cr-4cr-4L e v i a t h a nRousseauEucken von MohlSimmel    
 
FERDINAND TÖNNIES
Anmerkungen über die
Philosophie des Hobbes

[4/4]

"Es fehlt nun bloß der eine Gedanke: daß jener natürliche Ursprung nicht nur ein anderer ist, als den die Theorie zugrunde legen mußte, sondern auch ein mangelhafter und verkehrter; daß jene scheinbaren Gemeinwesen in Wirklichkeit bloße Machtverhältnisse sind, auf einseitiger oder gegenseitiger Furcht beruhend."

"... daß also ein vernunftgemäßes eingerichtetes Gemeinwesen, d. h. eine wahrhafte Aufhebung des Naturzustandes in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist, aber gedacht werden muß als aus vernünftiger Einsicht ... wodurch dann anstelle der natürlichen Machtverhältnisse, vielmehr, indem alle einander als Gleiche anerkennen, künstlich oder eigentliche Rechtsverhältnisse geschaffen werden."

"Verpflichtung ist das Entgegengesetzte von Freiheit: Freiheit hört auf und Verpflichtung beginnt mit gegebenem Treuwort. Treuwort ist das Versprechen desjenigen, dem Vertrauen geschenkt wird in einem Vertrag. Vertrag entsteht, wenn zwei Parteien Recht einander übertragen in Erwägung gegenseitigen Nutzens. Recht übertragen ist eine besondere Art der Niederlegung von Recht."

"Ein spezielles Verbot des Hochverrats ist unlogisch. Der Rebell ist nicht strafbar. Er hat das natürliche Gesetz, nicht das bürgerliche übertreten, und steht wieder im Naturzustand allen anderen gegenüber, im Besitz seiner ursprünglichen Freiheit. Er kann getötet werden, nicht nach staatlichem, aber nach natürlichem Recht. Nicht als Verbrecher, aber als Feind."


Vierter Artikel

12. Hier ist nun ein Besonderes und Wichtiges zu erwähnen. HOBBES hebt zwar in allen drei Darstellungen seine Deduktionen an mit der These von der natürlichen Gleichheit der Menschen. Die Vernunftnotwendigkeit des Vertrages wird in den beiden ersten Schriften (d. corp. pol. I, 1, 14; d. civ. I, 15) noch besonders aus der Unmöglichkeit hergeleitet, durch zeitweilig überlegene Macht und also durch Unterwerfung Anderer sich dauernd zu sichern. (??) Die freiwillige Einigung erscheint demnach als der einzige Weg, um aus den Greueln des Naturzustandes herauszukommen und den politischen Körper zu schaffen. Dennoch aber, in allen drei Redaktionen, an dem Punkt, wo er diesen letzteren Begriff festgestellt hat, überrascht uns die Erklärung, es gebe zwei nach ihrem Ursprung verschiedene Arten des Dings. Und es folgt dann in den Elements (d. corp. pol. I, 6, 11) die Ausführung: sie seien verschieden, je nachdem die Entstehung in der geschilderten Weise der Einigung geschehe; diese Art heißt eigentliches Gemeinwesen (commonwealth), - oder aber, daß Menschen eben demselbigen, der sie angegriffen hat oder den sie fürchten, sich unterwerfen (wie später erläutert wird: durch Vertrag mit ihm, nicht, wie in der ersten Form, durch Verträge miteinander); so entspringt ein politischer Körper gleichsam auf natürliche Weise (as it were naturally); und sei zu nennen: patriarchalische oder despotische Herrschaft. In de cive (c. V, 12) und im Leviathan (P. II, 18 fin.) wird der Unterschied so ausgedrückt: die erste Form nimmt ihren Ausgang von natürlicher Kraft, und kann natürlicher Ursprung des Staates heißen; die andere von Beratung und Beschluß Zusammenkommender, und dies ist ein planmäßiger Ursprung (der Ausdruck nur in de civ.: origo ex institutio).

In allen drei Büchern wird aber bei der näheren Erörterung sogleich mit Nachdruck betont, daß die Regeln über Pflichten der Untertanen, Befugnisse und Obliegenheiten des Souveräns usw. für beide Gattungen von Staatswesen ganz dieselben sind, so daß sie nur nach ihrem Ursprung voneinander abweichen. Sofern dies den Willen des Autors darstellt, ist es unanfechtbar. Sofern es sich aber aus dem Plan der Anlage selber sich logisch ergeben soll, muß man sagen, daß eine Konsequenz des Gedankens umgangen wird. Eines der tieferen Merkmale seines Begriffs vom politischen Zustand ist gerade dieses: die Stifter des Gemeinwesens begeben sich ihres Urteils, wie die Parteien vor einem Schiedsrichter; sie verpflichten sich untereinander durch Verträge, aber ob die Verträge gehalten werden, hat nur der Souverän zu entschieden; dieser selbst ist nicht Kontrahent [Vertragspartner - wp] er hat sich zu nichts verpflichtet; wenn er es getan hätte, so müßte es eine Person geben, welcher es zustünde zu beurteilen, ob sein Tun dem, was er im Vertrag versprochen hatte, gemäß ist oder nicht; diese Person müßte entweder auch die Macht haben, ihre Entscheidung zu vollziehen, sie müßte also mächtiger sein als der Souverän; dies ist absurd, - oder aber wenn auch ohne die Macht jeder Einzelne aus der Menge sich ein solches Urteil anmaßen wollte, so würde das Wesen des Naturzustandes gar nicht aufgehoben sein, sondern Jeder hätte das Recht behalten nach Gutdünken zu urteilen und den geschlossenen Vertrag zu brechen, indem er ihn ansähe als von der Gegenseite gebrochen. Nun ist es bei denjenigen Entstehungsarten des Staates, welche HOBBES geneigt ist die natürlichen zu nennen, in der Tat nicht zu vermeiden, wenn ja auch ihre Konsequenzen nach dem Maß eines Vertragsentschlusses gemessen werden sollen, eine solche gegenseitige Verpflichtung zwischen Herrscher und Beherrschten zu setzen. Wenn gedacht wird, daß der Schwächere überhaupt etwas verspricht, so verspricht er nicht bedingungslos, sondern gegen das Versprechen des Stärkeren ihn zu schonen und zu schützen; ist dieser selbst Richter ob das geschieht, so war es kein Versprechen was er leistete; es kann nur jener oder ein Dritter sein; nicht ein Dritter, dann wäre dieser Dritte der wirkliche Herrscher; folglich nur der Schwächere selbst; dann aber ist kein politischer Zustand geschaffen. Es fehlt nun bloß der eine Gedanke: daß jener natürliche Ursprung nicht nur ein anderer ist, als den die Theorie zugrunde legen mußte, sondern auch ein mangelhafter und verkehrter; daß jene scheinbaren Gemeinwesen in Wirklichkeit bloße Machtverhältnisse sind, auf einseitiger oder gegenseitiger Furcht beruhend, demnach mit jeder Verschiebung dieser alleinigen tatsachlichen Unterlagen dem Wechsel und der Zerstörung ausgesetzt. Und wenn diese Entscheidung mit der vorigen Schwierigkeit zusammengebracht wird, so ist die Folgerung gegeben, daß mit Wahrscheinlichkeit alle empirischen Staaten auf einen solchen Ursprung zurückzuführen sind, daß also ein vernunftgemäßes eingerichtetes Gemeinwesen, d. h. eine wahrhafte Aufhebung des Naturzustandes in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist, aber gedacht werden muß als aus vernünftiger Einsicht und aus bewußten Verträgen jedes Einzelnen mit allen Übrigen hervorgehend; wodurch dann anstelle der natürlichen Machtverhältnisse, vielmehr, indem alle einander als Gleiche anerkennen, künstlich oder eigentliche Rechtsverhältnisse geschaffen werden.

13. Jene realistische und diese idealistische Betrachtung sehen wir auch nebeneinander hergehen, wenn wir die Behandlung einzelner moralischer Begriffe untersuchen. In der scholastisch-naturrechtlichen Doktrin werden beide Elemente immer in völliger Vermischung angetroffen; moralische Gesetze, Rechte und Pflichten werden als metaphysische Wesen dargestellt, welche hier oder dort vorhanden sind und wirken, von Einem auf den Andern übergehen und dgl. mehr. In den beiden ersten Schriften hat HOBBES davon nicht bloß in der Terminologie einen Rest behalten. SO ist das natürliche Recht (in einem subjektiven Sinn) als eine Art von Ding gefaßt, wenn es ausdrücklich den Menschen beigelegt wird, weil es nicht der richtigen Vernunft zuwider ist. Ebenso ist es zu beurteilen, wenn der Autor den Begriff der moralischen Verpflichtung als einer realen Nötigung zu deduzieren versucht. Es geschieht dies in folgender Gedankenentwicklung:

Verpflichtung ist das Entgegengesetzte von Freiheit: Freiheit hört auf und Verpflichtung beginnt mit gegebenem Treuwort (covenant). Treuwort ist das Versprechen desjenigen, dem Vertrauen geschenkt wird in einem Vertrag (contract). Vertrag entsteht, wenn zwei Parteien Recht einander übertragen in Erwägung gegenseitigen Nutzens. Recht übertragen ist eine besondere Art der Niederlegung von Recht. Das natürliche Recht auf alle Dinge niederzulegen ist die erste Vorschrift des Naturgesetzes; Recht übertragen auf einen Anderen, heißt: durch genügende Zeichen diesem Anderen, der es empfängt, erklären, daß man den Willen hat, ihm nicht zu widerstehen noch ihn zu hindern aufgrund jenes vorher besessenen Rechts dazu. Ein Treuwort nun überträgt das Recht ebensogut als wirkliche Übergabe einer Sache. Denn es ist ein deutliches Zeichen, daß der, welcher leistete, es als den Willen des Anderen, dem Vertrauen geschenkt wurde, verstehen soll, seinerseits auch zu leisten. Daher ist es ein Zeichen des Willens oder des letzten Aktes der Überlegung, wodurch die Freiheit zu leisten oder nicht zu leisten, aufgehoben ist; und folglich ist es verpflichtend.

14. Dieses führt nun direkt in die Lehre vom Willen, also in den Kern aller moralistischen Probleme. Die Definition des Willens, auch früher schon angeführt, war im letzten Satz enthalten. HOBBES schließt aus ihr zunächst, daß nur Handlungen willkürlich (voluntary) sein können; denn nur auf Handlungen bezieht sich eine Überlegung (nach deren Definition), nicht auf Begehren und Widerstreben, woraus sie vielmehr besteht, also auch nicht auf Wollen; das Wollen wollen ist demnach absurdes Gerede, weil dieses Wollen wieder ein Wollen voraussetzt usw. ins Unendliche. Indem nun Freiheit soviel bedeutet wie die Abwesenheit äußerer Hindernisse der Bewegungen, also frei ist, was sich zu bewegen nicht gehindert wird, so können nur Körper so heißen, als allein Bewegungen unterworfen; nicht aber Begehrungen und dgl. da diese nicht bewegt werden; sondern selbst Bewegungen sind; folglich auch nicht der Wille; der Begriff "freier Wille" enthält einen Widerspruch. Die Bewegungen eines Menschen als Körpers nun sind seine willkürlichen Handlungen; ein Mensch ist "frei" heißt demnach: er ist nicht äußerlich gehindert, seinem Willen gemäß zu handeln; also nur zu handeln kann er frei sein, durchaus nicht zu wollen; das würde heißen: seinem Willen gemäß zu wollen; welches nichtssagend oder absurd ist, nach dem Obigen. So wird der Begriff der Freiheit positiv bestimmt; aber negativ von einer anderen Seite, nämlich vom Begriff des zureichenden Grundes aus. Schon im frühesten Manuskrip lautet unter den Grundsätzen der 1. Sektion der 12. also: "Notwendig ist das, was nicht anders sein kann"; der 13.: "Eine notwendige Ursache ist diejenige, welche nicht anders kann als die Wirkung hervorbringen"; und der 14.: "Eine zureichende Ursache ist die, welche alle zur Hervorbringung der Wirkung erforderlichen Dinge enthält". Dann wird als 11. Schlußfolgerung der Satz: "eine zureichende Ursache ist eine notwendige Ursache" so bewiesen: sie kann nicht anders als den Effekt hervorbringen, weil sie alle Dinge enthält, die dazu erforderlich sind; täte sie es nicht, so würde also etwas fehlen zur Hervorbringung; mithin wäre die Ursache keine zureichende; folglich usw. Woran sich als Kollarium [Beigabe - wp] schließt: "Hieraus geht hervor, daß die Definition eines freien Agens, als dessen was, wenn alle erforderlichen Dinge gesetzt sind, wirken mag oder nicht mag, einen Widerspruch impliziert." Es folgen ferner die Sätze (12, 13, 14): "Jede hervorgebrachte Wirkung hat eine notwendige Ursache gehabt"; "jede zukünftige Wirkung wird durch eine notwendige Ursache hervorgebracht werden"; und "Notwendigkeit hat keine Grade". - Der letzte Satz ist gegen die scholastische (später durch LEIBNIZ wieder aufgenommene) Unterscheidung von absoluter und hypothetischer Notwendigkeit gerichtet; der über das freie Agens aber insbesondere gegen eine Lehre des SUAREZ, welcher den hier bekämpften Begriff einer causa libera oder potentia activa libera aufgestellt hatte (Suarez despp. metaph. I, Seite 445). Jene Argumentation des HOBBES aber, aus welcher die Notwendigkeit der menschlichen Handlungen sowohl als der Willensregungen und der Gefühle hervorgeht, wird in den hier vorzugsweise besprochenen Schriften nicht näher berührt (1). Es ist ihm darin nicht so sehr an einem metaphysischen als an einem ethisch-staatsrechtlichen Begriff der Freiheit gelegen. Und von diesem ist der Gegensatz nicht Notwendigkeit, sondern Verpflichtung. Ich gehe also zunächst auf diesen Begriff wieder zurück.

15. HOBBES versucht indessen an jener Stelle, denselben mit dem metaphysischen Begriff der Freiheit des Handelns in Beziehung zu bringen. Die Amphibolie [Zweideutigkeit - wp] der Wortes "Wille" verwickelt ihn dabei in einen Paralogismus [Widerspruch - wp]; denn wenn Versprechen Zeichen des Willens genannt werden, so kann Wille in diesem Sinn nicht bedeuten "letzter Akt der Überlegung", durch welche die Freiheit aufgehoben wird, sondern nur soviel als Absicht, Vorsatz und dgl. also entgegengesetzte Regungen und die Handlung einer solchen gemäß im Gefolge haben könnte. Mit einem anderen Ausdruck: im Versprechen ansich ist nicht irgendetwas enthalten, was ein bestimmtes Handeln oder unterlassen zur Wirkung haben müßte. Gemeint ist offenbar, daß es im Wesen, d. h. in der Definition der Vernunft liegt, den Willen beharren zu machen, was gleichwie im Reden allein ein Verständnis, so im Handeln allein einen friedlichen Verkehr ermöglicht. Diese Meinung kommt deutlich zutage in der jetzt zu erwähnenden Bestimmung des Begriffs Unrecht oder Ungerechtigkeit. Sie erfolgt so:
    "Bruch oder Verletzung eines Treuworts ist es, was man Unrecht nennt; ... denn es ist eine Handlung oder Unterlassung ohne Recht, welches nämlich vorher übertragen oder aufgegeben war. Es besteht eine große Ähnlichkeit zwischen dem, was wir Unrecht oder Ungerechtigkeit in den Handlungen der Menschen in der Welt nennen, und dem, was absurd genannt wird in den Argumenten und Disputationen der Schulen ... in jedem Wortbruch ist ein eigentlicher Widerspruch vorhanden (was näher erklärt wird) ... So ist denn Unrecht eine Absurdität im Verkehr wie Absurdität eine Art von Unrecht in der Disputation."
16. Es geht also aus dem Vertrag nicht in einem anderen Sinn eine Verpflichtung hervor, als dieselbe für die Beobachtung aller Naturgesetze ohnehin behauptet wird, nämlich bloß als ein anderer Ausdruck der wissenschaftlich erkannten Vernünftigkeit einer danach gerichteten Handlungsweise; also nur in einem ideellen Sinn. Was dagegen die Erkenntnis der tatsächlichen Beziehungen zwischen den Menschen betrifft, so muß sich dem Autor in einer konsequenten Überlegung das ganze Problem in lauter Willens- und Machtverhältnisse auflösen. Demnach ist auch im Leviathan das (subjektive) Recht einfach identisch gesetzt mit der Freiheit und es bedeutet dann das natürliche Recht auf alle Dinge nichts weiter, als daß im Begriff eines natürlichen Zustandes der Menschen nichts von einer regelmäßigen und dauernden psychischen Hemmung ihrer körperlichen Handlungsfähigkeit enthalten ist; im Gemeinwesen wird diese Hemmung dargestellt durch das Gesetz. Es gibt also in dieser Hinsicht überhaupt keine moralischen Begriffe, außer indem sie gewollt werden von einer Person, d. h. deren Interesse als ihren realen Träger haben. Unter den Scholastikern hatten die kritischeren Nominalisten schon eine Tendenz zu dieser wissenschaftlichen Auffassung in Geltung gebracht, indem sie alle moralischen Werte auf den göttlichen Willen und dessen Macht zurückführten. Die kasuistische [fallbezogene - wp] Moral der Jesuiten schloß sich denselben vielfach mit großem Erfolg für ihre Absichten an. Gegen diese argumentiert HOBBES in ausgedehnten und geistreichen Erörterungen, daß aller etwaige göttliche Wille, wie derselbe auch immer kundgeworden sein möchte, jedenfalls einer gültigen Auslegung für die Menschen bedarf, und daß eine solche Auslegung nur von der souveränen Macht des Gemeinwesens ausgehen kann; denn wer immer ihr Urheber ist, erlangt eben dadurch souveräne Herrschaft über die Willen, und zwei Souveräne in einem Gemeinwesen sind begrifflich absurd; mithin sind Kirche und Staat absolut identisch (Leviathan P. III passim). Es folgt, daß moralisches Handeln, um in die Wirklichkeit zu treten, seinen Hahlt nur an einem menschlichen Willen haben kann; und zwar entweder an einem Einzelwillen oder an einem Gemeinschaftswillen. Der Einzelwille kann nun nach zwei Richtungen hingewandt sein:
    1) auf seine eigene Ausdehnung zu ungunsten der Anderen oder nach Macht,

    2) auf seine Beschränkung zugunsten der Anderen oder nach Frieden;
Letztere Richtung ist die vernünftige und darum die moralische; aber erstere ist die natürliche. Und im Naturzustand wäre es nicht einmal vernünftig, im Handeln jene zu verfolgen, weil die Sicherheit eines entsprechenden Handelns von Seiten der Anderen fehlen würde. Diese Sicherheit wird gegeben durch die politische Einigung, welche eine gemeinsame Macht erschafft, deren Träger der souveräne oder gemeinschaftliche Wille ist. Der gemeinschaftliche Wille hat (rein als solcher gedacht) indem er seiner natürlichen Richtung nach Ausdehnung folgt, nur das eine Interesse, daß die zu ihm gehörigen Einzelwillen einander beschränken und friedlich zusammen bestehen, also moralisch handeln sollen; denn seine Macht ist umso größer, keineswegs je geringer, aber je gleichmäßiger die Macht aller Einzelnen ist. Die egoistischen Triebe des Einzelmenschen führen also nicht zu seinem wahren Wohl und nicht einmal zu einem scheinbaren Wohl der Anderen; aber für die egoistischen Triebe einer Gemeinschaft fallen das scheinbare Wohl Aller und das wahre Wohl jedes Einzelnen zusammen. Die ganze Aufgabe und Kunst besteht also darin, die Gemeinschaft herzustellen; hernach kann man sie ihrem natürlichen Willen überlassen. Der Inhalt dieses Willens sind die (politischen) Gesetze. Diese sind es also, welche moralisches Handeln in der Wirklichkeit möglich machen. Ihnen zu gehorchen - aus welchem Motiv es auch geschehen mag - ist für jeden im politischen Zustand Lebenden immer und unbedingt vernünftig.

17. Wenn nun dieses zwar der vorherrschende Gedanke ist, so kann doch der Autor auch nicht umhin zu gedenken, daß der gemeinschaftliche Wille immer von einer Person oder mehreren Personen getragen werden muß, welche, indem sie diesen vertreten, doch zugleich auch ihren Einzelwillen und ihre besonderen Interessen haben. Er behandelt daher in de cive (Kap. XIII) und noch ausführlicher im Leviathan (P. II, Kap. 30) die Pflichten des Souveräns, und es ergibt sich, daß auch diese konstituiert sind durch die Natur- oder Vernunftgesetze. Für die Wirklichkeit aber kann HOBBES, wie von selbst verständlich ist, nicht genug die völlige Freiheit oder das unumschränkte Recht des Souveräns behaupten und betonen. Auf der anderen Seite aber bleibt für die Bürger ein sehr weites Gebiet offen, an das die politischen Gesetze nicht heranreichen und nicht heranziehen sollen. Dieses unterliegt (ideell) ebenfalls den natürlichen Gesetzen, in Wirklichkeit herrscht aber hier in gleicher Weise die natürliche Freiheit, also in diesem Sinne das natürliche Recht der Menschen. Inwiefern beschränken nun dasselbe die Gesetze? Nicht unmittelbar; sondern durch ein psychisches Motiv, welches von gewissen Handlungen abhalten kann, denn auf die Verhinderung eines Tuns nach eigenem Belieben sind alle Gesetze gerichtet; demgemäß ist auch das Motiv ein negatives: die Furcht. Diese kann aber auch im Naturzustand die Freiheit einschränken, insbesondere den Bruch von Verträgen verhindern. Worin besteht denn der Unterschied? in letzterem Fall ist die Furcht auf eine unbestimmte üble Folge gerichtet, im erstreren auf eine bestimmte, welche mit Sicherheit erwartet wird. Diese ist die Strafe; sie ist wie das Gesetz selber, dem sie angehängt wird, der Wille des Souveräns; sie gehört deswegen zu jedem Gesetz; denn wer Eines will, muß das Gegenteil nicht wollen oder verhindern wollen. Aber nicht allein wollen, sondern auch können; damit die Strafe bestimmt erwartet wird, muß die Meinung von der Macht zu strafen, vorhanden sein, und diese Meinung wird nur erhalten und gefördert durch die Ausübung der Macht. Wie ist die Ausübung der Macht möglich? Dadurch daß Mehrere, also die Gemeinschaft, von Natur mächtiger sind als der Einzelne. Ist es denn auch die Furcht vor Strafe, welche den Einzelnen abhält, von der Gemeinschaft abzufallen, also nicht ein besonderes Gebot des Gemeinschaftswillens zu übertreten, sondern aus diesem Willen mit der eigenen Person auszuscheiden und sich demselben als solchem entgegenzustellen? Offenbar nicht; denn daß dies nicht geschieht, setzen ja alle Gesetze und Strafen voraus; das Gegenteil können sie gar nicht als möglich setzen, ohne sich selbst unmöglich zu machen. Ein spezielles Verbot des Hochverrats ist unlogisch. Der Rebell ist nicht strafbar. Er hat das natürliche Gesetz, nicht das bürgerliche übertreten, und steht wieder im Naturzustand allen anderen gegenüber, im Besitz seiner ursprünglichen Freiheit. Er kann getötet werden, nicht nach staatlichem, aber nach natürlichem Recht. Nicht als Verbrecher, aber als Feind. Folglich hat der ursprüngliche Vertrag keine stärkeren Bande, die ihn halten, als ein im Naturzustand geschlossener Vertrag überhaupt. Und doch ist das Verharren in ihm für das Bestehen des politischen Zustandes, also auch für die Wirksamkeit von Gesetzen und Strafen, eine unumgängliche Bedingung. Es ergibt sich: über den Widerspruch, daß die Beschränkung der natürlichen Freiheit durch den Willen des Gemeinwesens mit privatrechtlichen Begriffen konstruiert wird, während andererseits die Gültigkeit privatrechtlicher Normen vom bestehenden Gemeinwesen abhängig erscheint - über diesen Widerspruch kommt HOBBES nicht hinweg.

18. Er würde genötigt sein, auch hier hineinzusetzen was mit seiner psychologischen Theorie nicht übereinstimmt: Vernunft als Motiv des menschlichen Handelns. Nicht mit dem einmaligen Willen, mit dem sich die theoretische Vernunft verbindet, zu einem kunstgerechten Aufbau des Staates, ist es getan; sondern es ist die praktische Vernunft notwendig, welche den Willen beharren macht, um den Bau vor dem Einsturz zu bewahren. Dieselbe müßte zwar nicht in einer allgemeinen Erkenntnis des wahren eigenen Wohls bestehen; wenn eine solche das Handeln bestimmen könnte, so würde jeder fortwährend nur gerade so viel Freiheit und Macht für sich beanspruchen, als mit der Freiheit und Macht aller Übrigen vereinbar wäre; er würde alle moralischen Tugenden üben, würde mäßig, wohlwollend, bescheiden, treu und gerecht sein; dann aber würde sich ein Gemeinwesen überhaupt als gänzlich entbehrlich erweisen. Denn weil die natürlichen Willensrichtungen eben nicht dahin gehen, gerade deshalb ist es für das Wohl der Menschen notwendig. Allerdings aber bedarf es, um seinen Zweck wirklich zu erfüllen, unter seinen Mitgliedern der stetig gegenwärtigen Erkenntnis, daß ein einmal geschlossener Vertrag, als eine bestimmte Willenserklärung verpflichtend ist, d. h. unter allem Wechsel der Affekte beständig festgehalten werden muß. Ob dann der ursprüngliche Gesellschafts- und Unterwerfungsvertrag ausdrücklich geschlossen worden ist, oder aber stillschweigend als allen Verhältnissen zugrunde liegend gedacht wird, das ist nicht von Belang; wohl aber ist es notwendig, daß eines von beiden wirklich gegeben ist. Aus bloßer natürlicher Macht läßt sich kein Recht begründen; sondern eine dauernde Macht muß selber hervorgehen aus einer Beobachtung des Gesetzes das durch vernünftiges Denken gefunden wird, oder aus einem (objektiven) Naturrecht.

19. Wenn HOBBES die Grundsätze seiner psychologischen Doktrin festhalten will: daß alle Handlungen aus Affekten hervorgehen; und daß alle Affekte als Modifikationen, sei es der Begierde nach einer Sache oder des Widerstrebens gegen eine Sache, anzusehen sind - welche Modifikationen je nach der Verbindung mit Vorstellungen und Meinungen sich ergeben - so müßte er nun die Möglichkeit eines besonderen Affektes zugeben, welcher als Liebe zur Gemeinschaft oder doch als Abneigung, dem einmal Gewollten und also der souveränen Gewalt entgegen zu handeln, sich darstellen würde; jedoch nichts Anderes wäre als das allgemeine Streben nach Selbsterhaltung oder (negativ) als die Scheu vor dem Tod, aber gestaltet durch richtige Meinung oder vernünftige Erkenntnis der besten Mittel zum gewollten Zweck. Er ist nicht dazu fortgeschritten. Doch ist freilich im Leviathan deutlich die Tendenz vorhanden, gewissen Affekten einen höheren Rang zu verleihen; schon indem ausgeführt wird, daß das Überwiegen des einen oder des andern die Verschiedenheit der geistigen Begabung konstituiert; dann aber werden nicht nur (wie erwähnt wurde) mehrere Affekte aufgezählt als zum gesellschaftlichen Leben disponierend, sondern an mehreren Stellen wird insbesondere auch jene Kardinaltugen, die Gerechtigkeit auf eine natürliche Anlage und Neigung durchgeführt; nämlich auf die Freude, welche mit der Vorstellung von eigener macht und Fähigkeit verbunden ist, oder den Stolz; freilich so, daß dieses Motiv für ein vernünftiges Handeln als etwas Besonderes und Außerordentliches bezeichnet wird. So heißt es: die Hilfe, welche einem gegeben Wort Kraft verleiht, kann herkommen, entweder aus Furcht, oder aber aus Stolz und einem gewissen Selbstgefühl, dastehen zu wollen als einer, der es nicht nötig hat, es zu brechen; "dieses letztere ist ein Edelmut, der sich nur zu selten findet als daß sich darauf bauen ließe, zumal unter Leuten, die nach Reichtum, Stellung oder sinnlichen Vergnügungen jagen; und dies ist der größte Teil der Menschheit." Ebenso P, Kap. 15, Seite 136:
    "Was menschlichen Handlungen den besonderen Beigeschmack der Gerechtigkeit gibt, ist eine gewisse Vornehmheit oder Ritterlichkeit des Mutes, welche selten anzutreffen ist, wer sie aber besitzt, der verschmäht es, für die Befriedigung seines Lebens zu Betrug und Wortbruch seine Zuflucht zu nehmen."
20. Aber ganz sichtlich führt in die angedeutete Richtung ein Anderes. HOBBES erwartet nicht nur von seiner politischen Philosophie, daß sie auf eine Beseitigung unlogischer Institutionen und die Begründung einer vernünftigen Staatsverfassung hinwirken wird, sondern er denkt auch, daß die Annahme seiner oder irgendwelcher auf bloßem vernünftigen Denken gegründeter ethischer Theorie eine eigentliche Besserung der Menschen, mit der Erkenntnis auch die bessere Erfüllung ihrer Pflichten zur Folge haben wird. So heißt es schon in der Dedikationsepistel vor de cive:
    "Wenn die Moralphilosophen ihre Aufgabe mit gleichem Erfolg (wie die Mathematiker) erfüllt hätten, so sehe ich nicht, was noch ferner das Bemühen der Menschen zu ihrem Glück beitragen könnte. Denn wenn das Wesen der menschlichen Handlungen mit der gleichen Gewißheit erkannt wäre, mit der das der Größen an geometrischen Figuren erkannt wird, so würden Ehrgier und Habsucht, deren Macht auf die falschen Meinungen des Haufens über Recht und Unrecht sich stützt, entwaffnet werden, und es würde das menschliche Geschlecht eines so dauernden Friedens genießen, daß man nicht sähe, wie noch irgendein Kampf nötig werden sollte; es sei denn um den Raum, wegen des Anwachsens der Bevölkerung."
Ebenso, wenn er ein andermal (de corp. p. I, 1, 6) den Nutzen der Philosophie preist, zumal der Physik und Geometrie, auf welchen Wissenschaften alle Vorzüge der Europäer vor den Eingeborenen Amerikas gegründet sind und dann fortfährt:
    "Der Nutzen der moralischen und politischen Philosophie ist nicht so sehr abzuschätzen nach den Vorteilen, die wir aus ihrer Erkenntnis haben, als nach den Übeln, unter denen wir leider infolge der Unwissenheit über sie" ... "die Ursache der Bürgerkriege ist die, daß die Ursachen von Krieg und Frieden überhaupt nicht gewußt werden; und daß es sehr wenige gibt, die ihre Pflichten, durch welche Friede erwächst und bewahrt wird, d. h. eine wirkliche Regel des Lebens, gelernt haben. Die Erkenntnis dieser Regel aber ist die Moralphilosophie. Warum aber haben sie diese nicht gelernt, als weil sie bislang von Niemandem nach klarer und richtiger Methode gelehrt worden ist?" ... "Weil aber der Unkenntnis moralischer Wissenschaft so große Kalamitäten [Schwierigkeiten - wp] folgen ... so werden wir mit Recht die entgegengesetzten Vorteile ihrer Erkenntnis beilegen."
Womit der Satz der Vorrede zu de corpore zu vergleichen ist:
    "die politische Philosophie (philos. civilis) ist nicht älter als das Buch, welches ich über den Bürger geschrieben habe";
denn unter jenem Ausdruck ist die Moraltheorie mit zu begreifen. Aus einer anderen Stimmung, aber in einer charakteristischen Wendung, äußert er noch in einer späten mathematischen Streitschrift (Opp. Latt. ed. Molesw. V, Seite 202):
    "Den größten Dank widmen alle übereinstimmend denjenigen, welche zuerst die Menschen veranlaßt haben, sich zu vereinigen und Verträge dahin zu schließen, einer höchsten Gewalt zu gehorchen. Ich aber werde den nächstgroßen Dank denjenigen wissen, welche dieselbigen Menschen überreden werden, ihre Verträge nicht verletzen zu wollen."
Schluß.

HOBBES' Moralphilosophie ist von mir (am Schluß des 2. Artikels) als eine rationalistische bezeichnet worden. Sie ist es zunächst durch ihren Gegensatz gegen die theologische Behandlung des Gegenstandes. Zwar läßt HOBBES häufig genug dieselbe der Form halber nebenhergehen, und versäumt auch (wenigstens in den beiden ersten Schriften) nicht, nach der Sitte der Zeit die Belege aus der Schrift den Argumenten der natürlichen Vernunft nachfolgen zu lassen; diese selber aber sind umso sorgfältiger von jedem Zusatz religiöser oder gar kirchlicher Denkweise gereinigt worden. Dadurch ist HOBBES das von Wenigen wieder erreichte Vorbild des ganzen Zeitalters der Aufklärung. Was von LOCKE, dem Nachdenker des HOBBES in fast allen Stücken, gerühmt zu werden pflegt, daß er zuerst die Begriffe, mit denen wissenschaftlich verfahren wird, wegen ihres Ursprungs und ihres Inhalts zu erforschen sich bemüht hat, dafür muß jenem als dem eigentlichen Protagonisten der lautere Beifall gezollt werden, wenn es auch nachher der ganzen Periode eigentümlicher Charakter geworden ist. Denn das Wesen der vorhergehenden Philosophie war: Ehrfurcht vor Begriffen; dieser: Kritik von Begriffen. Begriffe gehen hervor aus Unterscheidungen; darum geht die neue Taktik überall darauf aus die gültigen Unterscheidungen aufzuheben. Es ist die in besonderem Sinn rationalistische Tendenz, welche alle hervorragenden Gedanken der folgenden Zeit durchdringt. Die Gesamtheit der Erscheinungen als irgendwie gleichartig, oder - was davon das Angefochtenste und darum das Wichtigste ist - alles Menschliche als Natürliches zu betrachten; sie fand in SPINOZA ihren tiefsinnig gestaltenden Meister; aber HOBBES war ihm darin durch eine schneidige Kritik und energische Kombination vorangegangen. Diese Tendenz, sofern sie eine monistische ist, macht eine rationalistische Erkenntnistheorie in Bezug auf die Gültigkeit der allgemeinsten Begriffe notwendig. Von diesen ist das wahre Zentrum die mechanische Kausalität; welche zugleich als das Prinzip des ganzen Rationalismus angesprochen werden kann. HOBBES ist der erste, der es zur Erklärung der psychischen Erscheinungen anwendet. Dadurch weist er in die Zukunft, auf die Bedeutung derjenigen Wissenschaft hin, welche erst in unserer Zeit als physiologische Psychologie zur Entfaltung gekommen ist. HOBBES hat den großen Versuch gemacht, in jener Hypothese eine Lehre von den menschlichen Handlungen, von wirklichen wie auch von vernünftig-ethischen zu begründen. Es ergab sich zwar, daß er über das Verhältnis jener beiden Kategorien zueinander sich nicht mit genügender Schärfe entschieden hat; doch ist es deutlich, daß das Prinzip der leiblichen Selbsterhaltung als des letzten vernünftigen Zwecks, in eine unmittelbare Beziehung gebracht werden muß mit der anderen Thesis, daß die Menschen vermöge der Notwendigkeit ihrer Natur das begehren und gut nennen, was ihnen das Gefühl der Lust oder (objektiv betrachtet) eine Förderung ihres Blutumlaufs bewirkt; und das Gegenteil fliehen und verabscheuen. Gleichwie alle Veränderungen der Körper auf das Prinzip der natürlichen Beharrung in Ruhe oder Bewegung sich zurückführen lassen müssen, ebenso alles animalisch-psychisches Leben, mit Einschluß der willkürlichen Handlungen, auf dasjenige, was sich in unserem Bewußtsein als unwillkürliche Furcht vor dem Tod und eine Begierde nach den Leben erhaltenden, fördernden und sichernden Dingen kundgibt. HOBBES hat das Verhältnis dieser beiden Urerkenntnisse - als solche mußte er sie doch ansehen - sich ebensowenig klargemacht als das Verhältnis von Bewegung und Empfindung überhaupt. Es kann aber in Wirklichkeit, wie das eine (Beharrung) als das Prinzip der rationalen Physik, so das andere (Selbsterhaltung) als das der rationalen Ethik angesprochen werden. Die systematische Vollendung dieser Gedanken bringt der Spinozismus; der überhaupt die verschiedenen Fäden, in welchen das Denken des HOBBES ausläuft, kunstvoll zusammengeschlungen hat. SPINOZA erklärt Empfindung und Bewegung - denn so können wir für diesen Zusammenhang seine Begriffe (Denken und Ausdehnung) richtig wiedergeben - und demnach auch den menschlichen Geist und Körper für ideell verschieden, aber realiter für identisch erklären. Und er bezeichnet als das begriffliche Wesen (actualis essentia) eines jeden Dings die Tendenz, in seinem Sein zu verharren (Eth. III, 7), also auch als die des menschlichen Körpers und Geistes (ebd. 9); er nennt diese Tendenz, auf den menschlichen Geist allein bezogen; Willen; auf Geist und Körper, Streben, oder, sofern dasselbe bewußt ist, Begierde. Es kann demnach nicht zugegeben werden, was allerdings durch die Ausdrucksweise des SPINOZA einen Schein gewinnt, daß er nach dem Vorgang DESCARTES' das Denken als die Grundfunktion der menschlichen Seele angesehen hat (1). Vielmehr ist diese Anschauung bei DESCARTES nur ein Rest der aristotelischen und scholastischen Denkungsart, welche den Menschen aus dem Zusammenhang der Natur herausnimmt und mit ihm den Übergang macht zu den übernatürlichen Wesen der Religion und der Metaphysik; die intuitive Erkenntnis des Guten und Bösen, und die Fähigkeit danach zu handeln, oder die Doktrin des freien Willens liegen unmittelbar damit zusammen - alle jene Meinungen, welche durch HOBBES und SPINOZA so schonungslos bekämpft werden. Bei diesen selber ist nun freilich das Verhältnis der Vorstellungen überhaupt, und des Denkens insbesondere, zu den Gefühlen und Gemütsbewegungen, nicht immer ein ganz deutliches. Aber im entscheidenden Satz stimmen beide überein, daß die Begriffe von Gutem und Bösem, welche den Willen bestimmen, selber nicht durch Denken, sondern durch Begierde und Abneigung bestimmt werden. Wenn dann gleichwohl das Handeln nach einem richtigen Denken als einziges ethisches Ideal hingestellt wird, so ist die Konsequenz, welche HOBBES nicht erkannt hat, einen besonderen Affekt, d. h. eine Erscheinungsform der Begierde nach Leben, mit diesem Denken oder mit der Vernunft verbunden zu setzen, bei SPINOZA offen ausgesprochen (Ethik IV, 8 und sonst). Daneben geht freilich bei SPINOZA wie bei HOBBES die ganz schroffe Entgegensetzung von Vernunft und Affekt, indem jene unegoistisch, dieser absolut egoistisch gedacht wird. Und beide, das Handeln nach Affekten wie das natürliche und allgemeine ansehend, sind aber auch einig in dem Satz, daß die Menschen von Natur aus einander feindselig sind; einem Satz der das Zeitalter in Schrecken setzte, der ihm als Ausdruck eines unheimlichen Pessimismus und als Erniedrigung der menschlichen Würde erschien. In der Tat ist es von diesen großen Denkern aus - während sich durch DESCARTES gerade die entgegengesetzte Richtung fortsetzte - ein vorzügliches Merkmal wissenschaftlichen Bestrebens geblieben, jener naiven Selbstschätzung gegenüber, welche sich in der mittelalterlich-kirchlichen Auffassung ausprägte, diejenigen Eigenschaften im psychischen Wesen des Menschen besonders hervorzuheben und zu untersuchen, welche ihn den übrigen lebenden Wesen, zumal den Tieren, gleichartig darstellen. Freilich ist hier auch zugleich die Grenze des Rationalismus: was ihm zu einer tieferen Auffassung dieses Verhältnisses mangelt, ist der Begriff der Entwicklung. Er kennt nur fixe und unwandelbare Begriffe: insoweit hat die alte platonisch-idealistische Denkungsart, welche in der Scholastik als Realismus erstarrt war, die Herrschaft über ihn behalten. Eines solchen Begriffes halber ist für HOBBES und SPINOZA eine Vernunft, welche einen anderen letzten Zweck setzen würde als die tierische Selbsterhaltung, nicht bloß unwirklich, sondern undenkbar und unmöglich. Und das Handeln nach der Vernunft, welches bei den wissenschaftlich Erkennenden als möglich eingeräumt wird, ist bei der Betrachtung im Großen gar nicht als vorhanden vorausgesetzt. Demnach kann eine Gemeinschaft, welche den Egoismus jedes Einzelnen beschränkt, nur bestehen, indem durch Furcht die anderen natürlichen Triebe gebändigt werden. Es ergab sich freilich, daß HOBBES durch seine Idee gedrängt wird, eine Teilnahme der Vernunft für das Bestehen eines Staates für notwendig zu halten; und daß er den Versuch macht, ihre Möglichkeit aus dem Begriff des Vertrages als einer bindenden Aussage über zukünftiges Wollen abzuleiten. Und auch dieser Versuch ist vorbildlich geworden. Auf jenen Begriff der schon vor HOBBES in der politischen Literatur eine konventionelle Bedeutung gehabt hatte, ist die ganz fernere Doktrin des rationalistischen Naturrechts als auf ihre Basis gestellt worden. Alle Gemeinschaft wird aus Verträgen der Einzelnen entstanden gedacht, wie bei HOBBES; und demnach alle moralische Verpflichtung jedes Einzelnen abgeleitet aus seinem eigenen Willen. Gemeinsamer Charakter dieser Denkungsart ist ihr Individualismus. Er ist der eigentlich sittlichen, d. h. der an die Sitte und ihre überlieferten Autoritäten, insbesondere an die Religion, jede Norm des Guten und Bösen anknüpfenden Denkungsart, innerlich und äußerlich entgegengesetzt; er ist durchaus revolutionär. Mit HOBBES sucht der eine Teil seiner Nachfolger die Schwäche dieser Grundlage aufzuheben durch die Darstellung der absoluten Souveränität des Gemeinschaftswillens. Ihr entspricht in der gleichzeitigen historischen Wirklichkeit die Erscheinung des unbeschränkten Königtums. Der andere, von einer optimistischen Auffassung der menschlichen Natur ausgehend, perhorresziert [ablehnen - wp] auch diese neue, alle übrigen verschlingende Autorität; er hält eine eigentliche Gemeinschaft überhaupt nicht für notwendig, sondern glaubt, daß das höchst mögliche Glück der Menschen erreicht werden kann durch bloße Gesellschaft und einen gesellschaftlichen Staat; d. h. durch zweiseitig gleichmäßig bindende und kündbare Verhältnisse der Menschen zueinander. Der erste erfolgreiche Vertreter dieses Gedankens ist LOCKE; siegreich wurde er aber hauptsächlich durch sein Eindringen in die junge Wissenschaft der politischen Ökonomie. Sein reales Gegenbild ist in der äußeren Gestaltung der liberalistische Konstutitionalismus.
LITERATUR - Ferdinand Tönnies, Anmerkungen über die Philosophie des Hobbes, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 5, Leipzig 1881
    Anmerkungen
    1) Ihre Wiederaufnahme und Weiterführung in den eigens dem Gegenstand gewidmeten Schriften aus dem Jahr 1654 "the questions concerning liberty, necessity and chance" (Bd. V), welche beide polemisch gegen Bischof Bramhall gerichtet sind, zu verfolgen, hatte ich wohl die Absicht; jedoch es schien mir über die Grenzen dieser Abhandlung hinauszugehen, da es auf die darin erörterten Probleme keinen direkten Bezug hat. So mag nur bemerkt werden, daß bereits in der ersten zu den übrigen Thesen die Behauptung der mechanischen Kausalität der Willensregungen und Handlungen hinzukommt, welche eben für Hobbes damals ein Korrolar des Satzes vom Grunde darstellt. - Außerdem soll hier ausnahmsweise ein literarischer Irrtum in Bezug auf diese Schriften notiert werden, weil er sich in einem bekannten und trefflichen Buch findet: Grundprobleme der Ethik, § 74, hält die erste derselben (aus welcher er dann zitiert) für eine englische Übersetzung der zweiten, von der er den lateinischen Titel anführt, also beide für identisch. Der Irrtum rührt daher, daß dieser lateinische Titel in der vita Hobbesii, die Schopenhauer kannte, genannt wird; aber lateinisch ist keine von beiden vorhanden.
    2) so noch neuerdings WINDELBAND, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. I, Seite 215.