, nicht nur seine sogenannten Erscheinungen, ein Gegebenes, entgeht man also der nominalistischen Konsequenz. Eine solche Theorie steht, wie man leicht sieht, auf gleicher Stufe mit HUSSERLs Theorie der allgemeinen Gegenstände und wird dann auch in der Tat von ihm (wenn auch nicht so schematisch zugespitzt, wie ich sie formulierte) vertreten. (12) Aber sie enthält auch die gleichen unbefriedigenden Bestandteile.

Das Ding soll unterschieden werden von der Farbe und Form, die wir jetzt an ihm wahrnehmen, der Härte, dem Druck, den wir tasten usw., es soll etwas sein, das in bestimmter Beziehung zu diesen Inhalten unserer Wahrnehmung steht. Andererseits aber können wir sagen, umfaßt doch das Ding diese Gegebenheiten, es enthält sie in gewisser Weise. Das Verhältnis zwischen Ding und Erscheinung stellt sich uns also immer wieder in wenig eindeutigen, wenig klaren Analogien dar und fragen wir nach dem Wesen dieser Beziehung, so wird uns trotzdem nur mit dem Hinweis auf ein eigenartiges, nicht weiter beschreibbares Gegebensein geantwortet. Insbesondere: Wenn wir von einem Ding behaupten, es müsse eine Rückseite haben, es müsse tastbar sein, so spricht diese Behauptung ein Aneinander-gebunden-sein des angeblich gegebenen Tatbestandes "Ding" und jener wahrnehmbaren Tatbestände aus. Ist dieses Gebundensein der Ausdruck eines empirischen Gesetzes? Dann müßte es doch auch möglich sein, daß ein Ding einmal keine Rückseite hätte. Aber wo etwa beim Herumgehen um ein Ding das Wahrgenommene verschwindet, anstatt uns die erwartete Rückseite zu zeigen, da erklären wir, wir hätten uns geirrt, es sei hier nur scheinbar ein  Ding  vorhanden gewesen; nimmt man aber keinen empirischen, sondern einen unmittelbar erschaubaren, eigenartigen Wesenszusammenhang zwischen Dingphänomen und Rückseite an, so haben wir die Zahl der letzten, nicht weiter zurückführbaren und beschreibbaren Gegebenheiten wieder um eine, und zwar eine ziemlich rätselhafte vermehrt. Dazu drängt sich im Anschluß daran noch die weitere Frage auf: Was heißt denn das: Ein  gegebener Tatbestand  (das Ding) existiert einmal  "wirklich"  und ist dann auch noch  "scheinbar"  vorhanden? Schließlich: Wie kommen wir dazu zu, zu behaupten, daß er fortexistiert, wenn wir ihn nicht wahrnehmen? Liegt hier wieder eine nicht weiter beschreibbare Eigenart des gegebenen Tatbestandes vor, der uns diese Behauptung gewissermaßen aufzwingt? Jedenfalls: ihn begreiflich zu machen, ist die Theorie nicht geeignet. Auf alle diese Fragen erhalten wir keine befriedigende Antwort.

Die Deskription selbst aber vermag ich so wenig wie im Fall der allgemeinen Gegenstände als richtig anzuerkennen. Wir bezeichnen freilich den Baum, von welcher Seite wir ihn auch sehen, sofort und unmittelbar mit dem gleichen Namen, der verschiedene Anblick löst das gleiche praktische Verhalten unsererseits automatisch aus. Aber wir wissen, dieses Verhalten braucht nicht auf einem unmittelbarn Erfassen des Dings selbst zu beruhen - die Behauptung, daß dies so sein  muß,  ist eine Ausdeutung des phänomenologischen Sachverhalts. So kommen wir also auch bezüglich des Dingbegriffs zu dem nominalistischen Resultat, wie es vorhin formuliert wurde. Natürlich entsteht dann auch hier das Problem, ohne dessen Lösung der Nominalismus in der Luft schwebt: Wie kommen wir dazu, Dingbezeichnungen zu gebrauchen und sinnvoll zu gebrauchen?

Noch einige mögliche Einwände seien wenigstens kurz berücksichtigt. Ich bestreite nich, daß wir einmal auf die Erscheinung eines vor uns stehenden Dings in ihrem eigentümlichen Farb- und Formcharakter "achten" und ein anderes Mal die gleiche Erscheinung als Erscheinung  eines Dings  "auffassen" können. Ich bestreite auch nicht, daß hier jedesmal ein phänomenal faßbarer Unterschied vorliegt. Es ist auch zuzugeben, daß uns im ersten Fall beim Herumgehen um das Ding die einzelnen Erscheinungen in ihrer Verschiedenheit voneinander auffallen werden, während dies im zweiten Fall nicht stattfinden wird. Aber dieser Unterschied besteht wiederum nicht darin, daß im zweiten Fall ein anderer unmittelbar erfaßter Tatbestand (das Ding selbst) von uns beachtet wäre, sondern er ist auf gleiche Stufe zu stellen mit dem früher erörterten Unterschied des Achtens auf den "Klang" und auf den "Sinn" eines Wortes. Wie dort, scheint mir auch hier der phänomenale Unterschied darin zu bestehen, daß wir einmal beim Gegebenen selbst seiner Eigenart nach verweilen und uns einmal einfach der von ihm ausgehenden, sich unmittelbar einstellenden assoziativen Wirkung überlassen, ihn sozusagen nur so weit und so lange betrachten, bis sich automatisch ein bestimmtes praktisches Verhalten eingestellt hat. Kurz gesagt: Es tritt im zweiten Fall nicht ein bestimmter phänomenaler Tatbestand für unsere Auffassung hinzu, sondern es fällt höchsten etwas fort. Diese Erklärung kann freilich an dieser Stelle wieder nur als eine vorläufig mögliche angesehen werden, deren genauere Begründung auf später zu verschieben ist; sie soll hier nur zeigen, daß, wenn wir tatsächlich zwischen dem Achten auf das Ding und dem Achten auf die bloße Erscheinung phänomenologisch unterscheiden, diese bloße Unterscheidung noch gar nichts für das unmittelbare Gegebensein des Dings selbst beweist. Denn es entsteht erst von neuem die Frage, wie der Tatbestand, dem wir  sprachlich Ausdruck geben,  indem wir von einem Achten auf das Ding reden, phänomenologisch exakt zu beschreiben ist.

Ein anderer Punkt, auf den man sich von gegnerischer Seite berufen könnte, wäre der folgende. Es gibt einen unmittelbaren Eindruck, den wir als den Eindruck des "dinghaft Wirklichen" mit einem gewissen Recht bezeichnen können. Wenn wir einen Tisch betrachten, so macht uns das Gesehene in einem höheren Grad einen solche Eindruck, als etwa der leicht aufsteigende, schwebende Rauch eines Feuers oder gar als die subjektiv bedingte Erscheinung des Augenflimmerns. Also könnte man schließen, wir "sehen" hier einmal die dinghafte Wirklichkeit und ein anderes Mal das bloß Erscheinungsein eines Gebildes. Indessen ist hier zweierlei zu unterscheiden:
    Erstens  der Eindruck selbst, der Charakter des Festen, sich selbst Gleichbleibenden, Unzerstörbaren, wie wir ihn noch näher bezeichnen könnten und

    zweitens  die Bezeichnung dieses Charakters als des Charakters einer dinghaften Wirklichkeit.
Jener Charakter ist uns unmittelbar gegeben, aber er ist nicht das Ding als solches; die Behauptung, das vor mir stehende  ist  ein Ding,  heißt nicht:  Es hat diesen Charakter. Wir können, scheint mir, die Sache auch noch genauer charakterisieren. Es gibt unter den Erscheinungen eines Dings solche, die ihm als Ding unserer Meinung nach wesentlicher zugehören, als andere; in denen wir dem Ding sozusagen näher zu kommen glauben. Warum wir dieser Meinung sind, diese Frage läßt sich wieder nicht unmittelbar beantworten, die Erklärung dieses Tatbestandes setzt die Analyse des Dingbegriffs selbst voraus. Vorläufig begnüge ich mich mit dem Hinweis darauf, daß wir jedenfalls, wenn wir ein Ding in die Hand nehmen, die Härte, den Widerstand spüren, den es der tastenden Hand entgegensetzt, eher davon sprechen, daß wir jetzt "das Ding" halten und untersuchen. Darum werden wir noch keineswegs das Ding mit dem jetzt gespürten Druck und Widerstand identifizieren. Nun können wir aber einem Inhalt, den wir sehen, die Greifbarkeit, die Festigkeit ansehen, so etwa, wie wir im früheren Beispiel der dampfenden Suppe die Wärme ansehen. Aufgrund welcher unmittelbar gegebener Momente - das muß wieder dahingestellt bleiben. Eben diesen Tatbestand aber scheint mir, meinen wir, wenn wir davon sprechen, daß wir die dinghafte Wirklichkeit eines Gegenstandes "sehen", oder wie der Ausspruch wohl besser lauten würde, dem Gegenstand  ansehen.  Verwandt, aber nicht identisch mit diesem Eindruck der "Dinghaftigkeit" ist ein anderer Eindruck: der Eindruck, daß wir "wach" einer "lebendigen Wirklichkeit" gegenüberstehen, im Gegensatz zu einem "traumhaften" Charakter, den bisweilen die Welt und das Geschehen um uns annehmen kann. Späterem vorgreifend, bemerkte ich, daß dieser sogenannte "traumhafte" Charakter mir genauer in einem kaleidoskopartigen Zerfallen der geschauten Wirklichkeit in einzelne Bilder, die wir nur als solche passiv an uns vorüberziehen lassen, zu bestehen scheint, während aus diesen "Bildern" eine "lebendige Wirklichkeit" wird, sobald wir erwartend von einem auf das andere eingestellt sind, sobald wir jeden neu eintretenden Inhalt sofort mit der unserem Wissen nach ihm zukommenden praktischen und Erwartungseinstellung entgegenkommen.

Alle diese Eindrücke sind bestenfalls Inhalte, aufgrund deren wir einem Gegenstand die dinghafte Wirklichkeit ansehen,  aber sie sind nicht das, was wir mit dem Wort "Ding" bezeichnen,  wir können sie daher auch nicht heranziehen, um die Frage zu beantworten, was wir mit dem Wort "Ding" meinen. Vielmehr hat umgekehrt die Theorie des Dingbegriffs auch dadurch ihr Recht zu erweisen, daß sie uns verständlich macht,  wieso  diese Eindrücke für uns zu Anzeichen dafür werden können, daß ein "Ding" vor uns steht. -



Was hier für das "Ding" ausgeführt wurde, gilt nun aber ganz ebenso noch für eine Reihe weiterer Gegenstände, die der Sprachgebrauch nicht ohne weiteres als Dinge zu bezeichnen pflegt.

Ich höre einen Ton, etwa das Surren einer Maschine. Nun entferne und nähere ich mich abwechseln der Maschine: ändert sich dann  der Ton, den ich höre,  oder höre ich die ganze Zeit hindurch "denselben Ton"? Oder: ich stehe fünf Schritt, ein anderer 50 Schritte von der Maschine entfernt - hören wir denselben Ton oder verschiedene Töne? Wir können auf die Frage offenbar mit Ja und mit Nein antworten - je nachdem, was wir unter einem "gehörten Ton" verstehen. Was mir unmittelbar gegeben ist, wenn ich erst dicht neben der Schallquelle und dann 50 Schritt von ihr entfernt stehe, ist evidentermaßen verschieden und sogar recht gründlich verschieden; und trotzdem können wir von ein und demselben Ton reden, der da dauernd erklingt und der sich an dieser Stelle anders "anhört". Wir unterscheiden also zweierlei, das wir gleichwohl mit demselben Namen "der jetzt von mir gehörte Ton" bezeichnen, ein Name, der demnach doppeldeutig ist. Wir wollen dementsprechend den "phänomenalen" und den "realen" Ton unterscheiden. Der reale Ton nun verhält sich, wie man leicht sieht, zum phänomenalen genauso wie das Ding zu seiner wechselnden Erscheinung. Schließen wir schließlich die Augen, so ist uns eine Erscheinung nicht mehr gegeben, es hat aber unserer festen Überzeugung nach einen Sinn zu behaupten, daß das Ding selbst noch existiert. Ebenso ist, wenn wir uns die Ohren zuhalten, von einem Ton nichts mehr zu hören, der phänomenale Ton also verschwunden, während wir überzeugt sind, daß der reale Ton noch weiter erklingt.

Realer und phänomenaler Ton sind nicht identisch,  wenn sie auch synonym mit dem gleichen Wort bezeichnet werden, denn vom realen Ton sagen wir alles mögliche aus (er erfährt keine Veränderung, während ich meine Stellung ändere, er existiert noch, wenn ich mir die Ohren zuhalte usw.), was bei einem realen Ton evident falsch wäre. So nun, wie wir nur die Erscheinung, niemals das Ding selbst, so können wir uns auch nur den phänomenalen, nie den realen Ton zur unmittelbaren Gegebenheit bringen. Es hätte auch keinen Sinn, den realen Ton mit irgendeiner bestimmten der phänomenalen Tonwahrnehmungen, in denen er "erscheint", zu identifizieren. Warum sollte der reale Ton eher identisch sein mit dem, was ich in 10, als mit dem, was ich in 50 oder 100 Schritt Entfernung von der Schallstelle höre? Eine derartige Behauptung wäre absolut willkürlich. Wir können vielmehr nur stehen bleiben bei dem Ergebnis: der reale Ton ist das sich gleichbleibende weiter existierende, ansich nicht unmittelbar gegebene Etwas, das unter verschiedenen Bedingungen in diesen und jenen Gegebenheiten erscheint.

Und dasselbe gilt für eine gesehene Farbe und schließlich eine gesehene Bewegung. Dieselbe reale blaue Farbe erscheint mir verschieden, je nachdem ich sie in dieser oder jener Entfernung, Beleuchtung, Augenstellung betrachte. Dieselbe Bewegung eines fahrenden Wagens sieht anders aus, je nachdem ich den Wagen an mir vorbei, von mir weg, auf mich zu oder unter mir fortfahren, je nachdem ich ihn in dieser oder jener Entfernung fahren sehe. (13)

Es ist dabei zugleich klar, daß diese realen Farben, Töne, Bewegungen usw. in einer gewissen Beziehung zu den körperlichen Dingen stehen. Wenn wir einem Ding eine bestimmte Farbe als dauernde und bleibende Eigenschaft beilegen, wenn wir von ihm sagen, es sei blau, so ist damit offenbar zunächst eine reale Farbe, ein reales Blau gemeint: der Gegenstand ist realiter blau, aber diese blaue Farbe erscheint mir nicht immer in einem phänomenalen Blau, sie sieht z. B. in der Dämmerung dunkelgrau oder bei Lampenlicht grün aus.

Was also vorhin für die Dinge ausgeführt wurde, gilt für die  realen Gegenstände  überhaupt, wenn wir unter einem realen Gegenstand ein Etwas verstehen, das nicht phänomenal gegeben ist, das aber von uns in dieser eigentümlichen Weise, wie wir es am Beispiel des Dings, der realen Farbe usw. gesehen haben, einer Mehrheit phänomenaler Gegebenheiten als in ihnen erscheinend zugrunde gelegt wird. Den realen Gegenständen treten zur Seite die Gattungen, die Spezies, oder wie wir mit einem gebräuchlichen Ausdruck dafür auch sagen können, die  idealen Gegenstände.  Wie das Reale, so ist das Ideale ein phänomenal nicht Gegebenes.  Das Ideale und Reale steht gleichmäßig dem phänomenal Gegebenen gegenüber.  Nur ist jeder reale Gegenstand allemal zugleich individuell, er existiert zu einer bestimmten Zeit, während das Ideale als zeitlos gedacht wird. Der Welt des Idealen wie der des Realen gegenüber hatte uns die Untersuchung zu  nominalistischen  Ergebnissen geführt und damit zu einem entsprechend gleichen Problem: da weder ein idealer noch ein realer Gegenstand als solcher uns jemals gegeben ist, wie kommen wir dann überhaupt dazu, von solchen Gebilden zu reden, dem phänomenal Gegebenen eine reale und ideale Welt hinzuzufügen. Wie können die Worte, die angeblich reale und ideale Gegenstände bezeichnen, mehr sein als leere, inhaltslose, da ja mit einem gegebenen Inhalt nicht zu erfüllende Worte?

Es ist aber mit dem Besprochenen das Gebiet der realen Gegenstände noch immer nicht erschöpft, denn das Reale, von dem bisher gesprochen wurde, gehörte durchgängig der Sphäre des Physischen an, während wir auch auf psychischem Gebiet eine ganz entsprechende Begriffsbildung vollziehen.


8. Physisch-Reales und psychisch-Reales

Die phänomenalen Gegebenheiten, die wir als Erscheinungen von körperlichen Dingen oder von den zuletzt besprochenen realen Farben, Tönen, Bewegungen betrachten, aufgrund deren wir also von realen Gebilden dieser Art sprechen, sind durchweg Inhalt der sinnlichen Wahrnehmung, gesehene Farben, gehörte Töne usw. Neben diesen Inhalten aber gibt es noch Gegebenheiten anderer Art, die schon früher gelegentlich erwähnt wurden. Auch wenn wir ein Gefühl, einen Affekt, einen Willensakt erleben, ist uns eben das Gefühl und das Wollen mit seiner spezifischen Eigenart unmittelbar bekannt, gegeben. So nun wie wir eine gesehene Farbe auf ein Ding beziehen, wie wir von Dingen Reden, die farbig, tönend, hart sind, so beziehen wir die Gefühle und Willenserlebnisse auf ein entsprechendes Gebilde, nämlich auf uns selbst, so sage ich von  "mir", ich  sei lustig oder traurig, strebend oder widerstreben. Ich beziehe ein erlebtes Gefühl in derselben Weise auf meine Person, wie ich eine gesehene Farbe auf ein  Ding  beziehe. Und wie ich von dem Ding sage, es sei  dasselbe Ding,  das zugleich farbig und hart ist, das mir jetzt in dieser, und dann in jener Farbqualität erscheint, so spreche ich von demselben Ich, das Lust und Streben, Ärger und Sehnsucht empfindet, das sich jetzt lust-, dann unlustvoll angemutet fühlt, das auch noch existiert, wenn, wie z. B. im Schlaf, gar keine Erlebnisse da sind, die wir zu ihm in Beziehung setzen könnten.

Erleben wir das eigene Ich, die eigene Persönlichkeit, ebenso unmittelbar wie wir ein Gefühl, einen Willensakt erleben?  Mir scheint, wir tun dies ebenso wenig und ebenso viel, wie wir ein Ding sehen oder tasten. Wenn wir ein Gefühl erleben, verbindet sich dann für unser Erleben mit dem Gefühl noch ein besonderes Moment, das wir als das "fühlende Ich" bezeichnen dürften? Oder finden wir ein solches in einer erinnernden, rückschauenden Betrachtung vor? Ich kann mich davon schlechterdings nicht überzeugen. Vielleicht meint man, jedes Gefühl und jeder Willensakt hätten doch ein abstraktes Moment gemeinsam, ein Moment, das sie als Gegebenheiten eigener Art von allen physischen Gegebenheiten, von einer gesehenen Farbe usw. unterscheidet. Vielleicht kann man dem zustimmen, vielleicht kann man - wir können das wenigstens einmal annehmen - sagen, daß wir um dieses Momentes willen Willensakte und Gefühle als psychische Gebilde jenen anderen Gegebenheiten gegenüberstellen. Aber  ist  dann dieses abstrakte Moment  die  Psyche, d. h. das eine gemeinsame, bleibende, beharrende Ich, auf das wir die psychischen Gegebenheiten beziehen? Dann könnten wir auch ebensogut das Ding mit dem gemeinsamen Charakter identifizieren, der uns erlaubt, phänomenale Farben, Töne und Tastqualitäte in eine Gattung zusammenzufassen. Oder anders ausgedrückt: wir hätten dann ein Erlebnis, das als das  gleiche  Erlebnis alle Gefühle begleiten würde; aber wie kämen wir dazu, von einem  identischen  Ich zu reden? Wie kämen wir zu der Behauptung, daß dieses Ich auch im Schlaf noch existiert?

Ferner: Zu jeder Persönlichkeit gehört ein bestimmter Charakter. Er macht die Persönlichkeit eigentlich erst zu einer bestimmten Persönlichkeit. Erleben wir die Persönlichkeit, so müssen wir auch den Charakter erleben. Aber der Charakter, der eigene, ebenso wie der eines fremden Menschen, ist etwas, das ganz offensichtlich nicht unmittelbar erlebt und in seiner Eigenart konstatiert, sondern erschlossen, und zwar ziemlich mühsam und unsicher erschlossen wird. Kurz, mir scheint, es läßt sich all das, was über die Wahrnehmung von Dingen gesagt wurde, auch auf die des Ich oder der Seele anwenden. Mit anderen Worten: der Begriff des Ich erscheint als ein Begriff gleicher Art wie der Begriff des Dings, als der Begriff eines realen Gegenstandes, der dieselben Probleme für uns einschließt, wie wir sie dort kennengelernt haben.

Nur daß der Begriff des Ich freilich noch ein besonderes Problem enthält: die Frage, wie wir zu einem Begriff  fremder  Iche, anderer Persönlichkeiten kommen. Sind wir uns darüber klar geworden, wie für uns der Begriff eines bestimmten Dings entsteht, bzw. was er enthält, so haben wir die Frage nach dem Wesen des Dingbegriffs überhaupt beantwortet, denn wir brauchen das Ergebnis nur zu übertragen auf alle anderen Fälle. Dagegen gewinnen wir offenbar den Begriff des eigenen Ich nicht auf genau die gleiche Weise, wie den der fremden Persönlichkeit. Genauer gesprochen: die gegebenen Tatsachen, die wir auf das eigene Ich beziehen, als Äußerungen desselben auffassen, sind nicht nur andere als diejenigen, in denen ein fremdes Geistesleben erscheint, sondern sie müssen uns auch irgendwie  anders gegeben  sein. Wir unterschieden vorhin unmittelbar und mittelbar gegebene (erinnerte, phantasierte) Tatbestände. Wenn wir ein Gefühl, von dem wir wissen, als Gefühl einer fremden Persönlichkeit, eines "Du" bezeichnen, so kann uns dieses Gefühl offenbar nie unmittelbar, sondern es muß uns irgendwie mittelbar gegeben sein. Daraus ergibt sich hier also die doppelte Frage:
    Erstens:  Wie kommen wir dazu, irgendwelche Inhalte, die uns irgendwie gegeben sind, auf ein Ich, eine Persönlichkeit, eine Seele zu beziehen, zu behaupten, daß sie Äußerungen eines solchen Psychisch-Realen sind? Was meinen wir mit diesem  Begriff  des Ich usw.?

    Und  zweitens,  wie kommen wir speziell zu einem Wissen um diejenigen  Tatsachen,  die wir auf eine fremde Persönlichkeit, ein Du beziehen, wie sind uns diese Tatsachen gegeben?
Diese zwei Fragen müssen wir scharf scheiden, die Frage, die im Augenblick geklärt werden sollte, war nur die erste; die Frage, wie erleben wir den eigenen Bewußtseinsstrom [james] im Gegensatz zu einem fremden, und im Hinblick auf welche Erlebnisse kann für uns der Gegensatz des Ich und Du sinnvoll werden? wird später erörtert werden.

Historisch betrachtet erscheint noch BERKELEY trotz seiner Kritik des Dingbegriffs der Begriff des Ich oder der Seele als ein selbstverständlich gegebener Begriff, nach dessen Sinn zu fragen sich erübrigt. Erst HUME wendet dann die LOCKE-BERKELEYsche Kritik des Substanzbegriffs auch auf die seelische Substanz an, wodurch das Ich wie das körperliche Ding für ihn zu einem Bündel von Perzeptionen wird. In der Gegenwart schließt man sich zum Teil dem Voranschreiten HUMEs an und identifiziert das Ich mit der Summe der Erlebnisse, bzw. mit dem Fluß des Bewußtseinsgeschehens, einer Anschauung, in der sich so gegnerische Standpunkte, wie derjenige MACHs und NATORPs (dessen erkenntnistheoretisches Ich natürlich auf einem anderen Blatt steht), begegnen; zum Teil spricht man im Gegensatz dazu von einem unmittelbaren Erleben des Ich. Aber zwischen diesen beiden Anschauungen finden sich Übergänge; sie stehen sich, wenn man sie genauer betrachtet, meist nicht so schroff gegenüber, wie es zunächst den Anschein hat. Einer der Hauptvertreter der psychologischen Richtung, die von einem unmittelbar erlebten Ich spricht, ist THEODOR LIPPS. Aber LIPPS selbst unterscheidet dabei scharf zwischen einem unmittelbar erlebten und einem erschlossenen realen Ich mit seinen Dispositionen und Charaktereigenschaften. Er gibt also ohne weiteres zu, daß es einen Sinn hat, von einem Ich zu reden, das nicht unmittelbar erlebt, sondern wie das Ding dem unmittelbar Gegebenen zugrunde gelegt wird. Und da, wo er vom unmittelbar erlebten Ich spricht, geschieht es in einer Weise, daß das Ich fast nur zu einem abstrakten Moment am Gefühlserlebnis wird. Das Ich wird verglichen mit dem abstrakten Tonmoment, das Klangfarbe, Höhe und Lautstärke eben zu Momenten eines Tones macht. Das Gefühl selbst wird seiner Natur nach als Ichgefühl charakterisiert (14). Damit kommt er bereits in die Nähe der WUNDTschen Auffassung. Für WUNDT zerfällt jedes Erlebnis in eine subjektive und eine objektive Seite (das Objekt der Erfahrung und das erfahrende Subjekt); die objektive Seite ist der wahrgenommene, erinnerte, gedachte Inhalt, die subjektive Seite wird direkt identifiziert mit dem Gefühl, das sich an den Inhalt knüpft, das Gefühl hat den besonderen Charakter der Subjektivität. Nun wird man ohne weiteres zugeben können, daß die Gefühle, zu denen man in diesem Punkt die Willenserlebnisse vielleicht gleich hinzurechnen darf, durch ein gemeinsames Moment abstrakter Natur ausgezeichnet sind, daß sie typisch von sinnlichen Gegebenheiten und ebenso von Erinnerungsbildern unterscheidet. Man kann dieses Moment natürlich auch Subjektivität nennen, wenn man sich darüber klar ist, daß damit zunächst nur eine Benennung geschaffen ist. Weder jenes abstrakte Moment aber, noch diese Benennung kann uns ohne weiteres verständlich machen, wie wir dazu kommen, die Gefühle auf ein identisches, bleibendes und beharrendes Ich zu beziehen, auf denselben realen Gegenstand, der als derselbe fortexistiert, während die ihm zukommenden Gefühle wechseln, der schließlich mit seinen Dispositionen noch da ist, wenn, wie im Schlaf, gar keine Gefühle erlebt werden. Wenn man also auch ein besonderes gemeinsames Moment an den Gefühlen aufzeigt, und dieses Moment  Subjektivität  nennt, so ist damit für die Beantwortung der Frage nach dem Wesen des Ichbegriffs noch gar nichts gewonnen.

Der Gegensatz in der Frage nach dem unmittelbar erlebten Ich verringert sich noch etwas mehr, wenn man hinzunimmt, daß auch die Gegner des unmittelbar erlebten Ich von einer unmittelbar erlebten "Einheit" des Bewußtseins reden und reden dürfen. Der Ablauf von Wahrnehmungen, Gefühlen, Willensakten usw., heißt das genauer, der für sie allein das Gegebene ausmacht, wird nicht als eine bloße Summe, sondern er wird als ein mehr oder minder  geschlossenes Ganzes  erlebt.

Abzuweisen ist nur der Gedanke, daß diese Einheit erst zustande kommt dadurch, daß die verschiedenen Elemente des Bewußtseinsablaufs auf einen Punkt gewissermaßen, d. h. auf ein Ich bezogen erlebt würden, daß die unmittelbar erlebte  Einheit  in dieser unmittelbar erlebten  Beziehung  besteht. Könnte man etwas als Einheit immer nur dadurch erleben, daß man es auf einen Einheitspunkt bezogen erlebt, so müßte dasselbe ja schließlich auch für den Einheitspunkt selber gelten, wodurch ein Regreß entstände. Wie sich diese Einheit zum Gefühlserlebnis verhält, wird noch an anderer Stelle kurz besprochen werden. Indessen ist hier noch zu bemerken: der Umstand, daß der Ablauf des Bewußtseinsgeschehens nicht als Summe, sondern als Ganzes erlebt wird, macht uns nicht verständlich, wie wir zum Begriff eines bleibenden und beharrenden Ich jenseits dieses Bewußtseinsgeschehens kommen. Am wenigsten darf beides als identisch gesetzt werden.

Noch ein Einwand wäre möglich. Wenn wir von einem Bewußtsein oder sagen wir, um die Mehrdeutigkeit dieses Wortes zu vermeiden, lieber von einem Gegebensein sprechen, ist dann nicht jedesmal ein Ich schon vorausgesetzt,  dem  etwas gegeben ist? Wird nicht der Begriff des Gegebenseins sinnlos ohne dieses Ich? Kann die Behauptung, ein Gegenstand ist gegeben, nicht direkt durch die andere ersetzt werden: er ist auf ein Ich bezogen?

Darauf hätte ich zunächst zu erwidern: Was "gegeben sein" heißt, haben wir uns an Beispielen deutlich gemacht. Das heißt, wir haben uns den Inhalt des Gegebenheitsbegriffs selbst zur Gegebenheit gebracht und damit auf die einzige Art und Weise festgestellt, auf die, wie wir wissen, Begriffe inhaltlich überhaupt festgelegt werden können (allerdings auch nur innerhalb der Grenzen, in denen es, wie wir ebenfalls wissen, geschehen kann - sofern der Begriff der Gegebenheit ein allgemeiner Begriff ist, enthält er natürlich das uns bekannte Problem der allgemeinen Gegenstände als solcher). Damit ist der Begriff der Gegebenheit definiert und eingeführt, ohne daß der Ichbegriff vorausgesetzt wäre, ohne daß man sich seiner bedient hätte.

Nun hat man freilich bei der Behauptung, das Gegebensein eines Inhaltes kann nur eine Beziehung desselben auf ein unmittelbar erlebtes Ich sein, meist noch einen Gedanken im Hintergrund. Man argumentiert so: wenn ich eine Farbe sehe, so ist mir diese Farbe gegeben. Nun behaupte ich aber, diese Farbe existiert noch, wenn sie von niemandem gesehen wird, wenn sie also nicht gegeben ist, wenn sozusagen das Gegebensein von ihr abfällt. Das Gegebensein kann aber nur von einem Gegenstand abfallen und der Gegenstand dabei derselbe bleiben, wenn es eben nur eine Beziehung zu etwas anderem ist, in die der Gegenstand treten und auch nicht treten kann. Aber in diesem Argument stecken mehrere Irrtümer. Vor allem ist es, wie wir bereits wissen, nicht richtig, daß wir von eben dem gegebenen phänomenalen Inhalt selbst behaupten, er existiert auch, ohne als phänomenaler Inhalt selbst behaupteten Inhalt gegeben zu sein: die reale Farbe, von der wir sagen, sie ist noch da, wenn wir die Augen schließen, ist nicht identisch mit dem, was wir im Moment vorher sahen, sondern sie ist das reale Gebilde, das mir unter diesen Bedingungen in dieser, unter anderen in einer anderen phänomenalen Farbe erscheint. Verstehen wir unter der blauen Farbe hier diese bestimmte phänomenale Gegebenheit, so hat es wenig Sinn, von ihr zu sagen, sie existiert, ohne gegeben zu sein, wie es Sinn hat, zu sagen, sie existiert, ohne blau zu sein. Denn es kann dann unter einem  Sein  dieses gegebenen Tatbestandes nichts anderes verstanden werden, als ein Gegebensein; es ist dasselbe, ob ich sage, ein bestimmter Tatbestand ist gegeben oder ein bestimmter gegebener Tatbestand  ist,  existiert (15).

Schließlich kann freilich die Behauptung, jeder gegebene Inhalt muß jemand gegeben sein, noch einen anderen Sinn haben. Sie kann den Sinn haben. Sie kann den Sinn haben, jeder solcher Inhalt müsse als Glied im Fluß eines zusammenhängenden Bewußtseinsgeschehens auftreten, verbunden mit den Erinnerungen, Gefühlen, Willensakten, die wir auf ein und dasseleb Ich beziehen. Dann ist aber, wie man sieht, gegeben und jemandem gegeben nicht gleichbedeutend, wenn ich es auch für einen tatsächlich richtigen, aber darum nicht selbstverständlichen Satz halte, daß alles Gegebene auch jemandem, d. h. im Zusammenhang eines Bewußtseinslebens, gegeben ist.

Nehmen wir die Persönlichkeit, das Ich, die Seele, in dem Sinn, der jetzt festgelegt wurde, als realen, nicht phänomenalen, sich selbst gleichbleibenden, beharrenden identischen Gegenstand, auf den die stets wechselnden kommenden und gehenden Gefühle, Willensakte, Erinnerungen usw. bezogen werden, der sich in ihnen seinem Wesen entsprechend äußert, manifestiert, erscheint, so verhält sich diese Persönlichkeit zu ihren Charaktereigenschaften, Anlagen usw. ebenso wie das körperliche Ding zu seiner identisch bleibenden beharrenden realen Farbe oder Form, die sich in den wechselnden Farb- und Formwahrnehmungen verschieden darstellt. Charakter und künstlerische, wissenschaftliche Anlagen sind Willens-, Gefühls-, Gedankendispositionen, d. h. reale, bleibende Tatbestände in der Persönlichkeit, die ansich nicht erlebbar sind, die sich aber in bestimmten erlebten Willensakten, Gefühlen und Gedanken kundtun, so wie die Eigenschaft des Goldes, schmelzbar zu sein, ansich nicht wahrnehmbar ist, sondern eine Disposition des Goldes zu bestimmten, wahrnehmbaren Veränderungen. Schließlich gibt es auf dem Gebiet des Psychisch-Realen so gut wie auf dem des Physischen nicht nur beharrliche, sondern auch vorübergehende Dispositionen oder reale Eigenschaften. Ich erinnere an den identischen Bewegungszustand einer Kugel, der zwar in Wahrnehmungen erscheint, aber ansich kein Wahrnehmungsinhalt ist, und ich erinnere an den eine Zeit hindurch zwar dauernden, aber ansich vergänglichen Zustand etwa einer schlechten Stimmung, der auch nicht ein bestimmtes Erlebnis ist, sondern sich in allerhand Erlebnissen kundtut.


9. Das Gegebensein der Relationen

a) Relationserlebnisse und objektive Relationen

Wenn von Gegebenheiten die Rede war, so wurde bisher als Beispiel auf eine gesehene Farbe, einen gehörten Ton, ein erlebtes Gefühl verwiesen. Damit ist aber eine bestimmte Gruppe von Gegebenheiten überhaupt noch nicht berührt.

Eine beschränkte Anzahl von Punkten ist in regellosen Abständen über ein Blatt Papier verteilt. Was Sehen wir, wenn wir diese Zeichnung betrachten? Die nächstliegende Antwort scheint: Wir sehen eben diese Punkte in ihrer eigentümlichen Farbe und Form, zusammen mit dem weißen Hintergrund, von dem sie sich abheben. Daß diese Antwort nicht genügt, ist für die heutige Psychologie eine geläufige Sache, zumindest seit EHRENFELS' Aufsatz über "Gestaltqualitäten" und den sich an ihn anschließenden wissenschaftlichen Diskussionen.

Die Punkte, die wir da sehen, stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern sie bilden eine bestimmte Figur, und ebensogut wie von den Punkten, kann von der Figur als solcher gesagt werden, daß sie ein von uns "Gesehenes" ist. Sie bilden eine Figur, dafür können wir auch sagen: sie bilden ein  mehr oder weniger einheitliches  Ganzes. Nun denken wir uns die Punkte anstatt wie bisher in unregelmäßigen, in regelmäßigen Abständen geordnet. Es sind etwa sechs Punkte, die jetzt das Bild einer Würfelsechs ergeben. Dann hat sich die Form des gesehenen Bildes geändert, aber zugleich ist das Ganze, das dieses Gebilde für uns darstellt, einheitlicher geworden, der ihm anhaftende Charakter des Einheitlichen hat eine Steigerung erfahren. Oder: wir behalten die unregelmäßige Verteilung bei, geben aber zugleich den einzelnen Punkten und ebenso den einzelnen Teilen des Hintergrunds eine verschiedene Farbe. Dann ist wiederum die Änderung der Farbe nicht die einzige Änderung, die mit dem Gebilde vor sich gegangen ist, wir sehen zugleich, daß die Einheitlichkeit des vor uns stehenden Ganzen abgenommen hat oder daß ihm in einem höheren Grad der Charakter einer  Mannigfaltigkeit  eignet. Schließlich kann sich dieser Einheits- und Mannigfaltigkeitscharakter einer Figur auch ändern, ohne daß irgendeine Änderung in Farbe oder Form des Gegebenen eintritt. Die Punkt sind etwa in der Form eines liegenden Kreuzes geordnet, dann können wir willkürlich die Figur einmal als Kreuz sehen und ein anderes Mal die Punkte so zusammenfassen, daß für unser Bewußtsein zwei in einem Punkt aneinaner stoßende rechte Winkel entstehen. Dann sind die Punkte und ihre Abstände genau dieselben geblieben, aber die Figur zeigt in beiden Fällen ein total verschiedenes Aussehen: weil der Einheitlichkeitscharakter des Ganzen gestört bzw. geändert ist (16).

So gut wie gesehene Farben und Formen, hätten wir natürlich auch Töne oder Tastqualitäten als Beispiel wählen können. Eine Reihe von Tönen erscheint uns ebenfalls als ein mehr oder minder geschlossenes Ganzes, dessen Einheitlichkeit mit der wachsenden Verschiedenheit der einzelnen Töne und der Regelmäßigkeit der einzelnen Abstände abnimmt. Daß es sich hier um eine  sukzessive Einheit,  ein über eine Zeitstrecke hinweg sich erstreckendes Ganzes handelt, während eine Reihe von Punkten, in leichtfaßlicher Form angeordnet, zumeist wenigstens ein simultanes Gebilde für unsere Auffassung darstellen, tut nichts Wesentliches zur Sache.

Die Einheitlichkeit und Mannigfaltigkeit eines Gebildes tritt uns also als ein eigenartiger, unmittelbar erfaßbarer Charakter, als ein erfaßbares Merkmal eben dieses Gebildes. Oder anders gesagt: es gibt Gegebenheiten, die uns zur Bildung der Begriffe Einheit und Mannigfaltigkeit Anlaß geben, in denen wir den Sinn dieser Begriffe unmittelbar erleben, ohne die diese Worte für uns gar keinen Sinn hätten. Selbstverständlich sind diese Inhalte als fundierte Inhalte, als Merkmale stets gebunden an andere Inhalte, die wir als einheitlich oder mannigfaltig erleben; sie hängen auch in Beschaffenheit und Stärke - das Moment der Einheitlichkeit ist steigerbar, es besitzt stets einen gewissen Grad -, wesentlich von den fundierenden Inhalten ab, sind aber, wie die Beispiele ebenfalls zeigen, innerhalb gewisser Grenzen auch unabhängig variabel.

Einheit und Mannigfaltigkeit sind Gegensätze, aber sie sind - vom Grenzfall der absoluten Einheit abgesehen - an jedem Gebilde, das sich unserer Wahrnehmung darbietet, zugleich verwirklicht, nur verhält sich der Eindruck seiner Einheitlichkeit umgekehrt wie der seiner Mannigfaltigkeit; wächst die eine, so nimmt die andere im selben Verhältnis ab. Und in einer größeren Anzahl von Fällen erleben wir auch an einem Gebilde gleichzeitig beides, Einheit und Mannigfaltigkeit, wenn auch zumeist nicht beides in gleichem Maße, sondern das eine dem andern untergeordnet, nämlich überall da, wo uns ein Wahrnehmungs- oder Vorstellungsinhalt als einheitliches Ganzes entgegentritt, und wir doch zugleich das Bewußtsein von Teilen haben, die er enthält. Daneben gibt es freilich auch Fälle, in denen uns ein wahrgenommener oder vorgestellter Inhalt zunächst nur als Einheit entgegentritt und in denen es einer besonderen Überlegung, eines Wechsels der Einstellung bedarf, um auch hier das Bewußtsein einer Mannigfaltigkeit, einer Mehrheit von Teilen zu gewinnen. Als Beispiel kann etwa ein Ton dienen, der ohne Änderung seiner Qualität wenige Sekunden lang erklingt und bei dem wir erst nachträglich, in der Erinnerung, dazu kommen, in ihm noch Phasen zu unterscheiden. Zum Einheits- und Mannigfaltigkeitsbewußtsein gesellt sich eine weitere Gruppe phänomenaler Tatbestände. Ich vergleiche zwei Farben miteinander und gewinne das Bewußtsein, sie seien  gleich,  ich erkenne ein anderes Mal zwei Töne als  verschieden.  Ich betrachte zwei Gesichter und finde sie  ähnlich ich gewinne zwei Strecken gegenüber den Eindruck, die eine sei länger als die andere. Es kann keine Frage sein, daß in allen diesen Fällen nicht nur die Farben, Töne, Strecken in meinem Bewußtsein sind, sondern daß sich mit diesen Inhalten etwas anderes verbindet, daß sich auf ihnen ein anderer eigener Bewußtseinstatbestand aufbaut, eben ein Gleichheits-, Ähnlichkeits-, Verschiedenheitsbewußtsein, d. h. ein Erlebnistatbestand, der mich von der Gleichheit der Farben, der Verschiedenheit der Töne usw. zu reden veranlaßt. Ein anderes Mal sehe ich vielleicht dieselben Farben und Formen, aber ich komme gar nicht auf den Gedanken, sie zu vergleichen, es fehlt das Gleichheits-, Verschiedenheits-, Ähnlichkeitsbewußtsein. Andererseits können wir freilich Gleichheit nur da erleben, wo wir Inhalte irgendwelcher Art, Wahrnehmungs- oder Vorstellungsinhalte vor uns haben,  die gleich sind.  Das Gleichheitsbewußtsein ist ebenso wie jedes andere Relationsbewußtsein ein "fundierter Tatbestand", ein Tatbestand, der auch für die Vorstellung nicht existieren kann ohne eine Grundlage anderer, selbständiger Inhalte. Nun muß man sich klar sein: dieser gegebene Tatbestand, den ich hier das unmittelbare Gleichheits bewußtsein  nannte, ist nicht  die Gleichheit,  die zwischen den zwei verglichenen Gegenständen  besteht.  Um jenen phänomenalen Tatbestand zu haben, muß ich die zu vergleichenden Gegenstände in bestimmter Weise aneinanderhalten, muß ich sie vergleichen; die Gegenstände sind aber auch gleich, ihre Gleichheit besteht, sie ist da, wenn ich nicht vergleiche, wenn der phänomenale Tatbestand der Gleichheit, das Gleichheitsbewußtsein nicht da ist. Ja, die Gegenstände können auch gleich sein und als ungleich erlebt werden, wie das Beispiel der geometrisch-optischen Täuschungen beweist - genau so, wie eine objektive rote Farbe mir unter bestimmten Bedingungen (bei Nacht) grau erscheinen kann. Die objektive Gleichheit, die zwischen zwei Gegenständen bestehende Relation, verhält sich zum Relationsbewußtsein, zu dem hier besprochenen gegebenen Tatbestand genau so, wie die phänomenale blaue Farbe sich zur realen blauen Farbe des vor mir stehenden Dings verhält. Oder kürzer: der Begriff der objektiven oder realen Gleichheit ist eben der Begriff eines realen Gebildes, das uns nicht als solches, sondern nur in seinen Erscheinungen gegeben ist. Wir wüßten nicht von einer blauen Farbe, wenn wir nicht blaue Farben gesehen hätten, wir wüßten nichts von Gleichheit, wenn wir nicht jene phänomenologische Relation als solche erfassen könnten; aber wir erfassen nicht die real existierende blaue Farbe, die dieselbe bleibt, auch wenn sie unsichtbar wird, und wir erfassen nicht  die  Gleichheit, die ebenso dieselbe bleibt, auch wenn kein gegebener Tatbestand uns von ihrem Vorhandensein überzeugt. Der Begriff der objektiv bestehenden Relation schließt also auch dasselbe Problem ein, wie der des Dings und der Gattung.

Eine Frage drängt sich hier auf: Wie verhalten sich die realen Relationen, die objektiv bestehende Gleichheit, Verschiedenheit, Einheit, Mannigfaltigkeit, zum Physisch- und Psychisch-Realen und ihrem Unterschied, von dem in den vorigen Paragraphen die Rede war? Zunächst findet sich Gleichheit und Verschiedenheit offenbar ebensogut auf einem Gebiet wie auf dem anderen, psychische wie physische Gegenstände können gleich und verschieden sein, einheitlich sein und eine Mannigfaltigkeit in sich begreifen. Die Relationen, als reale Gebilde betrachtet, stehen also außerhalb des Gegensatzes von Physischem und Psychischem. Dazu kommt noch eins. Auch  phänomenale Gegebenheiten als solche  können wir vergleichen (ja, sie sind aus naheliegenden Gründen sogar streng genommen das einzige, was wir direkt und unmittelbar vergleichen können) und für gleich und verschieden, für einheitlich und zusammengesetzt erkennen. Das Bemerkenswerte ist daher, daß wir nicht nur solchen phänomenalen Gegebenheiten gegenüber ein phänomenales Gleichheits- und Verschiedenheitsbewußtsein haben, sondern daß wir aufgrund eines solchen Bewußtseins auch hier von einer objektiv bestehenden Gleichheit und Verschiedenheit derselben reden können; sie  sind  gleich oder ungleich, sie  enthalten  eine Mannigfaltigkeit usw. Das heißt nicht nur, daß wir in Bezug auf diese Gegebenheiten jetzt ein entsprechendes Relationsbewußtsein haben, sondern es heißt, daß diese Relationen realiter, objektiv bestehen und auch bestehen würden, wenn wir sie uns nicht zu Bewußtsein gebracht hätten. Wir können daher, so sonderbar es klingt, phänomenalen Gegebenheiten reale Beziehungen zueinander beilegen. Darauf beruth die Möglichkeit einer Phänomenologie, einer reinen Deskription  als Wissenschaft.  Denn wollen wir die phänomenalen Gegebenheiten als solche beschreiben, einteilen, systematisieren, so wollen wir das in  objektiv  gültigen Urteilen tun. Vergleich und Analyse (Zerlegung eines Ganzen in seine Teile) sind die Mittel der Deskription, und Vergleich und Analyse beziehen sich auf Gleichheit und Verschiedenheit, Einheitlichkeit und Mehrheitlichkeit. Also muß es möglich sein, diese Verhältnisse an den phänomenalen Gegebenheiten als objektiv bestehende in Urteilen festzulegen. Worauf diese Eigenart der Relationen  letzten Endes  beruth, wird später erörtert werden.

Damit wird sich dann zugleich ein ansich für den Phänomenalismus schwerwiegender Einwand erledigen, den u. a. STUMPF ("Erscheinungen und psychische Funktionen") erhebt und auf den auch HUSSERL gelegentlich zu sprechen kommt, der Einwand, daß wir doch von einem Ton etwa mit Sinn sagen können, er - dieser selbe Ton -  habe  eine bestimmte Höhe und Klangfarbe, und nicht, er bekomme sie erst durch die auf ihn gerichtete entsprechende Analyse.

Schließlich besteht Gleichheit und Verschiedenheit auch zwischen ideellen Gebilden, zwischen Gattungen. Darum dürfen wir doch nicht etwa allgemein die Relationen zu den ideellen Gegenständen rechnen. Die Gleichheit, die zwischen zwei körperlichen Dingen z. B. besteht, ist erstens etwas Konkretes, nichts Allgemeines, und zweitens existiert sie auch nicht in dem Sinn zeitlos, wie die allgemeinen Gegenstände: Jene Dinge können eine Zeitlang gleich sein und dann verschieden werden. Die Gleichheit in abstracto ist natürlich ein allgemeiner und damit ein ideeller Gegenstand.


b) Zur Phänomenologie des Relationsbewußtseins
und zur Theorie der Relationen.

Das Bewußtsein der Einheit und Mannigfaltigkeit einerseits, der Gleichheit und Verschiedenheit andererseits wurden nicht bloß zufällig nebeneinander gestellt. Sie besitzen vielmehr eine innere phänomenologische Verwandtschaft. Daß die Begriffe  Gleichheit  und * Einheit  und entsprechend  Verschiedenheit  und  Mannigfaltigkeit  etwas miteinander zu tun haben, zeigen uns drei Tatsachen.
    Erstens:  ich machte im vorigen Paragraphen auf das eigentümliche Verhältnis der Begriffe Einheit und Mannigfaltigkeit aufmerksam. Wir sehen leicht, daß zwischen Gleichheit und Verschiedenheit das gleiche Verhältnis statthat.

    Zweitens:  ich sehe zwei gleiche Farben nebeneinander, durch einen Zwischenraum getrennt oder ich höre zwei Töne nacheinander durch eine Zeitspanne geschieden. Rücke ich dann beide hart aneinander, lasse ich die trennende Raum- bzw. Zeitstrecke verschwinden, so schmelzen Farben wie Töne unweigerlich zu  einem  Gebilde zusammen. Allgemeiner: das Bewußtsein, zwei gleiche Gegenstände vor uns zu haben, geht über in das andere, daß  ein  Gegenstand vorhanden ist, sobald jede Verschiedenheit, auch die raumzeitliche, verschwunden, also eigentlich die Gleichheit vollkommen geworden ist. Wor wir absolute Gleichheit erleben sollten, erleben wir tatsächlich Einheit.

    Und schließlich  drittens:  anstatt zu sagen: zwei Gegenstände sind gleich, sagen wir auch: sie sein "ein und derselbe" Gegenstand, nur nach dieser oder jener Seite hin, z. B. räumlich, zeitlich, in Bezug auf einen allgemeineren Zusammenhang verschieden; oder es ist nur ein Gegenstand, aber zweimal vorhanden.
Die erste Tatsache zeigt uns, daß zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit andererseits eine  Analogie,  die zweite, daß zwischen beiden Begriffspaaren ein innerer  Zusammenhang  besteht. Die dritte schließlich beweist, daß diese Verwandtschaft schon von der Sprache des gewöhnlichen Lebens dahin interpretiert wird, daß die Gleichheit allgemein als eine gewisse Stufe oder als eine Form der Einheit erscheint. Das aber würde nichts anderes heißen als daß sich das Bewußtsein der Gleichheit auf das Bewußtsein der Einheit zurückführen läßt. Soll sich diese Auffassung rechtfertigen lassen, so muß es möglich sein, dasjenige Einheitsbewußtsein näher zu bestimmen, das speziell als Bewußtsein einer Gleichheit anzusprechen wäre.

Angenommen, wir betrachten zwei durch einen kurzen Zwischenraum getrennte gleiche Farbflecke. Dann können diese Flecke zusammen mit dem Zwischenraum für unsere Wahrnehmungen  eine Figur  bilden. Sie werden das, wie bereits betont wurde, sogar immer tun, wenn der Zwischenraum verschwindet. Dieses Einheitsbewußtsein nun, das die beiden verglichenen Inhalte zu mehr oder weniger selbständigen Teilen einer räumlichen Figur macht, ist offenbar nicht das gesuchte Bewußtsein der Gleichheit, es wurde ja im Gegenteil auch schon betont, daß in diesem Bewußtsein einer völligen Einheit das Bewußtsein der Gleichheit vielmehr verschwindet. Vielmehr ist die Vorbedingung für die Entstehung des Gleichheitsbewußtseins, daß die Gegenstände, deren Gleichheit wir erkennen sollen, uns nicht als Teile eines Vorstellungsinhalts, wenn es sich um Farben und Formen handelt als Teile einer räumlichen Figur, bei Tönen als Phasen eines sukzessiven Ganzen sofort entgegengetreten, sondern daß jede Verbindung dieser Art aufgelöst wird, daß die Gegenstände als eine Zweiheit bzw. Mehrheit, Mannigfaltigkeit sich scharf voneinander abheben und gegenübertreten. Das liegt schon im Wort "Relation"; Gleichheit ist eine Relation. Eine Relation kann nur zwischen zwei oder mehr Gegenständen bestehen, sie bedeutet die Negation einer absoluten Einheit. Zugleich haben wir hier das Wesen des Vergleichens: zwei Gegenstände vergleichen heißt nicht einfach, sie zusammen zu beobachten, wie man gelegentlich gemeint hat. Wenn ich in einer Anzahl gezogener Striche einfach einen Komplex von Strichen sehe, so beachte ich auch die Striche zusammen, aber dieses Zusammenbeachten ist nicht dasjenige, was das Vergleichen charakteristisch ausmacht. Zum vergleichen gehört im Gegenteil das Sondern, das gegenseitige Zurabhebungbringen der zusammenbeachteten Gegenstände. Wenn wir nun in dieser Weise zwei Gegenstände vergleichend betrachten, also jene Betrachtung üben, die das Bestehen einer einheitlichen Figur für unser Bewußtsein ausschließt, so können wir gegenüber den so betrachteten Gegenstände immer noch ein Bewußtsein der Einheit gewinnen. Und eben dieses Bewußtsein ist es, das wir als ein Gleichheitsbewußtsein bezeichnen - ein Bewußtsein der Einheit, das sich in jener eigentümlichen Weise untrennbar mit einem Mannigfaltigkeitsbewußtsein kombiniert.

Betrachten wir die Sache noch in einem speziellen Beispiel. Wir vergleichen zwei nebeneinander befindliche farbige Flächen, dann müssen sich, wenn wirklich ein Vergleich zustande kommen soll, die Grenzen der Flächen möglichst scharf voneinander abheben. Der sie etwa verbindende Zwischenraum wird dabei regelmäßig nur so weit und so fern beachtet, als er eben ein trennender Zwischenraum ist; die in ihm etwa befindlichen Qualitäten treten für die Beachtung in den Hintergrund. Ebenso wenn wir zwei oder mehr Töne vergleichen, so dürfen diese Töne nicht zu einem Ton verschmelzen, wir dürfen auch nicht den Eindruck  eines  unterbrochenen Tons haben, wenn wirklich ein Vergleichen stattfinden soll, sondern sie müssen sich in ihrer zeitlichen gesonderten Existenz deutlich gegenübertreten, wir müssen, um es in Worten zu umschreiben, ein Bewußtsein davon haben, daß jetzt der eine Ton vorbei ist und der andere beginnt. Der zeitliche Zwischenraum wird wiederum nur als trennender Zwischenraum beachtet. (17)

Ob diese Einstellung, die zum Wesen des Vergleichs gehört, willkürlich herbeigeführt oder von selbst eingetreten ist, ob also das Vergleichen selbst uns als "Tägigkeit" erscheint oder nicht, tut dabei nichts zur Sache. Verständlich ist nur, daß ein Bewußtsein der Gleichheit am ehesten sich da einstellen wird, wo die Inhalte sofort als deutlich abgegrenzt und geschieden uns gegenübertreten, ohne daß es hierzu einer Leistung der Aufmerksamkeit bedürfte. Am schwersten wird es sich da einstellen, wo die zwei Inhalte keine räumliche Qualität besitzen und gleichzeitig sind, also notwendigerweise als ein zeitliches Ganzes erlebt werden, das aufzulösen, wenn die Inhalte tatsächlich gleich sind, nur unter der Voraussetzung gelingt, daß wenigsten eine Verschiedenheit fundierender Elemente mitspricht, und auch hier bedarf es, um einen eigentlichen Vergleich herbeizuführen, allemal eines mehrfachen beachtenden Hin- und Hergehens zwischen den Tönen, bei dem wir nacheinander erst mehr auf den einen, dann mehr auf den anderen achten, d. h. die Simultaneität wird in ein Nacheinender aufgelöst. Natürlich können wir auch Räume und Zeiten selbst miteinander vergleiche, aber dann müssen sich eben jene Räume und Zeiten selbst an verschiedenen Stellen "des" Raumes bzw. der Zeit befinden und als solche uns getrennt zu Bewußtsein kommen, sie dürfen nicht selbst von uns als bloße Teile eines räumlichen und zeitlichen Ganzen erlebt werden. Man darf sich dabei nicht durch den Ausdruck "Gleichzeitigkeit" täuschen lassen. Das Bewußtsein der Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse ist trotz des Wortes kein Gleichheitserlebnis, sondern eine Einheitsbewußtsein jener anderen Art, ein Bewußtsein einer Zeitstrecke, die von einer Mannigfaltigkeit von Inhalten erfüllt ist.

Um nicht mißverstanden zu werden, bemerke ich noch besonders: wir können natürlich daraus, daß eine Fläche etwa als ein vollkommen einheitliches Ganzes ohne irgendwie sich sondernde Teile unserer Wahrnehmung aufdrängt,  schließen,  daß die einzelnen Teile, aus denen sich die Fläche zusammensetzte, keine Farbverschiedenheit zeigten, aber das Erschließen der Gleichheit und das erlebte Gleichheitsbewußtsein ist natürlich zweierlei. Wem es bedenklich erscheint, hier von einem Erschließen zu reden, den erinnere ich daran, daß wir in einem solchen Fall, wenn wir genau reden wollen, nicht zu sagen pflegen, die Teile seien als gleich erkannt worden, sonden sie seien "ununterscheidbar" gewesen und daher mit großer Wahrscheinlichkeit als gleich zu betrachten. Das Bewußtsein der Ununterschiedenheit wird, wie namentlich die tachistoskopischen Vergleichsversuche zeigen, oft deutlich vom positiven Bewußtsein der Gleichheit unterschieden, und wo das der Fall ist, ist meiner Beobachtung nach der Begriff ununterschieden fast immer der Ausdruck dafür, daß überhaupt ein Vergleich nicht zustande kam, weil die zu vergleichenden Gegenstände nicht zur Abhebung gegeneinander gelanten - was andererseits zu erwarten gewesen wäre, wenn eine Verschiedenheit vorgelegen hätte, weshalb die Ununterschiedenheit ein Anzeichen der Gleichheit ist. (In anderen Fällen ist freilich für ein Bewußtsein der positiven Gleichheit das "ununterschieden" als Ausdruck gewählt worden, um ein möglichst vorsichtiges Urteil zu fällen und anzudeuten, daß man nur seiner subjektiven Überzeugung Ausdruck geben will.)

Das Einheitsbewußtsein, das wir zwei räumlich bzw. zeitlich getrennten phänomenalen Gegebenheiten als solchen, also unter vollem Bewußtsein ihrer raumzeitlichen Geschiedenheit gegenüber haben,  ist das Gleichheitsbewußtsein.  Dabei ist festzuhalten, daß es sich hier um das Bewußtsein einer absoluten, keiner Steigerung mehr fähigen Einheit handelt.

Der absoluten Einheit steht gegenüber die größere oder geringere einer gradweisen Steigerung fähige  Einheitlichkeit  eines Gebildes, und wie das Bewußtsein der Gleichheit ein qualitatives Einheitsbewußtsein ist, d. h. ein Einheitsbewußtsein, das sich mit dem Bewußtsein einer raumzeitlichen Mannigfaltigkeit des Verglichenen verbindet, so finden wir entsprechend ein Bewußtsein einer qualitativen Einheitlichkeit im Tatbestand der  Ähnlichkeit Ähnlichkeit kann sich zur Gleichheit steigern, Gleichheit als der höchste Grad der Ähnlichkeit betrachtet werden, sowie Einheitlichkeit - relative Einheit - sich zur absoluten Einheit steigern kann. Gleichheit ist das Gegenteil der Verschiedenheit, sie schließt die Verschiedenheit aus, so wie absolute Einheit alle Mannigfaltigkeit ausschließt. Dagegen schließt die Ähnlichkeit eine gewisse qualitative Verschiedenheit nicht aus, sondern ein - ähnliche Gegenstände sind allemal zugleich verschieden - und ebenso schließt die Einheitlichkeit eine relative Mannigfaltigkeit ein. Im Ähnlichkeitsbewußtsein steckt daher zugleich ein Verschiedenheits-, ein Mannigfaltigkeitsbewußtsein. Nur daß in dem Maß, wie dieses Verschiedenheits- oder Mannigfaltigkeitsmoment sich vordrängt und dominiert, die Ähnlichkeit für uns geringer wird, um schließlich in ein reines Verschiedenheitsbewußtsein überzugehen.

Allerdings gibt es, genauer betrachtet, zwei verschiedene Arten der Ähnlichkeit, von denen nur die eine als geringere Stufe der Gleichheit aufgefaßt werden kann. Ich lasse eine Kugel aus 1 m, eine andere aus 2 m Höhe auf eine Elfenbeinplatte fallen, dann sind beide Schalleindrücke der Intensität nach verschieden, aber zugleich einander ähnlich. Nun steigere ich allmählich die Fallhöhe der ersten Kugel, und zugleich steigert sich die Ähnlichkeit der Eindrücke, bis bei gleicher Fallhöhe volle Gleichheit eingetreten ist. Damit vergleiche man den anderen Fall: Ich lasse erst einen Ton, dann seine Oktave erklingen. Dann stehen diese beiden Töne auch in einem Ähnlichkeitsverhältnis - die an sukzessiv erklingenden Tönen konstatierte Konsonanz, Klangverwandtschaft ist eine bestimmte Art von Ähnlichkeit. Aber eine Ähnlichkeit, die, wenn sie auch Grade hat (zwei Töne können konsonanter und weniger konsonant sein), doch nie als eine geringere Stufe der Gleichheit betrachtet werden kann. Um diese eigenartige Ähnlichkeit zu verstehen, können wir sie auf einem anderen Gebiet aufsuchen. Man denke sich zwei Kreise von gleicher Größe, aber verschiedener Farbe. Dann sind diese Figuren einesteils, nämlich hinsichtlich der Form, gleich, andererseits hinsichtlich der Farbe verschieden. Wir haben also ein Gleichheits- und ein Verschiedenheitsbewußtsein, aber beide stehen gewissermaßen unvermittelt nebeneinander, sie beziehen sich ja auf verschiedene Gegenstände. Nun können wir aber auch absichtlich jene Trennung von Farbe und Form für unser Beachtung verschwinden lassen und beide Figuren als Ganzes vergleichen. Dann bleibt das Einheits- und Mannigfaltigkeitsbewußtsein, aber die Gegenstände, auf die es sich bezieht, treten nicht mehr auseinander, und damit müssen auch diese Eindrücke selbst zu einem einheitlichen Relationsbewußtsein verschmelzen. Ein solches Verschmelzungsprodukt aber ist, wie wir wissen, das Ähnlichkeitsbewußtsein. Und die beiden Kreise, in dieser Weise verglichen, erscheinen uns in der Tat ähnlich. Aber in dieser Ähnlichkeit stecken Einheit und Mannigfaltigkeit anders darin, als etwa im vorigen Fall der zwei Schalleindrücke. Dort ist die Lauheit der Schalleindrücke zugleich ähnlich und verschieden in dem Maß verschieden (mannigfaltig), wie sie nicht ähnlich (einheitlich) ist. Jede Verschiebung nach der Seite der Ähnlichkeit bedingt eine entsprechende Verschiebung nach der Seite der Verschiedenheit. Hier dagegen bezieht sich ja, streng genommen, die Einheit und Mannigfaltigkeit auf verschiedene Seiten am Gegenstand, es kann daher auch die Verschiebung nach der einen Seite, die Steigerung der Einheitlichkeit, keine Verschiebung nach der anderen Seite, keine Minderung der Mannigfaltigkeit und umgekehrt bedeuten. Zugleich sieht man, daß, wie der Fall hier liegt, eine Steigerung und Minderung überhaupt nicht mehr stattfinden kann. Die Einheit der Form ist ebenso absolut wie die Mannigfaltigkeit der Farbe. Durch diese Kombination größtmöglicher Einheit mit größtmöglicher Mannigfaltigkeit erreicht diese Art der Ähnlichkeit ihren höchsten Grad, ohne daß dieser höchste Grad mit Gleichheit schlechthin zusammenfallen könnte.

Mit dem Bewußtsein der Gleichheit und Verschiedenheit hängt ein anderer phänomenaler Relationsbestand zusammen: der der bestimmten  Anzahl,  der Zweiheit, Dreiheit usw. Was dort  Dreiheit  besagt, müssen wir uns natürlich in einem bestimmten Fall ebenso zur Gegebenheit bringen können, wie den Sinn des Wortes  Gleichheit  und  Ähnlichkeit.  Wenn wir eine Anzahl von drei Punkten betrachten, so erfassen wir sie unmittelbar in ihrer bestimmten Anzahl und unterscheiden sie als drei von vier und ebenso von zwei Punkten. Aber worin besteht nun dieser Charakter der Dreiheit, den ein solches Gebilde als phänomenal gegeben für uns aufweist? Zählen kann man nur gleiche Gegenstände oder Gegenstände, die man als gleich betrachtet - PETER und PAUL sind zwei Menschen, ein Stern und ein Tisch zwei körperliche Gegenstände. Das heißt: ein aus gleichen Gegenständen bestehendes Ganzes besitzt für uns allemal auch einen bestimmten Mannigfaltigkeitscharakter, den wir ausdrücken, indem wir von der bestimmten Anzahl dieser Gegenstände reden. Zum Zählen gehört also zweierlei: das Sich-zum-Bewußtsein-bringen der Gleichheit getrennter Elemente, das gleichzeitige Zusammenfassen dieser Elemente zu einem Ganzen und das Zur-Abhebug-bringen des Mannigfaltigkeitscharakters, den eben ein Ganzes dieser Art stets für uns besitzt. Auch das ist indessen nur eine vorläufige Festlegung, auf die wir an anderer Stelle, bei der Besprechung der Gesetzmäßigkeit der Zahl, zurückkommen werden.

Schließlich fehlt uns in diesem Zusammenhang noch ein letzter, und zwar für das folgende der wichtigsten Relationsbegriff, dessen Eigenart zugleich ein besonderes Problem in sich schließt: der Begriff der  Identität Dieses Problem liegt vor allen Dingen darin, daß wir doch auch unter der Identität wie unter der Gleichheit und Verschiedenheit eine Relation verstehen, da eine Relation aber mindestens eine Zweiheit von Beziehungsgliedern voraussetzt, während doch im Sinn der Identität die Aufhebung jeder Zweiheit, jeder Mannigfaltigkeit zu liegen scheint, zwei identische Gegenstände schlechthin in  einen  zusammenschmelzen. Wie kann unter diesen Umständen überhaupt das Bewußtsein entstehen, zwei Gegenstände seien identisch, wann und wo können wir eine Beziehung dieser Art erleben?

Der Fall nun, in dem wir etwas dergleichen erleben, ist uns im Grunde schon bekannt. Wir stellen etwas in der Phantasie vor - und nun stellt sich das Vorgestellte selbst ein, es wird von uns wahrgenommen. Dann ist nicht das Vorstellungsbild mit dem nachfolgenden Wahrnehmungsbild, wohl aber das letztere mit dem im Vorstellungsbil Dargestellten, Repräsentierten identisch. Wir haben das Bewußtsein: daß es eben das ist, was wir sehen, das uns im Vorstellungsbild repräsentiert wird, auf das wir durch das Vorstellungsbild hindurchblicken. Man sieht, worauf die Möglichkeit dafür beruth, daß hier von einer Identität gesprochen werden kann: sie beruth darauf, daß eben in der Vorstellung zweierlei liegt, das Vorstellungsbild selbst und das Vorgestellte, das natürliche Symbol und das darin Symbolisierte. Das letztere aber kann eben zusammenfallen mit einem zu anderer Zeit von uns wahrgenommenen oder erlebten Tatbestand.

Dasselbe aber kann schließlich überall gesagt werden, wo wir ein Symbol - auch ein künstliches Symbol und das darin Symbolisierte. Das letztere aber kann eben zusammenfallen mit einem zu anderer Zeit von uns wahrgenommenen oder erlebten Tatbestand.

Dasselbe kann aber schließlich auch überall gesagt werden, wo wir ein Symbol - auch ein künstliches Symbol - ein Wort, - vor uns haben. Hier, aber auch nur hier, sind die Bedingungen erfüllt, die die sinnvolle Anwendung des Identitätsbegriffs ermöglichen. "Identität" kann nur zwischen der Bedeutung eines Symbols und einem gegebenen Tatbestand oder zwischen der Bedeutung zweier Symbole bestehen. Denn nur hier haben wir eine Zweiheit und doch zugleich eine absolute Einheit, ein absolutes Zusammenfallen:  Derselbe  Gegenstand steht einmal direkt und einmal durch die Vermittlung dieses oder jenes Symbols vor uns.  Und wir erleben Identität, indem wir das Sicherfüllen eines Symbols in einem gegebenen Tatbestand erleben. 


10. Zur Methodik der voraufgegangenen phänomenologischen
Analyse. Kritisch-historischer Exkurs.

Man kann die erkenntnistheoretische Richtung, die man als  "Phänomenalismus zu bezeichnen pflegt, nach dreifacher Hinsicht prinzipiell charakterisieren. Erstens stellt der Phänomenalismus als prinzipielle Forderung auf, daß alle Erkenntnis "ausgehen" muß von einem  Gegebenen.  Diese Forderung machte ich mir am Anfang meiner Ausführungen zu eigen und präzisierte sie in meinem Sinn genauer dahin, daß die in der Erkenntnis gebrauchten sprachlichen Symbole letzten Endes, soweit sie für sich genommen einen Sinn haben sollen, durch Gegebenheiten ersetzbar sein müssen. Gegen die Richtungen in der Philosophie, die diese Forderung prinzipiell bekämpfen, war die Frage zu stellen, wie sie, ohne ein schlechthin Gegebenes anzuerkennen, ihre Worte davor schützen, bloß sinnleere Laute zu sein. Hinzugefügt wurde nur, daß es ein mittelbares und unmittelbares Zur-Gegebenheit-bringen gibt, daß jedoch von einem wirklichen mittelbaren Gegebensein nur da gesprochen werden kann, wo ein darstellendes (Erinnerungs-, Phantasie)Bild des mittelbar Gegebenen vorhanden ist. Zweitens behauptet der Phänomenalismus, daß es unmöglich ist, erkennend über das Gegebene hinauszugehen. In welchem Sinn diese freilich niemals absolut festgehaltene Behauptung zutrifft, in welchem Sinn sie unrichtig ist, wird im nächsten Kapitel erörtert werden. Drittens behauptet der Phänomenalismus eben als allein gegeben das, was er in seinem Sinn die  "Phänomene"  nennt. Diesen Begriff des Phänomens kann man wiederum nach einer dreifachen Richtung hin näher bestimmen.
    Erstens:  die Phänomene sind einzelne, individuelle Tatbestände. Nur solche also sind gegeben.

    Zweitens:  die Phänomene sind Phänomene im Gegensatz zu allem dinghaft Realen. Sie sind im besonderen nicht etwas, das als identisch dasselbe wiederkehren oder für ein anderes Bewußtsein dasein oder noch als nicht Gegebenes fortexistieren könnte.

    Schließlich  drittens:  gegeben ist eine Mehrheit von Phänomenen, von Erscheinungen - nicht ein Erscheinen wechselnden Inhalts. Es sind "Inhalte" gegeben, aber keine das Gegebensein dieser Inhalte noch besonders vermittelnden "Akte".
Bestimmen wir die Behauptung, daß nur Phänomene gegeben sein können, in dieser Weise, so haben uns also die bisherigen Analysen zu einem Phänomenalismus geführt. Die phänomenologische Tatsachenanalyse, denn die Frage, ob nur Phänomene oder noch anderes gegeben ist, ist schließlich eine reine Tatsachenfrage, es ist nicht selbstverständlich oder nicht logisch notwendig, daß es kein anderes Gegebensein gibt. Nur nach einer Richtung waren logische Überlegungen unentbehrlich: Wollen wir wissen, ob ein Ding gegeben ist, so müssen wir auf das reflektieren, was allgemein zugestandenermaßen im Begriff des Dings für uns liegt, wir müssen eine -  vorläufige  - Analyse des Dingbegriffes voraufschicken, um zu entscheiden, ob das hier oder dort Gegebene wirklich als ein Ding angesprochen werden kann.  Nur  in diesem Sinn wurden logische Argumente als Hilfsmittel gebraucht, um die phänomenologische Frage sozusagen zu fixieren; die eigentliche Entscheidung selbstverständlich die Analyse des Gegebenen selbst bringen.

Ich habe mich daher auch, um das namentlich hervorzuheben, nicht des allzu bequemen Arguments bedient, das seit BERKELEY zum eiseren Bestand des Phänomenalismus gehört, es sei ein logischer Widerspruch, wenn wir einem  wahrgenommenen  Gegenstand &n allzu bequemen Arguments bedient, das seit BERKELEY zum eiseren Bestand des Phänomenalismus gehört, es sei ein logischer Widerspruch, wenn wir einem  wahrgenommenen  Gegenstand &n allzu bequemen Arguments bedient, das seit BERKELEY zum eiseren Bestand des Phänomenalismus gehört, es sei ein logischer Widerspruch, wenn wir einem  wahrgenommenen  Gegenstand  Existenz unabhängig von der Wahrnehmung  beilegen. Dieses Argument ist in letzter Zeit von verschiedenen Seiten (18) mit Recht bekämpft worden. Es ist in der Tat als Argument eine  petitio in principii  [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp]. Denn es kann niemals daraus, daß die Behauptung der Existenz eines Wahrnehmungsgegenstandes, ohne wahrgenommen zu sein, einen logischen Widerspruch enthält, geschlossen werden, daß wir unter Sein nichts anderes verstehen können, als Bewußtsein bzw. Gegebensein, sondern nur umgekehrt: die Beantwortund der Frage, ob hier ein logischer Widerspruch vorliegt, kann erst erfolgen, wenn wir wissen, was Sein und was Gegebensein heißt. Der Gang meiner Argumentation war, um ihn noch einmal in anderer Form zu wiederholen, in Bezug auf den in Rede stehenden Punkt ein anderer; der Ausgangspunkt ist die Frage: was heißt  ein Inhalt ist gegeben?  Bedeutet es, daß dem Inhalt eine abtrennbare Eigenschaft, etwa eine Beziehung zu etwas anderem (zu einem Akt, einem erkennenden Ich) zukommt, so daß wir uns den Inhalt einmal mit, einmal ohne diese Eigenschaft vorzustellen, uns mittelbar zur Gegebenheit zu bringen imstande wären? Das wäre ansich denkbar, es wäre kein logischer Widerspruch - es wäre kein Widerspruch, sich einen nicht wahrnehmbaren Gegenstand vorstellen zu können; wenn ich mir einen Gegenstand durch einen unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhalt repräsentiert sein lasse, so kann daraus nicht logisch gefolgert werden, daß das Repräsentierte selbst ein unmittelbar gegebener Bewußtseinsinhalt ist (wie es meist ausgedrückt wird, wenn ich etwas denke, so ist damit nicht gesagt, daß auch das Gedachte ein Denken ist). Aber ich berufe mich hier auf die Tatsachen. Auf die Aufforderung, eben das, was wir jetzt als rote Farbe wahrnehmen, einmal als wahrgenommen und einmal als nichtwahrgenommen vorzustellen, ist es nicht möglich zu antworten, indem wir uns einfach zwei phänomenaliter verschiedene Data vergegenwärtigen. Ich nicht zwei solche Data. Der Gedanke einer solchen nicht wahrgenommenen Farbe ist also nicht ein logisch widersprechender Gedanke, sondern ein leeres, nicht mit vorstellbarem Inhalt erfüllbares Wort. Wenn wir trotzdem von Farben, die fortexistieren, scheinbar sinnvoll reden, so liegt darin also ein logisches Problem.

Ebenso ist in einem anderen Fall: Die Aufgabe, mir zwei Gegenstände zu vergegenwärtigen, die trotz ihrer Zweiheit schlechthin identisch sind, vermag ich mir nur in dem einen Fall, hier aber auch glatt gelöst vorzustellen, daß es sich um zwei Gegenstände handelt, von denen der eine den anderen symbolisch darstellt, die symbolische Funktion des einen sich im anderen erfüllt. Der Begriff zweier verschiedener gegeneinander selbständiger, nicht im Symbolverhältnis zueinander stehender Gebilde, zwischen denen doch Identität besteht, ist dagegen wieder für mich ein leeres, mit keinem gegebenen Inhalt erfüllbares Wort. Wenn wir also von einer solchen Identität scheinbar sinnvoll reden, so liegt darin wiederum ein logisches Problem.

Ist diese phänomenologische Analyse richtig, so folgt aus ihr wiederum, daß Dinge nicht gegeben sind und daß ein Ich nicht gegeben ist, denn in diesen Begriffen spielt das Moment der Identität eine wesentliche Rolle. Und daß, wenn wir ein Gegebenes als dasselbe Ding bezeichnen, das schon vorher da war, dieser sprachliche Ausdruck, auch wenn er sich ganz unmittelbar einstellt, doch keine einfache Konstatierung eines gegebenen Tatbestandes ist, sondern eine irgendwie geartete Ausdeutung desselben, deren Sinn erst gesucht werden muß, daß wir uns erst die Frage stellen müssen, wieso eine solche Behauptung einen Sinn haben und worin er bestehen kann.

Es erhellt sich aus den letzten und den vorangegangenen Ausführungen ganz von selbst, in welchem inneren Zusammenhang die Annahme des Gegebenseins realer und idealer Gegenstände einerseits und die der Existenz von Akten als unmittelbar erfaßbaren psychischen Gebilden andererseits steht. Wir können den Zusammenhang kurz so deutlich machen: Ein Gegebensein von Realem und Idealem schließt den Gedanken ein, daß derselbe Gegenstand einmal als individuelles Phänomen, einmal als real fortexistierendes Gebilde, einmal als gattungsartiges Gebilde, das auch noch als dasselbe anderswo und zu anderer Zeit vorkommt, aufgefaßt werden kann, daß dieser Wandel der Auffassung ein im unmittelbar Gegebenen sich vollziehender ist. Es ist daher kein Zufall, daß die HUSSERLsche Phänomenologie aus derjenigen Psychologie erwachsen ist, die sich vor allem als Aktpsychologie gibt, aus der Schule BRENTANOs. Nur besteht hier noch ein doppelte Möglichkeit: Entweder man sagt, das gegeben Phänomen wird zum realen Ding oder zu allgemeinen Begriff durch das Hinzutreten des betreffenden Aktes - das Ding ist das durch einen besonderen Urteilsakt anerkannte Phänomen, die Gattung ist das Phänomen, von dessen Hier und Jetzt ich abstrahiere. das ist, wenn ich nicht sehr irre, der Standpunkt der eigentlichen Lehre BRENTANOs und seiner Schüler. Sie erfuhr ihre erste Modifikation durch die von KASIMIR TWARDOWSKI zuerst eingeführte Scheidung von Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen (19). Hier wird bereits der Gegenstand, der hier genauer den realen Gegenstand bedeutet, zu etwas einheitlich Gegebenem, dem der auf ihn gerichtete Akt nur als erfassender Akt korrespondiert, er kan nicht mehr definiert werden als das Phänomen,sofern ein bestimmter Akt sich auf dasselbe bezieht. Die Weiterentwicklung finden wir bei MEINONG in der Abhandlung über "Gegenstände höherer Ordnung und ihr Verhältnis zur inneren Wahrnehmung" und in seiner Idee einer Gegenstandstheorie als Wissenschaft und entsprechend in HUSSERLs Phänomenologie. Sie vollzieht sich unter dem Eindruck der Überzeugung, daß sich die BRENTANOsche Lehre unlösbar in die Schwierigkeiten verwickelt, die der aristotelischen Lehre vom Allgemeinen entgegenstehen, daß sie das Identisch-Eine des Gemeinten nicht festzuhalten vermag. Alle unsere Worte (mögen sie allgemeiner Bedeutung sein oder ein dinglich Reales nennen, mögen sie einzelne Worte oder ganze Lehrsätze sein) meinen ein bestimmtes, das als identisch dasselbe auch zu anderer Zeit und von verschiedenen Personen gemeint sein kann. Dieses Identisch-Eine ist entweder ein Gegebenes oder man setzt an seine Stelle eine Summe gleichartiger Phänomene, verknüpft mit eben solchen Akten, die zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Bewußtseinen existieren - man "deutet es also psychologisch um". (Auf der anderen Seite erscheint mir z. B. MARTYs kritische Stellungnahme gegen MEINONG und HUSSERL von dem Gedanken beherrscht, dem ich in den vorhergehenden Paragraphen Ausdruck gegeben habe, daß hier Probleme anstatt gelöst abgeschnitten werden. Daher sein immer wiederholter Vorwurf, den der Unbefangene meiner Meinung nach stets in gewisser Weise als berechtigt fühlen muß, daß hier, bei HUSSERL und MEINONG unnötigerweise überflüssige letzte neue Klassen von Gegenständlichkeiten eingeführt werden.)

HUSSERL selbst faßt den Standpunkt seiner Phänomenologie nirgends schärfer zusammen als in seiner Abhandlung im  Logos: 
    "Alles kommt darauf an, daß man sieht und es sich ganz zu eigen macht, daß man genau so unmittelbar wie einen Ton hören, so ein "Wesen", das Wesen "Ton", das Wesen "Dingerscheinung", das Wesen "Sehding", das Wesen "Bildvorstellung", das Wesen "Urteil" oder "Wille" schauen und im Schauen Wesensurteile fällen kann. Andererseits aber, daß man sich hütet vor der Hume'schen Vermengung, und demgemäß nicht phänomenologische Schauung mit Selbstbeobachtung, mit innerer Erfahrung, kurzum mit Akten verwechselt, die statt Wesen vielmehr diesen entsprechende Einzelheiten setzen." (Philosophie als strenge Wissenschaft, Logos, Bd. 1, Seite 318)
Mir scheint in der Tat, um es zum Schluß noch einmal zusammenzufassen, daß hier nur zwei Möglichkeiten bestehen. Entweder man anerkennt die realen und idealen Gegenstände als ebensoviele  Gegebenheiten,  oder man leugnet diese Gegebenheiten - verzichtet dann aber auch darauf, sie durch eine Zusammensetzung von Akten und Phänomenen doch noch entstehen zu lassen, d. h. man zieht die  nominalistische  Konsequenz und stellt nur noch die Frage, wie Dinge und Gattungen bezeichnende Nomina als "sinnvolle" Gebildet der Sprache möglich sind.
LITERATUR - Ernst von Aster, Prinzipien der Erkenntnislehre [Versuch einer Neubegründung des Nominalismus] Leipzig 1913
    Anmerkungen
    12) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen II, Seite 620f: "Wie das Ding in der Erscheinung nicht als eine bloße Summe der unzähligen Einzelbestimmtheiten dasteht, welche die nachträgliche Einzelbetrachtung unterscheiden mag, und wie auch sie das Ding nicht in Einzelheiten zersplittern, sondern sie nur am immer fertigen und einheitlichen Ding zu beachten vermag: so ist auch der Wahrnehmungsakt allzeit eine homogene Einheit, die den Gegenstand in einfacher und unmittelbarer Weise vergegenwärtigt... Es mag ferner sein, daß wir uns mit  "einem  Blick" nicht genug sein lassen, daß wir vielmehr in einem  kontinuierlichen Wahrnehmungsverlauf  das Ding allseitig betrachten, es mit den Sinnen gleichsam abtastend. Aber jede einzelnen Wahrnehmung dieses Verlaufs ist schon Wahrnehmung dieses Dings. Ob ich dieses Buch hier von oben oder unten, von innen oder außen ansehe, immer sehe ich  dieses Buch.  Es ist immer ein und dieselbe Seite und dieselbe nicht bloß im physikalischen Sinn, sondern nach der Meinung des Wahrnehmenden selbst ... Die einzelnen Wahrnehmungen des Verlaufs sind kontinuierlich einig. Diese Kontinuität meint nicht bloß die objektive Tatsache zeitlicher Abgrenzung; vielmehr hat der Verlauf von Einzelakten den Charakter einer phänomenologischen Einheit, in welche die einzelnen Akte verschmolzen sind. In dieser Einheit sind die vielen Akte nicht nur überhaupt zu einem phänomenologischen Ganzen verschmolzen, sondern zu einem Akt und näher zu einer Wahrnehmung. Im kontinuierlichen Ablauf der Einzelwahrnehmungen nehme wir kontinuierlich diesen ein und denselben Gegenstand wahr."
    13) Die Naturwissenschaft identifiziert bekanntlich den Ton mit einer Wellenbewegung der Luft. Wie später genauer gezeigt werden wird, wird diese Identifizierung nur sinnvoll als Identifizierung des realen Tons mit der realen Luftbewegung. Den phänomenalen Ton mit irgendetwas anderem zu identifizieren, hätte schlechterdings keinen Sinn.
    14) THEODOR LIPPS, Vom Fühlen, Wollen und Denken, Leipzig 1902, Seite 6
    15) Ich behaupte hier nicht, es sei ein  "logischer Widerspruch",  zu behaupten, daß ein phänomenaler Gegenstand auch existieren kann, ohne gegeben zu sein, sondern ich wende mich umgekehrt gegen die Behauptung, es sei  logisch notwendig,  daß alles Gegebene einem Ich gegeben ist.
    16) Wie man aus der Art der Einführung dieser Beispiele ersehen wird, betrachte ich als "gegeben" in dieser Hinsicht nur das, was STUMPF in seiner Akademie-Abhandlung "Erscheinungen und psychische Funktionen" (Berlin 1906) als "psychische  Gebilde"  bezeichnet,  nicht  die psychischen "Funktionen" STUMPFs, die ich nur als unbewußte, erschlossene Bedingungen jener gegebenen Gebilde ansehen kann. daß ich nicht alle psychischen Gebilde STUMPFs als gegeben ansehe, zeigt meine Stellung gegenüber den Allgemeinbegriffen. Dagegen stimme ich hier vollständig überein mit der phänomenologischen Analyse, die SCHUMANN in seinen "Beiträgen zur Analyse der Gesichtswahrnehmungen" übt.
    17) Wir können diese vergleichende Einstellung ebensogut Inhalten gegenüber gewinnen, die aufeinander folgen, wie solchen, die simultan gegeben sind; es kann jenes Einheitsbewußtsein zwei aufeinanderfolgende Inhalte ebensogut umspannen, wie zwei gleichzeitig gegebene. In den Fällen, in denen wir das Urteil abgeben, ein jetzt Gesehenes sei einem vor längerer Zeit Gesehenen gleich, ohne daß dieses früher Gesehene jetzt vorgestellt würde, ja vielleicht ohne daß es exakt erinnerbar ist (vgl. GRÜNBAUM, Abstraktion des Gleichen, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 12) und A. BRUNSWIG, Das Vergleichen und die Relationserkenntnis, Leipzig 1910), glaube ich freilich, daß das Urteil auf einen mit dem Tatbestand der Gleichheit assoziativ verknüpften Nebeneindruck im Sinne FRIEDRICH SCHUMANNs zurückzuführen ist (vgl. F. SCHUMANN, Beiträge zur Analyse der Gesichtswahrnehmungen).
    18) Vgl. CARL STUMPF, Erscheinungen und psychische Funktionen, und OSWALD KÜLPE, Die Realisierung, Bd. 1.
    19) KASIMIR TWARDOWSKI, Über Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen, Wien 1894