tb-2ra-3ra-1Ch. SigwartB. SchmidE. BoutrouxW. WundtH. LotzeE. König    
 
JOHANN HEINRICH KOOSEN
Naturgesetz und Zweckbegriff
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"Das Fazit der Lehren, das wir aus denempirischen Methoden, Systemen und Hypothesen ziehen können, ist nicht etwa (wie  Kant vorgab) daß jene nur als ein Mittel ausgegeben werden dürfen, um  für uns allein eine synthetische Einheit in die Mannigfaltigkeit der  Apperzeption zu bringen, sondern vielmehr, daß sie die Absicht hatten, eine  objektive Einheit des empirisch Mannigfaltigen ausfindig zu machen und dabei doch nur nach subjektiven Unterscheidungsgründen verfuhren."


I. Der subjektive Zweck
[Fortsetzung]

Das erste Erfordernis ist die Bekanntschaft mit der inneren Natur des Stoffes und zwar eine solche, welche uns nicht bloß die äußere Schale dieses Stoffes in einzelnen aus Erfahrung abgeleiteten Gesetzen zeigt, sondern den inneren durch den Begriff desselben erlangte, die wir dann wohl zur leichteren Anwendung desselben, in einzelne Gesetze auseinanderlegen können, deren innerer Zusammenhang uns jedoch immer vor Augen bleiben muß. Wo haben wir aber eine solche Erkenntnis, die sich auf alle Momente des Stoffes erstreckt und sich mit ihm entwicelt? Aus der Erfahrung, sowohl im Bereich der Natur wie auch des Geistes kennen wir höchstens einzelne, für eine gewisse Erscheinungsform des Stoffes geltende, noch dazu hypothetische Gesetze; von der Art sind selbst die einfachsten Fundamente der Mechanik; nur in der Mathematik, hauptsächlich in der analytischen Geometrie ist uns einigermaßen eine derartige Erkenntnis geboten, mit der es aber nicht viel zu sagen hat, denn da man sie nur im Gebiet der Mathematik antrifft, so ist dies schon ein Zeichen, daß es hier einen Stoff betrifft, von dem alles innere Leben, alle konkrete Fülle abstrahiert wurde, einen Stoff, der aus diesem Grund eben gar nicht in der Natur vorkommt und von welchem eine Erkenntnis der inneren Entwicklung uns nur aus dem Grund geboten werden kann, weil die Bestimmung desselben und sein Wesen auf das möglichste Minimum, nämlmich auf ein bloß quantitatives Dasein beschränkt ist. Ein näheres Eingehen in diesen Gegenstand würde uns sehr interessante Aufschlüsse über den Gang des Erkennens in dieser Richtung und über die Notwendigkeit eines solchen Anfangs zu einer höheren Gestalt der Wissenschaft geben, wie er in der Mathematik gemacht zu sein behauptet wird, was hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden kann. Übrigens soll das eben Bemerkte keineswegs den Wert der mathematischen und näher der darin vorkommenden analytischen Wissenschaft herabsetzen, sondern nur andeuten, daß diese der erste Anfang einer Erkenntnismethode ist, die sich umso mehr ausbilden wird, je mehr der aus der ursprünglichen Abstraktion der Mathematik hervorgegangene Stoff mit konkreten Bestimmungen erfüllt wird. Ein anderer in dieser Wissenschaft sich bemerklich machender mangelhafter Umstand ist der, daß das hier als Grund und Anfang der weiteren Entwicklung Gegebene, wie etwa eine Gleichung oder eine Linie, ein für uns ganz Zufälliges und Äußerliches ist, nach dessen Berechtigung zur wissenschaftlichen Entwicklung wir mit Recht fragen dürfen, aber keine genügende Antwort darauf erhalten können.

Um also mittels Vernunftschlüsse aus der Zweckvorstellung, auf dem oben bezeichneten Weg das gehörige Mittel zu finden, fehlt uns schon das  eine  Moment, die Kenntnis des Stoffes, zumindest in der Natur, in der doch unsere meisten Handlungen auftreten, ganz. Was nun den zweiten in jener oben erwähnten Methode bezeichneten Punkt, das  Zurückschließen  überhaupt und näher das Umkehren eines Gesetzes und die behauptete Gültigkeit dieser Operationen betrifft, so ist fürs Erste zu bemerken, daß wir eine solche Umkehrung öfter, als wir denken, vornehmen, ja, daß fast unsere ganze Erfahrungserkenntnis auf der Umkehrung von Urteilen und Gesetzen beruth. Welche nähere Bewandtnis es hiermit hat und welche Berechtigung ein solches Verfahren in Anspruch nehmen darf, wird sich am besten ergeben, wenn wir uns noch einmal auf den früher behandelten Standpunkt stellen, von welchem aus wir sahen, daß sich zwischen Mittel und Zweck kein anderer  objektiver  Zusammenhang, als der zwischen Ursache und Wirkung aufweisen ließ und daß aller übrigen Bestimmung, wodurch das Mittel zum Mittel, der Zweck zum Zweck wurde, nur eine subjektive dem Objekt äußerliche Beziehung auf unsere Bedürfnisse zugrunde liegt.

Wie sämtliche Erscheinungen sich auf dem Feld der Kausalität befinden, so stehen auch Mittel und Zweck als eigentümliche Zustände äußerer Dinge im Verhältnis von Wirkung und Ursache und diese Eigentümlichkeit ist es zunächst, welche sie für die praktische Vernunft als Träger unseres Willens so wichtig macht. Wollen wir für den objektiven Zusammenhang zweier Erscheinungen nach Kausalitt ein sicheres Merkmal ausfindig machen, so vermag die Zeitfolge der verschiedenen Zustände allein hier nichts festzusetzen, einerseits, weil wir oft genug in der Erfahrung das  post hoc, ergo propter hoc [danach, also deswegen - wp] widerlegt sehen, und andererseits, weil wir das Verhältnis der Zeitform zum Kausalitätsgesetz nicht näher kennen; nur das  propter hoc, ergo post hoc [deswegen, also danach - wp] steht fest, nicht allein weil es tausendfältig durch die Sinne bestätigt wird, sondern hauptsächlich deswegen, weil uns unbewußt die Zeitfolge mit dem Kausalitätsgesetz zusammenhängt, ohne daß wir die gegenseitigen Bedingungen kennen, weil wir uns eine geregelten Verlauf der Zeit nicht ohne einen geregelten Zusammenhang der darin vorgehenden Veränderungen (denn ohne solche gäbe es gar keine Zeit, wie es ohne den Wechsel begrenzter Erscheinungen auch keinen Raum gäbe, im Widerspruch mit der kantischen transzendentalen Ästhetik) zu denken imstande sind.

Es ist daher nötig, für den Zusammenhang von Wirkung und Ursache ein anderes Kriterium als die Zeitfolge ausfindig zu machen, weil das Kausalittsgesetz nicht etwa, wie noch DAVID HUME meinte, eine vom Verstand aus der Erscheinungswelt abstrahierte subjektive Kategorie ist, sondern weil es den Naturwesen selbst unwiderlegbar innewohnt, was wir durch die dazu gehörenden Bedingungen der Allgemeinheit und Notwendigkeit auszusprechen pflegen. Ein solches Kriterium, das einzig unfehlbare, für das Dasein von Kausalität ist das Verhältnis des Allgemeinen und Besonderen in Wirkung und Ursache, so daß die  Wirkung  überhaupt dies ist, daß sich das Allgemeine in seine  ansich  darin begriffenen Besonderheiten entfaltet, wo man sich jedoch hüten muß, abstrakte Kategorien, die der Verstand an die Dinge heranbringt, für diesen innewohnende Allgemeinheiten anzusehen. Das Reich der Wirklichkeit und näher die Natur ist der Prozeß der fortwährenden immanenten Entwicklung des absolut Allgemeinen in seine Besonderheiten, die ihr Ende erst in der Existenz, im Einzelnen findet, welches die von jenem ganzen Verlauf unseren Sinnen allein sich bemerkbarmachende Wirkung ist.

Wie sich uns eine Reihe von kausalen Verhältnissen durch den Zusammenhang des Besonderen und Allgemeinen zu erkennen gibt, so auch die Abhängigkeit des Zwecks vom Mittel; der Zweck sinkt in der objektiven Welt zu einem dem Allgemeinen des Mittels untergeordneten, obgleich notwendig daraus hervorgehenden Besonderem herab, während er für die praktische Vernunft das Höhere, das Mittel Bestimmende zu sein vorgibt.

Das Gesetz, ins Besondere das Naturgesetz, gibt uns den Zusammenhang des Allgemeinen und Besonderen so zu erkennen, daß wir aus dem Allgemeinen das Besondere  schließen,  d. h. das Allgemeine seinem Begriff nach in seine Momente entfalten können; so schließen wir von der Ursache auf die Wirkung. Ursache und Wirkung sind  ansich  nicht verschieden, eins dasselbe wie das andere, aber die Ursache übersetzt sich in der Wirkung in einzelne Momente, in Formen eines  Seins für Anderes.  Haben wir einen bestimmten chemischen Stoff, so sind wir überzeugt, daß seine Farbe, Härte usw. von einem inneren Zustand desselben, von der Art, in welcher seine kleinsten Teile zusammengefaßt sind, abhängig und daß eben Farbe, Härte, kurz das, was wir Eigenschaften nennen, nur Äußerungen jenes inneren Wesens des Körpers sind. Dieser innere Zusammenhang desselben macht ihn eben zu dem,was er ist; dieses sein Wesen als Allgemeines ausgedrückt, ist sein Begriff, daher das Allgemeinste an ihm, die Ursache aller seiner Eigenschaften und wenn uns jenes bekannt wäre, so würden wir auf  diese  unfehlbar schließen können, wir brauchten es nur in seine einzelnen Momente zu zerlegen. Von der Art ist überhaupt das Verhältnis von Ursache und Wirkung, daß wir in jeder höheren Stufe der Allgemeinheit (Ursache) die niederen Stufe (Wirkung) sämtlich als Totalitt besitzen und in diese nur zu zerlegen brauchen.

Wenn wir aber auch von der Ursache auf die Wirkung, je nachdem jene uns ihrem ganzen Umfang nach bekannt ist, sicher schließen können, so ist damit noch nicht das umgekehrte Verfahren, auf welches es hier besonders ankommt, zulässig.

In jedem Besonderen der Wirklichkeit gehört zwar ein bestimmtes Allgemeines und gerade dieses Allgemeine, aus dem es nämlich entstanden ist; es bietet sich aber hier die Möglichkeit dar, daß es ebenso gut aus noch unzählig vielen anderen Ursachen entstanden und mit gleichem Recht mehreren Allgemeinen untergeordnet sein kann; zu welchem von diesen aber der einzelne Fall zu rechnen ist, das kann man ihm nicht ansehen, noch viel weniger daraus schließen.

Spuren der Ursache können wohl an der Wirkung, wie etwa an jedem Kunstwerk Spuren der Werkzeug, gefunden werden, auch kann man wohl durch einen glücklichen Zufall aus diesen auf das Allgemeine der Ursache geführt werden, aber an einen wissenschaftlichen Fortgang ist hier nicht zu denken, sondern höchstens an Analogie und Induktion. So z. B. können bei einem Leichnam unzählig viele Ursachen des Todes denkbar sein und man wird die wahre an den Spuren wohl erkennen können; allein hierbei kann nur von einer Erfahrungskenntnis nach Merkmalen usw., nie aber von der Form eines wissenschaftlichen Schlusses die Rede sein.

Vom Besonderen zum Allgemeinen, jenes Umfassenden findet kein unmittelbar logischer Übergang statt, aus dem einfachen Grund, weil das Allgemeine ganz außerhalb des Besonderen fällt und etwas ganz  Anderes  als das letztere ist. Mit dem Begriff des Allgemeinen sind uns zugleich die Besonderheiten bekannt, weil jenes nur eben dies ist und dadurch erst zum Allgemeinen wird, sich in seine Besonderheiten zu entfalten. Im Begriff des Besonderen ist hingegen keineswegs  sein  Allgemeines enthalten, dieses liegt gänzlich außerhalb von ihm, es findet zu ihm kein Übergang statt, weil der Zusammenhang des Besonderen mit  seinem  Allgemeinen selbst ein äußerlicher, einzelner ist; daß in  diesem einzelnen  Fall die Besonderheit zu  jener  Allgemeinheit gehört, ist eben darum zufällig, weil sie in anderen Fällen zu anderen Allgemeinheiten gehören kann. Das soeben Ausgesprochene wird auch gewöhnlich, ohne daß man sich die näheren Gründe anzugeben weiß, so ausgedrückt, daß die  Ursache  immer nur einen ganz bestimmten Kreis von Wirkungen hat, während eine einzelne Wirkung durch eine mannigfaltige Anzahl verschiedener Ursachen bedingt sein kann.

Vom Besonderen ist kein logischer Rückschritt zum Allgemeinen möglich; von ihm aus wird nur in derselben Richtung weiter geschritten, indem das Besondere selbst wieder ein Gedanke, eine Allgemeinheit ist, die gleichfalls in ihre besonderen Momente zerfällt.

Es ist merkwürdig, daß der Gang unserer Erkenntnis, je mehr diese von äußerlichen Methoden gereinigt und auf den Fortschritt des reinen Gedankens selbst zurückgeführt wird, - daß dieser Weg sich immer mehr und mehr dem nähert, welchen die Natur in ihrer Entwicklung und in einem unabänderlichen Fortschreiten ihrer Gestaltungen eingeschlagen hat, so daß sich zuletzt der Weg der wahren Wissenschaft völlig mit dem, auf welchem die Schöpfung fortschreitet, zu vereinigen scheint, jene gleichsam eine neue Schöpfung in der Form des Gedankens auf die erste aufbauend, die nicht nur ein Abbild von dieser, sondern vielmehr ihr Vorbild und zugleich die Vollendung im Reich des Geistes darstellt. Die Natur geht immer den Weg von der Wirkung zur Ursache - oder vielmehr, da sich dies von selbst versteht - wie wir oben ausgesprochen haben, den Weg vom Allgemeinen zum Besonderen, nie umgekehrt; ebensowenig kann es auch dem Geist und näher der Vernunft jemals einfallen, vom Besonderen zum Allgemeinen überzugehen, wie es das Schließen von der Wirkung auf die Ursache erfordert.

Ungeachtet der eben, wie ich glaube, unzweifelhaft dargetanen Unmöglichkeit, von der Wirkung auf die Ursache zu  schließen,  beschäftigt sich eine ganze Reihe von Wissenschaften, unter dem Namen der  empirischen  bekannt, einzig und allein damit, von den Wirkungen zu den Ursachen und von diesen, als gleichfalls Wirkungen, zu noch höheren Ursachen aufsteigend überzugehen und so sich bestrebend in einer ersten Ursache eine Einheit ihres Wissens zu erreichen. Eine Untersuchung des diesem Vorgeben zugrunde liegenden Verfahrens einerseits, inwiefern es wirklich ein wissenschaftlicher Fortgang und dadurch eine Vermehrung unserer Erkenntnis möglich ist, andererseits die Prüfung der durch diese Methode erhaltenen Wissenschaften, Kenntnisse, Gesetze und dgl. würde eine Kritik des Empirismus zu nennen sein, von der wir im Folgenden nur die Grundzüge geben können, so weit sie unserem Ziel, einer Untersuchung des Zweckbegriffs, entsprechen.

Die Erkenntnis der Natur  um  uns und  in  uns ist gleichfalls ein Zweck, ja einer der höchsten und wichtigsten, die der Mensch im Leben verfolgen kann; bei dieser Arbeit wird aber die Bekanntschaft mit den dazu erforderlichen Mitteln dadurch so sehr erschwert, daß wir nicht recht wissen, was durch das Erkennen mit den Dingen geschehen, welche Umwandlung mit ihnen vorgenommen werden soll; man kommt auf diese Weise leicht zu dem unglücklichen Gedanken, zuerst unser  Erkenntnisvermögen  zu untersuchen, ob wir auch wirklich imstande sind  etwas  und dann  was  zu erkennen, oder ob nicht bloß der Übermut der Vernunft, der vermessene Hochmut des Gedankens den Menschen dazu treibt, indem man übersieht, daß hierzu wiederum eine Erkenntnis nötig ist und daß, wenn man nach der Berechtigung dieser fragt, es mit der kritischen Weisheit sogleich zuende sein würde. Betrachtet man daher das Erkennen nur als Zweck, zu welchem man die Mittel sucht, wie man noch viele andere Zwecke hat, so kann die Betrachtungsweise nicht viel helfen, weil hier eben das Erkenntnisvermögen selbst wieder berücksichtigt werden müßte, sondern es wird das Beste sein, so wie es der Empirismus getan hat, mit dem Erkennen sofort zu beginnen.

In der Betrachtung der Natur haben wir es immer nur mit Einzelnem zu tun, denn das Allgemeine ist nur mit dem Gedanken, nicht mit den Sinnen zu ergreifen. Die Wissenschaft aber, wie sie der Empirismus zu erstreben behauptet, beschäftigt sich nur mit Gedanken und mit der inneren Beziehung dieser aufeinander, während sie das Einzelne dem praktischen Bereich anheimstellt; daher sieht sich auch der Empirismus in die Notwendigkeit versetzt, die am Einzelnen beobachteten Erscheinungen in das Gebiet der Allgemeinheit zu versetzen, d. h. sie als Gesetze auszusprechen, welches die erste Tat des beobachtenden Bewußtseins ist.

Der Verstand bemerkt zuerst am Einzelnen  Merkmale  und bildet hierdurch ein Allgemeines, wie Tier, Pflanze usw., womit er die Dinge mit denselben oder nahe aneinander liegenden Merkmalen bezeichnet; hierbei versteht sich, daß diese Kennzeichen, wodurch ein Einzelnes als zu einem bestimmten Allgemeinen gehörig betrachtet wird, nur die ganz äußerlichen sind, die den Sinnen am frühesten begegnen, deswegen aber nicht notwendig eine  innere vor anderen Dingen eigentümliche  Ausbildung voraussetzen, obgleich man wohl annehmen oder vermuten darf, daß in den meisten Fällen eine äußere Verschiedenheit auch eine innere Eigentümlichkeit zum Grund hat, da Inneres und Äußeres ebenfalls nur verschiedene subjektive Seiten desselben objektiven Inhalts bezeichnen.

Dieses Allgemeine beobachtet er wiederum in seinen durch eine Einwirkung von außen her erlittenen Veränderungen, wodurch ihm neue Eigenschaften, den früheren das Allgemeine konstituierenden untergeordnete, zukommen, die der Verstand alsdann, da er sie an mehreren zu demselben Allgemeinen gehörenden Individuen beobachtet, als Gesetze, mithin als Gedanken ausspricht, und zwar mittels des Schlusses der Induktion und der Analogie.

Der Schluß der Induktion ist die staunenswerte Tat des Verstandes, durch welche er zwei Gebiete, die vermöge ihrer Natur streng voneinander getrennt sind, das der sinnlichen Einzelheit und des Gedankens, gewaltsam vereinigt, durch  einen  Schritt von einem aufs andere übergeht, der erste Anfang jeder empirischen Wissenschaft. Berechtigen hierzu kann ihn ebenfalls keine Erscheinung, Wahrnehmung, sondern nur der Gedanke oder vielmehr die Ahnung, daß ein ordnendes vernünftiges Prinzip in der Natur herrscht und hierauf sich stützend, ergreift er statt der einzelnen Fälle die Allgemeinheit des Gesetzes, statt zufälliger Wahrnehmungen eine unbedingte Notwendigkeit. Zuerst ist jenes vermutete Prinzip ihm nur ein verständiges, nach einem bestimmten Plan wie etwa der Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und dgl. handelndes Wesen. Darum stehen auch jene Gesetze erst ganz abstrakt da als einzelne Urteile, wie: Alle Körper sind schwer, Wärme dehnt alle Körper aus usw., deren Zusammenstellung nach irgendeiner Ordnung die erste Anlage der Wissenschaft gibt.

Unser Wissen hat nun die Form von Gedanken, aber noch ganz abstrakter Gedanken, wie sie die subjektive Reflexion über das Einzelne gewinnen ließ. Wir haben auf diese Weise die ganze Erscheinungswelt in Kategorien geordnet, die zwar unseren Sinnen sich zuerst und als hauptsächliche Unterscheidungsmerkmale darboten, von denen wir aber nicht wissen, ob sie zum eigentümlichen Wesen der Dinge-ansich gehören.

So unterscheiden wir das ganze Naturreich in eine Mineralwelt, Tierwelt und Pflanzenwelt, ohne zu bedenken, ob diese Einteilung dem Schöpfungsprinzip gemäß, oder nur den beliebigen Ruhepunkten unseres Verstandes bei einer Durchmusterung der Schöpfung entsprechend ist. In den einzelnen Naturreichen bilden wir auf ähnliche Weise Systeme, wie z. B. im Pflanzenreich das LINNÈsche und JUSSIEUsche nach äußerlichen Merkmaen, die jedoch zugleich einem inneren Gang der schaffenden Natur entsprechen sollen. Wenn man aber den Naturhistoriker aufs Gewissen fragt, was es mit diesen Systemen eigentlich für eine Bewandtnis hat, so gesteht er zwar, es sei nur ein Mittel, um in das Mannigfaltige Ordnung zu bringen und zur leichteren Übersicht der Gattungen; beim gewöhnlichen Klassifizieren wird dies jedoch übersehen, und der unbefangene Zuschauer glaubt in diesen Einteilungen die Gültigkeit eines wohlerworbenen Naturprinzips zu erblicken. In ähnlicher Weise, obgleich nicht in so hohem Grad wie in den beschreibenden Wissenschaften, ist in der Physik und Chemie das Bilden von Kategorien, wie  Wärme, Elektrizität  usw. und Allgemeinheiten im Gange, deren objektive Wirklichkeit man nur vermutet. Ähnliche Erscheinungen, wie die der Wärme oder Elektrizität, lassen zwar ähnliche gemeinschaftliche Ursachen derselben annehmen, aber diese Ursachen, noch ehe man sie aus der Erfahrung unmittelbar erkannt hat, vorläufig zur Bequemlichkeit als ein Allgemeines, wie  die  Wärme oder  die  Elektrizität zu bestimmen oder gar auf einen Abweg zu geraten, diese Allgemeinheiten gleichsam zu personifizieren, indem man ihnen einen  Stoff  oder ein  Fluidum  unterschiebt, hat schon jetzt unstreitig in vielen Disziplinen den Empirismus zu einer ganz schiefen Ansicht der Naturphänomene geführt, aus der er sich nicht so leicht wird herauslösen können.

Der Schluß der Induktion, der uns dieses Element der Allgemeinheit getragen hat, wird nun mit Recht verlassen und kommt im übrigen Verlauf der empirischen Wissenschaft, wo die Allgemeinheiten unter sich vereinigt werden sollen, nur selten vor. Die Wissenschaft hat es von nun an durchaus nicht mehr mit der Erfahrung zu tun, sondern allein mit Gedanken, von den sie zwar mittels des hypothetischen und kategorischen Schlusses in jedem Augenblick wieder zur Natureinzelheit herabsteigen kann; diese Gedanken, wie sie uns die Induktion in Form von einzelnen Gesetzen gibt, werden entweder, nachdem man sie nach irgendeiner Idee geordnet hat, so gelassen wie sie sind, wie dies in den beschreibenden Disziplinen geschieht, und die Wissenschaft ist dann fix und fertig, oder aber man sucht sie in einen inneren wissenschaftlichen Zusammenhang zu bringen, der, wie das Bewußtsein bald einsieht, nur der Kausalnexus sein kann, oder die Unterordnung der allgemeinen Gedanken als Besonderheiten unter  ihre  höheren Allgemeinheiten. Die Auffindung ihres Zusammenhangs soll durch ein  Schließen  geschehen, und dies ist das fälschliche Vorgeben eines wissenschaftlichen Fortgangs der empirischen Methode, da, wie ich oben gezeigt habe, es rein unmöglich ist, von der Wirkung auf die Ursache, vom Besonderen auf Allgemeines, zu  schließen.  Worauf aber eigentlich die Bildung der empirischen Wissenschaft beruth, wird sich ergeben, wenn wir das Wesen der Hypothese näher ins Auge fassen, denn aller Zusammenhang in derselben beruth auf Hypothesen. Man ist gewöhnlich geneigt, den Mangel der empirischen Methode in die Anwendung des Induktionsschlusses zu setzen, während man es ganz zulässig findet, von der Wirkung auf die Ursache zu schließen. Dagegen ist einzuwenden, daß zwar der Schluß der Induktion gerade das Gegenteil eines wissenschaftlichen Fortgangs darstellt, aber auch dieser Eigentümlichkeit wegen ein notwendiges Moment des Verstandes ist, da er allein den Übergang vom Sinnlichen zum Vernünftigen vermittelt, wobei der Übergang zum Erwachen des vernünftigen Elementes im Menschen durchaus erforderlich ist, wo hingegen das angebliche Schließen von der Wirkung auf die Ursache eine leere Einbildung ist, die aus der Gewohnheit und Alltäglichkeit des empirischen Verfahrens hervorgeht.

Was bei der Erweiterung einer empirischen Disziplin das Wesentliche ist, was uns das Allgemeine zum besonderen Gesetz, seine Ursache, seinen Zusammenhang mit anderen Gesetzen  finden  läßt, ist wiederum nur die Ideenassoziation, mittels der wir auf dieses oder jenes Gesetz verfallen, welches wohl auch mit den anderen entweder regelmäßig zusammentrifft, oder sonst einige Ähnlichkeit mit ihnen hat; nun fassen wir ein solches allgemeines Prinzip auf, sprechen es als  Möglichkeit  aus, d. h. machen eine Hypothese und untersuchen dann, was aus dieser Hypothese unter diesen oder jenen  Bedingungen (die dann meist ebenfalls solche Hypothesen sind) nach dem Kausalnexus erfolgen muß. Zeigt sich, daß die erwähnten Gesetze auf natürliche Weise aus jener Hypothese nach gewissen Bedingungen hervorgehen, so gibt der Empiriker dieselbe für die wahre Ursache der gedachten Naturgesetze aus und erweitert auf diese Weise seine Wissenschaft; wo nicht, so prüft er auf dieselbe Weise mittels des Kausalnexus andere Hypothesen, auf welche er zufällig durch die Natur jener Gesetze hingeleitet wird, solange, bis er diese aus einer der obigen Hypothesen folgerecht abgeleitet hat.

Bei diesem Verfahren treffen wir wieder einen solchen Trugschluß, wie oben, deren sich in der empirischen Methode ein ganzes Nest beisammen findet. Wenn der Empiriker nämlich die fraglichen Gesetze aus jener Hypothese abgeleitet hat, glaubt er sich berechtigt, ganz sorglos zu schließen:  folglich ist jene Hypothese die Ursache dieser Gesetze,  während er doch bis jetzt nur gefunden hat, daß diese Gesetze  unter anderem  auch eine  Wirkung  der vorausgesetzten Behauptung sein könnten und hierbei übersieht, daß sie ebenfalls noch aus unzählig vielen anderen Hypothesen erfolgen könnten. Dieser Trugschluß hängt aber fest mit dem früheren zusammen, mit dem von der Wirkung auf die Ursache, so daß der Empiriker hier, nachdem er sein vermeintliches Kunststück von der Wirkung auf die Ursache zu schließen vollbracht zu haben glaubt, sich für berechtigt hält, sein Räsonnement [Argument - wp] demgemäß zu beenden, daß er sagt: folglich ist jenes die wahre Ursache.

Hiernach ist klar, daß das Fingieren von Hypothesen eine Tätigkeit des Verstandes ist, die rein durch eine Ideenassoziation geleitet wird, wozu zwar nur eine mannigfaltige Einbildungskraft und Erfindungsgeist gehört, aber noch außerdem ein reicher Vorrat von Kenntnissen erforderlich ist, da nicht allein daran gelegen ist, eine Hypothese als bloße Möglichkeit zu fingieren, sondern sie auch, soweit es angeht, nach allen Seiten durchzuführen oder nötigenfalls ihre Bodenlosigkeit aufzuzeigen.

Es ist bei einer Reihe zu erklärender und zu vereinigender Gesetze nicht so sehr darum zu tun, eine einzelne Grundhypothese zu finden, als vielmehr ein System von Hypothesen, welche gegenseitig ineinandergreifen, und von denen dann später die  eine  die  Grundhypothese,  die übrigen aber die  Bedingungen  bilden, unter welchen aus jener die verlangten Tatsachen erfolgen. Wie z. B. in der Mechanik der Himmelskörper, die Gravitation derselben die Grundhypothese, die übrigen Voraussetzungen, wie die bestimmten Anfangsgeschwindigkeiten der Körper usw. die Bedingungen ausmachen zur Darstellung der Tatsachen aus jener Hypothese.

Das Nächste nun, das Prüfen dessen, was aus einer aufgestellten Hypothese mit Notwendigkeit erfolgt, ist die einzige beim empirischen Verfahren angewendete Vernunfttätigkeit, da sie von der Ursache auf die Wirkung geht; alles übrige Treiben des Empirikers beruth nur auf Ideenassoziation und willkürliche Kombinationen. Hier allein wendet er den Vernunftschluß an und verhält sich so in der Tat nicht mehr als Empiriker, sondern als Metaphysiker, so sehr er sich auch hiergegen sträuben möchte, denn das Wesen der Metaphysik und der eigentlichen Wissenschaft ist es, von Ursache zu Wirkung fortzuschreiten, obgleich diese einen ununterbrochenen Fortgang vom Allgemeinen zum Besonderen bilden soll, während der Empiriker nur stückweise und durch zufällige Äußerlichkeiten geleitet, diesen Weg nimmt. Wie man daher aus diesen Gründen den Empirismus als eine fragmentarisch verfahrende, ihre Wahrheiten durch zufällige Eindrücke erhaschende Metaphysik betrachten kann, so läßt sich umgekehrt das philosophische System überhaupt als ein im erhabensten Stil angelegter Empirismus ansehen, der die Wirklichkeit und Erfahrung als organisches Ganzes aus  einer  Grundhypothese nach dem Kausalgesetz zu entwickeln beabsichtigt, wobei jedoch zu bemerken ist, daß die Philosophie diese erste und einzige Hypothese nicht etwa wie der Empiriker durch den Zufall erhascht (wie es noch FICHTE in seiner Wissenschaftslehre von der Philosophie behauptet), sondern auf jene durch ein notwendiges Bedürfnis seiner Vernunft und durch den Begriff der Wissenschaft überhaupt hingeleitet werden muß, daher auch nicht wie der Empirismus der Erfahrung zu ihrer Betätigung und Anerkennung bedarf, indem sie diese unmittelbar in sich selbst findet.

Auf diesem Prüfen der Hypothesen also, einem wesentlich philosophischen Verfahren, beruth die Methode, durch welche der Empiriker seine Erfahrungsgesetze zu einem wissenschaftlichen Ganzen zusammenbringt, indem er nicht ansteht, die sich auf diesem Weg als richtig erwiesene Hypothese auch als wirklich jenen Gesetzen zugrunde liegendes Naturprinzip anzuerkennen. Wir haben schon oben den hierbei stattfindenden Fehlschluß erwähnt, bemerken jedoch, daß dieser von gerinterer Wichtigkeit ist, da einerseit alle einsichtsvollen Empiriker es nie außer Acht lassen werden, daß so groß auch die Ausdehnung, die ihre Wissenschaft mit der Zeit erhalten ist, diese doch immer nur ein Gebäude von Hypothesen ist und bleibt, (denn nur in seltenen Fällen läßt sich die Richtigkeit derselben unmittelbar durch die Anschauung nachweisen), andererseits erhalten manche Hypothesen, wie die Prinzipien der Gravitation und Undulationstheorie durch die große Zahl der daraus abgeleiteten richtigen Tatsachen eine so hohe Wahrscheinlichkeit, daß eine andere dieselben ebenso umfassende Theorie wohl für unmöglich gelten kann.

Die Hypothese, wenn sie ausgebeutet ist, und sich in der Erfahrung bestätigt gefunden hat, sinkt zur Tatsache herab, besonders wenn man sie als direkt erweisbar findet, und mehrere solcher Tatsachen fordern wieder zu ihrer Erklärung höhere Prinzipien, die auf demselben vorher beschriebenen Weg gefunden werden, und so ist kein Ende der Wissenschaft abzusehen.

Das bisher über das Fortgehen des Empirikers von Ursache und Wirkung bei Prüfung der Hypothesen Gesagte gilt in aller Strenge nur in den exakten Wissenschaften, in der Mechanik und der mathematischen Physik, d. h. in den Disziplinen, wo ein solches Fortschließen uns durch die Bekanntschaft mit der einfachen inneren Natur des Stoffes möglich gemacht ist; in anderen physikalischen Zweigen, wie in der Lehre von der Elektrizität, dem Magnetismus, in der analytischen Theorie der Wärme sind die Hypothesen meist so künstlich aufgebaut und zusammengehäuft, daß ein Fortgehen von ihnen aus zu den Tatsachen fast unmöglich wird, weil hier auch noch die ungelösten Probleme der höheren Mathematik der Untersuchung in den Weg treten; aber erst in der Dunkelheit, welche in den Wissenschaften vom Organischen herrscht, wo dem Verstand auch das letzte Licht zur Erkenntnis des mannigfaltig zusammengesetzten Stoffes ausgegangen ist, da tritt statt seiner das geniemäßig theoretisierende Treiben auf, welches sich nicht begnügt, zur Erklärung von einigen einzeln stehenden Erscheinungen aus der Einbildungskraft und Phantasie ein ganzes Gerüst von Hypothesen hervorzuholen, die natürlich in Bezug auf die aus ihnen zu machenden Folgerungen gar nicht geprüft werden können, dagegen meist unbesehen, wenn sie nur einige Analogie oder Ähnlichkeit mit den zu erklärenden Tatsachen zeigen, der Wissenschaft einverleibt werden, - sondern hernach, weil die Art durch Hypothesen zu erklären auf diese Weise zu mühsam und zeitraubend wird, mit einem Schlag den Schlüssel zur ganzen Schöpfung in den sogenannten Ideen, wie die Ideen des Heiligen, Göttlichen, Zweckmäßigen, die noch dazu so erbaulich lauten, ohne weiter Arbeit gefunden haben will.

Dieses Treiben, welches in seinem Höhepunkt ehemals Naturphilosophie genannt wurde, erklärt es dann auch zu einem Frevel, wenn man beabsichtigt, die organische Natur, wie die unorganische, ihrem inneren Wesen nach durch Vernunft erkennen zu wollen, indem ein solches vernunftgemäßes Fortschreiten der Natur nur in ihrer untersten Stufe, dem Mechanismus, vorhanden ist, dagegen in den höheren Bildungen ihr nur der oben bezeichnete geniemäßige Weg zugeschrieben werden darf, gleich als ob die Natur sich der Vernunft schämen müßte, wie jene Naturphilosophen es meinen.

An diese allgemeine Charakterisierung der empirischen Methode schließt sich leicht eine Kritik des Inhaltes an, der uns durch die Erfahrungswissenschaften geboten ist, inwiefern er uns eine tiefere Erkenntnis der Erscheinungen gibt und einen Zusammenhang des empirischen Wissens zu einem Ganzen, zu einer wirklichen Wissenschaft zu verheißen vermag.

Es wurde schon bemerkt, wie durch die empirische Methode der Natur allgemeine Bestimmungen, Kategorien, wie Wärme, Elektrizität usw. oft sogar, gleichsam personifiziert, als Materien,  objektiv  beigelegt werden, von denen wir durchaus nicht bestimmen können, ob das Zusammenfassen der dahin gehörenden Erscheinungen in eine einzige solche Allgemeinheit nicht einen bloß subjektiven Grund (wie z. B. bei der Elektrizität das Licht und der Nervenreiz, bei der Wärme das Gefühl) haben könnte. Eine Wissenschaft, die auf dem Grund einer solchen Bestimmung erbaut ist, muß uns notwendig in eine ganz schiefe Stellung zum wahren Wesen der Erscheinungen bringen, aus der uns nur große Entdeckungen nach langer Zeit auf andere Betrachtungsweisen zu leiten vermögen.

Wir kommen hier an die schwierige Frage vom Subjektiven und Objektiven auf dem Gebiet der Erfahrung und können hier fürs Erste keine weiteren Bestimmungen treffen, als die Raum- und Zeiterscheinungen als vorzugsweise objektiv im Gegensatz zu den Gefühlserscheinungen, bei denen kein Messen möglich ist, zu bestimmen. Wo eine Reihe von Erscheinungen ihre regelmäßigen Spuren und Wirkungen in gewissen Zeit- und Raumverhältnissen an anderen Körpern zurückläßt, da wird es uns möglich, danach Gesetze aufzufinden und die Erscheinungen nach der ähnlichen Beschaffenheit der durch sie hervorgebrachten objektiven Wirkungen in eine wirklich objektive Allgemeinheit zusammenzufassen, deren aufgefundenes Gesetz uns mit großer Wahrscheinlichkeit in Verbindung mit anderen Gesetzen zur Wahrheit fortführen wird. Wie selten ist aber ein solcher Fall, wo eine objektive Veränderung sich nicht allein durch Gefühlseindrücke kund gibt, sondern in den Veränderungen der Körperwelt genau meßbare Spuren hinterläßt.

Bei Licht ist uns z. B. lange Zeit hindurch nur der subjektive Eindruch wahrnehmbar gewesen, allein dies hat uns nicht gehindert, das Licht als ein eigentümliches, von den übrigen strahlenden Potenzen verschiedenes Prinzip zu fixieren, ihm sogar einen eigentümlichen Träger, den Äther, zugrunde zu legen, bis uns schließlich die neuentdeckten, objektiven Wirkungen desselben darauf geführt haben, daß obige Annahme doch wohl nicht hinreichend begründet ist, daß das Licht im Grunde vielleicht ein gemeinschaftliches Prinzip hat mit anderen Reihen von Naturerscheinungen, wie mit der strahlenden Wärme usw. und daß sein Auftreten  als Licht,  als subjektive  Äußerung  wohl nur durch eine gelegentliche quantitative Verschiedenheit, wie durch eine größere Wellenlänge und dergleichen bedingt wird.

Bedeutende Physiker unserer Zeit haben auch häufig schon auf die Unwesentlichkeit der subjektiven Äußerungen der Natur auf diesen oder jenen unserer Sinne aufmerksam gemacht und zur Annahme eines  neuen  Naturprinzips für neue Tatsachen auch einen wesentlich  objektiven  Unterscheidungsgrund derselben von den bisher bekannten Erscheinungen gefordert.

Nur auf diesem Weg, wodurch aus dem Bereich der Natur alle subjektiven Einflüsse und Unterscheidungen  unserer  Sinne eliminiert werden, kann es dem Empirismus mit der Zeit gelingen, sich ein Reich von Allgemeinheiten zu bilden, von denen er weiß, daß sie in Wahrheit den  besonderen Momenten des Schöpfungsganges  entsprechen müssen, welche er dann durch streng wissenschaftliche Hypothesen allmählich zu  einem  Ganzen zu vereinen hoffen darf.

Daß die Erfahrungserkenntnis von einem solchen Standpunkt noch sehr weit entfernt ist, wird nicht nur alsbald aus einer Übersicht der anorganischen Wissenschaften klar, sondern noch mehr ergibt sich ein solches Verhältnis im Bereich der organischen Forschung, wo durch willkürliche Systematisierung eine so große Menge von Gattungen, Arten usw. wie andererseits von eigentümlichen Organen und Kräften erhalten wird, die durchaus allen objektiven Bodens ermangeln, so daß man es in diesen meist beschreibenden und systematisierenden Disziplinen für ein großes Glück halten muß, daß sich die einzelnen Systeme mit der Zeit und mit einer Erweiterung der Beobachtung von selbst gegenseitig widerlegen, was hier noch eher als in den physischen Wissenschaften angeht, da nicht wie dort die Theorie allzutief in den Stoff eingedrungen und unser Bewußtsein von ihr zu sehr umsponnen und gegen alle Neuerung eingenommen ist. So pflegte man z. B. in der Geognosie bisher sechs oder sieben großen Umwälzungsepochen zu bezeichnen, in denen jedesmal die organischen Wesen der früheren Zeit zerstört und neue dafür geschaffen wurden; nachdem man aber gesehen hat, wie manche Gattungen sich durch mehrere solche Epochen hindurchziehen und man auch in der Zusammensetzung der diese Abschnitte bezeichnenden Schichtungen keine so strenge Grenzen finden kann, als man sonst glaubte, so ist man schon allmählich dazu gekommen, von jener sechsfachen Teilung der Erdbildung abzusehen und sich in dieser Hinsicht durch kein voreilig gefaßtes System beschränken zu lassen.

Noch mehr aber als in der Naturbetrachtung ist es in der Wissenschaft des Geistes und auf geschichtlichem Gebiet der Fall, daß wir aus den erscheinenden Willensäußerungen des Menschen Kategorien bilden, die nur durch eine äußerliche Ähnlichkeit zusammengehören, wir diese aber doch als dem inneren Wesen des Geistes angehörig ausgeben möchten. So stehen in der empirischen Psychologie die einzelnen Kräfte und Fähigkeiten da, aus denen, wie man sagt, den Geist  bestehen  und  zusammengesetzt  sein soll, deren abgesonderte Realität jedoch neuerdings von den bedeutendsten Psychologen ganz aufgegeben wurde; ebenso in der juristischen Wissenschaft die Rechtstitel, Verbrechen usw., die der Verstand in ihrer ursprünglichen Abstraktion festzuhalten strebt, dabei aber die Erfahrung macht, daß je hartnäckiger er auf ihre Sonderung besteht und ihnen eine objektive Realität beizulegen sucht, desto plötzlicher schlagen sie ihm unter der Hand um in ihr Gegenteil und so wird ihm aus dem  summum jus [höchstes Recht - wp] die  summa injuria [höchstes Unrecht - wp].

Das Fazit der Lehren, das wir auf diese Weise aus den empirischen Methoden, Systemen und Hypothesen ziehen können, ist nicht etwa (wie KANT vorgab) daß jene nur als ein Mittel ausgegeben werden dürfen, um  für uns  allein eine "synthetische Einheit in die Mannigfaltigkeit der  Apperzeption  zu bringen", sondern vielmehr, daß sie die Absicht hatten, eine  objektive  Einheit des empirisch Mannigfaltigen ausfindig zu machen und dabei doch nur nach subjektiven Unterscheidungsgründen verfuhren, während jene Forderung erst auf einem ganz anderen Weg, als ihn das gewöhnliche empirische Verfahren darbietet, erfüllt werden kann.

In der Prüfung der empirischen Methode haben wir Folgendes an ihr aufgewiesen:
    1) Sie faßt gleiche oder ähnliche Erscheinungen in  eine Allgemeinheit zusammen, von der es unbewiesen bleibt, ob sie ein  objektives Moment in der Natur ist,

    2) Von diesem Allgemeinen sagt sie, indem sie an einzelnen Exemplaren unter gewissen gleichen Bedingungen nahe dieselben Veränderungen wahrnimmt, diese Veränderungen als Gesetze aus, indem sie von der Menge der Einzelnen durch die Indution und Analogie Allgemeinen überspringt. Erst durch die Induktion gelangt der Empirismus auf das Gebiet des Gedankens, wo allein von einem wissenschaftlichen Fortschreiten die Rede sein kann. Der Induktionsschluß ist daher kein  Mangel des Empirismus, weil  er allein diesen zum Denken führen kann; wohl aber ist er mangelhaft, und seine Fehler liegen dem ganzen empirischen Verfahren zugrunde, weil es überhaupt vom Einzelnen ausgeht und doch Wissenschaft zu sein behauptet, deren Element immer nur die Allgemeinheit sein kann.

    3) Nachdem der Empiriker so zu einem Vorrat an Gedanken, in Form von Gesetzen, gelangt ist, aus deren innerem Zusammenhang die Wissenschaft gebildet werden soll, darf er sie zu diesem Zweck nicht bloß in einer äußeren Ordnung aneinanderreihen, sondern muß sie alle womöglich aus  einem Prinzip nach dem Kausalgesetz ableiten; da aber diese Gesetze sämtlich  Wirkungen sind, welche aus einem allgemeinen Naturprinzip, der  Ursache, unter bestimmten Bedingungen erfolgen müssen, so bildet sich der Empiriker ein, es sei nichts leichter als schnurstracks von der Wirkung auf die Ursache zu schließen, wovon wir jedoch vorhin gezeigt haben, daß es rein unmöglich und widersinnig ist. Bei diesem Vorgeben kommt er wohl auf vermeintliche Ursachen, allein auf dem bloßen Weg der Ideenassoziation, indem doch wohl zwischen Ursach und Wirkung einige Ähnlichkeit stattfinden muß, ihm daher beim Vorstellen einer Wirkung viele ähnliche Vorstellungen durch den Kopf ziehen können, wovon vielleicht die eine oder andere die  wahre Ursache jener Wirkung sein kann. Solche Vorstellungen hält er nun fest, prüft sie eine nach der andern nach dem Kausalnexus, bis er die Rechte gefunden hat, d. h. diejenige, aus welcher nach gewissen Bedingungen, die ebenfalls noch Hypothesen sind, die bewußten Gesetze notwendig erfolgen müssen.

    4) Schließt er, daß jene Hypothese wohl die wahre Ursache sein möge, wenn die aus ihr abgeleiteten Tatsachen und Gesetze mit der Erfahrung wirklich übereinstimmen, welcher Schluß, wie wir gezeigt haben, nur auf Induktion und Analogie beruth.
So ist das Verfahren des Empirismus in jeder Hinsicht beschaffen. Wie es scheinen möchte, haben wir dasselbe weitläufiger beleuchtet, als es für unsere Absicht erforderlich war, allein um ein höchst wichtiges Beispiel zu geben, in welcher Bedeutung das Vorgeben, aus der Wirkung die Ursache zu erkennen, wissenschaftlich zu erkennen, auftritt und durch dieses Vorgeben zu imponieren weiß, wie dieses ferner einem Knäuel von Trugschlüssen in sich verbirgt, haben wir das Gebiet des empirischen Forschens untersucht, auf welches sich die Beweggründe unserer Handlungen auch im gewöhnlichen Leben meistens stützen, wenn wir die Erfahrung im weitesten Sinne des Wortes nehmen.

Ehe wir von diesem Thema aus weiter fortschreiten, sei noch folgende Bemerung über den Empirismus im Allgemeinen und sein Verhältnis zum philosophischen Wissen erlaubt: der Empirismus wird besonders in neuerer Zeit häufig für die einzig rechtmäßige Erkenntnisweise ausgegeben und die Philosophie in jeder Hinsicht untergeordnet, hauptsächlich weil er von Tatsachen ausgeht, sich nicht mit sogenannten philosophischen Träumereien befaßt und uns wiederum mit Tatsachen, Gesetzen, die vorher unbekannt waren, bereichert; alles Umstände, die, verbunden mit der mechanischen, geistlosen Weise, sich meist mit empirischen Untersuchungen zu beschäftigen, viel dazu beitragen, den Empirismus beim großen Haufen in Gunst zu setzen, welchen Vorzug ihm die Philosophie billigerweise überlassen muß. Wie es aber mit den oben angegebenen theoretischen Vorzügen des Empirismus vor der Philosophie beschaffen ist, wird jeder leicht aus der vorhergegebenen Analyse dieser Punkte ersehen können, hauptsächlich nachdem gezeigt wurde, daß da, wo der Empirismus wirklich zu wahren Erklärungen und Gesetzen gelangt, er dies nur auf dem Weg einer philosophischen Entwicklung, von Ursache zu Wirkung fortzuschreiten, vermag, so daß also sein Verfahren, wo es ihm um die Bestätigung der Hypothesen zu tun ist (und hierin liegt seine ganze Stärke) nichts ist, als die Anwendung einer Methode auf den einzelnen, von außen her gegebenen Stoff, während die Philosophie ebenfalls, aber in einem großen Ganzen dieselbe Methode als identisch mit ihrem Stoff zum Gegenstand hat; so daß, genau betrachtet, der Empirismus nur eine stückweise zusammengesetzte Philosophie und diese das höchste Ideal des ersteren ist, denn in der Endabsicht sind beide einander gleich, indem sie die erscheinende Welt als ein notwendig Ganzes, abhängig von einer unsichtbaren Welt, begreifen wollen. Der vollendete Empirismus würde dasselbe sein wie die vollendete Philosophie.

Das Pochen auf Tatsachen, welches der Erfahrungswissenschaft ein so großes Übergewicht zu geben scheint, ist nur ein Hilfsmittel, an welchem sie auf dem Weg der Ideenassoziation zu bestimmten Gedanken fortgeht, welches aber die Philosophie verschmähen muß.

Wir kehren nun zur Untersuchung der Zweckvorstellung zurück, obgleich das eben Abgehandelte dieser Untersuchung keineswegs fern liegt, wie es scheint, sondern vielmehr den innersten Nerv des Handelns nach Zwecken bildet.

Denn, sie, daß unsere Zwecke sich auf äußere unorganische Objekte erstrecken, sei es, daß wir uns organischer Wesen, ja selbst des menschlichen Geistes oder seines Auftretens in der Weltgeschichte zu Mitteln bedienen, oder zu Stoffen, durch deren Bearbeitung unser Zweck realisiert werden soll, so müssen uns in jenem Fall die physikalischen und chemischen Gesetze des Körpers, in diesem Fall die des organischen Lebens und die psychologischen Gesetze des Geistes bekannt sein, damit wir unsere Mittel ihnen gemäß einrichten können, da doch alle Veränderungen nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung geschehen.

Diese Kenntnis der notwendigen Reihe der Veränderungen in der Außenwelt kann uns nur auf dem bekannten empirischen Weg zukommen, d. h. wir werden versuchen, ob wohl dieses oder jenes Mittel, diese oder jene Handlung, womit wir den Anfang zur Erreichung unseres Zweckes bilden, letzteren wirklich durch ihre notwendigen Folgen zu realisieren vermag. Wir brauchen zu diesem Ende nur zu untersuchen, welche Veränderung unser Eingreifen in den bisherigen Zustand der Erscheinung hervorbringen wird und wie diese Veränderungen sich allmählich weiter entwickeln werden. Wird sich im Laufe der Erscheinungen unser Zweck nicht realisieren, so sind wir genötigt, dieselbe Schlußfolge mit einem anderen Mittel, wie es uns eben einfällt, durchzumachen, solange bis unsere Zweckvorstellung sich als  Wirkung  einer unserer Handlungen, des wahren Mittels, zu erkennen gibt. Wir können hier mit ziemlicher Sicherheit, vorausgesetzt, daß uns die Gesetze des Stoffes, in welchem unsere Zweckvorstellung realisiert werden soll und worin sich die diese vermittelnden Erscheinungen bewegen, völlig bekannt sind, von der Ursache auf die Wirkung zu schließen und durch einige Übung bald dazu gelangen, das passende Mittel ausfindig zu machen, abgesehen davon, daß uns die Vorstellungen dieser Mittel erst durch die Ideenassoziation und Einbildungskraft beikommen müssen. Hierbei würden wir nun ganz wie der Empiriker verfahren, der gleichfalls, wenn er eine Wirkung zu erklären beabsichtigt, auf zufällige Weise die möglichen Ursachen durchnimmt, eine nach der anderen nach dem Kausalnexus prüft, bis die erlangte Wirkung sich ihm in der Reihe der notwendigen Erscheinungen darstellt.

Dies gilt jedoch, wohlgemerkt, alles nur für den Fall, daß uns die Gesetze des Stoffes vollkommen bekannt sind, denn sonst könnten wir hier unmöglich einen wahren Kausalnexus auffinden, was zur Prüfung des vorausgesetzten Mittels durchaus nötig ist. Es ist aber bekannt, wie selten unsere Mittel und Zwecke sich in einem solchen genau erforschten Medium bewegen. Nur bei der einfachsten Form desselben, wo unser Zweck durch die elementaren mechanischen Tätigkeiten eines Systems von Körpern erreicht werden soll, ist es uns gestattet, von der Ursache zur Wirkung fortzuschreiten, da wir die gegenseitigen Einwirkungen eines solchen Systems im Voraus konstruieren können; hier werden wir, ehe wir wirklich an die Ausführung des Zweckes gehen, zuvor im Geiste nach der oben angedeuteten Weise die verschiedenen Mittel prüfen können. So wird z. B. der Mechaniker, der eine Maschine von bestimmter Wirkung aus bekannten Stoffen konstruieren will, erst die verschiedenen Arten der Zusammensetzung in Bezug auf ihre Wirkung durch Rechnung bestimmen, bis er die passende Konstruktionsweise ausgemittelt hat; er hat aber eine lange Übung nötig, bis ihm schnell das richtige Mittel einfällt und er nicht erst viele vergebliche Berechnungen zu machen braucht; einem solchen mechanischen Künstler kommt daher vorzugsweise der Erfindungsgeist zustatten, was hier soviel bedeutet, wie die Gabe, alle möglichen mehr oder weniger passenden Mittel sofort beieinander zu haben und schnell zu kombinieren.

Ganz anders ist es aber da beschaffen, wo der Stoff, in welchem sich unser Zweck vollführt, konkretere Bestimmungen hat, als das ganz allgemeine Kennzeichen, bloß Körper zu sein. Wo zur Erreichung des Zwecks unsere Tätigkeit im Stoff tiefer liegende physikalische und chemische Veränderungen hervorbringen soll, deren Gesetze uns doch noch so unbekannt sind, daß wir die möglichen Wirkungen eines Mittels nine mit völliger Gewißheit, sondern in den meisten Fällen nur nach Analogie, nach früherer Erfahrung und durch Zufall angeben können, - in diesen Fällen ist unser Handeln nach Zwecken, wir mögen uns vorher noch so sehr bedacht haben, sehr unsicher und selten würde uns, wenn wir nach sorgfältiger Überlegung sogleich handeln wollten, der verlangte Zweck zu erreichen sein.

Hier steht uns aber ein anderer Vorteil zu Gebote, der, wenn auch ebenfalls ein ganz äußerlicher, zufälliger, selten nach bestimmten Regeln benutzt werden kann, und dennoch mit einiger Übung einen fast ebenso großen Nutzen zu gewähren vermag, als vorhin das Vorausbestimmen des Erfolgs eines Mitels nach den Gesetzen von Ursache und Wirkung. Dies ist das Experiment. Beim Experient wird nach keinem Plan gehandelt, selten nur nach einer von früheren Erfahrungen hergenommenen Analogie, sondern man bringt die Stoffe und Tätigkeiten zusammen, überläßt sie ihren immanenten Gesetzen und sieht dann zuletzt zu,  was herausgekommen  ist. Mehr als das, was herauskommt, kann uns das Experiment nie geben, aber es tritt hier ganz an die Stelle der im vorigen Fall angewandten Vorausberechnung des Mittels. Dort berechneten  wir,  was denn durch eine Anwendung der einzelnen Mittel auf gewisse Stoffe, eins nach dem andern,  herauskäme;  hier berechnen wir dies nicht, sondern lassen es von der Natur bestimmen und uns dieses Resultat nur aufzeigen. Wir haben hier die Bequemlichkeit, ruhig zusehen zu können und den Gewinn, daß wir die volle Wahrheit erfahren, weil wir uns in jenem Fall wohl verrechnen konnten, was aber die Natur noch nie getan hat. Suchen wir also auf diesem Weg durch das Experiment das Mittel zu unseren Zwecken, so haben wir zwar bei einiger Übung dieselben Vorteile und scheinbar größere Gewißheit, als wenn wir dasselbe nach den bekannten Naturgesetzen auf die vorige Weise bestimmen, allein ein Umstand findet hier statt, der uns durch diese Methode in eine ganz andere Stellung zur Wirklichkeit, als jene versetzt. Wir sind ja nämlich schon durch das Experiment in den Bereich der Wirklichkeit getreten, wenn wir auch die Wirklichkeit des Experiments im Gegensatz zu jener der Zweckausführung nur ein Surrogat der Wirklichkeit zu sein ausgeben und letztere erst als die wirkliche Wirklichkeit gelten lassen, ähnlich etwa, wie wir in den früheren Fällen die Berechnungen, die wir im Geist zur Auffindung des Mittels gemacht haben, wenn dieses gefunden, auslöschen und verschwinden lassen. Allein die Wirklichkeit des Experiments, mag sie auch  für uns  nur die untergeordnete Bedeutung einer Voruntersuchung haben, steht sie doch  ansich  auf gleicher Linie mit der Ausführung des Zwecks selbst, was auch dadurch sehr wohl klar wird, daß wir mancher äußerer Dinge, Stoffe, Kräfte, Geschicklichkeit usw. dazu bedürfen. Der hierdurch bedingte Mangel des Experiments liegt zunächst darin und ist insofern  formell,  als er uns zeigt, daß wir nicht aus eigenen Geisteskräften unsere Mittel richtig erforschen, nicht sofort nach unserem Entschluß zur Ausführung des Zwecks übergehn können, sondern jedesmal vorerst uns aus äußeren Phänomenen Rat holen müssen. Insofern steht die Anwendung des Experiments zur Bestätigung der gewählten Mittel weit unter dem vorigen Verfahren, nach welchem wir allein durch Urteilen und Schließen seine Zweckmäßigkeit erfahren konnten. Ein anderer Mangel des Experiments, den  Inhalt  betreffend, ist, daß wir, eben weil uns äußere Dinge dazu nötig sind, über diese nicht vollkommen Herr werden können, und uns daher von Nebenerscheinungen, zufälligen Störungen usw. immer schikaniert und gestört sehen; was hierbei zu beachten ist, ist, daß die  reinen Bedingungen,  die unseren Zweck vollführen sollen, wohl theoretisch oder durch Ableitung und Entwicklung ihrer notwendigen Folgen dies zu erreichen vermögen, wie wir aber mit ihnen an die Wirklichkeit der Ausführung oder nur des Experiments treten, sie durch  Nebenumstände,  unvorhergesehene Ursachen so in die Enge getrieben werden, daß man auf das durch das Experiment erhaltene Resultat durchaus nicht mit Sicherheit bauen kann, oft sogar dadurch irre geleitet wird.

Beispiele zur Bestätigung dieser und anderer Verhältnisse brauchen wohl nicht angeführt zu werden, da die einfachsten Umstände der Wissenschaft und ihrer praktischen Anwendung deren in Fülle darbieten.

Wir sehen im Bisherigen, wie mit der höheren, konkreteren Gestaltung des Stoffes, in welchem unser Zweck verarbeitet werden soll, der Weg, nicht zur Erkenntnis, sondern zur Bestimmung der Folgen und somit der Tauglichkeit des von uns als zweckmäßig vermuteten Mittels, schwieriger wird und uns selbst durch das Hilfsmittel des Experiments erleichtert werden muß; der einfache Grund hiervon ist eben, daß wir das Wesen des Stoffes umso weniger kennen, mit je mehr konkreten Bestimmungen es begabt ist und je weiter es sich von der allgemeinen mechanischen Natur des  Körpers überhaupt  entfernt. Das Experiment, welches uns noch bis in die zusammengesetzte Natur des Organismus mit physiologischen Kenntnissen bereichert, wiewohl hier schon das Meiste auf die Achtsamkeit des Experimentators ankommt, verläßt uns ganz, sobald wir in den Bereich des Geistes aus der Körperwelt übergehen, und wir suchen hier vergebens nach einem Leitfaden, der uns das passende Mittel zu dem Zweck, den wir in diesem Stoff des allgemeinen Geistes erreichen wollen, kennen lehrt.

Wie vorhin nicht daran zu denken war, unmittelbar aus der Natur des beabsichtigten Zwecks auf das nötige Mittel zu treffen oder gar schließen zu können, so ist dies hier noch weniger der Fall und gelten hier dieselben Bemerkungen wie vorhin, daß uns allein durch Ideenassoziation und zufällige Umstände beim Gedanken des Zwecks das als passend vermutete Mittel an die Hand gegeben werden kann. Für die Prüfung des Mittels in Bezug auf seine Zweckmäßigkeit hatten wir im Bereich der Körperwelt zuerst das sichere Instrument des Fortgangs von der Wirkung zur Urssache, hernach das weniger sichere des Experiments; beiden konnten uns  indirekt  das richtige Mittel finden lehren, was uns jedoch in der Sphäre des Geistes durchaus mangelt und hier nur übrig bleibt, nach allgemeiner Erfahrung, nach Analogie usw. zu handeln.

Die Zwecke, welche wir im gewöhnlichen Leben uns vorsetzen und vollbringen und in deren Wechselwirkung sich das Reich der Moralität entfaltet, sind meistens solche, deren Stoff teils der Geist des einzelnen Individuums, oder der Gesamtgeist einer Mehrzahl derselben, oder ein System von äußeren Dingen, vielfach zusammengesetzt, bildet; sie gehören also in die beiden letzten der erwähnten Klassen und sind ein mannigfaltiges Gemisch aus beiden und häufig aus allen dreien. Hieraus geht schon hervor, daß die Erkenntnis der Mittel hier ebenso schwer und noch schwieriger als in den einzelnen vorhin behandelten Fällen wird, denn durch das zufällige Zusammentreten der verschiedenartigen Stoffe wird die Aufgabe nur komplizierter. Hier muß zuweilen das Experiment, zuweilen die Analogie, Erfahrung usw. angewendet werden; am häufigsten kommt jedoch das Ergreifen des richtigen Mittels auf Glück, Einbildungskraft, schnelle Kombination der möglichen Mittel an.

Das Einzelne, diese Klasse von Zweckvorstellungen Betreffende ist schon, wie leicht zu sehen, im früher Gesagten enthalten, braucht darher hier nicht noch einmal wiederholt zu werden; es bleibt nur übrig, das Handeln nach Zwecken in seiner allgemeinen Stellung zum praktischen [ross] Leben und das Verhältnis der erhaltenen Resultate zu den bisherigen Begriffen von Moralität zu betrachten.

Nach dem Bisherigen ist einleuchtend, daß es nicht nur höchst schwierig, sondern in den meisten Fällen geradezu unmöglich ist, das richtige Mittel zu einem beabsichtigten Zweck auf einem direkten und zuverlässigen Weg ausfindig zu machen und zu realisieren. Meistenteils sind wir darauf angewiesen, von den Zweckvorstellungen aus unmittelbar durch Ideenassoziatioin auf ganz äußerliche Weise zur Vorstellung von möglichen Mitteln zu gelangen, von denen aus wir uns entweder durch die Entwicklung ihrer notwendigen Folgen oder durch das Hilfsmittel des Experiments, oder auf anderen noch weniger zuverlässigen Wegen vorerst überzeugen müssen, ob sie auch zum Ziel führen wirklich imstande sind, ehe wir zur Realisierung des Zwecks selbst schreiten.

Es steht also nicht in unserer Macht, die Mittel zu unseren Zwecken allzeit ausfindig zu machen, und damit ist  das ganze Handeln nach Zwecken, anstatt ein zusammenhängendes Ganzes zu bilden, in ein Aggregat zufälliger Umstände, durch Äußerlichkeiten angeregter verschiedenartiger Tätigkeiten zerrissen worden.  Dennoch verlangt aber das gewöhnliche Bewußtsein, als wesentliche Bedingung der menschlichen Freiheit,  das Vermögen nach Zwecken zu handeln,  d. h. nicht nur aus freiem Antrieb sich seine Zwecke zu setzen, sondern auch die wahren Mittel dazu aufzufinden und sich von der Ausführbarkeit jener zu überzeugen. Zur Bestimmung des  moralischen  Handelns gehört dann noch die Beschaffenheit der Zwecke, ja auch der Mittel, durch welche wir jene erreichen.

Nach dem Obigen wäre aber diese Forderung, insofern das Handeln auf bestimmte Zwecke geht, nicht gut möglich, zumindest nicht in der Art, daß sowohl der Zweck als auch die Mittel der Forderung der Moralität - möge diese durch ein inneres oder äußeres Sittengesetz ausgesprochen sein - entsprechen.

Denn mag der Mensch sich auch einen  guten  Zweck vorsetzenm, so läßt sich von hieraus nicht die Moralität der Mittel absehen, ja, was noch schlimmer ist, er setzt Taten ins Werk, die ihm als Mittel gelten, von denen er aber durchaus nicht bestimmen kann, welches im Lauf der Dinge ihre Folgen sein werden. Um hier einem zutage liegenden Widerspruch mit dem Sittengesetz zu entgehen, sind zwei Auswege möglich, - entweder gar nicht zu handeln, und so macht es das Bewußtsein, welches sich aus dem Gedränge des Lebens in sich zurückzieht, um die Freude zu haben, teils an der Leichtigkeit, womit es nun das Sittengesetz zu umgehen und von sich fern zu halten, damit aber doch sich selbst für höchst tugendhaft glaubt, teils am Schicksal Anderer, welche, diesen Weg verschmähend, sich dem Weltlauf überlassen und ihm unterliegen - oder anzuerkennen, daß der Mensch  nur mit dem  Teil seiner Handlungen dem Sittengesetz verpflichtet ist, in welchen er unmittelbar seinen Willen gelegt hat, daher auch nur so weit für die Folgen seiner Taten verantwortlich ist, als er von denselben  wußte  und sie  beabsichtigte.  Dieser Gedanke von der  Idealität  der menschlichen Taten, wie man ihn nennen könnte, war den Alten noch fremd, und das Schicksal rächte die Handlungen und ihre Folgen, gleichviel ob sie absichtlich oder unbewußt ins Werk gesetzt waren und auf dieser ungewissen, gesetzlosen Abhängigkeit der menschlichen Werke von der Laune des Schicksals, welches diese, sobald sie sich vom Individuum losgerissen haben, ergreifen und ihnen eine Bahn geben kann zu nützen oder zu schaden, ruht wesentlilch die Idee der antiken Moral. In unseren Zeiten sind zwar an die Stelle des Schicksals die Bestimmungen der juristischen Beweistheorie getreten, welche den Wert der menschlichen Handlungen und Absichten, ihre Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit ganz genau definieren, aber das Bewußtsein, daß der Mensch doch nicht ganz unschuldig ist an dem, was ohne Absicht aus seinen Handlungen erfolgt, ist gleichwohl nicht vollständig gewichen.

Aus dem Grund der Unfähigkeit des Menschen einerseits zu seinen Zwecken die Mittel ausfindig zu machen, andererseits seine einmal ins Werk gesetzten Handlungen so zu lenken, daß sie in ihren mannigfachen Kombinationen nicht mit dem Sittengesetz in Konflikt geraten, kommt er selbst mit dem letzteren in Widerspruch, indem das Gesetz unbedingt etwas verlangt, was zu tun oder zu lassen der Mensch nicht die Macht besitzt. Es ist leicht zu sehen, daß der Zustand, in welchem das Individuum sich fortwährend befindet, indem es seine Zweckvorstellungen realisieren will und dies doch nicht aus eigener Spontaneität vermag, ein wesentlich  unfreier  ist und keineswegs mit der Bedingung der menschlichen Freiheit übereinstimmt, insofern diese verlangt, daß es seine Handlungen willkürlich bestimmen und ausführen kann, wo nicht äußere Umstände ihm daran hinderlich sind.

Wir stoßen hier auf das schwierige Problem von der menschlichen Freiheit, welches in seienr ganzen Ausdehnung zu behandeln hier nicht der Platz ist, welches aber doch so innig mit unserer Untersuchung des subjektiven Zwecks zusammenhängt, daß wir nicht umhin können, zumindest Folgendes über die Natur der menschlichen Freiheit zu bemerken, was, wenn es auch hier nicht hinreichend motiviert werden kann, doch mit den bisherigen Grundsätzen der Nachforschung unbedingt übereinstimmt.

Selbst die roheste Definition der Freiheit, als Freiheit zu tun  alles, was man will,  zeigt an, daß es zum freien Tun außer der bloßen äußeren Möglichkeit und des Mangels an Hindernissen noch eines anderen subjektiven Erfordernisses, des  Willens zu tun,  bedarf. Würde man die Freiheit, als Freiheit alles zu tun bestimmen, so würde dies eben gar keine Freiheit sein, weil sie, da sie  alles überhaupt  zu tun erlaubt, nichts  Bestimmtes  zu tun übrig läßt, denn es wäre kein Grund da, warum das Eine eher als das Andere getan werden sollte. Der Zusatz der Freiheit alles zu tun,  was man will,  ändert nicht nur die vorige Bestimmung ganz und gar, sondern kehrt sie völlig um, ohne daß der rohe Verstand, der diese Definition ausspricht, sich bewußt wird, daß er mit dem Zusatz des  was man will  noch ganz etwas anderes sagt, als  er will;  er hat in der Freiheit, als Freiheit, zu tun was man will, unbewußt den Grund des wahren Wesens der Freiheit, freilich in verkehrter Form, erfaßt und wird sehr erschrecken, wenn man ihm seine Worte näher auseinandersetzt.

Also mit der obigen Definition kann einerseits gesagt sein: Nur  was Ich will, kann Ich tun,  andererseits: nur  was Ich getan habe, kann Ich gewollt haben,  oder mit anderen Worten: weil das freie Zusammensein von Wollen und Tun doch nicht zufällig sein kann, sondern, weil es immer stattfindet,  notwendig  zusammengehören muß: Freiheit ist, daß Ich tun  muß,  was Ich will und daß Ich  gewollt haben muß,  was ich tue. Dies ist der wahre Sinn der obigen Definition und der Ausdruck eines allen unseren Handlungen innewohnenden Gesetzes; wogegen man zwar erwidern kann, daß wir doch auch etwas wollen können, ohne es nachher wirklich auszuführen; allein was wir ernsthaft wollen, wo der Wille nicht mit dem bloßen Wunsch verwechselt werden darf, das wird auch jedesmal ausgeführt; wird es nicht ausgeführt, so haben wir notwendig den Willen  geändert,  d. h. unser voriger vermeintlicher Wille wird nun von uns selbst nur als ein zufälliges Beabsichtigen angesehen; ebensowenig darf man behaupten, wir könnten etwas unwillkürlich  tun,  wie z. B. bei den unwillkürlichen Bewegungen, d. h. ohne es zugleich zu  wollen,  denn dann sind  Wir  es nicht, die dies tun, sondern vielmehr unsere Glieder, unser Körper, d. h. Wir nur in einer ganz äußerlichen Beziehung, ohne die Gegenwart einer organischen Einheit unseres Körpers, die allein unser Ich ausmacht, welches immer zum Willen erforderlich ist.

Wille und Tat bilden daher diese unzertrennliche Einheit, wie Äußeres und Inneres; Seite allein ist nicht denkbar, jede ist mit der andern schon durch ihren Begriff verbunden. Dies ist aber eben die Freiheit, daß beide Seiten mit  Notwendigkeit  verknüpft sind, daß wir nichts tun können ohne unseren Willen, daß ferner dem äußeren Zwang wohl Teile unseres Körpers und diesesr selbst unterliegen kann, nie aber die innere Seite unseres organischen Ganzen, welches auch in Fesseln frei bleibt.

Dem Bewußtsein, welches die obige Definition der Freiheit ausgesprochen hat, ist aber mit der Aufzeigung dieser notwendigen Verknüpfung des Tuns und Wollens noch nicht genug getan; es kommt ihm der Punkt, woher denn eigentlich der Wille zu alledem, was wir tun, noch sehr verdächtigt vor und vermutet, daß hinter dem Ursprung des Willens noch eine bedeutende Beschränkung unserer Freiheit, als Beschränkung der  Willens freiheit, versteckt ist. Hierauf ist nur zu erwidern, daß wir allerdings über unseren Willen keine Macht haben, oder daß wir keineswegs  wollen können,  was wir  wollen;  denn dann müßte doch immer ein  erstes  Wollen unabhängig von jeder Bestimmung unseres Willens gedacht werden, was uns wiederum auf den ersten Punkt zurückbrächte. So wenig wie der Mensch müssen muß, wie LESSING sagt, so wenig wird er auch je  wollen,  was er will, d. h. sein Wille ist immer nur ein  Wollen-Müssen. 

Die Willenstätigkeit geht nun darauf, Zwecke zu setzen, von deren näherer Kenntnis, Ausführbarkeit, alsdann unsere zur Realisierung derselben nötigen Handlungen wiederum bestimmt werden. Warum wir aber gerade diesen Willen haben, gerade diesen Zweck realisieren  wollen,  das vermag unsere Willenstätigkeit keineswegs schlechthin zu bestimmen, d. h. nicht in der Art, daß es uns vorher frei gestanden hätte,  uns auch einen anderen Zweck zu setzen,  sondern  dieses  Setzen ist eben unwiderruflich durch  bestimmte Ursachen  necessitiert [nötig - wp], wie sich das auch gar nicht anders erwarten läßt.

Dem gewöhnlichen Verstand scheint nun zwar durch die auch bis hierher sich erstreckende Herrschaft des Kausalitätsgesetzes der gewünschten Willensfreiheit aller Weg versperrt; bei näherer Betrachtung wird sich jedoch zeigen, daß gerade in der strengen Durchführung des Kausalgesetzes ein unerwarteter Boden der Freiheit zum Vorschein kommt und daß allerdings diese auch eine  Art Kausalität  ist. Was nämlich der Verstand unter der abstrakten Willensfreiheit, als Freiheit zu wollen, was man will, versteht, ist dies, daß das  Ich,  als reines unbestimmtes und abstraktes Subjekt sich nicht selbst als abstraktes, sondern als konkretes Objekt zum Wollen bestimmt, nicht aber, daß dieses konkrete Ich nur durch Eindrücke von Außen, die auf es wirken, unbedingt bestimmt wird. Es liegt hier unstreitig das Falsche in der doppelten Bestimmung des Ich, als reines Wollen, welches wollen kann, was es will, ohne daß es auf seinen Inhalt hierbei zu sehen braucht, der gar nicht in Betracht kommt, und ferner als das konkrete Ich der Wirklichkeit, welches nur in seinem mannigfach bestimmten Inhalt lebt und durch ihne seine Einheit und seinen Charakter erhält. Dieser Widerspruch in der vom Verstand verlangten Willensfreiheit wird einigermaßen gerechtfertigt durch die Furcht vor einer Willensbestimmung des Ich durch bloße äußere Eindrücke, welche eine Bestimmung von außen her, allerdings keine Aussicht auf eine wirklich freie Willensbestimmung, die der menschlichen Vernunft so sehr ein Bedürfnis zu sein scheint, darbieten kann. Allein es bleibt hier noch ein dritter Weg übrig, wo das Ich als  konkretes  Ich der Wirklichkeit den Bestimmungsgrund zu seinen Willensäußerungen abgibt, nicht aber als  leeres  Ich, welches dieses oder jenes wollen kann, eigentlich aber gar keinen Willen zustande bringt, noch als solches, wie es nur durch äußere Eindrücke hin und hergestoßen wird. Die Eindrücke tragen freilich, weil sie das Ich mit der Außenwelt verknüpfen, dazu bei, der  Form nach  Entschlüsse in uns hervorzurufen und unseren Willen formell zu bestimmen, nicht aber dem Inhalt nach, welcher allein durch die konkrete sittliche Substanz des Ich bestimmt werden kann. Treffen diese Eindrücke auf ein Ich, welches ohne alle festere Bestimmung, eine abstrakte Einheit von Subjekt und Objekt bildet, so werden sie von ihm aufgenommen und als Willensäußerung gibt dieses Ich nur die notwendige Folge jener Eindrücke unverändert der Wirklichkeit zurück, d. h. das Ich wird ein Spiel dieser Eindrücke, weil aus dem leeren Inhalt desselben nichts anderes herausgehen kann als was hineingegangen ist, der höchste Mangel der Freiheit. Das Ich aber, wenn es seinen Inhalt mit sittlichen Gesetzen, die ihm zumindest als solche gelten, erfüllt hat, von welcher Beschaffenheit sie auch sonst sein mögen, wird durch dieselben äußeren Eindrücke auf eine ganz andere Weise affiziert [gereizt - wp] werden als jenes leere Ich; es wird sich von ihnen nicht beherrschen und fortreißen lassen, sondern sie werden von der Grundlage seiner moralischen Substanz verarbeitet werden und es wird zum Stoff seiner Handlungen den Inhalt nur aus sich selbst nehmen und aus der Außenwelt nur solchen, der seinen inneren Gesetzen entspricht. Dieses Ich, welche so von der konkreten sittlichen Substanz durchdrungen ist, daß es vermöge dieser sich aus sich selbst zu bestimmen die Macht hat, ist der  Charakter,  die allein der vollkommenen Willensfreiheit fähige Gestalt des Geistes, der unter allen äußeren Bedingungen immer ein und derselbe Unwandelbare bleibt. Die Form aber, nach welcher sich die menschlichen Handlungen aus dem Charakter in Verbindung mit den äußeren Eindrücken bestimmen, ist eine notwendige Kausalverknüpfung und die Gesetze, nach denen diese Bestimmung geschieht, bleiben unveränderlich dieselben, wodurch dem Vermögen der Freiheit nicht geschadet wird, sofern der sich nur bewußt ist, daß nicht die äußeren Eindrücke es sind, welche seine Tat bestimmen, sondern vielmehr die durch jene gesetzmäßig in der sittlichen Substanz seines Ich hervorgerufenen Entschlüsse, Absichten, Zwecke usw., daß eine jede Handlung nur durch die organische Einheit des Ich hervorgebracht wird, wobei wir diese Einheit eben durch den zur Tat erforderlichen  Willen  bezeichnen. Die äußeren Eindrücke können also nicht unmittelbar unsere Handlungen bestimmen, sondern erst, nachdem sie mit jener Einheit der sittlichen Bestimmungen des Ich verschmolzen und durch dieselbe hindurchgegangen seind, so daß also der wahre Inhalt unserer Handlungen durch jene Einheit allein bedingt ist. Diese Bestimmung der Handlungen durch die Gesamtheit des Ich geschieht aber immer mit Notwendigkeit und in dieser Notwendigkeit besteht eben die Freiheit. Hierdurch ist zugleich erwiesen, daß den verschiedenen Individuen auch ein verschiedener Grad der Willensfreiheit zukommt, und daß eben dasjenige Individuum, welches sich je nach den äußeren Eindrücken mit gleicher Leichtigkeit für das Eine wie für das Andere bestimmen kann, gerade die wenigste Freiheit besitzt.

Die Frage, wodurch denn das Ich zu gerade  dieser  sittlichen Konstitution gelangt ist, ob durch Willensfreiheit oder durch äußere Eindrücke, oder ob sie ihm ursprünglich  angeboren  ist, gehört nicht hierher und würde uns zu weit führen, da hier die Bestimmungen des Sittengesetzes mit eingreifen.

Die Zwecke, die das Ich sich vorsetzt, bestimmt es also zwar frei aus sich selbst; es ist aber nicht imstande, sie unbedingt zu vollführen, noch nur die Mittel dazu ausfindig zu machen, wodurch ein Widerspruch der praktischen Vernunft zu entstehen scheint, den das Bewußtsein zwar dadurch zu lösen vorgibt, daß es sagt: wenn es seine guten Zwecke nicht ausführen kann, so sei das nicht seine Schuld, es habe sie doch wenigstens  gewollt  und mehr könne man von ihm nicht verlangen, wo seine Kräfte zur Ausführung nicht ausreichen, - in Wahrheit aber erst dadurch gelöst wird, daß das Individuum keine Zwecke als solche sich zu setzen imstande ist, sondern immer nur als wahrscheinliche Folgen seiner jedesmaligen Handlungen, welchen Umstand mit den Gesetzen der Moral in Einklang zu bringen freilich einem philosophischen System der Ethik überlassen bleibt.

Wir haben am Anfang unserer Untersuchung gesehen, daß von den zur Realisierung einer Zweckvorstellung nötigen Handlungen jede für sich wieder einen eigenen Zweck bildet, welcher ebenso wie der erste in eine große Anzahl partieller Zwecke zerfällt usw.; auf ähnliche Weise sinkt ein jeder Zweck, wenn wir ihn in seiner Stellung zum ganzen System des praktischen Bewußtseins betrachten und folglich die unausbleibliche Frage nach einem Wozu? desselben aufwerfen, zum Mittel herab für einen anderen höheren Zweck, welcher der  Grund  und die Ursache aller früheren ist, der aber ebenfalls nur als  Mittel  für einen noch höheren dienen darf. Da man nun eingesehen hat, daß auf diesem Weg niemals mit der praktischen Vernunft zu Ende zu kommen ist, so ist man auf den pfiffigen Gedanken verfallen, einen sogenannten Endzweck anzunehmen, der nur um seiner selbst willen begehrt wird und um dessenwillen allein das ganz übrige Leben nur Wert hat, indem es sein System von Zwecken bildet, die zu jenem höchsten Zweck hinstreben. In Bezug auf die Widersprüche, in welche sich der Verstand verwickelt, wenn man ihn nach der Beschaffenheit und der Weise der Realisierung jenes Endzwecks fragt, muß sich auf KANTs "Kritik der praktischen Vernunft" und HEGELs "Phänomenologie des Geistes" verweisen; durch die Annahme eines Zweckes, der nur um seiner selbst willen begehrt wird, wird im Progreß [Fortschritt - wp] der Zwecke ihr Begriff vollkommen aufgelöst, wie dies im Regreß [Rückschritt - wp] durch die Annahme eines Mittels, welches selbst nicht wieder ein Zweck sein soll, geschieht. In der Annahme eines Endzwecks, wie in der des Mittels, welches nicht wieder Zweck sein soll, durch welche Behauptungen der aus ihm selbst hervorgehende Auflösungsprozeß der Zweckvorstellung gewaltsam zurückgehalten wird, trifft der Verstand unbewußt das Wahre, daß nämlich die praktische Vernunft alles, was sie tut, nur um seiner selbst willen tut, daß sie in jedem Augenblick ihres Handelns ihren Zweck erfüllt und er ihr ebenso mit jedem Zeitpunkt neu entsteht. Erst im Strom der Taten wird der Zweck erkannt und bildet er sich als solcher, der aber  von jenen  nur als notwendige Wirkung hervorgebracht, von uns erst in die Abstraktion der Zweckvorstellung gefaßt wird. Freilich sind unsere Handlungen immer zweckmäßig, aber nicht weil  zweckmäßig gehandelt wurde,  sondern weil das, was am Ende herausgekommen ist und von uns als Zweck einseitig festgehalten wird, notwendig seinen Ursprung oder dem, was wir als  Mittel  betrachten, entsprechen muß. So bildet sich zunächst in der Objektivierung des praktischen Bewußtseins ein System von objektiven Zwecken, welches kein Aggregat von einzelnen vorübergehenden Absichten und deren Realisierung ist, sondern ein zusammenhängender Abdruck der praktischen Vernunft in der bildsamen Masse der materiellen und geistigen Wirklichkeit geworden.
LITERATUR - Johann Heinrich Koosen, Der Streit des Naturgesetzes mit dem Zweckbegriff in den physischen und historischen Wissenschaften (eine Einleitung in das Studium der Philosophie), Königsberg 1845